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Der Junkie und die Hehlerin

von Lenara
Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Christine Walter Ines Führbringer Jule Neumann Mona Suttner
21.05.2007
03.10.2007
4
15.283
 
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21.05.2007 5.274
 
Der Junkie und die Hehlerin

Es ging alles so furchtbar schnell! Gomulka hob die Waffe und drückte ab. Ein lauter Knall. Andreas fiel tot zu Boden. Ines schrie entsetzt auf. Dann auf einmal von allen Seiten lautes Gebrüll. „Polizei. Hände hoch! Werfen Sie die Waffen auf den Boden!“ Ines´ Denken war ausgesetzt. Sie riss instinktiv ihre Arme in die Höhe. Die Beamten des SEK stürmten herbei. Doch Erich Gomulka und sein Komplize Toast wollten sich nicht ergeben; sie zogen ihre Pistolen und begannen zu schießen. Das SEK erwiderte das Feuer. Eine Kugel streifte Ines´ Arm. Der plötzliche Schmerz durchbrach ihre Erstarrung. Sie stürzte sich hinter einen mannhohen Strauch um in Deckung zu gehen. Dann wurde Gomulka getroffen. Mitten ins Herz. Wie in Zeitlupe sackte der berüchtigte Hehlerkönig sterbend in sich zusammen. Aus! Jetzt war es vorbei. Ganz allein auf sich gestellt, erkannte auch Toast die Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Ruckartig schmiss er seine Waffe weg. Widerstandslos ließen Ines und er sich festnehmen.

Ines atmete tief durch. Nur noch eine Tür trennte sie von ihrem neuen Heim -  die Station B der Justizvollzugsanstalt Reutlitz.  Umständlich sperrte der Justizvollzugsbeamte Peter Kittler die Tür auf. Drei Jahre wegen Hehlerei hatte der Richter ihr aufgebrummt, bei guter Führung käme sie in zwei Jahren auf Bewährung raus. Ines wusste, dass sie noch Glück im Unglück gehabt hatte. Es hätte wesentlich schlimmer für sie ausgehen können;  da sie als rechte Hand Erich Gomulkas galt, der über Jahre einen gewerbsmäßigen Hehlerring im großen Stil betrieben hatte und die geplante Fluchthilfe sie ihr nicht beweisen konnten. „Los, Frau Führbringer, wir haben nicht ewig Zeit.“ durchbrach Kittler ihre Gedanken und schob sie durch die Tür.

Neugierig scharrten sich die Insassinnen sofort um den Neuzugang und tuschelten. Einige blickten um sich, als ob sie noch jemand anderes erwarteten. Ines versuchte ein tapferes Lächeln und hielt den Korb mit ihren wenigen Habseligkeiten festverkrampft. Was würde sie hier bloß erwarten? Ob Walter auch noch auf der B wäre, wie würde sie wohl auf das Wiedersehen reagieren? Kittler winkte Ilse herbei. „Frau Wünsche, das ist ihre neue Zellennachbarin. Ines Führbringer. Zeigen Sie ihr alles und erklären ihr die Regeln.“ Dann meinte er zu Ines. „Wenn Sie sonst noch Fragen haben, wenden Sie sich an Herrn Wilborn, Ihren Vertrauensbeamten.“ Er nickte den Frauen zu und verließ wieder die Station. Ilse schaute Ines nicht an, sondern blickte auf den Boden. Sie wirkte nervös. „Wir haben schon von Dir gehört. Komm, dann werde ich Dir mal unsere Zelle zeigen.“ Ines wurde es mulmig zu Mute. Die anderen Gefangenen bildeten schweigend eine Schneise für die beiden. Die Spannung lag über allen in der Luft. Als die Beiden die Frauen hinter sich gelassen hatten, sah Ines sie – Christine Walter. Sie stand ganz starr an der Wand und schaute Ines nur wortlos an, der das Herz bis zum Hals schlug. Walter blickte kurz zu Ilse und meinte: „Lass uns für ein paar Minuten auf Eurer Zelle allein.“ Nervös nickte Ilse heftig mit dem Kopf und gesellte sich zu den anderen Gefangenen.

In der Zelle angekommen, stellte Ines langsam ihren Korb auf den Tisch. Sie drehte sich zu Walter um und fing zögernd an zu sprechen: „Es tut mir so leid, Walter! Gomulka hat uns in eine Falle gelockt. Wir wollten das Geld für Flucht aus dem Versteck holen, da stand er mit Toast auf einmal auf dem Friedhof. Und die Polizei auch, sie musste sich Andreas an die Fersen gehenkt haben, um Gomulkas Hehlerring zu sprengen…“
Walter unterbrach sie. „Ich weiß, Ines. Ich bekam als Andreas´ Schwester Akteneinsicht und hab´ jeden Zeitungsbericht gelesen, den ich in die Finger bekam. Das Schwein ist tot und Toast muss für sieben Jahre in den Knast.“
Ines machte einen Schritt auf Walter zu und legte ihre Hand auf deren Oberarm. „Wenn die Polizei bloß eine Minute früher zugegriffen hätte, dann könnte Andreas noch leben.“
Die Knastchefin zog ihren Arm weg, sie hatte Tränen in die Augen. „Lass! Was geschehen ist, ist geschehen. Doch mit meinem Bruder ist auch ein Teil von mir gestorben. Deswegen wollte ich auch mit Dir reden. Allein. Ich möchte Dich um etwas bitten.“
Ines sah ihr mitfühlend ins Gesicht und flüsterte: „Ja? Ich tue alles, was Du willst. Das bin ich Dir und Andreas schuldig.“
Walter straffte ihre Schultern. „Ich mache Dir keine Vorwürfe, wegen dem, was passiert ist. Wir hatten keine Chance. Doch wenn ich Dich sehe, tut es mir einfach zu weh und alles kommt hoch. Darum gehen wir uns besser  für die nächste Zeit aus dem Weg. Ich packe das einfach noch nicht.“
„Versprochen. Ich werde mich von Dir fernhalten, Walter. Soll ich vielleicht einen Versetzungsantrag stellen? Auf eine andere Station oder in eine andere JVA?“ fragte Ines.
„Nein. Du warst noch nie im Knast. Du kennst die Regeln nicht. Ich will nicht, dass Dir etwas geschieht. Ich habe auf der B großen Einfluss. Hier bist Du sicher.“
Ines schaute auf den Boden. „Danke, Walter.“ Die lächelte sie weich an. „Hey, es werden wieder andere Zeiten kommen.“ Dann ging sie leise aus der Zelle.

Rund eine Woche war seitdem vergangen. Ines hatte sich so gut wie es ging im Knast eingelebt. Sie hatte sich mit Wilhelmina und Ilse angefreundet. Die Drei arbeiteten gemeinsam in der Küche. Wenn ihre Schicht zu Ende war, ging Ines entweder in den Fitnessraum oder blieb in ihrer Zelle. Sie mied meist den Aufenthaltsraum, weil Walter dort oft war. Sie hatte es ihr schließlich versprochen. Aber auch sie selbst wollte den furchtbaren Erinnerungen entfliehen. Ines blätterte abends gelangweilt in einem Klatschheftchen, als Jeannette aufgeregt in die Zelle rauschte. „Stell Dir vor, Ines! Ab morgen sind wir hier wieder zu viert. Der Junkie wurde aus dem Spital entlassen. Ah, wird das eng! Zu dritt ist´s schon kaum auszuhalten. Aber wenn die erst zurück ist!“ Theatralisch warf Jeannette die Arme in die Höhe.
Genervt schaute Ines auf. „Du meinst Jule? Also die anderen freuen sich auf ihre Rückkehr.“
“Ja, genau die Neumann. Klar freuen sich die auf den Junkie! Die müssen ja auch nicht mit der in einer Zelle liegen! Was die immer für eine schreckliche Rockmusik hört! Und rauchen tut sie wie ein Schlot! Schlimmer noch als Du! Aber das ist ja noch nicht alles! Die ist eine Lesbe!“ Jeannette redete sich in Fahrt.
Demonstrativ zündete sich Ines eine Zigarette an und blies den Rauch in Jeannettes Richtung. Sie schaute ihre Zellengenossin, die von manchen die „alte Ledertasche“ genannt wurde, weil sie so eitel und jenseits der 50 war, von oben nach unten an. „Das kann Dir doch egal sein. Ich glaube nicht, dass diese Jule Dich jemals angebaggert hat oder es vorhat.“
Empört riss diese ihre Augen weit auf. „Was soll das heißen? Aber Du wirst schon sehen, was das für eine ist!“ Mit diesen Worten stolzierte sie aus dem Raum.
Kopfschüttelnd und mit einem fetten Grinsen im Gesicht sah Ines ihr nach. „Typisch Jeannette.“ Sie hatte schon gehört, dass Jule schon seit Jahren clean war, doch die Zellenälteste ritt immer noch auf ihre Drogenvergangenheit herum. „Aha, und auf Frauen stand sie also auch.“ Ines wurde immer neugieriger auf diese Jule Neumann.

Endlich kehrte Jule nach ihrem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt auf die B zurück. Sie wurde sofort von Nancy und Wilhelmina stürmisch empfangen: „Hallo Jule. Gut siehst Du aus. Bist Du auch inzwischen völlig gesund? Warst ja lange weg.“
Sie umarmte die beiden Frauen. „Hallo Ihr zwei. Ja, endlich. Wieder wie neu. Es hat auch wirklich ewig gedauert. Sie konnten mir die wirksamsten Medikamente nicht geben. Weil ich doch früher Heroin gespritzt habe. Bin ich froh, wenn ich wieder in meine Gärtnerei komme. Mensch, hab´ ich Euch vermisst!“
Nancy und Wilhelmina hakten sich bei ihr ein und sie gingen zusammen in den Aufenthaltsraum. Auf dem Weg dahin wurden sie von den anderen Frauen mehrmals angehalten, die Jule auch begrüßen wollten. „Schön, wieder hier zu sein. Im Krankenhaus war´s ziemlich langweilig. Was ist in den letzten Wochen passiert, als ich weg war?“ fragte Jule ihre beiden Mitgefangenen.
Nancy zuckte mit den Schultern „Ach, nicht viel. Das übliche halt. Wir haben einen Neuzugang bekommen. Sie heißt Ines. Sie wurde in Deiner Zelle untergebracht.“
Jule zündete sich eine Zigarette an und atmete den Rauch geräuschvoll aus. „Hach, tut das gut! Und wie ist sie so? Ich hoffe, nicht so eine Quasseltante wie Ilse und Jeannette.“
Wilhelmina brachte ihr einen Tee. „Nein. Sie ist richtig nett. Wir sind zusammen in der Küche. Du wirst Dich bestimmt gut mit ihr verstehen.“
Jule spielte mit dem Aschenbecher herum, sie war nur mäßig an diesem Thema interessiert. „Und warum ist sie hier?“
Die beiden berichteten ihr, dass Ines die rechte Hand eines Spediteurs war, der nebenbei eine große Nummer in der Unterwelt war und im großen Stil Hehler-  und Schmuggelware vertickt hatte. Als Walter auf der Flucht war, hat sie auch bei ihm gearbeitet. Zusammen kamen sie mit Walters Bruder auf die Idee, diesem Typ Geld zu entwenden, Walter aus Reutlitz zu befreien, die mittlerweile wieder einsaß, und gemeinsam nach Costa Rica auszuwandern. Doch der Plan ging schief. Andreas wurde erschossen und Ines kam in den Knast.
Jules Interesse begann sich zu steigern. „Und was ist jetzt? Wie versteht sie sich nun mit Walter?“
Wilhelmina zuckte mit den Schultern. „Das ist seltsam. Sie reden nicht miteinander und auch nicht übereinander. Doch trotzdem hat Walter jeder schon vorab Ärger angedroht, die Ines nur ein Haar krümmen will.“
Auch Jule kam das komisch vor, aber ließ das Thema fallen. Sie unterhielten sich derweil über andere Dinge. Nach einer Weile verabschiedete sich Jule von ihnen, sie wollte in ihrer Zelle noch ein wenig Musik hören.

Als Jule dort ankam, blieb sie abrupt am Türrahmen stehen. Diese ominöse Ines, da saß sie am Tisch, ihre langen, wohlgeformten Beine hatte sie auf einen zweiten Stuhl gelegt und hielt ihr Gesicht den aus dem vergitterten Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen. So wie sie entspannt sich auf ihrem Sitz lümmelte und genüsslich rauchte, wirkte sie wie Eine, die sich vor einem Straßencafé vom Shoppen ausruhte und nicht wie eine Insassin eines Frauengefängnisses. Jule betrachtete sie fasziniert. Ines war eine schöne Frau, etwas älter als sie selbst, sie hatte blonde wohl halblange Haare, genau konnte man es nicht erkennen, weil  sie sich Girlie-Zöpfchen geflochten hatte. Es stand ihr gut. Ihre Augenbrauen waren jedoch dunkel, was Jule neugierig machen ließ, welche Farbe wohl ihre Augen hatten. Sie hatte ausgeprägte Wangenknochen, die ihr Gesicht fast etwas vornehm erschienen ließen. Im Kontrast dazu standen  jedoch ihre vollen Lippen, die nun erneut an der Zigarette zogen. Jules Blick glitt hinunter. Ines hatte eine schmale jedoch auch eine sehr weibliche Figur. Sie trug ein knappes grünes T-Shirt, das ihre vollen Brüste betonte. Es war etwas hoch gerutscht, so dass Jule auch etwas Aussicht auf ihren leicht gebräunten, wohlgeformten Bauch hatte. Ihre neue Zellengenossin war verflucht attraktiv. Jule strich sich mit der Zunge über ihre Lippen. Indessen wurde sich Ines bewusst, dass sie nicht mehr allein im Raum war und drehte neugierig ihren Kopf Richtung Tür.  „Sie hat blaue Augen. Oder doch eher grüne?“ schoss es Jule in den Sinn. Sie räusperte sich und lächelte. „Hallo, Du bist bestimmt Ines. Sorry, falls ich Dich erschreckt habe. Ich bin Jule, ich wohne auch hier.“
Ines stand auf, dabei erwiderte sie das Lächeln, auch sie musterte ihr Gegenüber. „Hallo Jule. Freut mich. Aber hast mich nicht erschreckt. Ich hab gehört, Du warst im Krankenhaus.“
Jule kam zu ihr an den Tisch und drückte ihre Zigarette aus. „Ja. Wegen Pfeifferschen Drüsenfieber. Aber ich hab´s überstanden und jetzt bin ich wieder fit für den Knast. Was ist mit unseren Zellengenossinnen? Nerven sie Dich sehr mit ihrem Gequatsche?“
„Es geht. Ilse finde ich aber ganz sympathisch. Nur Jeannette…“ Ines ließ den Satz unvollendet.
Verstehend grinste Jule. „Jaja, die alte Ledertasche. Die kann einem ganz schön auf den Wecker gehen. Und ein Schandmaul hat die! Hat sie Dir schon erzählt, was für ein abgefuckter Junkie ich bin?“
Ines lachte laut auf. „Hat sie. Aber ich mach mir generell lieber ein eigenes Bild von den Leuten. Und bis jetzt erscheinst Du mir als das genaue Gegenteil von dem was sie über Dich getratscht hat.“ Sie schaute Jule tief in die Augen, bei der sich dabei ein leichtes Flattern im Bauch bemerkbar machte.
Doch Jule war nicht schüchtern und hielt ihrem Blick stand. „Das freut mich zu hören. Es wäre wirklich sehr schade, wenn sie mit ihrer Masche bei Dir Erfolg gehabt hätte.“ Jules Herz schlug schneller, da Ines´ schöner Mund als Antwort ein feines Lächeln umspann. Die beiden intensivierten ihr Augenspiel, doch bevor eine von ihnen etwas sagen konnte, kamen Ilse und Jeannette in die Zelle herein gepoltert. Jule rollte die Augen.
Ines blinzelte ihr zu. „Wenn man vom Teufel spricht…“.

Vier Tage später, zwanzig nach sechs in der Früh. Ines konnte sich partout nicht an das frühe Aufstehen gewöhnen. Schläfrig schlurfte sie in Richtung Waschraum. Die meisten saßen schon im Aufenthaltsraum und frühstückten. Ihr war es recht, so konnte sie sich in Ruhe duschen. Auf dem Flur begegnete ihr Walter. Befangen wünschten sie sich einen guten Morgen, blickten angestrengt auf den Boden und gingen rasch weiter. So wie jedes Mal, wenn sie unverhofft aufeinander trafen. Ines blieb stehen als Walter an ihr vorbei war und schaute ihr bekümmert nach. Die alte Knastchefin wirkte müde und um Jahre gealtert. Kein Vergleich zu der Frau, die sie bei Gomulka kennengelernte – kraftstrotzend und voller Pläne. Eine Welle der Trauer und des Mitleids überkam sie. Seufzend setzte sie ihren Weg fort. Gedankenverloren kam sie dann im Gemeinschaftsbad an.
„Hallo, Ines. Gut geschlafen?“ rief Jule ihr fröhlich zu, die bereits beim Duschen war.
Matt erwiderte Ines den Gruß, legte ihre Sachen ab, zog sich aus und stellte sich unter die nebengelegene Brause. Sie drehte den Wasserhahn auf und ließ lauwarmes Wasser über ihren Körper laufen. Langsam weckte dies ihre Lebensgeister. Ines schaute verstohlen zu Jule rüber. Ihre noch eben melancholischen Gedanken waren wie verflogen. Ihre Nachbarin hatte die Augen geschlossen und schamponierte gerade ihre dunkle Lockenpracht ein. Was Ines die Gelegenheit gab, sich die nackte Jule genauer zu betrachten. Sie war zweifellos sehr hübsch. War das Gesicht von lustigen Sommersprossen übersät, so war ihr Körper dunkler als Ines angenommen hätte. Ihre Figur hätte sie fast elfenhaft genannt, so zierlich war sie, doch wirkte sie dabei auch sehr drahtig und sportlich. Sie hatte kleine Brüste, deren dunkle Knospen sich wegen des Wassers zusammengezogen hatten. Ines´ Augen wanderten runter zu Jules flachen Bauch, zu ihrer knabenhafter Taille und dann einige Zentimeter südlicher – zu ihrer Pussy, Jule hatte sie rasiert, nur wenige, kurze Haare bedeckten ihre Scham. Ines spürte langsam eine süße Erregung in sich aufsteigen.
„Kann ich Dein Duschgel bekommen. Meins ist all.“ fragte Jule plötzlich.
Ines schaute wieder hoch. Schaute direkt in Jules wunderschönen leuchtendblauen Augen, die sie wissend anlächelten.  Ines wurde rot, doch nicht aus Verlegenheit. Sie kam zu Jule in die Duschkabine, reichte ihr das Duschgel und ihre Finger berührten sich für einen Augenblick. Ines schaute von Jules Gesicht zu deren Oberarm, auf dem ein stilisierter Drache tätowiert war, sie streichelte ihn sanft. „Du hast ein schönes Tattoo.“ flüsterte sie mit belegter Stimme.
„Danke. Du aber auch.“ hauchte Jule. Ines hatte sich vor Jahren ein Blumenornament am Brustansatz stechen lassen. Jules Blick auf ihren Brüsten nahm Ines den Atem. Sie neigte sich nach vorne, ihr Mund war nur noch wenige Zentimeter von Jules Lippen entfernt, spürte wie deren Hand ihren Rücken berührte.
Die Tür wurde aufgerissen. „Ines, Jule! Wo seid Ihr? Der Morgenappell ist in zehn Minuten. Kittler sagt, wir sollen schon früher da sein. Staatssekretärin Kaltenbach ist heute da.“ schallte Ilses schrille Stimme durch den Raum. Erschrocken sprangen Ines und Jule auseinander.
„Da steckt´s also. Kommt beeilt Euch!“ röhrte Jeannette in ihrem unverkennbaren Wiener Akzent. Sie war Ilse gefolgt. Sie starrte die beiden Frauen süffisant an, im Gegensatz zu Ilse hatte sie bemerkt, wobei sie ihre jungen Zellengenossinnen gestört hatte.

Seit sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war Jule heute zum ersten Mal, in der Gärtnerei. Es gab trotzdem viel für sie tun. Sämtliche Pflanzen mussten gewässert und die Tomaten-Stöcke umgesetzt werden. Doch die Arbeit tat Jule gut, denn dadurch konnte sie sich abreagieren; sie fühlte noch den Rest ihres Begehrens von vorhin. Was wäre geschehen, wenn Ilse und Jeannette sie nicht gestört hätten? Hätten sie wirklich miteinander Sex gehabt? Nein, das wäre doch etwas strange gewesen! Bei der Erinnerung an das Aufeinandertreffen mit Ines, spürte sie wie sich die Hitze in ihr erneut ausbreitete. Sie beide nackt, ihre Körper sich gegenseitig bewundernd, Ines‘ kühne Finger, die so zärtlich ihren Arm gestreichelt hatten, ihre wunderschönen Brüste, die verführerischen Lippen… Jule hielt in ihrer Arbeit inne und atmete tief durch. Es war schon so lange her, dass eine andere Frau sie dermaßen erregt hatte. Die letzte war Nadja, ihre Ex, als diese für kurze Zeit als Anstaltsärztin in Reutlitz war und das war Jahre her, noch vor ihrem Selbstmordversuch. Jule setzte sich auf den Boden und zündete sich eine Zigarette an. Gedankenvoll schaute sie den Rauchwolken nach und lächelte verträumt.  Sie war beeindruckt von ihrem toughen, ausgeglichenen Wesen, wie sie sich gegen Ilse und Jeannette behauptete und versuchte aus dem Knastalltag das Beste zu machen. Sie sah Ines´ schönes Gesicht vor ihrem inneren Auge, roch ihren warmen weiblichen Duft, hörte ihre rauchige, weiche Stimme. Noch keine Woche kannte sie ihre neue Zellengenossin, doch bereits jetzt hatte sie Jule völlig den Kopf verdreht. „Ja, ohne Zweifel. Ich habe mich verliebt. Verliebt in Ines Führbringer!“ Jule kicherte wie ein Teenager. So fühlte sie sich auch, wie ein unbeschwerter, verliebter Teenie. Dieses Gefühl hatte sie zuletzt… - ja das war sehr lange her, vor Reutlitz, vor den Drogen und vor ihrer verzweifelten Suche nach ihrer leiblichen Mutter, die sie bei der Geburt zur Adoption freigegeben hatte – als sie 18 Jahre alt war.

Walter war mit dem Wäschewagen unterwegs, um die Schmutzwäsche der Station einzusammeln. Auf dem Flur traf sie Jeannette, die Putzdienst hatte.
„Ich muss Dir ´was erzählen, Walter! Jule schon wieder!“ aufgeregt zupfte sie am Ärmel der Knastchefin.
Gelangweilt schaute Walter auf die kleinere Frau runter. „Hat Jule Dir Deine Anti-Faltencreme geklaut?“
„Ah‘ geh! So ein Schmarrn! Erwischt habe ich sie! Sie und die Führbringer, wie sie nackend unter der Dusche standen, ganz engumschlungen! Wären Ilse und ich nur fünf Minuten später gekommen, hätten sie´s miteinander getrieben!“ sprudelte sensationslüstern es aus der Tratschtante heraus.
„Verschon mich mit Deinem Geschwafel und vor allem: Hör auf über Ines blöde Gerüchte weiter in die Welt zu setzen! Sonst bekommst Du es mit mir zu tun!“ zischte Walter drohend Jeannette an.
Halb eingeschüchtert, halb beleidigt entgegnete diese: „Ist ja schon gut. Reg Dich ab, Walter! Aber was ich gesehen hab‘, hab‘ ich gesehen!“
Wortlos ließ die Knastchefin sie stehen und setzte ihre Einsammeltour fort. In ihrem Kopf rumorte es. „Natürlich hat die alte Ledertasche aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Bestimmt haben die nur herumgealbert oder die eine hat die andere wegen irgendwas getröstet.“ überlegte Walter, um sich zu beruhigen. Doch in ihrem tiefsten Inneren nagte die Eifersucht an ihr. Jule war schon lange allein, außerdem hatte sie ein leidenschaftliches Temperament. Was wäre, wenn sie sich wirklich in Ines verknallt hätte? Walter könnte es nur allzu gut nachvollziehen; sie selbst hatte sich schon längst in Ines verliebt. Schon auf der Flucht, als sie Ines bei Gomulka zum ersten Mal sah. Nur waren da andere Dinge wichtiger und hielt diese zunächst für hetero. Nach Andreas‘ Tod hatte Walter sich ihre Gefühle versagt. Ihr Bruder unter der Erde und sie turtelte gleichzeitig mit Ines herum, wäre ihr damals geschmacklos vorgekommen. Der Hauptgrund, weshalb sie die ganze Zeit zu Ines Abstand hielt. Aber nun musste sie einen Schritt auf sie zugehen, bevor Jule ihr Ines wegschnappte. Andreas hätte es wohl auch so gesehen.

Zur gleichen Zeit in der Gefängnisküche: Ines schnitt Pellkartoffeln in Scheiben und warf sie in eine große Schüssel. Es gab heute Omelette mit Bratkartoffeln und Spinat. Doch ihre Gedanken waren völlig woanders – sie kreisten um die Begegnung im Waschraum. Es war prickelnd gewesen. Zunächst wollte sie sich eigentlich nur von der Sache mit Walter ablenken, jedoch hatte sich eine Eigendynamik entwickelt, die aus ein bisschen „Spannen“ wesentlich mehr machte. Doch so überraschend kam diese Situation gar nicht zustande. Denn als Jule noch nicht wieder auf Station war, hatte sie sich bereits mit ihr beschäftigt. Genau genommen waren Ilse und Jeannette daran schuld. Sie erzählten viel von dieser Jule Neumann, die heroinabhängig war und ihre Sucht überwand, die in Reutlitz ihre leibliche Mutter fand, nach der sie lange gesucht und mit sie immer wieder so große Probleme hatte. Später kam noch ihre Großmutter, eine Mafiapatin, her. Jule wurde damals von einer Schließerin erpresst sie zu bespitzeln. Was für Jule um ein Haar tödliche Konsequenzen gehabt hätte. Doch sie hatte sich gefangen, nicht nur, dass sie clean blieb, nein, sie hatte inzwischen eine Ausbildung in der gefängniseigenen Gärtnerei begonnen. Nur natürlich, dass Ines da neugierig auf diese Frau wurde. Ilse hatte ihr dazu noch Fotos von Jule gezeigt. Bereits da hatte Ines sich zu der Jüngeren hingezogen gefühlt – Jule mit ihren dunklen, langen Locken und den lebendigen großen Augen, von denen man direkt ablesen konnte, in welcher Stimmung die Frau, zu der sie gehörten, gerade war. Sogar auf den Bildern! Und dann traf sie sie live und in Farbe! Ines war sofort verzaubert gewesen! Das war ihr vorher nie passiert. Sie hatte bereits viele Männer und auch einige Frauen gehabt, aber das hatte sich immer einfach so entwickelt oder weil sie sich ein Vorteil davon versprochen hatte. So war es mit Gomulka und auch mit Andreas gewesen. Schaudernd erinnerte sie sich daran. Der Sex mit den Beiden hatte ihr alles andere als Spaß bereitet, geschweige denn, dass er Ines befriedigt hätte. Er war nur Mittel zum Zweck gewesen, um Gomulka zufrieden zu stellen und um Andreas an sich zu binden, damit sie bei der geplanten Flucht mit seiner Schwester nicht das fünfte Rad am Wagen hätte sein zu müssen. Viele hielten sie deswegen für ein berechnendes Biest, aber sie hatte es nicht anders gelernt. Ines war in einem halbkriminellen Milieu aufgewachsen, musste sich durchboxen  und auch wenn sie eine Lehre absolvieren konnte, hatte sie es nie geschafft daraus auszubrechen. Bis zum heutigen Tag nicht. Ihre Motto war stets: Nie aufgeben, immer tapfer sein und das Beste aus der jeweiligen Situation machen. Weit gebracht hatte es sie nicht – im Knast war sie gelandet damit. Und jetzt hatte sie Jule kennengelernt. Unwillkürlich musste Ines lächeln als sie an die Frau mit den wundervollen blauen Augen dachte. Einer solchen Frau wie sie war sie noch nie begegnet, und schon gar im Bett gewesen. Ihr Lächeln gefror ihr im Gesicht. Das waren eher so Typen wie Walter, der Sex war mit ihnen zwar wesentlich besser als mit den Kerlen, doch hatten sie außerhalb des Betts meist noch eine schlimmere Macho-Attitüde drauf. Nein, sie war ungerecht. Sie mochte Walter sehr gern, sie war ein feiner Mensch unter ihrer harten Schale und Ines hatte großes Mitgefühl mit dieser trauernden Frau.
„Hey, Ines, willst Du halb Berlin mit Bratkartoffeln beliefern? Es muss noch morgen für das Püree etwas übrig bleiben morgen!“ unterbrach Wilhelmina sie in ihren Grübeleien.
Seufzend ging Ines mit der Schüssel zum Herd.

Jeannette war in ihrem Element. Eifrig ließ sie sich von Ilse ihr Mittagessen geben und setzte sich an den Tisch, der an der Essensausgabe am nächstgelegenen war, so dass sie alles im Blick hatte. Ines würde auch die Speisen verteilen. Jeannette hatte seit spätestens heute Morgen den Verdacht, dass außer Jule auch Walter ein Auge auf Ines geworfen hatte, sonst hätte die Knastchefin sie nicht so barsch angepflaumt. „Diese Lesben sind echt wie räudige Hunde!“ flüsterte sie leise zu sich selbst, „Aber egal.“ Derzeit war es auf der B eher öde, es gab keine Machtkämpfe und es wurde auch keine Gefangene gemobbt. So boten diese Leckschwestern die einzige Unterhaltung.
Nun kam die Neumann herein; sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd als sie die Führbringer erblickte und diese lächelte auch ganz verzückt. Der Junkie trödelte an der Theke herum. „Klar, die will mit der Hehlerin schäkern.“ Jeannette beobachtete alles ganz genau.
Nun kam Walter herein. In freudiger Erwartung einer Eifersuchtsszene, wackelte die Wienerin aufgeregt auf ihrem Stuhl herum. Doch leider kam Kittler dazwischen, mahnte Jule zur Eile, worauf diese die Essensausgabe verließ. Aber jetzt trat Walter an die Theke, Ines überreichte ihr den Teller und beide schauten sich ernst und ganz intensiv in die Augen. Dann nahm Walter ihr Tablett und kam rüber zu den Tischen. Ines schaute ihr mit einem traurigen Gesicht hinterher.
Jeannette schlug sich leicht mit dem Zeigefinger auf die Lippen, sie dachte scharf nach. „Hmm! Mit dem Junkie ist das wohl etwas Körperliches. Klar; die ist ja auch jünger und hübscher. Aber die Walter ist auch nicht aus dem Rennen, das scheint eher ´was Pathetisches. Für wen wird sich die Führbringer entscheiden?“
Nach einigen Augenblicken hellte sich Jeannettes Miene auf. „Ha, das ist es! Ich muss nachher mit Ilse reden! Wir ziehen eine Wette auf! Walter oder Jule! Dann kann ich mit diesen Lesben noch etwas Geld verdienen. Bestimmt beteiligen sich die anderen auch daran. Also, ich tippe auf Walter. Gegen unseren Boss hat so ein Junkie wie Jule über kurz oder lang eh‘ keine Chance. Und wenn doch, muss ich halt etwas nachhelfen.“ Zufrieden mit ihrem Einfall widmete sich Jeannette ihrem Essen, das schon fast kalt geworden war.

Am späten Nachmittag kamen die Frauen von ihren jeweiligen Arbeitsstätten zurück auf die Station. Nun hatten sie hatten sie Zeit zur freien Verfügung. Einige zogen sich in ihre Zellen zurück, ein paar wenige gingen in den Fitnessraum, manche verbrachten den Abend im großen Foyer der B, wo auch Flipperautomaten, ein Kicker und ein Billard-Tisch standen und andere waren im Aufenthaltsraum, dort stand auch der einzige Fernseher der Station. Jule lief ungeduldig mit einer Zigarette in der Hand in ihrer Zelle auf und ab. Sie wartete auf Ines. Sie musste unbedingt mit ihr reden.
Endlich nach einer gefühlten halben Ewigkeit kam Ines herein, sie hatte einen Bademantel an. Fast entschuldigend grinste sie Jule an. „Ich war ausgiebig baden. Das war auch notwendig, nachdem uns die Grazien heute Morgen beim Duschen gestört haben.“
Verlegen lachte Jule, ihre Selbstsicherheit, die sie zu früher Stunde noch im Waschraum besaß, war verschwunden. Was, wenn diese sinnlichen Augenblicke für Ines nur ein Ausrutscher waren? Sie schaute scheu unter sich. „Das war echt ´ne Aktion!“ erwiderte Jule doppeldeutig.
„Bereust Du´s?“ entfuhr es Ines.
Verwundert hob Jule ihren Blick und instinktiv widersprach sie: „Nein! Wieso denn? Es war doch…“
Ihre Zellengenossin beendete den Satz. „Schön. Ich dachte halt. Weil wir uns doch erst kurz kennen.“
Sie lächelten sich erleichtert an. Und langsam bekam Jule ihre Sicherheit zurück. Sie trat ganz dicht an Ines heran und legte eine Hand auf deren Schulter. „Nun ja, wir sind halt sehr schnell miteinander warm geworden. Find ich aber nicht schlimm. Ganz im Gegenteil.“ Zärtlich streichelte Ines ihre Wange und schaute ihr liebevoll in die Augen.
„Da kann ich Dir nicht widersprechen, Jule. Aber kalt hast Du mich von Anfang an nicht gelassen.“
Als Antwort wollte Jule sie küssen, da hörten sie schon die Wilhelminas und Nancys aufgelöste Stimmen nah an der Zellentür.
Genervt stöhnte das Paar auf. „Ich werd´ hier noch wahnsinnig.“ grollte Jule. Sie lösten ihre Umarmung. In dem Moment standen die beiden Störenfriede schon im Raum. „Hallo Ihr zwei, wir müssen etwas unternehmen. Paula macht Nancy fertig. Sie beleidigt sie ständig und eben hat sie ihr sogar Prügel angedroht.“ platzte es aus Wilhelmina heraus, die weinende Nancy neben sich.
Weil sie geistig zurückgeblieben und schwer übergewichtig war, wurde Nancy Konnopke öfters von den anderen Gefangenen schikaniert. Jule kannte dies aus eigener Erfahrung nur so gut, wenn auch aus anderen Gründen. Sie fuhr sich über die Stirn, darum fühlte sie sich mit Nancy solidarisch.
„Kommt setzt Euch. Ich besorg´ uns eine Kanne Tee. Dann reden wir über das Ganze.“ Ines war bereits auf dem Weg zur Tür, bevor sie sie erreichte, drehte sie sich noch rasch um und zwinkerte Jule zu.

Einen Tag später. Ilse kam sich etwas schäbig vor, weil sie auf Jeannettes Wette eingegangen war. Schließlich ging es da um die Gefühle von Menschen. Doch ihr Zocker-Naturell setzte sich gegen ihre Bedenken durch. Sie würden ja nicht in das Schicksal der Frauen eingreifen, sondern bloß etwas Wahrsagerinnen spielen. Zu viele durften aber auch nicht mitmachen, der Gewinn wäre dann für die einzelnen kleiner und das Risiko würde außerdem zu groß werden, dass Walter, Ines und Jule es herausbekommen würden. Andrea Burgschulte machte auf jeden Fall auch mit, die tippte ohne groß zu überlegen auf Jule, denn die hatte ihrer Meinung nach als Zellengenossin mehr Gelegenheit Ines näherzukommen. Ilse hingegen hatte sich die Entscheidung schwerer gemacht. Sie würde es sowohl Walter als auch Jule gönnen. Doch mit Walter verband Ines die tragische Vergangenheit mit Andreas‘ Tod, dies würde den Ausschlag geben, glaubte Ilse. Also schloss sie sich Jeannette an.

Ines schlenderte gemeinsam mit  Nancy und Wilhelmina über den Hof. Gespannt beobachteten sie Jule, die sich mit Paula unterhielt, damit diese in Zukunft Nancy in Frieden ließe. Am Vorabend hatten die vier Frauen beschlossen, dass Jule am besten geeignet dafür wäre. Ines hatte zunächst Wilhelmina dafür vorgeschlagen, da sie dunkelhäutig war und sie leider daher öfters mit rassistischen Anfeindungen zu kämpfen hatte. Doch Jule erinnerte an ihren Selbstmordversuch. Den hatte sie unternommen, als die anderen Gefangenen herausbekamen, dass sie ihre eigene Großmutter bespitzelt hatte. Daraufhin hatten die anderen Gefangenen sie furchtbarst bestraft – sie hatten ihr mit einem Messer das Judas-Zeichen in die Stirn geritzt. Derartig entstellt wusste Jule keinen Ausweg mehr als sich zu erhängen. Zum Glück wurde sie damals gerade noch rechtzeitig entdeckt. Die verantwortliche Schließerin, die Jule zu dem Spitzeln erpresst hatte, wurde aus Reutlitz entfernt. Mona Suttner, Jules Mutter, bezahlte einen Spezialisten, der das hässliche Mal mittels Laser-OP aus ihrem Gesicht entfernte. Doch diese Ereignisse hatten bis heute Narben auf ihrer Seele hinterlassen. Davon wollte sie Paula Vogel erzählen. Ines war entsetzt gewesen,  als sie diese Geschichte das erste Mal gehört hatte, da war Jule noch nicht wieder auf Station. Von Ilse hatte sie hatte es damals berichtet bekommen. Ines schaute zu Jeannette rüber, die war damals an dieser Strafaktion beteiligt gewesen. „Alte Kanaille!“ dachte sie wütend.
„Hi Ines! Haste ´ne Minute? Ich würd‘ gern mit Dir reden.“ Walter stand plötzlich vor ihr.
Erschrocken blickte Ines sie an. „Ja, sicher, Walter. Schieß los!“
„Ähm, allein unter vier Augen.“ druckste Walter herum.
Einerseits wollte Ines lieber auf Jule warten, um sofort zu erfahren, wie das Gespräch mit Paula gelaufen war, andererseits fühlte sie sich für Walters Trauer verantwortlich. „Gut. Setzen wir uns drüben auf die Parkbank.“ antwortete Ines und hakte sich bei Walter ein.

Jule hatte es geschafft. Paula hatte versprochen aufzuhören, Nancy zu piesacken. Voller Freude und Dankbarkeit schenkte Nancy ihr dafür eine große Packung Lollis. Sofort hatte sich Jule einen in den Mund gesteckt, seit sie weg vom Heroin war, war sie süchtig nach diesen Dingern und außerdem rauchte sie dadurch auch weniger. Gutgelaunt lief Jule durch die Station. Sie suchte Ines. Jetzt hätten sie vielleicht etwas Ruhe von den anderen. Sie kam in den Aufenthaltsraum und stutzte. Da saß sie. Und zwar mit Walter! Beide waren ganz vertieft in ihrem Gespräch. Ines hielt dabei Walters Hand. Überhaupt schienen sie sehr vertraut. „Die anderen meinten doch die beiden würden sich aus dem Weg gehen.“ dachte sie verstört. Jule überlegt gerade, ob sie zu den zwei Frauen hingehen solle, da sah sie, wie Walter ihren Kopf auf Ines‘ Schulter legte. Dieser Anblick versetzte Jule ein Stich ins Herz. „Ist das noch gegenseitiges Trösten? Oder mehr?“ Niedergeschlagen verließ sie den Aufenthaltsraum und ging zurück in ihre Zelle. Sie wollte allein sein.
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