Trust - Vertrauen
von DhalaElenaAngel
Kurzbeschreibung
Riki ist am Ende, er fühlt sich ausgenutzt, nur noch asl Sexsklave, vor Allem, als Iason seinen Geburtstag vergessen zu scheint, obwohl er doch damals versprochen hat, auf jeden Fall zu kommen. An diesem Tag will er aufgeben. Er wird krank, Niemand weiß warum, oder was er hat - auch Iason nicht...
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Jason
Riki
26.09.2007
30.09.2007
3
17.865
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26.09.2007
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Kaze trat zurück in Rikis Krankenzimmer. Er war zwischenzeitlich einige Stunden weg gewesen, denn auch der Schwarzmarkt musste ja nebenher weiter geleitet werden. Egal, ob ein dummer Mongorel beschloss, krank zu feiern, oder nicht.
Er fand Daryl halb über Riki liegend. Der arme Junge musste wohl über all den Stress eingeschlafen sein. Und dabei war es noch nicht einmal sechs Uhr. Vorsichtig berührte er den Mann and er Schulter.
Sofort zuckte Daryl zusammen, sah nach einiger Zeit zu Kaze auf, bevor sein Blick die Monitore entlang glitt und schließlich an Rikis gefährlich ruhigem Gesicht hängen blieb.
„Was...?,“murmelte er, noch sichtlich erschöpft.
„Du solltest erst mal zurück ins Apartment.“
„Ich kann doch nicht..:!“
„Sicher kannst du. Niemand hat was davon, wenn du auch noch krank wirst,“ wies Kaze den Jüngeren zurecht. „Ich bleibe hier, sollte Iason hier auftauchen. Aber du solltest heim, falls er zuerst da vorbeikommt.“
Sie beide wussten, dass das nicht geschehen würde, doch Daryl war wirklich zum Umfallen müde. Also nickte er. Er hatte nicht die Kraft, sich groß mit irgendwem rumzustreiten.
„Gut, dann mach dich auf den Weg und keine Angst, Riki ist hier in den besten Händen, keiner von uns kann momentan etwas für ihn tun.“ ‚vermutlich nur er selbst’, fügte Kaze noch in Gedanken hinzu, doch er schwieg, fuhr mit der Hand kurz über dessen Stirn, ohne dabei feststellen zu können, dass die Temperatur irgendwie gefallen war.
Auch er begutachtete die Monitore. Irrte er sich, oder schlug der für das Herz nicht einmal mehr halb so stark aus, wie noch vor einigen Stunden?
Erst, als Kaze sich davon überzeugt hatte, dass Daryl nach Hause gegangen war, setzte er sich neben das Bett.
„Ich würde ja nur zu gern wissen, was für ein Mist in deinem Spatzenhirn vorgeht!,“ knurrte er den Bewusstlosen an. „Was denkst du dir eigentlich dabei!“ Aber natürlich erhielt er keine Antwort, nur das regelmäßige Pipen der Geräte.
„Iason kümmert sich doch immer um dich! Also welchen Grund hat das Ganze!“
Und dann geschah es – wie zur Antwort. Das Pipen wurde immer schneller, bevor es ganz plötzlich zu einem langgezogenen, schrillen Ton wurde, der dafür sorgte, dass von allen Seiten Ärzte hereinschossen. Gerade noch rechtzeitig konnte Kaze sich mit einem geschickten Sprung aus der Schusslinie bringen.
„...Herzstillstand!“
“... sofort... Wiederbelebung!“
Von einer Schwester wurde Kaze schließlich ganz aus dem Zimmer gedrängt und auf den Flur befördert. Vollkommen verwirrt sah er auf den Trubel, der um ihn herum ausgebrochen war. Warum... war das denn nun geschehen? Ein Herzstillstand? Was war nur los? Es hatte doch nur mit etwas Fieber und einer Schmollattacke des Mongorels begonnen! Jetzt fehlte nur noch..:!
„Kaze! Was ist hier los!!“
Oha... soviel zum Thema. Nein, es fehlte nicht wirklich. Wenn man schon nur an den Teufel dachte!!!!
„Iason, du bist schon wieder...?“
„Kaze! Was ist hier los und wo ist Riki!?“
Der Rotschopf deutete wortlos auf das Zimmer, in dem gerade irgendwer rief, dass die Anderen vom Bett zurücktreten sollten.
Mit schreckgeweiteten Augen starrte Iason auf das Tohuwabohu im Inneren des von Ärzten überlaufenden Zimmers.
„Er hatte in just der Sekunde einen Herzstillstand,“ erklärte Kaze, als er sah, wie bleich der Andere geworden war, wollte ihn auf einen der Stühle manövrieren, doch der Blondie wehrte ihn ab, wie eine lästige Fliege.
„Ich muss...!“
„Sir, ich muss Sie bitten, draußen zu...“ doch auch diese Schwester wurde nur von Iason aus dem Weg gestoßen. Ohne auf irgendwen zu achten (nicht, dass sich ihm noch jemand in den Weg gestellt hätte), trat er in das Zimmer, starrte mit entsetzensgeweiteten Augen auf das Bett, in dem er seinen Riki liegen sah. Bleich, wie ein Handtuch, mit einem regelrecht unheimlichen Lächeln auf den Lippen. Und er konnte nichts tun, nur auf diesen unheimlichen, langgezogenen, fiependen Laut horchen.
„Riki!“
„...wieder Puls!“
Ja, so plötzlich, wie das Herz aufgehört hatte, zu schlagen, fing es nun wieder damit an, erst nur sehr, sehr schwach, doch dann wieder etwas stärker, bis sich wieder ein regelmäßiger, wenn auch schwacher Rhythmus etablierte.
Die Ärzte traten ein Stück zurück, betrachteten eine Weile mit erleichtertem Gesichtsausdruck die Monitore. Sie hatten schon nicht mehr damit gerechnet, es zu schaffen. Einer von ihnen zog Riki noch eine Atemmaske über das Gesicht, dann zogen sie sich zurück – bis auf einen, den Iason erbittert festhielt. „Was ist hier los!“
„Sir?,“ fragte der junge Mann verwirrt.
„Was ist mit meinem Pet geschehen!“
„I...I...Iason Mink!!!“
“Eben der! Ich verlange Erklärungen!”
Kaze war leise hinter seinen ehemaligen Master getreten, sah an diesem vorbei in das Bett, in dem Riki wieder reglos lag.
„Er... der Mongorel wurde gestern Morgen eingeliefert! Ihm fehlte nichts, außer dem Fieber! Ihm fehlt auch jetzt körperlich nichts! Wir konnten keinen Grund finden, dafür, dass er ins Koma gefallen ist, oder dafür, dass er eben einen Herzstillstand hatte. Keiner von uns! Wir wissen es einfach nicht!“
„Und dafür spende ich diesem verdammten Schuppen jährlich diese riesigen Summen?,“ fauchte der Blondie aufgebracht, während er den jungen Mann von sich stieß. „Ihr solltet lieber schnell rausfinden, was ihm fehlt!“
Nach diesen Worten trat Iason wortlos an das Bett, ließ sich auf einem Stuhl nieder, den Kaze ihm hinschob. Er nahm Rikis Hand, heiß war sie, die Haut fühlte sich an, wie Pergament. „Riki,“ flüsterte er nur leise. „Was ist geschehen?“
Kaze, der diese Frage auf sich bezog, setzte sich auf einen weiteren Stuhl: „Daryl hat mich vor zwei Tagen angerufen ,dass er es nicht schafft, Riki dazu zu bewegen, aus dem strömenden Regen zurück ins Trockene zu gehen, also bin ich zu deinem Apartment gefahren, um ihm zu helfen. Ich wollte ihn unter ein Sedativum setzen, um ihn reinzubekommen, ohne erst einen Kampf zu provozieren. Aber bevor ich es ihm spritzen konnte, ist er auch schon umgekippt.“
„Das soll der Grund dafür sein?,“ fragte Iason, ohne sich auch nur eine Sekunde von Riki abzuwenden.
„Damit hat es begonnen. Bis dahin war alles in Ordnung, hat Daryl gesagt. Riki hat auf dich gewartet... und ist dann irgendwann in den Regen gestürmt.
Na ja, wir haben ihn in eine Wanne mit heißem Wasser gelegt und wir dachten, damit hat es sich, er hatte normale Temperatur., als ich ihn ins Bett gebracht habe und er ist aufgewacht. Es war wirklich alles in Ordnung. Das Fieber kam erst am Morgen und dann hab ich sofort einen Arzt gerufen.“
„Warum wurde ich nicht umgehend informiert?,“ fragte Iason eisig.
„Wir dachten nicht, dass es etwas Ernsteres sein könnten, nachdem nacheinander acht Ärzte bestätigten, dass Riki nichts fehlt..:“
„Wie oft habe ich unmissverständlich klar gemacht, dass ich sofort informiert werden will, wenn irgend etwas mit Riki nicht stimmt?“
Kaze schwieg. Wie sollte er Iason auch klar machen ,dass er wohl die Hauptschuld an diesem Debakel trug? Er und Riki selbst? Mit seinem Sturrkopf, in den er es sich gesetzt zu haben schien, zu sterben? Nun – fast hätte er es ja auch geschafft...
Inzwischen waren drei weitere Tage vergangen. Zwar hatte Rikis Zustand sich stabilisiert und es war weiter nichts geschehen, sogar das Fieber war auf eine tolerante Temperatur gesunken, doch aufgewacht war der Mongorel noch immer nicht. Die Ärzte standen vor einem Rätsel.
Iason war in dieser Zeit nicht dazu zu bewegen gewesen, sich weiter, als einige wenige Schritte von dessen Bett zu entfernen. Auch in diesem Moment saß er da, die Hand des Jüngeren in der Seinen, den Blick auf das reglose Gesicht gerichtet. „Riki,“ sprach er die reglose Gestalt wieder und wieder an. „Warum? Was ist mit dir geschehen?“
„Iason.“
Widerwillig löse der Blondie sich von Rikis Anblick, der ihm im Herzen schmerzte und betrachtete Kaze. Er wusste, dass der Andere Recht hatte. Er musste zurück ins Apartment um sich umzuziehen und anschließend zum Syndikat. Er konnte nicht erwarten, dass die Geschäfte dort sich von Allein regelten und Raoul war nun einmal nicht so perfekt, wie er, was Diplomatie betraf.
„Ich komme, warte draußen,“ antwortete er nur knapp.
Erst, als er hörte, wie Kaze die Tür hinter sich schloss, suchte sein Blick wieder das reglose, bleiche Gesicht zwischen den Laken. „Riki, ich bin heute Abend wieder da,“ flüsterte er zärtlich, bevor er sich erhob, streichelte das Gesicht, dass vor Kurzem von der Atemmaske befreit worden war. Mit diesen Worten legte er die Hand des Jüngeren wieder unter die Decke und kurz bildete er sich ein, zu spüren, wie diese die Seine zu umklammern, ihn festzuhalten versuchte. Sofort schlug Iason die Decke zurück, doch da war – nichts. Rikis Hand lag reglos und schlaff auf der Matratze.
Na ja, wenigstens waren keine fiependen Geräte mehr nötig, um ihn zu überwachen...
Kopfschüttelnd packte der Blondie Riki wieder in die Decke, strich noch einmal über die wieder normal warme Stirn: „Ich bin bald wieder zurück,“ wiederholte er noch einmal, bevor er sie küsste, sich aufrichtete und schweren Herzens, mit den Gefühl, einen Fehler zu begehen, das Zimmer verließ.
Etwas... stimmte nicht, das war Riki sofort klar, als er aufwachte. Seine Hand tastete unter der Decke entlang, die ihm viel zu warm vorkam. Sein Kopf fühlte sich außerdem seltsam leicht an.
Was war geschehen? Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war der eisige Regen! Und ... halt!! Kaze! Er hatte Kaze gesehen! Der Gutste hatte wohl gewollt, dass er rein kam. Aber weder konnte er sich erinnern, diesem gefolgt zu sein, noch sich ernstlich mit ihm geprügelt zu haben.
Also gut, noch mal: was zum Verrecken, war hier los! Mühsam zwang er seine Augen auf – nur um sie erst mal gleich wieder zu schließen. Nein, beschloss er, das glaubte er jetzt erst mal nicht!
Aber es sprach alles dafür. Sein beschissenes Gefühl, die aufgestellten Härchen auf seinem Arm, die Tatsache, dass er sich hier so beschissen fühlte. Aber – warum? Warum hatten sie ihn nicht wenigstens zu Hause gelassen! Warum hatte Iason ihm auch noch DAS angetan!! Reichte es denn nicht, dass der Blondie ihn wie Abschaum behandelte? Ihn vergaß? Musste er ihn auch noch an einen der Orte bringen, die er so sehr hasste, nein schon fürchtete??? Wenn ein Mongorel hier endete, kam er in der Regel nicht mehr lebend heraus. So war es mit seinem Vater gewesen, seinem älteren Bruder und seiner Mutter!
Langsam, weil ihm sofort schwindlig wurde, wenn er sich bewegte, arbeitete er sich aus dem steril weißen Bett auf – eine Farbe, die ihm Alpträume bescherte – und sah sich irritiert um. Er war allein. Warum überraschte ihn das nur nicht? Riki merkte, wie eine Träne sich den Weg über die Wange bahnte, wischte sie wütend weg.
Warum?
Warum heulte er Iason nur nach? Warum konnte er seine Gefühle nicht einfach abschalten! Wenn er dem Blondie etwas bedeutet hätte, wäre der doch sicher bei ihm geblieben! Hätte ihn nicht allein gelassen, oder wegen irgendeiner Lappalie ins Krankenhaus verfrachtet!
Er musste hier weg!
Das war das Einzige, das Riki klar war.
Hier konnte er nicht bleiben, er würde wahnsinnig werden! Und Iason... irgendwie bezweifelte er inzwischen, dass der Blondie seine Abwesenheit wirklich zur Kenntnis nehmen würde... oder doch, das sicherlich, aber wahrscheinlich wäre er erleichtert, endlich Ruhe zu haben.
Und er wäre endlich wieder frei, weg aus Eos, wo er sich so unwohl und unwillkommen fühlte, wo er an jeder Ecke schief gemustert wurde. Iason würde sich kaum die Mühe machen, ihn zu suchen...
Wütend stellte Riki fest, dass seine Tränen nicht aufhören wollten, zu rollen. Warum? Warum konnte ihm nicht auch alles so scheiß egal sein, wie dem Blondie!! Sauer auf sich selbst schlug er die Decke zurück, starrte auf seine Beine...
Nein, sein Entschluss stand fest. Keine weiteren Demütigungen mehr von irgendwem. Er würde gehen, zurück in die Welt, die er kannte, die ihn kannte, in der er leben konnte, ohne sich wie ein Stück Dreck unter feinstem Porzellan zu fühlen! Er würde Iason nicht mehr belästigen! Sollte der Blondie sich ein neues Spielzeug holen, wenn er nicht schon wieder eines hatte!
Mühsam richtete Riki sich auf, sah an sich herab. Ein Schlafanzug. Seiner, wie er am Rande feststellte. Sicher hatte Daryl ihn mitgebracht...
Er tapste unsicher zu dem Schrank, öffnete ihn. Ja, auf Daryl war Verlass. Der Junge dachte einfach an alles. Da lag ein kleiner Stapel Kleidung. Weitere Schlafanzüge. Hausschuhe. Eine Jacke???
Nein! Das war nicht seine! Egal. Sie würde schon taugen! So schnell wie möglich zog er sie über, schlüpfte in die Hausschuhe... zuallererst musste er sich irgendwo Klamotten besorgen.... aber gut, erst mal sollte er zusehen, dass er aus diesem riesigen Grab herauskam, bevor auch er zu denen zählte, die darin auf immer und ewig verschwanden...
Immer noch etwas unsicher auf den Beinen öffnete Riki die Tür zu seinem Zimmer, spitzte auf den Gang, der wie ausgestorben vor ihm lag, trat aus der Tür. Niemand beachtete ihn weiter. Gut.
So lautlos, wie nur eben möglich, schlich er sich die Wände entlang, von der Station, weiter nach Unten, immer den Pfeilen mit der Aufschrift Exit entlang.
Und dann hatte er es geschafft. Er Stand im Freien. Und es war kalt. Einen letzten Blick warf er zurück, spürte wieder das Prickeln in der Kopfhaut, bevor er sich abrupt umdrehte – und erst mal zu wanken begann. Stopp, rief er sich selbst zur Ordnung, keine abrupten Bewegungen! Schien eine denkbar schlechte Idee zu sein. So, nun erst mal sehen, wo er überhaupt war. Im Eos Hospital, das sagte zumindest das riesige Neonleuchtschild.
Gut.
Dann musste er nach Süden. Da lagen die Slums von Tanagura. Der einzige Ort auf der Welt, wo er hin konnte und hin gehörte. Dort war er geboren, dort war er einer unter vielen und ein Exot, den alle begafften.
Vielleicht sollte er sich doch noch mal überwinden, mit Guy zu reden, ihn eventuell sogar am Anfang um Hilfe bitten... nein, das konnte er nicht tun, nicht, nachdem Guy ihn für tot erklärt hatte. Seinem vormals besten Freund konnte er nicht mehr in die Augen blicken. Und warum nicht?? Weil er so dumm gewesen war, sich für den Blondie zu entscheiden! Für eine Liebe, die, so schön sie zeitweise gewesen war, einfach nicht möglich war! Zu groß war die Kluft zwischen ihnen immer gewesen!
Mal ganz davon abgesehen, dass er immer nur ein Pet gewesen war, ein Sexspielzeug, um einen Blondie zu erfreuen. Nie ein Geliebter, nie eine gleichwertige Person! Immer nur das Pet! Und Iason natürlich der Master! Wie hätte es auch anders sein können! Iason war nun einmal der Kopf des Syndikates, der Herrscher über diese kleine Welt, die Riki kannte. Wie konnte er auch erwarten, dass so einer Person jemanden wie ihn wahrhaft lieben konnte! Einen Mongorel! Das Unterste vom Untersten!
Die Leute, die man mal eben so zum Spaß umbringen durfte, wenn man gerade Lust hatte, seine neuen Laserwaffen auszuprobieren, denn ein Mongorelleben war in dieser Gesellschaft nicht einen Pfifferling wert! Wie hatte er nur glauben können, dass es zwischen ihnen je etwas wie wahre Liebe geben konnte!
Riki merkte noch nicht einmal mehr, wie die Tränen ihm lautlos die Wangen herabrannen, während er einfach immer weiter lief. Ohne nach links oder rechts zu sehen, vorbei an gaffenden Passanten und Kindern, die auf ihn zeigten, Frauen, die diese hastig zur Seite zogen, als wäre die Tatsache, dass er Mongorel war so etwas wie eine Krankheit, die sich auf die Kleinen übertragen könnte.
Vorbei an den übervollen Schaufenstern, die er früher so gern beobachtet hatte, die Paraglider, die zu besitzen immer einer seiner größten Wünsche gewesen war, diese Maschinen hatten in seinen Augen immer eine für ihn kaum vorstellbare Freiheit versprochen. Etwas, dass er für Iason vollkommen aufgegeben hatte.
Wusste der Blondie das eigentlich? Wusste er, was Riki aufgegeben hatte? Sicher, er hatte in etwas gelebt, dass in den Augen eines Blondies kaum mehr war, als ein Rattenloch, doch er war frei gewesen, frei, zu gehen, wohin er wollte, und frei zu tun, wonach es ihm beliebt hatte!
Nein, Iason wusste nicht, was ihm die Freiheit bedeutete, die er so schnell aufgegeben hatte, um dem Menschen zu folgen ,den er so sehr geliebt hatte....
Mit tränenüberströmtem Gesicht lief Riki einfach immer weiter. Er merkte nicht, dass es erneut zu regnen begann, oder dass die weichen Sohlen der Hausschuhe, die er trug, inzwischen vollkommen durchnässt waren...
Er lief einfach immer weiter...
Iason parkte seinen Wagen direkt vor dem Krankenhaus und dankte einmal mehr der Erfindung des Autopiloten. So hatte er die Fahrt über nachdenken können. Über den Grund. Wie so oft. Über das, was Riki zugestoßen sein mochte. Über das, worauf sich auch die Ärzte keinen Reim zu machen vermochten.
Der Herzstillstand.
Noch immer ging Iason das Geräusch, dieses hohe Fiepen, durch Mark und Bein, wenn er nur daran dachte! Sein eigenes Herz hätte fast ausgesetzt, als Kaze ihm gesagt hatte, dass Rikis es getan hatte!
Sein Riki! Fast gestorben! Und niemand wusste den Grund! Dazu kamen die seltsamen Blicke, die Kaze ihm von Zeit zu Zeit zugeworfen hatte, als gebe dieser IHM die Schuld an Rikis Zustand! Es war zum Verrücktwerden!
So gern würde er seinen kleinen einfach mit nach Hause nehmen, doch das war einfach Wahnsinn, so lange er nicht wusste, was mit Riki war. Er hoffte nur, dass der Mongorel noch nicht aufgewacht war und dann hatte feststellen müssen, dass er allein war. Er hätte doch Daryl herschicken sollen, wusste oder ahnte er doch zumindest, dass Riki Krankenhäuser nicht mochte!
Rasch öffnete er die Tür seines Gefährts und lief zum Eingang. Wo eine nur zu vertraute Stimme ihn empfing.
„Was soll das heißen!?,“ brüllte Kazes Stimme quer durch die Halle und ein ganzer Schwarm Ärzte und Schwestern stand da mit reichlich bedröpsten und schuldbewussten Gesichtern.
„Wir... haben alles abgesucht...“
„Was?“ Iason packte Kaze am Arm: „Was ist hier los!“
„Das können die dir sicher besser erklären,“ knurrte Kaze, sichtlich so wütend, dass er kurz vor dem Explodieren stand.
„Der .. Mongorel ist... verschwunden...“
„WIE BITTE?,“ fragte Iason. Trügerisch ruhig, aber mit einer Stimme, die problemlos Eisen hätte schneiden können.
„Ich übersetze,“ half Kaze kühl. „Diese Idioten haben Riki abhauen lassen! Einen kranken Jungen, der sich wahrscheinlich kaum auf den Beinen halten kann! Einfach abhauen lassen und wahrscheinlich auch noch durch den Haupteingang und im Schlafanzug! In Hausschuhen und in meiner Jacke!“
Iason zog ein Mininotebook aus seine Tasche, während der eisige Blick aus seinen blauen Augen wirkte, als wolle er das gesamte Personal umbringen – möglichst schmerzhaft.
In Iasons Kopf überschlugen sich die Gedanken. Riki war aufgewacht, zu sich gekommen, daran zweifelte er nicht. Und er war offensichtlich in dem Moment allein gewesen.
Hatte nur gesehen, dass er in einem Krankenhaus lag und wohlmöglich Panik bekommen! Bei Riki kannte man das nie so genau wissen! Ja, und dann hatte der Junge beschlossen, so schnell wie möglich da raus zu kommen! Wer wusste, wo er gerade herumstolperte, in seinem Zustand! Denn selbst, wenn er kein Fieber mehr hatte, so war er über eine Woche lang ohne Bewusstsein gewesen, hatte nichts gegessen und hatte nur über eine Sonde etwas Flüssigkeit in den Körper gepumpt bekommen!
Nicht auszudenken, was ihm in dem Zustand alles passieren... was???
Verwirrt blickte Iason auf sein Notebook, sah dann Kaze an, der ihn abwartend musterte. Erneut drückte Iason eine Reihe von Knöpfen und gab Befehle ein. Aber das Ergebnis blieb dasselbe: Z107M – Not found.
Rikis Tracer war nicht auszumachen, weder hier im Krankenhaus noch sonst wo in der gesamten Umgebung.
„Iason?“
„Der Tracer!,“ knurrte Iason. „Er... ist weg!“
„Das kann doch gar nicht sein!,“ begehrte der Schwarzmarktboss auf. „Er kann ihn doch nicht abnehmen und er hat keine Möglichkeit, an irgendwelche Signalblocker ranzukommen! Schon gleich dreimal nicht, ohne einen Credit in der Tasche und in der kurzen Zeit!“
Iason wirbelte herum: „Ich mache mich auf die Suche...“
Kaze nickte. „Ich auch.“ Er sah dem Blondie hinterher, der durch die Tür stürmte, mit einem Gesicht, als würde er den Nächsten, der den Fehler machte, ihn anzusprechen, schlicht auffressen.
„Was hast du nun schon wieder verbockt, du Sturrkopf?,“ murmelte Kaze nur, während auch er hinaustrat und den Pulk der verständnislos dreinstarrenden Ärzte und Schwestern einfach stehen ließ. „Was hast du dir dabei gedacht, in deinem Zustand einfach zu türmen!“ Mit Riki hatte man aber wirklich NUR Probleme! Andrerseits...
Kaze konnte den Jungen auch irgendwo verstehen. Er wusste, dass seine gesamte Familie verschwunden war, nachdem man sie in Krankenhäuser gebracht hatte. Er musste allein aufgewacht sein und Panik bekommen haben. Also war er getürmt. Großartig! Wirklich! Denn das alles erklärte immer noch nicht, wie er es geschafft hatte, sein Ortungssignal vollkommen zu blockieren!
Und genauso war ihm klar, dass das alles nur die halbe Erklärung war. Da steckte noch viel, viel mehr dahinter. Riki war weggelaufen. Nicht nur vor seiner Angst, nein, auch vor Iason. Doch da hatte der Mongorel sich schrecklich verrechnet. Der Blondie würde, so, wie er ihn kannte, Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sein Pet wiederzufinden. Denn schon längst war das Oberhaupt des Syndikats dem einfachen Jungen aus der tiefsten Schicht der Gesellschaft vollkommen verfallen.
Ohne Riki konnte Iason nicht mehr leben.
Das Lustigste war nur, dass das Ganze auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Beiden würde nie, niemals voneinander lassen können. Er fragte sich nur, was dann der Auslöser für Riki, der immerhin freiwillig zu dem Blondie zurückgekehrt war, dazu veranlasst hatte, wegzurennen. Kaze griff nach seinen Zigaretten, zündete sich eine an und blies den Rauch heraus, während er beobachtete, wie vor dem Fenster seines Wagens wieder schwere, kalte Tropfen zu fallen begannen.
Es machte keinen Sinn, Riki zu suchen. Nicht für ihn. Niemand außer Iason würde es schaffen, den Jungen zu finden, wenn er das Tracersignal, wie auch immer geblockt hatte.
Die Beiden hatten ihre eigene, unheimlich starke Verbindung, hatte doch Rikis Herz in dem Moment wieder zu schlagen begonnen, als Iason ihn gerufen hatte. Und er war aufgewacht, weil der Blondie fast unaufhörlich an dessen Bett gesessen hatte...
Kalt... es war so... kalt.
Überall... so unendlich kalt....
Riki versuchte, sich zusammenzukrümmen, doch der schreckliche Schmerz in seiner Seite ließ nicht zu, dass er sich auch nur einen Millimeter von der Stelle rührte. Er bettete seinen Kopf auf seinen Armen um, presste seine viel zu heiße Stirn gegen die kühlen Betonplatten des Bodens. Wenn er doch nur die Hitze des Fiebers auf den Rest seines Körpers verteilen könnte!
Erneut zuckte das Licht über seinem Kopf unruhig, zeigte somit an, dass auch diese Neonröhre bald ihren Geist aufgeben würde. Schon jetzt spendete sie kaum noch Licht. Bald würde er in vollkommener Dunkelheit hier liegen – und sterben.
Darüber machte er sich keine Illusionen mehr.
Niemand würde auf die Idee kommen, ihn ausgerechnet hier zu suchen! Niemand! Und am wenigsten Iason, irgendwie bezweifelte er sogar, dass der Blondie diesen Ort noch kannte.
Dana Burn.
Hierhin war er gegangen. Der einzige Ort, wohin er sich hatte flüchten können, wo er erst einmal ein Dach über dem Kopf haben würde. Triefnass von dem Regen, der immer wieder gefallen war, war er in den alten Bunkerkomplex hineingestolpert. Ihm war schwindlig gewesen, kalt. Er hatte sich kaum noch aufrecht halten können, als er endlich angekommen war.
Und dann war es passiert. Ein dummer fehler, ein falscher Tritt, an einem Ort, den er doch so gut kannte, wo er früher immer gespielt hatte, erst mit seinem Bruder, dann mit Guy und dem Rest von denen, die später unter seiner Leitung zu Bison geworden waren.
Zwar hatte er die Stufen abgezählt, wie immer, doch dann war er ausgerutscht. Dreizehn, springen, fünfzehn... so hätte es laufen müssen, doch er war gerutscht, die gebrochene Treppe hatte unter seinem Gewicht nachgegeben, er war gefallen. Wie tief wusste er nicht, er erinnerte sich nur noch schattenhaft an den Aufprall, daran, wie der schreckliche Schmerz durch sein Bein gefahren war. Es war mit Sicherheit gebrochen gewesen.
Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, war nur Sekunden später ein weiterer, heftiger Schmerz durch seine Seite gezuckt. Er wusste nicht, was es war, nur, dass er sich nun gar nicht mehr bewegen konnte, nicht, ohne dass ihm schwarz vor Augen wurde. Vielleicht ein Stein aus der Decke, spitz genug, um sich durch seine Kleidung in seine Haut zu bohren.
Kalt...
....und unerträglich heiß...
Wann? Wann würde es endlich vorbei sein!
Konnte er nicht einfach schnell sterben? Riki konnte sich nicht daran erinnern, sich je so elend gefühlt zu haben. Er wusste, er hatte keine Chance, zu überleben. Er wusste nicht, ob er noch blutete, aber er hatte es getan, das wusste er.
Er konnte sich nicht bewegen, war dazu verdammt, hier zu liegen und zu verdursten. An Wasser würde er nicht rankommen. Von Nahrung mal ganz zu Schweigen. Fast hätte er trocken aufgelacht, doch selbst das hätte zu große Schmerzen verursacht. Also blieb er einfach weiter reglos liegen, schloss seine Augen, als könne er damit alles von sich fern halten, die schrecklichen Schmerzen, seine Einsamkeit, seine Gefühle. Vor allem davonlaufen...
Das hatte er ja schon beim Krankenhaus versucht – und es war mehr, als nur gründlich fehlgeschlagen! Denn nun lag er hier! Der einzige Unterschied für ihn bestand darin, dass er nun wusste, dass er sterben würde... allein...
Ohne irgendwen, der ihm hinterher trauern würde....
Nur er, ganz allein, in der Finsternis, die hier bald herrschen würde...
Die Finsternis, die er so hasste. Kein Mond am Himmel, kein Licht. Nur das letzte Flackern eine halbtoten Neonleuchte, bei der es ohnehin einem Wunder gleichkam, dass sie überhaupt noch funktionierte...
Iason...
Wie ein Geist, immer und immer wieder spukte der Name nun in seinem Geist herum. Es war ihm, als sehe er den Blondie vor sich. Dessen Arrogante, selbstsichere Haltung, sein nur zu oft viel zu ausdrucksloses Gesicht, die stechend blauen Augen, bei denen er jedes Mal das Gefühl gehabt hatte, sie könnten bis auf seine Seele herabsehen.
„Iason!,“ er rief den Namen in dem Moment, als er meinte, den Schmerz und die Kälte keinen Augenblick länger ertragen zu können, wohl wissend, dass niemand ihn hören würde. Es spielte ohnehin keine Rolle mehr.
Er hatte immer gewusst, dass er den Älteren liebte, so, wie ihm klar gewesen war, wie aussichtslos das war. Doch nun, wo er wusste, dass er sterben würde, wünschte er sich nichts sehnlicher, als dessen Anwesenheit, seine zärtlichen Berührungen, die dafür gesorgt hatten, dass er dem Blondie mit Haut und Haaren verfallen war.
Fast war ihm, als würde er kurz Iasons Stimme hören, wie durch einen dichten Nebel, weit, weit weg, doch das konnte nur in seiner Fantasie sein. Der Andere würde ihn sicher nicht suchen. Nicht ihn, nicht, wo er endlich die Möglichkeit hatte, den ganzen Ärger auf einmal loszuwerden...
Es war so kalt...
Abrupt hielt Iason sein Gefährt an, starrte hinaus in den Regen, der erneut zu fallen begonnen hatte. Ohne es zu merken, war er in der Seitengasse angekommen. Den Ort, an dem er Riki zum ersten Mal gesehen hatte.
Das schlechte Gefühl in seinem Magen hatte sich fast vervierfacht, Er wusste, etwas stimmte nicht und er wusste, die Zeit rannte ihm davon. Etwas war geschehen! Mit seinem Riki! Irgendwo da draußen! Er konnte nicht weiter ziellos herumfahren!! Iason schlug die Hände vors Gesicht, versuchte, sich zu konzentrieren – und blickte plötzlich auf.
Hastig schaltete er seinen Computer wieder an, den er als technisches Equipment im Auto hatte, hackte auf die Tasten ein. Ja, es gab eine Möglichkeit, Tracersignale vollkommen zu blockieren. Durch einen Baustoff, der seit den großen Kriegen, die die neue Ordnung gebracht hatten, nicht mehr verwendet wurden, da sie als zu instabil und schwierig galten, im Vergleich zu den neuen Materialien.
Beton.
Massiver Beton.
Von den Mongorels benutzt, um riesige, meist unterirdische Bunkeranlagen zu bauen. Anlagen, die fast alle zerstört waren.
Bis auf eine.
Hastig gab er einen Suchbegriff in die Maschine ein und sofort wurde ein Plan vor seinen Augen sichtbar.
Dana Burn.
Zu groß und direkt unter der damals neu errichteten Stadt, hatte man sie als Einzige Anlage nicht zerstört, da die Gefahr bestanden hätte, dass die neuen Gebäude dabei zu Schaden gekommen wären.
Man hatte sich damit begnügt, die Eingänge zu versiegeln.
‚Alle Zugänge anzeigen’, tippte Iason hastig.
Drei. Drei Stück in unmittelbarer Nähe, alle hier, in den Slums, in Tanagura. Der einzige Ort, an den Riki wohl gegangen sein könnte!
Nur – welcher war der Richtige! Er hatte nicht die Zeit, es auszuprobieren! Es musste auf Anhieb der sein, durch den auch sein Kleiner gegangen war! Die Anlage war zu monströs, um einen Fehler zu machen!
Da!
Er starrte auf einen der leuchtenden Punkte. Er wusste es einfach. Warum konnte Iason nicht sagen, er wusste es, mehr nicht. Ganz in der Nähe des Hafens, Dieser Eingang musste es sein! Ungeduldig startete Iason den Motor erneut und drückte aufs Gas.
So schnell war er noch nie gefahren. Für die gesamte Strecke hatte er letztendlich nicht viel länger, als fünf Minuten gebraucht.
Ohne sich auch nur die Mühe zu machen, abzuschließen, hastete Iason auf das kleine, unauffällige Häuschen zu, dass die Tür offen stand, konnte er trotz der einsetzenden Dämmerung erkennen.
Riki.
„Riki!,“ rief er in das Halbdunkeln im Inneren. Sporadisch leuchteten schwache Neonröhren an den Gängen entlang. Ein Wunder, dass sie nach all der Zeit noch funktionierten...
Keine Antwort.
Iason lachte abfällig über sich selbst. Was hatte er denn erwartet! Trotzdem folgte er, ohne zu zögern, dem langen Gang, wählte zwei Mal aus dem Gefühl heraus, eine Abzweigung, obwohl der Gang, dem er nun folgte, stockdunkel war. Er warf kaum einen Blick auf den Plan, den er sich auf den kleinen PC überspielt hatte, verließ sich auf sein Gefühl...
„Iason..:!“
Wie vom Donner gerührt, blieb der Blondie stehen, lauschte auf den Widerhall des einen Wortes, dass zu ihm heraufdrang.
„Riki!,“ rief er zurück, doch diesmal blieb es still. Unheimlich still.
Trotzdem hatte er in Etwa gehört, woher der Ruf gekommen war, folgte dem verzweifelten Klang der Stimme, der ihm selbst jetzt noch in den Ohren nachhallte.
Was? Was war geschehen, dass Riki seinen Starrkopf und seinen Stolz wegwarf und nach ihm rief?! Das würde er doch unter normalen Umständen nie, niemals tun, selbst wenn er wüsste, dass niemand ihn würde hören können, so, wie hier!
„Riki!“
Da! Eine weitere Treppe – mit einer frisch gebrochenen Stufe in fast völliger Dunkelheit. Und eine Stufe höher Rikis Hausschuhe...
„Riki!“
Ohne einen Gedanken an die Gefahr zu verschenken, die hier herrschte, sprang der Blondie die Stufen herab. Seine Augen suchten die Finsternis ab, die Schatten, die das Dämmerlicht hier überall warf.
Bis er das flackernde Licht erkannte. Eine Neonröhre, die nervös zuckte, kurz vor dem Erlöschen und auf den Boden... „Riki!!“
„Riki!“
Schon wieder. Er fantasierte immer noch, stellte der Mongorel fest. Und doch... allein die Vorstellung, dass Iason ihn vielleicht doch suchte, ihn wenigstens etwas vermissen würde, hatte etwas seltsam Tröstendes an sich.
Er ruckelte seinen Kopf etwas auf dem eisigen, halb eingeschlafenen Arm zurecht, wollte es sich wenigstens etwas bequemer machen. Die Augen zu öffnen schien ihm einfach zu mühsam. Nein, er war sich sicher, er würde weder verdursten, noch verhungern. Sobald er seiner inzwischen beträchtlichen Müdigkeit nachgeben würde, würde er sterben.
Warum wehrte er sich eigentlich noch gegen diesen Schlaf? Er wäre endlich allein, würde niemandem mehr zur Last fallen, nie wieder. Allein, einsam, in der Dunkelheit. Es würde ohnehin geschehen, also, warum kämpfte er dann noch?
„Riki!!!“
Was...? Diesmal hörte sich die Stimme definitiv an, als käme sie von irgendwo direkt vor ihm! Panisch! Dann ein weiteres Geräusch... Schritte? Schwere Schuhe, wenn er raten musste. Aber... woher kamen die so plötzlich?
„Oh mein Gott! Riki...!“
Eine Hand, die über seine Haare fuhr...?
„Hier Mink. SOFORT ein medizinisches Notfallteam nach Dana Burn, Zugang Z23T8! Gitterquadrant Q7.“
„..:“
„SOFORT!“
Dann das klassische Pipen, wenn Iason seine Gesprächspartner mal wieder abwürgte, ohne ihnen di Chance zu geben, auf etwas einzugehen.
Iason? Hier? Wie... wie hatte der Andere ihn nur finden können? Warum diese Panik? Und warum hatte der Andere ihn überhaupt gesucht!? Nur, um ihm noch zusätzlich eine Predigt darüber zu halten, dass er abgehauen war?
Erneut spürte er die Hand, die ihm sanft durch die Haare fuhr, an seinem Hals entlang glitt, kurz verweilte, bevor sie weiter auf seinen Rücken wanderte.
„Riki. Kannst du mich hören?,“ fragte die Stimme.
Nanu? War das Einbildung, oder zitterte sie tatsächlich?
„Riki, bitte! Komm zu dir! Komm schon...! Bitte....!“
Die Verzweiflung in der Stimme des Blondies brachte Riki tatsächlich dazu, seinen Kopf zu wenden, trotz der Anstrengung, die das für ihn bedeutete...
„Riki!“
Auf einmal schob sich eine Hand unter seine Brust und im nächsten Moment hätte er nicht lieber getan, als vor Schmerzen zu schreien, doch dazu fehlte ihm die Kraft. Er hörte sich selbst nur leise, schmerzvoll aufstöhnen.
Iason band hastig seinen Schal um die immer noch blutende Wunde, die sich irgendwo an der linken Seite des Mongorels befinden musste, bevor er den Jüngeren so vorsichtig es ihm nur eben möglich war, hochhob. Das schmerzvolle Stöhnen des Kleinen ging ihm dabei durch Mark und Bein.
„Schh.... es wird alles wieder gut,“ flüsterte er, wobei seine Hand über das heiße Gesicht fuhr. Riki glühte... aber alles Andere war eisig kalt. Er drückte den Jüngeren fester an sich, versuchte so, ihm etwas von seiner eigenen Wärme zu geben.
„Riki, mach bitte die Augen auf;“ verlangte Iason. Und tatsächlich. Was er nicht für möglich gehalten hatte, geschah. Die braunen Augen kamen unter den langen, gebogenen Wimpern zum Vorschein. Wenn sie sich auch nur einen winzigen Spalt breit öffneten. Doch er erkannte auch den Reflex, die Augen wieder zu schließen, sofort. „Nein!“, rief er, was ihm sofort leid tat, als er sah, wie der Junge zusammenfuhr, was ein weiteres schmerzliches Aufstöhnen zur Folge hatte. „Nein,“ wiederholte er leiser. „Nicht die Augen wieder schließen. Du musst wach bleiben! Es wird alles wieder gut, keine Angst...“
Was verlangte Iason da? Hatte der Blondie überhaupt eine Ahnung, wie müde er war? Was für eine Anstrengung es für ihn war, die Augen offen zu halten??
„Komm, sprich mit mir,“ verlangte Iason. Er wusste, er durfte nicht zulassen, dass Riki wieder einschlief. Nicht, bei diesem schrecklichen Blutverlust! Er hatte das Gefühl, der ganze Boden schwamm.
„Wa..rum...?“
„Warum was, Riki?“
„... bist... du...ge~kommen...?“ Allein diese Worte hatten ihn eine Kraft gekostet, wie es sonst nicht einmal seine morgendlichen Übungen taten. Selbst das Atmen empfand er inzwischen als inakzeptable Anstrengung...
Iasons Reaktion auf diese Frage bestand darin, dass er Riki noch fester an sich presste: „Wie hätte ich es nicht tun können?,“ flüsterte er. „Du bist doch ...!,“ ‚mein Pet’, hatte er den Satz beenden wollen, doch automatisch wusste er, dass er damit einen dicken Fehler machen würde. Außerdem war es schlicht nicht wahr. Riki war für ihn schon lange so unendlich viel mehr, als das. Für den Mongorel war er ja sogar bereit, sich mit Jupiter und dem Rest der Welt anzulegen!! „Weißt du wirklich immer noch nicht, wie viel du mir bedeutest?,“ fragte Iason leise.
Diese Antwort verwirrte Riki, der ohnehin schon den Eindruck hatte, dass sein Verstand im Moment nur noch sehr, sehr langsam arbeitete. Er konnte sich auf das Gesagte keinen Reim machen. Warum klang dieser Satz nur so sehr nach der Liebeserklärung, die Riki sich schon so lange von dem Blondie gewünscht hatte?
Automatisch versuchte der Brünette sich tiefer in die einschläfernde Wärme des anderen Körpers zu verkriechen, sog den Duft des Älteren auf, den er inzwischen so gut kannte. Wenigstens würde er nicht allein...
„Nicht die Augen schließen!,“ drang Iasons Stimme wie durch einen dichten Nebel zu ihm durch, doch er war nicht mehr in der Lage, diesen Befehl Folge zu leisen. Es schien, als lägen Bleigewichte auf seinen Lidern.
„Riki, nein!,“ rief Iason, nun wirklich der Verzweiflung nah. „Nicht einschlafen! Komm, halt noch etwas durch! Nicht mehr lange! Hilfe ist gleich da! Nur noch..!“ Doch dann sah er, dass es zu spät war. Der Jüngere war doch eingeschlafen. „Bitte, Riki!,“ rief er nun. „Bitte, halt durch! Weißt du denn nicht, wie sehr ich dich liebe?,“ flüsterte er die letzten Worte, strich dabei unablässig über das vom Fieber heiße Gesicht...
Er fand Daryl halb über Riki liegend. Der arme Junge musste wohl über all den Stress eingeschlafen sein. Und dabei war es noch nicht einmal sechs Uhr. Vorsichtig berührte er den Mann and er Schulter.
Sofort zuckte Daryl zusammen, sah nach einiger Zeit zu Kaze auf, bevor sein Blick die Monitore entlang glitt und schließlich an Rikis gefährlich ruhigem Gesicht hängen blieb.
„Was...?,“murmelte er, noch sichtlich erschöpft.
„Du solltest erst mal zurück ins Apartment.“
„Ich kann doch nicht..:!“
„Sicher kannst du. Niemand hat was davon, wenn du auch noch krank wirst,“ wies Kaze den Jüngeren zurecht. „Ich bleibe hier, sollte Iason hier auftauchen. Aber du solltest heim, falls er zuerst da vorbeikommt.“
Sie beide wussten, dass das nicht geschehen würde, doch Daryl war wirklich zum Umfallen müde. Also nickte er. Er hatte nicht die Kraft, sich groß mit irgendwem rumzustreiten.
„Gut, dann mach dich auf den Weg und keine Angst, Riki ist hier in den besten Händen, keiner von uns kann momentan etwas für ihn tun.“ ‚vermutlich nur er selbst’, fügte Kaze noch in Gedanken hinzu, doch er schwieg, fuhr mit der Hand kurz über dessen Stirn, ohne dabei feststellen zu können, dass die Temperatur irgendwie gefallen war.
Auch er begutachtete die Monitore. Irrte er sich, oder schlug der für das Herz nicht einmal mehr halb so stark aus, wie noch vor einigen Stunden?
Erst, als Kaze sich davon überzeugt hatte, dass Daryl nach Hause gegangen war, setzte er sich neben das Bett.
„Ich würde ja nur zu gern wissen, was für ein Mist in deinem Spatzenhirn vorgeht!,“ knurrte er den Bewusstlosen an. „Was denkst du dir eigentlich dabei!“ Aber natürlich erhielt er keine Antwort, nur das regelmäßige Pipen der Geräte.
„Iason kümmert sich doch immer um dich! Also welchen Grund hat das Ganze!“
Und dann geschah es – wie zur Antwort. Das Pipen wurde immer schneller, bevor es ganz plötzlich zu einem langgezogenen, schrillen Ton wurde, der dafür sorgte, dass von allen Seiten Ärzte hereinschossen. Gerade noch rechtzeitig konnte Kaze sich mit einem geschickten Sprung aus der Schusslinie bringen.
„...Herzstillstand!“
“... sofort... Wiederbelebung!“
Von einer Schwester wurde Kaze schließlich ganz aus dem Zimmer gedrängt und auf den Flur befördert. Vollkommen verwirrt sah er auf den Trubel, der um ihn herum ausgebrochen war. Warum... war das denn nun geschehen? Ein Herzstillstand? Was war nur los? Es hatte doch nur mit etwas Fieber und einer Schmollattacke des Mongorels begonnen! Jetzt fehlte nur noch..:!
„Kaze! Was ist hier los!!“
Oha... soviel zum Thema. Nein, es fehlte nicht wirklich. Wenn man schon nur an den Teufel dachte!!!!
„Iason, du bist schon wieder...?“
„Kaze! Was ist hier los und wo ist Riki!?“
Der Rotschopf deutete wortlos auf das Zimmer, in dem gerade irgendwer rief, dass die Anderen vom Bett zurücktreten sollten.
Mit schreckgeweiteten Augen starrte Iason auf das Tohuwabohu im Inneren des von Ärzten überlaufenden Zimmers.
„Er hatte in just der Sekunde einen Herzstillstand,“ erklärte Kaze, als er sah, wie bleich der Andere geworden war, wollte ihn auf einen der Stühle manövrieren, doch der Blondie wehrte ihn ab, wie eine lästige Fliege.
„Ich muss...!“
„Sir, ich muss Sie bitten, draußen zu...“ doch auch diese Schwester wurde nur von Iason aus dem Weg gestoßen. Ohne auf irgendwen zu achten (nicht, dass sich ihm noch jemand in den Weg gestellt hätte), trat er in das Zimmer, starrte mit entsetzensgeweiteten Augen auf das Bett, in dem er seinen Riki liegen sah. Bleich, wie ein Handtuch, mit einem regelrecht unheimlichen Lächeln auf den Lippen. Und er konnte nichts tun, nur auf diesen unheimlichen, langgezogenen, fiependen Laut horchen.
„Riki!“
„...wieder Puls!“
Ja, so plötzlich, wie das Herz aufgehört hatte, zu schlagen, fing es nun wieder damit an, erst nur sehr, sehr schwach, doch dann wieder etwas stärker, bis sich wieder ein regelmäßiger, wenn auch schwacher Rhythmus etablierte.
Die Ärzte traten ein Stück zurück, betrachteten eine Weile mit erleichtertem Gesichtsausdruck die Monitore. Sie hatten schon nicht mehr damit gerechnet, es zu schaffen. Einer von ihnen zog Riki noch eine Atemmaske über das Gesicht, dann zogen sie sich zurück – bis auf einen, den Iason erbittert festhielt. „Was ist hier los!“
„Sir?,“ fragte der junge Mann verwirrt.
„Was ist mit meinem Pet geschehen!“
„I...I...Iason Mink!!!“
“Eben der! Ich verlange Erklärungen!”
Kaze war leise hinter seinen ehemaligen Master getreten, sah an diesem vorbei in das Bett, in dem Riki wieder reglos lag.
„Er... der Mongorel wurde gestern Morgen eingeliefert! Ihm fehlte nichts, außer dem Fieber! Ihm fehlt auch jetzt körperlich nichts! Wir konnten keinen Grund finden, dafür, dass er ins Koma gefallen ist, oder dafür, dass er eben einen Herzstillstand hatte. Keiner von uns! Wir wissen es einfach nicht!“
„Und dafür spende ich diesem verdammten Schuppen jährlich diese riesigen Summen?,“ fauchte der Blondie aufgebracht, während er den jungen Mann von sich stieß. „Ihr solltet lieber schnell rausfinden, was ihm fehlt!“
Nach diesen Worten trat Iason wortlos an das Bett, ließ sich auf einem Stuhl nieder, den Kaze ihm hinschob. Er nahm Rikis Hand, heiß war sie, die Haut fühlte sich an, wie Pergament. „Riki,“ flüsterte er nur leise. „Was ist geschehen?“
Kaze, der diese Frage auf sich bezog, setzte sich auf einen weiteren Stuhl: „Daryl hat mich vor zwei Tagen angerufen ,dass er es nicht schafft, Riki dazu zu bewegen, aus dem strömenden Regen zurück ins Trockene zu gehen, also bin ich zu deinem Apartment gefahren, um ihm zu helfen. Ich wollte ihn unter ein Sedativum setzen, um ihn reinzubekommen, ohne erst einen Kampf zu provozieren. Aber bevor ich es ihm spritzen konnte, ist er auch schon umgekippt.“
„Das soll der Grund dafür sein?,“ fragte Iason, ohne sich auch nur eine Sekunde von Riki abzuwenden.
„Damit hat es begonnen. Bis dahin war alles in Ordnung, hat Daryl gesagt. Riki hat auf dich gewartet... und ist dann irgendwann in den Regen gestürmt.
Na ja, wir haben ihn in eine Wanne mit heißem Wasser gelegt und wir dachten, damit hat es sich, er hatte normale Temperatur., als ich ihn ins Bett gebracht habe und er ist aufgewacht. Es war wirklich alles in Ordnung. Das Fieber kam erst am Morgen und dann hab ich sofort einen Arzt gerufen.“
„Warum wurde ich nicht umgehend informiert?,“ fragte Iason eisig.
„Wir dachten nicht, dass es etwas Ernsteres sein könnten, nachdem nacheinander acht Ärzte bestätigten, dass Riki nichts fehlt..:“
„Wie oft habe ich unmissverständlich klar gemacht, dass ich sofort informiert werden will, wenn irgend etwas mit Riki nicht stimmt?“
Kaze schwieg. Wie sollte er Iason auch klar machen ,dass er wohl die Hauptschuld an diesem Debakel trug? Er und Riki selbst? Mit seinem Sturrkopf, in den er es sich gesetzt zu haben schien, zu sterben? Nun – fast hätte er es ja auch geschafft...
Inzwischen waren drei weitere Tage vergangen. Zwar hatte Rikis Zustand sich stabilisiert und es war weiter nichts geschehen, sogar das Fieber war auf eine tolerante Temperatur gesunken, doch aufgewacht war der Mongorel noch immer nicht. Die Ärzte standen vor einem Rätsel.
Iason war in dieser Zeit nicht dazu zu bewegen gewesen, sich weiter, als einige wenige Schritte von dessen Bett zu entfernen. Auch in diesem Moment saß er da, die Hand des Jüngeren in der Seinen, den Blick auf das reglose Gesicht gerichtet. „Riki,“ sprach er die reglose Gestalt wieder und wieder an. „Warum? Was ist mit dir geschehen?“
„Iason.“
Widerwillig löse der Blondie sich von Rikis Anblick, der ihm im Herzen schmerzte und betrachtete Kaze. Er wusste, dass der Andere Recht hatte. Er musste zurück ins Apartment um sich umzuziehen und anschließend zum Syndikat. Er konnte nicht erwarten, dass die Geschäfte dort sich von Allein regelten und Raoul war nun einmal nicht so perfekt, wie er, was Diplomatie betraf.
„Ich komme, warte draußen,“ antwortete er nur knapp.
Erst, als er hörte, wie Kaze die Tür hinter sich schloss, suchte sein Blick wieder das reglose, bleiche Gesicht zwischen den Laken. „Riki, ich bin heute Abend wieder da,“ flüsterte er zärtlich, bevor er sich erhob, streichelte das Gesicht, dass vor Kurzem von der Atemmaske befreit worden war. Mit diesen Worten legte er die Hand des Jüngeren wieder unter die Decke und kurz bildete er sich ein, zu spüren, wie diese die Seine zu umklammern, ihn festzuhalten versuchte. Sofort schlug Iason die Decke zurück, doch da war – nichts. Rikis Hand lag reglos und schlaff auf der Matratze.
Na ja, wenigstens waren keine fiependen Geräte mehr nötig, um ihn zu überwachen...
Kopfschüttelnd packte der Blondie Riki wieder in die Decke, strich noch einmal über die wieder normal warme Stirn: „Ich bin bald wieder zurück,“ wiederholte er noch einmal, bevor er sie küsste, sich aufrichtete und schweren Herzens, mit den Gefühl, einen Fehler zu begehen, das Zimmer verließ.
Etwas... stimmte nicht, das war Riki sofort klar, als er aufwachte. Seine Hand tastete unter der Decke entlang, die ihm viel zu warm vorkam. Sein Kopf fühlte sich außerdem seltsam leicht an.
Was war geschehen? Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war der eisige Regen! Und ... halt!! Kaze! Er hatte Kaze gesehen! Der Gutste hatte wohl gewollt, dass er rein kam. Aber weder konnte er sich erinnern, diesem gefolgt zu sein, noch sich ernstlich mit ihm geprügelt zu haben.
Also gut, noch mal: was zum Verrecken, war hier los! Mühsam zwang er seine Augen auf – nur um sie erst mal gleich wieder zu schließen. Nein, beschloss er, das glaubte er jetzt erst mal nicht!
Aber es sprach alles dafür. Sein beschissenes Gefühl, die aufgestellten Härchen auf seinem Arm, die Tatsache, dass er sich hier so beschissen fühlte. Aber – warum? Warum hatten sie ihn nicht wenigstens zu Hause gelassen! Warum hatte Iason ihm auch noch DAS angetan!! Reichte es denn nicht, dass der Blondie ihn wie Abschaum behandelte? Ihn vergaß? Musste er ihn auch noch an einen der Orte bringen, die er so sehr hasste, nein schon fürchtete??? Wenn ein Mongorel hier endete, kam er in der Regel nicht mehr lebend heraus. So war es mit seinem Vater gewesen, seinem älteren Bruder und seiner Mutter!
Langsam, weil ihm sofort schwindlig wurde, wenn er sich bewegte, arbeitete er sich aus dem steril weißen Bett auf – eine Farbe, die ihm Alpträume bescherte – und sah sich irritiert um. Er war allein. Warum überraschte ihn das nur nicht? Riki merkte, wie eine Träne sich den Weg über die Wange bahnte, wischte sie wütend weg.
Warum?
Warum heulte er Iason nur nach? Warum konnte er seine Gefühle nicht einfach abschalten! Wenn er dem Blondie etwas bedeutet hätte, wäre der doch sicher bei ihm geblieben! Hätte ihn nicht allein gelassen, oder wegen irgendeiner Lappalie ins Krankenhaus verfrachtet!
Er musste hier weg!
Das war das Einzige, das Riki klar war.
Hier konnte er nicht bleiben, er würde wahnsinnig werden! Und Iason... irgendwie bezweifelte er inzwischen, dass der Blondie seine Abwesenheit wirklich zur Kenntnis nehmen würde... oder doch, das sicherlich, aber wahrscheinlich wäre er erleichtert, endlich Ruhe zu haben.
Und er wäre endlich wieder frei, weg aus Eos, wo er sich so unwohl und unwillkommen fühlte, wo er an jeder Ecke schief gemustert wurde. Iason würde sich kaum die Mühe machen, ihn zu suchen...
Wütend stellte Riki fest, dass seine Tränen nicht aufhören wollten, zu rollen. Warum? Warum konnte ihm nicht auch alles so scheiß egal sein, wie dem Blondie!! Sauer auf sich selbst schlug er die Decke zurück, starrte auf seine Beine...
Nein, sein Entschluss stand fest. Keine weiteren Demütigungen mehr von irgendwem. Er würde gehen, zurück in die Welt, die er kannte, die ihn kannte, in der er leben konnte, ohne sich wie ein Stück Dreck unter feinstem Porzellan zu fühlen! Er würde Iason nicht mehr belästigen! Sollte der Blondie sich ein neues Spielzeug holen, wenn er nicht schon wieder eines hatte!
Mühsam richtete Riki sich auf, sah an sich herab. Ein Schlafanzug. Seiner, wie er am Rande feststellte. Sicher hatte Daryl ihn mitgebracht...
Er tapste unsicher zu dem Schrank, öffnete ihn. Ja, auf Daryl war Verlass. Der Junge dachte einfach an alles. Da lag ein kleiner Stapel Kleidung. Weitere Schlafanzüge. Hausschuhe. Eine Jacke???
Nein! Das war nicht seine! Egal. Sie würde schon taugen! So schnell wie möglich zog er sie über, schlüpfte in die Hausschuhe... zuallererst musste er sich irgendwo Klamotten besorgen.... aber gut, erst mal sollte er zusehen, dass er aus diesem riesigen Grab herauskam, bevor auch er zu denen zählte, die darin auf immer und ewig verschwanden...
Immer noch etwas unsicher auf den Beinen öffnete Riki die Tür zu seinem Zimmer, spitzte auf den Gang, der wie ausgestorben vor ihm lag, trat aus der Tür. Niemand beachtete ihn weiter. Gut.
So lautlos, wie nur eben möglich, schlich er sich die Wände entlang, von der Station, weiter nach Unten, immer den Pfeilen mit der Aufschrift Exit entlang.
Und dann hatte er es geschafft. Er Stand im Freien. Und es war kalt. Einen letzten Blick warf er zurück, spürte wieder das Prickeln in der Kopfhaut, bevor er sich abrupt umdrehte – und erst mal zu wanken begann. Stopp, rief er sich selbst zur Ordnung, keine abrupten Bewegungen! Schien eine denkbar schlechte Idee zu sein. So, nun erst mal sehen, wo er überhaupt war. Im Eos Hospital, das sagte zumindest das riesige Neonleuchtschild.
Gut.
Dann musste er nach Süden. Da lagen die Slums von Tanagura. Der einzige Ort auf der Welt, wo er hin konnte und hin gehörte. Dort war er geboren, dort war er einer unter vielen und ein Exot, den alle begafften.
Vielleicht sollte er sich doch noch mal überwinden, mit Guy zu reden, ihn eventuell sogar am Anfang um Hilfe bitten... nein, das konnte er nicht tun, nicht, nachdem Guy ihn für tot erklärt hatte. Seinem vormals besten Freund konnte er nicht mehr in die Augen blicken. Und warum nicht?? Weil er so dumm gewesen war, sich für den Blondie zu entscheiden! Für eine Liebe, die, so schön sie zeitweise gewesen war, einfach nicht möglich war! Zu groß war die Kluft zwischen ihnen immer gewesen!
Mal ganz davon abgesehen, dass er immer nur ein Pet gewesen war, ein Sexspielzeug, um einen Blondie zu erfreuen. Nie ein Geliebter, nie eine gleichwertige Person! Immer nur das Pet! Und Iason natürlich der Master! Wie hätte es auch anders sein können! Iason war nun einmal der Kopf des Syndikates, der Herrscher über diese kleine Welt, die Riki kannte. Wie konnte er auch erwarten, dass so einer Person jemanden wie ihn wahrhaft lieben konnte! Einen Mongorel! Das Unterste vom Untersten!
Die Leute, die man mal eben so zum Spaß umbringen durfte, wenn man gerade Lust hatte, seine neuen Laserwaffen auszuprobieren, denn ein Mongorelleben war in dieser Gesellschaft nicht einen Pfifferling wert! Wie hatte er nur glauben können, dass es zwischen ihnen je etwas wie wahre Liebe geben konnte!
Riki merkte noch nicht einmal mehr, wie die Tränen ihm lautlos die Wangen herabrannen, während er einfach immer weiter lief. Ohne nach links oder rechts zu sehen, vorbei an gaffenden Passanten und Kindern, die auf ihn zeigten, Frauen, die diese hastig zur Seite zogen, als wäre die Tatsache, dass er Mongorel war so etwas wie eine Krankheit, die sich auf die Kleinen übertragen könnte.
Vorbei an den übervollen Schaufenstern, die er früher so gern beobachtet hatte, die Paraglider, die zu besitzen immer einer seiner größten Wünsche gewesen war, diese Maschinen hatten in seinen Augen immer eine für ihn kaum vorstellbare Freiheit versprochen. Etwas, dass er für Iason vollkommen aufgegeben hatte.
Wusste der Blondie das eigentlich? Wusste er, was Riki aufgegeben hatte? Sicher, er hatte in etwas gelebt, dass in den Augen eines Blondies kaum mehr war, als ein Rattenloch, doch er war frei gewesen, frei, zu gehen, wohin er wollte, und frei zu tun, wonach es ihm beliebt hatte!
Nein, Iason wusste nicht, was ihm die Freiheit bedeutete, die er so schnell aufgegeben hatte, um dem Menschen zu folgen ,den er so sehr geliebt hatte....
Mit tränenüberströmtem Gesicht lief Riki einfach immer weiter. Er merkte nicht, dass es erneut zu regnen begann, oder dass die weichen Sohlen der Hausschuhe, die er trug, inzwischen vollkommen durchnässt waren...
Er lief einfach immer weiter...
Iason parkte seinen Wagen direkt vor dem Krankenhaus und dankte einmal mehr der Erfindung des Autopiloten. So hatte er die Fahrt über nachdenken können. Über den Grund. Wie so oft. Über das, was Riki zugestoßen sein mochte. Über das, worauf sich auch die Ärzte keinen Reim zu machen vermochten.
Der Herzstillstand.
Noch immer ging Iason das Geräusch, dieses hohe Fiepen, durch Mark und Bein, wenn er nur daran dachte! Sein eigenes Herz hätte fast ausgesetzt, als Kaze ihm gesagt hatte, dass Rikis es getan hatte!
Sein Riki! Fast gestorben! Und niemand wusste den Grund! Dazu kamen die seltsamen Blicke, die Kaze ihm von Zeit zu Zeit zugeworfen hatte, als gebe dieser IHM die Schuld an Rikis Zustand! Es war zum Verrücktwerden!
So gern würde er seinen kleinen einfach mit nach Hause nehmen, doch das war einfach Wahnsinn, so lange er nicht wusste, was mit Riki war. Er hoffte nur, dass der Mongorel noch nicht aufgewacht war und dann hatte feststellen müssen, dass er allein war. Er hätte doch Daryl herschicken sollen, wusste oder ahnte er doch zumindest, dass Riki Krankenhäuser nicht mochte!
Rasch öffnete er die Tür seines Gefährts und lief zum Eingang. Wo eine nur zu vertraute Stimme ihn empfing.
„Was soll das heißen!?,“ brüllte Kazes Stimme quer durch die Halle und ein ganzer Schwarm Ärzte und Schwestern stand da mit reichlich bedröpsten und schuldbewussten Gesichtern.
„Wir... haben alles abgesucht...“
„Was?“ Iason packte Kaze am Arm: „Was ist hier los!“
„Das können die dir sicher besser erklären,“ knurrte Kaze, sichtlich so wütend, dass er kurz vor dem Explodieren stand.
„Der .. Mongorel ist... verschwunden...“
„WIE BITTE?,“ fragte Iason. Trügerisch ruhig, aber mit einer Stimme, die problemlos Eisen hätte schneiden können.
„Ich übersetze,“ half Kaze kühl. „Diese Idioten haben Riki abhauen lassen! Einen kranken Jungen, der sich wahrscheinlich kaum auf den Beinen halten kann! Einfach abhauen lassen und wahrscheinlich auch noch durch den Haupteingang und im Schlafanzug! In Hausschuhen und in meiner Jacke!“
Iason zog ein Mininotebook aus seine Tasche, während der eisige Blick aus seinen blauen Augen wirkte, als wolle er das gesamte Personal umbringen – möglichst schmerzhaft.
In Iasons Kopf überschlugen sich die Gedanken. Riki war aufgewacht, zu sich gekommen, daran zweifelte er nicht. Und er war offensichtlich in dem Moment allein gewesen.
Hatte nur gesehen, dass er in einem Krankenhaus lag und wohlmöglich Panik bekommen! Bei Riki kannte man das nie so genau wissen! Ja, und dann hatte der Junge beschlossen, so schnell wie möglich da raus zu kommen! Wer wusste, wo er gerade herumstolperte, in seinem Zustand! Denn selbst, wenn er kein Fieber mehr hatte, so war er über eine Woche lang ohne Bewusstsein gewesen, hatte nichts gegessen und hatte nur über eine Sonde etwas Flüssigkeit in den Körper gepumpt bekommen!
Nicht auszudenken, was ihm in dem Zustand alles passieren... was???
Verwirrt blickte Iason auf sein Notebook, sah dann Kaze an, der ihn abwartend musterte. Erneut drückte Iason eine Reihe von Knöpfen und gab Befehle ein. Aber das Ergebnis blieb dasselbe: Z107M – Not found.
Rikis Tracer war nicht auszumachen, weder hier im Krankenhaus noch sonst wo in der gesamten Umgebung.
„Iason?“
„Der Tracer!,“ knurrte Iason. „Er... ist weg!“
„Das kann doch gar nicht sein!,“ begehrte der Schwarzmarktboss auf. „Er kann ihn doch nicht abnehmen und er hat keine Möglichkeit, an irgendwelche Signalblocker ranzukommen! Schon gleich dreimal nicht, ohne einen Credit in der Tasche und in der kurzen Zeit!“
Iason wirbelte herum: „Ich mache mich auf die Suche...“
Kaze nickte. „Ich auch.“ Er sah dem Blondie hinterher, der durch die Tür stürmte, mit einem Gesicht, als würde er den Nächsten, der den Fehler machte, ihn anzusprechen, schlicht auffressen.
„Was hast du nun schon wieder verbockt, du Sturrkopf?,“ murmelte Kaze nur, während auch er hinaustrat und den Pulk der verständnislos dreinstarrenden Ärzte und Schwestern einfach stehen ließ. „Was hast du dir dabei gedacht, in deinem Zustand einfach zu türmen!“ Mit Riki hatte man aber wirklich NUR Probleme! Andrerseits...
Kaze konnte den Jungen auch irgendwo verstehen. Er wusste, dass seine gesamte Familie verschwunden war, nachdem man sie in Krankenhäuser gebracht hatte. Er musste allein aufgewacht sein und Panik bekommen haben. Also war er getürmt. Großartig! Wirklich! Denn das alles erklärte immer noch nicht, wie er es geschafft hatte, sein Ortungssignal vollkommen zu blockieren!
Und genauso war ihm klar, dass das alles nur die halbe Erklärung war. Da steckte noch viel, viel mehr dahinter. Riki war weggelaufen. Nicht nur vor seiner Angst, nein, auch vor Iason. Doch da hatte der Mongorel sich schrecklich verrechnet. Der Blondie würde, so, wie er ihn kannte, Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sein Pet wiederzufinden. Denn schon längst war das Oberhaupt des Syndikats dem einfachen Jungen aus der tiefsten Schicht der Gesellschaft vollkommen verfallen.
Ohne Riki konnte Iason nicht mehr leben.
Das Lustigste war nur, dass das Ganze auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Beiden würde nie, niemals voneinander lassen können. Er fragte sich nur, was dann der Auslöser für Riki, der immerhin freiwillig zu dem Blondie zurückgekehrt war, dazu veranlasst hatte, wegzurennen. Kaze griff nach seinen Zigaretten, zündete sich eine an und blies den Rauch heraus, während er beobachtete, wie vor dem Fenster seines Wagens wieder schwere, kalte Tropfen zu fallen begannen.
Es machte keinen Sinn, Riki zu suchen. Nicht für ihn. Niemand außer Iason würde es schaffen, den Jungen zu finden, wenn er das Tracersignal, wie auch immer geblockt hatte.
Die Beiden hatten ihre eigene, unheimlich starke Verbindung, hatte doch Rikis Herz in dem Moment wieder zu schlagen begonnen, als Iason ihn gerufen hatte. Und er war aufgewacht, weil der Blondie fast unaufhörlich an dessen Bett gesessen hatte...
Kalt... es war so... kalt.
Überall... so unendlich kalt....
Riki versuchte, sich zusammenzukrümmen, doch der schreckliche Schmerz in seiner Seite ließ nicht zu, dass er sich auch nur einen Millimeter von der Stelle rührte. Er bettete seinen Kopf auf seinen Armen um, presste seine viel zu heiße Stirn gegen die kühlen Betonplatten des Bodens. Wenn er doch nur die Hitze des Fiebers auf den Rest seines Körpers verteilen könnte!
Erneut zuckte das Licht über seinem Kopf unruhig, zeigte somit an, dass auch diese Neonröhre bald ihren Geist aufgeben würde. Schon jetzt spendete sie kaum noch Licht. Bald würde er in vollkommener Dunkelheit hier liegen – und sterben.
Darüber machte er sich keine Illusionen mehr.
Niemand würde auf die Idee kommen, ihn ausgerechnet hier zu suchen! Niemand! Und am wenigsten Iason, irgendwie bezweifelte er sogar, dass der Blondie diesen Ort noch kannte.
Dana Burn.
Hierhin war er gegangen. Der einzige Ort, wohin er sich hatte flüchten können, wo er erst einmal ein Dach über dem Kopf haben würde. Triefnass von dem Regen, der immer wieder gefallen war, war er in den alten Bunkerkomplex hineingestolpert. Ihm war schwindlig gewesen, kalt. Er hatte sich kaum noch aufrecht halten können, als er endlich angekommen war.
Und dann war es passiert. Ein dummer fehler, ein falscher Tritt, an einem Ort, den er doch so gut kannte, wo er früher immer gespielt hatte, erst mit seinem Bruder, dann mit Guy und dem Rest von denen, die später unter seiner Leitung zu Bison geworden waren.
Zwar hatte er die Stufen abgezählt, wie immer, doch dann war er ausgerutscht. Dreizehn, springen, fünfzehn... so hätte es laufen müssen, doch er war gerutscht, die gebrochene Treppe hatte unter seinem Gewicht nachgegeben, er war gefallen. Wie tief wusste er nicht, er erinnerte sich nur noch schattenhaft an den Aufprall, daran, wie der schreckliche Schmerz durch sein Bein gefahren war. Es war mit Sicherheit gebrochen gewesen.
Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, war nur Sekunden später ein weiterer, heftiger Schmerz durch seine Seite gezuckt. Er wusste nicht, was es war, nur, dass er sich nun gar nicht mehr bewegen konnte, nicht, ohne dass ihm schwarz vor Augen wurde. Vielleicht ein Stein aus der Decke, spitz genug, um sich durch seine Kleidung in seine Haut zu bohren.
Kalt...
....und unerträglich heiß...
Wann? Wann würde es endlich vorbei sein!
Konnte er nicht einfach schnell sterben? Riki konnte sich nicht daran erinnern, sich je so elend gefühlt zu haben. Er wusste, er hatte keine Chance, zu überleben. Er wusste nicht, ob er noch blutete, aber er hatte es getan, das wusste er.
Er konnte sich nicht bewegen, war dazu verdammt, hier zu liegen und zu verdursten. An Wasser würde er nicht rankommen. Von Nahrung mal ganz zu Schweigen. Fast hätte er trocken aufgelacht, doch selbst das hätte zu große Schmerzen verursacht. Also blieb er einfach weiter reglos liegen, schloss seine Augen, als könne er damit alles von sich fern halten, die schrecklichen Schmerzen, seine Einsamkeit, seine Gefühle. Vor allem davonlaufen...
Das hatte er ja schon beim Krankenhaus versucht – und es war mehr, als nur gründlich fehlgeschlagen! Denn nun lag er hier! Der einzige Unterschied für ihn bestand darin, dass er nun wusste, dass er sterben würde... allein...
Ohne irgendwen, der ihm hinterher trauern würde....
Nur er, ganz allein, in der Finsternis, die hier bald herrschen würde...
Die Finsternis, die er so hasste. Kein Mond am Himmel, kein Licht. Nur das letzte Flackern eine halbtoten Neonleuchte, bei der es ohnehin einem Wunder gleichkam, dass sie überhaupt noch funktionierte...
Iason...
Wie ein Geist, immer und immer wieder spukte der Name nun in seinem Geist herum. Es war ihm, als sehe er den Blondie vor sich. Dessen Arrogante, selbstsichere Haltung, sein nur zu oft viel zu ausdrucksloses Gesicht, die stechend blauen Augen, bei denen er jedes Mal das Gefühl gehabt hatte, sie könnten bis auf seine Seele herabsehen.
„Iason!,“ er rief den Namen in dem Moment, als er meinte, den Schmerz und die Kälte keinen Augenblick länger ertragen zu können, wohl wissend, dass niemand ihn hören würde. Es spielte ohnehin keine Rolle mehr.
Er hatte immer gewusst, dass er den Älteren liebte, so, wie ihm klar gewesen war, wie aussichtslos das war. Doch nun, wo er wusste, dass er sterben würde, wünschte er sich nichts sehnlicher, als dessen Anwesenheit, seine zärtlichen Berührungen, die dafür gesorgt hatten, dass er dem Blondie mit Haut und Haaren verfallen war.
Fast war ihm, als würde er kurz Iasons Stimme hören, wie durch einen dichten Nebel, weit, weit weg, doch das konnte nur in seiner Fantasie sein. Der Andere würde ihn sicher nicht suchen. Nicht ihn, nicht, wo er endlich die Möglichkeit hatte, den ganzen Ärger auf einmal loszuwerden...
Es war so kalt...
Abrupt hielt Iason sein Gefährt an, starrte hinaus in den Regen, der erneut zu fallen begonnen hatte. Ohne es zu merken, war er in der Seitengasse angekommen. Den Ort, an dem er Riki zum ersten Mal gesehen hatte.
Das schlechte Gefühl in seinem Magen hatte sich fast vervierfacht, Er wusste, etwas stimmte nicht und er wusste, die Zeit rannte ihm davon. Etwas war geschehen! Mit seinem Riki! Irgendwo da draußen! Er konnte nicht weiter ziellos herumfahren!! Iason schlug die Hände vors Gesicht, versuchte, sich zu konzentrieren – und blickte plötzlich auf.
Hastig schaltete er seinen Computer wieder an, den er als technisches Equipment im Auto hatte, hackte auf die Tasten ein. Ja, es gab eine Möglichkeit, Tracersignale vollkommen zu blockieren. Durch einen Baustoff, der seit den großen Kriegen, die die neue Ordnung gebracht hatten, nicht mehr verwendet wurden, da sie als zu instabil und schwierig galten, im Vergleich zu den neuen Materialien.
Beton.
Massiver Beton.
Von den Mongorels benutzt, um riesige, meist unterirdische Bunkeranlagen zu bauen. Anlagen, die fast alle zerstört waren.
Bis auf eine.
Hastig gab er einen Suchbegriff in die Maschine ein und sofort wurde ein Plan vor seinen Augen sichtbar.
Dana Burn.
Zu groß und direkt unter der damals neu errichteten Stadt, hatte man sie als Einzige Anlage nicht zerstört, da die Gefahr bestanden hätte, dass die neuen Gebäude dabei zu Schaden gekommen wären.
Man hatte sich damit begnügt, die Eingänge zu versiegeln.
‚Alle Zugänge anzeigen’, tippte Iason hastig.
Drei. Drei Stück in unmittelbarer Nähe, alle hier, in den Slums, in Tanagura. Der einzige Ort, an den Riki wohl gegangen sein könnte!
Nur – welcher war der Richtige! Er hatte nicht die Zeit, es auszuprobieren! Es musste auf Anhieb der sein, durch den auch sein Kleiner gegangen war! Die Anlage war zu monströs, um einen Fehler zu machen!
Da!
Er starrte auf einen der leuchtenden Punkte. Er wusste es einfach. Warum konnte Iason nicht sagen, er wusste es, mehr nicht. Ganz in der Nähe des Hafens, Dieser Eingang musste es sein! Ungeduldig startete Iason den Motor erneut und drückte aufs Gas.
So schnell war er noch nie gefahren. Für die gesamte Strecke hatte er letztendlich nicht viel länger, als fünf Minuten gebraucht.
Ohne sich auch nur die Mühe zu machen, abzuschließen, hastete Iason auf das kleine, unauffällige Häuschen zu, dass die Tür offen stand, konnte er trotz der einsetzenden Dämmerung erkennen.
Riki.
„Riki!,“ rief er in das Halbdunkeln im Inneren. Sporadisch leuchteten schwache Neonröhren an den Gängen entlang. Ein Wunder, dass sie nach all der Zeit noch funktionierten...
Keine Antwort.
Iason lachte abfällig über sich selbst. Was hatte er denn erwartet! Trotzdem folgte er, ohne zu zögern, dem langen Gang, wählte zwei Mal aus dem Gefühl heraus, eine Abzweigung, obwohl der Gang, dem er nun folgte, stockdunkel war. Er warf kaum einen Blick auf den Plan, den er sich auf den kleinen PC überspielt hatte, verließ sich auf sein Gefühl...
„Iason..:!“
Wie vom Donner gerührt, blieb der Blondie stehen, lauschte auf den Widerhall des einen Wortes, dass zu ihm heraufdrang.
„Riki!,“ rief er zurück, doch diesmal blieb es still. Unheimlich still.
Trotzdem hatte er in Etwa gehört, woher der Ruf gekommen war, folgte dem verzweifelten Klang der Stimme, der ihm selbst jetzt noch in den Ohren nachhallte.
Was? Was war geschehen, dass Riki seinen Starrkopf und seinen Stolz wegwarf und nach ihm rief?! Das würde er doch unter normalen Umständen nie, niemals tun, selbst wenn er wüsste, dass niemand ihn würde hören können, so, wie hier!
„Riki!“
Da! Eine weitere Treppe – mit einer frisch gebrochenen Stufe in fast völliger Dunkelheit. Und eine Stufe höher Rikis Hausschuhe...
„Riki!“
Ohne einen Gedanken an die Gefahr zu verschenken, die hier herrschte, sprang der Blondie die Stufen herab. Seine Augen suchten die Finsternis ab, die Schatten, die das Dämmerlicht hier überall warf.
Bis er das flackernde Licht erkannte. Eine Neonröhre, die nervös zuckte, kurz vor dem Erlöschen und auf den Boden... „Riki!!“
„Riki!“
Schon wieder. Er fantasierte immer noch, stellte der Mongorel fest. Und doch... allein die Vorstellung, dass Iason ihn vielleicht doch suchte, ihn wenigstens etwas vermissen würde, hatte etwas seltsam Tröstendes an sich.
Er ruckelte seinen Kopf etwas auf dem eisigen, halb eingeschlafenen Arm zurecht, wollte es sich wenigstens etwas bequemer machen. Die Augen zu öffnen schien ihm einfach zu mühsam. Nein, er war sich sicher, er würde weder verdursten, noch verhungern. Sobald er seiner inzwischen beträchtlichen Müdigkeit nachgeben würde, würde er sterben.
Warum wehrte er sich eigentlich noch gegen diesen Schlaf? Er wäre endlich allein, würde niemandem mehr zur Last fallen, nie wieder. Allein, einsam, in der Dunkelheit. Es würde ohnehin geschehen, also, warum kämpfte er dann noch?
„Riki!!!“
Was...? Diesmal hörte sich die Stimme definitiv an, als käme sie von irgendwo direkt vor ihm! Panisch! Dann ein weiteres Geräusch... Schritte? Schwere Schuhe, wenn er raten musste. Aber... woher kamen die so plötzlich?
„Oh mein Gott! Riki...!“
Eine Hand, die über seine Haare fuhr...?
„Hier Mink. SOFORT ein medizinisches Notfallteam nach Dana Burn, Zugang Z23T8! Gitterquadrant Q7.“
„..:“
„SOFORT!“
Dann das klassische Pipen, wenn Iason seine Gesprächspartner mal wieder abwürgte, ohne ihnen di Chance zu geben, auf etwas einzugehen.
Iason? Hier? Wie... wie hatte der Andere ihn nur finden können? Warum diese Panik? Und warum hatte der Andere ihn überhaupt gesucht!? Nur, um ihm noch zusätzlich eine Predigt darüber zu halten, dass er abgehauen war?
Erneut spürte er die Hand, die ihm sanft durch die Haare fuhr, an seinem Hals entlang glitt, kurz verweilte, bevor sie weiter auf seinen Rücken wanderte.
„Riki. Kannst du mich hören?,“ fragte die Stimme.
Nanu? War das Einbildung, oder zitterte sie tatsächlich?
„Riki, bitte! Komm zu dir! Komm schon...! Bitte....!“
Die Verzweiflung in der Stimme des Blondies brachte Riki tatsächlich dazu, seinen Kopf zu wenden, trotz der Anstrengung, die das für ihn bedeutete...
„Riki!“
Auf einmal schob sich eine Hand unter seine Brust und im nächsten Moment hätte er nicht lieber getan, als vor Schmerzen zu schreien, doch dazu fehlte ihm die Kraft. Er hörte sich selbst nur leise, schmerzvoll aufstöhnen.
Iason band hastig seinen Schal um die immer noch blutende Wunde, die sich irgendwo an der linken Seite des Mongorels befinden musste, bevor er den Jüngeren so vorsichtig es ihm nur eben möglich war, hochhob. Das schmerzvolle Stöhnen des Kleinen ging ihm dabei durch Mark und Bein.
„Schh.... es wird alles wieder gut,“ flüsterte er, wobei seine Hand über das heiße Gesicht fuhr. Riki glühte... aber alles Andere war eisig kalt. Er drückte den Jüngeren fester an sich, versuchte so, ihm etwas von seiner eigenen Wärme zu geben.
„Riki, mach bitte die Augen auf;“ verlangte Iason. Und tatsächlich. Was er nicht für möglich gehalten hatte, geschah. Die braunen Augen kamen unter den langen, gebogenen Wimpern zum Vorschein. Wenn sie sich auch nur einen winzigen Spalt breit öffneten. Doch er erkannte auch den Reflex, die Augen wieder zu schließen, sofort. „Nein!“, rief er, was ihm sofort leid tat, als er sah, wie der Junge zusammenfuhr, was ein weiteres schmerzliches Aufstöhnen zur Folge hatte. „Nein,“ wiederholte er leiser. „Nicht die Augen wieder schließen. Du musst wach bleiben! Es wird alles wieder gut, keine Angst...“
Was verlangte Iason da? Hatte der Blondie überhaupt eine Ahnung, wie müde er war? Was für eine Anstrengung es für ihn war, die Augen offen zu halten??
„Komm, sprich mit mir,“ verlangte Iason. Er wusste, er durfte nicht zulassen, dass Riki wieder einschlief. Nicht, bei diesem schrecklichen Blutverlust! Er hatte das Gefühl, der ganze Boden schwamm.
„Wa..rum...?“
„Warum was, Riki?“
„... bist... du...ge~kommen...?“ Allein diese Worte hatten ihn eine Kraft gekostet, wie es sonst nicht einmal seine morgendlichen Übungen taten. Selbst das Atmen empfand er inzwischen als inakzeptable Anstrengung...
Iasons Reaktion auf diese Frage bestand darin, dass er Riki noch fester an sich presste: „Wie hätte ich es nicht tun können?,“ flüsterte er. „Du bist doch ...!,“ ‚mein Pet’, hatte er den Satz beenden wollen, doch automatisch wusste er, dass er damit einen dicken Fehler machen würde. Außerdem war es schlicht nicht wahr. Riki war für ihn schon lange so unendlich viel mehr, als das. Für den Mongorel war er ja sogar bereit, sich mit Jupiter und dem Rest der Welt anzulegen!! „Weißt du wirklich immer noch nicht, wie viel du mir bedeutest?,“ fragte Iason leise.
Diese Antwort verwirrte Riki, der ohnehin schon den Eindruck hatte, dass sein Verstand im Moment nur noch sehr, sehr langsam arbeitete. Er konnte sich auf das Gesagte keinen Reim machen. Warum klang dieser Satz nur so sehr nach der Liebeserklärung, die Riki sich schon so lange von dem Blondie gewünscht hatte?
Automatisch versuchte der Brünette sich tiefer in die einschläfernde Wärme des anderen Körpers zu verkriechen, sog den Duft des Älteren auf, den er inzwischen so gut kannte. Wenigstens würde er nicht allein...
„Nicht die Augen schließen!,“ drang Iasons Stimme wie durch einen dichten Nebel zu ihm durch, doch er war nicht mehr in der Lage, diesen Befehl Folge zu leisen. Es schien, als lägen Bleigewichte auf seinen Lidern.
„Riki, nein!,“ rief Iason, nun wirklich der Verzweiflung nah. „Nicht einschlafen! Komm, halt noch etwas durch! Nicht mehr lange! Hilfe ist gleich da! Nur noch..!“ Doch dann sah er, dass es zu spät war. Der Jüngere war doch eingeschlafen. „Bitte, Riki!,“ rief er nun. „Bitte, halt durch! Weißt du denn nicht, wie sehr ich dich liebe?,“ flüsterte er die letzten Worte, strich dabei unablässig über das vom Fieber heiße Gesicht...
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