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Hinter Gittern: Das wahre Ende

von Lenara
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P16 / MaleSlash
Bea Hansen Christine Walter Grit Krause Ines Führbringer Lena Baumgarten Manuela Wellmann
28.03.2007
28.03.2007
1
4.211
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Dieses Kapitel
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28.03.2007 4.211
 
Bekanntlich endete die Serie „Hinter Gittern – Der Frauenknast“ recht abrupt mit der 403. Folge und ließ viele Handlungsstränge und Fragen für die geneigten Zuschauerinnen und Zuschauer offen. Anlass für mich eine Story zu schreiben, die, wäre sie ausgestrahlt worden, für einen markanteren Schluss gesorgt hätte, als es tatsächlich der Fall war, und vielleicht ein Anknüpfungspunkt für „Hinter Gittern – The next generation“  gewesen wäre.

Inspiriert zu dieser Geschichte hat mich das großartige Musikvideo „A quoi je sers“ von Mylène Farmer. Diejenigen, die diesen Clip kennen, können sich vielleicht schon denken, auf was die Story hinausläuft, aber mehr möchte ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Lest selbst! Über Recaps würde ich mich sehr freuen. So, jetzt aber genug erklärt! Viel Spaß!


DAS WAHRE ENDE

Es war sechs Uhr morgens. Ein neuer Tag begann in der JVA Reutlitz. Mit emotionsloser Miene schritt die Justizvollzugsbeamtin Iris Römer zu jeder Zelle, sperrte sie auf und rief stets mit fester Stimme hinein: „Aufstehen, meine Damen! Beeilen Sie sich!“ Lena wurde schon wach, bevor die Schließerin zu ihnen kam. „Ah, daran werde ich mich nie gewöhnen. Guten Morgen, Walter.“ Sie blickte zu ihrer Zellengenossin und Freundin Walter. Müde erwiderte diese: „Was soll an diesem Morgen gut sein…“ Ein heftiger Hustenanfall unterbrach Walters Rede. Sie hatte schon seit Wochen mit einer heftigen Erkältung zu kämpfen. Mühsam erhob sie sich aus dem Bett, wobei ein plötzlicher heftiger Stich in der Brust sie wieder aufs Bett zurückfielen ließ. Besorgt legte Lena ihre Hand auf Walters Schulter – „Meinst Du nicht, dass es besser wäre, wenn Du endlich zu Dr. Kilian gehen würdest? Doch Walter tätschelte beruhigend Lenas Hand und erwiderte lächelnd: „Ach, so eine kleine Erkältung haut mich schon nicht um. Außerdem muss ich doch Mareen, Sarah und Grit im Auge behalten und das geht nicht, wenn ich mich vom Doc vollquatschen lasse. Auf einmal behält der mich noch auf der Krankenstation.“ Sprach´s und gab Lena einen kleinen Kuss auf den Mund. „Du bist unmöglich, Walter!“ lachte ihre junge Freundin kopfschüttelnd. Da hörten sie schon Iris Römer an ihrer Zellentür. „Aufstehen, meine Damen! Beeilen Sie sich!“

Später beim Morgenappell trat der Schließer David Willborn zu Lena. „Frau Baumgarten, ich wollte Ihnen nur sagen, dass Ihr Mann Sie eine Stunde später besuchen kommt. Er hat vorhin angerufen.“ Lena bedankte sich für die Information, als Grit sie anstieß – „Na, fährste doch noch nicht hundertprozentig die Lesbentour?!“ Dabei lachte sie dreckig und schaute zu Walter, die sie sofort am Kragen packte und sie anbrüllte: „Das geht Dich einen Scheiß an! Wenn ich Du wär´, würde ich den Ball ganz flach halten. Ich bin Eurer Drogendealerei schon längst auf der Spur.“ Grit versuchte sich aus dem Griff zu entrinnen. „Du kannst uns gar nichts. Wir haben nichts damit zu tun. Außerdem würde ich mich an Deiner Stelle lieber um Dein kleines Betthäschen kümmern. Ihr Stecher besorgt´s Ihr doch besser als Du.“ Walter wollte gerade zuschlagen, als Willborn dazwischen ging. „Was ist denn hier los, Frau Walter, Frau Krause?“ Wutschnaubend stieß Walter Grit von sich. Mareen kam hinzu, hakte sich bei Grit ein und zog sie mit sich. „Alles in Ordnung, Herr Willborn.“ Der Beamte schaute zögerlich zu den Frauen und wandte sich dann ab. „Verdammt, Lena! Warum lässt Du Dich von Deinem Noch-Mann noch besuchen? Wir sind doch jetzt zusammen!“ fuhr Walter Lena an. „Versteh Doch! Wir müssen noch so viel miteinander klären. Das will ich von Angesicht zu Angesicht tun.“ Grit fasste nach Walters Arm. Doch verärgert zog Walter ihn fort und ging weg. Mareen beobachtete amüsiert die Szene und flüsterte leise zu Grit „Gut gemacht. Walter ist so beschäftigt mit ihrer kleinen Freundin, da kommt sie uns nicht in die Quere. Apropos, hast Du die Pillen auch gut versteckt?“ Stolz erwiderte ihre Komplizin: „Ja, hab´ ich. Hier in die Jackentasche eingenäht. Fühl mal den Saum!“ Mareen überprüfte unauffällig die Jacke und tatsächlich konnte man die Exstasy-Pillen nicht erspüren. Zufrieden nickte die elegante Reutlitzer Drogendealerin ihr zu.

Nach dem Gespräch mit ihrem Mann Rudolph kam Lena gedankenverloren zurück in die Wäscherei. Stumm trat sie an die Waschautomaten und befüllte sie mechanisch mit der Schmutzwäsche. „Na, wie ist´s gelaufen, Lena? Will er Dich immer noch zurückhaben? Hast Du ihm von uns erzählt?“ fragte Walter sie aufgeregt. „Ach, Walter. Jetzt dräng mich doch nicht so! Das Ganze hat mich ganz schön mitgenommen.“ Lena schloss müde die Augen. „Mich nimmt das auch mit. Diese Ungewissheit, ob Du auch wirklich zu mir stehst. Nicht nur hier im Knast!“ Walter sah ihr eindringlich ins Gesicht. Doch Lena wandte sich ab, nahm einen vollen Wäschekorb und erwiderte ungehalten: „Lass mich doch dieses Gespräch erst mal verdauen! Du attackierst mich ja richtig! Verflucht noch mal!“ Dann ging sie nebenan ins Wäschelager. Wütend trat Walter gegen den Wäschewagen. Süffisant grinsten sich Rosie und Babs an, die das gesamte Wortgefecht mitbekommen hatten.

Müde und erschöpft lehnte sich Lena im Wäschelager an ein Regal. Sie zog ihre Jacke aus und schmiss sie auf einen dreckigen Kleiderstapel. „Erst mal kurz durchatmen. Wieder zur Ruhe kommen.“ dachte sie. Dann hörte sie aus der hintersten Ecke ein Geräusch. Es war Grit, die eine kleine Rauchpause gemacht hatte. „Na, müde vom Poppen? Gell, Dein Mann ist doch etwas anders als die alte Walter!“ grinste die drahtige Frau. „Lass mich doch einfach in Ruhe, Grit.“ erwiderte Lena matt. Bevor Grit etwas entgegnen konnte, ging die Tür auf und Iris Römer erschien. „Kommen Sie mit, Frau Krause. Die Schmutzwäsche muss eingesammelt werden. Und ziehen Sie wieder ihre Jacke an.“ Augenrollend griff Grit nach Lenas Jacke, die über ihrer eigenen lag und folgte der Beamtin.
Nachmittags in der Hofpause. „Walter, Du musst mit Lena reden. Entschuldige Dich bei ihr.“ riet Uschi. Die beiden hatten sich von der restlichen Clique abgesondert, um in Ruhe miteinander reden zu können. „Vermutlich hast Du Recht.“ gab Walter zerknirscht zu. Sie ging zu Lena, die allein auf einer Bank saß. „Verzeih mir bitte. Ich war unsensibel. Ich weiß, Du brauchst Zeit, um das alles mit Deinem Mann zu klären. Schließlich wart Ihr lange zusammen.“ geknickt schaute Walter auf den Boden. Lena schaute in die Ferne als sie ihrer Freundin antwortete. „Das ist es nicht, weshalb ich vorhin so harsch reagiert hab. Oder zumindest nicht nur. Vorhin habe ich von Rudolph die Scheidung verlangt. Er willigte zwar ein, aber er wirkte so traurig und verletzt, so dass bei mir wieder das schlechte Gewissen hochkam.“ Dann sah sie Walter tief in die Augen. „Aber ich weiß zu wem ich gehöre. Zu Dir Walter und nicht zu ihm. Du gibst mir die Geborgenheit und die Liebe, die ich brauche.“  Bevor Walter sie erleichtert und selig in die Arme schließen konnte, trieb sie ein schlecht gelaunter Edgar Brock, der gefürchtetste Schließer von Reutlitz, auseinander. Die Pause war zu Ende.

Auf dem Weg zurück zu den Arbeitsstätten trat Rosie nah an Grit heran und fragte, ob sie eine Pille für sie habe. Als Grit daraufhin vorsichtig den Saum auftrennte, bemerkte sie entsetzt, dass die Drogen sich nicht dort befanden. Sie starrte mit großen Augen ihre Kumpanin an. „Scheiße, ich habe die Jacke von der Baumgarten erwischt. Und die trägt jetzt die Pillen spazieren. Fuck!“ Achselzuckend meinte Rosie dazu nur. „Na, dann bringe sie schnell wieder her, sonst macht Mareen Hackfleisch aus Dir.“ Grit schluckte hart. „Ja, heute Abend hole ich sie zurück. Aber Du und Rosie müsst vor der Zelle Schmiere stehen und die anderen ablenken.“ „Das kostet aber extra.“ grinste Rosie. Grit nickte nur; sie arbeitete im Kopf schon an einem Schlachtplan, wie sie wieder an ihre Jacke und die Pillen kam.

Beim Abendessen quälte Walter erneut ein heftiger Hustenanfall und auch dieser schmerzende Stich in der Herzgegend machte sich wieder bemerkbar. „Mensch Walter, Du solltest Dich wirklich mal durchchecken lassen.“ meinten Uschi und Lena unisono.  Walter fühlte sich in der Tat heute ziemlich schlapp, aber wollte sich nichts anmerken lassen. „Quatsch, ich habe mich nur am Brot verschluckt.“ Die anderen am Tisch zuckten nur die Schultern; Walter war für ihren Starrsinn bekannt und weshalb sollten sie wegen einer Erkältung mit ihr einen Streit anzetteln. Wenig später fröstelte Lena es etwas und darum beschloss sie schnell zu ihrer Zelle zu gehen, um sich etwas Warmes anzuziehen. Spaßend rief Walter ihr hinterher: „Na, wer bekommt denn hier eine Erkältung?“ Als Antwort streckte Lena ihr lachend die Zunge raus. Walter schaute ihr schmunzelnd hinterher. Sie war glücklich. Endlich hatte sie ihren Engel für sich allein, jetzt da Lena endgültig mit Rudolph Schluss gemacht hatte.

Währenddessen standen Rosie und Babs, die fast immer im Doppelpack anzutreffen waren, vor Walters und Lenas Zelle Wache, damit Grit unentdeckt die beiden Jacken austauschen konnte. Edgar Brock jedoch bellte die Zwei an, wieso sie dort herumstanden und schickte sie in den Aufenthaltsraum. Wiederwillig fügten sie sich, weil sie sich nicht verdächtig machen wollten; sonst wäre womöglich der Schließer noch auf die Idee gekommen in der Zelle nachzusehen. „Hoffentlich geht das gut.“ flüsterte Babs. Rosie zuckte nur mit den Schultern. „Na, jetzt ist sie auf sich allein gestellt. Was ist sie auch so doof und verschlampt die Pillen.“ Ihnen entgegen kam Lena, die Brock erklärte, dass sie nur schnell ihre Jacke holen wollte und dann wieder zurück zu den Frauen gehen würde. „Scheiße!“ entfuhr es den beiden Frauen entsetzt.

Nach einigem Suchen hatte Grit die Jacke gefunden; sie trennte rasch den Saum auf, um dieses Mal sicherzugehen, dass sich auch die Drogen wirklich darin befanden. In dem Moment, als Grit zufrieden die bunten Pillen in die Hand nahm, kam Lena die Tür herein. Mit einem Blick erfasste sie die Situation. „Auf frischer Tat ertappt, Grit. Endlich können wir Euch Euren Drogenhandel nachweisen.“ Völlig geschockt stand ihre entlarvte Mitinsassin einfach nur da. Lena wollte gerade wieder aus der Tür treten und die Schließer rufen, als ihre Gegnerin sich wieder sammelte und blitzschnell Lena an den Schultern packte und zu Boden riss. Grit wusste, was sie zu tun hatte. Lena war durch den plötzlichen Angriff so überrascht, dass nicht nach Hilfe rief, geschweigen denn, dass sie sich zur Wehr setzte. Instinktiv nutzte Grit die Situation. Sie setzte sich rittlings auf Lenas Brustkorb, wobei ihre Beine die Arme ihrer Kontrahentin auf den Boden presste; gleichzeitig nahm sie Lenas Kopf und knallte ihn mehrmals auf den harten Betonboden. Lena hatte bereits das Bewusstsein verloren; doch Grit ließ immer noch nicht von ihr ab. Es gab für sie kein Weg mehr zurück. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und schlug mit aller Kraft mehrmals auf Lenas Schläfen. Sie wusste, dass solche Hiebe absolut tödlich waren. Dann überprüfte sie, ob ihre Gegnerin noch Lebenszeichen von sich gab. Schließlich erhob sie sich und mit einem harten Grinsen im Gesicht blickte sie auf die Frau, deren Blut langsam eine Pfütze auf dem Boden bildete. Lena Baumgarten war tot. Geräuschvoll atmete sie aus, dann griff sie beide Jacken und die Pillen und öffnete die Tür. Die anderen Frauen waren alle noch beim Abendbrot und die Schließer, die da waren, standen mit dem Rücken zu ihr. Die Luft war rein. Sorgfältig wischte sie ihre Fingerabdrücke von der Klinke, verließ dann leise und unbemerkt den Tatort, um zu ihrer Zelle zu gehen und dort die Drogen an einem sicheren Ort zu verstecken.

In der Zwischenzeit machte sich Walter langsam Sorgen um ihre Freundin. Sie beugte sich zu Uschi rüber. „Mensch, wo bleibt Lena? Sie wollte sich doch nur etwas Warmes anziehen. Ich werde besser  nach¬sehen.“ Uschi hatte ebenfalls ein ungutes Gefühl. „Soll ich mitkommen, Walter?“ Energisch schüttelte Walter den Kopf. „Lass mal. Außerdem wollte ich eh´ mal ungestört mit ihr allein reden. Fangt mit dem Billard schon mal ohne mich an.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie aus dem Aufenthaltsraum.

Als Walter die Zellentür betrat, überkam sie wieder ein heftiges Stechen in der Herzgegend. Sie schnappte nach Luft und schloss die Augen. Als sie sich wieder erholte, zog sie die Tür zu und drehte sich um. Sie schrie laut auf. Sie erblickte erst jetzt ihre geliebte Freundin, wie sie da inmitten ihrem eigenen Blut lag. Walter erkannte sofort, dass Lena nicht mehr am Leben war. Heulend stürzte sie auf die Tote zu und drückte sie an ihre Brust. Verzweifelt küsste sie Lena, wobei sie selbst schon rasch vom Blut ihrer Geliebten befleckt wurde. Doch das merkte sie in ihrem Schmerz nicht. Sie nahm Lenas leichenblasses Gesicht in die Hände und wimmerte: „Nicht Du auch noch!  Wie konnte das nur geschehen? Ich liebe Dich doch! Du bist das Wichtigste in meinem Leben.“ Sie presste Lena immer stärker an sich und sank voller Pein auf den Boden.

Die Welt versank für die trauernde Walter. Das Lachen der Frauen, die Befehle der Schließer, das Zuknallen von anderen Zellentüren vernahm sie nicht mehr. Es gab für sie nur noch Lena und ihren Schmerz.

In der Zwischenzeit kamen Rosie und Babs in Grits Zelle. Die lag ganz entspannt auf ihrem Bett. „Hey, Ihr beiden! Warum seid ihr plötzlich abgehauen? Mensch, Ihr solltet doch aufpassen. Die Baumgarten hätte mich beinahe erwischt. Zum Glück konnte ich mich verstecken und als die ins Bad ging, bin ich schnell verduftet.“ log sie ihre beiden Kumpels an. Die Zwei entschuldigten sich zerknirscht bei ihr. Grit lachte in sich hinein, es hatte alles wie am Schnürchen geklappt. Sie hatte die Pillen wieder und eine Aufpasserin weniger. Darüber hinaus würde Walter wohl die nächste Zeit auch ausfallen und die trauernde Witwe spielen. Grit war optimistisch, dass sie keine Spuren am Tatort hinterlassen hatte. So konnte ihr später auch die Polizei nichts anhaben. Gutgelaunt schmiss sie eine Exstasy-Runde. Gewissensbisse hatte Grit Krause keine.

Walter lag immer noch mit Lena auf dem Boden ihrer Zelle. Ihr Wimmern hatte sich zu einem Stöhnen verwandelt. Plötzlich zogen kleine Nebelschwaden in der Zelle auf, die sich immer mehr zu einer durchdringenden, grauen Wand bildeten. Alles verschwamm um Walter. Ängstlich blickte sie um sich, aber außer grauen Nebelschleiern konnte sie nichts mehr erkennen. Die Betten, die Stühle, die Schränke, der Tisch - alle Gegenstände in ihrer Zelle waren wie verschwunden. Panisch schrie Walter auf. Von weit her hörte sie dann erst ein leises Surren, das sich dann zu einem kaum merklich lauteren Summen verstärkte. „Wer ist da?“ rief Walter voller Furcht. „Was geschieht hier?“ Doch sie bekam keine Antwort. Das Summen, obwohl an Stärke nicht zugenommen, schien immer näher an Walter heranzukommen. Sie blickte in jede Richtung, aber konnte immer noch nicht erfassen, was sich im Nebel verbarg. Sie schaute hinunter zur toten Lena. „Was geschieht hier nur, mein Engel!“ Doch ihre Freundin gab ihr keine Antwort. Sie drückte den Leichnam wieder heftiger an ihre Brust, doch anstatt den Leib stärker zu spüren, griffen Walters Arme und Hände wie ins Leere. Sie konnte Lena zwar noch sehen, doch war sie eher wie eine Projektion als wie ein Körper. Dann löste sich auch noch Lenas Bild auf. Ebenso konnte Walter den Boden, auf dem sie immer noch kauerte, nicht mehr sehen. Es war als wäre sie allein in einer dunklen, grauen Wolke gefangen. Mühsam stand sie auf und wollte fliehen, doch es war erfolglos. Die Nebelwand machte jeden Schritt unmöglich. Nun heulte Walter vor lauter Angst. Eine schreckliche Angst, die sie in ihrem ganzen Leben noch nicht erlebt hatte.

Der Nebel lichtete sich etwas und wurde heller, doch konnte Walter immer noch nichts sehen. Das Summen wurde lauter und plötzlich traten fünf schemenhafte Figuren hervor. Sie kamen immer näher und näher an Walter heran, doch diese vermochte es nicht, ihre Gesichter zu erkennen. Sie flüsterte: „Was wollt Ihr von mir? Wer seid Ihr? Habt Ihr mir auch Lena genommen?“ Das Summen hörte auf. Die Gestalten schritten noch näher zu Walter, als sie etwa zwei Meter von ihr entfernt waren, blieben sie stehen. Im Chor raunten sie: „Walter, die Zeit ist gekommen. Es ist nun soweit. Komm mit uns, Walter.“ Sie starrte auf die Wesen, nun konnte sie Details ausmachen, sie waren alle Frauen von schlanker Gestalt. Zwei von Ihnen, die außen standen waren wie sie von großem Wuchs, dann war eine weitere mit einer Uniform bekleidet, wie sie die Schließer in Reutlitz trugen, eine andere wiederum trug zwei Girlie-Zöpfchen. Vage kamen sie Walter bekannt vor. Nur von der fünften Gestalt, der kleinsten, die in der Mitte stand, vermochte Walter nichts zu erkennen. Sie rieb sich die Augen. Langsam legte sich der Nebel, bis lediglich eine Schicht auf dem Boden verblieb, die nur noch ihre Füße bedeckte. Jetzt sah sie die Frauen klar vor sich:

Es waren Susanne, Bea, Ines, Manu und in der Mitte Lena! Alle ihre toten Geliebten hatten sich vor Walter versammelt.

„Das kann nicht sein! Ihr seid doch tot!“ stammelte Walter fassungslos und blickte in die unbewegten Gesichter ihrer ehemaligen Freundinnen.
Mit eisiger Stimme antwortete Ines: „Ja, das sind wir und Du warst unser Todesengel. Jetzt werden wir fünf gemeinsam  Deiner sein.“
„Warum wollt Ihr mich umbringen? Ich konnte doch nichts für Euren Tod! Ines, Dich hat doch Natascha mit dem Eispickel getötet und Manu, bei Dir war es Liffers, die Dich erstochen hat. Bea, weißt Du nicht mehr, als Baumann uns in die Luft gejagt hat, ich wäre damals auch beinahe draufgegangen. Lena, als ich hierher kam, lagst Du schon tot auf dem Boden. Und Du, Susanne, Dich hat Mel bei diesem Banküberfall erschossen. Andere sind Schuld, dass ihr sterben musstet. Aber nicht ich!“ schrie Walter verzweifelt.
„Du verstehst nicht, Walter. Die Liebe zu Dir hat jeder einzelnen von uns den Tod gebracht. Du hast nicht selbst Hand angelegt, das waren in der Tat andere, aber durch Dich waren wir verdammt zu sterben.“ flüsterte Manu unerbittlich.
Walter spürte, dass Manu recht hatte. Sie selbst fühlte spätestens als Ines, ihre dritte Geliebte, die einen gewaltsamen Tod fand, in ihren Armen starb, dass ein Fluch über sie lasten musste. Doch antwortete sie und wandte sich an Susanne: „Aber bei Dir war es anders. Du warst die Erste. Aber wir hatten uns schon längst getrennt als Du starbst und ich habe mich um Deine Tochter Nina gekümmert.“
Susanne lachte heißer. „Aber danach hast Du Dich mit meiner Mörderin angefreundet.“
„Mir hast Du ewige Liebe geschworen. Keine andere Frau würdest Du mehr so lieben können wie ich…“ hauchte Bea.
Ines unterbrach sie: „Dann kamen Ariane und Sascha und Deine angeblich so große Liebe Bea war vergessen, jedoch  waren sie so klug, sich nicht in Dich zu verlieben. Doch ich machte den Fehler und musste ihn teuer bezahlen. Auch ich wurde Dein Opfer, obwohl wir dann später zu Feindinnen wurden, als Natascha mich erstach.“
„Ich war die Nächste an der Reihe. Vielleicht hätte ich mich durch meinen Seitensprung mit Ayse noch retten können, doch leider entschied ich mich zu Dir zurückzukehren. Doch wie wurde es mir gedankt? Mit dem Tod und es vergingen keine zwei Monate als Du Dich in Lena verliebtest und wie meine drei Vorgängerinnen war auch ich schnell vergessen.“ urteilte Manu mit harter Stimme.
Dann sprach Lena: „Und ich bin die letzte Geliebte, für die Du der Todesengel warst. Es ist vorbei, Walter. Wir können es nicht zulassen, dass Du noch weiteren Frauen den Tod bringst. Wir werden Dich aus dem Reich der Lebenden entfernen.“
„Verschont mich! Lasst mich leben! Ich liebe Euch doch alle. Ich habe stets Euer Andenken gewahrt, aber ich konnte nicht allein sein, suchte Trost und wollte wieder Liebe finden. Ihr habt mich doch auch geliebt. Lena, heute Nachmittag hast doch noch gesagt, dass Du zu mir gehörst. Habt Gnade!“ flehte Walter.
„Du kannst uns nicht mehr täuschen. Dein Flehen ist umsonst. Wir alle wissen: Deine Liebe zu jeder einzelnen von uns war nicht von Dauer, Walter. Deine Reue kommt zu spät. Dein irdisches Dasein ist nun vorbei.“ flüsterten die fünf toten Frauen wieder im Chor. Sie traten näher an Walter heran und bildeten einen Kreis um sie.

Walter versuchte aus dieser Umzingelung zu entfliehen. Doch es gab kein Entrinnen für sie. Der dichte Nebel stieg wieder empor und umschlang so fest ihre Beine, so dass sie hilflos auf den Boden sank. Sie schlug nach ihren toten Geliebten, die Hiebe blieben jedoch wirkungslos und konnten den Wesen nichts anhaben. Sie zogen einen immer engeren Kreis um Walter. Die langjährige Knastchefin unter den Insassinnen kauerte mittlerweile ganz stumm mit  weitaufgerissenen Augen auf dem Boden. Sie wusste, es gab kein Entrinnen mehr für sie.

Die Wesen waren inzwischen so nah an Walter heran geschritten, dass diese ihren eisigen Hauch spürte. Dann stoppten sie ihre Bewegungen. Sie begannen zu murmeln: „Walter, wir kommen Dich holen. Das ist Dein Ende. Die Zeit ist gekommen.“  Dabei hoben sie ihre Arme und bildeten ein Dach über die Todgeweihte. Mit letzter Kraft schrie Walter voller Grausen: „Hilfe! Hört mich jemand? Mel! Uschi! Sie werden mich töten! Hilfeeeeeeeeee!“ Doch ihr Schrei verhallte ungehört. Als sich die Hände der fünf Toten berührten, blitzte schlagartig ein helles Licht auf, das die gesamte Zelle ausfüllte. Dies war das Letzte, was Christine Walter, von allen nur bei ihrem Nachnamen gerufen, in ihrem Leben sah.

Auf der Station bemerkten die Frauen nichts von alledem. Mel, Uschi, Ruth und Angelika spielten fröhlich miteinander Tischfußball. Iris Römer, die mal wieder eine Doppelschicht fahren musste, turtelte mit Nathalie Sürth, der Tochter der Anstaltsleiterin, per Handy. Nicole und Wilhelmina vergnügten sich beim Billard. Ingrid, Ilse und Jeannette hatten sich in eine Zelle zurückgezogen, wo sie in Ruhe von Ilses Schnaps trinken konnten. In ihrer Zelle war auch Grit, die sich zusammen mit Rosie und Babs ihrem Exstasy-Rausch hingab. Miriam und Ginger hatten sich ebenfalls zurückgezogen und genossen leidenschaftlich ihre frische Liebe. Mareen und ihre rechte Hand Sarah besprachen indes in einer stillen Ecke, wie sie den Drogenhandel in Reutlitz ausweiten wollten. Und Edgar Brock arbeitete konzentriert an einem Bericht.

Kurz vor Zelleneinschluss wurde Uschi wieder unruhig: „Komm Mel, wir sollten mal nach Lena und Walter schauen. Seit dem Abendbrot haben sich die Beiden nicht mehr blicken lassen.“ Mel hatte jedoch dazu keine Lust. Sie wollte lieber auf ihre Zelle gehen und noch ein wenig Musik hören. „Lass die Zwei doch. Die liegen sowieso miteinander im Bett und poppen.“ Uschi insistierte jedoch: „Nein, irgendetwas stimmt hier nicht, Mel. Das sagt mir mein Gefühl. Außerdem müssen wir noch besprechen, wie wir gegen die Drogen in Reutlitz vorgehen wollen.“ Mel gab sich geschlagen. „Ja, ja. Okay, ich komm ja schon.“ Missmutig trottete sie Uschi hinterher. Sie klopften laut an Lenas und Walters Zellentür und traten dann ein. Mel rief direkt lautstark: „Na, Ihr zwei Turteltäubchen. Genug …“ Sie verstummte augenblicklich und erstarrte. Uschi schrie entsetzt auf. Teils neugierig, teils alarmiert,  liefen die anderen Frauen und die JVA-Beamten herbei. Es bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick: Lena und Walter – beide blutverschmiert - lagen engumschlungen tot auf dem Boden. Alle wussten in diesem Moment, dass hiermit in der Justizvollzugsanstalt Reutlitz – Station B eine Ära zu Ende gegangen war.

ENDE


Epilog

Die Obduktion ergab, dass Walter an akutem Herzversagen gestorben war; ausgelöst durch eine Herzmuskelentzündung, die von einer verschleppten Erkältung herrührte. Obendrein war der Schock aufgrund des Anblicks ihrer erschlagenen Freundin dann endgültig zu viel für ihr krankes Herz gewesen, mutmaßte der zuständige Pathologe darüber hinaus. Ilse Wünsche, eine Insassin, die Walter mit am längsten kannte, vermutete, da Lena, die insgesamt fünfte Geliebte Walters war, die ermordet wurde, dass dies endgültig das Herz der alten Knastchefin brach.

Rosie und Babs wurden als Erste wegen Lenas Ermordung von der Polizei verhört, da sie als letztes vor der Zelle gesehen wurden, doch sie konnten und wollten zur Tataufklärung nichts beitragen. Darüber hinaus konnten am Tatort keine verwendbaren Spuren sichergestellt werden, auch weil Walter, als sie in ihrer Trauer Lenas Leichnam fest an sich drückte, etwaiges wertvolles Beweismaterial zerstörte.

Die Frauen auf Station B spalteten sich schon bald in zwei Lager: Die einen um Uschi, Mel und Wilhelmina waren felsenfest davon überzeugt, dass Grit für den Tod von Lena und Walter verantwortlich war, aber weder sie noch die Polizei konnten ihr etwas nachweisen. Die anderen, angeführt von Mareen, Grit und auch Jeannette, vertraten vehement die Auffassung, wonach zunächst Walter im Streit ihre Freundin erschlug und dann aus Aufregung und tiefer innerer Verzweiflung einen tödlichen Herzanfall erlitt. Dafür sprachen die Eifersuchtsszenen der beiden an ihrem Todestag, die von mehreren Mitgefangenen bezeugt wurden. Diese Theorie fand mit der Zeit immer mehr Fürsprecherinnen und auch nicht wenige Schließer schlossen sich dieser Ansicht an. Von Lenas Entschluss, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, wussten sie nichts. Rudolph Baumgarten selbst, der die Wahrheit kannte, verlor gegenüber keiner Menschenseele ein Wort darüber, auch nicht gegenüber den ermittelnden Kriminalbeamten.

Ein halbes Jahr nach der Tat stellten Polizei und Staatsanwaltschaft offiziell die Ermittlungen im Mordfall Lena Baumgarten ein. Grit Krause wurde für den Mord nie zur Rechenschaft gezogen.

Die Verhältnisse änderten sich schon bald grundlegend. Mareen Bieler wurde zur unangefochtenen Knastchefin. Es gab keine ebenbürtigen Gegnerinnen mehr für sie. Mit ihren Assistentinnen Sarah und Grit an ihrer direkten Seite kontrollierte sie nicht nur den Drogenhandel sondern alle Geschicke im Knast. Dabei halfen ihr Kungeleien mit den Beamten. Als Gegenleistung sorgten Mareens Schlägerinnen für Ruhe und Frieden auf der Station B. Machtkämpfe zwischen den Frauen gehörten der Vergangenheit an. Mareen kontrollierte die B wie eine straff organisierte Firma.

Walters alte Bande löste sich indes langsam auf: Miriam und Wilhelmina wurden entlassen. Mel wurde durch ein von Sarah geschickt eingefädeltes Komplott in eine andere JVA verlegt, Uschi wurde aufgrund ihres Nierenleidens Haftverschonung gewährt und nur Ilse blieb allein übrig. Sie allein wahrte noch das Gedenken an Christine Walter, die langjährige Knastchefin von Reutlitz.
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