Zwei Gebote
von sirixx
Kurzbeschreibung
Eine kurze Geschichte über Sünden.
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
26.08.2007
26.08.2007
1
2.680
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Dies ist ein kleines Ficlet, welches ich für einen Schreibcontest auf einer anderen Seite geschrieben habe. Es sollte darum gehen, das Zitat „Nichts schmeichelt so sehr, als wenn man gesagt bekommt, dass man ein Sünder ist.“ (Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray) auf irgendeine Art und Weise darzustellen. Ich hoffe, dass ich das Zitat wenigstens etwas getroffen habe. Aber auch wenn nicht, hat es Spaß gemacht, es zu schreiben.
Das Rascheln eines Nagetieres klang in seiner unmittelbaren Umgebung. Ansonsten herrschte Stille, mal abgesehen von dem Rauschen des Windes in den Baumkronen über ihm.
Eng presste er sich an den Stamm der Eiche, lauschte nach jedem Geräusch, registrierte jede Bewegung. Seine Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt. Er wusste, wenn sie ihn erwischten, würde es ihn sein Leben kosten. Das Risiko war ihm bewusst, doch der Reiz des Verbotenen war stärker.
Wie ein Panther spurtete er zwei Schritte vorwärts zu dem nächsten Stamm, der ihm Schutz vor dem Entdecken gab. Wieder lauschte er, doch wieder hörte er nichts weiter als die Geräusche der Natur.
Er wagte sich noch weiter vor. Diesmal überwand er mehrer Meter. Der Zaun war bereits in Reichweite. Hoch ragte er in den nächtlichen Himmel, doch der Besucher wusste, dass er kein Problem darstellen würde.
Als er an dem feinen Draht ankam, verhakte er seine Finger in den Maschen und kletterte wie eine Katze daran hoch. Mit einer nicht zu erwartenden Schnelligkeit hatte er die Spitze erreicht und ließ sich die zwei Meter auf der anderen Seite geräuschlos fallen. Geduckt hockte er im Gras und lauschte wieder. Nichts.
Schnell hatte er die Entfernung zu dem nächsten Schutz, der Poolbar, überwunden. Er roch die Chlordämpfe, die von dem Wasser emporstiegen und das Lichtspiel auf dem Grunde des Beckens spiegelte sich auf seinem dunkel gefärbten Gesicht wider.
Als er Schritte hörte, verschmolz er mit den nächtlichen Schatten und wurde eins mit ihnen. Seine Atmung war zwar schnell und hektisch, aber auch so flach, dass niemand sie hören würde. Es war jedes Mal wieder derselbe Adrenalinkick, den er spürte, doch er hatte sich vollkommen unter Kontrolle.
Vorsichtig lugte er um die Ecke und fluchte innerlich, als er den großen, breiten Mann am Pool stehen sah, in der Hand eine Leine. Der große Dobermann spitzte die Ohren und schnüffelte in die Luft, doch der Hund schien nur den Chlorgeruch des Pools wahrzunehmen.
Ein knartschendes Geräusch kam aus dem Walki-Talki, das an dem Gürtel des breitschultrigen Mannes hing. Er zog es ab und sagte ein gedämpftes: „Alles klar, Bob!“, dann ging er weiter. Der Dobermann zögerte einen Moment und blickte jaulend in die Richtung, in die der fremde Eindringling saß und sich in die Dunkelheit kauerte. Doch dann folgte er der Wache, die Nase fest an den Boden gepresst.
Der schwarz geschminkte Mann entließ ein leises, erleichtertes Geräusch, als Mann und Hund um die Ecke bogen. Er wusste, dass das auch hätte anders ausgehen können. Er vertraute zwar seinen Fähigkeiten, doch ein Restrisiko gab es immer.
Er versicherte sich, dass kein anderer Mensch oder Hund mehr in der Nähe war, dann löste er sich aus dem Schatten und überwand die letzten Meter zwischen Pool und Haus.
Er blickte nach oben, der Dachrinne entlang, während er seine schmalen Finger in schwarze Handschuhe steckte, die eng an seiner Haut lagen. Ein Blick nach links, einer nach rechts, dann griff er an das glänzende, glatte Metall. Für einen normalen Menschen schien dieser Aufstieg unmöglich zu sein, doch er hatte es jahrelang perfektionieren können.
Wie eine Raubkatze klettere er die schmale Regenrinne an der Hauswand hoch, nutzte jeden Riss, jeden Spalt und jede Unregelmäßigkeit im Material und im Putz der Hauswand, um sich Zentimeter für Zentimeter hochzuziehen.
Geräuschlos überwand er schließlich die steinerne Balustrade des großzügigen Balkons, der Türen zu gleich mehreren Schlafzimmern besaß.
Eng presste er sich an die Wand und spähte in eines der Zimmer. Ein bulliger, glatzköpfiger Mann saß in einem Sessel, in der Hand eine Dose Cola. Der Fernseher lief und zeigte die Bilder einer Rateshow. Die Wache schien vertieft in das Programm zu sein, auch wenn sich der nächtliche Eindringling fragte, ob dieser Koloss auch nur eine der gestellten Fragen richtig beantworten könnte.
Schnell huschte er an dem Fenster vorbei, ohne dass der Glatzkopf Notiz von ihm nahm. Er bemerkte einige Zigarettenstummel auf dem steinernen Boden. Wahrscheinlich rauchten die Wachen hier draußen, da es ihnen im Haus untersagt war.
Der nächste Raum lag im Dunkeln. Auch hier glitt er zügig und fast wie ein nächtlicher Schatten vorbei. Sein Ziel lag am anderen Ende des Balkons.
Mit lautlosen Schritten glitt der Fremde dicht an dem Haus entlang, bis er vor der Tür stand, zu der er kommen wollte.
Vorsichtig berührte seine behandschuhte Hand die goldene Klinke. Als sie mit einem leisen Ächzen nachgab, grinste er. Sie hatte gesagt, dass die Tür offen stehen würde.
Er sicherte sich noch einmal nach allen Seiten ab, dann verschwand er in dem Dunkel des Hauses.
Es roch hier nach teuren Teppichen, edlen Stoffen und exquisitem Essen. Der Unbekannte wollte sich gar nicht ausmalen, wie es wäre, in einer solchen Umgebung zu wohnen. Es wäre nichts für ihn.
Er verließ den Raum und betrat den Korridor, der ausgelegt war mit einem roten, flauschigem Teppich, der seine Schritte dämpfte und sie lautlos machte. Aber er wusste, dass auch die Schritte anderer Personen nur schwer zu hören waren. Er musste auf der Hut sein. Jetzt begann der wirklich gefährliche Part dieses Plans.
Er lauschte angestrengt, als er um die Ecke bog. Die Geräusche des Fernsehers, aus dem gerade Beifall erklang, machten es ihm nicht gerade einfach. Doch er verließ sich auch auf seine Intuition. Sie hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Mit rasendem Puls und einem Überschuss an Adrenalin bog er um die Ecke und steuerte geradewegs auf eine hölzerne Tür zu.
Er wusste, sie würde verschlossen sein. Jetzt galt es, schnell zu handeln. Er durfte keine Sekunde verlieren, denn wenn jetzt jemand kommen würde, noch bevor er in diesen Raum gelangt war, dann wäre er so gut wie tot. Noch im Gehen zog er einen Satz Dietriche aus einer Tasche, die um seinen Rücken gebunden war. Er biss sich in einen Handschuh und strich ihn sich so schnell von den Fingern. Er brauchte das Fingerspitzengefühl für dieses Schloss.
An der Tür angekommen, hockte er sich hin und steckte vorsichtig und konzentriert den dünnen Dietrich in das Schloss. Sanft bewegten sich die schlanken Finger, erahnten jedes Hindernis in der Mitte des Zylinders. Er schloss die Augen und fühlte, wie das Schloss am besten zu knacken war.
Sekunden verstrichen und Schweiß bildete sich auf der Stirn des Einbrechers. Er wusste, dass er nur noch Minuten hatte, um diesen Coup zu beenden und von hier zu verschwinden.
Plötzlich hörte er das Knarren eines Stuhls und der Fernseher verstummte.
Der Eindringling atmete tief ein, sammelte seine Konzentration und versuchte nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn sie ihn erwischten.
Ein leises Knacken sagte ihm schließlich, dass das Schloss entriegelt war. Er drehte den Knauf und schlüpfte in die Sicherheit des Dunkels, als gerade der Wachmann um die Ecke bog und nichts weiter als die Tür erblickte.
Erschöpft gönnte sich der Fremde für eine Sekunde den Luxus, durchschnaufen zu können.
Das war mehr als knapp gewesen.
Doch dann richtete er sich wieder auf. Sein schlanker Körper zeichnete sich deutlich von dem nächtlichen Himmel ab, der durch die großen Fenster zu sehen war.
Einen Moment brauchte der Fremde, um sich zu orientieren, dann ging er zielstrebig auf ein Wandgemälde zu. Er schob es von der Wand und dahinter kam ein Safe zum Vorschein. Dies war nun keine Herausforderung für ihn, da er die Kombination kannte.
Schnell drehten seine Finger an dem Rädchen. 21-01-97-08-02-73-19.
Das Klacken sagte ihm, dass der Tresor geöffnet war. Er betätigte den Hebel und zog die dicke Stahltür auf. Er nahm eine winzige Taschenlampe und leuchtete in den Safe. Schnell überflog er mit seinem Blick den Inhalt des Tresors. Bündel von Tausender-Noten, Ketten mit Brillianten, Ohrringen und Manschettenknöpfe mir funkelnden Rubinen hatte er mit einem Blick erfasst.
Ein Grinsen zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes. Siegessicher griff er in den Safe und holte einen einzigen Ring heraus. Er war fast unscheinbar. Nur ein winziger Diamant war in den schmalen Platinring eingefasst. Auf den ersten Blick war dies ein unbedeutendes Schmuckstück und wohl auch das, mit dem geringsten Wert von all den Gegenständen, die hier in dem Tresor lagen. Dennoch nahm der Einbrecher nichts anderes, sondern schloss den Tresor, drehte an dem Rädchen und hing schließlich das Bild wieder davor, bis es gerade war.
Wieder huschte ein Lächeln über seine Lippen, als er den Ring betrachtete. Dann öffnete er eine kleine, in seine Jacke eingearbeitete Tasche am Ärmel und ließ den Ring hinein gleiten.
Mit wenigen Schritten war er wieder an der Tür. Er lauschte, hörte jedoch nichts. Leise öffnete er die Tür und spähte hinaus. Der Fernseher lief wieder, was ihm das lachende Publikum einer Show zeigte.
Geräuschlos glitt er hinaus auf den Korridor und suchte sich seinen Weg zurück. Er wählte nicht denselben, den er vorher gegangen war, sonder kürzte ihn durch ein im Dunkeln liegendes Zimmer ab. Er war sich sicher, dass es verlassen war. Keiner würde hier bei den Geräuschen des Fernsehers schlafen können.
Zum Glück behielt er Recht. Normalerweise war er alles andere als leichtsinnig, zumindest wenn es einen Einbruch anging, aber er verließ sich voll auf seine Intuition. Schnell war er wieder auf dem Balkon und sah im Vorbeigehen, was der Glatzkopf im Fernsehen sah. Es war eine der Talkshows, die den Intelligenzquotienten ihrer Zuschauer nicht gerade förderte.
An der Brüstung angekommen, blickte er hinunter. Der breitschultrige Mann und sein Dobermann waren nirgends zu sehen, daher konnte er nur hoffen, dass die beiden nicht jeden Moment um die Ecke kommen würden. Auf sie zu warten, bis sie hier ihre Runde neu drehen würden, war zu riskant. Er hatte keine Ahnung, wann der Glatzkopf seine nächste Zigarettenpause hier draußen unternehmen würde und er wettete, dass dieser ihn dann auch nicht auf eine Kippe einladen würde.
Seine wieder in den Handschuhen steckenden Finger suchten sich an dem Regenrohr Halt, dann schwang er sich über die Brüstung. Er war halb unten, als er von oben ein Geräusch hörte und er verharrte in der Bewegung. Nur Sekunden später roch er den Rauch von Zigaretten, der dem Himmel entgegen schwebte.
Als ihn etwas Asche streifte, presste er sich so gut es ging an die Wand. Seine Arme und Beine fingen an zu zittern, Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er war zwar gut trainiert, aber minutenlang an einer Regenrinne zu hängen, an der es kaum Halt gab, brachte seinen Adrenalinspiegel erneut zum Überlaufen.
Er spürte, wie die Kräfte ihn verließen. Wenn er jetzt abrutschen würde, wäre er verloren.
Er blickte hinauf und sah die Silhouette des Glatzkopfes, die sich über das Geländer beugte. Wenn dieser jetzt hinunter sehen würde, wäre es vorbei.
Schweiß rann in Sturzbächen über die Stirn des Einbrechers, der noch immer an der Wand hing, als wäre er eine Spinne. Er wusste, er würde diese Kraft sich zu halten nur noch wenige Sekunden durchhalten können.
Der Glatzkopf zog sich mit einem Grunzen zurück und wenig später hörte er, wie er ein blödes Kommentar dem Fernseher gegenüber gab.
Erleichtert atmete der Einbrecher aus, ließ sich einen Moment hängen, um seine Muskeln zu entspannen, dann stieg er zügig weiter hinab. Als er auf dem Boden aufkam, schmerzen seine Arme und er brauchte einen Moment, um wieder Gefühl in sie zu bekommen.
Vorsichtig blickte er sich um. Er wusste, dass er es noch immer nicht geschafft hatte, auch wenn ihm das Ziel schon vor Augen lag. Der Zaun war ungefähr 60 Meter entfernt. Ein Sprint und er wäre innerhalb weniger Sekunden dort angelangt. Es war verlockend, doch die Gefahr, jetzt noch erwischt zu werden, war zu groß.
Er suchte sich Deckung hinter einer marmornen Statue, die den Garten verzieren sollte. Dann huschte er weiter, bis er zu einem Busch kam, der ihm hervorragende Deckung bot. 30 Meter.
Er nahm sich ein Herz, überprüfte noch ein letztes Mal die Umgebung und sprintete los. 25 Meter.
„He! Halt! Stehen bleiben!“, rief eine laute Stimme und Hundegebell schlug an.
20 Meter.
Das Gekläffe wurde lauter. Er spürte, wie der Hund auf seiner Spur war.
15 Meter.
Ein Schuss löste sich und er hörte, wie die Kugel nur Zentimeter an seinem Kopf vorbei flog. Er zwang sich dazu, noch schneller zu laufen.
10 Meter.
Gleich war der Hund bei ihm. Jetzt nur nicht stolpern.
5 Meter.
Mit einem Satz überwand er die letzten zwei Meter und hechtete den Zaun hinauf. Er spürte das Gebiss des Dobermanns, das sich in sein Hosenbein vergrub und dann abrutschte, ohne ihn zu verletzen. Schnell wie eine Katze hatte er den Zaun überwunden, landete geschmeidig auf dem Boden und rannte sofort weiter in den Wald.
Wieder ein Schuss, doch diesmal schlug er meterweit entfernt neben ihm in eine Buche ein. Er rannte, immer nur sein Ziel vor Augen. Er blickte nicht zurück. Rannte nur.
Endlich kam er an dem Fluss an. Er sprang in das Motorboot, startete es und fuhr den Fluss entlang. Er wusste, dass er es jetzt geschafft hatte. Auch wenn die Wachen ihm bis zum Fluss folgen würden, weiter würden sie nicht kommen, da er ihre Motorboote außer Gefecht gesetzt hatte.
Er blickte zurück und sah Scheinwerfer, die die Umgebung des Waldes absuchten. Das Haus war hell erleuchtet, jeder Mann schien auf den Beinen zu sein.
Der Fremde grinste. Auch wenn es nicht einhundertprozentig gelaufen war, war er zufrieden. Es gab immer kleine Zwischenfälle. Im Grunde war er sogar froh darüber, denn ansonsten wäre sein Job zu langweilig. Er brauchte diesen Adrenalinkick. Nicht nur beruflich, auch privat. Er musste grinsen bei dem Gedanken, was ihn zu Hause erwartete.
Er gab noch mehr Gas, um schnellst möglich dort anzukommen.
„Ich bin zu Hause, Liebling“, rief er, als er die Tür seiner Wohnung hinter sich schloss.
Aufgeregt kam ihm eine Blondine entgegen, die nichts weiter trug als ein knappes, schwarzes, tief geschnittenes Negligee. „Zeig her!“ Sie blickte ihn auffordernd an.
Er lächelte, dann öffnete er die kleine Tasche an seinem Ärmel und holte den Ring hervor. Mit glänzenden Augen nahm ihn die Frau entgegen.
„Hab ich jetzt eine Belohnung verdient?“, fragte der Mann und grinste erwartend.
„Das ist er!“, sagte die Frau begeistert. „Du hast es wirklich geschafft!“
Er legte seine Arme um sie und forderte einen hungrigen Kuss von ihren Lippen. Seine Hände glitten an ihrem Bein entlang und streiften das Nachthemd hoch, so dass er den Slip, den sie darunter trug, berührte.
„Natürlich. Ich habe es dir versprochen“, flüsterte er sinnlich. Dann hob er die junge Frau auf den Arm und trug sie in das Nebenzimmer zu einem großen Bett. Sanft ließ er sie dort nieder und beugte sich über sie.
Lächelnd blickte die Blonde ihn an. „Ja, das hast du.“ Sie strich ihm über die muskulöse Brust und öffnete die Jacke. „Mein Beichtvater würde jetzt sagen, dass du ein Sünder bist und gegen das siebte Gebot verstoßen hast.“ Eindringlich sah sie ihn an. „Du sollst nicht stehlen“, flüsterte sie.
Ein amüsiertes Lachen kam aus der Kehle des Mannes. „Wenn ich das richtig sehe, Liebste, verstößt du gegen das sechste Gebot: Du sollst nicht ehebrechen.“ Er küsste sie leidenschaftlich. „Du bist ebenso eine Sünderin.“
Die Frau lachte leise, als sie sich den Zärtlichkeiten des Mannes hingab. „Du hast Recht. Wo wir gerade von meinem Mann sprechen, hast du ihn gesehen?“
„Nein, nur seine bulligen Wachmänner“, grinste er und strich ihr über den Busen. „Aber beim nächsten Mal werde ich ihn von dir Grüßen. Und nun sage mir noch einmal, dass ich ein Sünder bin.“
Bevor sie etwas erwidern konnte, verschloss er ihre Lippen mit den seinen. Er drehte sie und dabei fiel der Ring aus ihrer Hand auf den hellen Teppich. Der Diamant funkelte in dem Licht des Kamins.
Beiden war bewusst, dass es niemals um den Ring ging – es ging einzig und allein um die Sünde.
Zwei Gebote
by sirixx
Das Rascheln eines Nagetieres klang in seiner unmittelbaren Umgebung. Ansonsten herrschte Stille, mal abgesehen von dem Rauschen des Windes in den Baumkronen über ihm.
Eng presste er sich an den Stamm der Eiche, lauschte nach jedem Geräusch, registrierte jede Bewegung. Seine Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt. Er wusste, wenn sie ihn erwischten, würde es ihn sein Leben kosten. Das Risiko war ihm bewusst, doch der Reiz des Verbotenen war stärker.
Wie ein Panther spurtete er zwei Schritte vorwärts zu dem nächsten Stamm, der ihm Schutz vor dem Entdecken gab. Wieder lauschte er, doch wieder hörte er nichts weiter als die Geräusche der Natur.
Er wagte sich noch weiter vor. Diesmal überwand er mehrer Meter. Der Zaun war bereits in Reichweite. Hoch ragte er in den nächtlichen Himmel, doch der Besucher wusste, dass er kein Problem darstellen würde.
Als er an dem feinen Draht ankam, verhakte er seine Finger in den Maschen und kletterte wie eine Katze daran hoch. Mit einer nicht zu erwartenden Schnelligkeit hatte er die Spitze erreicht und ließ sich die zwei Meter auf der anderen Seite geräuschlos fallen. Geduckt hockte er im Gras und lauschte wieder. Nichts.
Schnell hatte er die Entfernung zu dem nächsten Schutz, der Poolbar, überwunden. Er roch die Chlordämpfe, die von dem Wasser emporstiegen und das Lichtspiel auf dem Grunde des Beckens spiegelte sich auf seinem dunkel gefärbten Gesicht wider.
Als er Schritte hörte, verschmolz er mit den nächtlichen Schatten und wurde eins mit ihnen. Seine Atmung war zwar schnell und hektisch, aber auch so flach, dass niemand sie hören würde. Es war jedes Mal wieder derselbe Adrenalinkick, den er spürte, doch er hatte sich vollkommen unter Kontrolle.
Vorsichtig lugte er um die Ecke und fluchte innerlich, als er den großen, breiten Mann am Pool stehen sah, in der Hand eine Leine. Der große Dobermann spitzte die Ohren und schnüffelte in die Luft, doch der Hund schien nur den Chlorgeruch des Pools wahrzunehmen.
Ein knartschendes Geräusch kam aus dem Walki-Talki, das an dem Gürtel des breitschultrigen Mannes hing. Er zog es ab und sagte ein gedämpftes: „Alles klar, Bob!“, dann ging er weiter. Der Dobermann zögerte einen Moment und blickte jaulend in die Richtung, in die der fremde Eindringling saß und sich in die Dunkelheit kauerte. Doch dann folgte er der Wache, die Nase fest an den Boden gepresst.
Der schwarz geschminkte Mann entließ ein leises, erleichtertes Geräusch, als Mann und Hund um die Ecke bogen. Er wusste, dass das auch hätte anders ausgehen können. Er vertraute zwar seinen Fähigkeiten, doch ein Restrisiko gab es immer.
Er versicherte sich, dass kein anderer Mensch oder Hund mehr in der Nähe war, dann löste er sich aus dem Schatten und überwand die letzten Meter zwischen Pool und Haus.
Er blickte nach oben, der Dachrinne entlang, während er seine schmalen Finger in schwarze Handschuhe steckte, die eng an seiner Haut lagen. Ein Blick nach links, einer nach rechts, dann griff er an das glänzende, glatte Metall. Für einen normalen Menschen schien dieser Aufstieg unmöglich zu sein, doch er hatte es jahrelang perfektionieren können.
Wie eine Raubkatze klettere er die schmale Regenrinne an der Hauswand hoch, nutzte jeden Riss, jeden Spalt und jede Unregelmäßigkeit im Material und im Putz der Hauswand, um sich Zentimeter für Zentimeter hochzuziehen.
Geräuschlos überwand er schließlich die steinerne Balustrade des großzügigen Balkons, der Türen zu gleich mehreren Schlafzimmern besaß.
Eng presste er sich an die Wand und spähte in eines der Zimmer. Ein bulliger, glatzköpfiger Mann saß in einem Sessel, in der Hand eine Dose Cola. Der Fernseher lief und zeigte die Bilder einer Rateshow. Die Wache schien vertieft in das Programm zu sein, auch wenn sich der nächtliche Eindringling fragte, ob dieser Koloss auch nur eine der gestellten Fragen richtig beantworten könnte.
Schnell huschte er an dem Fenster vorbei, ohne dass der Glatzkopf Notiz von ihm nahm. Er bemerkte einige Zigarettenstummel auf dem steinernen Boden. Wahrscheinlich rauchten die Wachen hier draußen, da es ihnen im Haus untersagt war.
Der nächste Raum lag im Dunkeln. Auch hier glitt er zügig und fast wie ein nächtlicher Schatten vorbei. Sein Ziel lag am anderen Ende des Balkons.
Mit lautlosen Schritten glitt der Fremde dicht an dem Haus entlang, bis er vor der Tür stand, zu der er kommen wollte.
Vorsichtig berührte seine behandschuhte Hand die goldene Klinke. Als sie mit einem leisen Ächzen nachgab, grinste er. Sie hatte gesagt, dass die Tür offen stehen würde.
Er sicherte sich noch einmal nach allen Seiten ab, dann verschwand er in dem Dunkel des Hauses.
Es roch hier nach teuren Teppichen, edlen Stoffen und exquisitem Essen. Der Unbekannte wollte sich gar nicht ausmalen, wie es wäre, in einer solchen Umgebung zu wohnen. Es wäre nichts für ihn.
Er verließ den Raum und betrat den Korridor, der ausgelegt war mit einem roten, flauschigem Teppich, der seine Schritte dämpfte und sie lautlos machte. Aber er wusste, dass auch die Schritte anderer Personen nur schwer zu hören waren. Er musste auf der Hut sein. Jetzt begann der wirklich gefährliche Part dieses Plans.
Er lauschte angestrengt, als er um die Ecke bog. Die Geräusche des Fernsehers, aus dem gerade Beifall erklang, machten es ihm nicht gerade einfach. Doch er verließ sich auch auf seine Intuition. Sie hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Mit rasendem Puls und einem Überschuss an Adrenalin bog er um die Ecke und steuerte geradewegs auf eine hölzerne Tür zu.
Er wusste, sie würde verschlossen sein. Jetzt galt es, schnell zu handeln. Er durfte keine Sekunde verlieren, denn wenn jetzt jemand kommen würde, noch bevor er in diesen Raum gelangt war, dann wäre er so gut wie tot. Noch im Gehen zog er einen Satz Dietriche aus einer Tasche, die um seinen Rücken gebunden war. Er biss sich in einen Handschuh und strich ihn sich so schnell von den Fingern. Er brauchte das Fingerspitzengefühl für dieses Schloss.
An der Tür angekommen, hockte er sich hin und steckte vorsichtig und konzentriert den dünnen Dietrich in das Schloss. Sanft bewegten sich die schlanken Finger, erahnten jedes Hindernis in der Mitte des Zylinders. Er schloss die Augen und fühlte, wie das Schloss am besten zu knacken war.
Sekunden verstrichen und Schweiß bildete sich auf der Stirn des Einbrechers. Er wusste, dass er nur noch Minuten hatte, um diesen Coup zu beenden und von hier zu verschwinden.
Plötzlich hörte er das Knarren eines Stuhls und der Fernseher verstummte.
Der Eindringling atmete tief ein, sammelte seine Konzentration und versuchte nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn sie ihn erwischten.
Ein leises Knacken sagte ihm schließlich, dass das Schloss entriegelt war. Er drehte den Knauf und schlüpfte in die Sicherheit des Dunkels, als gerade der Wachmann um die Ecke bog und nichts weiter als die Tür erblickte.
Erschöpft gönnte sich der Fremde für eine Sekunde den Luxus, durchschnaufen zu können.
Das war mehr als knapp gewesen.
Doch dann richtete er sich wieder auf. Sein schlanker Körper zeichnete sich deutlich von dem nächtlichen Himmel ab, der durch die großen Fenster zu sehen war.
Einen Moment brauchte der Fremde, um sich zu orientieren, dann ging er zielstrebig auf ein Wandgemälde zu. Er schob es von der Wand und dahinter kam ein Safe zum Vorschein. Dies war nun keine Herausforderung für ihn, da er die Kombination kannte.
Schnell drehten seine Finger an dem Rädchen. 21-01-97-08-02-73-19.
Das Klacken sagte ihm, dass der Tresor geöffnet war. Er betätigte den Hebel und zog die dicke Stahltür auf. Er nahm eine winzige Taschenlampe und leuchtete in den Safe. Schnell überflog er mit seinem Blick den Inhalt des Tresors. Bündel von Tausender-Noten, Ketten mit Brillianten, Ohrringen und Manschettenknöpfe mir funkelnden Rubinen hatte er mit einem Blick erfasst.
Ein Grinsen zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes. Siegessicher griff er in den Safe und holte einen einzigen Ring heraus. Er war fast unscheinbar. Nur ein winziger Diamant war in den schmalen Platinring eingefasst. Auf den ersten Blick war dies ein unbedeutendes Schmuckstück und wohl auch das, mit dem geringsten Wert von all den Gegenständen, die hier in dem Tresor lagen. Dennoch nahm der Einbrecher nichts anderes, sondern schloss den Tresor, drehte an dem Rädchen und hing schließlich das Bild wieder davor, bis es gerade war.
Wieder huschte ein Lächeln über seine Lippen, als er den Ring betrachtete. Dann öffnete er eine kleine, in seine Jacke eingearbeitete Tasche am Ärmel und ließ den Ring hinein gleiten.
Mit wenigen Schritten war er wieder an der Tür. Er lauschte, hörte jedoch nichts. Leise öffnete er die Tür und spähte hinaus. Der Fernseher lief wieder, was ihm das lachende Publikum einer Show zeigte.
Geräuschlos glitt er hinaus auf den Korridor und suchte sich seinen Weg zurück. Er wählte nicht denselben, den er vorher gegangen war, sonder kürzte ihn durch ein im Dunkeln liegendes Zimmer ab. Er war sich sicher, dass es verlassen war. Keiner würde hier bei den Geräuschen des Fernsehers schlafen können.
Zum Glück behielt er Recht. Normalerweise war er alles andere als leichtsinnig, zumindest wenn es einen Einbruch anging, aber er verließ sich voll auf seine Intuition. Schnell war er wieder auf dem Balkon und sah im Vorbeigehen, was der Glatzkopf im Fernsehen sah. Es war eine der Talkshows, die den Intelligenzquotienten ihrer Zuschauer nicht gerade förderte.
An der Brüstung angekommen, blickte er hinunter. Der breitschultrige Mann und sein Dobermann waren nirgends zu sehen, daher konnte er nur hoffen, dass die beiden nicht jeden Moment um die Ecke kommen würden. Auf sie zu warten, bis sie hier ihre Runde neu drehen würden, war zu riskant. Er hatte keine Ahnung, wann der Glatzkopf seine nächste Zigarettenpause hier draußen unternehmen würde und er wettete, dass dieser ihn dann auch nicht auf eine Kippe einladen würde.
Seine wieder in den Handschuhen steckenden Finger suchten sich an dem Regenrohr Halt, dann schwang er sich über die Brüstung. Er war halb unten, als er von oben ein Geräusch hörte und er verharrte in der Bewegung. Nur Sekunden später roch er den Rauch von Zigaretten, der dem Himmel entgegen schwebte.
Als ihn etwas Asche streifte, presste er sich so gut es ging an die Wand. Seine Arme und Beine fingen an zu zittern, Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er war zwar gut trainiert, aber minutenlang an einer Regenrinne zu hängen, an der es kaum Halt gab, brachte seinen Adrenalinspiegel erneut zum Überlaufen.
Er spürte, wie die Kräfte ihn verließen. Wenn er jetzt abrutschen würde, wäre er verloren.
Er blickte hinauf und sah die Silhouette des Glatzkopfes, die sich über das Geländer beugte. Wenn dieser jetzt hinunter sehen würde, wäre es vorbei.
Schweiß rann in Sturzbächen über die Stirn des Einbrechers, der noch immer an der Wand hing, als wäre er eine Spinne. Er wusste, er würde diese Kraft sich zu halten nur noch wenige Sekunden durchhalten können.
Der Glatzkopf zog sich mit einem Grunzen zurück und wenig später hörte er, wie er ein blödes Kommentar dem Fernseher gegenüber gab.
Erleichtert atmete der Einbrecher aus, ließ sich einen Moment hängen, um seine Muskeln zu entspannen, dann stieg er zügig weiter hinab. Als er auf dem Boden aufkam, schmerzen seine Arme und er brauchte einen Moment, um wieder Gefühl in sie zu bekommen.
Vorsichtig blickte er sich um. Er wusste, dass er es noch immer nicht geschafft hatte, auch wenn ihm das Ziel schon vor Augen lag. Der Zaun war ungefähr 60 Meter entfernt. Ein Sprint und er wäre innerhalb weniger Sekunden dort angelangt. Es war verlockend, doch die Gefahr, jetzt noch erwischt zu werden, war zu groß.
Er suchte sich Deckung hinter einer marmornen Statue, die den Garten verzieren sollte. Dann huschte er weiter, bis er zu einem Busch kam, der ihm hervorragende Deckung bot. 30 Meter.
Er nahm sich ein Herz, überprüfte noch ein letztes Mal die Umgebung und sprintete los. 25 Meter.
„He! Halt! Stehen bleiben!“, rief eine laute Stimme und Hundegebell schlug an.
20 Meter.
Das Gekläffe wurde lauter. Er spürte, wie der Hund auf seiner Spur war.
15 Meter.
Ein Schuss löste sich und er hörte, wie die Kugel nur Zentimeter an seinem Kopf vorbei flog. Er zwang sich dazu, noch schneller zu laufen.
10 Meter.
Gleich war der Hund bei ihm. Jetzt nur nicht stolpern.
5 Meter.
Mit einem Satz überwand er die letzten zwei Meter und hechtete den Zaun hinauf. Er spürte das Gebiss des Dobermanns, das sich in sein Hosenbein vergrub und dann abrutschte, ohne ihn zu verletzen. Schnell wie eine Katze hatte er den Zaun überwunden, landete geschmeidig auf dem Boden und rannte sofort weiter in den Wald.
Wieder ein Schuss, doch diesmal schlug er meterweit entfernt neben ihm in eine Buche ein. Er rannte, immer nur sein Ziel vor Augen. Er blickte nicht zurück. Rannte nur.
Endlich kam er an dem Fluss an. Er sprang in das Motorboot, startete es und fuhr den Fluss entlang. Er wusste, dass er es jetzt geschafft hatte. Auch wenn die Wachen ihm bis zum Fluss folgen würden, weiter würden sie nicht kommen, da er ihre Motorboote außer Gefecht gesetzt hatte.
Er blickte zurück und sah Scheinwerfer, die die Umgebung des Waldes absuchten. Das Haus war hell erleuchtet, jeder Mann schien auf den Beinen zu sein.
Der Fremde grinste. Auch wenn es nicht einhundertprozentig gelaufen war, war er zufrieden. Es gab immer kleine Zwischenfälle. Im Grunde war er sogar froh darüber, denn ansonsten wäre sein Job zu langweilig. Er brauchte diesen Adrenalinkick. Nicht nur beruflich, auch privat. Er musste grinsen bei dem Gedanken, was ihn zu Hause erwartete.
Er gab noch mehr Gas, um schnellst möglich dort anzukommen.
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„Ich bin zu Hause, Liebling“, rief er, als er die Tür seiner Wohnung hinter sich schloss.
Aufgeregt kam ihm eine Blondine entgegen, die nichts weiter trug als ein knappes, schwarzes, tief geschnittenes Negligee. „Zeig her!“ Sie blickte ihn auffordernd an.
Er lächelte, dann öffnete er die kleine Tasche an seinem Ärmel und holte den Ring hervor. Mit glänzenden Augen nahm ihn die Frau entgegen.
„Hab ich jetzt eine Belohnung verdient?“, fragte der Mann und grinste erwartend.
„Das ist er!“, sagte die Frau begeistert. „Du hast es wirklich geschafft!“
Er legte seine Arme um sie und forderte einen hungrigen Kuss von ihren Lippen. Seine Hände glitten an ihrem Bein entlang und streiften das Nachthemd hoch, so dass er den Slip, den sie darunter trug, berührte.
„Natürlich. Ich habe es dir versprochen“, flüsterte er sinnlich. Dann hob er die junge Frau auf den Arm und trug sie in das Nebenzimmer zu einem großen Bett. Sanft ließ er sie dort nieder und beugte sich über sie.
Lächelnd blickte die Blonde ihn an. „Ja, das hast du.“ Sie strich ihm über die muskulöse Brust und öffnete die Jacke. „Mein Beichtvater würde jetzt sagen, dass du ein Sünder bist und gegen das siebte Gebot verstoßen hast.“ Eindringlich sah sie ihn an. „Du sollst nicht stehlen“, flüsterte sie.
Ein amüsiertes Lachen kam aus der Kehle des Mannes. „Wenn ich das richtig sehe, Liebste, verstößt du gegen das sechste Gebot: Du sollst nicht ehebrechen.“ Er küsste sie leidenschaftlich. „Du bist ebenso eine Sünderin.“
Die Frau lachte leise, als sie sich den Zärtlichkeiten des Mannes hingab. „Du hast Recht. Wo wir gerade von meinem Mann sprechen, hast du ihn gesehen?“
„Nein, nur seine bulligen Wachmänner“, grinste er und strich ihr über den Busen. „Aber beim nächsten Mal werde ich ihn von dir Grüßen. Und nun sage mir noch einmal, dass ich ein Sünder bin.“
Bevor sie etwas erwidern konnte, verschloss er ihre Lippen mit den seinen. Er drehte sie und dabei fiel der Ring aus ihrer Hand auf den hellen Teppich. Der Diamant funkelte in dem Licht des Kamins.
Beiden war bewusst, dass es niemals um den Ring ging – es ging einzig und allein um die Sünde.
+++ ENDE +++