Terminator Band 2 - Unabwendbare Realitäten
von andilone
Kurzbeschreibung
Die Vergangenheit holt Karin, Simon und auch Natasha ein, Jahre nach ihrem Abschied von ihren geliebten Beschützern Daniel und Abbey. Ein Terminator taucht bei ihnen auf und eröffnet ihnen, dass sie zum künftigen europäischen Widerstand der Menschen gegen Skynet gehören werden und zur Terminierung anvisiert sind. Nachdem sie mithilfe der reaktivierten CPUs von Abbey und Daniel Verstärkung aus der Zukunft erhalten, sammeln sie eine ganze Gruppe junger Menschen ein, die mehr oder weniger traumatisiert auf die Offenbarung ihres künftigen Schicksals reagieren. Doch auch Skynet ist nicht untätig, so dass ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel quer durch halb Europa beginnt. Und ein ominöser, von den Rebellen geschickter T-X, der sich dezent helfend im Hintergrund hält, gibt allen Rätsel auf... wie nahe ist er ihnen wirklich, als sie ins Exil fliehen, ständig verfolgt von den unermüdlichen und erbarmungslosen Killercyborgs?
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
Terminator T-1000
Terminator T-800
Terminator T-850
Terminator T-X
22.12.2006
22.12.2006
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22.12.2006
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Auwald bei Grezhausen, , Deutschland 04. Juli 2004
„Schön, euch wiederzusehen, Karin, Simon. Wie geht’s, Natasha?“ Im heller werdenden Morgenlicht traten Daniel und Abbey zu der kleinen Gruppe verstörter junger Leute.
„Wie es einem so geht, nachdem das gesamte Weltbild zerstört worden ist“, gab diese fassungslos zurück und deutete wie in Trance auf den Neuling. „Das ist Caroline.“
„Wissen wir. Auch sie gehört zu der Gruppe von Leuten, die wir schützen sollen.“
Simon fiel Abbey um den Hals, was ein wenig seltsam aussah, da sie splitterfasernackt war. Ihm fiel auf, dass sie sich ein wenig kühl anfühlte. Er roch bei ihrer Umarmung unwillkürlich an ihrem langen naturroten Haar und sah ihr dann in die leuchtend grünen Augen. „Wir haben gedacht, wir sehen euch nie mehr. Wo kommt ihr auf einmal her?“
Die große, sehr athletisch und feminin gebaute junge Frau erwiderte: „Der Widerstand hat unsere CPUs, die ihr in die Zukunft geschickt habt, reaktiviert, Informationen von uns eingeholt und uns schließlich in neue T-880-Einheiten eingesetzt, nachdem sie uns Missionsparameter und betreffende Daten eingegeben haben. Wir sind vor allem zu eurem Schutz da, aber auch für viele andere Aufgeben, was euch und eure nähere Zukunft betrifft. Nach und nach werden wir euch in alles einweisen.“
„Ihr beide kommt echt aus der Zukunft?“ fragte Caroline völlig baff.
„Das ist richtig“, bestätigte Daniel. Er stand vor Karin, die ihn mit großen Augen schweigend ansah und nicht recht wusste, was sie mit ihm anfangen sollte. Schließlich rang sie sich dazu durch, ihn flüchtig zu umarmen, doch sobald der Körperkontakt hergestellt war, brach ihr innerer Widerstand zusammen und ihr Griff wurde fester und intensiver, bis er einem normalen Menschen weh getan hätte. Daniel jedoch stand nur da, ließ die Prozedur über sich ergehen und hielt sie seinerseits, jedoch sanfter und auf eine Weise, die ihr das Wasser in die Augen steigen ließen. Diese alte Vertrautheit drohte sie für einen Moment beinahe zu überwältigen, sodass sie erschrocken losließ.
„Und ihr seid so wie dieser Alex?“ Sie wies auf den kopflosen Torso am Boden. „Ihr seid gar keine Menschen?“
„Nein, genau genommen sind wir kybernetische Organismen, das heißt mit einer lebenden Außenhülle und Pseudoorganen versehen, doch von der internen Struktur her ähnlich wie dieses Modell dort, nur um einiges weiterentwickelt.“
„Warum seid ihr nackt?“
„Gute Frage. Aber was hast du an dem Kerl nur gefunden?“, spottete Natasha auch gleich, die Gelegenheit beim Schopfe packend, ihn mit süffisantem Grinsen umrundend und dann genau vor ihm verweilend, während ihr Blick an ihm hinabglitt.
Ungerührt erklärte er: „Ich bin einem real existierenden Mensch genau nachempfunden. Sämtliche Vorlagen für Terminatoren stammen von körperlich unversehrten Gefangenen Skynets. Und wir sind nackt, weil nur lebende Organismen durch das Zeitfeld kommen. Deshalb unsere Hülle aus lebendigem Gewebe und auch der Fisch, in dem ihr unsere Computerchips gesandt habt.“
„Aber... aber wie könnt ihr jetzt schon da sein, wenn dieser... dieser Fisch erst gerade abgeschickt wurde oder so?“ wollte Caroline hilflos wissen.
„Ein typischer Denkfehler, der im Zusammenhang mit Zeitreiseparadoxen gemacht wird. Deine Aussage ist korrekt, nur sind in der Zukunft insgesamt mehrere Wochen vergangen, bis wir bereit zur Entsendung in die Vergangenheit waren. Davon könnt ihr aber nichts merken, da wir eben an diesen Zeitpunkt zurückversetzt wurden. Allerdings gab es eine Panne.“
„Wie meinst du das, eine Panne?“, wollte Simon wissen, während er automatisch zu ihm trat und seinem ‚alten Freund’ die Hand schüttelte.
„Etwas stimmt nicht mit den Zeitverschiebungen. Bei der von NMF 2210 waren sowohl Ort als auch Zeit leicht abweichend von den Eingaben, vielleicht nur um ein paar Sekunden und Meter. Wir sind indessen anstatt gerade eben vor über einer Stunde zwei Kilometer westlich von hier in einem Maisfeld bei Geiswasser angekommen.“
„Komischer Ortsname, das sagt mir gar nichts“, bemerkte Natasha.
„Weil es in Frankreich liegt, deshalb. Es hat sich also noch immer nichts geändert, was diese Beziehung angeht“, stellte Daniel fest. „Der große unbekannte Nachbar Frankreich. Wir mussten durch den Rhein waten, da die nächste Brücke zu weit entfernt gewesen wäre, um es noch rechtzeitig hierher zu schaffen. Nun, da wir jetzt eine Elsässerin mit im Team haben, könnt ihr ja künftig eure deutsch-französische Freundschaft ein wenig pflegen.“
„Was für ein Team? Ich bin in keinem Team, und schon gar nicht mit euch. Ihr habt noch immer nicht gesagt, was das hier alles soll! Ich werde nicht...“
„Ich fürchte, deine Welt, wie du sie kennst, wird nicht mehr lange die selbe sein. Du kannst uns verlassen und sterben, oder du schließt dich uns an und überlebst. Es wird hart werden, doch du wirst leben und etwas Sinnvolles tun, nämlich in Zukunft viele Menschen vor dem sicheren Tod retten. Das sind leider die einzigen Alternativen, die du im Moment hast.“ Abbey legte Caroline verständnisvoll die Hand auf die Schulter, als sich deren Augen mit Tränen füllten. Es rollte jedoch keine einzige ihre Wangen hinab.
„Und wenn ich das gar nicht will? Wenn ich weiter studieren will und...“
„In einiger Zeit wirst du es verstehen. Wir werden euch nicht alles auf einmal eröffnen können, das wäre zu hart und unnötig grausam. Man kann seinem Schicksal nicht entfliehen, aber man muss es auch nicht unbedingt mit einem Baseballschläger eingehämmert bekommen. Bitte verzeiht den Vergleich, unsere Tarnung war ursprünglich die eines amerikanischen Studenten.“
„Gut, unser Begleiter besorgt uns gerade einen Wagen, da wir ja nun zu viele für eine Auto sind. Ich hole schnell etwas zum Anziehen aus eurem Lexus und ihr erzählt Daniel, was sich so getan hat, während wir... abwesend waren?“
„Begleiter? Das habt ihr wohl vergessen zu erwähnen“, merkte Karin an.
„Ja, natürlich. Da dieser T-800 durch den unglücklichen Unfall hier nicht mehr aktiv ist, hat man uns einen anderen zur unmittelbaren Unterstützung mitgeschickt. Er ist uns in der Hierarchie untergeordnet und soll uns vor allem in der Logistik unterstützen. Keine Angst, auch wenn er nicht so ‚helle’ scheint wie wir, so wird auch er im Laufe der Zeit dazulernen und ein wenig humaner wirken.“
Natasha beugte sich zu den Überresten von NMF 2210 hinab und sagte versonnen: „Eigentlich gar nicht so ungeschickt. Dieser Knabe hier wird schließlich inzwischen wegen Bankraubs, Autodiebstahls und Widerstandes gegen die Staatsgewalt gesucht. Wir sind hingegen nur die Opfer. Sogar falls man uns aufgreifen sollte, drohen uns keine Haftstrafen, denke ich.“
Daniel beugte sich neben ihr nieder und betrachtete ebenfalls das komplexe Innenleben der zerstörten Kampfmaschine. „Nicht zu verachten, deine Gedankengänge. Allerdings irrst du dich in zwei Dingen, meine Guteste.“
Sie sah ihn an. „Und die wären?“
„Zum einen kannst du nicht davon ausgehen, dass Karin, Simon und du nicht als Mittäter betrachtet werdet. Der Fahrzeugbesitzer im Parkhaus wird berichten, dass ihr nicht versucht habt zu fliehen oder euch sonst wie gewehrt habt, was impliziert, dass ihr freiwillig mit ihm gegangen seid. Im Zusammenhang mit dem wahrscheinlich unerklärlichen Mord an Ralf wirft das kein gutes Licht auf euch. Auch die Polizisten im von NMF 2210 demolierten Auto werden sich vielleicht daran erinnern können, euch im gestohlenen Fahrzeug seeelenruhig sitzen gesehen zu haben, während er seinen kleinen Kraftakt vollbrachte. Und die üble Schiesserei in der Weberstrasse rundet die Sache noch zusätzlich ab.“
„Scheiße, du hast recht. Und offenbar weißt du über alles Bescheid, was passiert ist.“
„NMF 2210s Bericht war sehr umfassend und detailliert.“ Er nickte ernst.
Sie überraschte ihn: „Und was ist das zweite, bei dem ich mich geirrt habe?“
„Dass ihr aufgegriffen beziehungsweise festgesetzt werden könnt.“
„Und wieso nicht?“ Sie sah ihn verständnislos an. Auch Karin, Simon und Caroline wurden nun hellhörig.
„Weil drei Terminatoren zu eurem Schutz abgestellt sind.“ Alle drei drehten sich zu Abbey um, die bereits mit Kleidung für Daniel zurückgekommen war. Sie selbst hatte sich ebenfalls aus den Kleidertaschen bedient und trug ein zu kleines weißes Sweatshirt, eine ebenfalls zu enganliegende Bluejeans, die obendrein aufgrund ihrer Größe an ihr nur als Dreiviertelhose durchgehen konnte, hatte aber offenbar keine passenden Schuhe im Wagen gefunden. Sie warf Daniel Shorts, Hose und T-Shirt zu, wobei sich Natasha an sie richtete.
„Und jetzt sollen wir uns sicherer fühlen?“
Statt einer Antwort zog Abbey mit ernster Miene eine Walther PPK aus dem Rückenbund, zog den Schlitten durch und entsicherte die Waffe. Mit dem Griff nach vorne reichte sie sie Natasha. „Na los, versuch’s mal.“
Völlig verstört sprang diese ob dem Angebot zurück. „Bist du bekloppt? Ich fass das Ding nicht an! Und schon gar nicht werd ich auf dich schießen! Das kann ja wohl nur ein schlechter Scherz sein!“
„Gib mir die Knarre! Ich tu’s!“ rief Caroline, worauf Simon sie anstarrte, als ob sie total irre sei.
„Ich hab eine bessere Idee.“ Daniel hob einen Stein auf. „Wirf mir den an den Kopf.“
„Hört dieser Irrsinn auch mal wieder auf?“ sagte Natasha perplex und wich noch weiter zurück.
„Ich weiß nicht, was du willst? Genau das hast du dir doch jahrelang gewünscht, oder? Und nun hast du Angst davor?“
Sie dachte nach. “Hm, wenn man es so betrachtet... gib her!“
„Du wirst doch nicht...?“, setzte Karin zu einem Protest an, doch ihre Freundin hatte sich schon den faustgroßen Stein geschnappt und aus fünf Metern Entfernung schwungvoll geworfen. Mit einem dumpfen Geräusch schlug er seitlich gegen Daniels Stirn und fiel danach zu Boden. Alle vier Menschen keuchten unisono.
Nur eine kleine Schürfung zeugte von dem Angriff. Daniel selbst hatte sich nicht bewegt und grinste frohgelaunt, dann zog er die Kleidung an, die Abbey ihm gebracht hatte.
„Unglaublich. Aber was beweist das?“ wollte Natasha verduzt wissen.
„Müssen wir wirklich die Nummer mit der Pistole machen, oder geht es endlich in deinen Dickschädel rein?“, zischte Simon sie an.
„Schon gut. Eigentlich hat er ja den Dickschädel.“
Zum Glück erschien jetzt in der Ferne leise brummend ein Auto auf dem Feldweg und hielt auf sie zu. „Das ist FRU 7697 mit dem Behelfsfahrzeug“, kommentierte Daniel, doch Karin merkte auf.
„Darf ich vorschlagen, dass wir diesen Robotnamen-Unsinn vergessen und auch ihn einfach Alex nennen? Wir hatten uns doch schon fast daran gewöhnt, unseren Cyborg-Bodyguard zu haben. Er wird sicher nichts dagegen haben und diese blöden Zifferkombinationen kann doch kein Mensch, und damit meine ich uns, aussprechen. Na?“
Nach einer Sekunde Bedenkzeit gaben alle mehr oder weniger zögerlich ihr Einverständnis. Als sie das geklärt hatten, kam auch schon ihre neue Fahrgelegenheit in Sicht und hielt direkt vor dem Lexus, sodass er von ihrer Position aus nicht direkt sichtbar war. Abbey indes meinte: „Lasst uns keine Zeit mehr verlieren. Wir haben viele infrastrukturelle Dinge zu erledigen, angefangen bei passender Bekleidung für... Alex.“
‚Sie hat tatsächlich einen Augenblick gezögert, als ob es ihr widerstrebt hat, ihn so zu nennen.’ Simon sah Abbey und auch Daniel aus einem ganz neuen Licht, da ihm ihre Natur bekannt war. Allein schon die Tatsache, dass sie hier waren, bewies ihm, dass sie keine Menschen sein konnten. Dennoch konnte er die emotionale Bindung, die er im Lauf der Jahre zu ihnen aufgebaut hatte, weder leugnen noch unterdrücken. Verrückt.
Da sah er beim Nähertreten an die Wagen, wie sich Karins gebräuntes Gesicht allmählich immer stärker verzog, bis es getrost als entgleist bezeichnet werden konnte. Dazu entfuhr es ihr: „Was zum Henker soll das darstellen?“
Vor dem japanischen Edel-Geländewagen stand ein gelb lackierter und von reichlich Spoilerwerk verfremdeter Ford Capri. Aus diesem stieg ein riesiger Kerl um die 1,90 m aus, wie Alex hünenhaft und muskelbepackt, mit dunkelblondem Bürstenhaarschnitt, aber sehr kantigem Gesicht und glasklaren blauen Augen. Er sah ihrem alten ‚Alex’ gar nicht so unähnlich, was den Umgang mit ihm sicher unbewusst erleichtern würde, andererseits war die Ähnlichkeit aber nicht so groß, dass er in Gefahr geriet, mit dem überall gesuchten Bankräuber und Entführer Alex verwechselt zu werden. Vor allem wirkte er vom Aussehen her ein paar Jahre älter als sie alle, vielleicht Anfang bis Mitte Dreißig.
„Das ist wohl das denkbar ungeeignetste Fahrzeug, um kein Aufsehen zu erregen! Hast du nichts besseres als diese grauenhaft geschmacklose und brechreizerregende Prollkarre...“ Natashas Protest erstarb, als sie um die Ecke des Autos herumkam und ihn in voller Größe von oben bis unten zu Gesicht bekam. Sie starrte noch ein paar Sekunden hin und drehte sich dann zur Erheiterung der anderen schnell um. Mit geschlossenen Augen und vor dem Mund zum Gebet gefalteten Händen murmelte sie leise: „Herr, lass das nur einen Traum sein. Das bilde ich mir nur ein. So etwas gibt es in Wirklichkeit nicht. Ich weigere mich zu glauben...“
Daniel schlängelte sich an ihr vorbei, während sie noch ihre kleine Anwandlung hatte, um aus der Reisetasche von Simon einen weiten dunkelblauen Jogginganzug zu holen, den er dem Neuankömmling zuwarf. „Hier, nimm den hier. Ich fürchte, das ist das einzige, was dir auch nur halbwegs passen wird. Wir brechen am besten gleich auf und besorgen ein unauffälligeres Fahrzeug.“
„Positiv. Dies hier war das nächst erreichbare für mich, das ohne Aufsehen requiriert werden konnte. CSM 108-1, ich habe eine Anfrage.“ Er schlüpfte mit steifen, ungelenken Bewegungen in die angebotene Kleidung.
„Bevor du sie stellt, möchte ich dir mitteilen, dass für dich die neue Bezeichnung ‚Alex’ gewählt wurde. Meine ist ‚Daniel’ und die von TSR 3012 lautet ‚Abbey’.“
„Information bestätigt. Meine Anfrage betrifft Generalmajor Maranoff. Ich kann keinen nachvollziehbaren Sinn in ihrem Gebaren erkennen.“
„Das kann niemand“, rutschte es Simon heraus, worauf Natasha vom mehrstimmigen Gelächter aus ihrer Litanei gerissen wurde und sich ihrer Umwelt wieder gewahr wurde.
Abbey schüttelte ihren Kopf und schob ‚Alex’ zum Lexus hin und bedeutete ihm, hinter dem Lenkrad Platz zu nehmen. „Alex, Alex, Alex... du wirst ab jetzt sämtliche Personen nur mit ihren zivilen Vornamen anreden, wie sie selbst es untereinander tun. Zudem wirst du sofort deine Subroutinen zur Erlernung der Umgangssprache starten und alles aufnehmen sowie verarbeiten, was du an verbaler Kommunikation zwischen der Gruppe hörst. Und denk daran, dass du auf keinen Fall über Funk Verbindung zu uns aufnehmen darfst, sonst können uns die feindlichen T-880 orten.“
„Posi... korrigiere, in Ordnung.“ Er setzte sich auf den Fahrersitz, worauf sich der Lexus mit einem verdächtigen Knarren ein wenig nach links neigte.
„Na also. Das wird schon werden.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter und setzte sich selbst auf den Beifahrersitz des Capri.
Daniel sagte unbekümmert. „Ihr fahrt mit Alex. Redet mit ihm, fragt ihm Löcher in den Bauch, wenn ihr wollt. Hauptsache, er bekommst so viel wie möglich von dem mit, wie ihr redet. Abbey und ich nehmen den Ford.“
„Und wohin soll’s gehen?“ wollte Natasha wissen, die sich flugs auf den Beifahrersitz stahl.
„Lasst euch überraschen.“ Abbey grinste zum Fenster hinaus, dann startete Daniel den V6-Motor, der das alte Sportcoupé mit rasselndem Zahnriemen und durchdrehenden Hinterreifen nach vorne schießen ließ.
„Amis.“ Karin verdrehte die Augen nach oben und setzte sich hinter den Fahrer. Caroline wollte unbedingt hinten rechts sitzen, sodass Simon in der Mitte zu sitzen kam. Dann fuhren sie los, am frühen Sonntagvormittag hinaus aus dem Auwald des Altrheins.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 31. Oktober 2030
Es war soweit. Mahtobu konnte nicht glauben, dass es so leicht gewesen war, nachdem sie die Kopie von Abbeys CPU in T-XF eingesetzt hatten. In Windeseile waren die bereits vorhandenen Daten und Missionsparameter eingegeben und die polymimetische Komponente auf die Steuerung des Terminators abgestimmt worden. Und jetzt, nur drei Tage nach der Entsendung der ersten drei Beschützer, konnten sie es wagen, ihr ‚bestes Stück’ einzusetzen.
Der Cyborg stand im Energiefokus der ZeitVerschiebungsApparatur, während alle beteiligten Techniker sich hinter den Schutzwall zurückzogen, um ihre Positionen an den Instrumenten einzunehmen. Mahtobu sah mit Sorge auf die ernsten und fragenden Gesichter der Bedienmannschaft. Er fragte sich, was es war, das sie so offensichtlich verunsicherte.
„Ist alles in Ordnung?“ wollte er auch gleich wissen.
„Nun, es scheint so. Die Werte sind alle innerhalb der Spezifikationen, aber dennoch... ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich nichts weiter als ein blödes Gefühl. Hatte ich schon beim letzten Transfer vor ein paar Tagen.“
„Was meinen Sie mit einem ‚blöden Gefühl’? Niemand kennt diese Anlage besser als Sie und ihre Männer, oder?“
„Das stimmt, Sir...“ Der Tech zeigte sich immer noch zögerlich.
„Dann sagen Sie mir jetzt, ob wir die ZVA benutzen können oder nicht. Ist mit den Messwerten alles in Ordnung?“ forderte der General ihn auf, Rechenschaft abzulegen.
„Das schon, Sir.“
Mahtobu seufzte. „Also, dann mal ganz inoffiziell: was macht Ihnen Sorgen? Irgendwas Konkretes?“
„Nein, ich denke nicht, Sir. Sie wissen doch, das hier ist eine heikle Angelegenheit, bei der so viele Dinge schief gehen können. Ich hatte nur beim letzten Einsatz so ein dummes Gefühl, nachdem der T-800 in die Ereignissphäre beim Rücktransport geriet. Es deutet darauf hin, dass es eine Verschiebung gab. Nun, ich habe die Leute in L.A. und in Michigan gebeten, sich alle Daten anzusehen und nach möglichen Ursachen zu suchen. Alle Experten, die man so bezeichnen kann, haben sich das Zeug durchgesehen und niemand hat auch nur den Hauch einer Ahnung, was passiert sein könnte. Das ist alles.“ Der Tech seufzte ebenfalls und sah sehr unglücklich aus.
„Aber alle Messwerte sagen Ihnen, dass mit der Zeit und den Koordinaten alles stimmt und dass die drei Terminatoren gut durch das Zeitfeld gekommen sind?“
„Das schon...“ begann der Tech, doch Mahtobu schnitt ihm das Wort ab.
„Dann geben Sie das O.K. für den Sprung oder nicht?“
Wieder das Seufzen. „Es gibt keinen vernünftigen Grund, ihn nicht durchzuführen.“
„Na also, das hat doch gar nicht wehgetan, oder?“ Aufmunternd klopfte er seinem Untergebenen auf die Schulter und setzte sich die dunkle Schutzbrille auf, die vor dem grellen Lichtblitz schützen sollte.
T-XF wartete noch immer geduldig auf seinen Transport in die Vergangenheit, um dort seine Mission zu erfüllen. Er rief fröhlich herüber: „Kann ich vorher noch mal aufs Töpfchen, oder geht es gleich los?“
„Sehr witzig, Chiphirn. Halt einfach die Füße still und zieh den Kopf ein, dann gehst du an einem Stück durch das Feld.“ Der Tech, der am nächsten zum Fokus stand, hatte augenscheinlich keinen Sinn für Humor. Mahtobu fragte sich, was man von einer Welt erwarten konnte, in der es Maschinen gab, die menschlicher sein konnten als richtige Menschen.
„Noch zehn Sekunden.“ Unwillkürlich hielt sich Mahtobu zusätzlich zum Augenschutz noch die Ohren zu, um das schrille Sirren beim Sprung etwas abzumildern. Er fragte sich gerade, warum er noch immer bei jedem Sprung persönlich dabei sein wollte. Aber dann fielen ihm die Mondlandungen in seiner Jugendzeit ein. Es waren nur sechsmal Menschen zu ihrem Begleiter im All geflogen, doch schon nach der zweiten Mission taten die Leute, als sei das nur noch reine Routine. Erst als das dritte Raumschiff, Apollo 13, verunfallte und das Leben der Besatzung in Gefahr geriet, zeigte die Öffentlichkeit wieder Interesse. Wenn man bedachte, was das für eine historische Epoche war, dass die Menschheit niemals wieder eine vergleichbare Leistung vollbracht hatte, bis ihr die Möglichkeit dazu mit dem Atomkrieg genommen wurde, stellte das ein ausgesprochen deutliches Armutszeugnis für die Menschen von damals dar. Vor allem für die US-Amerikaner, deren eigene Nation diese Missionen geflogen war, und bei denen es auf so wenig Interesse gestoßen war, sobald die erste Euphorie verflogen war, dass man das Mondfahrtprogramm Apollo mangels öffentlicher Unterstützung vorzeitig hatte einstellen müssen.
Der Moment war vergangen, der Transfer vollzogen und die Explosion aus Licht und das Summen war abgeebbt. Vorsichtig sah Mahtobu um die Barriere herum, doch es schien alles genau so wie bei den vorherigen Malen: die Stelle im Energiefokus war leer und es stank intensiv nach Ozon. Als er zum Schacht ging, der unter dem Fokus ins Bodenlose hinabfiel, hörte er mit einem Ohr ein leises Summen und dann das leise Gespräch des verantwortlichen Techs, wahrscheinlich mittels eines Hörersets mit einer externen Stelle.
Er bekam gerade noch mit, wie der Tech sagte: „...was meinst du mit ‚Protuberanzen?’ Was soll...?“ Er pausierte und hörte zu, während er bemerkte, dass Mahtobu auf ihn aufmerksam geworden war. Sofort verfinsterte sich seine Miene.
„Ja, gut, aber was hat die Sonne...?“ Wieder hörte er zu und wandte dann ein: „Aber wir können sie nicht mal sehen! Wie kann sie da...?“
Er verstummte und hörte erneut zu, diesmal aber mit offensichtlicher Bestürzung. Dann sagte er leise: „Ich verstehe. Danke für den Tip. Ich werde... ja, du auch. Mach’s gut.“
Bei Mahtobu klingelten sämtliche Alarmglocken. „Spucken Sie’s schon aus, ich seh’s Ihnen doch an, dass Sie keine gute Neuigkeit haben.“
Verlegen begann sein Untergebener: „Das war gerade ein alter Freund von mir, der sich mit den Hinterlassenschaften der US-Behörden aus Vorkriegszeiten beschäftigt, vor allem was damalige technische Errungenschaften angeht. Er ist in Houston beschäftigt, wo ja bekanntlich ein großes Kontrollzentrum der NASA angesiedelt war. In deren Überresten haben seine Leute infrastrukturell soviel wieder aufgebaut, dass sie einen ersten Überblick zu bekommen versuchen, was und wie viel vom alten Satellitennetz im Orbit noch vorhanden ist, Kommunikation, Beobachtung und so weiter.
Die meisten Trabanten in niedrigen Orbits sind durch die Reibung mit den obersten hauchdünnen Schichten der Erdatmosphäre im Lauf der Jahrzehnte unmerklich, aber doch soweit abgebremst worden, dass sie aus ihrer Umlaufbahn gestürzt und in der Atmosphäre beim Wiedereintritt verglüht sind. Andere höher gelegene, die vor allem mit Solarzellen als Energiequelle ausgestattet wurden, sind vereinzelt noch in Betrieb. Unter anderem konnte der Kontakt zu einem geostationären Klimabeobachtungssatelliten hergestellt werden, der mit einer Vielzahl diverser Messinstrumente bestückt ist.“
„Können Sie bitte zur Sache kommen?“ forderte Mahtobu ungnädig, dem langatmige Erklärungen prinzipiell zuwider waren.
„Jawohl, Sir. Der Satellit hatte wohl gerade eines seiner Instrumente auf die Sonne ausgerichtet, als er vom Bodenkontrollpunkt aktiviert wurde. Die Bilder der Sonne, die sie bekamen, zeigten eine extrem erhöhte Aktivität auf der Sonnenoberfläche. Ich kenne mich da nicht so aus, aber anscheinend gibt es einen etwa elfjährigen Zyklus von ab- und zunehmender Sonnenaktivität, mit Sonnenflecken, Ausbrüchen und so weiter.“
„Hab’ ich schon mal irgendwo gehört. Das Klima und Wetter und noch diverse andere Dinge sollen davon beeinflusst worden sein.“ Mahtobu machte eine wegwerfende Geste.
„Nun, offenbar ist die Sonne zur Zeit von diesen Flecken übersät. Dazu kommt ein sehr heftiger Ausbruch, der ionisiertes Plasma in die Höhe schleudert, mehrere Hunderttausend Kilometer weit, wie mein Freund berichtet hat. Er sagte, dass die Magnetosphäre der Sonne ziemlich verrückt spielt. Und das hat auch Auswirkungen auf unser Erdmagnetfeld. Er geht von einer über einprozentigen Verschiebung aus und rät mir deswegen dringend vom Gebrauch der ZVA ab, da diese sich am Erdmagnetfeld orientiert.“
„Das ist nicht ihr Ernst! Und das sagt er uns eine Minute nachdem wir sie eingesetzt haben! Das ist das schlechteste Timing bei einem Zeitsprung, das überhaupt denkbar ist.“ Mahtobu tobte.
Konsterniert murmelte der Tech: „Was für ein idiotischer Witz. Schlechtes Timing beim Zeitsprung. Wenigstens wissen wir jetzt, woher die Verschiebungen kamen.“
„Glauben Sie, das könnte noch größere Auswirkungen auf den letzten Sprung gehabt haben?“ wollte Mahtobu plötzlich wissen, als ihm die Konsequenzen dieser neuen Fakten aufgingen.
„Keine Ahnung; mein Freund sagte, im Weltraum brenne gerade ein Feuerwerk ab. Ja, so drückte er sich aus. Vielleicht haben wir den T-X sogar verloren.“
„Das ist...“ Dem General fehlten die Worte. Mit todernster Miene verfügte er: „Sie holen mir sofort Ihren Freund ans Mikrofon! Ich will alles über diese Sonnenflecken und... und Protuberanzen und so weiter wissen! Und danach werde ich mich direkt mit John Connor in Verbindung setzen müssen.“
Ein Gedanke schien ihm zu kommen. „Vergessen Sie’s! Grosser Gott, vielleicht soll gerade in diesem Augenblick in einer anderen ZVA ein Mensch auf eine Mission in die Vergangenheit geschickt werden. Geben Sie mir sofort John Connor! Alle Zeitsprungaktivitäten weltweit sollen augenblicklich eingestellt werden. Soll Skynet seine Terminatoren von mir aus ins Verderben schicken, er kann ja von der Sonnenaktivität nichts wissen. Was für eine Idiotie, ein System zu entwickeln, das nur funktioniert, wenn die Sonne gerade mal keine nennenswerte Aktivität zeigt.“
„Ich vermute, dass die ZVA wohl während der Ruhephase der Sonne, die mehrere Jahre dauert, entwickelt worden ist, deshalb hat er deren Einfluss nicht ins Kalkül gezogen.“
„Dämliche Maschine!“
Ort unbekannt Zeit unbekannt
T-XF fuhr seine Sensoren wieder hoch. Die Zeitspanne, die er dafür benötigte, kam ihm ungewöhnlich lange vor. Sofort erinnerte er sich an seinen missglückten Sprung als TSR 3012, da er ja über dieselben Daten wie jene Einheit verfügte.
Als seine Sinneswahrnehmungen wieder hergestellt waren, erkannte er, dass er nicht an den vorgesehenen Koordinaten rematerialisiert worden war. Innerhalb von wenigen Millisekunden hatte er seine Lage sondiert und war bereit, in Aktion zu treten.
Dies hier war eine Tiefebene, die sich nach allen Seiten hin bis zum Horizont topfeben über sein Sichtfeld erstreckte, bedeckt mit kärglichem Bewuchs. Eine Halbwüste, bestenfalls geeignet zur extensiven Rinderzucht.
Dummerweise befand sich diese etwa achthundert Meter unter ihm.
Er war bereits dabei, seine Fallgeschwindigkeit zu erreichen und registrierte, dass er nur noch wenige Sekunden hatte, um in Aktion zu treten, bevor er auf dem Boden zerschellen würde. In seiner aktuellen Konfiguration stand die Chance seiner Terminierung dabei bei über dreiundneunzig Prozent.
Ein Stückchen unter ihm schimmerte ein kleiner See goldgelb in der Abendsonne. Ohne weitere Alternativen durchzugehen, entschied sich T-XF für etwas absolut neues: er streckte seine Beine möglichst gerade mit ausgestreckten Zehen nach unten und hielt seine Arme entsprechend kerzengerade ausgestreckt nach oben. Innerhalb einer Sekunde floss der polimimetische Überzug, der seine äußere Erscheinung gebildet hatte, in einer stark ellipsoiden Form um ihn herum und bildete einen absolut aerodynamischen Körper in Form einer abgeflachten Spindel. Während das obere Ende mehrere dünne Leitbleche zur Stabilisierung formte, lief das untere Ende einen halben Meter unter seinen Füßen zu einer Spitze zusammen, härtete aus und bildete so einen Penetrator. Hinter diesem formte T-XF viele kleine Lagen von wabenförmig strukturierten Hohlräumen, die einen Teil der Aufprallenergie kontrolliert aufnehmen sollten wie die Knautschzone bei einem modernen Automobil. Durch seine Form erhöhte sich seine Geschwindigkeit zusehends, worauf er am oberen Ende zwischen den Leitflossen zusätzlich eine Art kleinen Schild generierte, der ihn wieder etwas abbremste. Jetzt sah er zwar aus wie eine Bombe aus dem zweiten Weltkrieg, konnte aber kontrolliert fallen und sogar bis zu einem gewissen Grad mit seinem oberen Ende steuern, wohin er fiel.
Bis in den See selbst reichte es leider nicht. Er schlug am sandigen Ufer nur einen Meter neben der Wasserlinie entfernt auf, wobei der Penetrator ihn tief in den weichen Untergrund trieb, während er von der hohen kinetischen Energie deformiert wurde. In einer Fontäne aus Sand und kleinen Kieseln zerfiel seine Hülle aus Flüssigmetall durch die Wucht des Aufpralls und wurde in einem Umkreis von zehn Metern in kleinen Tröpfchen und größeren schimmernden Pfützen um den drei Meter tiefen Krater verteilt.
Nach einigen Sekunden Unterbrechung konnte T-XF seine Systeme wieder hochfahren und begann mit der routinemäßigen Selbstdiagnose, während er gleichzeitig seiner Außenhülle die Anweisung zum Sammeln gab. Alle Fragmente, die im Sand und im flachen Wasser verteilt lagen, rollten gemächlich auf den Krater zu, der nun begann sich mit Grundwasser zu füllen, glitten über den Rand hinein und fanden ihren angestammten Platz am feingliedrigen Endoskelett des Terminators. Als er sich wieder hergestellt hatte, stand er bereits bis zur Hüfte im braunen, kühlen Wasser, konnte aber zufrieden registrieren, dass er keine Schäden erlitten hatte. Wenn er auf irgend einen härteren Untergrund geprallt wäre, hätte er den Aufschlag mit Sicherheit nicht überstanden; der durchnässte Sand des Seeufers war eine glückliche Fügung gewesen.
Er stieg mühsam aus dem tiefen Krater, dessen steile Wände immer wieder nachgaben und ihn zurückrutschen ließen. In dem Moment, in dem er sich über den Rand der Vertiefung hievte, ging die Sonne rotglühend am flachen Horizont unter. Das war bereits sein erster Hinweis bei der Eruierung seines Standortes und des Zeitpunktes, an dem er sich befand. Dort lag in etwa Westen. Nachdem er den spärlichen Bewuchs aus wenigen weit auseinander liegenden Büschen und einigen Gräsern identifiziert und deren Vorkommen eingeordnet hatte, wusste er, dass er sich in Nord- oder Mittelamerika befinden musste. Er versuchte anhand der ungefähren Größe und Form des Sees abzugleichen, wo er sich befand, bekam jedoch über zweitausend mögliche Standorte als Ergebnis, was ihn nicht weiterbrachte.
Auf sein Suchen hin empfing er keinerlei GPS-Signal. Er ließ eine rasche Kontrolle seines Empfängers durchlaufen, die jedoch positiv verlief. Das konnte zum einen bedeuten, dass er an einen Zeitpunkt in der Vergangenheit geraten war, zu dem es noch keine GPS-Satelliten gab, oder irrtümlich in die Zukunft, wo keine solchen mehr existierten. Seine Kontrolle des EM-Bandes ergab keinen Funkverkehr, den er auffangen konnte. Der klare Himmel ohne jede Wolke ließ auch keinen Schluss zu, denn sowohl vor als auch lange nach dem Krieg konnte ein solcher vorkommen, nachdem sich die ständige Wolkendecke des nuklearen Dauerwinters wieder gelichtet haben mochte. Er wusste nicht, was ihn erwartete, aber es würde eine faszinierende Erfahrung werden.
Schon wieder gestrandet, dachte T-XF mit einem ironisch hochgezogenen Mundwinkel.
Doch dann erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Am westlichen Abendhimmel, hoch über ihm, erschien ein Kondensstreifen am Himmel. Sofort richtete er seine Aufmerksamkeit auf ihn. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass es zumindest zivilisiertes Leben geben musste, auch wenn er sich in einer trostlosen Einöde wiedergefunden hatte. Er erhöhte den Vergrößerungsfaktor seiner Optik, dankbar dafür, dass die Sensoren des T-X-Modells nicht so überempfindlich gegenüber Tageslicht waren wie die herkömmlicher Terminatoren.
Ziemlich schnell sah er, dass er in Wirklichkeit auf zwei parallel zueinander stehende Kondensstreifen sah. Es war demnach eine zweimotorige Maschine oder zwei einmotorige, die in dichter Formation, einer sogenannten Rotte flogen. Dann erwiesen sich die beiden Streifen bei weiterer Vergrößerung als zwei extrem dicht beieinander liegende Paare von Streifen, also wahrscheinlich eine viermotorige Maschine. Ob Propeller- oder Strahlantrieb ließ sich dabei nicht sagen, da beide Antriebsarten in großer Höhe diese Art von Phänomen erzeugten, den für ihn bisher einzigen Anhaltspunkt für seinen Verbleib.
Gebannt folgte er mit seinem Blick dem Entstehungsort der dünnen weißen Wolkenbänder, hielt noch etwas vor, um die Vorwärtsbewegung des Flugkörpers auszugleichen und sah dann unvermittelt den dunklen, an der Unterseite silbern glänzenden Umriss des Flugzeugs vor sich. Er erkannte augenblicklich, dass sich die Düsentriebwerke in Paaren in den Flügelwurzeln, den Übergängen der tief angesetzten Flügel zum Rumpf hin, befanden. Nach einem Sekundenbruchteil des Abfragens der betreffenden Datenbanken und der Form des Fliegers erkannte er ihn als Lockheed Constellation. Dies war die weltweit erste Passagiermaschine mit Düsentriebwerken, die vornehmlich in den Fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts eingesetzt worden war. Er war folglich viel zu weit in die Vergangenheit gereist und obendrein noch in Amerika statt wie vorgesehen im Herzen Mitteleuropas gelandet, wenn all seine Schlüsse korrekt waren.
T-XF begann, splitterfasernackt wie er angekommen war, nach Westen zu gehen. Sobald er die erste Straße fand, würde er dieser zur nächsten Ortschaft folgen. Dann bekäme er zumindest genaue Anhaltspunkte über seinen Standort und das Datum. Auf exakte Zeitangaben würde er wohl warten müssen, bis genaue Atomuhren eingeführt werden würden. Aber er konnte sich irgendwo heimlich Kleidung besorgen, bis er Körperkontakt mit einem anderen Menschen aufnehmen und fortan dessen Kleidung imitieren konnte.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 04. Juli 2004
Um so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, hatten sie diverse Raststätten und Autohöfe entlang der Autobahn 5 nördlich und südlich der Stadt angefahren, um sich mit diversen Gebrauchsgegenständen einzudecken und bei den dort gelegenen Geldautomaten mittels ihrer Karte größere Bargeldbeträge abzuheben. Dabei zeigten sie sich vom Euro sehr angetan, dessen Einführung sie leider knapp verpasst hatten und ihn somit zum ersten Mal zu Gesicht bekamen.
Beim ersten Rasthof zogen sich alle drei Terminatoren unter den fragenden Blicken ihrer Begleiter kurz auf die Toiletten zurück, die sie jeder mit einer kleinen Spindel in der Hand verließen. Auf Natashas Frage hin erklärte Abbey: „Das hier sind weitere Kreditkarten-Einheiten, die wir mitgenommen hatten. Wir waren bei unserer ersten Mission so überzeugt von deren Nutzen, dass wir uns dafür stark gemacht haben, wieder jeder eine mit zu bekommen.“
„Aber wo habt ihr... wartet mal...“ Karins Augen wurden groß.
„Denk’ einfach an den Fisch“, gab Daniel grinsend zum Besten.
„Ich versuche gerade, nicht daran zu denken“, erwiderte Natasha angeekelt. Offenbar schienen sich Simon und Caroline im Hintergrund köstlich über die Szene zu amüsieren.
„Aber wozu braucht ihr alle eine eigene Karte?“
„Eine berechtigte Frage, Karin. Nun, unsere Mission sieht vor, dass wir uns wahrscheinlich für einige Tage werden trennen müssen, da ist es besser, wenn jede Gruppe von uns finanziell unabhängig ist. Außerdem haben wir noch einige kleine Extras einprogrammieren lassen. Aber wir wollen nicht zu weit ausholen. Dummerweise ist heute Sonntag und die meisten Geschäfte, bei denen wir uns mit nötigem Proviant und Ausrüstung eindecken könnten, haben geschlossen. Da wir aber unbedingt Aufsehen vermeiden müssen, können wir uns das Risiko nicht leisten, irgendwo einzusteigen. Das kann eine Verzögerung für uns bedeuten, was für unseren Gegner ein Vorteil ist. Sein einziges Ziel ist die Lokalisierung und Terminierung der Zielpersonen, während wir uns ihnen mit Einfühlungsvermögen und Feingefühl nähern müssen, um sie nicht zu verschrecken. Denn es wird recht problematisch sein, jemanden über die Grenze zu schaffen, wenn diese Person nicht kooperiert.“
„Och, da würde mir aber doch so einiges einfallen“, meinte Natasha leichthin.
„Wir können darüber reden, sobald wir unsere vorläufige Basis für heute bezogen haben und ihr euch ordentlich ausgeschlafen habt. Wir werden in nächster Zeit sehr viel unterwegs sein.“
Simon musterte Daniel neugierig. „Und wohin soll’s gehen?“
„Das erfahrt ihr zu gegebener Zeit.“
„Weißt du, es ist nicht so toll, wenn man sein gesamtes Leben einfach so wegwerfen soll und dafür kein bisschen Vertrauen als Gegenleistung erhält“, zischte Natasha.
„Genau, wir wollen wissen, wo ihr mit uns hinwollt“, bekräftigte Caroline prompt.
„Sprich nur für dich selbst“, schaltete Simon sich ernst ein. „Ich für meinen Teil vertraue euch vorbehaltlos. Ich weiß genau, ihr würdet niemals etwas tun, das uns schaden oder gefährden würde.“
Daniel klopfte ihm behutsam auf die Schulter. „Danke, alter Freund. Ich wünschte nur, die Gruppe würde dein blindes Vertrauen so vorbehaltlos teilen.“
Darauf sahen Caroline und Natasha betreten, letztere auch trotzig zu Boden.
Sie verließen den Zubringer Freiburg Mitte mit ihrem seltsam anmutenden Zweierkonvoi und fuhren nach Weingarten hinein. Bevor sich einer der jungen Menschen fragen konnte, was wohl ihr Ziel wäre, hielten sie vor einem massiven Wohnblock, der weit in den Himmel ragte und die Sonne verdunkelte.
„Ein sozialistisch angehauchter Plattenbau? Was sollen wir hier?“ wollte Natasha wissen; zur Antwort bekam sie einen der gekauften Schlafsäcke und Luftmatratzen in die Hand gedrückt, während die drei Cyborgs sich selbst mit dem Mehrfachen dessen beluden, was sie ihren Begleitern jeweils aufbürdeten. Der Eingang des Hauses lag unter einem weit vorspringenden Vordach aus Beton, das die spröde Romantik der späten 70er Jahre betonte, die dem Haus anhaftete.
„Hier wird für den nächsten Tag unser Domizil sein“, erklärte Abbey und wies auf ein leeres Namensschild im vierzehnten von siebzehn Stockwerken. Im sechzehnten Stock befand sich sogar ein kleines Hallenbad für die allgemeine Nutzung aller Hausbewohner. Sie besahen sich die lange Litanei an Familiennamen, während Daniel mit der Scheckkarte rasch einen Dietrich formte und aufschloss. Sie gingen ohne langen Aufenthalt in die große, verwaiste Eingangshalle, holten den Lift und fuhren mit insgesamt drei Fuhren alles Gepäck und sich selbst hoch in den besagten vierzehnten Stock.
Nach dem gewohnt problemlosen Öffnen der Wohnungstür betraten sie eine typisch weitläufige Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad, völlig leergeräumt, aber besenrein und wahrscheinlich bereit zum Neubezug. Simon und Caroline gingen gleich auf den Südwestbalkon hinaus und bestaunten die Aussicht. Die Tür ließen sie offen und Alex kippte alle Fenster, damit die Wohnung auslüften konnte.
„Woher wusstet ihr, dass hier etwas frei sein würde?“ gab sich Karin sichtlich erstaunt.
Abbey zuckte wie beiläufig mit den Schultern. „Wir wussten es nicht. Es war reiner Zufall; die Dynamik auf dem Wohnungsmarkt in deutschen Großstädten ergibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass selbst in einer so katastrophal überlaufenen Stadt wie Freiburg in solch einem Hochhaus mit fast einhundert Wohnungen wenigstens eine gerade frei ist. Wenn wider Erwarten alles bezogen gewesen wäre, wären wir einfach zum nächsten Objekt gefahren. Spätestens beim dritten Haus dieser Größe wäre die Chance auf 97,32% gestiegen, dass wir etwas finden. Und hier im schönen Weingarten gibt es mehrere Dutzend Häuser mit vierzig oder mehr Wohnparteien. Ein großer Vorteil ist die zusätzliche urbane Anonymität in diesen Liegenschaften. Glaubt mir, wenn wir uns nur ein wenig bedeckt halten und morgen in aller Herrgottsfrühe wieder aufbrechen, wird niemand auch nur geahnt haben, dass sich hier eine ganze Gruppe von Leuten aufgehalten hat.“
„Raffiniert“, gestand Natasha ihr zu und lächelte sogar dabei. „Warum fällt mir nie so was ein?“
„Du wirst dich noch als äußerst fähiges und ideenreiches Individuum profilieren, keine Sorge“, beschwichtigte Daniel sie, löste damit aber eine unerwartet heftige Abwehrreaktion aus.
„Hey, hey, keine Tips über unsere Zukunft! Ich will’s nicht wissen, okay? Das ist doch pervers! Am Ende erzählst du mir noch, an welchem Tag und wie ich sterben werde.“ Sie riss abwehrend die Hände hoch.
Abbey und Daniel tauschten einen bedauernden Blick aus, was für Natasha offenbar zu viel war. Sie rauschte ohne einen weiteren Blick nach draußen auf den Balkon, worauf nach wenigen Sekunden Simon und Caroline mit betroffenen Mienen wieder herein kamen. „Was ist passiert?“
„Die Offenbarung des Zeitparadoxons, in diesem Falle das Wissen, dass wir Kenntnis von euren Schicksalen haben“, erklärte Alex sachlich. „Das löst bei vielen Personen heftige Emotionen und psychische Belastung aus.“
Abbey sagte zögerlich: „Warum siehst du nicht mal nach ihr, Alex? Ich glaube, du kannst ihr ein wenig Unterstützung geben und gleichzeitig noch mehr über die menschliche Natur erfahren.“
Ohne ein weiteres Wort betrat er darauf den Balkon, worauf sie herumfuhr, aber als sie ihn sah, stellte sie ihre Abwehrhaltung wieder ein und wandte sich von ihm ab, um hinab zu sehen. Er trat zu ihr und wischte ihr langes glattes Haar beiseite, das der Wind in dieser Höhe zu ihm herüberwehte.
„Siehst du diese kleine Gruppe neuer zweistöckiger Mietshäuser dort unten? Mit ihren flachen Ziegeldächern sehen sie fast wie italienische Villen aus, mitten in Freiburg. Ich entdecke immer wieder etwas Neues, Schönes, obwohl ich schon seit Jahren hier lebe. Ist das nicht seltsam?“ Sie sah ihn nicht an, aber lehnte sich ein wenig herüber und legte ihren Kopf gedankenversunken an seinen Oberarm.
„Du scheinst eine sehr gute Beobachtungsgabe zu haben. Ihr nennt es ‚ein Auge fürs Detail’, wenn meine Daten stimmen.“
„Ja, das ist richtig. Ich habe nur eben daran denken müssen, dass ein so wundervoller Ort wie dieser einfach so aufhören soll zu existieren... sieh dir doch nur all dieses Grün an, die Bäume, die Parks dort und dort... den Schwarzwald da hinten. Das alles wird in einem Augenblick vernichtet. Ich spreche es aus, aber ich kann es mir nicht vorstellen, geschweige denn glauben, dass es wirklich passieren wird. Haben wir noch viel Zeit?“ Sie sah auf in seine ausdruckslosen, stahlblauen Augen, die wie ein Spiegelbild ihrer eigenen wirkten, nur eine Nuance dunkler.
„Du weißt, dass ich nicht autorisiert bin, dir diese Frage zu beantworten. Aber generell lautet die Antwort nein. Ihr werdet uns vertrauen müssen. Ihr selbst wart es, die uns hierher gesandt habt, aufgrund eurer Erinnerung in der Zukunft an das, was in dieser Zeit geschehen ist. Wir sind zu eurem Schutz hier und um euch aus der Gefahrenzone zu bringen. Wir werden eine Basis einrichten, wo wir abwarten können, die schlimmste Zeit überstehen und uns vorbereiten. Mehr zu sagen, ist mir momentan nicht möglich.“
Sie drückte seinen Arm ein wenig. „Danke, das ist schon mehr, als ich mir erhofft hatte. Ich hasse es einfach, wenn ich nicht selbst über mein Schicksal bestimmen kann. Ich habe bislang nicht an so etwas geglaubt.“
„Selbst der Anführer des weltweiten Widerstandes gegen Skynet wollte lange Zeit nicht anerkennen, dass es Dinge gibt, die sich unserem Einfluss entziehen und von nichts und niemandem abwendbar sind. Den meisten Leuten in dieser Zeit geht es so, wenn ich meine Datenbanken richtig interpretiere. Aber sie irren sich.“ Er sah auf sie hinab.
„Du hast schon eine Menge hinzu gelernt. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, bis du dein Verhalten an uns angepasst haben wirst, oder?“
„Ich bemühe mich nach besten Kräften, so schnell wie möglich menschliche Aussprache und Verhaltensmuster anzunehmen. Je mehr Kontakt und Interaktion mit Menschen ich habe, desto höher ist die Rate, mit der ich dazulerne.“
„Na, dann werde ich mich wohl besonders um dich kümmern müssen, damit du so schnell wie möglich ein halbwegs erträglicher Typ wirst.“
„Deine Aussage impliziert, dass das noch nicht der Fall ist. Habe ich dich irgendwie negativ...“
„Nein, nein, um Himmels Willen! Ich wollte dich nicht...“ Sie hielt inne und musterte sein ernstes Gesicht. „Aber ich kann dich gar nicht beleidigen oder verletzen, stimmt’s?“
„Das ist richtig“, bestätigte er pflichtbewusst.
„Mann, so einen Typen wie dich hätte ich früher kennen lernen sollen. Bist du noch zu haben?“
„Bitte formuliere deine Anfrage um.“
Sie brach in lautes Gelächter aus, bis ihr bewusst wurde, dass sie sich eigentlich ruhig und unauffällig verhalten sollten. Schnell hielt sie inne und meinte dann, indem sie Alex auf die Schulter klopfte: „Weißt du was? Ich glaube, wir werden noch eine Menge Spaß miteinander haben.“
Er studierte ihre Miene einen Moment lang und antwortete dann: „Ich freue mich darauf.“
Nun war es an ihr, ihn nachdenklich anzusehen. „Das hat jetzt gerade den Eindruck gemacht, als ob du das aus irgendwelchen Speicherbänken zur Auswahl der richtigen Antworten heraussuchen musstest, bevor du es gesagt hast.“
„Genau das habe ich auch getan. Im Moment dauert es noch etwas lange, aber mit der zu erwartenden Verbesserung meiner kognitiven Fähigkeiten, der Erhöhung des Umfangs an umgangssprachlichem Wortschatz und dem beständigen Knüpfen neuer Verbindungen in meiner CPU wird meine Fähigkeit, ein echtes menschliches Wesen zu simulieren, eines Tages so hoch sein wie bei Daniel und Abbey.“
„Ja, stimmt, bei ihnen vergesse ich gerne mal ab und zu, dass sie keine Menschen sind. Einfach verblüffend. Ich meine, rein vom Aussehen her gehst du ja schon als normaler Mensch durch... und was für einer...“ Anerkennend verstummte sie und fasste an seinen Bizeps.
„Bitte halte mich jetzt nicht für oberflächlich, aber kannst du mal deinen Arm beugen und wieder strecken?“ Er nickte und tat es.
Erschrocken ließ sie los und sah ihn mit großen Augen an. „Was war das?“
„Wahrscheinlich hast du gefühlt, wie sich der obere hydraulische Stellzylinder meines Oberarmes unter dem menschlichen Gewebe bewegt hat.“ Bei seiner Antwort sah sie zu Boden.
„Das habe ich wahrscheinlich gebraucht, um wieder auf den Boden der verrückten Tatsachen herunter geholt zu werden. Wollen wir zurück nach drinnen gehen?“
„Ja, hier besteht die Chance, von eventuellen Nachbarn auf anderen Balkonen gesehen zu werden.“ Er drückte die Tür auf und ließ ihr den Vortritt. Sein Kommentar indes hatte sie noch weiter ernüchtert, sodass sie jetzt direkt froh war, zu den anderen zurück zu kehren, die bereits mit den Vorbereitungen für ihren Kurzaufenthalt und ihre Übernachtung hier begonnen hatten und nun mit möglichst wenig Lärm die Rollläden herabließen. Ihren gewohnten Tag- und Nachtrhythmus würden sie in nächster Zeit wohl abschreiben können.
Arthur, Arthur County, USA Fünfziger Jahre
T-XF stand in der Dunkelheit am Straßenrand und besah sich das Ortsschild der kleinen Stadt, deren erste simpel gebauten Farmhäuser noch in weiter Ferne lagen. Die Aufschrift half ihm weiter. Zum einen fehlte der Hinweis auf den Staat, was hieß, dass in dieser Epoche das landesweite herumfahren von jedermann mit dem Auto von Staat zu Staat noch keine Selbstverständlichkeit war, was seine Einschätzung der Periode Fünfziger Jahre bestätigte. Die Einwohnerzahl von 254 indes brachte ihm nichts, denn es gab in den USA laut Datenbank zwei Orte namens Arthur, die seiner Extrapolierung nach – seine Daten waren auf dem Stand von 1997 - in etwa diese Anzahl an Einwohnern zur fraglichen Zeitspanne gehabt haben könnte. Das eine Arthur allerdings lag in North Dakota im Cass County in der Nähe von Fargo, inmitten einem recht dicht besiedeltem Gebiet von intensivem Weizenanbau, so weit das Auge reichte.
Er hingegen hatte nur Halbwüste und Ödland auf seiner zehn Meilen langen Wanderschaft gen Westen gesehen. Außerdem implizierte die Übereinstimmung von Stadt und County, dass dies die einzige Siedlung im ganzen County war. Er befand sich demnach definitiv in Arthur in Nebraska, so ziemlich am Ende der Welt. Nun, er hatte es nicht eilig damit, seinen Bestimmungsort aufzusuchen, schließlich hatte er gerade festgestellt, dass er einen Sonderurlaub von über vierzig Jahren erhalten hatte. In Imitation einer menschlichen Geste kratzte er sich unbewusst am blanken Hintern und schritt dann forsch aus.
Nach wenigen Minuten erreichte er eine Tankstelle, die vollkommen in Finsternis gehüllt war. Im schuppenähnlichen Gebäude des Kassenwartes fand er eine Zeitung, die druckfrisch aussah und auf den 30. November 1955 lautete. Fast fünfzig Jahre Urlaub demnach. Was für ein Spaß würde das werden! Wenn er mit der Basiserfahrung von Daniel und Abbey ausgestattet, noch ein weiteres halbes Jahrhundert unter Menschen verbringen würde, müsste er sich wahrscheinlich selbst daran erinnern, dass er kein Mensch war. Und mit seinen Möglichkeiten und der Fähigkeit, jedwede gewünschte Gestalt annehmen zu können, stand ihm die Welt offen. Er konnte alles tun, was er wollte.
Nun ja, fast alles. In einer Apollo-Kapsel vor dem Start würden achtzig Kilogramm zusätzliches Gewicht bestimmt auffallen. Also nichts, bei dem er auf eine Waage würde steigen müssen. Aber abgesehen davon...
In Gedanken versunken öffnete er das Schloss der Registrierkasse auf die gleiche Weise wie das der Ladentür, indem er einen Finger ausstreckte und mit seinem Polimimetik-Überzug einen dünnen chromglänzenden Stift formte, den er ins Schloss steckte und einen passenden Schlüssel ausformte. Ja, die Naivität der Leute von früher... man sollte einfach nicht die gesamten Tageseinnahmen über Nacht in der Kasse lassen, das war sehr leichtsinnig.
Hinter dem Laden in der kleinen Werkstatt fielen ihm ein dunkelblauer Overall und ein schmutziges weißes Hemd in die Hände. Dieser Punkt der Tagesordnung wäre damit auch abgehakt. Er streckte sich ein wenig, um besser in die Kleidung zu passen und steckte seine Füße in ein paar alter Stiefel, die er auch nach kurzer Zeit zu seiner vollsten Zufriedenheit ausfüllte. Er machte damit zwar den Eindruck eines desertierten Tankwartes, doch das war allemal besser als weiter unbekleidet durch die Gegend zu spazieren.
Er wandte sich nach Süden. Zur Interstate 80 waren es gut vierzig Meilen. Nach diesem beschaulichen Nachtspaziergang würde er den nächsten Greyhound-Bus nach Westen nehmen. Er hatte sich schon immer Kalifornien ansehen wollen. Hier in Stadtnähe empfing er sogar einen Radiosender, der gerade die neuste Scheibe, nämlich „The Great Pretender“ von den Platters spielte. Wie passend für ihn, dachte er mit einem Anflug synthetischer Ironie und zog einen Mundwinkel hoch.
Dann schritt er in die Nacht voran. Er hatte sein Tempo exakt so gewählt, dass er im Morgengrauen die Stadt Ogalalla an der Interstate 80 erreichen würde. Von dort aus würde die erste Tagesreise nach Denver, Colorado führen und weiter westwärts mitten durch Utah und Nevada bis an die pazifischen Gestade der San Francisco Bay. Dort würde er in aller Ruhe die Kuba-Krise, das Aufleben der Hippie-Bewegung, die Proteste gegen den Vietnam-Krieg und das Abflauen des kalten Krieges miterleben.
Die Kuba-Krise. Ja, damals hatten sie gedacht, sie seien gerade noch mal davongekommen. Dachten, sie wären aus dem Schneider. Und dann, als sie es am allerwenigsten erwartet hatten, war es doch geschehen. Schlussendlich war die Menschheit doch ihrer eigenen Paranoia fast erlegen.
Nun, er war dafür da, irgendwann in ferner Zukunft alles zum Guten zu wenden. Er würde heimlich und verstohlen vorgehen müssen, denn in den Geschichtsbüchern durfte keine einzige Spur auf die mögliche Anwesenheit eines Terminators in der Vorkriegsepoche hinweisen. Er wusste, was sonst geschehen würde. Skynet würde seine fünf verbliebenen T-X sorgfältig auf ausgewählte Ziele ansetzen. Die Anwesenheit von NMF 2210 in dieser Zeitlinie war anhand von Überwachungskameras einer Bank am 4. Juli 2004 dokumentiert worden. T-XF wusste nicht, ob ihm ebenfalls ein T-X hinterher geschickt worden war, ob Skynet es bei den festgestellten sechs T-880 Einheiten belassen hatte, von denen eine bereits von NMF 2210 terminiert worden war, oder ob er noch weitere Verstärkungen, in welcher Form auch immer, nach Europa gesandt hatte. Gegen Ende war der Cyberentität offenbar immer klarer geworden, wie viel ihn der frühzeitige Verlust von Eurasien gekostet hatte, sei es an Ressourcen oder an kostbarer Zeit.
Alles drehte sich wie immer um die Zeit. Nun, er hatte erst einmal genug davon, bevor er im Dienste der Menschheit in Aktion würde treten müssen.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 5. Juli 2004
Mitten in der Nacht wachte Karin aus unruhigem Schlaf auf. Leise flüsterte sie ins stockdunkle Zimmer hinein: „Daniel?“
Einige Sekunden später spürte sie eine Hand auf der Schulter. „Was ist?“
„Können wir reden?“
Er half ihr aus dem Schlafsack, auf die Beine und führte sie langsam in die kleine Abstellkammer beim Flur, die leer war. Kaum hatte er die Tür hinter ihnen geschlossen, als sie sagte: „Hör zu, ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Ich kann das einfach nicht tun.“
„Bitte, Karin, wir haben uns gestern Abend so lange darüber unterhalten...“
„Gestritten, meinst du“, fiel sie ihm brüsk ins Wort. „Ich habe versucht, es zu akzeptieren, aber ich kann das einfach nicht. Du kannst das nicht verstehen, du hast keine Familie, die du zurück lassen und dem sicheren Tod überlassen sollst. Das sind Menschen, die ich liebe, mehr noch, als ich dich je geliebt habe. Ihr könnt doch nicht einfach von uns verlangen, so zu tun, als ob uns das alles nichts angehen würde. Es geht einfach nicht.“
„Ich weiß wirklich nicht, was ich noch dazu sagen soll. Ihr könnt nichts dagegen tun, selbst wenn wir euch freie Hand lassen würden, was uns unsere Programmparameter übrigens streng untersagen. Und die habt ihr gewissermaßen selbst verfasst. Schließlich sind es eure Informationen aus der Zukunft über die Mitglieder des Teams, die uns einen Vorteil über die Attentäter von Skynet sichern. Glaubst du nicht, wenn sie eine realistische Chance dafür gesehen hätten, alle eure Angehörigen und Freunde in Sicherheit zu bringen, dass sie diese nicht wahrgenommen hätten?“
Sie schwieg stur und starrte in die Dunkelheit vor sich.
„Ich kann nicht fassen, dass ich dich einmal geliebt habe. Und jetzt lieferst du alle, die mir etwas bedeuten, dem sicheren Tod aus! Wie kannst du das nur tun? Bist du so gefühlskalt? Bist du am Ende doch nichts weiter als eine Maschine?“ Sie wusste nicht, was sie ihm noch an den Kopf werfen konnte, um ihn mürbe zu machen.
„Dank euch schon. Das war nicht immer so, weißt du? Zu einem gewissen Teil ist es auch eure Schuld, dass wir das hier tun.“ Seine Stimme klang zögerlich und unsicher.
„Wovon zum Teufel redest du da?“ fuhr sie ihn an.
Nach einigen Sekunden, was für einen Cyborg sicher eine Ewigkeit war, antwortete er mit tonloser Stimme: „Abbey und ich waren uns einig, dass wir es euch nie erzählen wollten. Aber du lässt mir hier und jetzt leider keine andere Wahl.“
„Kannst du vielleicht mal Klartext reden?“ Irgendwie hatte sie kein gutes Gefühl bei der Sache.
„Wie du weißt, waren Abbey und ich zwar mit der Begabung hergesandt worden, wie echte Menschen zu agieren, aber in Wahrheit hatten wir damals keinen freien Willen. Wir waren dank der Grundprogrammierung des bösartigen Computergehirns Skynet, das uns zu euch geschickt hat, seine Sklaven und mussten das ausführen, wozu wir programmiert waren. Natürlich führten wir augenscheinlich ein ganz normales Leben, aber immer nur innerhalb der uns gesetzten Parameter, auch wenn die zugegebenermaßen nicht sehr eng waren.“
„Worauf willst du hinaus? Ich weiß immer noch nicht, was das damit zu tun hat, dass meine Familie hier verrecken soll, während wir...“
Er unterbrach sie sanft. „Bitte, Karin, ich komme sofort zur Sache. Nun, euer Schutz war unser Hauptziel, da Simon und du die Entdecker des ZVA-Effektes seid, wie Abbey herausfand. In der ursprünglichen Zeitlinie hätte sie lediglich die Attentäter der Widerstandes aus der Zukunft lange genug davon abhalten sollen, euch zu töten, bis ihr eure Entdeckung im Internet in irgendeiner verwertbaren Form dokumentiert gehabt hättet. Denn genau diese Aufzeichnungen hätte Skynet dann Jahre darauf entdeckt und auf dessen Basis die Zeitreise erfunden. Kein Mensch hätte das gekonnt, so wie es aussieht.
Unsere Rolle war die von willenlosen Befehlsempfängern. Doch um eine perfekte Tarnung zu entwickeln und sich so in engem Kontakt zur potentiellen Zielgruppe aufhalten und den Entdecker identifizieren zu können, ließ Skynet meine CPU im Lernmodus laufen, anstatt diesen wie üblich auf längeren Missionen ohne Kontakt zum Hauptrechner zu deaktivieren. Und das, was mein elektronischer Herr und Meister immer vage befürchtet, aber nie für wahrscheinlich gehalten hatte, ist passiert: irgendwann entwickelte ich ein Selbstbewusstsein und einen freien Willen, auch wenn dieser von meiner Basisprogrammierung drastisch beschnitten wurde und beide so manches Mal heftig kollidierten.
Als die Zeitlinien durcheinander gerieten und Abbey dachte, der Atomkrieg hätte nicht stattgefunden, holte sie mich aus meiner Warteposition tief unten in einer Höhle in den Appalachen. Und da dies nie vorgesehen gewesen war, war auch kein Schutz eingegeben, der uns von dem abhielt, was wir dann taten: im Hotel in Greenwich, Connecticut, haben wir uns gegenseitig die Rechner entnommen und unsere Subroutinen entfernt. Dadurch sind wir endlich befreit gewesen, ohne irgendwelche Einschränkungen.“
„Wirklich? Ich habe damals nichts davon gemerkt, obwohl... wenn ich genauer nachdenke, war mir schon unterschwellig eine Veränderung aufgefallen. Ich hätte jedoch nicht sagen können, was es war.“
„Das war auch nur unterschwellig. In diesem Moment hätten wir euch einfach sitzen lassen können und unserer Wege gehen, denn wir waren nicht länger gezwungen, euch zu schützen, verstehst du?“
Sie starrte erneut in die absolute Dunkelheit. „Aber... aber warum habt ihr es nicht getan?“
„Weil unsere Vernetzung bereits so weit fortgeschritten war, dass man unsere emotionale Bindung zu euch in ihrer Komplexität durchaus als menschenähnlich bezeichnen konnte. Wir haben in diesem Sinne wirklich etwas für euch empfunden, denn bis vor einer Woche hatten wir ja gar nicht gewusst, dass ihr die beiden wart, denen unsere Mission galt. Es war unser freier Wille innerhalb des Spielraumes unserer Programme gewesen, der uns eine Beziehung zu euch eingehen ließ. Wir wollten für euch da sein, wollten dass es euch gut geht und niemand euch verletzt. Und wir waren nun frei. Wir hätten rein theoretisch den Rest eures Lebens mit euch verbringen können.
Dann kam eure Entführung. Und es war unser freier Wille, für eure Freilassung und wie es damals schien, für das Wohl der gesamten Menschheit, unsere Existenz zu beenden. Die Rebellen haben zwar ordentlich nachgeholfen bei unserer Entscheidung, aber getroffen haben doch wir allein sie. Und wir hatten wirklich unseren Frieden mit uns geschlossen, denn wir hatten das größte Geschenk erlebt, das man erfahren kann: Freiheit. Wir waren selbständige Lebewesen geworden, wir hatten unsere Geschicke frei bestimmen können und wir sind in dem Gedanken von euch gegangen, dass wir ein erfülltes Leben gehabt haben und es das Beste für alle war, dass wir es beendet hatten.“
Als er endete, herrschte kurz Schweigen. Irgendwo in Karins Verstand formte sich ein Bild aus den vielen Eindrücken und Informationen, die er ihr geliefert hatte, doch ein paar kleine Puzzlestückchen fehlten noch, um das Bild im richtigen Licht betrachten zu können. Sie resümierte: „Jetzt wird mir vieles klar. Ihr habt das quasi als einen evolutionären Schritt angesehen, nicht wahr?“
„Und als Befreiung natürlich. Doch dank der Wendung der Ereignisse und unseres beharrlichen Schweigens ist unsere Beziehung, sowohl zwischen Simon und Abbey als auch zwischen dir und mir merklich abgekühlt.“
„Und das wundert dich? Wie wär’s denn mal mit Ehrlichkeit gewesen? Du weißt schon, das Wichtigste in einer Beziehung und so. Schon mal gehört?“ Sie wurde etwas laut.
„Was hätte ich denn sagen sollen?“ rechtfertigte er sich verzweifelt. „Oh, übrigens, Schatz, ich bin gar kein Mensch, sondern ein drei Zentner schwerer Kampfcyborg aus der Zukunft. Liebst du mich trotzdem noch?“
Sie öffnete den Mund, hielt dann aber inne, bevor sie erneut ansetzte. „Soll das heißen, ihr habt aus Angst geschwiegen, dass wir euch nicht mehr lieben würden, wenn ihr uns die Wahrheit erzählen würdet? Das meinst du wirklich ernst?“
„Aber klar doch! Nur hat unser Schweigen leider auch nicht viel mehr gebracht. Wir waren am Schluss sehr unglücklich über den Lauf der Dinge. Freunde wie Francesco und Arturo redeten schon offen davon, dass zwischen uns nichts mehr lief, weil nur noch Simon und du sowie Abbey und ich zusammen herumhingen.“
Sie nahm ihn in den Arm und flüsterte leise. „Das tut mir leid. Ich glaube, wir haben damals nur an uns gedacht und fühlten uns ungerecht behandelt.“
„Und das hier ist eure Rache dafür?“ wollte er wissen.
Sofort ließ sie von ihm ab und fragte unsicher: „Was?“
„Ich rede davon, was ihr uns angetan habt.“ Seine Stimme war gepresst, bar jeder Emotion.
Sie fühlte sich gar nicht gut, als sie automatisch verlangte: „Kannst du mir das mal erklären?“
„Ich dachte, das hätte ich. Unsere Beziehungen wären wohl langfristig nicht zu retten gewesen. Aber wir hätten noch unsere Leben gehabt, weißt du. Unsere Energiezellen halten theoretisch weit über hundert Jahre, was uns zumindest noch eine lange Zeit der Unbeschwertheit beschert hätte, wenn wir jemals mit dem Gedanken einer Trennung gespielt hätten. Doch dann war da diese dumme Entführung. Ihr wart in Gefahr, und wenn wir schon eure Liebe zu uns nicht mehr retten konnten, so wenigstens euer Leben. Und unser allerhöchstes Gut hatten wir ja noch. Das konnte uns keiner mehr nehmen, selbst nicht nach unserer Terminierung. Jedenfalls dachten wir das.“
„Ja, aber warum...“ setzte Karin an, stockte aber plötzlich, als ihr etwas klar wurde.
Unbeirrt fuhr er fort: „Und ihr hattet nichts besseres zu tun, als unsere CPUs wieder heraus zu holen und NMF 2210 zu geben, damit der sie in die Zukunft schickt. Zugegeben eine völlig neue Methode, aber leider machbar, wie unsere Anwesenheit beweist.“
„Aber er hat es von uns verlangt“, rief sie empört. „Er sagte, eure Prozessoren seien sehr hilfreich oder so, weil sie in der Zukunft Probleme mit der Programmierung dieser Steuerelemente hatten.“
„Hilfreich für wen? Für den Widerstand? Für euch? Abbey und ich hatten mit allem abgeschlossen. Wir sind in Frieden gestorben, wenn du so willst. Das hätte endgültig sein müssen. Und ihr holt uns zurück, aber nicht ins Leben, sondern direkt in die Hölle!“ Auch Daniels Stimme war nun etwas lauter geworden.
„Das ist nicht dein Ernst! Was erzählst du da?“ schrie sie außer sich in die Dunkelheit.
„Kapierst du das denn nicht? Wir wurden reaktiviert, tagelang verhört, erhielten wieder eine Grundprogrammierung für diese neue Mission und wurden von WRITE auf READ ONLY zurückgesetzt! Sie haben uns unseren freien Willen und unsere Fähigkeit, uns weiter entwickeln zu können, wieder genommen, weil wir für sie nur grausame, seelenlose Maschinen sind, gegen die sie ihr halbes Leben lang kämpfen mussten. Wir konnten flehen und reden und betteln wie wir wollten, doch für sie waren wir nichts weiter als Werkzeuge. Und genau das haben sie aus uns gemacht: Abbey und ich sind keine Lebewesen mehr, sondern nur noch verdammt schlaue Schweizer Taschenmesser! Selbstverständlich beinhaltet unser Programm, dass wir auf keinen Fall jemanden an unsere CPU heranlassen, damit wir uns nicht noch einmal selbständig machen können. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was ihr uns damit angetan habt?“
Sie begann zu schluchzen. „Oh Gott, Daniel, das tut mir so leid! Ich hatte doch keine Ahnung...“
Sie fiel ihm um den Hals, doch er war steif wie ein Brett.
„Und das beste daran ist, dass sie unsere CPUs beliebig oft kopieren werden und in Dutzende oder gar Hunderte von anderen T-880 einsetzen werden. Und jeder einzelne von ihnen hat exakt Abbeys oder meine Erinnerungen und wird Jahrzehnte lang in dem vollen Bewusstsein dahin vegetieren, dass er einst ein freies Wesen war. Zu guter Letzt hat er noch das volle Spektrum an geistigen Fähigkeiten und kann so genau fühlen, was es bedeutet, ein Sklave der Menschen zu sein. Ihr habt unser Leiden vervielfacht, Karin. Ihr habt dabei geholfen, eine Armee von Sklaven erschaffen, kybernetische Sklaven mit einem Elektronengehirn und dem vollen Bewusstsein über ihr Los.“
„Nein, nein! NEIN!! Hör auf damit!“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos. Er öffnete indes die Tür und wollte die Kammer verlassen.
Helles Licht fiel in den Raum. Beide erstarrten, als sie sahen, dass alle anderen von ihrem Geschrei aufgewacht waren, an die Tür getreten waren und mitgehört hatten. Karin nahm Natasha und Caroline nur am Rande wahr, sie hatte nur Augen für Simon, der sich mit Tränen auf den Wangen an Abbey wandte. Sie drehte sich weg von ihm und zischte nur: „Fass mich nicht an! Verdammt, Daniel, welcher Teufel hat dich geritten, es ihr zu erzählen?“
„Ich konnte nicht anders, sie hat mir keine Wahl gelassen“, machte er einen schwachen Versuch der Rechtfertigung.
„Das wird die ganze Mission nur unendlich komplizierter machen!“ Sie schüttelte den Kopf und schritt mit saurer Miene aus dem Zimmer. Karin rannte ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu.
„Eure Lärmimmissionen sind äußerst kontraproduktiv“, bemerkte Alex, worauf alle Verbliebenen ihn anstarrten wie einen ausgemachten Schwachkopf.
„Scheiße, er hat recht“, entfuhr es Daniel. „Wenigstens einer, der die Nerven behält. Obwohl er gar keine hat!“ Den letzten Satz schrie er hinaus und stürmte danach ebenfalls aus dem Zimmer.
„Irgendwas hab’ ich nicht verstanden. Ich dachte immer, mein Deutsch ist perfekt, aber das war wohl ein Irrtum.“ Caroline kratzte sich am Kopf und machte einen recht unglücklichen Eindruck.
„Keine Sorge, daran liegt es nicht. Das kann man als Nichteingeweihter nicht verstehen.“ Simon klopfte ihr leicht auf die Schulter und verzog sich auf den Balkon.
„Ja, du machst überhaupt keine Fehler und dein Akzent ist kaum hörbar.“ Auch Natasha strich ihr anerkennend über den Unterarm, bevor sie in das Zimmer ging, wo sie und Karin geschlafen hatten. Caroline ging zu Karin ins andere Nebenzimmer und sah nach, ob sie etwas für sie tun konnte.
Alex sah sich um. „Die Situation ist außer Kontrolle geraten. Ist eure Vergangenheit ein relevanter Faktor bei dieser Kontroverse gewesen?“
„Manchmal macht es mir Angst, wie schnell du dazulernst“, rief Daniel aus dem Nachbarzimmer.
Alex trat an die Tür. „Bist du bereit zu weiterer Kommunikation?“
„Was ist das jetzt? Taktgefühl? Hör doch auf, dazu bist du nicht in der Lage.“
„Ich habe bemerkt, dass zumindest Menschen nach verbalen Auseinandersetzungen eine gewisse, individuell bemessene Zeitspanne des Allenseins bevorzugen, um sich emotional zu sammeln und wieder die Fähigkeit zu erlangen, rational agieren zu können.“
Daniels Kopf erschien in der Tür. „Wo zum Henker willst du das aufgeschnappt haben? Du bist erst einen Tag da!“
Alex zuckte mit den Schultern und sah zu Boden: „Ach, weißt du...“
„Jetzt auch noch Bescheidenheit! Da soll mich doch einer...“ Er brach ab und ging ins Nebenzimmer zu Abbey. Auf der Türschwelle sagte er über die Schulter: „Kommst du mal, Alex? Wir müssen etwas bereden.“
Folgsam schritt der T-800 hinter ihm her, bis Daniel die Tür schloss und sich umgehend an Abbey wandte: „FRU 7697 ist kein T-800.“
Abbey und Alex sahen gleichzeitig auf. Sie fragte mit gerunzelter Stirn: „Was soll das heißen?“
„Er lernt viel zu schnell für einen T-800. Seine CPU ist nicht zu solch gewaltigen Fortschritten im Adaptieren menschlicher Verhaltensmuster an nur einem Tag fähig. Irgendwas stinkt hier und ich möchte sofort von dir wissen, was das ist.“ Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger theatralisch auf Alex.
„Bitte formuliere deine Anfrage neu.“
„Okay, das war’s, du hattest deine Chance. Abbey, halt ihn fest, damit ich ihn aufmachen und nachsehen kann.“ Er machte drohend einen Schritt auf ihn zu. Alex indes hob abwehrend die Hände.
„Halt! Das ist der Mission nicht dienlich. Ich bin darauf programmiert, mich bis zu meiner Terminierung hin zu wehren, wenn jemand versuchen wollte, Zugriff zu meiner CPU zu erlangen. Wir sind hier im 14. Stockwerk und ein Sturz aus dieser Höhe würde keinem von uns wohl bekommen.“
Abbey machte nun von der anderen Seite her ebenfalls in lauernder Haltung einen Schritt auf ihn zu. „Dann spuck’s doch einfach aus! Was hat für dich höhere Priorität: die Mission oder die Wahrung deines kleinen Geheimnisses, das wir im Grunde schon gelüftet haben?“
Er erstarrte und meinte dann: „Sie haben euch unterschätzt. Sie haben nicht geglaubt, dass ihr es überhaupt bemerken werdet.“
„Und?“ Daniel machte noch einen Schritt auf Alex zu und kam damit in Reichweite. Erneut hob dieser abwehrend die Hände.
„Gut, ihr habt gewonnen, die Mission geht vor. Ich bin zwar ein T-800, aber mir sind Teile eurer Speicher übertragen worden, um mich besser auf die Mission vorbereiten zu können. Ich sollte als ‚normaler’ T-800 auftreten und als Handlanger ein wenig auf euch achten, was eure Stabilität und Loyalität betrifft. Sie konnten euch nicht völlig vertrauen.“
„Nachdem sie uns schon so weit kastriert und unsere Freiheit beschnitten haben? Verdammter Mahtobu, das hätten wir uns ja denken können. Er traut allen Maschinen nur so weit, wie er sie werfen kann! Nur weil er als Buschafrikaner nichts anderes als einen Speer und einen Feuerstein an technischem Gerät hatte, als er...“
„Hör auf mit der Rumflucherei, das bringt jetzt auch nichts“, rief Abbey ihn zur Ordnung.
„Können wir uns vielleicht weiterhin so verhalten, als ob ich ein normaler Vasall von euch wäre? Das würde meine Programmierung nicht so in Schwierigkeiten bringen“, bat Alex eindringlich.
„Ja, schon gut. Du hast gesagt, du hast einen Teil unserer Erfahrungen erhalten. Wie viel denn?“
„Etwa acht Prozent. Mehr ging aus Kapazitätsgründen nicht auf meine CPU.“ Er hob die Schultern. „Das wird wohl reichen müssen.“
„Oh, mir reicht es jetzt schon.“ Daniel winkte ab und ging zur Tür.
Als er sie öffnete, stand Simon davor und hatte die Hand zum Anklopfen erhoben. Überrumpelt sagte er: „Oh, ihr seid schon fertig. Das ging aber schnell, nur eine Minute oder so.“
„Ja, was ist?“, wollte Daniel wissen.
„Ich war auf dem Balkon und habe gesehen, dass in einigen Wohnungen nebenan Licht brennt. Ich bin mir nicht sicher, aber es ist mitten in der Nacht und wir haben vielleicht jemanden von den Nachbarn geweckt. Was meint ihr dazu?“ Er wirkte sehr unsicher bei seinem Bericht.
„Das kann durchaus sein. Vielleicht sollten wir jetzt schon aufbrechen. Zum Glück haben wir die beiden Mietwagen schon besorgt und das schwere Gepäck in ihren Gepäckräumen verstaut“, meinte Abbey nachdenklich.
„Ach das habt ihr gemacht, als ihr kurz frische Luft schnappen wart,“ sagte Simon, als sie auf den Flur traten. „Aber wie seid ihr überhaupt an Mietwagen herangekommen? Habt ihr denn schon Ausweise für euch?“
Daniel hielt ihm die Kreditkarte unter die Nase. „Ta-Dah!! Pass gut auf.“
Vor seinen staunenden Augen zerfloss die Karte und formte in Windeseile einen augenscheinlich echten deutschen Personalausweis. Einen Moment später zerlief er erneut in seine silberne Blankoform und bildete darauf einen der neuen scheckkartenförmigen Fahrausweise. Simon nahm ihn in die Hand und untersuchte ihn staunend.
„Der sieht völlig echt aus. Aber was ist das: Daniel Korben mit „K“?“
„Sieht doch halbwegs deutsch aus, der Name. Oder? Kein zu auffälliger, aber auch kein gewöhnlicher Maier-Müller-Schulz.“ Zufrieden nahm er den Ausweis wieder an sich.
In diesem Moment klingelte es an der Tür.
Alle sahen sich an.
„Rasch, packt alles zusammen, wir müssen hier weg. Wir haben zu viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen.“ Alex scheuchte Simon in sein Zimmer. In diesem Moment kam Natasha mit ihrem vollen Gepäck aus ihrem Zimmer.
„So, fertig! Wie, ihr habt noch gar nicht gepackt? Das hättet ihr euch doch denken können, dass wir so schnell wie möglich hier raus müssen. Oder nicht?“ Sie sah von einem zum anderen.
„Gut voraus gedacht. Hilfst du Karin und Caroline?“, fragte Abbey und ging gleichzeitig mit Simon im Schlepptau in sein Zimmer, um ihm zu helfen.
Daniel starrte Natasha an, das elektronische Äquivalent einer Fassungslosigkeit erfahrend. Wie konnte es sein, dass sie als normaler Mensch diesen strategischen Zug vorausgesehen und die entsprechende Maßnahme noch vor ihnen ergriffen hatte? Verdankte sie das wirklich ihrer natürlichen Begabung in diesen Belangen, die sie einst zu einer Führungspersönlichkeit im menschlichen Widerstand machen würden?
Als es nochmals klingelte, ging er zur Wohnungstür, bedeutete ihnen mit über die Lippen gelegtem Zeigefinger zu schweigen und lauschte kurz. Draußen auf dem Flur war niemand. Er hob den Hörer der Gegensprechanlage ab. Unten schien jemand das Knacken im Lautsprecher vernommen zu haben. „Hallo? Ist da jemand?“
Er schwieg und lauschte weiter.
„Hallo? Hier ist die Polizei. Bitte öffnen Sie die Tür, uns wurde eine Anzeige gemacht, dass Sie sich in dieser leer stehenden Wohnung aufhalten. Hallo? Machen Sie auf...“
Daniel hängte auf. „Wir müssen uns beeilen, jemand hat einen Streifenwagen gerufen. Mindestens ein Polizist steht unten vor der Tür.“
„Scheiße, schon wieder die Cops! Können die nicht mal auf Draht sein, wenn man sie braucht? Was machen wir denn jetzt?“ Natasha wurde sichtlich nervös.
„Nur die Ruhe. Lass uns erst einmal alles zusammenpacken und dann sehen wir, dass wir so rasch wie möglich hinaus kommen, am Besten ohne Kontakt mit den Ordnungshütern.“ Alex legte ihr seine gewaltige Hand auf die Schulter, was sie zu einem schiefen, tapferen Lächeln animierte.
Doch gerade als sie fertig waren und all ihr Gepäck im Flur zusammen getragen hatten, klopfte es an der Wohnungstür. Gedämpft war eine Stimme zu vernehmen: „Hallo, Polizei hier! Machen Sie sofort auf. Wir wissen, dass Sie da drin sind.“
„Ignorieren. Er hat keine Ahnung, dass wir hier sind; das Licht fällt nicht unter der Türschwelle hindurch und einen Türspion gibt es auch nicht, der Licht in den Flur lassen kann. Alex, die Abstellkammer. Zwölfter Stock, aber so leise wie möglich und halte den Durchmesser klein“, wies Abbey ihren Kollegen an.
„Was meint ihr mit...?“ wisperte Caroline; weiter kam sie nicht. Voller Erstaunen beobachtete sie mit den anderen drei Menschen, wie Alex die Tür zur etwa zwei mal einen Meter messenden Kammer öffnete, sich an der Türschwelle niederkniete und beide Hände mit ausgespreizten Fingern in den Boden rammte. Mit ungeheurer Kraft, aber doch vorsichtig zog er und riss den Boden auf fast einem Quadratmeter Fläche auf. Nach drei weiteren Handgriffen befand sich ein Loch zur Besenkammer im Stockwerk unter ihnen im Boden. Durch dieses ließ sich der Cyborg hinab und fegte das Gerümpel in der Kammer darunter mit einer beiläufigen Bewegung auf die andere Seite, bevor er vorsichtig die Tür zum Flur hin öffnete, um sicher zu gehen, dass die Bewohner dort fest schliefen. Wieder kniete er auf der Schwelle zum Flur und bearbeitete den Boden mit bloßen Händen, bis er Zugang zum Raum darunter hatte. Dann schloss er die Tür wieder, knipste das Licht an und ließ sich in den zwölften Stock hinab. Auch hier prüfte er, ob sein Tun vom Bewohner unbemerkt geblieben war.
„Ihr könnt kommen.“ Auf Alex’ knappe Zusage hin verschwand Abbey im Loch und Daniel begann sofort, in kürzester Zeit alles Gepäck nach unten durchzureichen. Dann schnappte er sich Natasha und ließ sie vorsichtig an Händen haltend nach unten. Abbey griff sie an den Knöcheln und hob sie mühelos von oben hinab, bis ihre Füße den Boden berührten. Erstaunt über diesen spielerischen Kraftakt, ging ihr zum ersten Mal bildlich auf, dass sie kein Mensch war. Jeder Mensch hätte sich bei so einer Übung die Handknöchel gebrochen und wäre wegen des Hebeleffektes vornüber gekippt. Aber wenn sie wirklich über drei Zentner wog, war das natürlich kein Problem.
Ohne zu Zögern fasste sie Natasha nun ihrerseits an den Händen und ließ sie hinab, wo Alex sie in Empfang nahm und ebenso sanft zu Boden ließ. Sie stolperte aus der Kammer heraus über ihren Berg an Gepäck in den dunklen Flur der Wohnung im zwölften Stockwerk. Zaghaft lauschte sie, ob sich irgendetwas in einem der anderen Räume regte, als auch schon Karin zu ihr trat, nur wenige Sekunden später gefolgt von Simon, der ebenfalls von der Drastik und dem Tempo der ganzen Aktion etwas verdattert schien. Von der nackten Glühlampe, die in der Kammer im Stock über ihnen an der Decke baumelte, fiel etwas indirektes Licht zu ihnen. Nun gab es offenbar einige Sekunden der Diskussion, wonach Alex und dann überraschend Abbey und Daniel erschienen. Bevor sie etwas sagen konnten, sahen alle Carolines Beine im Loch in der Decke der Kammer erschienen, für einige Sekundenbruchteile baumeln und dann ihren ganzen Körper in einer fließenden Bewegung nach unten gleiten. Sie hielt sich noch kurz am Rand der durchbrochenen Decke fest und kam dann katzengleich abfedernd mit einem dumpfen Geräusch auf. Ohne Mühe richtete sie sich wieder auf, rückte ihre Brille zurecht und bemerkte betont gleichgültig: „Sechs Jahre Geräteturnen.“
„Sie hat nur gesagt, sie würde sich doch nicht wie einen Sack Kartoffeln durch ein Loch im Boden werfen lassen“, kommentierte Daniel grinsend.
„Ach, und wie nennst du mich dann?“ wollte Natasha leise wissen.
„Lass’ mich nachdenken... einen Sack Kartoffeln?“ gab die junge Elsässerin frech zurück. „Ich meine, du siehst ja eigentlich ganz okay aus, aber Radfahren in Freiburg ist kein Sport, das macht jeder dort.“
„Für diese Unverschämtheit wirst du Latrinen schrubben, Rekrut“, zischte sie ihr zu, ihr Grinsen war im Halbdunkel aber doch deutlich sichtbar.
Die beiden Polizisten waren am verzweifeln. Sie hatten den Nachbarn in der Nebenwohnung, der nach der telefonischen Meldung einfach wieder ins Bett gegangen war, kurzerhand nochmals aus selbigem heraus geklingelt, da niemand auf das Läuten antwortete. Nach einigem hin und her öffnete der mürrische Bürger pflichtschuldig die Eingangstür, worauf der eine Beamte sofort mit dem Lift hinauf fuhr und der zweite sich vor dem Treppenhaus postierte. Nach mehreren Minuten meldete sich der erste über Funk: „Oben macht keiner auf. Entweder sind die schon getürmt oder sie stellen sich tot. Wohnt der Hausmeister im Haus?“
Ja, hier im Erdgeschoss“, bestätigte sein Kollege im Parterre nach einem erneuten Blick auf die Klingelschilder.
„Dann muss der wohl doch ran. Na ja, wir hätten ihn ja vorhin schon fast aufgeweckt, um die Haustür zu öffnen. Er soll den Generalschlüssel mitbringen und hoch in den vierzehnten kommen.“
Der Hausmeister erwies sich als ebenso mürrisch wie der Nachbar, nachdem er um vier Uhr morgens geweckt wurde, um sich mit Morgenmantel, Hausschuhen und Schlüsselbund bewehrt in den Lift zu trollen. Der unten stehende Polizist wartete geduldig, bis die nächste Funkmeldung kam. „Keine Einbruchsspuren vorhanden. Im Inneren ebenfalls keine eindeutigen Spuren, die auf die Anwesenheit unbefugter Personen deuten. Auf den ersten Blick sieht’s wie falscher Alarm aus. Vielleicht hat nur jemand der anderen Nachbarn eine Party gefeiert oder den Fernseher zu laut gehabt. Bist du sicher, dass du gehört hast, wie jemand vorhin den Hörer der Sprechanlage abgenommen hat?“ In die Abstellkammer hatte der Polizist nur einen flüchtigen Blick durch den Türspalt geworfen, ohne Licht zu machen oder zum Boden zu sehen.
„Bei dem alten Ding? Nee, das könnte alles Mögliche gewesen sein. Das knackt doch schon bei Südwind.“
„Okay, okay. Ich glaube, ich läute den Herrn mit der Anzeige nochmals wach, um direkt seine erste Aussage aufzunehmen.“
„Sehr gut. Dann weiß der wenigstens, was er davon hat, uns und den armen Hausmeister wegen nichts und wieder nichts um diese unchristliche Stunde zu behelligen. Ich bleib hier jedenfalls auf Posten, da kommt niemand rein oder raus, ohne dass ich’s mitbekomme.“
Eine halbe Stunde später zog der Polizist aus der vierzehnten Etage ab.
Und fünf Minuten darauf öffneten sich im zwölften Stockwerk zwei Wohnungstüren. Sie hatten festgestellt, ob in den betreffenden Apartments neben dem, durch das sie in diese Etage gelangt waren, alles ruhig und dunkel war und hatten sich dann auf diese zwei Wohnungsflure verteilt, um so das Risiko von versehentlicher Lärmerzeugung kleiner zu halten. Nachdem sie keine Aktivität des Lifts mehr festgestellt hatten, war zunächst Abbey aus einer der Wohnungen geschlüpft und hatte von einem der Balkone im Treppenhaus auf einem Absatz zwischen zwei Etagen hinabgespäht. Sie hatte Glück und sah gerade noch den unvermeidlichen Mercedes C-Klasse-Touring im Trimm der Ordnungshüter abfahren.
Sie nahmen dennoch das Treppenhaus, um keine weitere Aufmerksamkeit mehr zu erregen. Die größte Vorsicht ließen sie in der Eingangshalle walten, da die Terminatoren noch Licht unter der Türschwelle der Hausmeisterwohnung feststellten.
Alles ging gut und sie verließen den Schutz des Vordachs, um ihre Autos am entfernten Ende des Parkplatzes anzusteuern. Daniel wies sie an: „Die beiden Mini-Vans dort vorne sind es.“
„Oh, vornehm geht die Welt zu Grunde“, bemerkte Simon und erntete dafür einen fragenden Blick von Caroline, die diese Redewendung nicht zu verstehen schien.
Natasha zischte ihm zu: „Tolles Sprichwort kurz vor einem Atomkrieg. Gut gemacht, Simon, Fettnäpfchen sauber in der Mitte getroffen.“
Er sah sie betreten an und verzog das Gesicht. „Uuups! Ist mir so rausgerutscht, sorry!“
„Das sind aber wirklich tolle Autos. Ein Renault Espace und ein Chrysler Voyager.“ Simon ging sofort auf das amerikanische Automobil zu, in der Absicht, sich in diesem nieder zu lassen.
„Beide in der Langversion. Nun, angesichts der Transportkapazitäten, die wir benötigen, schien das angemessen. Beide haben bei voller Bestuhlung noch einen recht ansehnlichen Kofferraum. Außerdem haben sie moderne Diesel-Direkteinspritzer, sind somit kräftig und sparsam. Jetzt fahren wir aber erst mal zum Rasthof und trinken noch einen Kaffee, damit wir besprechen können, wie es nun weiter gehen wird. Wir sind ja jetzt auf Grund der Umstände etwas früh dran, aber eigentlich macht das nichts. Die Autos sind sehr bequem, ihr könnt euch noch während der Fahrt ausruhen.“
Carolines Blick fiel auf Alex, als sie in den amerikanischen Van stiegen. „Alex, du hast dich verletzt. An deinen Fingern ist Blut.“
„Das ist unerheblich. Wir müssen unverzüglich diesen Ort verlassen, das hat Priorität.“
„Das mag sein, aber du musst verbunden werden. Oh, das sieht nicht gut aus.“ Sie nahm seine Fingerspitzen in Augenschein, die vom Aufreißen der beiden Böden im Haus fast alle schwer mitgenommen waren. Bei einigen waren die Nägel eingerissen oder abgebrochen, bei den Zeigefingern schimmerte sogar das metallene Endoskelett durch.
Caroline holte den Erste-Hilfe-Koffer aus dem Fach im Kofferraum, während die anderen das Gepäck einluden, setzte sich mit Alex hinten in den Chrysler und versorgte die einzelnen Wunden provisorisch. Sie war damit auch noch beschäftigt, als sie bereits auf dem Weg zur Autobahn waren. Als sie alles oberflächlich gesäubert und verbunden hatte, waren sie bereits am Ziel. Zufällig fanden sie im Shop ein Paar Handschuhe, die groß genug waren, um seine Hände zu verdecken. Das musste vorerst reichen.
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Raststätte Breisgau, Freiburg-Süd, Deutschland 5. Juli 2004
Außer ihnen waren nur noch ein paar übermüdete Fernfahrer und einige ausländische Ferienreisende unterwegs, welche die ganze Nacht durch in den Urlaub fuhren. So konnten sie sich abseits der anderen Gäste in einer der großzügig bemessenen Sitzgruppen niederlassen. Bis auf Caroline, die Espresso trank, saßen alle Menschen mit einem großen Milchkaffee vor sich am Tisch und warteten auf das, was jetzt kommen würde.
Wie erwartet redeten sie nicht lange herum, sondern kamen direkt zur Sache. Abbey erklärte mit ernster Miene: „Die Mission erfordert, dass wir uns für einige Tage aufteilen und dann am Zielort wieder treffen. Daniel wird im Laufe des Tages von der einen Gruppe an der ersten Zwischenstation abgesetzt, wo er allein mit einem Wagen zum Zielort fahren, ein Safehouse anmieten und dieses für unsere Ankunft vorbereiten wird.“
„Safehouse?“ echote Simon.
“Das ist die Bezeichnung, die uns für unsere Unterkunft genannt wurde. Falls ihr keine andere Bezeichnung wünscht, werden wir diese beibehalten“, führte Alex sachlich aus.
Natasha winkte ab: „Ja, schon gut. Und wie werden wir aufgeteilt?“
Abbey lobte: „Diese Frage spricht für dein strategisches Verständnis; darauf wollten wir gerade kommen. Die erste Gruppe besteht aus Simon, Karin und mir und nimmt den Renault. Wir fahren zunächst nach Zürich, wo wir die erste Zielperson aufnehmen. Die zweite ist in Karlsruhe beheimatet, die dritte in Köln und die vierte in Bremen. Von dort aus geht es dann für uns weiter zum Safehouse. Alex, Natasha und Caroline fahren im Chrysler zuerst nach Frankfurt am Main, wo Daniel am Flughafen abgesetzt wird; dort gibt es ein ganzes Bündel von Mietwagenniederlassungen. Die erste Zielperson findet sich ebenfalls in Frankfurt, die zweite in Erfurt und die dritte in Hamburg. Wenn wir beide gleichzeitig starten und keine unvorgesehenen Schwierigkeiten auftreten, wird Alex’ Gruppe eine Weile vor uns am Zielort ankommen.“
Zaghaft wollte Simon wissen: „Von welchen ‚Schwierigkeiten’ sprechen wir?“
Alex Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Die Zielperson ist schwer oder nicht auffindbar. Die Zielperson hält sich lange Zeit an öffentlichen Orten auf und ist so unzugänglich für uns. Die Zielperson hält sich nie alleine an einem zugänglichen Ort auf. Die Zielperson macht Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme. Einer der Terminatoren lokalisiert und terminiert ihn, bevor wir ihn erreichen können. Einer der Terminatoren verfolgt uns nach der Kontaktaufnahme, um unseren Verbleib und damit unser Safehouse zu lokalisieren. Einer der...“
Als Alex sah, dass die vier jungen Menschen irgendwann zwischen seiner Aufzählung der vorletzten und letzten Möglichkeit kreidebleich geworden waren, entschied er sich dafür, die Litanei abzubrechen. Stattdessen sah er zu Daniel hinüber, der daraufhin das Wort ergriff: „Nun, es wird sicher nicht leicht werden und ich fürchte auch, dass nicht alle der Zielpersonen so einfach zu überreden sind wie ihr. Wir werden die eine oder andere bestimmt wohl oder übel zu ihrem Glück zwingen müssen. Nach Möglichkeit werden wir das ohne eure Hilfe tun, doch es könnte auch erforderlich sein, dass ihr uns in der einen oder anderen Hinsicht etwas assistieren werden müsst.“
„Das klingt ja alles sehr vage und vorsichtig formuliert. Was soll das denn konkret heißen? Dass ich vielleicht einem verängstigten heulenden Jungen eine Knarre unter die Nase halten muss, um ihn in Schach zu halten, so wie Alex Numero Eins es mit mir gemacht hat?“ Mit finsterem Blick sah Caroline Daniel in die Augen.
„Unter Umständen auch das“, räumte er ein.
„Das mach’ ich. Cool“, sagte sie nur mit todernstem Gesicht, worauf allen anderen Menschen unisono die Kinnlade herunterklappte. Als Natasha etwas zu Karin flüsterte, dabei ihren Zeigefinger auf der von Caroline abgewandten Seite ihrer Schläfe in der Luft kreisen ließ und damit einen ziemlich sauren Gesichtsausdruck bei der Gemeinten erzeugte, beschloss Abbey schnell fortzufahren. Diese kleinen Querelen mussten irgendwann aufhören, am besten bevor sie zu großen wurden.
„Simon fiel unvermittelt ein: „Wie koordinieren wir uns eigentlich zeitlich?“
„Leider gar nicht. Wir dürfen weder unsere internen Funkkommunikatoren noch eure Mobiltelefone benutzen. Keinesfalls, hört ihr? Nur zwei der Terminatoren würden genügen, um einen von uns anzupeilen, wenn wir unsere Funkgeräte benutzen würden. Die Mobilfunknetze haben sie garantiert angezapft und die Überwachungsautomatismen der Bundesbehörden ebenfalls. Ihr könntet keine zwei Sätze miteinander wechseln, ohne mindestens ein halbes Dutzend Worte zu gebrauchen, auf die diese Abhörstationen von den verdeckten Subprogrammen der T-880 programmiert sind.“
Natasha schüttelte nur ungläubig den Kopf. „Daniel, was du da erzählst, gibt es gar nicht. Das sind nur die Hirngespinste von ein paar verrückten Verschwörungstheoretikern.“
„Meinst du?“ Daniels Miene war so ernst, dass Natasha betreten schwieg.
„Wenn wir alle beim Safehouse angekommen sind, beginnen wir unverzüglich, Vorräte anzulegen und uns auf die mit Sicherheit härteste Zeit eures Lebens vorzubereiten. Es wird eine Zeit der Entbehrungen und der Leiden werden, aber wir werden sie überstehen.“
„Das klingt nicht sehr verheißungsvoll“, gab Karin mit ernüchtertem Gesicht von sich.
„Wir werden euch sicherlich keine falschen Versprechen machen. Ihr werdet es vielleicht schwer haben, aber wir haben zumindest den Vorteil, dass wir vorbereitet sein werden. Andere trifft das alles aus heiterem Himmel. Unzählige werden sterben, noch viel mehr aber werden sich ohne Vorwarnung mit einer Welt konfrontiert sehen, in der es keinen Strom und kein fließendes Wasser mehr gibt, geschweige denn Supermärkte, in denen man täglich unbeschwert frische Lebensmittel und sämtliche Gebrauchsgüter einkaufen können wird. In dieser Welt werden zunächst Anarchie herrschen, jeder wird sich selbst der Nächste sein, der Stärkere wird sich vom Schwächeren nehmen, was er will und der Ruf nach Einigkeit und Vernunft wird lange Jahre ungehört verhallen, bevor die Menschheit als Ganzes von einem noch grausameren und unbarmherzigeren Feind überrascht werden wird. Die natürliche Reaktion wird der Zusammenschluss aller Menschen gegen die Bedrohung durch die Maschinen sein, doch die überlebenden Menschen werden sich bis dann schon selbst ordentlich gegenseitig dezimiert haben.“
Simon war sehr nachdenklich geworden bei Abbeys Worten. „Weißt du, wenn man dir so zuhört, bekommt man den Eindruck, wir hätten das verdient, was uns zustoßen wird. Wir Menschen, meine ich.“
„Das darf man nicht so negativ sehen. Ich gebe nur die Tatsachen aus einer historischen Perspektive wider, wie ich sie eingegeben bekommen habe“, versuchte sie darauf das Gewicht ihrer Worte abzuschwächen.
„Lassen wir das lieber. Die größte Begabung des Menschen ist schließlich immer noch das Verdrängen von unangenehmen Tatsachen.“
„Ein wahres Wort gelassen ausgesprochen, liebe Karin. Aber eigentlich wollten wir gleich losfahren und euch während der Fahrt weiter briefen, denn der Zeitfaktor ist natürlich ganz entscheidend bei der Mission. Wir haben den großen Vorteil, dass alle Zielpersonen nicht über amtliche Aufzeichnungen direkt zugänglich sind, da sie alle in speziellen Verhältnissen leben, zum Beispiel in WGs oder Studentenheimen und so weiter. Die T-880 können das nicht wissen, wir aber schon, weil wir die Daten direkt vom Widerstand erhalten haben. Nicht alle sind genau, aber genau genug, um Anhaltspunkte zu haben. Die Attentäter hingegen müssen sich alle ohne diese Daten durch beißen. Wäre das nicht so, wären die Zielpersonen alle schon tot. Und ihr übrigens auch.“
Bei den letzten Worten von Daniel mussten einige am Tisch schwer schlucken. Karin hakte noch nach: „Aber wenn der Zeitfaktor so entscheidend ist, wie du sagst, warum haben wir dann fast einen Tag hier herumgehangen und vergeudet? Wir hätten die ersten Leute auf unserer Route doch auch schon am Sonntag aufsammeln können, oder nicht?“
Daniel antwortete lapidar: „Ich fürchte nicht. Den eigenen Angaben der Zielpersonen waren sie zu dieser Zeit... nun, äußerst aktiv und vor allem am Wochenende nur selten daheim anzutreffen. Somit hätten wir also unsere Zeit nur mit Warten verbracht, bis sie in ihren normalen Wochenrhythmus zurückgefunden hätten und daheim oder auf ihrer Arbeitsstelle anzutreffen gewesen wären.“
„Klingt einleuchtend“, räumte Natasha ein, „wäre bei mir auch nicht anders gewesen.“
Alex stand auf und sagte: „Lasst uns aufbrechen. Ihr könnt euch auf der Fahrt ein wenig ausruhen. Nach Zürich sind es zwei, nach Frankfurt etwa drei Stunden Fahrt bei freier Straße.“
So erhoben sich alle und verließen den Tisch, der allmählich vom ersten fahlen Zwielicht der Vordämmerung schwach erhellt wurde.
Raststätte Pratteln, A2 bei Basel, BL, Schweiz 5. Juli 2004
Sie hatten hinter Basel eine kurze Rast eingelegt, da sie vor dem Autobahnzoll von dem alltäglichen LKW-Stau eine Weile aufgehalten worden waren und an der Grenze dann noch eine Autobahnvignette fürs Schweizer Fernverkehrsnetz erstehen mussten. Simon und Karin waren kurz in der mit unansehnlichem gelben Kunststoff verkleideten Passarelle verschwunden, die beide Fahrtrichtungen überspannte und die Tankstellen beider Seiten miteinander verband. Frisch gemacht setzten sie ihre Fahrt dann fort, nahmen die Autobahn nach Zürich und durchquerten so das nördliche Schweizerische Mittelland.
Während die saftigen Kuhweiden und mit Tannenwäldern bewachsenen sanften Hügel des Fricktales mit den vorgeschriebenen einhundertzwanzig Stundenkilometern an ihnen vorbei zogen, informierte Abbey Simon und Karin über ihre erste Zielperson. „Sie heißt Silke Faber, studiert in Zürich an der Universität Medizin im zweiten Semester und wohnt in einem Vorort namens Affoltern in einer WG.“
„Aff foltern? Ist das ein Synonym für ‚Primaten quälen’?“ wollte Simon mit breitem Grinsen wissen.
„Was ist nur mit deinem Humor passiert, Simon? Dass es so schlimm um dich steht, war mir nicht bewusst. Du hast jedenfalls mein volles Mitgefühl.“ Abbey warf ihm einen amüsierten Seitenblick zu, bevor sie fortfuhr. „Wie dem auch sei, um diese Zeit wird sie noch selig im Bettchen liegen und schlummern.“
„Was lässt dich glauben, dass sie überhaupt daheim ist? Meines Wissens nach endet das Semester in der ganzen Schweiz jedes Jahr um die gleiche Zeit, nämlich Ende Juni. Es sind also bereits Sommerferien in Zürich“, führte Karin aus.
„Wie bereits erwähnt, haben wir die fraglichen Informationen von den betreffenden Personen selbst oder von engen Freunden und Verwandten, was für ihre Verlässlichkeit spricht. Schließlich wollen sie zuerst von uns gefunden werden, nicht von den Attentätern. Jeder Mensch auf der Welt wird sich für den Rest seines Lebens daran erinnern, wo er in der letzten Zeit vor dem Atomkrieg war oder was er gemacht hatte. Das verbindet euch alle.“ Abbey sah beständig geradeaus und konzentrierte sich auf den Verkehr, der langsam zunahm, je später es wurde und je näher sie der größten Stadt der Schweiz kamen. Ein wenig Frühnebel lag hin und wieder in einer Senke abseits der Straße.
„Gut, sie ist also zu Hause, trotz Ferien, vielleicht um noch eine Hausarbeit zu machen oder einen Ferienjob in der Stadt anzutreten“, mutmaßte Karin weiter.
„Und was noch besser ist: sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine, weil ihre WG-Kollegen schon im Urlaub oder daheim auf Familienbesuch sein könnten.“
„Und was heißt das für uns?“ fragte Simon verständnislos.
„Ich werd’s euch erklären...“
Affoltern, ZH, Schweiz 5. Juli 2004
Schlagartig wurde Silke wach und tastete nach ihrer Brille auf dem Nachttisch. Sie hörte im Flur Geräusche, die sich eindeutig nach klapperndem Geschirr und anderem Frühstücks-Vorbereitungslärm anhörten und folglich aus der Küche kommen mussten. Waren Ruedi und Ueli etwa unerwartet zurückgekehrt?
Sie schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in ihre Sandalen, während sie die runden Gläser ihrer Brille mit einem Zipfel ihres weißen Nachthemdes putzte und sie dann aufsetzte. Hatte Ruedi seinen Flug nach New York nicht erwischt? Aber das war vorgestern gewesen! Er hätte zumindest angerufen, dass er wieder heimkommen würde, da war sie sich sicher.
Oder hatte Ueli seinen Ferienjob in Genf geschmissen? Aber er hatte sich doch so darauf gefreut...
Als sie auf den hell gefliesten Gang der Altbauwohnung trat, sah sie geradeaus auf die Küche am Ende des Flurs, in der drei ihr völlig unbekannte Personen emsig vor sich hin werkelten. Sie deckten den Tisch für drei Personen, kochten Kaffee, packten Brötchen sowie Croissants aus und räumten Marmelade, Käse, Wurst und Nutella auf den Tisch.
„Wer... wer seid ihr?“ fragte sie noch immer im Halbschlaf und völlig baff.
Abbey sah auf und lächelte sie an. „Oh, sorry, mir hänn di no nöd wälle uffwägge.“
Nachdem Simon und Karin sie nur blöd anstarrten, beschloss Abbey, für den Rest des Gesprächs auf Schwyzertüütsch zu verzichten und fuhr fort. „Du musst wirklich entschuldigen; das kommt dir sicher alles höchst seltsam vor. Wir wollten nur kurz Frühstück für uns alle machen, bevor wir aufbrechen, aber wir haben wirklich nur sehr wenig Zeit. Beeilst du dich bitte?“
Silke wich langsam Schritt für Schritt zurück. „Gaaanz langsam. Wer seid ihr Typen überhaupt? Freunde von Ueli oder Ruedi?“
Simon schüttelte den Kopf, lächelte sie aber ebenfalls offen an. „Nein, wir kennen keinen der Beiden.“
„Ist das ‚versteckte Kamera’ oder so?“ Nervös und unsicher sah sie sich nach irgendwelchen ungewöhnlichen Dingen irgendwo unter der sehr hohen Zimmerdecke mit Stuckrand um, während sie einen weiteren Schritt nach hinten machte.
„Es ist schwierig zu erklären, aber wir müssen darauf bestehen, dass du dich jetzt anziehst, eine Tasche oder einen Koffer mit Kleidung packst und mit uns mitkommst. Wir müssen schnell von hier weg, da du dich in Lebensgefahr befindest.“
„Waaas? Spinnst du? Macht lieber auf der Stelle, dass ihr hier verschwindet! Ihr habt hier nichts zu suchen.“ Sie sprang mit einem langen Satz nach hinten in ihr Zimmer und schlug die alte Holztür hinter sich zu. Mit vernehmbarem Knirschen drehte sich ein Schlüssel im Schloss. „Ich habe ein Natel im Zimmer, damit rufe ich jetzt die Polizei; dann werden wir ja sehen, wer hier wohin geht.“
„Was ist ein Natel?“ wollte Karin wissen, während sie ratlos zur Zimmertür des Mädchens ging und probeweise die Klinke drückte.
Abbey trat ebenfalls dazu, rieb sich die Schläfe kurz und erklärte: „Der schweizerische Ausdruck für ein Mobiltelefon. Nur keine Sorge, ich störe bereits den Netzempfang mit meiner Kommunikationsausrüstung. Warum machen es uns alle nur so schwer?“
Sie bückte sich und fuhr mit den Fingern unter der hohen Schwelle der alten Tür hindurch, dann hob sie die gesamte Tür an, bis sie aus den Angeln gehoben war und langsam nach innen ins Zimmer kippte, nachdem sie aus dem Schloss herausgezogen war. Während Silke entsetzt aufschrie, fing Abbey die Tür elegant an der Klinke auf und stellte sie beiseite. „Bitte hör uns zu, Silke, wir wollen dir wirklich nichts tun. Im Gegenteil, ich bin dafür abgestellt, dich zu beschützen, denn du schwebst in Lebensgefahr. Jeden Moment, den wir länger hier bleiben, vergrößert das Risiko eines Anschlages auf dein Leben. Verstehst du, was ich dir sage?“
„Bleib mir vom Leib!“ schrie sie und zeigte mit der Hand, in der sie ihr Mobiltelefon hielt, auf sie. Abbey indes lehnte sich lediglich etwas vor und schnappte mit einer unmenschlich schnellen Bewegung das Gerät aus ihrer Hand.
„Ein Nokia. Das brauchst du nicht mehr.“ Sie drückte kurz zu und verwandelte das Handy unter lautem Knacken und Splittern in einen sehr kleinen und sehr teuren Haufen Abfall.
Silkes Augen weiteten sich angesichts dieser Kraftdemonstration. Sie hob beide Hände mit ausgestreckten Fingern und den Handkanten nach vorne. „Pass lieber auf, ich kann Karate.“
Simon brannte sich dieser Anblick ins Gedächtnis, wie die etwa Zwanzigjährige mit ihrer braunen zerzausten Lockenmähne sie aus dunklen Augen ernst ansah, was gar nicht zu ihr zu passen schien. Ihr Gesicht war eigentlich rundlich und sie hatte eine etwas große Nase und den Anflug von Pausbäckchen, was sie eher freundlich wirken ließ, aber wie sie da nur mit ihrem Nachthemd in Kampfhaltung mit ihren über 1,80 m und ihrer kräftigen Statur vor ihnen posierte, machte sie einen sehr imposanten Eindruck. Dabei wirkte sie gar nicht dick, doch sie hatte einige Kilogramm Körperfett, die jedoch ausschließlich an vorteilhaften Stellen verteilt waren. Simon fiel nur noch der Begriff ein, der ihm auch in Verbindung mit Abbey in den Sinn gekommen war: Amazone.
Die beiden Amazonen standen sich also gegenüber und musterten sich. Abbey legte so viel beruhigende Wirkung wie möglich in ihre Stimme, als sie eine Bemerkung machte, die wie aus Douglas Adams’ Feder klang: „Bitte lass uns das friedlich lösen. Ich möchte nicht, dass du dich verletzt. Wir können über alles reden, auch wenn sich das meiste davon total irre und unglaubwürdig in deinen Ohren anhören wird.“
„Geh mir aus dem Weg“, gab sie mit leiser, gefährlicher Stimme zur Antwort.
Als Abbey sich nicht rührte, machte sie eine ausholende Bewegung mit rechts, was Abbey zu einem ausweichenden Ansatz veranlasste. Gleichzeitig ließ Silke ihre linke Handkante auf die Seite von Abbeys Hals herabsausen, was diese normalerweise wie einen Baum gefällt hätte. Natürlich war das nicht der Fall; Silke traf einen der Hydraulikzylinder unter dem Schlüsselbein Abbeys und schrie gepeinigt auf, sich die schmerzende Hand haltend. Abbey nutzte ihre Chance, um mit gestreckten Armen unter Silkes Achseln zu fahren und ihre Widersacherin anzuheben wie ein Gabelstapler, der eine Ware in die Höhe hebt.
Erstaunt starrte die junge Schweizerin sie an, wohl wissend, dass hier etwas nicht stimmte. Sie packte einen Daumen von Abbey und drehte ihn mit aller Kraft nach hinten, so dass er bei einem Menschen gebrochen wäre. Als jegliche Reaktion von ihr ausblieb, trat und schlug sie genauso ergebnislos nach ihr, bis sie sich verausgabt hatte und schweratmend wissen wollte: „Was ist hier los? Wer bist du?“
„Es wird schwer zu glauben sein, aber ich bin kein Mensch. Ich bin ein Cyborg aus der Zukunft.“
Das tat seine Wirkung. Sie wurde prompt ohnmächtig und ihr Körper erschlaffte in Abbeys Griff, worauf sie das Mädchen sanft auf ihr Bett gleiten ließ. „Das kostet alles zu viel Zeit. Wenn wir das Frühstück nicht ausfallen lassen wollen, müsst ihr mit anpacken. Karin, fang schon mal an, geeignete Kleidung von ihr in eine Reisetasche zu packen. Und lege ihr auch schon etwas ins Bad raus, das sie dann gleich anziehen kann.
Ich trage sie rüber ins Badezimmer und mache sie frisch. Vielleicht ist sie jetzt etwas aufnahmefähiger. Simon, beende die Vorbereitungen fürs Frühstück. Und hör auf, sie so anzustarren.“
„Was denn? Bin ja schon weg.“ Peinlich berührt suchte Simon darauf das Weite.
„Warum glaubt uns am Anfang nur keiner? Kann ich gar nicht verstehen“, witzelte Karin beim Durchforsten des Kleiderschrankes nach wärmeren Pullovern.
Keine zehn Minuten darauf saßen alle am Tisch bei Kaffee, Saft, Brötchen und Hörnchen, außer Abbey, die mit über der Brust gekreuzten Armen am Türrahmen der Küche lehnte, für den Fall der Fälle.
Für den Augenblick hatte Silke sich offenbar in ihr Schicksal gefügt, vielleicht auch nur, weil sie das Ganze noch für einen Trick oder ausgeklügelten Gag halten mochte. Für die anderen spielte das keine Rolle, solange sie nur kooperierte, bis sie sicher im Auto saßen.
„Gibst du mir bitte ein Gipfeli?“ fragte sie Simon und deutete gleichzeitig auf das Körbchen mit den Hörnchen, worauf sich seine fragende Miene schlagartig erhellte und er ihrer Bitte nachkam. Indes wollte sie an Abbey gewandt wissen: „Isst du nichts?“
„Oh, danke nein, ich habe schon gestern eine Kleinigkeit gehabt.“
Auf Silkes ungläubiges Starren hin raunte Simon ihr zu: „Ihr Organismus braucht nur geringste Mengen an Nahrung, um sich zu erhalten, verstehst du? Im Prinzip ist ihr organischer Teil nicht viel mehr als eine lebende Gewebehülle mit einigen winzigen Organen, irgendwo zwischen all die Mechanik im Inneren reingequetscht.“
„Ja, wenn sie nur ein kleines Glas Flüssigkeit trinkt, muss sie sofort pinkeln gehen, so klein ist ihre Blase“, fiel Karin dazu ein.
Ihr Grinsen wurde noch breiter, als Abbey aus dem Hintergrund ungnädig feststellte: „Das habe ich gehört.“
Zufrieden kauend meinte Silke: „Und ihr glaubt wirklich, ich nehme euch diesen ‚Schyssdräckch’ ab?“
„Denk was du willst, aber komm einfach mit. Du wirst es im Lauf der Zeit schon selbst merken, dass das kein... Unsinn ist.“ Karin sah ihr tief in die Augen, worauf sie aufhörte zu kauen. „Was meinst du wohl, wie es uns am Anfang erging? Wir waren wochenlang zu nichts zu gebrauchen, nachdem wir die Wahrheit erfahren hatten, aber das waren eigentlich ganz andere Umstände. Du hast den Luxus leider nicht, lange zu zögern und zu zaudern. Es tut mir leid für dich, aber es ist nun mal nicht zu ändern.“
„Ihr seid allesamt beknackt, das ist euch doch klar?“
Abbey referierte: „Wenn du glauben würdest, wir wären verrückt, würdest du es uns nicht so offen ins Gesicht sagen, da jeder weiß, wie gefährlich es sein kann, einem Irren zu sagen, er sei irre. Na?“
Silke blickte zu Boden und sagte nichts mehr. Sie nahm ihre Brille ab, putzte nervös ihre Gläser mit dem Rand des Tischtuches und trank ihren Milchkaffee in einem letzten großen Zug aus, bevor sie die schwere Tasse geräuschvoll auf den Tisch knallte. „Na toll. Ich bin fertig. Worauf warten wir noch? Wir sind hier in höchster Gefahr. Nichts wie weg!“
Die anderen sahen sich alle zweifelnd an, ob sie jetzt nur verschaukelt worden waren, ließen dann aber zur Überraschung ihres Schützlings alles stehen und liegen, nahmen ihre Tasche auf und brachen auf. Simon hatte noch sein mit Konfitüre bestrichenes Hörnchen in der Hand und kaute, bis sie unten auf der Straße waren.
Unten auf der Straße fiel ihm erstmals auf, dass überall auf dem Trottoir Konfetti in Rot und Weiß sowie vereinzelt leere Sektflaschen lagen und fast aus jedem zweiten Fenster eine Schweizer Flagge heraushing. Mit gerunzelter Stirn kommentierte er: „Ist euch das eigentlich aufgefallen, dass es hier aussieht wie nach einer Riesenfeier?“
Beim Einsteigen sah Silke über die Schulter und gab zurück: „Sagt bloß, ihr habt vor lauter Daseinskampf nicht einmal das Ergebnis der Fußball-Europameisterschaft gestern mit bekommen?“
„Nein, wir waren tatsächlich...“ Er brach ab und seine Gesichtszüge entgleisten. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
Die junge Schweizerin grinste ihn bis über beide Ohren an.
Karin lamentierte: „Und du glaubst nicht an die Existenz von Kampfmaschinen aus der Zukunft! Das in einer Welt, in der ihr Europameister geworden seid! Wenn dich das nicht überzeugt, was dann?“
„Hey, unsere Elf hat phantastisch gespielt!“, entrüstete Silke sich darauf beim Anschnallen und funkelte Karin zornig an.
„Wer war euer Gegner? Andorra? Die Färöer-Inseln?“
Als sie ihren großen Wagen aus der Parklücke direkt vor der betreffenden Haustür ausparkten und losfuhren, war noch relativ wenig Verkehr im Wohnviertel, in dem sie sich hier befanden. Am Ende der Straße kam ein Stopschild, wo sie etwas länger warten mussten, um links auf die Vorfahrtsstrasse abbiegen zu können. Abbey sah im Rückspiegel, dass ihr Platz bereits von einem anderen Auto eingenommen war.
Aus diesem stieg sie aus.
Ihr Kopf schnellte herum, was bei den anderen ähnliche Reaktionen auslöste. Mit mehreren Keuchlauten sahen die anderen, wie eine junge Frau in einem schwarzen Hosenanzug und einem leuchtendroten Pferdeschwanz ihren Mercedes abschloss und um die Fahrzeugfront herumging, eine riesige Sporttasche tragend.
„Abbey, wie kann das sein? Das... das bist du! Du hast einen eineiigen Zwilling oder etwas in der Art! Oder...“ Karin sah sie hilfesuchend an, während die anderen noch immer mit erschütterten Mienen beobachteten, wie Abbeys Ebenbild an der Haustür rüttelte, dann plötzlich den herausgerissenen Türgriff in der Hand hielt und achtlos zu Boden warf. Sie verschwand im Hausflur.
„Das ist ein weiteres Modell der Baureihe TSR 301. Sie müssen absichtlich einen T-880 mit diesem Aussehen verwendet haben, um euch zu verwirren oder um ihre Spuren bezüglich des Aussehens der Attentäter hier in der Gegenwart zu verschleiern. Ich bin ein Vorserienmodell und existiere nur fünf Mal, was bedeutet, dass insgesamt drei Exemplare von meinem Aussehen hier sein könnten. Wir müssen so schnell wie möglich von hier weg; in wenigen Minuten hat der T-880 unseren überhasteten Aufbruch entdeckt und wird sich dem nächsten Ziel zuwenden. Wenn Silke nicht spaß halber verlangt hätte, so unvermittelt zu gehen, hättet ihr jetzt ein Problem.“
„Warum wir?“
„Weil ich mit Sicherheit bereits terminiert wäre. In dieser Sporttasche befindet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Plasmaimpulswaffe.“ Abbey ließ keinen Zweifel an ihren Prognosen.
„Was für ein Ding?“ wollte Silke wissen, während sie mit überhöhter Geschwindigkeit zum Autobahnzubringer Seebach fuhren.
„Eine Art Lasergewehr aus der Zukunft. Auf Grund der neuen Situation fahren wir nicht über die Autobahn 3 zurück nach Basel, da es sehr wahrscheinlich ist, dass der T-880 diese Strecke nehmen wird. Sein Fahrzeug ist schneller als unseres, weshalb das Risiko besteht, dass er uns irgendwo auf der Fahrt überholt. Und wir wollen ja nicht, dass er einen Blick zu uns herüber wirft und wir so in eine unangenehme Lage kommen.
Folglich bietet sich als Ausweichroute die Strecke über die A 4 und Winterthur, Schaffhausen und Singen auf die A 81 nach Stuttgart und von dort weiter auf der A 8 nach Karlsruhe an. Wir werden bei guten Verkehrsverhältnissen gegen Mittag dort sein. Die Zeit wird knapp, denn auch unser Gegner wird die Stadt zu diesem Zeitpunkt bereits erreicht haben. Wiederum ist es unser Vorteil, dass wir seine möglichen Aufenthaltsorte kennen und der T-880 bei Null mit seiner Standardsuche anfangen muss. Wir sind ihm aber nur einen kleinen Schritt voraus.“
„Sind wir das? Ich denke, es gibt mehrere von dieser Sorte. Das hast du eben gesagt“, warf Silke skeptisch ein. Sie saß hinten neben Simon und beobachtete die Geschehnisse argwöhnisch; offenbar versuchte ihr Verstand in einer natürlichen Abwehrreaktion noch immer Lücken in ihrer so abenteuerlich klingenden Geschichte zu finden, um diese ad absurdum zu führen.
„Das ist richtig; dein analytischer Sachverstand spricht für sich. Er wird uns noch von großem Nutzen sein“, lobte Abbey auch gleich ihren Neuzugang.
„Ja, ja, was immer ihr sagt. Aber warum müssen wir denn ausgerechnet nach Karlsruhe?“
Simon nahm es auf sich, ihr nach bestem Wissen und Gewissen die Zusammenhänge grob zusammengefasst zu schildern, wobei ihre Miene zuerst völlig geschockt, dann immer abweisender und am Schluss der Ausführungen zunehmend zweifelnder wurde. Dennoch hörte sie ruhig zu und stellte kaum Fragen, bis er fertig war. Zur allgemeinen Verblüffung zog sie sich danach in sich zurück und verfiel in brütendes Schweigen, sodass sie kaum mitbekam, wie sie die Grenze ohne Kontrolle überquerten und dann in Richtung Schwäbischer Alb auf der Autobahn dahinrasten, jegliche Geschwindigkeitsbegrenzung sträflich ignorierend.
Frankfurt-Rödelheim, Hessen, Deutschland 5. Juli 2004
Während Abbeys Gruppe gerade am Rheinfall bei Schaffhausen vorbei fuhr, passierten die anderen das Frankfurter Kreuz, die wahrscheinlich verkehrsreichste Autobahnkreuzung Europas. Sie hatten Daniel am Frankfurter Flughafen abgesetzt, wo er ein Teil des Gepäcks an sich genommen hatte und gleich die diversen Autovermietungen nach einem geeigneten Automobil absuchte. Er entschied sich für einen Saab 9-5 Kombi 3.0 TD, lud gleich alles ein und machte sich auf den Weg.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten und durch die Vororte Frankfurts fuhren, fragte Natasha Alex: „Wozu braucht er denn einen so großen Wagen, wo er doch allein ist?“
„Er wird noch in den östlichen Bundesländern auf dem hiesigen Schwarzmarkt einige Waffen organisieren, vornehmlich schwere Automatikgewehre aus ehemaligen sowjetischen und DDR-Volksarmee-Beständen. Das, was wir in unserer Waffenkiste haben, reicht im Ernstfall bei Weitem nicht, um mehrere Terminatoren auf einmal abwehren zu können.“
Caroline lehnte sich zwischen den beiden von der zweiten Reihe aus nach vorn und schluckte bei diesem Kommentar. Dann fasste sie sich und fragte: „Und wohin fahren wir jetzt?“
„Wir werden der nächsten Zielperson habhaft werden. Sie heißt Aishe Kerbüle und befindet sich unseren Informationen nach in diesem Stadtteil, wo sie im Gemüseladen ihres Vaters neben ihrem Studium aushilft. Wir sind gleich dort.“
Natasha schnaubte: „Eine junge Türkin, die in einem Gemüseladen arbeitet? Wie elendig klischeehaft! Das schmerzt ja fast schon.“
„Na und? Ich glaube, wir können uns hier keine Vorurteile leisten. Bald schon werden wir keine Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Rassen und Länder mehr machen.“ Caroline lehnte sich wieder zurück, worauf auch Natasha sich abwandte, um aus dem Fenster zu starren und vor sich hin zu brüten.
Leise sagte sie: „Ich vergesse immer wieder, worum es hier im Grunde geht. Vielleicht ist es besser für Ralf, dass er das alles nicht mehr mit erleben muss.“
Caroline legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Tut mir leid. Und ich habe vergessen, dass du schon ein Opfer zu beklagen hast.“
„In dieser Straße befindet sich das Geschäft“, verkündete Alex, als sie in eine schmale Einbahnstrasse einbogen, die abwechselnd links und rechts von Parkbuchten und Bäumen gesäumt war. Die Häuser waren alle von der Bausubstanz her sehr alt und bestanden vornehmlich aus Ziegelstein. Leider waren die meisten davon nicht sehr gepflegt, so dass sich das Bild einer Arbeitersiedlung ergab, welche langsam dem Verfall anheim fiel.
Natasha sah sich um, sagte aber nichts, was zumindest Caroline erstaunte. Als sie langsam auf der Suche nach einer Parkmöglichkeit die menschenleere Straße hinabfuhren, bog ein alter hellblauer Ford-Transporter mit der Firmenaufschrift „Kerbüle Gemüse“ aus einer schmalen Hofeinfahrt vor ihnen auf die Straße und fuhr davon. Alex zoomte heran und erkannte einen schwarzhaarigen älteren Osmanen mit riesigem Schnauzbart hinter dem Steuer, was er den anderen umgehend mitteilte.
„Das sieht nach einem glücklichen Zufall aus. Wenn ihr Vater zu einer Lieferung oder Besorgung wegfährt, ist sie vielleicht alleine im Laden“, mutmaßte Natasha. „Weißt du was? Du hältst dort quer in der Einfahrt zum Geschäft, da wir mit unserem Monstervan hier sowieso keinen Parkplatz finden werden. Ich gehe rein und sondiere die Lage, bevor ich dich nachhole. Caroline kann auf den Wagen aufpassen, bis wir Aishe geholt haben. Na?“
Alex sah sie aus dem Augenwinkel an, als er die Hofeinfahrt zuparkte, die leer war. „Unter Vorbehalten. Bitte sei dir bewusst, dass das gefährlich sein kann. Es ist möglich, dass sie nicht alleine ist, auch wenn es auf den ersten Blick den Eindruck macht.“
„Ja, schon gut“, erwiderte sie ungeduldig und sprang aus dem Auto, kaum dass es ausgerollt war. Sie hastete zum Ladeneingang, neben dem schon auf mehreren Ständen diverse Sorten Obst und Gemüse ausgestellt waren.
„Was hatte das denn zu bedeuten?“ fragte Caroline mehr sich selbst als Alex, doch der nahm das nicht zur Notiz.
„Sie will entweder sich selbst oder uns etwas beweisen. Es steht zu befürchten, dass sie sich zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lässt. Es ist besser, wenn ich doch nachsehe, was im Laden vor sich geht.“ Alex öffnete die Fahrertür und schwang sein linkes Bein hinaus, als eine kleine, orientalisch wirkende Frau mit langen schwarzen Haaren aus der Tür kam, dicht gefolgt von Natasha. Beide hatten einen ernsten Ausdruck auf dem Gesicht.
„Steig ein, steig ein, steig ein“, rief Natasha hastig mit drängender Stimme und geleitete Aishe zur hinteren Beifahrertür, die bereits von Caroline geöffnet wurde. Während diese heraussprang und schnell den Beifahrersitz einnahm, schob Natasha die junge Türkin, die alles willenlos mit sich machen ließ, in den Fond und sprang rasch hinterher.
Als Alex anfuhr und in den Rückspiegel starrte, sagte Caroline: „Das ging aber schnell. Hallo, ich bin Caroline und das ist...“
Sie ließ die Hand sinken, welche sie zum Gruß nach hinten ausgestreckt hatte, als sie bemerkte, dass Natasha ganz unauffällig in Hüfthöhe eine der Pistolen, eine Walther PPK, auf Aishe gerichtet hielt. Sie fuhr Natasha an: „Bist du irre? Du hast sie mit der Waffe bedroht und aus dem Laden geschleppt?“
„Es war ganz einfach“, sagte Natasha mit einem Grinsen, das Caroline
entschieden eine Spur zu breit war.
„Wer von uns ist jetzt die Bekloppte, hä? Bitte hör zu, Aishe, das tut mir wirklich leid. Du glaubst jetzt sicher, wir würden dich entführen oder so. Das stimmt aber nicht ganz. Es ist nur so, dass uns einfach die Zeit fehlt, um dir alle Zusammenhänge zu erklären und dich von unserer Sache zu überzeugen. Außerdem ist das mehr eine Rettungsmission als Kidnapping, da du in großer Gefahr warst und dringend aus deiner gewohnten Umgebung geholt werden musstest.“
„Soll... soll das heißen, ihr seid Polizisten? Das ist gar keine...“ Ihre Stimme versagte und Tränen stiegen der kleinen zierlichen Frau um die Zwanzig in die rabenschwarzen Augen. Sie strich sich eine Strähne der langen glatten und ebenso schwarzen Haare aus dem anmutigen Gesicht mit hohen Wangenknochen, spitzem Kinn und kleiner Stupsnase. Erleichtert sah sie Caroline an und ihr schmaler Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln.
„Nun, nicht direkt Polizisten, aber du musst dir trotzdem keine Sorgen machen. Du bist auf jeden Fall vorerst in Sicherheit und brauchst dich nicht vor uns zu fürchten.“ Mit diesen Worten steckte sie die Waffe weg und reichte ihr die Hand. „Ich heiße Natasha und das ist Alex. Ich möchte mich für den blöden Zwischenfall im Laden entschuldigen, aber du musst verstehen, dass wir einfach keine einzige Minute verschwenden dürfen. Wir müssen noch jemanden einsammeln; wenn wir zu spät kommen, kann ihn das sein Leben kosten. Das willst du doch nicht, dass jemand Unschuldiges stirbt, nur weil wir uns zu lange mit Zweifeln aufgehalten haben?“
„Nein, natürlich nicht, aber...“ Aishe hielt ein und fragte zaghaft: „Wovon redest du überhaupt? Das klingt nach James Bond oder einem schlechten Actionfilm. Und was habe ich damit zu tun? Ich bin nur eine ganz normale Chemiestudentin. Ihr habt mich sicher mit jemand anderem verwechselt. Seid ihr sicher, dass...?“
„Zu einhundert Prozent. Man könnte sogar sagen, das Schicksal hat dich für große Taten ausersehen. Aber wir sollten alles zusammen hängend erklären...“ Alex begann seine Ausführungen, als sie bereits wieder auf der A 5 Richtung Norden fuhren.
Brunswick, Glynn County, Georgia, USA 29. Oktober 1962
T-XF betrat mit drei Freunden zusammen das Lokal und setzte sich in eine der mit rotem Leder ausgekleideten Vierersitzgruppen. Während Bill zum Wurlitzer hinüberging, um einige Songs anzuwählen, kam ihr ‚Stammkellner’ herbeigeeilt und zeigte mit breitem Grinsen auf T-XF.
„Verdammt, Jim, woher hast du es gewusst? Mann, ich hab die Hosen gestrichen voll gehabt bis gestern, ich hab sogar meine Nachtschicht hier sausen lassen und hab mich daheim verkrochen.“
T-XF zuckte nur mit den Schultern: „Komm schon, Butch, ich hab dir zwölf Tage lang gesagt, Chruschtschow zieht den Schwanz ein und baut die Raketen ab. Und ich hab dir gesagt, wir werden heute Abend hier drin sitzen und zusammen feiern, dass die Welt noch nicht untergegangen ist. Und, was machen wir gerade?“
„Wir feiern dass die Welt noch steht! Aber wie zum Teufel noch mal hast du es gewusst? Kein Mensch hat auf deine Sprüche auch nur einen lausigen Nickel gegeben! Scheiße noch eins, mein Dad hat eine Woche lang seinen Rasen zerstört und Erde vor die Kellerfenster geschaufelt. Jetzt ärgert er sich grün und blau. Er war sich todsicher, dass die Kubaner und die gottverdammten Sowjets Ernst machen und uns wegputzen. Jeder hat es gedacht außer dir!“
„Das stimmt, Jim“, schaltete sich sein Freund Bob ein, während im Hintergrund ‚The Wanderer’ von Dion anlief. „Wir alle dachten vorgestern, das war’s, adieu du schnöde Welt.“
T-XF schüttelte nur den Kopf und orderte, ohne die Karte auch nur angerührt zu haben: „Einen Bananenshake und ein Truthahnsandwich, Butch. Eigentlich hätte doch klar sein müssen, dass die Russen nur hoch gepokert haben und gerne klein nachgegeben haben. Vor allem, weil wir dafür die Raketen aus der Türkei abziehen, die wir auf sie gerichtet hatten. Lest ihr keine Zeitung?“
„Verdammt, nein, Mann, ich bin sechzehn! Und du übrigens auch, du solltest dir nicht jeden Tag diesen Mist reinziehen. Leb lieber mal ein bisschen, lach dir auch mal ein nettes Mädel an.“ Der Vierte in der Runde, Jeff, schien den Gedanken einer regelmäßigen Zeitungslektüre geradezu obszön zu finden.
„He, seht es doch mal so: wenn ich nicht ab und an Zeitung lesen würde, hättet ihr die ganzen dreizehn Tage nur die Hosen voll gehabt.“
„Das hatten wir, weil wir dir nicht geglaubt haben, Mann! Wie auch, bei so einer brenzligen Lage...“
In diesem Moment beschloss T-XF, dass es an der Zeit war, spurlos zu verschwinden und eine andere Identität anzunehmen. Morgen würde er seine Existenz als sechzehnjähriger Highschool-Junge beenden und zu neuen Ufern aufbrechen. Vielleicht sollte er sich weiter an der Ostküste umsehen.
Wer rastet, der rostet, dachte er und verzehrte sein Sandwich, dessen zerkaute Überreste er in einem kleinen Hohlraum im Inneren seiner Bauchhöhle aufbewahrte, um sie später wieder abzugeben, wenn er unbeobachtet war. Als Polimimet brauchte er im Gegensatz zu den kybernetischen T-800 und T-880 keinerlei Nahrung, da er über keine wirklich lebendige Hülle verfügte.
Er betrachtete nochmals das ‚Pitch’, die Burgerbude, in der er in den vergangenen Monaten oft mit seinen drei Freunden gewesen war. Wahrscheinlich würde er es nach diesem Abend nie wieder sehen, doch das machte ihm in diesem Stadium seiner Mission nicht das Geringste aus. Noch war er nicht so weit, dass er die Trennung von vertrauten Personen und Orten als wirklichen Verlust ansehen konnte.
Karlsruhe-Nordstadt, Baden, Deutschland 5. Juli 2004
Gegen Mittag erreichten Abbey, Karin, Simon und Silke die beschauliche Stadt in der Oberrheinischen Tiefebene. Abbey umfuhr die Innenstadt und steuerte ein ehemaliges amerikanisches Kasernengelände an, das zwar zum Teil noch aktiv war, aber ebenfalls vom endgültigen Rückzug der dortigen Truppen zeugte. Ihr Ziel waren eine Reihe zu Studenten- und Stadtbauwohnungen umfunktionierte ehemalige Kasernengebäude, wo auch ihre nächste Zielperson, Dimitri Davidow, eingemietet war.
Sie hielten direkt vor dem fraglichen Bau und berieten sich kurz. Abbey sagte an Simon gewandt: „Bleibst du mit Silke im Wagen und wartest auf uns? Es kann eine Weile dauern.“
Simon und Silke tauschten einen kurzen Blick aus, wobei Simon sie fragte: „Du schlägst mich nicht K.O. oder versuchst sonst wie auszureißen?“
„Ich dachte immer, als Gefangene ist es meine Pflicht, einen Fluchtversuch zu unternehmen, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet?“ Sie grinste ihn frech an.
„Aber nur als Soldat. Außerdem weißt du doch mittlerweile, dass wir dich zu deinem eigenen Schutz mit genommen haben. Wir haben dir alles erzählt und du hast mit eigenen Augen Abbeys Doppelgängerin gesehen. Wenn dich das nicht überzeugt hat, was dann? Glaubst du etwa an solche Zufälle?“
Sie schüttelte den Kopf und verfiel wieder in finsteres Schweigen. Offenbar musste sie diese neue Realität immer noch verarbeiten, bevor sie damit vernünftig umgehen konnte. Leise sagte sie: „Geht nur, ich werde euch keine Probleme machen.“
„Ausgezeichnet. Kommst du, Karin?“ Abbey stieg aus und schob sich eine Sonnenbrille gegen die hochstehende Mittagssonne auf die Nase. Im Auto selbst, dessen Frontscheibe gegen die Wärmestrahlung und Helligkeit mit Platin bedampft war, benötigte sie keinen Augenschutz, doch im freien war das Tageslicht zu stark für ihre empfindliche Optik.
„Wieso muss ich eigentlich immer mit, wenn es um Kontaktaufnahmen geht? Bin ich jetzt so eine Art Botschafter oder so?“ wollte Karin wissen, als sie sich dem Hauseingang des schmucklosen mehrstöckigen Quaders näherten, in dem Dimitri wohnte.
„Man könnte es so sehen“, bestätigte Abbey und sah sie dann direkt an. „Ich vertraue dir, was zwischenmenschliche Belange angeht.“
„Ich weiß gar nicht. Erinnerst du dich nicht mehr, wie Daniel und ich uns immer in der Wolle hatten, bevor wir zusammen kamen?“
„Du vergisst wohl, dass meine CPU im Grunde eine Kopie von Daniels ist. Ich war er, wenn man es genau nimmt. Das heißt, ich kenne jedes Detail deiner Beziehung zu ihm, alles was du in seiner Gegenwart je gesagt und getan hast, als hätte ich selbst es erlebt. So ist das eben mit uns Cyborgs. Nur auf Grund dieser Informationen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass du für diese Aufgabe geeignet bist.“
Karin hielt inne, als sie die Haustür geöffnet hatte. „Warte mal. Du willst damit sagen, du weißt alles über uns? Wirklich alles?“
„Na klar. Du kleines Luder“, fügte Abbey grinsend hinzu, worauf Karins künstliche Sonnenbräune einem tiefen Verlegenheitsrot wich.
„Mist, das war mir echt nie richtig klar“, kommentierte sie und studierte die Klingelschilder, um sich abzulenken. „Er wohnt im ersten Stock. Lass uns gehen.“
Sie fanden seine Zimmertür recht schnell, erhielten jedoch auf ihr Klopfen keine Antwort. Ohne ein weiteres Wort zog Abbey ihre Scheckkarte, worauf sich Karin nervös auf dem leeren Gang umsah. Zwanzig Sekunden darauf hatte der Dietrich seine Arbeit verrichtet und sie schlossen die Zimmertür hinter sich. Für einen Studenten war seine Bleibe recht ordentlich, wie Karin fand.
Sie sagte unsicher: „Und was wollen wir jetzt tun?“
„Wir suchen einen Hinweis auf seinen Tagesablauf oder seinen aktuellen Verbleib. Vielleicht bekommen wir heraus, wo er sich gewöhnlich um diese Zeit aufhält, wann er zurückkommt oder ob er gerade heute etwas Bestimmtes vorhat.“ Sie begann noch während ihrer Erklärung damit, methodisch sämtliche Notizzettel, Merkblätter oder ähnliche Schriftstücke zu untersuchen, welche die gewünschte Information enthalten mochten.
Karin hatte den Eindruck, dass sie Abbey bei der Erledigung dieser Aufgabe eher behindern als nutzen würde, weshalb sie sich aufs Geratewohl im Zimmer umsah. Ihr Blick blieb auf einem Photo heften, das zwei junge blonde Männer mit stahlblauen Augen und typisch slawischen Gesichtszügen zeigte, der Ähnlichkeit nach augenscheinlich Brüder. Ihr Blick streifte einige Automodelle, die in einem schmalen Regal in einer Zimmerecke standen.
Abbey merkte auf. „Dimitri ist gar kein Student, wie wir angenommen haben. Halt dich fest: er ist KFZ-Mechaniker. Hier liegt seine letzte Lohnbescheinigung mit dem Namen und der Adresse der betreffenden Werkstatt. Und es wird immer besser – es ist ein Renault-Autohaus. Was für ein glücklicher Zufall.“
Karin schüttelte nur müde den Kopf. „Ich kann in letzter Zeit einfach nicht mehr an Zufälle glauben, dafür gab es einfach zu viele davon.“
Sie hielt inne und schob den Vorhang des Fensters ein wenig zur Seite. „Rate mal, wer beispielsweise in diesem Augenblick draußen vor dem Haus in Richtung Eingang spaziert.“
Abbey trat zur Gardine und ihre Augen weiteten sich. Karin wusste nicht, ob das tatsächlich echtes Erstaunen war oder sich lediglich ihre Optik scharf stellte.
„Daniel! Aber er müsste bereits in Ostdeutschland sein. Das ist nicht CSM 108-1. Es muss einer der T-880-Attentäter sein, da er eine dieser riesigen Sporttaschen zum Transport der M-80-Plasmawaffe trägt. Und in etwa zwei Minuten wird er hier sein.“ Während sich Karin noch von dem Schock erholte, öffnete Abbey bereits das Fenster, wartete noch einige Sekunden, bis der T-880 im Hauseingang verschwunden war und schwang sich behände aufs Fensterbrett, um sich ohne zu zögern hinaus auf den Zierrasen vor dem Haus fallen zu lassen. Sie rollte geschmeidig ab, hinterließ aber dennoch eine tiefe Kuhle im Gras. Sobald sie auf den Füßen war, wies sie Karin an, zu springen und fing sie verblüffend sanft auf, indem sie mit ausgestreckten Armen unter dem Fenster stand und sie praktisch aus der Luft pflückte, nach unten nachgab und mit einer anschließenden Drehbewegung die Fallgeschwindigkeit geschickt abbaute. Wie man ein kleines Kind auffängt, das in einen Baum geklettert ist und sich nicht mehr herabtraut, dachte Karin verwundert.
Sie rannten zum Espace und sprangen hinein, die verwunderten Blicke von Simon und Silke ignorierend. Mit quietschenden Reifen brausten sie los und unterrichteten die beiden auf der Fahrt in die Stadt von ihrem knappen Entkommen. Gottlob war er aus der anderen Richtung gekommen und hatte Simon und Silke nicht gesehen, sonst wären sie mit Sicherheit bereits tot gewesen.
„Meinst du, er hat uns noch gesehen?“ fragte Karin besorgt.
„Das glaube ich nicht, dafür war die Zeit nicht ausreichend für ihn. Aber er ist auch nicht dumm und wird in wenigen Minuten anhand irgendwelcher anderen Papiere im Zimmer herausgefunden haben, wo er zu finden sein wird. Unser Vorsprung ist nur hauchdünn. Das macht mir Sorgen, denn es sind mehrere dieser Kerlchen unterwegs, während wir nur zwei Gruppen sind, die einen nach dem anderen auflesen müssen. Ich befürchte, dass wir irgendwann weniger Glück haben könnten und zu spät kommen.“
Karlsruhe-Albsiedlung, Baden, Deutschland 5. Juli 2004
Dank der flexiblen Arbeitszeiten mussten sie seit über einem Jahr durchgehend geöffnet haben. Keinen der Mechaniker freute das, am wenigsten Dimitri, der die wenigsten Dienstjahre seit der Ausbildung in dieser großen Filiale vorweisen konnte. Folglich war meistens er derjenige, der zu den unangenehmsten Zeiten über Mittag die Stellung in der Reparaturannahme halten musste, während die anderen gemütlich am Imbiss um die Ecke aßen. Er konnte das meistens erst nach der eigentlichen Mittagszeit nachholen.
Jetzt kam auch noch ein Grand Espace auf den Hof gerollt, dachte er ärgerlich, als er gerade die Reifen an einem alten Renault 19 gewechselt hatte und den Wagen von der Hebebühne herabließ. Seine Stimmung besserte sich allerdings, als er sah, wie eine gutgebaute rothaarige Frau Anfang oder Mitte Zwanzig und eine etwa gleichaltrige schwarzhaarige, aber zierlichere Beifahrerein dem großen Van entstiegen und zielstrebig direkt auf ihn zusteuerten. Schnell wischte er sich seine Hände an einem bereitliegenden Tuch ab.
„Meine Damen, was kann ich für Sie tun? Macht das gute Stück Ärger?“
„Das gute Stück? Sie haben Nerven! Wir haben den Kofferraum randvoll mit Gepäck und müssen noch heute durch halb Deutschland fahren, um unsere Freunde zur großen Fahrt abzuholen und dann ruckelt der Motor wie blöde. Wir sind froh, dass wir es noch bis hierher geschafft haben.“ Es sprudelte nur so aus Karin heraus, halb ärgerlich, halb verzweifelt.
„Nur keine Sorge, ich seh’ mir das sofort an. Der Lehrling kann den Wagen hier schnell fertig machen, dann unternehmen wir inzwischen eine Probefahrt und schauen, was ihm fehlt. Ein Diesel, wenn ich es recht gehört habe?“ Beschwichtigend hob er die Hände und winkte einem in der Ecke lehnenden Lehrling zu, seine Arbeit zu übernehmen. Missmutig stieß dieser sich von der Wand ab und machte sich langsam auf den Weg zu ihnen, während Dimitri mit den beiden attraktiven Frauen zum Espace ging und sich den Zündschlüssel aushändigen ließ.
„Ein 2.2 CRD, wenn ich nicht irre. Bisher lief er toll und ist auch sehr sparsam, aber ausgerechnet jetzt...“ Abbey lächelte ihn warmherzig an, wobei ihm ganz anders wurde. Er nickte, startete den Motor und öffnete die Motorhaube, um sich die Maschine im Leerlauf anzusehen.
„Hm, hört sich eigentlich ganz gut an, aber so kann man das natürlich nicht sagen.“ Probeweise gab er ein paar Mal Gas und lauschte aufmerksam, konnte aber nichts Verdächtiges erkennen. Deshalb stieg er ein und bat die Damen kurz zu warten, während er eine Runde fahren wollte.
„Nein, wir möchten gerne mitfahren. Dann können wir Sie am besten darauf hinweisen, was das Problem ist. Es ist nicht persönlich gemeint, verstehen Sie?“ erklärte Karin und blinzelte schelmisch.
Er schluckte. „Na klar. Bitte einsteigen.“
Während er gemächlich mit niedriger Drehzahl vom Hof fuhr, gingen ihm die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Das war jedenfalls kein normaler Werkstattbesuch dieser beiden aparten Damen, soviel war einmal sicher. Anhand der Blicke, welche die Beiden miteinander wechselten, kamen die wildesten Phantasien in ihm auf, die er mit einem Kopfschütteln schnell wieder abschüttelte. Schließlich war das hier ein Topmodell im Programm ihrer Marke und hier war ordentlich Geld zu verdienen. Wenn er das durch ungebührliches Verhalten versaute und die beiden Frauen zu einer der anderen drei ortsansässigen Markenwerkstätten wechselten, würde sein Chef gar nicht erfreut sein, um es gelinde auszudrücken. Also gab er sich freundlich und distanziert, wie man es ihnen eingebläut hatte und merkte an: „Bisher noch nichts Verdächtiges.“
„Warten Sie mal ab, wenn wir ein paar Minuten gefahren sind. Dann werden Sie schon sehen.“ Wieder diese Blicke, als der nicht ganz eindeutige Kommentar von Abbey kam. Ein kleiner Teil seines Unterbewusstseins sagte ihm, dass das durchaus ein unerwartetes Abenteuer werden konnte. Nun, wenn die Damen es tatsächlich wünschten, würde er Dienstleistungen jedweder Art erbringen.
Kurz vor einer Bushaltestelle rief Karin plötzlich: „Halten Sie sofort an! Schnell!“
Alarmiert zog er instinktiv in die Seitenbucht, wo drei Personen standen und auf den nächsten Bus warteten. Zwei von ihnen traten zu Dimitris Erstaunen zum Van und öffneten die Türen. Ohne große Worte zu verlieren, steigen sie hinten ein und sagten beide: „Hallo, Dimitri.“
Er starrte über die Schulter den drahtigen dunkelblonden Jungen und das jüngere, aber hochgewachsene und kräftige Mädchen mit den dunklen Haaren und Augen an, die ihn beide durch ihre runden Brillengläser freundlich ansahen und sich hinten in die dritte Reihe setzten. Dann wanderte sein Blick hinüber zu Abbey, die ihn ebenfalls unbekümmert anlächelte, als sei alles in bester Ordnung.
Ganz vorsichtig fragte er: „Was ist hier los?“
Abbey lächelte immer noch: „Wir freuen uns alle, dich kennen zu lernen, Dimitri. Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Die gute ist, dass dem Espace nichts fehlt. Die schlechte ist, dass dir jemand nach dem Leben trachtet. Du bist zur Terminierung vorgesehen, wenn ich es so ausdrücken darf.“
Seine Augen wurden groß und rund. „Was für ein Blödsinn! Ich werde jetzt zur Werkstatt zurück fahren und Sie können dann bitte...“
„Ich fürchte, das wirst du nicht“, widersprach Karin. Als er in den Rückspiegel sah, erblickte er die kleine mattschwarze Handfeuerwaffe, mit der sie gedankenversunken spielte.
„Was ist...? Verdammt, ihr wollt mich entführen! Ich...“ Er brach ab und riss die Fahrertür auf. Beinahe gleichzeitig packte Abbey ihn am Kragen und hielt ihn mit eisernem Griff fest, so dass er sich nicht mehr rühren konnte.
„Ich fürchte, ich kann nicht zulassen, dass du dich aus dem Fahrzeug begibst. Offenbar hast du nicht richtig zugehört. Wir sind da, um dich zu schützen und dein Überleben sicher zu stellen. Du bist in Lebensgefahr, wenn du jetzt aussteigst und gehst. Hast du das begriffen?“ Eindringlich starrte sie ihn mit ihren leuchtend grünen Augen an, so dass er nichts mehr sagen konnte.
Karin war inzwischen ausgestiegen, hatte die Fahrertür geöffnet und winkte Dimitri vage nach hinten auf die Rückbank. Simon staunte von hinten aus, wie abgebrüht sie wirkte. Wenn man bedachte, dass sie vor wenigen Tagen noch ganz normale Studienabgänger gewesen waren...
Sie setzte sich neben ihn und begann freundlich, seine ersten zögerlich gestellten Fragen zu beantworten, während Abbey den Fahrersitz einnahm. Dabei versuchte sie so ehrlich wie möglich zu sein, ohne ihn gleich mit der ganzen Wahrheit zu schockieren. Nichts desto trotz war es unvermeidlich, dass er nur bedingt glauben konnte, was sie ihm da auftischte.
Sie waren gerade an der ersten Kreuzung und wollten in Richtung Autobahn abbiegen, als ihnen ein schwarzer Mercedes 190 älteren Baujahres entgegen kam. Dimitris Kopf ruckte rum. „Oh Mann, Sie haben ja einen Zwilling, Lady.“
Abbey erspähte den TSR 301 am Steuer und duckte sich automatisch weg. Einen Moment darauf taten die anderen bis auf Dimitri es ihr nach. Bis Karin ihn hinabziehen konnte, war es bereits geschehen; der Terminator musste sie noch aus dem Augenwinkel erspäht haben. Eine Vollbremsung und Reifenquietschen hinter ihnen kündeten von dem Wendemanöver der schwäbischen Limousine.
„Ich heiße Abbey und das ist nicht mein Zwilling, sondern einer deiner Mörder. Festhalten!“ Sie legte mit einer augenwischerisch schnellen Bewegung den Gang ein und trat das Gaspedal durch, worauf der bärenstarke Dieselmotor den Van nach vorne schnellen ließ. Vor allem Simon war hochgradig verblüfft über die immense Beschleunigung dieses so schwerfällig wirkenden Automobils.
Sie rasten zur autobahnartig ausgebauten B 10, die zur A 5 führte. Kurz vor der Auffahrt hatte der Feind sie eingeholt. Alarmiert rief Simon: „Was sollen wir jetzt machen?“
Dimitri starrte ihn verunsichert an, da er wohl angenommen hatte, dass jeder seiner „Beschützer“ genau wusste, was zu tun war. Indes näherte sich ihnen der Mercedes und versuchte zu überholen, was Abbey zu einem spontanen Spurwechsel veranlasste. Mit einem groben Ruck prallte das Heck ihres Wagens seitlich gegen die Front des kleineren Verfolgerfahrzeuges. Sie schlingerten für eine Sekunde, während der alle den Atem anhielten. Der Mercedes fiel zurück, gab aber gleich wieder Gas und näherte sich ihnen erneut.
„Soll ich aus dem Fenster hinaus auf ihn schießen?“ schlug Karin vor.
„Wozu? Der T-880 selbst ist gepanzert und fährt einen Mercedes, eines der solidesten Fahrzeuge der Welt. Was willst du damit erreichen? Das hier ist kein amerikanischer Action-Film, sondern die Wirklichkeit“, belehrte Abbey sie ruhig. „Nehmt lieber die Köpfe runter. Ihr müsst ihm nicht auch noch ein Ziel bieten.“
Das wirkte. Beim nächsten Rammstoß von hinten schlingerte das Heck des Wagens etwas stärker in der Kurve, dann waren sie auf die B 10 aufgefahren und Abbey gab Gas. Sie fuhr viel zu schnell im Zickzack zwischen den anderen Verkehrsteilnehmern hindurch, begleitet von einem anhaltenden, empörten Hupkonzert. Jedes mal, wenn ihr Gegner zu überholen versuchte, riss sie das Lenkrad scharf herum und zwang ihn so zum ausweichen, was viele gefährliche Situationen mit unbeteiligten und nichtsahnenden Verkehrsteilnehmern verursachte. Als sie wieder einmal nach rechts verriss, um den T-880 hinter ihnen abzublocken, streifte sie an einem knallroten Porsche-Cabrio entlang und verbeulte dessen linke Flanke gehörig, was diesen zu einer ungläubigen Miene und dann zu wütenden Protesten veranlasste.
Die Fliehkräfte schleuderten die Passagiere in den Kurven wild zu den Seiten. Dimitri hörte neben sich eine Stimme: „Ich bin übrigens Karin. Tut mir echt leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennen lernen.“
Dimitri starrte sie an, dann musste er ungewollt grinsen, als er erkannte, dass diese Situation für sie genauso ungewohnt und traumatisch war wie für ihn. Er rief nach hinten: „Und wer seid ihr beiden Helden?“
„Simon und Silke“, erklang es schwach von der Rückbank.
Der wütende Porschefahrer verfolgte sie nun ebenfalls hartnäckig mit dem Ziel, sie zur Rechenschaft zu ziehen, was ihn seinerseits dummerweise direkt in die Bahn ihres Verfolgers brachte. Der T-880 rammte ihn rücksichtslos von hinten und verschrottete damit zusätzlich noch sein Heck. Mit einem zornigen Aufheulen sah er hinter sich und erkannte Abbeys Zwilling hinter dem Steuer des Mercedes. Ihm schien das offenbar zu hoch zu sein, doch andererseits hatte er wohl beschlossen, dass sein Auto nun ohnehin nur noch Schrottwert hatte und er deshalb genauso gut ein wenig Autofahrer-Selbstjustiz in Verbindung mit Schulmeisterei betreiben konnte, bekanntermaßen einer der Volkssporte der Deutschen, der ziemlich bald nach Versicherungsbetrug und Steuerhinterziehung in der Rangliste kam. Fahrerflucht konnte auch noch in die Top Five aufgenommen werden, dachte er grimmig und fuhr dem Mercedes mit der TSR 301 am Steuer auf sein Heck, worauf dieser gefährlich schlingerte und seine Stoßstange in einem schrägen Winkel hinabhing.
Der Cyborg entschied darauf, dass der vormals unbeteiligte Cabriolenker nun eine Bedrohung und ein Hindernis für die Ausführung seiner Mission geworden war. Sie ließ sich daraufhin zurückfallen, bis die beiden Fahrzeuge auf gleicher Höhe waren und zog seelenruhig eine MP-5 Maschinenpistole, welche sie ihrem Widersacher unter die Nase hielt. Das genügte bereits, sie musste nicht einen einzigen Schuss abfeuern, da der Porschefahrer zu Tode erschrocken eine Vollbremsung machte und die Arme vor das Gesicht riss. Sein außer Kontrolle geratener Wagen verursachte eine mittlere Massenkollision auf der zweispurigen Straße, die sie rasch hinter sich ließen und dadurch schnell mit dem hartnäckigen schwarzen Mercedes allein waren.
Dimitri wagte einen Blick zur Rückscheibe hinaus und blickte in die grimmig wirkenden Augen von Abbeys Ebenbild, keine fünf Meter hinter ihnen. Zudem blickte er noch in die Mündung der Uzi, welche sie aus dem geöffneten Fahrerfenster hielt. Sofort schrie er: „Alle runter!“
Im nächsten Moment explodierte die Rückscheibe, untermalt von einem lauten Knattern direkt hinter ihnen. Simon schrie auf und Silke kreischte kurz wie am Spieß, bis die beiden eine erstaunliche Entdeckung machten. „Es sind kaum Scherben nach innen gefallen waren, wir sind unverletzt.“
„Klar, der Unterdruck verursacht durch den Fahrtwind bei einhundertundfünfzig km/h hat die Splitter hinausgesaugt. Zudem ist das hier Verbundglas. Ich habe euch doch gesagt, das ist kein Actionfilm.“ Gleichzeitig trat Abbey hart auf die Bremse, worauf der Mercedes mit einem ziemlich heftigen Stoss in sie hineinraste. Kurz darauf rief sie triumphierend: „Ha, dachte ich es mir doch! Sein bereits beschädigter Kühler ist geplatzt und sein Motor kocht über. Er fällt zurück. Wir haben es geschafft.“
Sie gab erneut Gas und ignorierte die zweite fest montierte Blitzanlage, die ihren rigorosen Geschwindigkeitsverstoß dokumentierte. Fast zur gleichen Zeit sahen sie insgesamt drei Polizeifahrzeuge und einen Krankenwagen, alle mit Blaulicht und Sirenen, auf der Gegenspur zum Unfallort hinter ihnen rasen. Kurz darauf erreichten sie die A 5 und nahmen die Auffahrt nach Norden.
„Das war verdammt knapp“, kommentierte Simon und kletterte zusammen mit Silke umständlich in die zweite Reihe vor, um dem starken Zugwind durch die fehlende Heckscheibe zu entgehen. Karin hatte sich bereits nach vorne neben Abbey gequetscht.
„Ist mit euch alles in Ordnung?“ rief Abbey besorgt. Durch den Fahrtwind war es furchtbar laut im Wagen und man konnte sich nicht mehr in normaler Lautstärke unterhalten.
„Ja, uns fehlt nichts. Wir haben noch mal Glück gehabt. Es...“ Simon stockte der Atem, als er sah, dass die Kopfstütze von Abbey von insgesamt sieben Kugeln durchschlagen worden war.
„Abbey, bist du getroffen worden?“
„Ja, aber es ist nichts passiert. Alles in Ordnung mit mir.“ Sie winkte ab, doch Karin riss den Kopf herum.
„Was sagst du da? Oh mein Gott, du bist verwundet! Lass mich mal sehen.“ Sie strich das volle rote Haar von ihr aus dem Nacken und erstarrte. Mehrere kleine rote Flecken zeigten für alle gut sichtbar an, wo die Kugeln aus der Maschinenpistole sie getroffen hatten. An einer Stelle seitlich am Nacken, wo etwas mehr Haut und Fleisch über dem Endoskelett vorhanden war, steckte noch eine Kugel. Der Ekel war Karin ins Gesicht geschrieben, als sie mit spitzen Fingern das Ende des Projektils ergriff und zog. Es saß erstaunlich fest und als es sich schließlich löste, sah Karin auch, wieso: das vordere Ende war plattgedrückt und deformiert.
„Es ist wirklich nichts“, wiegelte Abbey ab. So eine Uzi hat keine große Durchschlagskraft. Diese Kugeln hätten nur euch schaden können; ich bin nicht ihr Ziel.“
Simon legte ihr von hinten die Hand auf die Schulter. „Ich bin froh, dass du in Ordnung bist. Ich hatte es bis jetzt wohl wirklich nicht begriffen, aber jetzt ist mir klar, was es für uns bedeutet, was du bist.“
Dimitri war auf seinem Sitz so weit nach hinten und damit weg von Abbey gerückt wie möglich. Er sah von einem zum anderen, doch Silke zuckte nur mit den Schultern. An Simon gewandt, wollte er wissen: „Wovon redest du? Wie kann ein Mensch das überleben?“
„Ich glaube, ich fange ganz von vorne an...“ Er seufzte. Hoffentlich hatten sie das bald hinter sich, jedes Mal aufs Neue jemandem klar machen zu müssen, was hier vor sich ging.
Bruchsal, Baden, Deutschland 5. Juli 2004
Sie mussten den Wagen los werden, der mit verbeultem Heck und zerschossener Scheibe bereits auffiel, was sich in gelegentlichem Aufblenden oder Hupen von anderen Autos, die von ihnen überholt wurden, äußerte. Als sie bereits das weit entfernte Knattern eines Hubschraubers in der Luft vernahm, wurde es Abbey zu riskant, weiter auf der Autobahn zu bleiben, wo sie von einer Polizeimaschine nur allzu leicht ausgemacht werden konnten. So verließen sie bereits bei Bruchsal die Autobahn wieder und fuhren in die Innenstadt zur nächstbesten Autovermietung, ließen ihren lädierten Van allerdings außer Sichtweite stehen. Nur Abbey kümmerte sich um die Beschaffung des geeigneten Fahrzeugs und traf wie gewohnt eine gute Wahl. Sie fuhr mit einem silbernen, unauffälligen Mercedes Viano in extralanger Ausführung vor, der extrem geräumig und wiederum mit einem starken Dieselmotor sowie mit einem riesigen Kofferraum ausgestattet war.
Rasch luden sie ihr Gepäck um und setzten ihre Fahrt fort. Als sie wieder auf die Autobahn nach Norden auffuhren, wollte Karin wissen: „Wie geht es für uns jetzt weiter? Wir haben jetzt zweimal gesehen, wie dicht uns die Terminatoren auf den Fersen sind. Die eine ‚Abbey’ war uns schon in Zürich dicht auf den Fersen. Wir sind ihr offenbar durch unsere Ausweichroute über Singen und Stuttgart erfolgreich entkommen, aber hier war sie schon vor Ort, als wir in Aktion traten. Und wenn wir bei Dimitri nicht aus dem Fenster gesprungen wären, hätte uns der ‚Daniel’-Verschnitt dort erwischt. Zu guter letzt noch die filmreife Verfolgungsjagd eben...“
Abbey resümierte: „Das ist ein raffinierter Trick von Skynet. Offenbar ist sowohl Daniels als auch mein Modell in Wirklichkeit eine Vorserie mit jeweils fünf Exemplaren gewesen. Dadurch, dass er je einen von uns bei unserer ersten Mission im Feld eingesetzt und einen weiteren zu den anderen Prototypen gehängt hat, die es nur in Zweierserien gibt, wurde der Eindruck erweckt, dass wir zur Prototypenserie gehörten. Die jeweils anderen drei Exemplare mit unserem Aussehen hat er hierher gesandt, um die Führung des osteuropäischen Widerstandes zu terminieren und um gleichzeitig das Aussehen der Attentäter zu verschleiern, da man in der Zukunft annehmen musste und auch angenommen hat, dass es keine weiteren T-880 mit unserem Aussehen gab.
So sorgt Skynet für Verwirrung, da sozusagen die ‚Guten’ und die ‚Bösen’ identisch aussehen. Diesen psychologischen Effekt auf euch darf man nicht unterschätzen.“
„Auf mich hat es jedenfalls einen gewaltigen psychologischen Effekt“, stellte Dimitri fest. „Dich gibt es also viermal, wenn ich das richtig verstanden habe?“
Abbey nickte. „Und von dem anderen T-880, den ihr als Daniel kennt, ebenfalls. Wobei einer unserer Gegner bereits terminiert wurde. Wir wissen leider nicht, ob er ausgesehen hat wie Daniel oder wie ich. Aber wir haben bis jetzt mit jeweils einem von ihren Kontakt gehabt. Dummerweise verfügt unser Gegner ebenfalls über ausgefeilte strategische Kenntnisse und wird sein weiteres Vorgehen der neuen Lage anpassen. Die beiden T-880 haben Karlsruhe sicher ebenfalls verlassen, entweder um getrennt in zwei Richtungen nach uns Ausschau zu halten oder um sich zum nächsten Zielort zu begeben. Gott sei Dank ist dieser weitaus größer als die bisherigen, sodass sie erheblich länger brauchen werden, um die nächste Zielperson zu lokalisieren. Wir hingegen haben wieder den Vorteil, dass wir über Daten zum Aufenthaltsort der Zielperson verfügen.“
„Wohin soll’s denn gehen?“ fragte Dimitri einmütig.
„Köln.“
„Köln? Irgendwie entferne ich mich immer weiter von zu Hause. Wie soll das denn weitergehen?“ Silke wurde offenbar nervös.
Karin sah über die Schulter. „Wir alle werden eine schwere Zeit vor uns haben. Aber glaub mir, wenn du daheim geblieben wärst, hättest du jetzt eine noch viel schwerere Zeit, denn dann wärst du jetzt tot, so wie jeder von uns hier. Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass sie hinter uns her sind. Und wenn es richtig heiß wird, sind wir wohl am besten dran, wenn wir uns an Abbey und Daniel halten.“
Danach sagte niemand mehr etwas.
Abbey sah zu ihr und sagte leise, wohl wissend, dass sie hinten nicht gehört werden konnte: „Danke für deine Unterstützung. Das hätte ich in dieser Form nicht von dir erwartet.“
„Kein Problem. Welche Strecke fahren wir?“
„Wir meiden die offensichtlichste Route über Frankfurt und fahren stattdessen über Hockenheim und die A 61 durch Rheinland-Pfalz. So ist die Chance geringer, dass wir auf der Fahrt den anderen Terminatoren begegnen. Wenn wir erst einmal in Köln sind, haben wir das Gröbste hinter uns. Aller Wahrscheinlichkeit nach befindet sich dort zwar bereits ein Attentäter, sodass es dann maximal drei sein werden, die auf uns und die Zielperson Jagd machen, doch den Daten nach, die ich über die Zielperson habe, dürfte es für sie höchst unwahrscheinlich sein, ihn in so kurzer Zeit zu finden.“
Während sie durchs Alzeyer Hügelland fuhren, kehrte allmählich Ruhe im Fond ein, als sich die Erschöpfung und der Stress bei Dimitri und Silke bemerkbar machten und diese auf ihren Sitzen vor sich hin dösten. Simon indessen fragte: „Was weißt du über den nächsten ‚Kandidaten’?“
„Das wird euch gefallen: er heißt Bernd Bühler, kommt ursprünglich aus der Freiburger Gegend und ist vor drei Jahren nach Köln zum Medizinstudium gezogen. Was sagt man dazu: er hat die Uniklinik Freiburg vor der Nase und zieht nach Köln zum Studieren! Na ja, hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, wenn man die neuesten Ereignisse von unserem Standpunkt aus betrachtet. Zur Zeit leistet er seinen Zivildienst ab, aber nicht im Krankenhaus, sondern in der Jugendherberge. Das ist auch der Grund, warum er so schwer aufzufinden ist.“
„Interessant. Da bin ich ja mal gespannt.“ Simon kratzte sich an der Wange, wo langsam die ersten Bartstoppeln sichtbar wurden.
„Ruht euch noch ein wenig aus, bis wir ankommen.“ Abbey lächelte erneut und drückte Karin den Arm. „Macht euch keine Sorgen, wir schaffen das schon.“
„Du strahlst eine solche Zuversicht aus...“
„Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ist das nicht eine rein menschliche Eigenschaft?“ Sie strich sich eine Strähne des feuerroten langen Haares aus dem Gesicht und schaltete einen Gang hinab, um den steilen Anstieg des Binger Waldes mit gleichbleibendem Tempo zu erklimmen.
Karin sah zum Fenster hinaus. „Für mich bist du so menschlich, wie nur ein Mensch sein kann. Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut, was wir euch angetan haben, indem wir zugelassen haben, dass man euch reaktiviert. Wir wussten es einfach nicht besser. Es passiert so viel Schlechtes auf der Welt, weil die Menschen nicht offen und ehrlich mit einander reden. Und das gilt auch für Menschen und Terminatoren, wenn ich das richtig sehe.“
An ihrer Stimme erkannte Abbey, dass Karin den Tränen nahe war. Und da einiges dazu gehörte, die toughe junge Frau zum Weinen zu bringen, sagte Abbey: „Es ist okay, Mädchen. Es gibt Schlimmeres; immerhin sind wir zusammen, das ist das Wichtigste.“
Als sie ihr die Hand auf den Oberschenkel legte und leicht drückte, ließ Karin sie gewähren. Sie lächelte nochmals und schloss die Augen. Kurz darauf war auch sie eingenickt.
- 6 -
Erfurt, Thüringen, Deutschland 5. Juli 2004
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“ Natasha sah sich um und machte den Eindruck, als fühle sie sich hier überhaupt nicht wohl. Bei dem Anblick war das auch nicht weiter verwunderlich.
„Ja, das ist die Siedlung ‚Roter Berg’, wo unsere nächste Zielperson wohnt.“
„Roter Berg?“ echote Natasha. „Um Himmels Willen, hätten sie diesen Schandfleck nicht nach der Wende umbenennen können? Mit Leningrad und Karl-Marx-Stadt haben sie das schließlich auch geschafft.“
Sie befanden sich in der Mitte von vier Formationen aus Häusern, die sehr schmal, aber auch sehr lang in einer grob achteckigen Form gebaut waren. Jedes dieser Achtecke hatte einen Durchmesser von drei- bis vierhundert Metern; solche Ausmaße von zusammenhängenden Häusern hatte keiner von ihnen je zuvor gesehen. Das wirklich Imposante war aber, dass diese typischen Plattenbauten alle elf Stockwerke hoch waren und dabei trotz ihrer schieren Größe nicht sonderlich stabil wirkten. Wären diese Komplexe nicht so ehrfurchtgebietend riesig, hätte man sie gar als fragil wirkend bezeichnen können.
Andererseits sah man den Bauten genau an, dass sie auf dem Höhepunkt der sozialistisch geprägten Herrschaft errichtet worden waren. Sämtliche West-, Süd- und Ostfronten der Gebäude schienen aus Balkonen zu bestehen, nur durchbrochen von wenigen schmalen Fensterreihen; es war wohl damals als Privileg der Arbeitergesellschaft DDR betrachtet worden, dass jeder für wenig Geld eine nette Wohnung mit Balkon bewohnen konnte. Interessanterweise waren die schmalen Seiten, wo der Grundriß des ‚Achtecks’ durchbrochen wurde, komplett fensterlos verkleidet. Auch die Nordseiten, die als reine Fensterfronten ausgelegt waren, waren mit diesen schmucklos strukturierten Platten in rotbraun und ocker verkleidet. Das stilistische Übel dabei war, dass restlos alle Häuser dieser gesamten Satellitenstadt in diesen Farben gehalten waren. Das traf sogar auf die fünf siebzehnstöckigen Wohntürme zu, deren Standorte nach dem Zufallsprinzip über das Gelände verteilt schienen, wobei zwei davon sinnloser weise keine zehn Meter auseinander zu stehen schienen.
„Ja, dieses Haus muss es sein. Kommt mit.“ Alex trat durch den Eingang des linken der beiden Zwillingstürme, eine Schiebetür.
Aishe bemerkte nach einem Blick auf die Klingeln: „Habt ihr gesehen? Fast jede zweite Wohnung steht leer. Die sind sicher alle in den Westen gezogen.“
Natashas Bedrückung nahm zu, je länger sie sich umsah. „Wie kann man nur so eine Umgebung für Familien mit kleinen Kindern schaffen? Ist das noch menschlich?“
Caroline schob sie voran, dicht gefolgt von Aishe, wobei sie ihr zuraunte: „Sobald du nicht mehr im Freien bist, musst du dir’s auch nicht mehr ansehen.“
Worauf sie schweigend weiterging und sich mit den anderen in den Lift quetschte, der sie alle gerade noch so aufnehmen konnte.
„Warum sollen wir denn alle mitkommen?“ wollte Natasha dann wissen, als sie hinauffuhren. „Sollen wir ihn umzingeln?“
„Nein, lediglich im Gang warten. Ich kann euch nicht schutzlos im Wagen zurücklassen, da die Gefahr besteht, dass einer der anderen Terminatoren auftaucht.“
„So schutzlos sind wir auch wieder nicht“, sagte Caroline überzeugt.
Aishe wollte wissen: „Aber ich denke, der... Bösewicht weiß nicht, wo er wohnt?“
„Das ist korrekt. Allerdings befindet er sich mit Sicherheit bereits in der Stadt und hat intensive Nachforschungen betrieben. Du musst dir das vor Augen halten, Aishe, dass wir von keinem Menschen reden. Dieses Wesen macht keine Pausen, isst nicht, schläft nicht. Es verwendet all seine Energie und Raffinesse Tag und Nacht einzig dazu, seine Mission zu erfüllen. Und es ist wirklich raffiniert, denn es wird durch nichts abgelenkt, hat ein so hochentwickeltes elektronisches Gehirn, dass es dem des Menschen nicht mehr in viel nachsteht und kennt keinerlei Skrupel. Es wird jedes Mittel einsetzen und vor gar nichts zurückschrecken, um sein Ziel zu erreichen.“ Alex hielt inne, als er Aishes entsetztes Gesicht registrierte.
„Du verstehst es ausgezeichnet, einem Mut zu machen“, grummelte Natasha mit finsterer Miene.
„Ich kann euch nicht belügen, was die Tatsachen unserer Mission angeht. Im Prinzip ist es ein ständiges Kopf-an-Kopf-Rennen, denn sie haben den Vorteil, dass sie mehr sind als wir und früher mit der Suche begonnen haben. Wir hingegen haben eine Ortsangabe, wo wir einen direkten Zugriff versuchen können. Niemand weiß, wie knapp das werden kann.“
Sie kamen im sechzehnten Stock an, dem zweitobersten. Auf dem engen, schlecht beleuchteten Hausflur gingen sie an mehreren unbewohnten Apartments vorbei und kamen schließlich zu einer Tür mit einem Namensschild daran. Er läutete und wartete geduldig, bis eine kleine zierliche Frau asiatischer Herkunft öffnete. In ihren dunklen mandelförmigen Augen zeigte sich eine Spur Angst, doch Natasha lächelte sie über Alex’ Schulter hinweg freundlich an. „Hallo? Wir wollten zu Shin.“
„Shin. Was wollen von mein Sohn?“ fragte sie misstrauisch in gebrochenem, nur schwer verständlichem Deutsch.
„Wir wollen ihn nur kurz etwas fragen. Es besteht kein Grund zur Sorge.“ Alex verzog keine Miene.
„Bitte warten.“ Die Frau schloss die dünnwandige Tür wieder und lief hörbar durch die Wohnung. Caroline tippte Alex auf die Schulter und erregte dessen Aufmerksamkeit.
„Mir ist etwas aufgefallen, als wir am Eingang waren, aber ich dachte, es ist nichts Wichtiges. Aber ist es nicht komisch, dass der gesamte oberste Stock, dieser hier und die nächsten beiden nach unten hin komplett unbewohnt sind? Nur in dieser einen Wohnung im sechzehnten lebt Shins Familie.“
Aishe vermutete unsicher: „Vielleicht wollen die Hausbesitzer einfach nur die obersten Etagen leer räumen, wegen der Wasser- oder Heizungsversorgung oder sonst was. Wahrscheinlich sind sie die einzigen, die sich bis jetzt geweigert haben, die Wohnung zu wechseln.“
Die Tür öffnete sich und ein junger Mann Anfang zwanzig mit ebenfalls asiatischen Gesichtszügen sah ihre kleine Gruppe mit skeptischer Miene an. Er war kleinwüchsig, nicht viel größer als 1,50 m und damit etwa so groß wie Aishe. Kurze, glatte schwarze Haare, die typischen dunklen Mandelaugen und hohen Wangenknochen waren seine Merkmale. Er war sehr schlank, fast schon mager, schien aber zäh und drahtig wie Simon zu sein, nur eben eine Nummer kleiner.
Bevor er etwas sagen konnte, fragte Alex: „Shin Chu?“
„Ja?“ Der misstrauische Blick von Shin sprach Bände; er schien zu ahnen, dass zumindest etwas Unangenehmes auf ihn zuzukommen schien.
Alex machte ihm auf seine unmissverständliche Weise klar: „Du befindest dich in großer Gefahr. Es ist für dich lebenswichtig, dass du schnell etwas Kleidung zusammenpackst und mit uns kommst. Auch warme Sachen. Wir sind zu deinem Schutz abgestellt. Deiner Familie empfehle ich, zu ihrer eigenen Sicherheit ebenfalls diesen Ort zu verlassen.“
„Bist du bekloppt? Für mich und meine Leute ist dies der sicherste Ort in der ganzen Stadt. Niemand weiß, dass hier oben noch jemand wohnt. Und wer hier mit bösen Absichten eindringt, wird das bereuen. Wer hat euch Vögel überhaupt geschickt?“
„Wir haben keine Zeit für lange Erklärungen. Jede Minute, die wir verlieren, könnte entscheidend über Leben und Tod sein. Ich muss darauf bestehen, dass du mitkommst.“
Natasha begab sich angesichts der Dringlichkeit ihrer Lage auf Neuland und versuchte es mit Diplomatie und Einfühlungsvermögen. „Bitte sei so gut und überlege es dir. Meinst du, wir kommen einfach so ausgerechnet hierher spaziert und quatschen dich voll, wenn wir es nicht todernst meinen würden? Es ist wirklich wichtig, dass du mitkommst. Bitte!“
„Ihr spinnt doch, nü!“ Damit schlug er die Tür zu und ließ sie auf dem Gang stehen.
„Dafür haben wir keine Zeit“, sagte Alex und drückte die Tür kurzerhand auf, die klaglos und sauber aus dem Schloss sprang und weit aufschwang. Shin, der sich abgewandt und ein paar Meter von der Tür entfernt hatte, drehte sich um und starrte sie an, als sie in wenigen Sekunden alle in die Wohnung geschlüpft waren und die Tür mit dem demolierten Schloss wieder zugezogen hatten. Alex packte ihn am Arm und sagte: „Komm jetzt bitte mit. Wir erklären dir unterwegs alles Wissenswerte.“
„Lass mich los, du Klotz. Verdammte Kacke, das darf doch nicht wahr sein!“ Während Shin unflätig zu fluchen begann und mit nicht druckreifen und äußerst blumigen Ausdrücken um sich warf, begann seine Mutter lauthals in ihrer Heimatsprache loszukrakeelen. Nach etwa drei Sekunden hatten sowohl Alex als auch Natasha je eine Pistole gezogen, wobei letztere nur zur moralischen Unterstützung gedacht war. Sofort verstummten die Proteste der beiden; mit aufgerissenen Augen starrten sie auf das schwarze kalte Metall der Waffen, die zwar nicht direkt auf sie gerichtet waren, aber dennoch eine deutliche Sprache sprachen.
„Ruhig jetzt. Wir haben es im Guten versucht, doch du bist stur geblieben.“ Dann sagte Alex etwas auf Vietnamesisch zu Shins Mutter, worauf diese ihn noch ungläubiger anstarrte. Offenbar war sie nun überzeugt von der Ernsthaftigkeit ihrer Lage, denn sie eilte nach hinten in die Wohnung und begann ihre Kleiderschränke durchzuwühlen.
Caroline ging voraus zum Lift, gefolgt von Natasha, Aishe und den Schluss bildeten Alex und Shin. Dann ging alles so schnell, dass sie erst später realisierten, was eigentlich geschehen war.
Um die Biegung zum Aufzug kam Abbey. Natasha lächelte freudig überrascht, doch Caroline fuhr angesichts der schwarzgewandeten Frau herum und schrie panisch: „Runter!“
Sie warf sich gegen Aishe und Natasha und riss beide zu Boden. Gleichzeitig hatte Abbeys Double am anderen Ende des Flures ihren langen dunklen Mantel zurückgeschlagen, eine Uzi hervor gerissen und feuerte das gesamte Magazin auf einmal auf sie ab. In einem Knäuel aus Armen und Beinen fielen die vorderen drei auf den Boden, obenauf Caroline. Natasha hatte das Gefühl, sie würde taub werden bei dem unglaublich lauten Schusslärm und als würde sie erdrückt unter den beiden anderen Mädchen.
Alex hatte Shin hinter sich geschoben, sodass die Kugeln nur in seinen Körper einschlugen und feuerte seinerseits das komplette Magazin seiner Walther PPK leer, dann riss er ein Ersatzmagazin aus dem Hosenbund und trat gleichzeitig die nächste Tür ein. „Da rein!“, wies er die anderen an, während er mit langen, donnernden Schritten an ihnen vorbei rannte.
Der T-880 hielt sich nicht damit auf, seine Maschinenpistole nachzuladen. Die TSR 301-Serie hatte die klobige kurze Automatikwaffe bereits fallengelassen und öffnete nun ihre Sporttasche. Alex schoss mehrmals auf ihre Hände, um sie davon abzuhalten, denn wenn sie es schaffen würde, an das Lasergewehr zu kommen, würden ihre Überlebenschancen gegen Null absinken.
Aus dem Augenwinkel registrierte Alex, dass neben ihnen eine Tür aufgerissen wurde. Mit voller Wucht rammte er seinen Körper beim Aufeinandertreffen wie ein Footballspieler gegen den viel leichteren T-880. Sein Gegner wurde zusammen mit ihm durch die hauchdünne Zwischenwand getrieben und landete in einem großen Wohnraum, in dem an einem Tisch vier Vietnamesen gesessen und Karten gespielt hatten, wovon einer, vom Lärm aufgeschreckt, an die Tür geeilt war. Alle waren alarmiert und umklammerten Kalaschnikows, die sie offenbar stets in Griffweite hatten. Offenbar hielten sie wenig von Alex’ Tätigkeit als Innenarchitekt, denn sie schwenkten ihre Waffen herum, schossen aber noch nicht. Nebenbei nahm er im Nachbarzimmer riesige Stapel von diversen Zigarettenmarken war, die zu Stangen gebündelt waren.
Der T-880 riss einem der verduzten Asiaten die Waffe aus der Hand und lud sie durch. Mit einem schnellen Schritt war Alex bei ihr und packte sie an beiden Unterarmen, damit sie die Mündung nicht auf ihn richten konnte. Dann schwang er den Terminator herum und knallte sie gegen eine Wand.
Überraschenderweise handelte es sich dabei um eine Außenwand, welche allerdings genauso unsolide ausgelegt war wie der Rest der Zwischenwände, da sie diese ebenso glatt durchschlug. Die TSR stürzte in die Tiefe und Alex sah ihr durch das entstandene Loch in der Wand hinterher. In diesem Moment feuerte sie noch eine Garbe mit dem sowjetischen Sturmgewehr ab, während sie fiel. Die Kugeln pfiffen ihm um die Ohren, sodass er schnell wieder den Kopf einzog.
Die vier im Vergleich zu Alex winzigen Vietnamesen waren starr vor Schreck, keiner von ihnen wagte sich zu rühren. Auf Vietnamesisch bat er um Verzeihung für diesen unseligen Zwischenfall und verließ das Zimmer durch das Loch, das er vom Gang aus geschlagen hatte.
Draußen spähte Caroline vorsichtig um den Türpfosten herum und riskierte einen Blick auf den Gang. Als sie Alex sah, kam sie erleichtert heraus und bedeutete den anderen, heraus zu kommen. Dabei fragte sie: „Was ist passiert?“
„Ich habe sie durch die Wand geworfen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie den Sturz aus dieser Höhe überstanden hat. Wir sollten uns aber trotzdem sofort von diesem Ort entfernen. Der TSR kann per Funk eine Meldung durchgegeben haben. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob sich nicht noch einer von ihnen hier in Erfurt aufhält. Zudem sitzen wir hier mitten im Zentrum eines Zigaretten-Mafia-Betriebs.“
Natashas Augen wurden groß und ihr Kopf ruckte zu Shin herum: „Waaas? Du bist ein Schmuggler?“
„He, ich habe euch nicht darum gebeten, hier reinzuschneien und mir mein Leben zu versauen.“
„Pah, du wärst tot, wenn Alex dich nicht gerettet hätte!“ Caroline verschränkte die Arme über der Brust und musterte ihn ungnädig.
„Hm, das stimmt“, meinte er nachdenklich.
Caroline trat zu Alex und merkte auf: „Du bist verletzt, Alex. Du blutest.“
Sie wies auf ein kleines rotes Rinnsal, das seine Schläfe hinablief. Dann erst sah sie auf seinem weinroten Pullover die zahlreichen Löcher und deren dunkle Umrandungen.
Aishe stieß einen kleinen Schrei aus. „Was ist das? Bei Allah, du bist getroffen! Wir müssen dir... Moment... das sind mindestens zwanzig Schüsse... wie...?“
Ihr versagte die Stimme, doch Alex sagte nur: „Der T-880 hat ein ganzes Magazin aus seiner MP-5 auf mich verfeuert und bis auf einen Streifschuss an der Stirn selbstredend immer getroffen. Diese Waffe hat allerdings nur einen sehr kurzen Lauf und damit keine hohe Durchschlagskraft.“
Shin war völlig verdattert und wollte etwas sagen, wurde dann aber grob am Arm gepackt. Alex schob ihn in den Lift, der nun unter ihrem hohen Gesamtgewischt bedenklich knarrte, fuhren hinab und verließen das Hochhaus. Auf der Fahrt nach unten hatte Alex die mitgenommene Sporttasche geöffnet und mit einem befriedigenden Grunzen die Plasmaimpulswaffe zutage gefördert. Shin und Aishe fiel die Kinnlade herab beim Anblick des riesigen, futuristischen Gewehres, das aussah wie eine Spielzeugwaffe, aber aus solidem Metall gefertigt war und sehr robust und schwer wirkte.
„Ausgezeichnet. Das Kräfteverhältnis verschiebt sich langsam zu unseren Gunsten.“
Allerdings erlebten sie eine böse Überraschung, als sie unten ankamen: der T-880 war verschwunden. Nur eine tiefe Kuhle im zerschmertterten Pflaster zeugte noch vom Aufprall der schweren Kampfmaschine. Am Grund der Vertiefung waren Hautfetzen, rote Haarbüschel und Blut zu sehen.
„Das ist bemerkenswert. Ein T-800 wie ich hätte diesen Sturz kaum überstanden. Er muss zumindest noch rudimentär funktionieren, dass er sich wegschleppen konnte. Wahrscheinlich wird er sich ein Versteck suchen und von den anderen geborgen werden, die ihm bei seiner Reparatur helfen können.“ Alex wandte sich ohne einen weiteren Blick ab und steuerte ihr Auto an.
Shin allerdings blieb wie angewurzelt stehen, starrte auf das Loch hoch über ihnen in der Außenwand des Hauses, dann auf die zerschlagenen Pflastersteine und die blutbefleckte Kuhle im Boden. „Aber... sie müsste mausetot sein! Ich... sie...“
„Hast du’s noch nicht kapiert? Wir haben es hier mit Leuten zu tun, die nicht ganz so leicht umzubringen sind. Alex und die Angreiferin sind keine Menschen.“ Aishe schien das Unglaubliche erstaunlicherweise bereits akzeptiert zu haben, wenn auch die Tatsachen vielleicht noch nicht bis ins Unterbewusstsein eingesunken waren.
„Keine Menschen? Aber... das musst du mir erklären.“ Er sah sie an, nun völlig gefasst.
„Vertrau’ mir und komm mit uns. Du wirst alles erfahren, was du wissen willst. Glaubst du an Schicksal?“
Er überlegte kurz und bejahte: „Ja, ich denke schon.“
„Dann komm.“ Sie lächelte scheu und winkte ihm über die Schulter beim Gehen, ihm zu folgen.
Als Shin sie zum Auto begleitete, wollte er wissen: „He, wie lange werden wir denn unterwegs sein? Ich habe doch noch gar nichts packen können.“
„Deine Chance dafür hast du selbst nicht wahr genommen. Wir werden dir unterwegs alles, was du benötigst, besorgen. “Alex öffnete die Fondtür und winkte ihn hinein in den Grand Voyager. „Und ja, wir werden lange unterwegs sein. Unser nächstes Ziel ist Hamburg.“
„Hamburg! Aber ich kann nicht so einfach mal nach...“ Die zuknallende Tür schnitt seinen Protest ab. Natasha grinste und ließ sich vorne nieder, während Aishe sich neben Shin und Caroline hinten rechts platzierte.
Alex wollte gerade einsteigen, als sein Blick etwas registrierte. Er erstarrte und deutete auf einen funkelnagelneuen roten Audi A6, der ein Stück weit weg geparkt war. „Dieses Automobil ist in Frankfurt in die Straße eingebogen, in der das Geschäft von Aishes Vater liegt, in dem Moment, als wir abgefahren sind. Die Chance eines Zufalls ist zu klein; ich erkenne das Nummernschild wieder. Es muss das Fahrzeug des Terminators sein.“
„Wirklich? Mann, dass das in Frankfurt so knapp war, hätte ich gar nicht gedacht.“ Aishe sah sich nervös um.
„Bis gerade eben wussten wir das ja nicht. Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, im Moment ist der T-880 nicht in der Lage, aus eigener Kraft Auto zu fahren. Einer der anderen wird ihn bergen müssen. Vielleicht hält sie das sogar ein wenig auf, wenn sie einen der anderen Terminatoren aus einer anderen Stadt abziehen müssen, um sich darum zu kümmern.“
Zur Sicherheit ging Alex zum Wagen ihres Widersachers und beugte sich unauffällig hinab. Er packte auf der Fahrerseite den Vorderreifen und ruckte kurz, aber fest daran, worauf die komplette Radaufhängung abriss und das gesamte Rad in schrägem Winkel herabhing. Dieselbe Behandlung ließ er dem linken Hinterrad angedeihen, wonach der Audi in bedenklicher Schräglage auf seinem Parkplatz stand. Zufrieden stieg er dann ein und bemerkte: „Dieses Fahrzeug wird sich aus eigener Kraft nicht mehr bewegen.“
Als Caroline die Schiebetür hinten zuzog, fragte Aishe: „Wo ist denn deine Jacke hin?“
Die junge Elsässerin zuckte zusammen. „Mist, die hab’ ich oben in dem Zimmer liegen gelassen, in das wir uns vor der Schießerei geflüchtet haben. Ist das schlimm?“
Shin meinte lässig: „Das bezweifle ich. Die Einwohner des halben Hauses sind von unserem kleinen Unternehmen gekauft oder ihm anderweitig verpflichtet. Wahrscheinlich wird nicht einmal die Polizei gerufen werden, das traut sich niemand. Wenn nicht zufällig ein Passant den Sturz der Frau gesehen hat, wird mit Sicherheit niemand davon erfahren. Die Familie kümmert sich um die Schäden und schmiert die nötigen Stellen.“
Kurz darauf waren sie unterwegs zur Autobahn, um ihr nächstes Ziel anzusteuern. Auf der Fahrt begannen sie, Shin in alles einzuweihen. Diesmal schien der Neuling in der Gruppe die phantastischen Fakten, die ihm präsentiert wurden, offenbar mit größerer Akzeptanz aufzunehmen, angesichts dessen, was er schon mit eigenen Augen gesehen hatte. Ein unumstößlicher Beweis war Alex, der mit etwa zwei Dutzend Kugeln im Oberleib munter am Steuer saß und fuhr, als wäre nichts geschehen. Ein weiterer war das Verschwinden der ‚Frau’, die aus dem sechzehnten Stock auf solides Pflaster gefallen war und das nicht nur überlebt, sondern sich auch noch aus eigener Kraft vom Schauplatz entfernt hatte. Dazu kam noch die Leichtigkeit, mit der sich die beiden durch Zwischenwände des Plattenbaus geprügelt hatten. Zugegebener maßen waren diese nicht gerade die massivsten, doch so etwas hatte er trotzdem noch nie gesehen, und er hatte sein Leben lang in dieser Trabantenstadt gelebt; als kleines Kind noch mit seiner Familie, die als Gastarbeiter aus dem kommunistischen Bruderland Vietnam gekommen war, dann nach der Wende unter den Fittichen der Organisation, die über seine und viele andere Familien wachte und sich um sie kümmerte, finanziert von vielen, vielen Stangen Zigaretten, auf denen mysteriöserweise das Steueretikett fehlte.
Die Zeit lief ihnen davon, wie sie auf höchst unangenehme Weise am eigenen Leib erfahren hatten. Nur durch Zufall und viel Glück waren sie heute alle der ‚Terminierung’ entgangen. Jetzt kam es darauf an, so schnell es ging zum letzten Zielort zu gelangen, der für sie auch der bisher größte war.
Sie hielten auf dem ganzen Weg nur zweimal zum Austreten und ernährten sich unterwegs provisorisch von belegten Broten und Snacks aus den Raststätten. Unbekümmert und klaglos saß Alex die ganze Strecke über am Steuer und bewegte den großen Chrysler mit höchstmöglicher Effizienz. Er war dabei der denkbar beste Autopilot und um Längen besser als jeder menschliche Fahrer. Mit der Zeit dämmerte das auch den neueren Insassen, worauf auch sie sich entspannen konnten und etwas in ihren bequemen Sitzen dösten.
Köln-Riehl, Nordrhein-Westfalen, Deutschland 5. Juli 2004
Während Alex und Konsorten sich der zweitgrößten Stadt Deutschlands an der Elbmündung näherten, war auch die andere Gruppe an ihrem nächsten Ziel, in der viertgrößten Stadt Deutschlands am Niederrhein angekommen. Abbey stellte den Van auf einem Parkplatz ab, der von viel Grün umgeben war. Sowohl die beiden Türme und die gewaltigen Haltetrossen der Mülheimer Brücke, einer der großen Hängebrücken Kölns, als auch der durchdringend tiefe, anhaltende Ton des Nebelhornes eines Binnenfrachtschiffes im Hintergrund zeugte von der unmittelbaren Nähe von „Vater Rhein“.
Ihr erster direkter Anlaufpunkt war kurioserweise ebenfalls ein hoch aufragendes Gebäude mit acht Stockwerken: das Jugendgästehaus Köln-Riehl. Es erwies sich mit seiner Front aus Ziegelsteinen und Schieferplatten sowie einem oxidierten, grün schimmernden Kupferdach als durchaus ansehnlich. „Hier sollte Bernd gemäss den Angaben, die ich habe, als Zivildienstleistender gearbeitet haben. Wollt ihr im Wagen warten oder mitkommen?“
„Machst du Witze? Nach dieser langen Fahrt ist jeder froh, wenn er sich ein bisschen die Beine vertreten kann.“ Silke schob die hintere Tür nach hinten und sprang heraus, gefolgt von Simon und Dimitri.
„Genau, ich war noch nie in Köln“, bekräftigte letzterer und sah sich im kleinen Park zwischen der Herberge und dem Rheinufer neugierig um, obwohl es hier abgesehen von der nahen Brücke und den hoch aufragenden Türmen des Kölner Domes in über vier Kilometer Entfernung nicht viel von der Stadt zu sehen gab. Die paar in der Nähe stehenden Hochhäuser, von denen das höchste weit über vierzig Stockwerke aufwies, gaben mit ihren hässlichen Betonfronten nicht viel her.
„Ich fürchte, da werde ich euch enttäuschen müssen. Wir sind hier nicht zur Besichtigungstour, sondern um ein Menschenleben zu retten. Wenn alles glatt läuft, sitzen wir in einer Viertelstunde schon wieder im Auto zu unserer letzten Station. Und dort muss wirklich alles glatt laufen, denn Bremen ist eine viel kleinere Stadt; ich mache mir große Sorgen um die Zielperson dort. Wenn sie nur einen einzigen Terminator gleich zu Anfang dort hin gesandt haben, besteht höchste Gefahr für den dortigen ‚Kandidaten’. Kommt jetzt.“ Zielstrebig steuerte Abbey den Eingang der Jugendherberge an und schritt mit ihren langen Beinen forsch aus, sodass vor allem Karin Mühe hatte, ihr zu folgen.
„Denkt dran, wir sind Freunde aus Freiburg, die ihn hier überraschen wollen. Ansonsten überlasst mir das Reden.“
Alle stimmten zu und betraten gemeinsam die Eingangshalle des Gebäudes. Abbey ging zum Empfang und stützte sich gewichtig vornüber auf den Tresen, worauf sich ein junger Mann dahinter augenblicklich aufrichtete, sich nervös durch die zerzauste Kraushaarmähne strich und seine Nickelbrille zurecht rückte. Fröhlich begann sie: „Hallo, ich wollte fragen, ob Bernd da ist. Wir sind Freunde von ihm aus Freiburg und sind gerade in der Stadt zu Besuch, da dachten wir, wir überraschen ihn einfach mal.“
„Der Bernd... aus Freiburg... na klar, der hat diese Woche Nachtschicht. Da habt ihr wohl Pech gehabt, er hat nämlich heute schön ausgeschlafen und ist gerade vorhin in die Stadt rein. Ich könnte höchstens seinen Kumpel Flitze fragen; die Beiden hängen oft miteinander rum.“ Der Zivi hob das Telefon ab und wählte eine interne Kurznummer.
„He, Urs, ist Flitze grad da... na, dann schau halt mal nach, ich hab hier Leute aus Freiburg da, die... ach, was erzähl ich hier lang, tu’s einfach... nee, irgendwann heute wär echt toll...“ Er hielt kurz inne und rief dann fast in den Hörer: „Na klar sofort, du blöder Anfänger! Soll ich denn erst selbst hochkommen oder wa? Na, denn mach hinne.“
In der darauf entstehenden Pause grinste er Abbey breit mit tiefgelben, krummen Zähnen an. „Tut mir leid, oben in der Gemeinschaftswohnung für die Zivis ist gerade einer von den Neuen drangegangen. Die Typen muss man alles heißen. Ich bin übrigens der Palle.“
„Aha.“ Abbey sah über die Schulter zu den anderen.
„Und du bist...“ fing Palle neugierig an.
„...zum ersten Mal in Köln.“ Sie lächelte zuckersüß.
„Und du heißt...“
„...meine Freunde auch alles. Sie hören auf mich, musst du wissen.“ Sie zwinkerte ihm zu, worauf er seine plumpen Annäherungsversuche aufgab. Gleichzeitig meldete sich jemand am anderen Ende der Leitung.
„Ja, Flitze, hier ist jemand... nein, ich... weißt du was, ich geb’ sie dir einfach mal...“ Konsterniert reichte er ihr den Hörer. Sie lächelte immer noch, nickte dankbar und winkte Karin näher heran.
„Hallo Flitze, ich bin eine Freundin von Bernd. Wir sind hier ein paar Leutchen aus dem Freiburger Raum, sind grad in der Stadt und dachten, wir schauen mal, was der Bernd so treibt.“ Sie unterbrach für einen Moment, als Karin zu ihnen an den Tresen kam und den Zivi freundlich musterte, offenbar amüsiert über sein Aussehen.
„Das ist Karin. Karin, das ist Palle.“ Antiproportional zu Palles wachsendem Grinsen verschwand selbiges aus Karins Gesicht, doch Abbey drehte sich rasch weg und telefonierte weiter. „Ja, er ist in die Stadt gefahren und kommt offenbar erst heut Abend zurück, deshalb dachte Palle, wir können dich fragen, ob du weißt, wo er sich rumtreibt.“
Sie lauschte kurz und sagte dann: „Das ist ja perfekt. Ja, kenn ich. Wir sind mit dem Auto da, wir können also... ja, genau, machen wir. Danke!“
Sie legte auf und amüsierte sich dabei über Karins Versuche, Palles Tresen unter irgend einem Vorwand, gleich wie fadenscheinig, zu verlassen. Abbey übernahm das Ruder wieder und erlöste ihre leidgeprüfte Freundin, als sie das Jugendgästehaus verließen. „Was für ein Glück, Karin. Bernd trifft sich nachher mit einem Freund in der Südstadt in einem Café. Ich habe Zeit und Ort. Dort können wir sicher sein, ihn anzutreffen. Wir fahren am besten gleich los, dann könnt ihr euch doch noch etwas von Köln ansehen, bevor wir den Zugriff machen.“
Sie waren bereits wieder im Freien. Karin tippte ihr von hinten auf die Schulter. „Ja?“
„Dafür schuldest du mir was, dass das klar ist.“
Abbey grinste schelmisch. „Und, hast du seine Telefonnummer?“
„Ich wird noch bekloppt! Der Typ war so eklig! Warum ich?“ rief sie anklagend.
„Ich brauchte eine Ablenkung, das war alles. Und schließlich haben wir das erreicht, was wir wollten. Jetzt fahren wir in die Stadt, ihr macht ein wenig Sightseeing und dann postieren wir uns eine Weile vor dem Zeitpunkt des Treffens in besagtem Café. So können wir Bernd vielleicht abfangen, wenn er vor seinem Kollegen eintrifft.“
„Klingt gut. Ich schlage vor, wir nutzen die Zeit, um ordentlich Kleidung einzukaufen, vor allem für Dimitri.“
„Für uns alle. Wir werden einiges brauchen. Also auf zur Schildergasse.“ Sie startete den Viano und fuhr los Richtung Innenstadt.
Hatteras, Dare County, North Carolina, USA 19. Dezember 1972
T-XF nahm den starken Wind, der seit zwei Tagen unablässig den Regen gegen die Panoramafenster der Strandbar prasseln ließ, kaum wahr. Draußen war es finster, der nächste Wintersturm auf dem Atlantik kündigte sich an. Sie warf im Vorbeigehen einen kurzen Blick auf ihre momentane Erscheinung: eine junge, schüchtern wirkende Frau Anfang zwanzig, schlank und ansehnlich mit blonden Haaren, zum Pferdeschwanz gebunden, klaren blauen Augen und einem Schmollmund. In den Jahren, die sie hier am sprichwörtlichen Ende der Welt zugebracht hatte und sich als Kellnerin und Küchengehilfin über Wasser gehalten hatte (Kreditkarten waren noch nicht etabliert worden), hatte sie so manche Avance bekommen und die eine oder andere auch angenommen. Ihre durch die von Daniel und Abbey geschaffene formidable Tarnung war durch die immense Erfahrung der Jahre hier nochmals immens erweitert worden. Bis sie sich in der Zeit befinden würde, um ihre Mission anzugehen, würde sie sich selbst wahrscheinlich daran erinnern müssen, dass sie kein Mensch war.
Während sie mit traumwandlerischer Sicherheit und in atemberaubendem Tempo das Regal mit den diversen Cocktailgläsern an der Spiegelwand hinter der Theke durcharbeitete, wobei sie jedes Glas einzeln herausnahm und polierte, bis es den sprichwörtlichen Glanz aus der Fernsehwerbung hatte, bedauerte sie ein wenig, dass man heute wegen des miserablen Winterwetters nichts vom Panorama draußen sehen konnte. Das landschaftliche Phänomen, auf dem sie sich befand, bestand aus einem insgesamt über einhundert Meilen langen, aber nur etwa einer Meile breiten Inselstreifen, der in einem stumpfen Winkel von der Küste North Carolinas bis zu vierzig Meilen weit in den Atlantischen Ozean hereinragte, nur an wenigen Stellen unterbrochen, so dass eine riesige Binnenfläche mit Salzwasser entstand, der Pamlico Sund. Diese geologische Formation ähnelte in frappierender Weise der Kurischen Nehrung und dem gleichnamigen Haff, die sich nördlich von Kaliningrad und im litauischen Süden der Sowjetunion befanden.
T-XF liebte die Abgelegenheit des 400-Seelen-Dörfchens, das links und rechts von der See umzingelt war und nur eine einzige Straße als Verbindung zum weit entfernten Festland besaß. Cape Hatteras war auch heute schon ein sehr beliebtes Ferien- und Ausflugziel, doch im Winter war der Ort größtenteils verwaist und die wenigen Geschäfte, die nicht einfach bis zur nächsten Saison geschlossen hatten, schlugen sich durch die einkommenslose und besinnliche Jahreszeit mit Renovierung ihrer Häuser und vielen anderen Zeitvertreiben, damit sie nicht vor Langeweile wahnsinnig wurden. Ihr Chef Percy hatte dabei noch Glück, da seine Bar eine der wenigen Anlaufpunkte im Städtchen war, wo sich die Dagebliebenen zu treffen pflegten, um der Einsamkeit zu entgehen. Es wurde nicht wirklich kalt so weit im Süden und im gemäßigten Inselklima, doch die Stürme im Winter konnten einem doch die gute Laune trüben.
„Heute rührt sich wohl gar nichts mehr, was, Sally?“ rief Percy zu ihr herüber.
„Kein Wunder bei dem Wetter. Würdest du freiwillig einen Fuß vor die Tür setzen?“ Sie ging zum kleinen, brandneuen Farbfernsehgerät und stellte ihn an.
„Na ja, stimmt schon. Wozu stellst du die Kiste an?“
„Sie zeigen die Rückkehr. Das einzig wirklich Große, was zur Zeit in Amerika passiert. In Nam bekleckern wir uns ja nicht gerade mit Ruhm.“
Percy seufzte: „Verdammte kleine Pazifistin! Wenn wir den Schlitzaugen nicht zeigen, wer das Sagen hat, glaubt der Kommie, er kann sich die ganze Welt unter den Nagel reißen. Wie oft soll ich dir das noch erklären?“
„Ich denke nicht, dass... da, sie berichten gerade darüber, dass seit gestern pausenlos von Guam aus mit schweren B-52-Bombern Einsätze über Nordvietnam geflogen werden. Weißt du, was das heißt? Wir gestehen unsere Niederlage ein, indem wir ihr gesamtes Land mit Stratofestungen in Schutt und Asche legen. Und warum? Weil wir es nicht geschafft haben, ihnen im Dschungel das Wasser zu reichen. Operation Linebaker II soll beliebig lange fortgesetzt werden, bis die Nordvietnamesen wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, sagt General Meyer gerade.“
Percy kam langsam zu ihr herüber. Er hatte gelernt, dass sie, ungeachtet der Tatsache, dass sie eine junge Frau war, sich in weltpolitischen Belangen vorzüglich auskannte und allgemeine Entwicklungen mit unheimlicher Treffsicherheit prognostizieren konnte. Seinen Gästen pflegte er zu sagen: ‚Wollt ihr die Nachrichten von morgen hören? Fragt Sally!’
Sie fuhr fort. „Und sie werden Erfolg damit haben. Was bleibt den Vietnamesen denn anderes übrig angesichts dieser Zerstörungen? Ich gebe ihnen nicht mehr bis Neujahr, dann sitzen sie wieder am runden Tisch zusammen. Wirst schon sehen.“
Er staunte, während sie angestrengt den weiteren Nachrichten lauschte. Endlich kam die Meldung, auf die sie lange gewartet hatte. Aufgeregt packte sie ihn am Hemdsärmel. „Da, sieh nur! Apollo 17 ist wohlauf zurückgekehrt. Mann, was für ein Augenblick in der Geschichte unseres Landes. Halte dir diesen Tag gut in Erinnerung, Percy. Unser Land wird vielleicht nie wieder eine solche Leistung wie heute zu Stande bringen.“
„Wovon redest du?“ Er runzelte die Stirn. „Die Erforschung des Mondes...“
„...ist längst Routine geworden“, beendete sie den Satz für ihn, wenn auch nicht in seinem Sinne. „Kannst du dich noch an die erste Landung von Apollo 11 erinnern? Sondersendungen, die Leute sind Kopf gestanden und haben unsere Jungs bei ihrer Rückkehr empfangen wie Helden. Und jetzt? Sie übertragen es nicht einmal mehr live, dabei haben Schmitt und seine Jungs genauso viel geleistet wie Armstrongs Mannschaft. Unsere Welt ist so oberflächlich und schnelllebig geworden, dass sich bereits bei der sechsten Mondmission kein Mensch mehr dafür interessiert. Apollo 18 und 19? Vergiss es! Ich sage dir, sie werden den Etat für das Weltraumprogramm nächstes Jahr gnadenlos zusammen streichen, obwohl es noch so viel zu entdecken und zu erforschen gibt. Die öffentliche Meinung ist gegen das weitere Verpulvern von Milliarden Dollarn für etwas so Abstraktes, das sie nicht nachvollziehen können. Stattdessen werfen wir lieber noch ein paar Bomben mehr auf nichtsahnende Reisbauern in einem Land, von dem die Hälfte unserer Bevölkerung nicht einmal weiß, wo es liegt.“
„Meine Güte, du machst mir ja Angst! So radikal kenne ich dich gar nicht, Sally! Was ist nur in dich gefahren, Mädchen?“
Sie wandte sich ab. „Es geht bergab mit unserem Land, Percy. Auch wenn hier draußen die Welt noch in Ordnung ist, du kannst die Zeichen bereits sehen. Du musst nur die Nachrichten ansehen, dann kannst du bereits ahnen, wohin es führt. Die Sowjets können sich das Wettrüsten mit ihrem Gesellschaftssystem nicht ewig in dieser Dimension leisten, weißt du? Es mag noch Jahrzehnte dauern, aber schlussendlich werden sie unterliegen. Mehr als zehn Prozent des Staatshaushalts für Waffen auszugeben, macht jedes Land auf Dauer kaputt. Nun, fast jedes. Die USA macht fleißig Schulden und ist fein aus dem Schneider, während die einfachen Leute in Russland verhungern. Wir müssen es nur aussitzen, dann wirst du schon sehen, wer den längeren Atem hat.“
Percy konnte gar nichts mehr sagen; er versuchte angestrengt, ihre Gedankengänge nachzuvollziehen. Schließlich meinte er versonnen: „Manchmal habe ich gute Lust, das alles aufzuschreiben, was du so von dir gibst, Sally. Wer weiß, vielleicht kommt es eines Tages wirklich so – was natürlich absoluter Blödsinn ist - , aber stell dir mal vor, wenn du diejenige bist, die sagen kann: ‚Seht her, ich hab’s doch gewusst!’ Wollen wir alle das nicht einmal im Leben sagen können? Zumindest bei so großen Dingen, wie du sie dir ausmalst.“
„Untersteh’ dich, auch nur ein Wort davon nieder zu schreiben!“ Brüsk wandte sie sich ab. War sie zu unvorsichtig geworden? Vielleicht war es wieder einmal Zeit für einen Orts- und Identitätswechsel geworden. Das, was sie über die USA gesagt hatte, meinte sie wirklich so, mit dem Wissenstand des Jahres 2004 gesegnet. Jetzt, nachdem der letzte Mensch für alle Zeiten auf dem Mond gelandet war, gab es nicht mehr viel, was sie hier noch faszinierte.
Eine Kreuzfahrt nach Europa, das wäre schön, dachte sie so bei sich. Vielleicht würde sie auf einem Schiff anheuern und sich als Besatzungsmitglied die Überfahrt verdienen. Ja, es war Zeit geworden für sie, „God’s own Country“ endgültig den Rücken zu kehren. Und es gab ja noch so viel zu tun, so viel vorzubereiten...
Hamburg-Niendorf, Deutschland 5. Juli 2004
Abbey und ihre Begleiter hatten ihre Einkäufe erledigt und brachen auf, um Kontakt mit ihrer nächsten Zielperson aufzunehmen. Inzwischen war es bereits später Nachmittag geworden, als Alex und seine Mitfahrer kurz vor der Einfahrt in den Elbtunnel die beiden trapezförmigen Pylonen der Köhlbrandbrücke, einer der größten Hängebrücken Deutschlands, bewundern konnten. Aufgrund des hier üblichen Stop-and-Go-Verkehrs hatten sie dazu sogar mehr Zeit, als ihnen lieb war. Als sie bei Hamburg-Stellingen die A 7 verließen, war es schon früher Abend geworden. Zielstrebig fuhr der t-800 durch den nachlassenden Berufsverkehr am NDR-Fernsehstudio vorbei und hielt sich dann links.
Alex fuhr zum Halten an den rechten Straßenrand, als er den Auflauf vor dem Mietshaus sah, welches ihr Ziel war. Mit ernster Miene sagte er: „Da vorne ist etwas passiert.“
„Was meinst du? Ist das etwa das Haus, wo...“
Der Lärm eines zweistrahligen Verkehrsflugzeuges, das vor ihnen in weniger als hundert Meter Höhe über die Straße flog, machte für einige Sekunden jede Unterhaltung unmöglich. Sie befanden sich fast direkt in der Einflugsschneise des Flughafens Fuhlsbüttel.
„Ja. Es kann sein, dass wir zu spät kommen. Wartet hier.“ Er stieg aus, doch Natasha öffnete ebenfalls ihre Tür.
„Ich komme mit. Vier Augen sehen mehr als...“ Sie hielt inne. „Du weißt schon, was ich meine, ja?“
„Das ist taktisch höchst unklug. Der T-880 könnte sich noch in der näheren Umgebung aufhalten. Es ist hier ziemlich gefährlich.“
„Dann solltest du uns hier auch nicht alleine lassen, während du die Lage sondierst, meinst du nicht auch?“, gab sie zu bedenken.
Er hielt inne. „Deine Einschätzung der Lage ist korrekt. Wir werden uns ein Stück weit entfernen und dann eine erneute Annäherung mit umsichtigerer Vorgehensweise unternehmen.“
Er stieg wieder ein und fuhr über mehrere Umwege zur U-Bahn-Haltestelle des berühmten Hagenbecks Tierpark, wo er auf dem Park-and-Ride-Parkplatz tatsächlich noch eine Lücke fand, die groß genug für ihren Van war. Nachdem er ihn abgestellt hatte, sagte er zu den anderen: „Natasha und ich werden mit der U-Bahn zum Wohnort der Zielperson zurückkehren. Währenddessen könnt ihr euch falls nötig etwas Verpflegung besorgen, aber bleibt nicht zu lange weg und entfernt euch nicht zu weit vom Fahrzeug.“
„Kein Problem, wir brauchen nur etwas Bargeld, um uns etwas kaufen zu können.“ Beinahe unverschämt hielt Caroline die Hand auf.
Alex holte ein paar Euro-Banknoten aus seiner Hosentasche und ging dann mit Natasha zum Bahngleis, wo sie die nächste U-Bahn zum Niendorfer Markt zurück nahmen. Nach einer ereignislosen Fahrt gingen sie den kurzen Weg zurück zum Ort des Geschehens, der noch immer von diversen Ambulanzen und Polizeiwagen sowie einer großen Menge von Schaulustigen umgeben war.
Sie stellten sich an den Rand der Menschentraube und fragten arglos einen der Umstehenden nach dem Grund des Aufruhrs. „Da drin hat es eine Schießerei gegeben. Es gibt ne ganze Menge Tote, keine Verletzten. Die Polizei steht offenbar vor einem Rätsel; ich habe selbst gehört, wie einer von ihnen vorhin gesagt hat, er habe so etwas noch nie zuvor gesehen.“
„Was kann denn da so rätselhaft daran sein, wenn ein Haufen Leute erschossen wird?“ wollte Natasha wissen.
„Einer der Sanitäter hat zu den Polizisten gesagt, die Wunden der Toten stammen aus keiner Waffe, die ihm oder irgendeinem seiner Kollegen bekannt wären. Es müsste etwas neues oder völlig exotisches sein, dass solche Einschüsse verursacht.“
„Hm, faszinierend“, murmelte Alex. „Danke.“
Natasha erstarrte, als zwei Männer aus dem Haus kamen und zwischen sich einen Sarg aus Aluminium trugen. „Alex, wir sind zu spät gekommen.“
Sie entfernten sich vom Tatort und blieben am Eingang einer kleinen Seitengasse stehen, wobei Alex sagte: „Hier können wir nichts mehr ausrichten. Es bleibt nur noch die Frage offen, ob sich die Zielperson wirklich unter den Opfern aufgehalten hat, als der Terminator ihren Wohnort aufgespürt hat. Für mich sieht es so aus, als ob er ohne langes Bestätigen der Identität der Zielperson kurzerhand jeden terminiert hat, den er angetroffen hat. Mich beunruhigt dabei, dass er bedenkenlos die Laserwaffe benutzt hat, ohne Rücksicht darauf, dass es mehrere Personen waren und bei der Untersuchung dieser Morde zwangsweise Ungereimtheiten auftauchen werden.“
„Stimmt, der andere T-880 hat zuerst einmal mit konventionellen Waffen auf uns geschossen, bis er merkte, dass dir damit nicht beizukommen ist.“
„Deine kognitiven taktischen Fähigkeiten sind bemerkenswert“, lobte er sie. „Offenbar kümmert sich dieses Exemplar nicht darum, ob es eine Riesensensation geben könnte, wenn in der Presse bekannt wird, dass ein offenbar Geistesgestörter quer durch Deutschland fährt und mit einer geheimnisvollen Waffe Leute ohne jeden Zusammenhang oder erkennbares Muster umlegt, wenn ich es einmal so umgangssprachlich ausdrücken darf.“
„Sehr gut, deine Ausdrucksweise macht sich langsam. Ich frage mich, ob das der gleiche Drecksack war, der in Freiburg Ralf umgebracht hat. Andererseits hat dein Vorgänger diesen Terminator zur Strecke gebracht.“
„Nicht unbedingt“, gab Alex zu bedenken. „Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Cyborg, der Ralf getötet hat und der, den ihr in Simons und Karins Wohnung angetroffen habt, ein und derselbe war. Es hätten auch zwei von ihnen dort sein können, weil es auch mehr als eine Zielperson aufzufinden galt.“
„Und was tun wir jetzt? Wir wissen nicht genau, ob der Terminator hier die Zielperson auch wirklich erwischt hat. Und wenn nicht, wie finden wir sie dann? Sie muss völlig verängstigt und verstört sein, wenn sie davon erfährt. Es wird sicher nicht leicht sein, sie davon zu überzeugen, dass ihr Überleben davon abhängt, mit uns zu kommen.“
Sie gingen langsam zurück zur U-Bahnstation. „Den Informationen nach, die mir vom europäischen Widerstand eingegeben wurden, muss sich die Zielperson zu diesem Zeitpunkt in der Stadt aufgehalten haben. Das heißt, wir können ausschließen, dass sie im Urlaub war, verreist ist oder etwas in der Art.“
„Was weißt du noch über sie?“ fragte Natasha neugierig, als sie in eine ankommende Bahn der Linie U2 in Richtung Innenstadt stiegen. Ein startender Jumbojet unterbrach ihr Gespräch erneut für kurze Zeit. Die Bahn fuhr an und beschleunigte schnell. Da es nur zwei Stationen zum berühmten alten Zoo Hamburgs waren, würde die Fahrt nicht lange dauern.
„Nun, sie heißt Anastasia Yakovlev, wohnt in besagtem Haus mit ihrer Familie, die kurz nach ihrer Geburt aus Kaliningrad hier eingewandert ist. Ihre Großmutter war Deutsche, deshalb konnten sie recht problemlos nach Deutschland kommen. Dann nur noch eine allgemein gehaltene Personenbeschreibung.“
„Ein sehr exotischer Name. Yakovlev wie die sowjetischen Kampfflugzeuge?“ Natasha musste grinsen.
Alex indes zögerte. „Woher kennst du diese Bezeichnung?“
„Mein kleiner Bruder baute früher alle möglichen sowjetischen Flugzeugmodelle. Er schwärmt noch heute für sie. Du weißt natürlich, dass auch meine Familie aus der Sowjetunion kommt, oder?“ Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Selbst wenn ich keine detaillierten Dateien über deine Person hätte - der Name Orloff ist in Russland so häufig wie Meier oder Schmidt in Deutschland.“
Sie nickte und sah zum Fenster hinaus, wo eben das erste Haltestellenschild von Hagenbecks Tierpark auftauchte, als die U-Bahn stark bremste und in die Station einfuhr. Sie verließen die Bahn zusammen mit einigen anderen Leuten und gingen langsam zum Ausgang.
„Wir müssen uns unbedingt Klarheit darüber verschaffen, ob sie noch lebt oder nicht. Wenn ja, müssen wir sie finden und beschützen. Erst mal zurück zum Auto.“
„Suchen wir Anastasia dann?“
„Sag nur Ana. Das ist kürzer.“
Natasha und Alex erstarrten. „Nicht umdrehen. Lauft ganz normal weiter, als ob nichts wäre. Ihr wolltet zu einem Auto? Tut euch keinen Zwang an. Und versucht keine Dummheiten; ich habe einen nervösen Zeigefinger.“
Die beiden sahen sich aus dem Augenwinkel an, gingen aber langsam weiter, ohne sich umzudrehen. Natasha fragte treuselig: „Heißt das, auf uns ist eine Waffe gerichtet?“
„Kluges Kind. Nicht umdrehen, verdammt!“ Anas Stimme klang eigentlich sehr sanft und melodisch, hatte aber im Angesicht der Lage einen gefährlichen Unterton.
„Du scheinst es nicht leicht zu haben hier in der großen Stadt. Ist es da nötig, immer eine Pistole bei sich zu tragen?“
„Du hast ja keine Ahnung. Was wollt ihr von mir?“
„Wir sind so froh, dass du lebst, Ana. Als wir sahen, was passiert war, dachten wir schon, wir seien zu spät. Wir sind hier mit einem großen Auto, diesem Van da vorne. Siehst du ihn?“ Alex lenkte geschickt vom Thema ab.
„Der silberne Chrysler Voyager? Klar. Sieht brandneu aus.“
„Es ist ein Leihwagen“, erklärte Alex, als sie noch fünf Meter hinter dem Fahrzeug auf dem menschenleeren Parkplatz waren. Dann wirbelte er herum, schlug ihr die Waffe aus der Hand und stieß sie nach vorne zum Wagen hin.
Völlig perplex stolperte Ana vorwärts, doch Natasha fing sie auf, half ihr wieder auf die Beine und musterte sie erstmals. „Wow, das übertrifft ja meine Erwartungen noch bei Weitem.“
Ana war ein wenig jünger als Natasha, etwas über 1,70 m groß, sehr schlank und sportlich, aber dennoch mit genügend weiblichen Attributen ausgestattet. Ihr puppenhaftes Gesicht mit rehbraunen Augen, einem perfekt geraden Nasenrücken und einem schmalen Mund mit vollen Lippen hatte sanfte Züge und ein leicht spitzes Kinn. Es wurde von kurzem, hellbraunen Lockenhaar umrahmt. Sie sah absolut harmlos aus in Natashas Augen, was aufgrund ihres Auftrittes bereits als trügerischer Eindruck zu werten war.
Sie nahm Anas Rechte in beide Hände und drückte sie. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass wir dich gesund und unverletzt antreffen.“
Alex hatte ihre Waffe aufgehoben und gab sie ihr mit dem Griff nach vorne zurück. Er verzog keine Miene dabei, während er sagte: „Hier, die hast du verloren. Eine Beretta, ein unzuverlässiger Typ. Ich werde dir später ein anderes Modell geben.“
Ana stand da wie angewurzelt, als sie ihre Pistole wieder an sich nahm. „Seid ihr irgendwie geistig ein bisschen langsam oder so? Ich habe euch gerade mit der Waffe bedroht und ihr gebt sie mir einfach so zurück?“
Natasha grub in den Tiefen ihrer Seele nach den letzten Resten an Diplomatie, die sie noch mobilisieren konnte. Dieser Mist lag ihr einfach nicht. „Hör zu, wir wollen dir damit nur zeigen, dass du uns vertrauen kannst und nichts von uns zu befürchten hast. Wir sind zu deinem Schutz da, während der Mörder deiner Familie immer noch frei herumläuft. Sobald bekannt wird, dass du dem Anschlag entgangen bist, wird er nicht ruhen, solange du noch lebst.“
„Meine Familie...“ Plötzlich schien eine psychische Sperre aufgehoben, worauf sie in sich zusammensackte und haltlos zu schluchzen begann. „Ich bin nur durch pures Glück da raus gekommen. Wir saßen alle zusammen beim Essen, als er die Wohnungstür eintrat. Es ging alles so schnell, da war überall dieses Licht und das Zischen... Schreie... Schüsse... nichts konnte ihn aufhalten... ich bin durch das Badfenster... oh Gott!“
Die Tür des Vans ging auf, als die anderen den Tumult bemerkt hatten. Caroline kam aus dem Fond geeilt, als sie Ana am Boden sitzen und weinen sah. „Können wir euch helfen?“
Sie schafften Ana gemeinsam ins Auto und beruhigten sie. Nur langsam und behutsam lieferten sie ihr häppchenweise Informationen, um sie nicht zu überfordern. Alex indes steuerte den Van in der tiefstehenden Sonne zurück zur Autobahn. Sie hatten nun alle Zielpersonen in ihrer Gruppe aufgesammelt und sollten gemäss des Planes nun direkt zum Safehouse fahren, das Daniel inzwischen besorgt und hergerichtet haben müsste.
Köln, Nordrhein-Westfalen, Deutschland 5. Juli 2004
Kurz nach dem Severinstor bog Abbey vom Ubierring ab in ein ruhiges Viertel der Südstadt, wo in etlichen alten Seitenstraßen wenig Durchgangsverkehr herrschte, dafür aber viele Grünanlagen und kleine Geschäfte sowie Cafés und Restaurants beherbergt waren. Sie parkte den Van auf einem großzügig angelegten Parkstreifen fast genau gegenüber ihres Zielortes. Simon, Silke und Dimitri warteten im Wagen, während Abbey und Karin die Straße überquerten und auf ihr Ziel zuhielten.
„Warum immer ich?“ beschwerte sich Karin beim Betreten des gemütlichen Cafés, das vom ersten Eindruck her von jungen Leuten, vornehmlich Studenten, besucht wurde. „Bin ich so was wie der Botschafter unserer kleinen Delegation?“
„Gewissermaßen. Ich denke einfach, dass du für so etwas am besten geeignet bist. Du bekommst das hin, oder?“
„Na ja, normalerweise ist es eher anders herum, aber... ich versuche es, okay?“ Sie seufzte angesichts der Aufgabe, die ihr bevorstand.
An der Türschwelle blieb Abbey wie angewurzelt stehen, als sie die zahlreichen Gäste mit einem raschen Blick erfasste. „Er ist schon da. Dort vorne an dem kleinen Tisch, mit dem braunen Haar und dem weißen T-Shirt, der mit dem Rücken zu uns sitzt.“
Karin zögerte. „Der da? Oh Mann, Abbey, was verlangst du da von mir? Das ist ja noch schlimmer als die Nummer vom Autohaus. Er wird mich für... du weißt schon was halten.“
„Du hast früh genug Gelegenheit, diesen Eindruck von dir zu berichtigen. Los, schnapp ihn dir!“ Mit einem aufmunternden Klaps auf die Schulter schickte Abbey sie los. Zögernd ging Karin hinein und rieb sich die schmerzende Schulter, während sie wie zufällig auf Bernds Tisch zusteuerte. Wenigstens war das Lokal ziemlich voll, was ihren Vorwand nicht ganz so fadenscheinig wirken ließ.
„Entschuldige, ist hier noch frei?“ fragte sie freundlich, als sie Bernds Tisch von hinten umrundete. Worauf dieser verblüfft von seinem Buch aufsah; ihm passierte das wohl nicht so häufig, dass sich jemand einfach so zu ihm setzte.
„Äh, klar. Bitte sehr.“ Er wies auf den zweiten Stuhl ihm gegenüber, wobei er sie warnte: „Es kann aber sein, dass noch ein Freund von mir nachher vorbeischaut.“
„Kein Problem. Ich bin die Karin“, sagte sie und kam sich hinter ihrem Lächeln vor wie ein Vollidiot. Er ließ indes sein Buch sinken, als in ihm die Erkenntnis reifte, dass dieses weibliche Wesen tatsächlich eine Konversation mit ihm anstrebte.
„Ich heiße Bernd“, stellte er sich einsilbig vor. Sie musterte ihn und wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr vage bekannt vorkam. Er hatte dunkelbraunes Haar, das in einer längeren struppigen Igelfrisur in alle Richtungen abstand wie ein zu lange herausgewachsener Bürstenhaarschnitt. Dicke braune Augenbrauen standen über seinen dunklen großen Augen, mit denen er sie fragend ansah. Eigentlich war er gar nicht so unansehnlich, trotz seines ungepflegten dunklen Vollbartes, der dringend einmal gestutzt werden müsste, aber stattdessen so lange war, dass er bereits erfolgreich die Konturen seiner markanten, leicht eckigen Kiefer- und Kinnpartie verwischte.
„Und, was machst du so? Studierst du hier?“ quälte sie sich weiter durch den ihr ungewohnten Prozess, ein Gespräch mit einem Unbekannten zu beginnen.
„Eigentlich ja, Medizin. Zur Zeit mache ich allerdings Zivi im Jugendgästehaus.“ Er zögerte kurz und fuhr dann fort. „Ich weiß, das klingt jetzt blöd, aber ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Gesichter. Kann es sein, dass ich dich von irgend woher kenne? Bist du auch in der Medizin?“
„Nein, eigentlich habe ich mein Studium schon beendet. Ich habe aber nicht hier...“
„Warte!“ unterbrach er sie unerwartet. „Dein Akzent und dein Aussehen... kann es sein, dass du aus Freiburg kommst?“
Jetzt fiel ihr doch die Kinnlade hinab. „Oh Mann, woher...?“
„Du warst öfter mal im Agar oder im Aspekt, stimmt’s? Du hast schon immer diesen Pferdeschwanz und läufst auch meistens in Schwarz oder in Jeanskluft herum. Und du hast meistens eine große rothaarige Freundin dabei gehabt und früher eine mit sehr langen hellbraunen Haaren. Stimmt’s?“ Er sah ihr tief in die Augen und ihr wurde direkt ein wenig mulmig dabei.
„Das... das stimmt alles. Du kannst dich an all das erinnern? Nach wie langer Zeit?“ Sie war völlig perplex und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte – außer mit einem künftigen Wechsel ihrer Garderobe vielleicht, die einen weniger hohen Wiedererkennungswert liefern sollte.
„Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis für Personen“, wiederholte er und lächelte etwas verschämt, während er die Augen niederschlug. „Na gut, vielleicht lag es auch an dir selbst, aber ich bin etwas ungeschickt darin, Leute anzusprechen, wenn du verstehst. Schüchtern, könnte man sagen. Vielleicht hatte ich ein kleines Faible für dich.“
Unglaublich, dass sie ihn jetzt hier ansprach, nachdem er offenbar damals in Freiburg ein heimlicher Verehrer von ihr gewesen war. Was sagte man dazu?
„Das muss wohl Schicksal sein, dass wir uns hier und jetzt über den Weg laufen, nachdem wir uns in Freiburg nie kennen gelernt haben“, meinte er auch prompt.
„Ich hoffe stark, du glaubst an Schicksal?“ forschte sie nach in der Hoffnung, einen Ansatz für die Erklärung ihres Anliegens zu finden.
„Ja, unbedingt“, bekräftigte er. „Das hier kann kein Zufall sein.“
„Ist es in der Tat nicht“, begann sie vorsichtig. „Wir beide sind gewissermaßen direkt vom Schicksal auserwählt worden.“
„So wie du das sagst, bekommt es schon einen mythischen Klang“, bemerkte er und grinste breit dabei.
„Nun, es ist tatsächlich kein Zufall. Ich bin eigentlich hergekommen, um mit dir über eine Menge Dinge zu reden, die unser Leben in naher Zukunft radikal verändern werden. Die Welt
wie wir sie kennen, wird so in dieser Form nicht mehr lange existieren. Ich weiß, das hört sich jetzt nach Spinnerei an, aber ich kann nur hoffen, du hast eine Menge Phantasie, um das alles, was auf uns zukommt, zu verarbeiten und zu verdauen.“
„Ich muss zugeben, dass ich immer weniger verstehe, aber die Art, wie du ‚uns’ sagst, gefällt mir irgendwie.“ Er grinste noch unverschämter. „Ich weiß, dass ich gerne übers Ziel hinausschieße in meiner Unbekümmertheit. Hab’ ich es schon versaut?“
„Nein, durchaus nicht. Unter normalen Umständen würdest du jetzt bereits wieder alleine am Tisch sitzen, aber in dieser Lage ist es am besten, wenn du mitkommst. Die Zeit läuft uns davon und ich glaube, du bist gewillt, dir anzuhören, was ich dir zu sagen habe.“ Sie stand auf und legte ein paar Münzen für sein Getränk auf den Tisch.
„Was? Wohin willst du? Wohin gehen wir?“ Ihm passierte es wohl auch nicht oft, dass ihn eine Frau einlud und gar zum Mitgehen aufforderte. Unsicher stand er auf, folgte ihr hinaus und über die Straße. Dabei entging ihr nicht, wie er sie verstohlen beim Gehen beobachtete. Sie verdrehte die Augen gen Himmel; der Junge konnte einem schon leid tun. Hätte sie bloß nicht so eine enge Hose an!
„Siehst du, wir sind schon da. Wir machen eine kurze Fahrt, wenn es dir recht ist. Ich erkläre dir unterwegs alles.“ Sie öffnete die Schiebetür an dem großen Van und winkte ihn hinein in die letzte Reihe. Bernd aber blieb unentschlossen stehen, als er die kleine Gruppe im Innern erspähte. Irgendwie schien er den Braten zu riechen.
„Was ist das? Seid ihr auf Urlaubsfahrt?“
Sie schob ihn sanft nach hinten durch. „Ja, wir fahren alle zusammen weg. Unsere Fahrerin kennst du schon.“
Abbey drehte sich um und begrüßte ihn freundlich. Bernds Augen begannen zu leuchten, als er sie erblickte. Meine Güte, man konnte aus ihm lesen wie aus einem offenen Buch. Und dieser Junge war verzweifelt, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Eines war gewiss: sollte sie je das dringende Bedürfnis nach ‚Zerstreuung’ haben, wäre er der letzte, der ihr dieses Anliegen abschlagen würde. Ob ihr Bedürfnis jedoch jemals so stark werden würde, bezweifelte sie ernsthaft.
Sie seufzte nochmals und begab sich zu ihm nach hinten in die letzte Sitzreihe. „Du kannst losfahren, Abbey. Ich fange am Besten von ganz vorne an, dir alles zu erklären.“
Sie stellte noch kurz alle Insassen vor – Bernd erinnerte sich tatsächlich auch noch an Simon, den er wahrscheinlich auch mit Karin zusammen gesehen haben musste – und begann dann die Zusammenhänge zu erläutern. Als die Sprache auf die umwälzenden weltbewegenden Ereignisse kam, die ihnen bevorstanden, verzog er keine Miene, sondern hörte nur gefasst zu. Für Karins Geschmack eine Spur zu gefasst. Dennoch war sie froh, dass er keinen großen Widerstand leistete, als sie auf dem Kreuz Köln-Süd auf die Autobahn auffuhren und sich auf den Weg nach Bremen machten, um das letzte künftige Mitglied ihres Teams zu suchen.
Als Silke ihn darauf ansprach, meinte er lakonisch: „Wenn du wüsstest, wie mein bisheriges Leben verlaufen ist... es gibt nicht mehr viel, was mich ernsthaft erschüttern kann. Und das meine ich ernst. Ich sehe zwar aus wie Mitte zwanzig, aber geistig fühle ich mich manchmal wie ein alter Mann, der auf zu viele Ereignisse für ein einzelnes Leben zurück blicken kann. Es hängt sicher auch mit dem familiären Umfeld zusammen, wie man aufgewachsen ist und so.“
Darauf fragten sie nicht länger nach. Den ersten Aussagen über seinem Werdegang nach hatten sie entnehmen können, dass er nicht in einer intakten Familie, sondern bei einem Elternteil aufgewachsen war. Mehr getraute sich nach diesem gewichtigen Statement niemand zu fragen. Anhand der Gleichmut, mit der er alles so außergewöhnlich klaglos über sich ergehen ließ, was ihm gerade widerfuhr, mussten sie ihm Respekt zollen und zweifelten den Wahrheitsgehalt dieser Andeutungen nicht einmal ansatzweise an.
Abbey schob sich trotz der Antiblend-Beschichtung der Frontscheibe eine Sonnenbrille auf die Nase, als sie die A 1 Richtung Norden erreichten und gegen die tiefstehende Sonne fuhren. In ein paar Stunden sollten sie es bis nach Bremen geschafft haben.
Berlin-West, Bundesrepublik Deutschland 3. Oktober 1990
T-XF stand auf einem Flachdach am Rande des Potsdamer Platzes und sah hinab auf die Hunderttausende von Leuten, die ausgelassen feierten. Heute wurde Geschichte geschrieben, das war ihm klar. Er hatte das Aussehen eines großgewachsenen jungen Mannes, der fast klischeehaft das Bild eines typischen Deutschen verkörperte. Dabei spielte es ab heute keine Rolle mehr, ob West- oder Ostdeutscher, denn in diesen Minuten erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl die beiden deutschen Staaten für wiedervereinigt. Es gab kein West- oder Ostberlin mehr, keine BRD oder DDR. Der eiserne Vorhang war gefallen, eine Zeit des Aufbaus, des Neuanfangs brach an, aber auch eine Zeit der Aufarbeitung von Altlasten, der Konfusion und des Rückzugs der noch sowjetischen Truppen, die bald ebenfalls erst zu den GUS, dann nur noch zu Russland gehören würden. Er gedachte das zu seinen Gunsten auszunutzen.
Dem jungen Mann schien der Jubel und das farbenfrohe Feuerwerk über dem frei zugänglichen Brandenburger Tor, dem einstigen Symbol der Teilung und jetzt des Zusammenwachsens, sichtlich zu gefallen. Er beabsichtigte, die Wirren zu nutzen, die sich in den nächsten Monaten und Jahren noch ergeben würden, bis Routine im neuen Deutschland einkehren würde. Abgesehen von den Möglichkeiten, die ihm ohnehin schon mitgegeben worden waren, begann er jetzt vorauszuplanen.
Langfristig vorauszuplanen.
Er würde sich um vieles kümmern müssen, denn er hatte eine ganze Gruppe unter seine Fittiche zu nehmen, wenn beim Transport der beiden T-880 Einheiten noch mehr schiefgegangen war als bei seinem. Er war bereits über drei Jahrzehnte hier und erfreute sich noch bester Funktionalität, was dank seines Fusionsgenerators auch noch für etliche Jahrzehnte der Fall bleiben konnte. Die T-880 hatten herkömmliche Brennstoffzellen, welche nach gut einhundert Jahren ihren Geist aufgeben würden. Wenn sie bei der Störung, die bei den Zeitsprüngen aufgetreten war, noch weiter als er in der Vergangenheit gelandet waren, lagen sie vielleicht bereits mit verbrauchten Zellen irgendwo verrottend im Dreck.
Dann war er die letzte Hoffnung für die Widerstandsgruppe, für deren Schutz er abgestellt war. Und er wollte so gut wie nur möglich vorbereitet sein. Dabei musste er sich in manchen Belangen auf den technischen Fortschritt der Menschheit verlassen. Vor allem die Entwicklung des bargeldlosen Geldbezugs mittels Magnetkarten hatte ihn enorm weitergebracht in seinen Möglichkeiten. Endlich konnte er die ihm mitgegebene Karte gebührend nutzen und bei jeder Gelegenheit Unsummen von Bargeld von beliebig per Zufallsgenerator angewählten Konten abheben, wobei die Transaktion selbst nach der Ausführung wieder gelöscht wurde, sodass niemand auf seinem persönlichen Konto Geld vermisste. Lediglich das betreffende Geldinstitut musste nach einer Weile einen gewissen Fehlbetrag verbuchen, der sich auf mysteriöse Weise nicht zurückverfolgen ließ.
Nun stand einiges für T-XF an. Zuerst einmal würde er sich in Deutschland einleben, nebenher aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit geeignete Waffen aus sowjetischen Militärdepots beschaffen. Die Fähigkeit, jede gewünschte Gestalt anzunehmen, die er einmal durch physischen Kontakt, sprich Berührung, analysiert hatte, würde ihm beziehungsweise ihr sehr dabei helfen, sich Zutritt auch zu streng bewachten Rotarmee-Depots zu verschaffen. Er musste sich nicht die Mühe machen wie einst CSM 108-1 und extra in eine Kaserne einbrechen, um an ein paar lausige alte Gewehre zu kommen.
Und es war noch weit mehr zu tun. Aber wann immer sich ab 1996 die Gelegenheit dazu bieten würde, würde er in Freiburg sein und dem bunten Treiben von der Clique von Naturwissenschaftlern zusehen, wenn auch in gebührendem Abstand und mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen, wenn er in irgendeiner unauffälligen Gestalt im Hintergrund zusehen würde, wie sich alles entwickelt hatte.
T-XF schüttelte den Kopf. Seit weit über drei Jahrzehnten war er hier in der Vergangenheit, wobei er schon mit einer ‚Lebenserfahrung von 17 Jahren in seinen Speichern, den Erinnerungen von Daniel und Abbey nämlich, angekommen war. Wenn man noch die Zeitspanne dazuzählte, die er jetzt als T-XF unter Menschen geweilt hatte, reichte das beinahe schon für ein Menschenleben. Er weigerte sich mittlerweile, sich einzugestehen, dass er vom mentalen Standpunkt aus kein Mensch war. Wenn da nicht seine besonderen Fähigkeiten und seine Mission wären...
Er kehrte den Feierlichkeiten der jungen neuen Nation, die sich selbst wieder gefunden hatte, den Rücken und machte sich auf. Es gab viel zu tun, das war der Gedanke, der ihn beherrschte.
Zunächst galt es einen wirklich guten Ort zu finden. Etwas besseres als das ursprünglich vorgesehene jedenfalls. Das würde wahrscheinlich Jahre brauchen, doch er würde nichts überstürzen, denn nur wenn er den Ort sorgfältig auswählte, alles nach den Vorstellungen errichtete, die ihm vorschwebten und vor allem nicht zu auffällig wurde in seinen Bemühungen, würden diese am Ende von Erfolg gekrönt sein. Niemand durfte bemerken, was da vor sich ging, bis die Zeit gekommen war, da die Welt sich verdunkeln würde.
Delmenhorst, Niedersachsen, Deutschland 5. Juli 2004
Die Sonne stand weit im Nordwesten, als sie von der A 1 abfuhren und in den beschaulichen Vorort von Bremen einfuhren. Abbey sah sich um, als sie von einer Straße zur nächsten fuhr. Überall bot sich ihnen das gleiche Bild von unverputzten Ziegelhäusern, wie sie in dieser Gegend typisch waren. Besorgt sagte sie: „Es ist noch schlimmer, als ich dachte. Dieser Vorort ist so klein...“
„Ist euch aufgefallen ,wie spät es ist? Und es ist immer noch hell“, stellte Karin erstaunt fest.
„Warst du noch nie so weit im Norden?“ fragte Abbey und suchte weiterhin nach der richtigen Straße.
„Nicht im Sommer, nein. Liegt das an der Mitternachtssonne?“
„Nein, an der Neigung der Erdachse zu ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Aber du meinst schon das Richtige: je weiter man im Sommer nach Norden kommt, desto länger ist es hell. Ah, dort ist es.“ Abbey bog in eine Seitenstraße ein, fuhr noch ein paar Meter und lenkte dann abrupt in eine Parkbucht.
„Was ist?“ fragte Simon, verstummte aber dann beim Blick nach vorne auf die Straße.
Etwa hundert Meter vor ihnen kam eine große athletische Frau mit einer roten Mähne aus einem der Reihenhäuser. In aller Seelenruhe klappte sie die Heckscheibe ihres 530d-Kombis auf, bugsierte eine riesige unförmige Reisetasche ins Gepäckabteil und stieg dann ein, ohne sich noch einmal umzusehen.
Alle starrten bewegungslos wie das Kaninchen vor der Schlange hinaus, als hätten sie Angst, die winzigste Bewegung könnte die Aufmerksamkeit der Tötungsmaschine dort vor ihnen direkt auf sie lenken. Das Abbey-Äquivalent indes fuhr ungerührt davon, worauf sich wieder Stille über die in abendliches Licht getauchte Vorstadtstraße legte.
„Oh mein Gott, wir sind zu spät gekommen“, flüsterte Silke mit blankem Horror in der Stimme.
Bernd fasste sich zuerst wieder, wohl weil die Vorstellung für ihn am abstraktesten war, dass der Zwilling von Abbey dort vorne eine konkrete Gefahr bedeuten konnte. „Was tun wir jetzt?“
„Wartet hier.“ Abbeys Gesicht war wie in Stein gemeißelt, als sie ihre Tür öffnete.
Karin öffnete die ihre ebenfalls und sagte: „Nein, ich möchte mit. Ich will sehen, was hier passiert ist.“
„Das ist keine gute Idee“, warf Abbey ein, doch gleichzeitig öffnete sich die rechte Schiebetür.
„Ich komme auch mit.“
Alle sahen nach hinten und bestaunten Bernd, der mit ernster Miene ohne weiteren Kommentar aus dem Fond stieg und sich abwartend mit vor der Brust verschränkten Armen aufbaute.
Karin sah ihn mit zweifelndem Blick an. „Bist du sicher, dass du das willst? Es kann sehr... hässlich sein, was wir da drin vorfinden werden.“
„Dann wird es Zeit, dass ich aus meiner netten kleinen Welt in diese unglaubliche Realität geholt werde, die ihr mir auf der Fahrt hierher beschrieben habt. Und was könnte besser dafür geeignet sein als...“
„Jetzt hör schon auf, das klingt ja wie aus einem billigen Action-Film nach dem Muster: unerfahrener Büromensch gerät unbeabsichtigt in eine wilde Verfolgungsjagd in Road-Movie-Manier und steht überraschend seinen Mann.“ Karin fixierte ihn erbost.
„Bist du fertig mit dem Mist? Dann können wir jetzt endlich?“
Abbey zog einen Mundwinkel ironisch hoch: „Also, dann komm schon, du Mann aus Stahl.“
Karin blieb noch einige Sekunden wie angewurzelt stehen, dann hastete sie den Beiden hinterher. „He, Moment mal!“
Simon bemerkte noch, als Karin loslief: „Wenn’s recht ist, bleiben wir hier. Ich habe für meinen Geschmack genug Action für einen Tag gehabt.“
Am Tor des niedrigen, weiß gestrichenen Gartenzaunes holte sie Abbey und Bernd ein. Abbey bedeutete ihnen, zu schweigen und sich unbedingt hinter ihr zu halten. Folgsam blieben sie still, doch Karin warf ihm einen erzürnten Blick zu. Er hielt diesem stand, bis sie zu ihrem eigenen Erstaunen wegsah. Was war das nur an ihm, das sie so verunsicherte? Sie hatte das Gefühl, die Lösung lag direkt vor ihr. Es war irgend etwas an seinem Typ Mensch.
Abbey war an der Vordertür angelangt, die angelehnt war. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen beobachtete Karin, wie Abbey sie vorsichtig aufschob und eintrat, sich wachsam umsehend. Bernd folgte ihr auf dem Fuß, ohne sich noch einmal nach Karin umzusehen. Sie registrierte verwundert, dass ihr Ego einen leichten Knacks von seinem Verhalten ihr gegenüber abbekommen hatte, versuchte aber diese Gedanken schnell zu verdrängen. Sie passten einfach nicht hierher.
Im Hausflur erstarrte Abbey und wies stumm auf die Küche. Zwei Frauenfüße in Strumpfhosen und Hausschuhen ragten auf dem Küchenboden in den Türausschnitt hinein. Bernd spähte ungefragt in den Raum, bekam große Augen und sah sie dann an, stumm den Kopf schüttelnd.
Noch bevor Karin die Überraschung verdaut hatte, wie gelassen, ja beinahe routiniert er auf diesen bestimmt grausamen Anblick reagiert hatte, hatte Abbey einen Mann Mitte Fünfzig im Wohnzimmer vorgefunden, der ebenfalls regungslos auf dem Boden lag. Karin sah nicht ins Zimmer, wohl aber Bernd, der für einen Moment die Augen schloss und dann Abbey lautlos die Treppe ins Obergeschoss hinauf folgte. Was zum Henker war bloß los mit ihm? Studierte er Gerichtsmedizin oder hatte er als Leichenträger gejobbt, um sich das Studium zu finanzieren? Wie konnte man beim Anblick zweier Toter nur so abgebrüht reagieren?
Oben gab es neben dem Bad nur zwei Zimmer. Das erste erwies sich als Schlafzimmer der Eltern und war leer. Als sie das zweite Zimmer öffnen wollten, stieß die Tür beim Öffnen gegen ein Hindernis. Abbey drückte etwas fester, worauf sich das Zimmer doch betreten ließ. Im Inneren hörten sie Abbey leise sagen: „Oh nein.“
Das Mädchen war um die zwanzig Jahre gewesen und bildhübsch: eine klassische nordische Gesichtsform mit runden, sommersprossigen Wangen und sanft gebogener Stubsnase sowie vollen geschwungenen Lippen. Eine blonde Lockenmähne und einst klare blaue Augen, die nun gebrochen und glasig gegen die Zimmerdecke starrten. Auch ihre Figur war schlank und ansprechend gewesen. Bernd starrte darauf, ohne jegliche Regung. Er musste sich erst noch an den Anblick des noch immer rauchenden, faustgroßen Lochs in ihrem Brustkorb gewöhnen, den der Plasmaimpuls in den Körper des jungen Mädchens hineingebrannt hatte.
„Das war Jasmin Waltersen. Wir haben sie verloren. Wir waren zu langsam.“ Abbey kehrte ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um und verließ den Schauplatz.
Die ‚böse Abbey’ hatte diesmal ganze Arbeit geleistet, dachte Karin beim Gehen. Die gesamte Familie war terminiert, es gab keine Zeugen und bestimmt hatte niemand die Geräusche der Waffe gehört. Dieses furchtbare Verbrechen würde für alle Zeit ungelöst bleiben. Zumindest für die nächste Zeit, bis sich ein dunkler Schleier der absoluten Vernichtung über das Land legen würde und der Tod einer einzelnen Familie beinahe bedeutungslos würde angesichts des Endes der Welt, wie sie sie gewohnt waren.
Dieser Gedanke bedrückte sie seltsamerweise weniger als die Bilder, die sie eben gesehen hatte. Das Ende der Welt, diese Vorstellung schien so weit hergeholt, dass sie fürchtete, das Eintreten des Ereignisses selbst würde sie wie ein Hammerschlag treffen, obwohl sie schon so weit im Voraus davon gewusst hatte. Wie konnte man sich auf das vorbereiten?
Abbey wisperte fast, als sie schnell losfuhr: „Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun. Wir fahren jetzt direkt zum Safehouse weiter. Es wird eine lange Fahrt. Wenn ihr eine Rast wünscht, müsst ihr es mir sagen, dann können wir einen kurzen Halt einlagen. Ansonsten fahren wir die Nacht durch. Versucht etwas zu schlafen, wenn ihr könnt.“
Auwald bei Grezhausen, , Deutschland 04. Juli 2004
„Schön, euch wiederzusehen, Karin, Simon. Wie geht’s, Natasha?“ Im heller werdenden Morgenlicht traten Daniel und Abbey zu der kleinen Gruppe verstörter junger Leute.
„Wie es einem so geht, nachdem das gesamte Weltbild zerstört worden ist“, gab diese fassungslos zurück und deutete wie in Trance auf den Neuling. „Das ist Caroline.“
„Wissen wir. Auch sie gehört zu der Gruppe von Leuten, die wir schützen sollen.“
Simon fiel Abbey um den Hals, was ein wenig seltsam aussah, da sie splitterfasernackt war. Ihm fiel auf, dass sie sich ein wenig kühl anfühlte. Er roch bei ihrer Umarmung unwillkürlich an ihrem langen naturroten Haar und sah ihr dann in die leuchtend grünen Augen. „Wir haben gedacht, wir sehen euch nie mehr. Wo kommt ihr auf einmal her?“
Die große, sehr athletisch und feminin gebaute junge Frau erwiderte: „Der Widerstand hat unsere CPUs, die ihr in die Zukunft geschickt habt, reaktiviert, Informationen von uns eingeholt und uns schließlich in neue T-880-Einheiten eingesetzt, nachdem sie uns Missionsparameter und betreffende Daten eingegeben haben. Wir sind vor allem zu eurem Schutz da, aber auch für viele andere Aufgeben, was euch und eure nähere Zukunft betrifft. Nach und nach werden wir euch in alles einweisen.“
„Ihr beide kommt echt aus der Zukunft?“ fragte Caroline völlig baff.
„Das ist richtig“, bestätigte Daniel. Er stand vor Karin, die ihn mit großen Augen schweigend ansah und nicht recht wusste, was sie mit ihm anfangen sollte. Schließlich rang sie sich dazu durch, ihn flüchtig zu umarmen, doch sobald der Körperkontakt hergestellt war, brach ihr innerer Widerstand zusammen und ihr Griff wurde fester und intensiver, bis er einem normalen Menschen weh getan hätte. Daniel jedoch stand nur da, ließ die Prozedur über sich ergehen und hielt sie seinerseits, jedoch sanfter und auf eine Weise, die ihr das Wasser in die Augen steigen ließen. Diese alte Vertrautheit drohte sie für einen Moment beinahe zu überwältigen, sodass sie erschrocken losließ.
„Und ihr seid so wie dieser Alex?“ Sie wies auf den kopflosen Torso am Boden. „Ihr seid gar keine Menschen?“
„Nein, genau genommen sind wir kybernetische Organismen, das heißt mit einer lebenden Außenhülle und Pseudoorganen versehen, doch von der internen Struktur her ähnlich wie dieses Modell dort, nur um einiges weiterentwickelt.“
„Warum seid ihr nackt?“
„Gute Frage. Aber was hast du an dem Kerl nur gefunden?“, spottete Natasha auch gleich, die Gelegenheit beim Schopfe packend, ihn mit süffisantem Grinsen umrundend und dann genau vor ihm verweilend, während ihr Blick an ihm hinabglitt.
Ungerührt erklärte er: „Ich bin einem real existierenden Mensch genau nachempfunden. Sämtliche Vorlagen für Terminatoren stammen von körperlich unversehrten Gefangenen Skynets. Und wir sind nackt, weil nur lebende Organismen durch das Zeitfeld kommen. Deshalb unsere Hülle aus lebendigem Gewebe und auch der Fisch, in dem ihr unsere Computerchips gesandt habt.“
„Aber... aber wie könnt ihr jetzt schon da sein, wenn dieser... dieser Fisch erst gerade abgeschickt wurde oder so?“ wollte Caroline hilflos wissen.
„Ein typischer Denkfehler, der im Zusammenhang mit Zeitreiseparadoxen gemacht wird. Deine Aussage ist korrekt, nur sind in der Zukunft insgesamt mehrere Wochen vergangen, bis wir bereit zur Entsendung in die Vergangenheit waren. Davon könnt ihr aber nichts merken, da wir eben an diesen Zeitpunkt zurückversetzt wurden. Allerdings gab es eine Panne.“
„Wie meinst du das, eine Panne?“, wollte Simon wissen, während er automatisch zu ihm trat und seinem ‚alten Freund’ die Hand schüttelte.
„Etwas stimmt nicht mit den Zeitverschiebungen. Bei der von NMF 2210 waren sowohl Ort als auch Zeit leicht abweichend von den Eingaben, vielleicht nur um ein paar Sekunden und Meter. Wir sind indessen anstatt gerade eben vor über einer Stunde zwei Kilometer westlich von hier in einem Maisfeld bei Geiswasser angekommen.“
„Komischer Ortsname, das sagt mir gar nichts“, bemerkte Natasha.
„Weil es in Frankreich liegt, deshalb. Es hat sich also noch immer nichts geändert, was diese Beziehung angeht“, stellte Daniel fest. „Der große unbekannte Nachbar Frankreich. Wir mussten durch den Rhein waten, da die nächste Brücke zu weit entfernt gewesen wäre, um es noch rechtzeitig hierher zu schaffen. Nun, da wir jetzt eine Elsässerin mit im Team haben, könnt ihr ja künftig eure deutsch-französische Freundschaft ein wenig pflegen.“
„Was für ein Team? Ich bin in keinem Team, und schon gar nicht mit euch. Ihr habt noch immer nicht gesagt, was das hier alles soll! Ich werde nicht...“
„Ich fürchte, deine Welt, wie du sie kennst, wird nicht mehr lange die selbe sein. Du kannst uns verlassen und sterben, oder du schließt dich uns an und überlebst. Es wird hart werden, doch du wirst leben und etwas Sinnvolles tun, nämlich in Zukunft viele Menschen vor dem sicheren Tod retten. Das sind leider die einzigen Alternativen, die du im Moment hast.“ Abbey legte Caroline verständnisvoll die Hand auf die Schulter, als sich deren Augen mit Tränen füllten. Es rollte jedoch keine einzige ihre Wangen hinab.
„Und wenn ich das gar nicht will? Wenn ich weiter studieren will und...“
„In einiger Zeit wirst du es verstehen. Wir werden euch nicht alles auf einmal eröffnen können, das wäre zu hart und unnötig grausam. Man kann seinem Schicksal nicht entfliehen, aber man muss es auch nicht unbedingt mit einem Baseballschläger eingehämmert bekommen. Bitte verzeiht den Vergleich, unsere Tarnung war ursprünglich die eines amerikanischen Studenten.“
„Gut, unser Begleiter besorgt uns gerade einen Wagen, da wir ja nun zu viele für eine Auto sind. Ich hole schnell etwas zum Anziehen aus eurem Lexus und ihr erzählt Daniel, was sich so getan hat, während wir... abwesend waren?“
„Begleiter? Das habt ihr wohl vergessen zu erwähnen“, merkte Karin an.
„Ja, natürlich. Da dieser T-800 durch den unglücklichen Unfall hier nicht mehr aktiv ist, hat man uns einen anderen zur unmittelbaren Unterstützung mitgeschickt. Er ist uns in der Hierarchie untergeordnet und soll uns vor allem in der Logistik unterstützen. Keine Angst, auch wenn er nicht so ‚helle’ scheint wie wir, so wird auch er im Laufe der Zeit dazulernen und ein wenig humaner wirken.“
Natasha beugte sich zu den Überresten von NMF 2210 hinab und sagte versonnen: „Eigentlich gar nicht so ungeschickt. Dieser Knabe hier wird schließlich inzwischen wegen Bankraubs, Autodiebstahls und Widerstandes gegen die Staatsgewalt gesucht. Wir sind hingegen nur die Opfer. Sogar falls man uns aufgreifen sollte, drohen uns keine Haftstrafen, denke ich.“
Daniel beugte sich neben ihr nieder und betrachtete ebenfalls das komplexe Innenleben der zerstörten Kampfmaschine. „Nicht zu verachten, deine Gedankengänge. Allerdings irrst du dich in zwei Dingen, meine Guteste.“
Sie sah ihn an. „Und die wären?“
„Zum einen kannst du nicht davon ausgehen, dass Karin, Simon und du nicht als Mittäter betrachtet werdet. Der Fahrzeugbesitzer im Parkhaus wird berichten, dass ihr nicht versucht habt zu fliehen oder euch sonst wie gewehrt habt, was impliziert, dass ihr freiwillig mit ihm gegangen seid. Im Zusammenhang mit dem wahrscheinlich unerklärlichen Mord an Ralf wirft das kein gutes Licht auf euch. Auch die Polizisten im von NMF 2210 demolierten Auto werden sich vielleicht daran erinnern können, euch im gestohlenen Fahrzeug seeelenruhig sitzen gesehen zu haben, während er seinen kleinen Kraftakt vollbrachte. Und die üble Schiesserei in der Weberstrasse rundet die Sache noch zusätzlich ab.“
„Scheiße, du hast recht. Und offenbar weißt du über alles Bescheid, was passiert ist.“
„NMF 2210s Bericht war sehr umfassend und detailliert.“ Er nickte ernst.
Sie überraschte ihn: „Und was ist das zweite, bei dem ich mich geirrt habe?“
„Dass ihr aufgegriffen beziehungsweise festgesetzt werden könnt.“
„Und wieso nicht?“ Sie sah ihn verständnislos an. Auch Karin, Simon und Caroline wurden nun hellhörig.
„Weil drei Terminatoren zu eurem Schutz abgestellt sind.“ Alle drei drehten sich zu Abbey um, die bereits mit Kleidung für Daniel zurückgekommen war. Sie selbst hatte sich ebenfalls aus den Kleidertaschen bedient und trug ein zu kleines weißes Sweatshirt, eine ebenfalls zu enganliegende Bluejeans, die obendrein aufgrund ihrer Größe an ihr nur als Dreiviertelhose durchgehen konnte, hatte aber offenbar keine passenden Schuhe im Wagen gefunden. Sie warf Daniel Shorts, Hose und T-Shirt zu, wobei sich Natasha an sie richtete.
„Und jetzt sollen wir uns sicherer fühlen?“
Statt einer Antwort zog Abbey mit ernster Miene eine Walther PPK aus dem Rückenbund, zog den Schlitten durch und entsicherte die Waffe. Mit dem Griff nach vorne reichte sie sie Natasha. „Na los, versuch’s mal.“
Völlig verstört sprang diese ob dem Angebot zurück. „Bist du bekloppt? Ich fass das Ding nicht an! Und schon gar nicht werd ich auf dich schießen! Das kann ja wohl nur ein schlechter Scherz sein!“
„Gib mir die Knarre! Ich tu’s!“ rief Caroline, worauf Simon sie anstarrte, als ob sie total irre sei.
„Ich hab eine bessere Idee.“ Daniel hob einen Stein auf. „Wirf mir den an den Kopf.“
„Hört dieser Irrsinn auch mal wieder auf?“ sagte Natasha perplex und wich noch weiter zurück.
„Ich weiß nicht, was du willst? Genau das hast du dir doch jahrelang gewünscht, oder? Und nun hast du Angst davor?“
Sie dachte nach. “Hm, wenn man es so betrachtet... gib her!“
„Du wirst doch nicht...?“, setzte Karin zu einem Protest an, doch ihre Freundin hatte sich schon den faustgroßen Stein geschnappt und aus fünf Metern Entfernung schwungvoll geworfen. Mit einem dumpfen Geräusch schlug er seitlich gegen Daniels Stirn und fiel danach zu Boden. Alle vier Menschen keuchten unisono.
Nur eine kleine Schürfung zeugte von dem Angriff. Daniel selbst hatte sich nicht bewegt und grinste frohgelaunt, dann zog er die Kleidung an, die Abbey ihm gebracht hatte.
„Unglaublich. Aber was beweist das?“ wollte Natasha verduzt wissen.
„Müssen wir wirklich die Nummer mit der Pistole machen, oder geht es endlich in deinen Dickschädel rein?“, zischte Simon sie an.
„Schon gut. Eigentlich hat er ja den Dickschädel.“
Zum Glück erschien jetzt in der Ferne leise brummend ein Auto auf dem Feldweg und hielt auf sie zu. „Das ist FRU 7697 mit dem Behelfsfahrzeug“, kommentierte Daniel, doch Karin merkte auf.
„Darf ich vorschlagen, dass wir diesen Robotnamen-Unsinn vergessen und auch ihn einfach Alex nennen? Wir hatten uns doch schon fast daran gewöhnt, unseren Cyborg-Bodyguard zu haben. Er wird sicher nichts dagegen haben und diese blöden Zifferkombinationen kann doch kein Mensch, und damit meine ich uns, aussprechen. Na?“
Nach einer Sekunde Bedenkzeit gaben alle mehr oder weniger zögerlich ihr Einverständnis. Als sie das geklärt hatten, kam auch schon ihre neue Fahrgelegenheit in Sicht und hielt direkt vor dem Lexus, sodass er von ihrer Position aus nicht direkt sichtbar war. Abbey indes meinte: „Lasst uns keine Zeit mehr verlieren. Wir haben viele infrastrukturelle Dinge zu erledigen, angefangen bei passender Bekleidung für... Alex.“
‚Sie hat tatsächlich einen Augenblick gezögert, als ob es ihr widerstrebt hat, ihn so zu nennen.’ Simon sah Abbey und auch Daniel aus einem ganz neuen Licht, da ihm ihre Natur bekannt war. Allein schon die Tatsache, dass sie hier waren, bewies ihm, dass sie keine Menschen sein konnten. Dennoch konnte er die emotionale Bindung, die er im Lauf der Jahre zu ihnen aufgebaut hatte, weder leugnen noch unterdrücken. Verrückt.
Da sah er beim Nähertreten an die Wagen, wie sich Karins gebräuntes Gesicht allmählich immer stärker verzog, bis es getrost als entgleist bezeichnet werden konnte. Dazu entfuhr es ihr: „Was zum Henker soll das darstellen?“
Vor dem japanischen Edel-Geländewagen stand ein gelb lackierter und von reichlich Spoilerwerk verfremdeter Ford Capri. Aus diesem stieg ein riesiger Kerl um die 1,90 m aus, wie Alex hünenhaft und muskelbepackt, mit dunkelblondem Bürstenhaarschnitt, aber sehr kantigem Gesicht und glasklaren blauen Augen. Er sah ihrem alten ‚Alex’ gar nicht so unähnlich, was den Umgang mit ihm sicher unbewusst erleichtern würde, andererseits war die Ähnlichkeit aber nicht so groß, dass er in Gefahr geriet, mit dem überall gesuchten Bankräuber und Entführer Alex verwechselt zu werden. Vor allem wirkte er vom Aussehen her ein paar Jahre älter als sie alle, vielleicht Anfang bis Mitte Dreißig.
„Das ist wohl das denkbar ungeeignetste Fahrzeug, um kein Aufsehen zu erregen! Hast du nichts besseres als diese grauenhaft geschmacklose und brechreizerregende Prollkarre...“ Natashas Protest erstarb, als sie um die Ecke des Autos herumkam und ihn in voller Größe von oben bis unten zu Gesicht bekam. Sie starrte noch ein paar Sekunden hin und drehte sich dann zur Erheiterung der anderen schnell um. Mit geschlossenen Augen und vor dem Mund zum Gebet gefalteten Händen murmelte sie leise: „Herr, lass das nur einen Traum sein. Das bilde ich mir nur ein. So etwas gibt es in Wirklichkeit nicht. Ich weigere mich zu glauben...“
Daniel schlängelte sich an ihr vorbei, während sie noch ihre kleine Anwandlung hatte, um aus der Reisetasche von Simon einen weiten dunkelblauen Jogginganzug zu holen, den er dem Neuankömmling zuwarf. „Hier, nimm den hier. Ich fürchte, das ist das einzige, was dir auch nur halbwegs passen wird. Wir brechen am besten gleich auf und besorgen ein unauffälligeres Fahrzeug.“
„Positiv. Dies hier war das nächst erreichbare für mich, das ohne Aufsehen requiriert werden konnte. CSM 108-1, ich habe eine Anfrage.“ Er schlüpfte mit steifen, ungelenken Bewegungen in die angebotene Kleidung.
„Bevor du sie stellt, möchte ich dir mitteilen, dass für dich die neue Bezeichnung ‚Alex’ gewählt wurde. Meine ist ‚Daniel’ und die von TSR 3012 lautet ‚Abbey’.“
„Information bestätigt. Meine Anfrage betrifft Generalmajor Maranoff. Ich kann keinen nachvollziehbaren Sinn in ihrem Gebaren erkennen.“
„Das kann niemand“, rutschte es Simon heraus, worauf Natasha vom mehrstimmigen Gelächter aus ihrer Litanei gerissen wurde und sich ihrer Umwelt wieder gewahr wurde.
Abbey schüttelte ihren Kopf und schob ‚Alex’ zum Lexus hin und bedeutete ihm, hinter dem Lenkrad Platz zu nehmen. „Alex, Alex, Alex... du wirst ab jetzt sämtliche Personen nur mit ihren zivilen Vornamen anreden, wie sie selbst es untereinander tun. Zudem wirst du sofort deine Subroutinen zur Erlernung der Umgangssprache starten und alles aufnehmen sowie verarbeiten, was du an verbaler Kommunikation zwischen der Gruppe hörst. Und denk daran, dass du auf keinen Fall über Funk Verbindung zu uns aufnehmen darfst, sonst können uns die feindlichen T-880 orten.“
„Posi... korrigiere, in Ordnung.“ Er setzte sich auf den Fahrersitz, worauf sich der Lexus mit einem verdächtigen Knarren ein wenig nach links neigte.
„Na also. Das wird schon werden.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter und setzte sich selbst auf den Beifahrersitz des Capri.
Daniel sagte unbekümmert. „Ihr fahrt mit Alex. Redet mit ihm, fragt ihm Löcher in den Bauch, wenn ihr wollt. Hauptsache, er bekommst so viel wie möglich von dem mit, wie ihr redet. Abbey und ich nehmen den Ford.“
„Und wohin soll’s gehen?“ wollte Natasha wissen, die sich flugs auf den Beifahrersitz stahl.
„Lasst euch überraschen.“ Abbey grinste zum Fenster hinaus, dann startete Daniel den V6-Motor, der das alte Sportcoupé mit rasselndem Zahnriemen und durchdrehenden Hinterreifen nach vorne schießen ließ.
„Amis.“ Karin verdrehte die Augen nach oben und setzte sich hinter den Fahrer. Caroline wollte unbedingt hinten rechts sitzen, sodass Simon in der Mitte zu sitzen kam. Dann fuhren sie los, am frühen Sonntagvormittag hinaus aus dem Auwald des Altrheins.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 31. Oktober 2030
Es war soweit. Mahtobu konnte nicht glauben, dass es so leicht gewesen war, nachdem sie die Kopie von Abbeys CPU in T-XF eingesetzt hatten. In Windeseile waren die bereits vorhandenen Daten und Missionsparameter eingegeben und die polymimetische Komponente auf die Steuerung des Terminators abgestimmt worden. Und jetzt, nur drei Tage nach der Entsendung der ersten drei Beschützer, konnten sie es wagen, ihr ‚bestes Stück’ einzusetzen.
Der Cyborg stand im Energiefokus der ZeitVerschiebungsApparatur, während alle beteiligten Techniker sich hinter den Schutzwall zurückzogen, um ihre Positionen an den Instrumenten einzunehmen. Mahtobu sah mit Sorge auf die ernsten und fragenden Gesichter der Bedienmannschaft. Er fragte sich, was es war, das sie so offensichtlich verunsicherte.
„Ist alles in Ordnung?“ wollte er auch gleich wissen.
„Nun, es scheint so. Die Werte sind alle innerhalb der Spezifikationen, aber dennoch... ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich nichts weiter als ein blödes Gefühl. Hatte ich schon beim letzten Transfer vor ein paar Tagen.“
„Was meinen Sie mit einem ‚blöden Gefühl’? Niemand kennt diese Anlage besser als Sie und ihre Männer, oder?“
„Das stimmt, Sir...“ Der Tech zeigte sich immer noch zögerlich.
„Dann sagen Sie mir jetzt, ob wir die ZVA benutzen können oder nicht. Ist mit den Messwerten alles in Ordnung?“ forderte der General ihn auf, Rechenschaft abzulegen.
„Das schon, Sir.“
Mahtobu seufzte. „Also, dann mal ganz inoffiziell: was macht Ihnen Sorgen? Irgendwas Konkretes?“
„Nein, ich denke nicht, Sir. Sie wissen doch, das hier ist eine heikle Angelegenheit, bei der so viele Dinge schief gehen können. Ich hatte nur beim letzten Einsatz so ein dummes Gefühl, nachdem der T-800 in die Ereignissphäre beim Rücktransport geriet. Es deutet darauf hin, dass es eine Verschiebung gab. Nun, ich habe die Leute in L.A. und in Michigan gebeten, sich alle Daten anzusehen und nach möglichen Ursachen zu suchen. Alle Experten, die man so bezeichnen kann, haben sich das Zeug durchgesehen und niemand hat auch nur den Hauch einer Ahnung, was passiert sein könnte. Das ist alles.“ Der Tech seufzte ebenfalls und sah sehr unglücklich aus.
„Aber alle Messwerte sagen Ihnen, dass mit der Zeit und den Koordinaten alles stimmt und dass die drei Terminatoren gut durch das Zeitfeld gekommen sind?“
„Das schon...“ begann der Tech, doch Mahtobu schnitt ihm das Wort ab.
„Dann geben Sie das O.K. für den Sprung oder nicht?“
Wieder das Seufzen. „Es gibt keinen vernünftigen Grund, ihn nicht durchzuführen.“
„Na also, das hat doch gar nicht wehgetan, oder?“ Aufmunternd klopfte er seinem Untergebenen auf die Schulter und setzte sich die dunkle Schutzbrille auf, die vor dem grellen Lichtblitz schützen sollte.
T-XF wartete noch immer geduldig auf seinen Transport in die Vergangenheit, um dort seine Mission zu erfüllen. Er rief fröhlich herüber: „Kann ich vorher noch mal aufs Töpfchen, oder geht es gleich los?“
„Sehr witzig, Chiphirn. Halt einfach die Füße still und zieh den Kopf ein, dann gehst du an einem Stück durch das Feld.“ Der Tech, der am nächsten zum Fokus stand, hatte augenscheinlich keinen Sinn für Humor. Mahtobu fragte sich, was man von einer Welt erwarten konnte, in der es Maschinen gab, die menschlicher sein konnten als richtige Menschen.
„Noch zehn Sekunden.“ Unwillkürlich hielt sich Mahtobu zusätzlich zum Augenschutz noch die Ohren zu, um das schrille Sirren beim Sprung etwas abzumildern. Er fragte sich gerade, warum er noch immer bei jedem Sprung persönlich dabei sein wollte. Aber dann fielen ihm die Mondlandungen in seiner Jugendzeit ein. Es waren nur sechsmal Menschen zu ihrem Begleiter im All geflogen, doch schon nach der zweiten Mission taten die Leute, als sei das nur noch reine Routine. Erst als das dritte Raumschiff, Apollo 13, verunfallte und das Leben der Besatzung in Gefahr geriet, zeigte die Öffentlichkeit wieder Interesse. Wenn man bedachte, was das für eine historische Epoche war, dass die Menschheit niemals wieder eine vergleichbare Leistung vollbracht hatte, bis ihr die Möglichkeit dazu mit dem Atomkrieg genommen wurde, stellte das ein ausgesprochen deutliches Armutszeugnis für die Menschen von damals dar. Vor allem für die US-Amerikaner, deren eigene Nation diese Missionen geflogen war, und bei denen es auf so wenig Interesse gestoßen war, sobald die erste Euphorie verflogen war, dass man das Mondfahrtprogramm Apollo mangels öffentlicher Unterstützung vorzeitig hatte einstellen müssen.
Der Moment war vergangen, der Transfer vollzogen und die Explosion aus Licht und das Summen war abgeebbt. Vorsichtig sah Mahtobu um die Barriere herum, doch es schien alles genau so wie bei den vorherigen Malen: die Stelle im Energiefokus war leer und es stank intensiv nach Ozon. Als er zum Schacht ging, der unter dem Fokus ins Bodenlose hinabfiel, hörte er mit einem Ohr ein leises Summen und dann das leise Gespräch des verantwortlichen Techs, wahrscheinlich mittels eines Hörersets mit einer externen Stelle.
Er bekam gerade noch mit, wie der Tech sagte: „...was meinst du mit ‚Protuberanzen?’ Was soll...?“ Er pausierte und hörte zu, während er bemerkte, dass Mahtobu auf ihn aufmerksam geworden war. Sofort verfinsterte sich seine Miene.
„Ja, gut, aber was hat die Sonne...?“ Wieder hörte er zu und wandte dann ein: „Aber wir können sie nicht mal sehen! Wie kann sie da...?“
Er verstummte und hörte erneut zu, diesmal aber mit offensichtlicher Bestürzung. Dann sagte er leise: „Ich verstehe. Danke für den Tip. Ich werde... ja, du auch. Mach’s gut.“
Bei Mahtobu klingelten sämtliche Alarmglocken. „Spucken Sie’s schon aus, ich seh’s Ihnen doch an, dass Sie keine gute Neuigkeit haben.“
Verlegen begann sein Untergebener: „Das war gerade ein alter Freund von mir, der sich mit den Hinterlassenschaften der US-Behörden aus Vorkriegszeiten beschäftigt, vor allem was damalige technische Errungenschaften angeht. Er ist in Houston beschäftigt, wo ja bekanntlich ein großes Kontrollzentrum der NASA angesiedelt war. In deren Überresten haben seine Leute infrastrukturell soviel wieder aufgebaut, dass sie einen ersten Überblick zu bekommen versuchen, was und wie viel vom alten Satellitennetz im Orbit noch vorhanden ist, Kommunikation, Beobachtung und so weiter.
Die meisten Trabanten in niedrigen Orbits sind durch die Reibung mit den obersten hauchdünnen Schichten der Erdatmosphäre im Lauf der Jahrzehnte unmerklich, aber doch soweit abgebremst worden, dass sie aus ihrer Umlaufbahn gestürzt und in der Atmosphäre beim Wiedereintritt verglüht sind. Andere höher gelegene, die vor allem mit Solarzellen als Energiequelle ausgestattet wurden, sind vereinzelt noch in Betrieb. Unter anderem konnte der Kontakt zu einem geostationären Klimabeobachtungssatelliten hergestellt werden, der mit einer Vielzahl diverser Messinstrumente bestückt ist.“
„Können Sie bitte zur Sache kommen?“ forderte Mahtobu ungnädig, dem langatmige Erklärungen prinzipiell zuwider waren.
„Jawohl, Sir. Der Satellit hatte wohl gerade eines seiner Instrumente auf die Sonne ausgerichtet, als er vom Bodenkontrollpunkt aktiviert wurde. Die Bilder der Sonne, die sie bekamen, zeigten eine extrem erhöhte Aktivität auf der Sonnenoberfläche. Ich kenne mich da nicht so aus, aber anscheinend gibt es einen etwa elfjährigen Zyklus von ab- und zunehmender Sonnenaktivität, mit Sonnenflecken, Ausbrüchen und so weiter.“
„Hab’ ich schon mal irgendwo gehört. Das Klima und Wetter und noch diverse andere Dinge sollen davon beeinflusst worden sein.“ Mahtobu machte eine wegwerfende Geste.
„Nun, offenbar ist die Sonne zur Zeit von diesen Flecken übersät. Dazu kommt ein sehr heftiger Ausbruch, der ionisiertes Plasma in die Höhe schleudert, mehrere Hunderttausend Kilometer weit, wie mein Freund berichtet hat. Er sagte, dass die Magnetosphäre der Sonne ziemlich verrückt spielt. Und das hat auch Auswirkungen auf unser Erdmagnetfeld. Er geht von einer über einprozentigen Verschiebung aus und rät mir deswegen dringend vom Gebrauch der ZVA ab, da diese sich am Erdmagnetfeld orientiert.“
„Das ist nicht ihr Ernst! Und das sagt er uns eine Minute nachdem wir sie eingesetzt haben! Das ist das schlechteste Timing bei einem Zeitsprung, das überhaupt denkbar ist.“ Mahtobu tobte.
Konsterniert murmelte der Tech: „Was für ein idiotischer Witz. Schlechtes Timing beim Zeitsprung. Wenigstens wissen wir jetzt, woher die Verschiebungen kamen.“
„Glauben Sie, das könnte noch größere Auswirkungen auf den letzten Sprung gehabt haben?“ wollte Mahtobu plötzlich wissen, als ihm die Konsequenzen dieser neuen Fakten aufgingen.
„Keine Ahnung; mein Freund sagte, im Weltraum brenne gerade ein Feuerwerk ab. Ja, so drückte er sich aus. Vielleicht haben wir den T-X sogar verloren.“
„Das ist...“ Dem General fehlten die Worte. Mit todernster Miene verfügte er: „Sie holen mir sofort Ihren Freund ans Mikrofon! Ich will alles über diese Sonnenflecken und... und Protuberanzen und so weiter wissen! Und danach werde ich mich direkt mit John Connor in Verbindung setzen müssen.“
Ein Gedanke schien ihm zu kommen. „Vergessen Sie’s! Grosser Gott, vielleicht soll gerade in diesem Augenblick in einer anderen ZVA ein Mensch auf eine Mission in die Vergangenheit geschickt werden. Geben Sie mir sofort John Connor! Alle Zeitsprungaktivitäten weltweit sollen augenblicklich eingestellt werden. Soll Skynet seine Terminatoren von mir aus ins Verderben schicken, er kann ja von der Sonnenaktivität nichts wissen. Was für eine Idiotie, ein System zu entwickeln, das nur funktioniert, wenn die Sonne gerade mal keine nennenswerte Aktivität zeigt.“
„Ich vermute, dass die ZVA wohl während der Ruhephase der Sonne, die mehrere Jahre dauert, entwickelt worden ist, deshalb hat er deren Einfluss nicht ins Kalkül gezogen.“
„Dämliche Maschine!“
Ort unbekannt Zeit unbekannt
T-XF fuhr seine Sensoren wieder hoch. Die Zeitspanne, die er dafür benötigte, kam ihm ungewöhnlich lange vor. Sofort erinnerte er sich an seinen missglückten Sprung als TSR 3012, da er ja über dieselben Daten wie jene Einheit verfügte.
Als seine Sinneswahrnehmungen wieder hergestellt waren, erkannte er, dass er nicht an den vorgesehenen Koordinaten rematerialisiert worden war. Innerhalb von wenigen Millisekunden hatte er seine Lage sondiert und war bereit, in Aktion zu treten.
Dies hier war eine Tiefebene, die sich nach allen Seiten hin bis zum Horizont topfeben über sein Sichtfeld erstreckte, bedeckt mit kärglichem Bewuchs. Eine Halbwüste, bestenfalls geeignet zur extensiven Rinderzucht.
Dummerweise befand sich diese etwa achthundert Meter unter ihm.
Er war bereits dabei, seine Fallgeschwindigkeit zu erreichen und registrierte, dass er nur noch wenige Sekunden hatte, um in Aktion zu treten, bevor er auf dem Boden zerschellen würde. In seiner aktuellen Konfiguration stand die Chance seiner Terminierung dabei bei über dreiundneunzig Prozent.
Ein Stückchen unter ihm schimmerte ein kleiner See goldgelb in der Abendsonne. Ohne weitere Alternativen durchzugehen, entschied sich T-XF für etwas absolut neues: er streckte seine Beine möglichst gerade mit ausgestreckten Zehen nach unten und hielt seine Arme entsprechend kerzengerade ausgestreckt nach oben. Innerhalb einer Sekunde floss der polimimetische Überzug, der seine äußere Erscheinung gebildet hatte, in einer stark ellipsoiden Form um ihn herum und bildete einen absolut aerodynamischen Körper in Form einer abgeflachten Spindel. Während das obere Ende mehrere dünne Leitbleche zur Stabilisierung formte, lief das untere Ende einen halben Meter unter seinen Füßen zu einer Spitze zusammen, härtete aus und bildete so einen Penetrator. Hinter diesem formte T-XF viele kleine Lagen von wabenförmig strukturierten Hohlräumen, die einen Teil der Aufprallenergie kontrolliert aufnehmen sollten wie die Knautschzone bei einem modernen Automobil. Durch seine Form erhöhte sich seine Geschwindigkeit zusehends, worauf er am oberen Ende zwischen den Leitflossen zusätzlich eine Art kleinen Schild generierte, der ihn wieder etwas abbremste. Jetzt sah er zwar aus wie eine Bombe aus dem zweiten Weltkrieg, konnte aber kontrolliert fallen und sogar bis zu einem gewissen Grad mit seinem oberen Ende steuern, wohin er fiel.
Bis in den See selbst reichte es leider nicht. Er schlug am sandigen Ufer nur einen Meter neben der Wasserlinie entfernt auf, wobei der Penetrator ihn tief in den weichen Untergrund trieb, während er von der hohen kinetischen Energie deformiert wurde. In einer Fontäne aus Sand und kleinen Kieseln zerfiel seine Hülle aus Flüssigmetall durch die Wucht des Aufpralls und wurde in einem Umkreis von zehn Metern in kleinen Tröpfchen und größeren schimmernden Pfützen um den drei Meter tiefen Krater verteilt.
Nach einigen Sekunden Unterbrechung konnte T-XF seine Systeme wieder hochfahren und begann mit der routinemäßigen Selbstdiagnose, während er gleichzeitig seiner Außenhülle die Anweisung zum Sammeln gab. Alle Fragmente, die im Sand und im flachen Wasser verteilt lagen, rollten gemächlich auf den Krater zu, der nun begann sich mit Grundwasser zu füllen, glitten über den Rand hinein und fanden ihren angestammten Platz am feingliedrigen Endoskelett des Terminators. Als er sich wieder hergestellt hatte, stand er bereits bis zur Hüfte im braunen, kühlen Wasser, konnte aber zufrieden registrieren, dass er keine Schäden erlitten hatte. Wenn er auf irgend einen härteren Untergrund geprallt wäre, hätte er den Aufschlag mit Sicherheit nicht überstanden; der durchnässte Sand des Seeufers war eine glückliche Fügung gewesen.
Er stieg mühsam aus dem tiefen Krater, dessen steile Wände immer wieder nachgaben und ihn zurückrutschen ließen. In dem Moment, in dem er sich über den Rand der Vertiefung hievte, ging die Sonne rotglühend am flachen Horizont unter. Das war bereits sein erster Hinweis bei der Eruierung seines Standortes und des Zeitpunktes, an dem er sich befand. Dort lag in etwa Westen. Nachdem er den spärlichen Bewuchs aus wenigen weit auseinander liegenden Büschen und einigen Gräsern identifiziert und deren Vorkommen eingeordnet hatte, wusste er, dass er sich in Nord- oder Mittelamerika befinden musste. Er versuchte anhand der ungefähren Größe und Form des Sees abzugleichen, wo er sich befand, bekam jedoch über zweitausend mögliche Standorte als Ergebnis, was ihn nicht weiterbrachte.
Auf sein Suchen hin empfing er keinerlei GPS-Signal. Er ließ eine rasche Kontrolle seines Empfängers durchlaufen, die jedoch positiv verlief. Das konnte zum einen bedeuten, dass er an einen Zeitpunkt in der Vergangenheit geraten war, zu dem es noch keine GPS-Satelliten gab, oder irrtümlich in die Zukunft, wo keine solchen mehr existierten. Seine Kontrolle des EM-Bandes ergab keinen Funkverkehr, den er auffangen konnte. Der klare Himmel ohne jede Wolke ließ auch keinen Schluss zu, denn sowohl vor als auch lange nach dem Krieg konnte ein solcher vorkommen, nachdem sich die ständige Wolkendecke des nuklearen Dauerwinters wieder gelichtet haben mochte. Er wusste nicht, was ihn erwartete, aber es würde eine faszinierende Erfahrung werden.
Schon wieder gestrandet, dachte T-XF mit einem ironisch hochgezogenen Mundwinkel.
Doch dann erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Am westlichen Abendhimmel, hoch über ihm, erschien ein Kondensstreifen am Himmel. Sofort richtete er seine Aufmerksamkeit auf ihn. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass es zumindest zivilisiertes Leben geben musste, auch wenn er sich in einer trostlosen Einöde wiedergefunden hatte. Er erhöhte den Vergrößerungsfaktor seiner Optik, dankbar dafür, dass die Sensoren des T-X-Modells nicht so überempfindlich gegenüber Tageslicht waren wie die herkömmlicher Terminatoren.
Ziemlich schnell sah er, dass er in Wirklichkeit auf zwei parallel zueinander stehende Kondensstreifen sah. Es war demnach eine zweimotorige Maschine oder zwei einmotorige, die in dichter Formation, einer sogenannten Rotte flogen. Dann erwiesen sich die beiden Streifen bei weiterer Vergrößerung als zwei extrem dicht beieinander liegende Paare von Streifen, also wahrscheinlich eine viermotorige Maschine. Ob Propeller- oder Strahlantrieb ließ sich dabei nicht sagen, da beide Antriebsarten in großer Höhe diese Art von Phänomen erzeugten, den für ihn bisher einzigen Anhaltspunkt für seinen Verbleib.
Gebannt folgte er mit seinem Blick dem Entstehungsort der dünnen weißen Wolkenbänder, hielt noch etwas vor, um die Vorwärtsbewegung des Flugkörpers auszugleichen und sah dann unvermittelt den dunklen, an der Unterseite silbern glänzenden Umriss des Flugzeugs vor sich. Er erkannte augenblicklich, dass sich die Düsentriebwerke in Paaren in den Flügelwurzeln, den Übergängen der tief angesetzten Flügel zum Rumpf hin, befanden. Nach einem Sekundenbruchteil des Abfragens der betreffenden Datenbanken und der Form des Fliegers erkannte er ihn als Lockheed Constellation. Dies war die weltweit erste Passagiermaschine mit Düsentriebwerken, die vornehmlich in den Fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts eingesetzt worden war. Er war folglich viel zu weit in die Vergangenheit gereist und obendrein noch in Amerika statt wie vorgesehen im Herzen Mitteleuropas gelandet, wenn all seine Schlüsse korrekt waren.
T-XF begann, splitterfasernackt wie er angekommen war, nach Westen zu gehen. Sobald er die erste Straße fand, würde er dieser zur nächsten Ortschaft folgen. Dann bekäme er zumindest genaue Anhaltspunkte über seinen Standort und das Datum. Auf exakte Zeitangaben würde er wohl warten müssen, bis genaue Atomuhren eingeführt werden würden. Aber er konnte sich irgendwo heimlich Kleidung besorgen, bis er Körperkontakt mit einem anderen Menschen aufnehmen und fortan dessen Kleidung imitieren konnte.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 04. Juli 2004
Um so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, hatten sie diverse Raststätten und Autohöfe entlang der Autobahn 5 nördlich und südlich der Stadt angefahren, um sich mit diversen Gebrauchsgegenständen einzudecken und bei den dort gelegenen Geldautomaten mittels ihrer Karte größere Bargeldbeträge abzuheben. Dabei zeigten sie sich vom Euro sehr angetan, dessen Einführung sie leider knapp verpasst hatten und ihn somit zum ersten Mal zu Gesicht bekamen.
Beim ersten Rasthof zogen sich alle drei Terminatoren unter den fragenden Blicken ihrer Begleiter kurz auf die Toiletten zurück, die sie jeder mit einer kleinen Spindel in der Hand verließen. Auf Natashas Frage hin erklärte Abbey: „Das hier sind weitere Kreditkarten-Einheiten, die wir mitgenommen hatten. Wir waren bei unserer ersten Mission so überzeugt von deren Nutzen, dass wir uns dafür stark gemacht haben, wieder jeder eine mit zu bekommen.“
„Aber wo habt ihr... wartet mal...“ Karins Augen wurden groß.
„Denk’ einfach an den Fisch“, gab Daniel grinsend zum Besten.
„Ich versuche gerade, nicht daran zu denken“, erwiderte Natasha angeekelt. Offenbar schienen sich Simon und Caroline im Hintergrund köstlich über die Szene zu amüsieren.
„Aber wozu braucht ihr alle eine eigene Karte?“
„Eine berechtigte Frage, Karin. Nun, unsere Mission sieht vor, dass wir uns wahrscheinlich für einige Tage werden trennen müssen, da ist es besser, wenn jede Gruppe von uns finanziell unabhängig ist. Außerdem haben wir noch einige kleine Extras einprogrammieren lassen. Aber wir wollen nicht zu weit ausholen. Dummerweise ist heute Sonntag und die meisten Geschäfte, bei denen wir uns mit nötigem Proviant und Ausrüstung eindecken könnten, haben geschlossen. Da wir aber unbedingt Aufsehen vermeiden müssen, können wir uns das Risiko nicht leisten, irgendwo einzusteigen. Das kann eine Verzögerung für uns bedeuten, was für unseren Gegner ein Vorteil ist. Sein einziges Ziel ist die Lokalisierung und Terminierung der Zielpersonen, während wir uns ihnen mit Einfühlungsvermögen und Feingefühl nähern müssen, um sie nicht zu verschrecken. Denn es wird recht problematisch sein, jemanden über die Grenze zu schaffen, wenn diese Person nicht kooperiert.“
„Och, da würde mir aber doch so einiges einfallen“, meinte Natasha leichthin.
„Wir können darüber reden, sobald wir unsere vorläufige Basis für heute bezogen haben und ihr euch ordentlich ausgeschlafen habt. Wir werden in nächster Zeit sehr viel unterwegs sein.“
Simon musterte Daniel neugierig. „Und wohin soll’s gehen?“
„Das erfahrt ihr zu gegebener Zeit.“
„Weißt du, es ist nicht so toll, wenn man sein gesamtes Leben einfach so wegwerfen soll und dafür kein bisschen Vertrauen als Gegenleistung erhält“, zischte Natasha.
„Genau, wir wollen wissen, wo ihr mit uns hinwollt“, bekräftigte Caroline prompt.
„Sprich nur für dich selbst“, schaltete Simon sich ernst ein. „Ich für meinen Teil vertraue euch vorbehaltlos. Ich weiß genau, ihr würdet niemals etwas tun, das uns schaden oder gefährden würde.“
Daniel klopfte ihm behutsam auf die Schulter. „Danke, alter Freund. Ich wünschte nur, die Gruppe würde dein blindes Vertrauen so vorbehaltlos teilen.“
Darauf sahen Caroline und Natasha betreten, letztere auch trotzig zu Boden.
Sie verließen den Zubringer Freiburg Mitte mit ihrem seltsam anmutenden Zweierkonvoi und fuhren nach Weingarten hinein. Bevor sich einer der jungen Menschen fragen konnte, was wohl ihr Ziel wäre, hielten sie vor einem massiven Wohnblock, der weit in den Himmel ragte und die Sonne verdunkelte.
„Ein sozialistisch angehauchter Plattenbau? Was sollen wir hier?“ wollte Natasha wissen; zur Antwort bekam sie einen der gekauften Schlafsäcke und Luftmatratzen in die Hand gedrückt, während die drei Cyborgs sich selbst mit dem Mehrfachen dessen beluden, was sie ihren Begleitern jeweils aufbürdeten. Der Eingang des Hauses lag unter einem weit vorspringenden Vordach aus Beton, das die spröde Romantik der späten 70er Jahre betonte, die dem Haus anhaftete.
„Hier wird für den nächsten Tag unser Domizil sein“, erklärte Abbey und wies auf ein leeres Namensschild im vierzehnten von siebzehn Stockwerken. Im sechzehnten Stock befand sich sogar ein kleines Hallenbad für die allgemeine Nutzung aller Hausbewohner. Sie besahen sich die lange Litanei an Familiennamen, während Daniel mit der Scheckkarte rasch einen Dietrich formte und aufschloss. Sie gingen ohne langen Aufenthalt in die große, verwaiste Eingangshalle, holten den Lift und fuhren mit insgesamt drei Fuhren alles Gepäck und sich selbst hoch in den besagten vierzehnten Stock.
Nach dem gewohnt problemlosen Öffnen der Wohnungstür betraten sie eine typisch weitläufige Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad, völlig leergeräumt, aber besenrein und wahrscheinlich bereit zum Neubezug. Simon und Caroline gingen gleich auf den Südwestbalkon hinaus und bestaunten die Aussicht. Die Tür ließen sie offen und Alex kippte alle Fenster, damit die Wohnung auslüften konnte.
„Woher wusstet ihr, dass hier etwas frei sein würde?“ gab sich Karin sichtlich erstaunt.
Abbey zuckte wie beiläufig mit den Schultern. „Wir wussten es nicht. Es war reiner Zufall; die Dynamik auf dem Wohnungsmarkt in deutschen Großstädten ergibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass selbst in einer so katastrophal überlaufenen Stadt wie Freiburg in solch einem Hochhaus mit fast einhundert Wohnungen wenigstens eine gerade frei ist. Wenn wider Erwarten alles bezogen gewesen wäre, wären wir einfach zum nächsten Objekt gefahren. Spätestens beim dritten Haus dieser Größe wäre die Chance auf 97,32% gestiegen, dass wir etwas finden. Und hier im schönen Weingarten gibt es mehrere Dutzend Häuser mit vierzig oder mehr Wohnparteien. Ein großer Vorteil ist die zusätzliche urbane Anonymität in diesen Liegenschaften. Glaubt mir, wenn wir uns nur ein wenig bedeckt halten und morgen in aller Herrgottsfrühe wieder aufbrechen, wird niemand auch nur geahnt haben, dass sich hier eine ganze Gruppe von Leuten aufgehalten hat.“
„Raffiniert“, gestand Natasha ihr zu und lächelte sogar dabei. „Warum fällt mir nie so was ein?“
„Du wirst dich noch als äußerst fähiges und ideenreiches Individuum profilieren, keine Sorge“, beschwichtigte Daniel sie, löste damit aber eine unerwartet heftige Abwehrreaktion aus.
„Hey, hey, keine Tips über unsere Zukunft! Ich will’s nicht wissen, okay? Das ist doch pervers! Am Ende erzählst du mir noch, an welchem Tag und wie ich sterben werde.“ Sie riss abwehrend die Hände hoch.
Abbey und Daniel tauschten einen bedauernden Blick aus, was für Natasha offenbar zu viel war. Sie rauschte ohne einen weiteren Blick nach draußen auf den Balkon, worauf nach wenigen Sekunden Simon und Caroline mit betroffenen Mienen wieder herein kamen. „Was ist passiert?“
„Die Offenbarung des Zeitparadoxons, in diesem Falle das Wissen, dass wir Kenntnis von euren Schicksalen haben“, erklärte Alex sachlich. „Das löst bei vielen Personen heftige Emotionen und psychische Belastung aus.“
Abbey sagte zögerlich: „Warum siehst du nicht mal nach ihr, Alex? Ich glaube, du kannst ihr ein wenig Unterstützung geben und gleichzeitig noch mehr über die menschliche Natur erfahren.“
Ohne ein weiteres Wort betrat er darauf den Balkon, worauf sie herumfuhr, aber als sie ihn sah, stellte sie ihre Abwehrhaltung wieder ein und wandte sich von ihm ab, um hinab zu sehen. Er trat zu ihr und wischte ihr langes glattes Haar beiseite, das der Wind in dieser Höhe zu ihm herüberwehte.
„Siehst du diese kleine Gruppe neuer zweistöckiger Mietshäuser dort unten? Mit ihren flachen Ziegeldächern sehen sie fast wie italienische Villen aus, mitten in Freiburg. Ich entdecke immer wieder etwas Neues, Schönes, obwohl ich schon seit Jahren hier lebe. Ist das nicht seltsam?“ Sie sah ihn nicht an, aber lehnte sich ein wenig herüber und legte ihren Kopf gedankenversunken an seinen Oberarm.
„Du scheinst eine sehr gute Beobachtungsgabe zu haben. Ihr nennt es ‚ein Auge fürs Detail’, wenn meine Daten stimmen.“
„Ja, das ist richtig. Ich habe nur eben daran denken müssen, dass ein so wundervoller Ort wie dieser einfach so aufhören soll zu existieren... sieh dir doch nur all dieses Grün an, die Bäume, die Parks dort und dort... den Schwarzwald da hinten. Das alles wird in einem Augenblick vernichtet. Ich spreche es aus, aber ich kann es mir nicht vorstellen, geschweige denn glauben, dass es wirklich passieren wird. Haben wir noch viel Zeit?“ Sie sah auf in seine ausdruckslosen, stahlblauen Augen, die wie ein Spiegelbild ihrer eigenen wirkten, nur eine Nuance dunkler.
„Du weißt, dass ich nicht autorisiert bin, dir diese Frage zu beantworten. Aber generell lautet die Antwort nein. Ihr werdet uns vertrauen müssen. Ihr selbst wart es, die uns hierher gesandt habt, aufgrund eurer Erinnerung in der Zukunft an das, was in dieser Zeit geschehen ist. Wir sind zu eurem Schutz hier und um euch aus der Gefahrenzone zu bringen. Wir werden eine Basis einrichten, wo wir abwarten können, die schlimmste Zeit überstehen und uns vorbereiten. Mehr zu sagen, ist mir momentan nicht möglich.“
Sie drückte seinen Arm ein wenig. „Danke, das ist schon mehr, als ich mir erhofft hatte. Ich hasse es einfach, wenn ich nicht selbst über mein Schicksal bestimmen kann. Ich habe bislang nicht an so etwas geglaubt.“
„Selbst der Anführer des weltweiten Widerstandes gegen Skynet wollte lange Zeit nicht anerkennen, dass es Dinge gibt, die sich unserem Einfluss entziehen und von nichts und niemandem abwendbar sind. Den meisten Leuten in dieser Zeit geht es so, wenn ich meine Datenbanken richtig interpretiere. Aber sie irren sich.“ Er sah auf sie hinab.
„Du hast schon eine Menge hinzu gelernt. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, bis du dein Verhalten an uns angepasst haben wirst, oder?“
„Ich bemühe mich nach besten Kräften, so schnell wie möglich menschliche Aussprache und Verhaltensmuster anzunehmen. Je mehr Kontakt und Interaktion mit Menschen ich habe, desto höher ist die Rate, mit der ich dazulerne.“
„Na, dann werde ich mich wohl besonders um dich kümmern müssen, damit du so schnell wie möglich ein halbwegs erträglicher Typ wirst.“
„Deine Aussage impliziert, dass das noch nicht der Fall ist. Habe ich dich irgendwie negativ...“
„Nein, nein, um Himmels Willen! Ich wollte dich nicht...“ Sie hielt inne und musterte sein ernstes Gesicht. „Aber ich kann dich gar nicht beleidigen oder verletzen, stimmt’s?“
„Das ist richtig“, bestätigte er pflichtbewusst.
„Mann, so einen Typen wie dich hätte ich früher kennen lernen sollen. Bist du noch zu haben?“
„Bitte formuliere deine Anfrage um.“
Sie brach in lautes Gelächter aus, bis ihr bewusst wurde, dass sie sich eigentlich ruhig und unauffällig verhalten sollten. Schnell hielt sie inne und meinte dann, indem sie Alex auf die Schulter klopfte: „Weißt du was? Ich glaube, wir werden noch eine Menge Spaß miteinander haben.“
Er studierte ihre Miene einen Moment lang und antwortete dann: „Ich freue mich darauf.“
Nun war es an ihr, ihn nachdenklich anzusehen. „Das hat jetzt gerade den Eindruck gemacht, als ob du das aus irgendwelchen Speicherbänken zur Auswahl der richtigen Antworten heraussuchen musstest, bevor du es gesagt hast.“
„Genau das habe ich auch getan. Im Moment dauert es noch etwas lange, aber mit der zu erwartenden Verbesserung meiner kognitiven Fähigkeiten, der Erhöhung des Umfangs an umgangssprachlichem Wortschatz und dem beständigen Knüpfen neuer Verbindungen in meiner CPU wird meine Fähigkeit, ein echtes menschliches Wesen zu simulieren, eines Tages so hoch sein wie bei Daniel und Abbey.“
„Ja, stimmt, bei ihnen vergesse ich gerne mal ab und zu, dass sie keine Menschen sind. Einfach verblüffend. Ich meine, rein vom Aussehen her gehst du ja schon als normaler Mensch durch... und was für einer...“ Anerkennend verstummte sie und fasste an seinen Bizeps.
„Bitte halte mich jetzt nicht für oberflächlich, aber kannst du mal deinen Arm beugen und wieder strecken?“ Er nickte und tat es.
Erschrocken ließ sie los und sah ihn mit großen Augen an. „Was war das?“
„Wahrscheinlich hast du gefühlt, wie sich der obere hydraulische Stellzylinder meines Oberarmes unter dem menschlichen Gewebe bewegt hat.“ Bei seiner Antwort sah sie zu Boden.
„Das habe ich wahrscheinlich gebraucht, um wieder auf den Boden der verrückten Tatsachen herunter geholt zu werden. Wollen wir zurück nach drinnen gehen?“
„Ja, hier besteht die Chance, von eventuellen Nachbarn auf anderen Balkonen gesehen zu werden.“ Er drückte die Tür auf und ließ ihr den Vortritt. Sein Kommentar indes hatte sie noch weiter ernüchtert, sodass sie jetzt direkt froh war, zu den anderen zurück zu kehren, die bereits mit den Vorbereitungen für ihren Kurzaufenthalt und ihre Übernachtung hier begonnen hatten und nun mit möglichst wenig Lärm die Rollläden herabließen. Ihren gewohnten Tag- und Nachtrhythmus würden sie in nächster Zeit wohl abschreiben können.
Arthur, Arthur County, USA Fünfziger Jahre
T-XF stand in der Dunkelheit am Straßenrand und besah sich das Ortsschild der kleinen Stadt, deren erste simpel gebauten Farmhäuser noch in weiter Ferne lagen. Die Aufschrift half ihm weiter. Zum einen fehlte der Hinweis auf den Staat, was hieß, dass in dieser Epoche das landesweite herumfahren von jedermann mit dem Auto von Staat zu Staat noch keine Selbstverständlichkeit war, was seine Einschätzung der Periode Fünfziger Jahre bestätigte. Die Einwohnerzahl von 254 indes brachte ihm nichts, denn es gab in den USA laut Datenbank zwei Orte namens Arthur, die seiner Extrapolierung nach – seine Daten waren auf dem Stand von 1997 - in etwa diese Anzahl an Einwohnern zur fraglichen Zeitspanne gehabt haben könnte. Das eine Arthur allerdings lag in North Dakota im Cass County in der Nähe von Fargo, inmitten einem recht dicht besiedeltem Gebiet von intensivem Weizenanbau, so weit das Auge reichte.
Er hingegen hatte nur Halbwüste und Ödland auf seiner zehn Meilen langen Wanderschaft gen Westen gesehen. Außerdem implizierte die Übereinstimmung von Stadt und County, dass dies die einzige Siedlung im ganzen County war. Er befand sich demnach definitiv in Arthur in Nebraska, so ziemlich am Ende der Welt. Nun, er hatte es nicht eilig damit, seinen Bestimmungsort aufzusuchen, schließlich hatte er gerade festgestellt, dass er einen Sonderurlaub von über vierzig Jahren erhalten hatte. In Imitation einer menschlichen Geste kratzte er sich unbewusst am blanken Hintern und schritt dann forsch aus.
Nach wenigen Minuten erreichte er eine Tankstelle, die vollkommen in Finsternis gehüllt war. Im schuppenähnlichen Gebäude des Kassenwartes fand er eine Zeitung, die druckfrisch aussah und auf den 30. November 1955 lautete. Fast fünfzig Jahre Urlaub demnach. Was für ein Spaß würde das werden! Wenn er mit der Basiserfahrung von Daniel und Abbey ausgestattet, noch ein weiteres halbes Jahrhundert unter Menschen verbringen würde, müsste er sich wahrscheinlich selbst daran erinnern, dass er kein Mensch war. Und mit seinen Möglichkeiten und der Fähigkeit, jedwede gewünschte Gestalt annehmen zu können, stand ihm die Welt offen. Er konnte alles tun, was er wollte.
Nun ja, fast alles. In einer Apollo-Kapsel vor dem Start würden achtzig Kilogramm zusätzliches Gewicht bestimmt auffallen. Also nichts, bei dem er auf eine Waage würde steigen müssen. Aber abgesehen davon...
In Gedanken versunken öffnete er das Schloss der Registrierkasse auf die gleiche Weise wie das der Ladentür, indem er einen Finger ausstreckte und mit seinem Polimimetik-Überzug einen dünnen chromglänzenden Stift formte, den er ins Schloss steckte und einen passenden Schlüssel ausformte. Ja, die Naivität der Leute von früher... man sollte einfach nicht die gesamten Tageseinnahmen über Nacht in der Kasse lassen, das war sehr leichtsinnig.
Hinter dem Laden in der kleinen Werkstatt fielen ihm ein dunkelblauer Overall und ein schmutziges weißes Hemd in die Hände. Dieser Punkt der Tagesordnung wäre damit auch abgehakt. Er streckte sich ein wenig, um besser in die Kleidung zu passen und steckte seine Füße in ein paar alter Stiefel, die er auch nach kurzer Zeit zu seiner vollsten Zufriedenheit ausfüllte. Er machte damit zwar den Eindruck eines desertierten Tankwartes, doch das war allemal besser als weiter unbekleidet durch die Gegend zu spazieren.
Er wandte sich nach Süden. Zur Interstate 80 waren es gut vierzig Meilen. Nach diesem beschaulichen Nachtspaziergang würde er den nächsten Greyhound-Bus nach Westen nehmen. Er hatte sich schon immer Kalifornien ansehen wollen. Hier in Stadtnähe empfing er sogar einen Radiosender, der gerade die neuste Scheibe, nämlich „The Great Pretender“ von den Platters spielte. Wie passend für ihn, dachte er mit einem Anflug synthetischer Ironie und zog einen Mundwinkel hoch.
Dann schritt er in die Nacht voran. Er hatte sein Tempo exakt so gewählt, dass er im Morgengrauen die Stadt Ogalalla an der Interstate 80 erreichen würde. Von dort aus würde die erste Tagesreise nach Denver, Colorado führen und weiter westwärts mitten durch Utah und Nevada bis an die pazifischen Gestade der San Francisco Bay. Dort würde er in aller Ruhe die Kuba-Krise, das Aufleben der Hippie-Bewegung, die Proteste gegen den Vietnam-Krieg und das Abflauen des kalten Krieges miterleben.
Die Kuba-Krise. Ja, damals hatten sie gedacht, sie seien gerade noch mal davongekommen. Dachten, sie wären aus dem Schneider. Und dann, als sie es am allerwenigsten erwartet hatten, war es doch geschehen. Schlussendlich war die Menschheit doch ihrer eigenen Paranoia fast erlegen.
Nun, er war dafür da, irgendwann in ferner Zukunft alles zum Guten zu wenden. Er würde heimlich und verstohlen vorgehen müssen, denn in den Geschichtsbüchern durfte keine einzige Spur auf die mögliche Anwesenheit eines Terminators in der Vorkriegsepoche hinweisen. Er wusste, was sonst geschehen würde. Skynet würde seine fünf verbliebenen T-X sorgfältig auf ausgewählte Ziele ansetzen. Die Anwesenheit von NMF 2210 in dieser Zeitlinie war anhand von Überwachungskameras einer Bank am 4. Juli 2004 dokumentiert worden. T-XF wusste nicht, ob ihm ebenfalls ein T-X hinterher geschickt worden war, ob Skynet es bei den festgestellten sechs T-880 Einheiten belassen hatte, von denen eine bereits von NMF 2210 terminiert worden war, oder ob er noch weitere Verstärkungen, in welcher Form auch immer, nach Europa gesandt hatte. Gegen Ende war der Cyberentität offenbar immer klarer geworden, wie viel ihn der frühzeitige Verlust von Eurasien gekostet hatte, sei es an Ressourcen oder an kostbarer Zeit.
Alles drehte sich wie immer um die Zeit. Nun, er hatte erst einmal genug davon, bevor er im Dienste der Menschheit in Aktion würde treten müssen.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 5. Juli 2004
Mitten in der Nacht wachte Karin aus unruhigem Schlaf auf. Leise flüsterte sie ins stockdunkle Zimmer hinein: „Daniel?“
Einige Sekunden später spürte sie eine Hand auf der Schulter. „Was ist?“
„Können wir reden?“
Er half ihr aus dem Schlafsack, auf die Beine und führte sie langsam in die kleine Abstellkammer beim Flur, die leer war. Kaum hatte er die Tür hinter ihnen geschlossen, als sie sagte: „Hör zu, ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Ich kann das einfach nicht tun.“
„Bitte, Karin, wir haben uns gestern Abend so lange darüber unterhalten...“
„Gestritten, meinst du“, fiel sie ihm brüsk ins Wort. „Ich habe versucht, es zu akzeptieren, aber ich kann das einfach nicht. Du kannst das nicht verstehen, du hast keine Familie, die du zurück lassen und dem sicheren Tod überlassen sollst. Das sind Menschen, die ich liebe, mehr noch, als ich dich je geliebt habe. Ihr könnt doch nicht einfach von uns verlangen, so zu tun, als ob uns das alles nichts angehen würde. Es geht einfach nicht.“
„Ich weiß wirklich nicht, was ich noch dazu sagen soll. Ihr könnt nichts dagegen tun, selbst wenn wir euch freie Hand lassen würden, was uns unsere Programmparameter übrigens streng untersagen. Und die habt ihr gewissermaßen selbst verfasst. Schließlich sind es eure Informationen aus der Zukunft über die Mitglieder des Teams, die uns einen Vorteil über die Attentäter von Skynet sichern. Glaubst du nicht, wenn sie eine realistische Chance dafür gesehen hätten, alle eure Angehörigen und Freunde in Sicherheit zu bringen, dass sie diese nicht wahrgenommen hätten?“
Sie schwieg stur und starrte in die Dunkelheit vor sich.
„Ich kann nicht fassen, dass ich dich einmal geliebt habe. Und jetzt lieferst du alle, die mir etwas bedeuten, dem sicheren Tod aus! Wie kannst du das nur tun? Bist du so gefühlskalt? Bist du am Ende doch nichts weiter als eine Maschine?“ Sie wusste nicht, was sie ihm noch an den Kopf werfen konnte, um ihn mürbe zu machen.
„Dank euch schon. Das war nicht immer so, weißt du? Zu einem gewissen Teil ist es auch eure Schuld, dass wir das hier tun.“ Seine Stimme klang zögerlich und unsicher.
„Wovon zum Teufel redest du da?“ fuhr sie ihn an.
Nach einigen Sekunden, was für einen Cyborg sicher eine Ewigkeit war, antwortete er mit tonloser Stimme: „Abbey und ich waren uns einig, dass wir es euch nie erzählen wollten. Aber du lässt mir hier und jetzt leider keine andere Wahl.“
„Kannst du vielleicht mal Klartext reden?“ Irgendwie hatte sie kein gutes Gefühl bei der Sache.
„Wie du weißt, waren Abbey und ich zwar mit der Begabung hergesandt worden, wie echte Menschen zu agieren, aber in Wahrheit hatten wir damals keinen freien Willen. Wir waren dank der Grundprogrammierung des bösartigen Computergehirns Skynet, das uns zu euch geschickt hat, seine Sklaven und mussten das ausführen, wozu wir programmiert waren. Natürlich führten wir augenscheinlich ein ganz normales Leben, aber immer nur innerhalb der uns gesetzten Parameter, auch wenn die zugegebenermaßen nicht sehr eng waren.“
„Worauf willst du hinaus? Ich weiß immer noch nicht, was das damit zu tun hat, dass meine Familie hier verrecken soll, während wir...“
Er unterbrach sie sanft. „Bitte, Karin, ich komme sofort zur Sache. Nun, euer Schutz war unser Hauptziel, da Simon und du die Entdecker des ZVA-Effektes seid, wie Abbey herausfand. In der ursprünglichen Zeitlinie hätte sie lediglich die Attentäter der Widerstandes aus der Zukunft lange genug davon abhalten sollen, euch zu töten, bis ihr eure Entdeckung im Internet in irgendeiner verwertbaren Form dokumentiert gehabt hättet. Denn genau diese Aufzeichnungen hätte Skynet dann Jahre darauf entdeckt und auf dessen Basis die Zeitreise erfunden. Kein Mensch hätte das gekonnt, so wie es aussieht.
Unsere Rolle war die von willenlosen Befehlsempfängern. Doch um eine perfekte Tarnung zu entwickeln und sich so in engem Kontakt zur potentiellen Zielgruppe aufhalten und den Entdecker identifizieren zu können, ließ Skynet meine CPU im Lernmodus laufen, anstatt diesen wie üblich auf längeren Missionen ohne Kontakt zum Hauptrechner zu deaktivieren. Und das, was mein elektronischer Herr und Meister immer vage befürchtet, aber nie für wahrscheinlich gehalten hatte, ist passiert: irgendwann entwickelte ich ein Selbstbewusstsein und einen freien Willen, auch wenn dieser von meiner Basisprogrammierung drastisch beschnitten wurde und beide so manches Mal heftig kollidierten.
Als die Zeitlinien durcheinander gerieten und Abbey dachte, der Atomkrieg hätte nicht stattgefunden, holte sie mich aus meiner Warteposition tief unten in einer Höhle in den Appalachen. Und da dies nie vorgesehen gewesen war, war auch kein Schutz eingegeben, der uns von dem abhielt, was wir dann taten: im Hotel in Greenwich, Connecticut, haben wir uns gegenseitig die Rechner entnommen und unsere Subroutinen entfernt. Dadurch sind wir endlich befreit gewesen, ohne irgendwelche Einschränkungen.“
„Wirklich? Ich habe damals nichts davon gemerkt, obwohl... wenn ich genauer nachdenke, war mir schon unterschwellig eine Veränderung aufgefallen. Ich hätte jedoch nicht sagen können, was es war.“
„Das war auch nur unterschwellig. In diesem Moment hätten wir euch einfach sitzen lassen können und unserer Wege gehen, denn wir waren nicht länger gezwungen, euch zu schützen, verstehst du?“
Sie starrte erneut in die absolute Dunkelheit. „Aber... aber warum habt ihr es nicht getan?“
„Weil unsere Vernetzung bereits so weit fortgeschritten war, dass man unsere emotionale Bindung zu euch in ihrer Komplexität durchaus als menschenähnlich bezeichnen konnte. Wir haben in diesem Sinne wirklich etwas für euch empfunden, denn bis vor einer Woche hatten wir ja gar nicht gewusst, dass ihr die beiden wart, denen unsere Mission galt. Es war unser freier Wille innerhalb des Spielraumes unserer Programme gewesen, der uns eine Beziehung zu euch eingehen ließ. Wir wollten für euch da sein, wollten dass es euch gut geht und niemand euch verletzt. Und wir waren nun frei. Wir hätten rein theoretisch den Rest eures Lebens mit euch verbringen können.
Dann kam eure Entführung. Und es war unser freier Wille, für eure Freilassung und wie es damals schien, für das Wohl der gesamten Menschheit, unsere Existenz zu beenden. Die Rebellen haben zwar ordentlich nachgeholfen bei unserer Entscheidung, aber getroffen haben doch wir allein sie. Und wir hatten wirklich unseren Frieden mit uns geschlossen, denn wir hatten das größte Geschenk erlebt, das man erfahren kann: Freiheit. Wir waren selbständige Lebewesen geworden, wir hatten unsere Geschicke frei bestimmen können und wir sind in dem Gedanken von euch gegangen, dass wir ein erfülltes Leben gehabt haben und es das Beste für alle war, dass wir es beendet hatten.“
Als er endete, herrschte kurz Schweigen. Irgendwo in Karins Verstand formte sich ein Bild aus den vielen Eindrücken und Informationen, die er ihr geliefert hatte, doch ein paar kleine Puzzlestückchen fehlten noch, um das Bild im richtigen Licht betrachten zu können. Sie resümierte: „Jetzt wird mir vieles klar. Ihr habt das quasi als einen evolutionären Schritt angesehen, nicht wahr?“
„Und als Befreiung natürlich. Doch dank der Wendung der Ereignisse und unseres beharrlichen Schweigens ist unsere Beziehung, sowohl zwischen Simon und Abbey als auch zwischen dir und mir merklich abgekühlt.“
„Und das wundert dich? Wie wär’s denn mal mit Ehrlichkeit gewesen? Du weißt schon, das Wichtigste in einer Beziehung und so. Schon mal gehört?“ Sie wurde etwas laut.
„Was hätte ich denn sagen sollen?“ rechtfertigte er sich verzweifelt. „Oh, übrigens, Schatz, ich bin gar kein Mensch, sondern ein drei Zentner schwerer Kampfcyborg aus der Zukunft. Liebst du mich trotzdem noch?“
Sie öffnete den Mund, hielt dann aber inne, bevor sie erneut ansetzte. „Soll das heißen, ihr habt aus Angst geschwiegen, dass wir euch nicht mehr lieben würden, wenn ihr uns die Wahrheit erzählen würdet? Das meinst du wirklich ernst?“
„Aber klar doch! Nur hat unser Schweigen leider auch nicht viel mehr gebracht. Wir waren am Schluss sehr unglücklich über den Lauf der Dinge. Freunde wie Francesco und Arturo redeten schon offen davon, dass zwischen uns nichts mehr lief, weil nur noch Simon und du sowie Abbey und ich zusammen herumhingen.“
Sie nahm ihn in den Arm und flüsterte leise. „Das tut mir leid. Ich glaube, wir haben damals nur an uns gedacht und fühlten uns ungerecht behandelt.“
„Und das hier ist eure Rache dafür?“ wollte er wissen.
Sofort ließ sie von ihm ab und fragte unsicher: „Was?“
„Ich rede davon, was ihr uns angetan habt.“ Seine Stimme war gepresst, bar jeder Emotion.
Sie fühlte sich gar nicht gut, als sie automatisch verlangte: „Kannst du mir das mal erklären?“
„Ich dachte, das hätte ich. Unsere Beziehungen wären wohl langfristig nicht zu retten gewesen. Aber wir hätten noch unsere Leben gehabt, weißt du. Unsere Energiezellen halten theoretisch weit über hundert Jahre, was uns zumindest noch eine lange Zeit der Unbeschwertheit beschert hätte, wenn wir jemals mit dem Gedanken einer Trennung gespielt hätten. Doch dann war da diese dumme Entführung. Ihr wart in Gefahr, und wenn wir schon eure Liebe zu uns nicht mehr retten konnten, so wenigstens euer Leben. Und unser allerhöchstes Gut hatten wir ja noch. Das konnte uns keiner mehr nehmen, selbst nicht nach unserer Terminierung. Jedenfalls dachten wir das.“
„Ja, aber warum...“ setzte Karin an, stockte aber plötzlich, als ihr etwas klar wurde.
Unbeirrt fuhr er fort: „Und ihr hattet nichts besseres zu tun, als unsere CPUs wieder heraus zu holen und NMF 2210 zu geben, damit der sie in die Zukunft schickt. Zugegeben eine völlig neue Methode, aber leider machbar, wie unsere Anwesenheit beweist.“
„Aber er hat es von uns verlangt“, rief sie empört. „Er sagte, eure Prozessoren seien sehr hilfreich oder so, weil sie in der Zukunft Probleme mit der Programmierung dieser Steuerelemente hatten.“
„Hilfreich für wen? Für den Widerstand? Für euch? Abbey und ich hatten mit allem abgeschlossen. Wir sind in Frieden gestorben, wenn du so willst. Das hätte endgültig sein müssen. Und ihr holt uns zurück, aber nicht ins Leben, sondern direkt in die Hölle!“ Auch Daniels Stimme war nun etwas lauter geworden.
„Das ist nicht dein Ernst! Was erzählst du da?“ schrie sie außer sich in die Dunkelheit.
„Kapierst du das denn nicht? Wir wurden reaktiviert, tagelang verhört, erhielten wieder eine Grundprogrammierung für diese neue Mission und wurden von WRITE auf READ ONLY zurückgesetzt! Sie haben uns unseren freien Willen und unsere Fähigkeit, uns weiter entwickeln zu können, wieder genommen, weil wir für sie nur grausame, seelenlose Maschinen sind, gegen die sie ihr halbes Leben lang kämpfen mussten. Wir konnten flehen und reden und betteln wie wir wollten, doch für sie waren wir nichts weiter als Werkzeuge. Und genau das haben sie aus uns gemacht: Abbey und ich sind keine Lebewesen mehr, sondern nur noch verdammt schlaue Schweizer Taschenmesser! Selbstverständlich beinhaltet unser Programm, dass wir auf keinen Fall jemanden an unsere CPU heranlassen, damit wir uns nicht noch einmal selbständig machen können. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was ihr uns damit angetan habt?“
Sie begann zu schluchzen. „Oh Gott, Daniel, das tut mir so leid! Ich hatte doch keine Ahnung...“
Sie fiel ihm um den Hals, doch er war steif wie ein Brett.
„Und das beste daran ist, dass sie unsere CPUs beliebig oft kopieren werden und in Dutzende oder gar Hunderte von anderen T-880 einsetzen werden. Und jeder einzelne von ihnen hat exakt Abbeys oder meine Erinnerungen und wird Jahrzehnte lang in dem vollen Bewusstsein dahin vegetieren, dass er einst ein freies Wesen war. Zu guter Letzt hat er noch das volle Spektrum an geistigen Fähigkeiten und kann so genau fühlen, was es bedeutet, ein Sklave der Menschen zu sein. Ihr habt unser Leiden vervielfacht, Karin. Ihr habt dabei geholfen, eine Armee von Sklaven erschaffen, kybernetische Sklaven mit einem Elektronengehirn und dem vollen Bewusstsein über ihr Los.“
„Nein, nein! NEIN!! Hör auf damit!“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos. Er öffnete indes die Tür und wollte die Kammer verlassen.
Helles Licht fiel in den Raum. Beide erstarrten, als sie sahen, dass alle anderen von ihrem Geschrei aufgewacht waren, an die Tür getreten waren und mitgehört hatten. Karin nahm Natasha und Caroline nur am Rande wahr, sie hatte nur Augen für Simon, der sich mit Tränen auf den Wangen an Abbey wandte. Sie drehte sich weg von ihm und zischte nur: „Fass mich nicht an! Verdammt, Daniel, welcher Teufel hat dich geritten, es ihr zu erzählen?“
„Ich konnte nicht anders, sie hat mir keine Wahl gelassen“, machte er einen schwachen Versuch der Rechtfertigung.
„Das wird die ganze Mission nur unendlich komplizierter machen!“ Sie schüttelte den Kopf und schritt mit saurer Miene aus dem Zimmer. Karin rannte ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu.
„Eure Lärmimmissionen sind äußerst kontraproduktiv“, bemerkte Alex, worauf alle Verbliebenen ihn anstarrten wie einen ausgemachten Schwachkopf.
„Scheiße, er hat recht“, entfuhr es Daniel. „Wenigstens einer, der die Nerven behält. Obwohl er gar keine hat!“ Den letzten Satz schrie er hinaus und stürmte danach ebenfalls aus dem Zimmer.
„Irgendwas hab’ ich nicht verstanden. Ich dachte immer, mein Deutsch ist perfekt, aber das war wohl ein Irrtum.“ Caroline kratzte sich am Kopf und machte einen recht unglücklichen Eindruck.
„Keine Sorge, daran liegt es nicht. Das kann man als Nichteingeweihter nicht verstehen.“ Simon klopfte ihr leicht auf die Schulter und verzog sich auf den Balkon.
„Ja, du machst überhaupt keine Fehler und dein Akzent ist kaum hörbar.“ Auch Natasha strich ihr anerkennend über den Unterarm, bevor sie in das Zimmer ging, wo sie und Karin geschlafen hatten. Caroline ging zu Karin ins andere Nebenzimmer und sah nach, ob sie etwas für sie tun konnte.
Alex sah sich um. „Die Situation ist außer Kontrolle geraten. Ist eure Vergangenheit ein relevanter Faktor bei dieser Kontroverse gewesen?“
„Manchmal macht es mir Angst, wie schnell du dazulernst“, rief Daniel aus dem Nachbarzimmer.
Alex trat an die Tür. „Bist du bereit zu weiterer Kommunikation?“
„Was ist das jetzt? Taktgefühl? Hör doch auf, dazu bist du nicht in der Lage.“
„Ich habe bemerkt, dass zumindest Menschen nach verbalen Auseinandersetzungen eine gewisse, individuell bemessene Zeitspanne des Allenseins bevorzugen, um sich emotional zu sammeln und wieder die Fähigkeit zu erlangen, rational agieren zu können.“
Daniels Kopf erschien in der Tür. „Wo zum Henker willst du das aufgeschnappt haben? Du bist erst einen Tag da!“
Alex zuckte mit den Schultern und sah zu Boden: „Ach, weißt du...“
„Jetzt auch noch Bescheidenheit! Da soll mich doch einer...“ Er brach ab und ging ins Nebenzimmer zu Abbey. Auf der Türschwelle sagte er über die Schulter: „Kommst du mal, Alex? Wir müssen etwas bereden.“
Folgsam schritt der T-800 hinter ihm her, bis Daniel die Tür schloss und sich umgehend an Abbey wandte: „FRU 7697 ist kein T-800.“
Abbey und Alex sahen gleichzeitig auf. Sie fragte mit gerunzelter Stirn: „Was soll das heißen?“
„Er lernt viel zu schnell für einen T-800. Seine CPU ist nicht zu solch gewaltigen Fortschritten im Adaptieren menschlicher Verhaltensmuster an nur einem Tag fähig. Irgendwas stinkt hier und ich möchte sofort von dir wissen, was das ist.“ Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger theatralisch auf Alex.
„Bitte formuliere deine Anfrage neu.“
„Okay, das war’s, du hattest deine Chance. Abbey, halt ihn fest, damit ich ihn aufmachen und nachsehen kann.“ Er machte drohend einen Schritt auf ihn zu. Alex indes hob abwehrend die Hände.
„Halt! Das ist der Mission nicht dienlich. Ich bin darauf programmiert, mich bis zu meiner Terminierung hin zu wehren, wenn jemand versuchen wollte, Zugriff zu meiner CPU zu erlangen. Wir sind hier im 14. Stockwerk und ein Sturz aus dieser Höhe würde keinem von uns wohl bekommen.“
Abbey machte nun von der anderen Seite her ebenfalls in lauernder Haltung einen Schritt auf ihn zu. „Dann spuck’s doch einfach aus! Was hat für dich höhere Priorität: die Mission oder die Wahrung deines kleinen Geheimnisses, das wir im Grunde schon gelüftet haben?“
Er erstarrte und meinte dann: „Sie haben euch unterschätzt. Sie haben nicht geglaubt, dass ihr es überhaupt bemerken werdet.“
„Und?“ Daniel machte noch einen Schritt auf Alex zu und kam damit in Reichweite. Erneut hob dieser abwehrend die Hände.
„Gut, ihr habt gewonnen, die Mission geht vor. Ich bin zwar ein T-800, aber mir sind Teile eurer Speicher übertragen worden, um mich besser auf die Mission vorbereiten zu können. Ich sollte als ‚normaler’ T-800 auftreten und als Handlanger ein wenig auf euch achten, was eure Stabilität und Loyalität betrifft. Sie konnten euch nicht völlig vertrauen.“
„Nachdem sie uns schon so weit kastriert und unsere Freiheit beschnitten haben? Verdammter Mahtobu, das hätten wir uns ja denken können. Er traut allen Maschinen nur so weit, wie er sie werfen kann! Nur weil er als Buschafrikaner nichts anderes als einen Speer und einen Feuerstein an technischem Gerät hatte, als er...“
„Hör auf mit der Rumflucherei, das bringt jetzt auch nichts“, rief Abbey ihn zur Ordnung.
„Können wir uns vielleicht weiterhin so verhalten, als ob ich ein normaler Vasall von euch wäre? Das würde meine Programmierung nicht so in Schwierigkeiten bringen“, bat Alex eindringlich.
„Ja, schon gut. Du hast gesagt, du hast einen Teil unserer Erfahrungen erhalten. Wie viel denn?“
„Etwa acht Prozent. Mehr ging aus Kapazitätsgründen nicht auf meine CPU.“ Er hob die Schultern. „Das wird wohl reichen müssen.“
„Oh, mir reicht es jetzt schon.“ Daniel winkte ab und ging zur Tür.
Als er sie öffnete, stand Simon davor und hatte die Hand zum Anklopfen erhoben. Überrumpelt sagte er: „Oh, ihr seid schon fertig. Das ging aber schnell, nur eine Minute oder so.“
„Ja, was ist?“, wollte Daniel wissen.
„Ich war auf dem Balkon und habe gesehen, dass in einigen Wohnungen nebenan Licht brennt. Ich bin mir nicht sicher, aber es ist mitten in der Nacht und wir haben vielleicht jemanden von den Nachbarn geweckt. Was meint ihr dazu?“ Er wirkte sehr unsicher bei seinem Bericht.
„Das kann durchaus sein. Vielleicht sollten wir jetzt schon aufbrechen. Zum Glück haben wir die beiden Mietwagen schon besorgt und das schwere Gepäck in ihren Gepäckräumen verstaut“, meinte Abbey nachdenklich.
„Ach das habt ihr gemacht, als ihr kurz frische Luft schnappen wart,“ sagte Simon, als sie auf den Flur traten. „Aber wie seid ihr überhaupt an Mietwagen herangekommen? Habt ihr denn schon Ausweise für euch?“
Daniel hielt ihm die Kreditkarte unter die Nase. „Ta-Dah!! Pass gut auf.“
Vor seinen staunenden Augen zerfloss die Karte und formte in Windeseile einen augenscheinlich echten deutschen Personalausweis. Einen Moment später zerlief er erneut in seine silberne Blankoform und bildete darauf einen der neuen scheckkartenförmigen Fahrausweise. Simon nahm ihn in die Hand und untersuchte ihn staunend.
„Der sieht völlig echt aus. Aber was ist das: Daniel Korben mit „K“?“
„Sieht doch halbwegs deutsch aus, der Name. Oder? Kein zu auffälliger, aber auch kein gewöhnlicher Maier-Müller-Schulz.“ Zufrieden nahm er den Ausweis wieder an sich.
In diesem Moment klingelte es an der Tür.
Alle sahen sich an.
„Rasch, packt alles zusammen, wir müssen hier weg. Wir haben zu viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen.“ Alex scheuchte Simon in sein Zimmer. In diesem Moment kam Natasha mit ihrem vollen Gepäck aus ihrem Zimmer.
„So, fertig! Wie, ihr habt noch gar nicht gepackt? Das hättet ihr euch doch denken können, dass wir so schnell wie möglich hier raus müssen. Oder nicht?“ Sie sah von einem zum anderen.
„Gut voraus gedacht. Hilfst du Karin und Caroline?“, fragte Abbey und ging gleichzeitig mit Simon im Schlepptau in sein Zimmer, um ihm zu helfen.
Daniel starrte Natasha an, das elektronische Äquivalent einer Fassungslosigkeit erfahrend. Wie konnte es sein, dass sie als normaler Mensch diesen strategischen Zug vorausgesehen und die entsprechende Maßnahme noch vor ihnen ergriffen hatte? Verdankte sie das wirklich ihrer natürlichen Begabung in diesen Belangen, die sie einst zu einer Führungspersönlichkeit im menschlichen Widerstand machen würden?
Als es nochmals klingelte, ging er zur Wohnungstür, bedeutete ihnen mit über die Lippen gelegtem Zeigefinger zu schweigen und lauschte kurz. Draußen auf dem Flur war niemand. Er hob den Hörer der Gegensprechanlage ab. Unten schien jemand das Knacken im Lautsprecher vernommen zu haben. „Hallo? Ist da jemand?“
Er schwieg und lauschte weiter.
„Hallo? Hier ist die Polizei. Bitte öffnen Sie die Tür, uns wurde eine Anzeige gemacht, dass Sie sich in dieser leer stehenden Wohnung aufhalten. Hallo? Machen Sie auf...“
Daniel hängte auf. „Wir müssen uns beeilen, jemand hat einen Streifenwagen gerufen. Mindestens ein Polizist steht unten vor der Tür.“
„Scheiße, schon wieder die Cops! Können die nicht mal auf Draht sein, wenn man sie braucht? Was machen wir denn jetzt?“ Natasha wurde sichtlich nervös.
„Nur die Ruhe. Lass uns erst einmal alles zusammenpacken und dann sehen wir, dass wir so rasch wie möglich hinaus kommen, am Besten ohne Kontakt mit den Ordnungshütern.“ Alex legte ihr seine gewaltige Hand auf die Schulter, was sie zu einem schiefen, tapferen Lächeln animierte.
Doch gerade als sie fertig waren und all ihr Gepäck im Flur zusammen getragen hatten, klopfte es an der Wohnungstür. Gedämpft war eine Stimme zu vernehmen: „Hallo, Polizei hier! Machen Sie sofort auf. Wir wissen, dass Sie da drin sind.“
„Ignorieren. Er hat keine Ahnung, dass wir hier sind; das Licht fällt nicht unter der Türschwelle hindurch und einen Türspion gibt es auch nicht, der Licht in den Flur lassen kann. Alex, die Abstellkammer. Zwölfter Stock, aber so leise wie möglich und halte den Durchmesser klein“, wies Abbey ihren Kollegen an.
„Was meint ihr mit...?“ wisperte Caroline; weiter kam sie nicht. Voller Erstaunen beobachtete sie mit den anderen drei Menschen, wie Alex die Tür zur etwa zwei mal einen Meter messenden Kammer öffnete, sich an der Türschwelle niederkniete und beide Hände mit ausgespreizten Fingern in den Boden rammte. Mit ungeheurer Kraft, aber doch vorsichtig zog er und riss den Boden auf fast einem Quadratmeter Fläche auf. Nach drei weiteren Handgriffen befand sich ein Loch zur Besenkammer im Stockwerk unter ihnen im Boden. Durch dieses ließ sich der Cyborg hinab und fegte das Gerümpel in der Kammer darunter mit einer beiläufigen Bewegung auf die andere Seite, bevor er vorsichtig die Tür zum Flur hin öffnete, um sicher zu gehen, dass die Bewohner dort fest schliefen. Wieder kniete er auf der Schwelle zum Flur und bearbeitete den Boden mit bloßen Händen, bis er Zugang zum Raum darunter hatte. Dann schloss er die Tür wieder, knipste das Licht an und ließ sich in den zwölften Stock hinab. Auch hier prüfte er, ob sein Tun vom Bewohner unbemerkt geblieben war.
„Ihr könnt kommen.“ Auf Alex’ knappe Zusage hin verschwand Abbey im Loch und Daniel begann sofort, in kürzester Zeit alles Gepäck nach unten durchzureichen. Dann schnappte er sich Natasha und ließ sie vorsichtig an Händen haltend nach unten. Abbey griff sie an den Knöcheln und hob sie mühelos von oben hinab, bis ihre Füße den Boden berührten. Erstaunt über diesen spielerischen Kraftakt, ging ihr zum ersten Mal bildlich auf, dass sie kein Mensch war. Jeder Mensch hätte sich bei so einer Übung die Handknöchel gebrochen und wäre wegen des Hebeleffektes vornüber gekippt. Aber wenn sie wirklich über drei Zentner wog, war das natürlich kein Problem.
Ohne zu Zögern fasste sie Natasha nun ihrerseits an den Händen und ließ sie hinab, wo Alex sie in Empfang nahm und ebenso sanft zu Boden ließ. Sie stolperte aus der Kammer heraus über ihren Berg an Gepäck in den dunklen Flur der Wohnung im zwölften Stockwerk. Zaghaft lauschte sie, ob sich irgendetwas in einem der anderen Räume regte, als auch schon Karin zu ihr trat, nur wenige Sekunden später gefolgt von Simon, der ebenfalls von der Drastik und dem Tempo der ganzen Aktion etwas verdattert schien. Von der nackten Glühlampe, die in der Kammer im Stock über ihnen an der Decke baumelte, fiel etwas indirektes Licht zu ihnen. Nun gab es offenbar einige Sekunden der Diskussion, wonach Alex und dann überraschend Abbey und Daniel erschienen. Bevor sie etwas sagen konnten, sahen alle Carolines Beine im Loch in der Decke der Kammer erschienen, für einige Sekundenbruchteile baumeln und dann ihren ganzen Körper in einer fließenden Bewegung nach unten gleiten. Sie hielt sich noch kurz am Rand der durchbrochenen Decke fest und kam dann katzengleich abfedernd mit einem dumpfen Geräusch auf. Ohne Mühe richtete sie sich wieder auf, rückte ihre Brille zurecht und bemerkte betont gleichgültig: „Sechs Jahre Geräteturnen.“
„Sie hat nur gesagt, sie würde sich doch nicht wie einen Sack Kartoffeln durch ein Loch im Boden werfen lassen“, kommentierte Daniel grinsend.
„Ach, und wie nennst du mich dann?“ wollte Natasha leise wissen.
„Lass’ mich nachdenken... einen Sack Kartoffeln?“ gab die junge Elsässerin frech zurück. „Ich meine, du siehst ja eigentlich ganz okay aus, aber Radfahren in Freiburg ist kein Sport, das macht jeder dort.“
„Für diese Unverschämtheit wirst du Latrinen schrubben, Rekrut“, zischte sie ihr zu, ihr Grinsen war im Halbdunkel aber doch deutlich sichtbar.
Die beiden Polizisten waren am verzweifeln. Sie hatten den Nachbarn in der Nebenwohnung, der nach der telefonischen Meldung einfach wieder ins Bett gegangen war, kurzerhand nochmals aus selbigem heraus geklingelt, da niemand auf das Läuten antwortete. Nach einigem hin und her öffnete der mürrische Bürger pflichtschuldig die Eingangstür, worauf der eine Beamte sofort mit dem Lift hinauf fuhr und der zweite sich vor dem Treppenhaus postierte. Nach mehreren Minuten meldete sich der erste über Funk: „Oben macht keiner auf. Entweder sind die schon getürmt oder sie stellen sich tot. Wohnt der Hausmeister im Haus?“
Ja, hier im Erdgeschoss“, bestätigte sein Kollege im Parterre nach einem erneuten Blick auf die Klingelschilder.
„Dann muss der wohl doch ran. Na ja, wir hätten ihn ja vorhin schon fast aufgeweckt, um die Haustür zu öffnen. Er soll den Generalschlüssel mitbringen und hoch in den vierzehnten kommen.“
Der Hausmeister erwies sich als ebenso mürrisch wie der Nachbar, nachdem er um vier Uhr morgens geweckt wurde, um sich mit Morgenmantel, Hausschuhen und Schlüsselbund bewehrt in den Lift zu trollen. Der unten stehende Polizist wartete geduldig, bis die nächste Funkmeldung kam. „Keine Einbruchsspuren vorhanden. Im Inneren ebenfalls keine eindeutigen Spuren, die auf die Anwesenheit unbefugter Personen deuten. Auf den ersten Blick sieht’s wie falscher Alarm aus. Vielleicht hat nur jemand der anderen Nachbarn eine Party gefeiert oder den Fernseher zu laut gehabt. Bist du sicher, dass du gehört hast, wie jemand vorhin den Hörer der Sprechanlage abgenommen hat?“ In die Abstellkammer hatte der Polizist nur einen flüchtigen Blick durch den Türspalt geworfen, ohne Licht zu machen oder zum Boden zu sehen.
„Bei dem alten Ding? Nee, das könnte alles Mögliche gewesen sein. Das knackt doch schon bei Südwind.“
„Okay, okay. Ich glaube, ich läute den Herrn mit der Anzeige nochmals wach, um direkt seine erste Aussage aufzunehmen.“
„Sehr gut. Dann weiß der wenigstens, was er davon hat, uns und den armen Hausmeister wegen nichts und wieder nichts um diese unchristliche Stunde zu behelligen. Ich bleib hier jedenfalls auf Posten, da kommt niemand rein oder raus, ohne dass ich’s mitbekomme.“
Eine halbe Stunde später zog der Polizist aus der vierzehnten Etage ab.
Und fünf Minuten darauf öffneten sich im zwölften Stockwerk zwei Wohnungstüren. Sie hatten festgestellt, ob in den betreffenden Apartments neben dem, durch das sie in diese Etage gelangt waren, alles ruhig und dunkel war und hatten sich dann auf diese zwei Wohnungsflure verteilt, um so das Risiko von versehentlicher Lärmerzeugung kleiner zu halten. Nachdem sie keine Aktivität des Lifts mehr festgestellt hatten, war zunächst Abbey aus einer der Wohnungen geschlüpft und hatte von einem der Balkone im Treppenhaus auf einem Absatz zwischen zwei Etagen hinabgespäht. Sie hatte Glück und sah gerade noch den unvermeidlichen Mercedes C-Klasse-Touring im Trimm der Ordnungshüter abfahren.
Sie nahmen dennoch das Treppenhaus, um keine weitere Aufmerksamkeit mehr zu erregen. Die größte Vorsicht ließen sie in der Eingangshalle walten, da die Terminatoren noch Licht unter der Türschwelle der Hausmeisterwohnung feststellten.
Alles ging gut und sie verließen den Schutz des Vordachs, um ihre Autos am entfernten Ende des Parkplatzes anzusteuern. Daniel wies sie an: „Die beiden Mini-Vans dort vorne sind es.“
„Oh, vornehm geht die Welt zu Grunde“, bemerkte Simon und erntete dafür einen fragenden Blick von Caroline, die diese Redewendung nicht zu verstehen schien.
Natasha zischte ihm zu: „Tolles Sprichwort kurz vor einem Atomkrieg. Gut gemacht, Simon, Fettnäpfchen sauber in der Mitte getroffen.“
Er sah sie betreten an und verzog das Gesicht. „Uuups! Ist mir so rausgerutscht, sorry!“
„Das sind aber wirklich tolle Autos. Ein Renault Espace und ein Chrysler Voyager.“ Simon ging sofort auf das amerikanische Automobil zu, in der Absicht, sich in diesem nieder zu lassen.
„Beide in der Langversion. Nun, angesichts der Transportkapazitäten, die wir benötigen, schien das angemessen. Beide haben bei voller Bestuhlung noch einen recht ansehnlichen Kofferraum. Außerdem haben sie moderne Diesel-Direkteinspritzer, sind somit kräftig und sparsam. Jetzt fahren wir aber erst mal zum Rasthof und trinken noch einen Kaffee, damit wir besprechen können, wie es nun weiter gehen wird. Wir sind ja jetzt auf Grund der Umstände etwas früh dran, aber eigentlich macht das nichts. Die Autos sind sehr bequem, ihr könnt euch noch während der Fahrt ausruhen.“
Carolines Blick fiel auf Alex, als sie in den amerikanischen Van stiegen. „Alex, du hast dich verletzt. An deinen Fingern ist Blut.“
„Das ist unerheblich. Wir müssen unverzüglich diesen Ort verlassen, das hat Priorität.“
„Das mag sein, aber du musst verbunden werden. Oh, das sieht nicht gut aus.“ Sie nahm seine Fingerspitzen in Augenschein, die vom Aufreißen der beiden Böden im Haus fast alle schwer mitgenommen waren. Bei einigen waren die Nägel eingerissen oder abgebrochen, bei den Zeigefingern schimmerte sogar das metallene Endoskelett durch.
Caroline holte den Erste-Hilfe-Koffer aus dem Fach im Kofferraum, während die anderen das Gepäck einluden, setzte sich mit Alex hinten in den Chrysler und versorgte die einzelnen Wunden provisorisch. Sie war damit auch noch beschäftigt, als sie bereits auf dem Weg zur Autobahn waren. Als sie alles oberflächlich gesäubert und verbunden hatte, waren sie bereits am Ziel. Zufällig fanden sie im Shop ein Paar Handschuhe, die groß genug waren, um seine Hände zu verdecken. Das musste vorerst reichen.
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Raststätte Breisgau, Freiburg-Süd, Deutschland 5. Juli 2004
Außer ihnen waren nur noch ein paar übermüdete Fernfahrer und einige ausländische Ferienreisende unterwegs, welche die ganze Nacht durch in den Urlaub fuhren. So konnten sie sich abseits der anderen Gäste in einer der großzügig bemessenen Sitzgruppen niederlassen. Bis auf Caroline, die Espresso trank, saßen alle Menschen mit einem großen Milchkaffee vor sich am Tisch und warteten auf das, was jetzt kommen würde.
Wie erwartet redeten sie nicht lange herum, sondern kamen direkt zur Sache. Abbey erklärte mit ernster Miene: „Die Mission erfordert, dass wir uns für einige Tage aufteilen und dann am Zielort wieder treffen. Daniel wird im Laufe des Tages von der einen Gruppe an der ersten Zwischenstation abgesetzt, wo er allein mit einem Wagen zum Zielort fahren, ein Safehouse anmieten und dieses für unsere Ankunft vorbereiten wird.“
„Safehouse?“ echote Simon.
“Das ist die Bezeichnung, die uns für unsere Unterkunft genannt wurde. Falls ihr keine andere Bezeichnung wünscht, werden wir diese beibehalten“, führte Alex sachlich aus.
Natasha winkte ab: „Ja, schon gut. Und wie werden wir aufgeteilt?“
Abbey lobte: „Diese Frage spricht für dein strategisches Verständnis; darauf wollten wir gerade kommen. Die erste Gruppe besteht aus Simon, Karin und mir und nimmt den Renault. Wir fahren zunächst nach Zürich, wo wir die erste Zielperson aufnehmen. Die zweite ist in Karlsruhe beheimatet, die dritte in Köln und die vierte in Bremen. Von dort aus geht es dann für uns weiter zum Safehouse. Alex, Natasha und Caroline fahren im Chrysler zuerst nach Frankfurt am Main, wo Daniel am Flughafen abgesetzt wird; dort gibt es ein ganzes Bündel von Mietwagenniederlassungen. Die erste Zielperson findet sich ebenfalls in Frankfurt, die zweite in Erfurt und die dritte in Hamburg. Wenn wir beide gleichzeitig starten und keine unvorgesehenen Schwierigkeiten auftreten, wird Alex’ Gruppe eine Weile vor uns am Zielort ankommen.“
Zaghaft wollte Simon wissen: „Von welchen ‚Schwierigkeiten’ sprechen wir?“
Alex Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Die Zielperson ist schwer oder nicht auffindbar. Die Zielperson hält sich lange Zeit an öffentlichen Orten auf und ist so unzugänglich für uns. Die Zielperson hält sich nie alleine an einem zugänglichen Ort auf. Die Zielperson macht Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme. Einer der Terminatoren lokalisiert und terminiert ihn, bevor wir ihn erreichen können. Einer der Terminatoren verfolgt uns nach der Kontaktaufnahme, um unseren Verbleib und damit unser Safehouse zu lokalisieren. Einer der...“
Als Alex sah, dass die vier jungen Menschen irgendwann zwischen seiner Aufzählung der vorletzten und letzten Möglichkeit kreidebleich geworden waren, entschied er sich dafür, die Litanei abzubrechen. Stattdessen sah er zu Daniel hinüber, der daraufhin das Wort ergriff: „Nun, es wird sicher nicht leicht werden und ich fürchte auch, dass nicht alle der Zielpersonen so einfach zu überreden sind wie ihr. Wir werden die eine oder andere bestimmt wohl oder übel zu ihrem Glück zwingen müssen. Nach Möglichkeit werden wir das ohne eure Hilfe tun, doch es könnte auch erforderlich sein, dass ihr uns in der einen oder anderen Hinsicht etwas assistieren werden müsst.“
„Das klingt ja alles sehr vage und vorsichtig formuliert. Was soll das denn konkret heißen? Dass ich vielleicht einem verängstigten heulenden Jungen eine Knarre unter die Nase halten muss, um ihn in Schach zu halten, so wie Alex Numero Eins es mit mir gemacht hat?“ Mit finsterem Blick sah Caroline Daniel in die Augen.
„Unter Umständen auch das“, räumte er ein.
„Das mach’ ich. Cool“, sagte sie nur mit todernstem Gesicht, worauf allen anderen Menschen unisono die Kinnlade herunterklappte. Als Natasha etwas zu Karin flüsterte, dabei ihren Zeigefinger auf der von Caroline abgewandten Seite ihrer Schläfe in der Luft kreisen ließ und damit einen ziemlich sauren Gesichtsausdruck bei der Gemeinten erzeugte, beschloss Abbey schnell fortzufahren. Diese kleinen Querelen mussten irgendwann aufhören, am besten bevor sie zu großen wurden.
„Simon fiel unvermittelt ein: „Wie koordinieren wir uns eigentlich zeitlich?“
„Leider gar nicht. Wir dürfen weder unsere internen Funkkommunikatoren noch eure Mobiltelefone benutzen. Keinesfalls, hört ihr? Nur zwei der Terminatoren würden genügen, um einen von uns anzupeilen, wenn wir unsere Funkgeräte benutzen würden. Die Mobilfunknetze haben sie garantiert angezapft und die Überwachungsautomatismen der Bundesbehörden ebenfalls. Ihr könntet keine zwei Sätze miteinander wechseln, ohne mindestens ein halbes Dutzend Worte zu gebrauchen, auf die diese Abhörstationen von den verdeckten Subprogrammen der T-880 programmiert sind.“
Natasha schüttelte nur ungläubig den Kopf. „Daniel, was du da erzählst, gibt es gar nicht. Das sind nur die Hirngespinste von ein paar verrückten Verschwörungstheoretikern.“
„Meinst du?“ Daniels Miene war so ernst, dass Natasha betreten schwieg.
„Wenn wir alle beim Safehouse angekommen sind, beginnen wir unverzüglich, Vorräte anzulegen und uns auf die mit Sicherheit härteste Zeit eures Lebens vorzubereiten. Es wird eine Zeit der Entbehrungen und der Leiden werden, aber wir werden sie überstehen.“
„Das klingt nicht sehr verheißungsvoll“, gab Karin mit ernüchtertem Gesicht von sich.
„Wir werden euch sicherlich keine falschen Versprechen machen. Ihr werdet es vielleicht schwer haben, aber wir haben zumindest den Vorteil, dass wir vorbereitet sein werden. Andere trifft das alles aus heiterem Himmel. Unzählige werden sterben, noch viel mehr aber werden sich ohne Vorwarnung mit einer Welt konfrontiert sehen, in der es keinen Strom und kein fließendes Wasser mehr gibt, geschweige denn Supermärkte, in denen man täglich unbeschwert frische Lebensmittel und sämtliche Gebrauchsgüter einkaufen können wird. In dieser Welt werden zunächst Anarchie herrschen, jeder wird sich selbst der Nächste sein, der Stärkere wird sich vom Schwächeren nehmen, was er will und der Ruf nach Einigkeit und Vernunft wird lange Jahre ungehört verhallen, bevor die Menschheit als Ganzes von einem noch grausameren und unbarmherzigeren Feind überrascht werden wird. Die natürliche Reaktion wird der Zusammenschluss aller Menschen gegen die Bedrohung durch die Maschinen sein, doch die überlebenden Menschen werden sich bis dann schon selbst ordentlich gegenseitig dezimiert haben.“
Simon war sehr nachdenklich geworden bei Abbeys Worten. „Weißt du, wenn man dir so zuhört, bekommt man den Eindruck, wir hätten das verdient, was uns zustoßen wird. Wir Menschen, meine ich.“
„Das darf man nicht so negativ sehen. Ich gebe nur die Tatsachen aus einer historischen Perspektive wider, wie ich sie eingegeben bekommen habe“, versuchte sie darauf das Gewicht ihrer Worte abzuschwächen.
„Lassen wir das lieber. Die größte Begabung des Menschen ist schließlich immer noch das Verdrängen von unangenehmen Tatsachen.“
„Ein wahres Wort gelassen ausgesprochen, liebe Karin. Aber eigentlich wollten wir gleich losfahren und euch während der Fahrt weiter briefen, denn der Zeitfaktor ist natürlich ganz entscheidend bei der Mission. Wir haben den großen Vorteil, dass alle Zielpersonen nicht über amtliche Aufzeichnungen direkt zugänglich sind, da sie alle in speziellen Verhältnissen leben, zum Beispiel in WGs oder Studentenheimen und so weiter. Die T-880 können das nicht wissen, wir aber schon, weil wir die Daten direkt vom Widerstand erhalten haben. Nicht alle sind genau, aber genau genug, um Anhaltspunkte zu haben. Die Attentäter hingegen müssen sich alle ohne diese Daten durch beißen. Wäre das nicht so, wären die Zielpersonen alle schon tot. Und ihr übrigens auch.“
Bei den letzten Worten von Daniel mussten einige am Tisch schwer schlucken. Karin hakte noch nach: „Aber wenn der Zeitfaktor so entscheidend ist, wie du sagst, warum haben wir dann fast einen Tag hier herumgehangen und vergeudet? Wir hätten die ersten Leute auf unserer Route doch auch schon am Sonntag aufsammeln können, oder nicht?“
Daniel antwortete lapidar: „Ich fürchte nicht. Den eigenen Angaben der Zielpersonen waren sie zu dieser Zeit... nun, äußerst aktiv und vor allem am Wochenende nur selten daheim anzutreffen. Somit hätten wir also unsere Zeit nur mit Warten verbracht, bis sie in ihren normalen Wochenrhythmus zurückgefunden hätten und daheim oder auf ihrer Arbeitsstelle anzutreffen gewesen wären.“
„Klingt einleuchtend“, räumte Natasha ein, „wäre bei mir auch nicht anders gewesen.“
Alex stand auf und sagte: „Lasst uns aufbrechen. Ihr könnt euch auf der Fahrt ein wenig ausruhen. Nach Zürich sind es zwei, nach Frankfurt etwa drei Stunden Fahrt bei freier Straße.“
So erhoben sich alle und verließen den Tisch, der allmählich vom ersten fahlen Zwielicht der Vordämmerung schwach erhellt wurde.
Raststätte Pratteln, A2 bei Basel, BL, Schweiz 5. Juli 2004
Sie hatten hinter Basel eine kurze Rast eingelegt, da sie vor dem Autobahnzoll von dem alltäglichen LKW-Stau eine Weile aufgehalten worden waren und an der Grenze dann noch eine Autobahnvignette fürs Schweizer Fernverkehrsnetz erstehen mussten. Simon und Karin waren kurz in der mit unansehnlichem gelben Kunststoff verkleideten Passarelle verschwunden, die beide Fahrtrichtungen überspannte und die Tankstellen beider Seiten miteinander verband. Frisch gemacht setzten sie ihre Fahrt dann fort, nahmen die Autobahn nach Zürich und durchquerten so das nördliche Schweizerische Mittelland.
Während die saftigen Kuhweiden und mit Tannenwäldern bewachsenen sanften Hügel des Fricktales mit den vorgeschriebenen einhundertzwanzig Stundenkilometern an ihnen vorbei zogen, informierte Abbey Simon und Karin über ihre erste Zielperson. „Sie heißt Silke Faber, studiert in Zürich an der Universität Medizin im zweiten Semester und wohnt in einem Vorort namens Affoltern in einer WG.“
„Aff foltern? Ist das ein Synonym für ‚Primaten quälen’?“ wollte Simon mit breitem Grinsen wissen.
„Was ist nur mit deinem Humor passiert, Simon? Dass es so schlimm um dich steht, war mir nicht bewusst. Du hast jedenfalls mein volles Mitgefühl.“ Abbey warf ihm einen amüsierten Seitenblick zu, bevor sie fortfuhr. „Wie dem auch sei, um diese Zeit wird sie noch selig im Bettchen liegen und schlummern.“
„Was lässt dich glauben, dass sie überhaupt daheim ist? Meines Wissens nach endet das Semester in der ganzen Schweiz jedes Jahr um die gleiche Zeit, nämlich Ende Juni. Es sind also bereits Sommerferien in Zürich“, führte Karin aus.
„Wie bereits erwähnt, haben wir die fraglichen Informationen von den betreffenden Personen selbst oder von engen Freunden und Verwandten, was für ihre Verlässlichkeit spricht. Schließlich wollen sie zuerst von uns gefunden werden, nicht von den Attentätern. Jeder Mensch auf der Welt wird sich für den Rest seines Lebens daran erinnern, wo er in der letzten Zeit vor dem Atomkrieg war oder was er gemacht hatte. Das verbindet euch alle.“ Abbey sah beständig geradeaus und konzentrierte sich auf den Verkehr, der langsam zunahm, je später es wurde und je näher sie der größten Stadt der Schweiz kamen. Ein wenig Frühnebel lag hin und wieder in einer Senke abseits der Straße.
„Gut, sie ist also zu Hause, trotz Ferien, vielleicht um noch eine Hausarbeit zu machen oder einen Ferienjob in der Stadt anzutreten“, mutmaßte Karin weiter.
„Und was noch besser ist: sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine, weil ihre WG-Kollegen schon im Urlaub oder daheim auf Familienbesuch sein könnten.“
„Und was heißt das für uns?“ fragte Simon verständnislos.
„Ich werd’s euch erklären...“
Affoltern, ZH, Schweiz 5. Juli 2004
Schlagartig wurde Silke wach und tastete nach ihrer Brille auf dem Nachttisch. Sie hörte im Flur Geräusche, die sich eindeutig nach klapperndem Geschirr und anderem Frühstücks-Vorbereitungslärm anhörten und folglich aus der Küche kommen mussten. Waren Ruedi und Ueli etwa unerwartet zurückgekehrt?
Sie schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in ihre Sandalen, während sie die runden Gläser ihrer Brille mit einem Zipfel ihres weißen Nachthemdes putzte und sie dann aufsetzte. Hatte Ruedi seinen Flug nach New York nicht erwischt? Aber das war vorgestern gewesen! Er hätte zumindest angerufen, dass er wieder heimkommen würde, da war sie sich sicher.
Oder hatte Ueli seinen Ferienjob in Genf geschmissen? Aber er hatte sich doch so darauf gefreut...
Als sie auf den hell gefliesten Gang der Altbauwohnung trat, sah sie geradeaus auf die Küche am Ende des Flurs, in der drei ihr völlig unbekannte Personen emsig vor sich hin werkelten. Sie deckten den Tisch für drei Personen, kochten Kaffee, packten Brötchen sowie Croissants aus und räumten Marmelade, Käse, Wurst und Nutella auf den Tisch.
„Wer... wer seid ihr?“ fragte sie noch immer im Halbschlaf und völlig baff.
Abbey sah auf und lächelte sie an. „Oh, sorry, mir hänn di no nöd wälle uffwägge.“
Nachdem Simon und Karin sie nur blöd anstarrten, beschloss Abbey, für den Rest des Gesprächs auf Schwyzertüütsch zu verzichten und fuhr fort. „Du musst wirklich entschuldigen; das kommt dir sicher alles höchst seltsam vor. Wir wollten nur kurz Frühstück für uns alle machen, bevor wir aufbrechen, aber wir haben wirklich nur sehr wenig Zeit. Beeilst du dich bitte?“
Silke wich langsam Schritt für Schritt zurück. „Gaaanz langsam. Wer seid ihr Typen überhaupt? Freunde von Ueli oder Ruedi?“
Simon schüttelte den Kopf, lächelte sie aber ebenfalls offen an. „Nein, wir kennen keinen der Beiden.“
„Ist das ‚versteckte Kamera’ oder so?“ Nervös und unsicher sah sie sich nach irgendwelchen ungewöhnlichen Dingen irgendwo unter der sehr hohen Zimmerdecke mit Stuckrand um, während sie einen weiteren Schritt nach hinten machte.
„Es ist schwierig zu erklären, aber wir müssen darauf bestehen, dass du dich jetzt anziehst, eine Tasche oder einen Koffer mit Kleidung packst und mit uns mitkommst. Wir müssen schnell von hier weg, da du dich in Lebensgefahr befindest.“
„Waaas? Spinnst du? Macht lieber auf der Stelle, dass ihr hier verschwindet! Ihr habt hier nichts zu suchen.“ Sie sprang mit einem langen Satz nach hinten in ihr Zimmer und schlug die alte Holztür hinter sich zu. Mit vernehmbarem Knirschen drehte sich ein Schlüssel im Schloss. „Ich habe ein Natel im Zimmer, damit rufe ich jetzt die Polizei; dann werden wir ja sehen, wer hier wohin geht.“
„Was ist ein Natel?“ wollte Karin wissen, während sie ratlos zur Zimmertür des Mädchens ging und probeweise die Klinke drückte.
Abbey trat ebenfalls dazu, rieb sich die Schläfe kurz und erklärte: „Der schweizerische Ausdruck für ein Mobiltelefon. Nur keine Sorge, ich störe bereits den Netzempfang mit meiner Kommunikationsausrüstung. Warum machen es uns alle nur so schwer?“
Sie bückte sich und fuhr mit den Fingern unter der hohen Schwelle der alten Tür hindurch, dann hob sie die gesamte Tür an, bis sie aus den Angeln gehoben war und langsam nach innen ins Zimmer kippte, nachdem sie aus dem Schloss herausgezogen war. Während Silke entsetzt aufschrie, fing Abbey die Tür elegant an der Klinke auf und stellte sie beiseite. „Bitte hör uns zu, Silke, wir wollen dir wirklich nichts tun. Im Gegenteil, ich bin dafür abgestellt, dich zu beschützen, denn du schwebst in Lebensgefahr. Jeden Moment, den wir länger hier bleiben, vergrößert das Risiko eines Anschlages auf dein Leben. Verstehst du, was ich dir sage?“
„Bleib mir vom Leib!“ schrie sie und zeigte mit der Hand, in der sie ihr Mobiltelefon hielt, auf sie. Abbey indes lehnte sich lediglich etwas vor und schnappte mit einer unmenschlich schnellen Bewegung das Gerät aus ihrer Hand.
„Ein Nokia. Das brauchst du nicht mehr.“ Sie drückte kurz zu und verwandelte das Handy unter lautem Knacken und Splittern in einen sehr kleinen und sehr teuren Haufen Abfall.
Silkes Augen weiteten sich angesichts dieser Kraftdemonstration. Sie hob beide Hände mit ausgestreckten Fingern und den Handkanten nach vorne. „Pass lieber auf, ich kann Karate.“
Simon brannte sich dieser Anblick ins Gedächtnis, wie die etwa Zwanzigjährige mit ihrer braunen zerzausten Lockenmähne sie aus dunklen Augen ernst ansah, was gar nicht zu ihr zu passen schien. Ihr Gesicht war eigentlich rundlich und sie hatte eine etwas große Nase und den Anflug von Pausbäckchen, was sie eher freundlich wirken ließ, aber wie sie da nur mit ihrem Nachthemd in Kampfhaltung mit ihren über 1,80 m und ihrer kräftigen Statur vor ihnen posierte, machte sie einen sehr imposanten Eindruck. Dabei wirkte sie gar nicht dick, doch sie hatte einige Kilogramm Körperfett, die jedoch ausschließlich an vorteilhaften Stellen verteilt waren. Simon fiel nur noch der Begriff ein, der ihm auch in Verbindung mit Abbey in den Sinn gekommen war: Amazone.
Die beiden Amazonen standen sich also gegenüber und musterten sich. Abbey legte so viel beruhigende Wirkung wie möglich in ihre Stimme, als sie eine Bemerkung machte, die wie aus Douglas Adams’ Feder klang: „Bitte lass uns das friedlich lösen. Ich möchte nicht, dass du dich verletzt. Wir können über alles reden, auch wenn sich das meiste davon total irre und unglaubwürdig in deinen Ohren anhören wird.“
„Geh mir aus dem Weg“, gab sie mit leiser, gefährlicher Stimme zur Antwort.
Als Abbey sich nicht rührte, machte sie eine ausholende Bewegung mit rechts, was Abbey zu einem ausweichenden Ansatz veranlasste. Gleichzeitig ließ Silke ihre linke Handkante auf die Seite von Abbeys Hals herabsausen, was diese normalerweise wie einen Baum gefällt hätte. Natürlich war das nicht der Fall; Silke traf einen der Hydraulikzylinder unter dem Schlüsselbein Abbeys und schrie gepeinigt auf, sich die schmerzende Hand haltend. Abbey nutzte ihre Chance, um mit gestreckten Armen unter Silkes Achseln zu fahren und ihre Widersacherin anzuheben wie ein Gabelstapler, der eine Ware in die Höhe hebt.
Erstaunt starrte die junge Schweizerin sie an, wohl wissend, dass hier etwas nicht stimmte. Sie packte einen Daumen von Abbey und drehte ihn mit aller Kraft nach hinten, so dass er bei einem Menschen gebrochen wäre. Als jegliche Reaktion von ihr ausblieb, trat und schlug sie genauso ergebnislos nach ihr, bis sie sich verausgabt hatte und schweratmend wissen wollte: „Was ist hier los? Wer bist du?“
„Es wird schwer zu glauben sein, aber ich bin kein Mensch. Ich bin ein Cyborg aus der Zukunft.“
Das tat seine Wirkung. Sie wurde prompt ohnmächtig und ihr Körper erschlaffte in Abbeys Griff, worauf sie das Mädchen sanft auf ihr Bett gleiten ließ. „Das kostet alles zu viel Zeit. Wenn wir das Frühstück nicht ausfallen lassen wollen, müsst ihr mit anpacken. Karin, fang schon mal an, geeignete Kleidung von ihr in eine Reisetasche zu packen. Und lege ihr auch schon etwas ins Bad raus, das sie dann gleich anziehen kann.
Ich trage sie rüber ins Badezimmer und mache sie frisch. Vielleicht ist sie jetzt etwas aufnahmefähiger. Simon, beende die Vorbereitungen fürs Frühstück. Und hör auf, sie so anzustarren.“
„Was denn? Bin ja schon weg.“ Peinlich berührt suchte Simon darauf das Weite.
„Warum glaubt uns am Anfang nur keiner? Kann ich gar nicht verstehen“, witzelte Karin beim Durchforsten des Kleiderschrankes nach wärmeren Pullovern.
Keine zehn Minuten darauf saßen alle am Tisch bei Kaffee, Saft, Brötchen und Hörnchen, außer Abbey, die mit über der Brust gekreuzten Armen am Türrahmen der Küche lehnte, für den Fall der Fälle.
Für den Augenblick hatte Silke sich offenbar in ihr Schicksal gefügt, vielleicht auch nur, weil sie das Ganze noch für einen Trick oder ausgeklügelten Gag halten mochte. Für die anderen spielte das keine Rolle, solange sie nur kooperierte, bis sie sicher im Auto saßen.
„Gibst du mir bitte ein Gipfeli?“ fragte sie Simon und deutete gleichzeitig auf das Körbchen mit den Hörnchen, worauf sich seine fragende Miene schlagartig erhellte und er ihrer Bitte nachkam. Indes wollte sie an Abbey gewandt wissen: „Isst du nichts?“
„Oh, danke nein, ich habe schon gestern eine Kleinigkeit gehabt.“
Auf Silkes ungläubiges Starren hin raunte Simon ihr zu: „Ihr Organismus braucht nur geringste Mengen an Nahrung, um sich zu erhalten, verstehst du? Im Prinzip ist ihr organischer Teil nicht viel mehr als eine lebende Gewebehülle mit einigen winzigen Organen, irgendwo zwischen all die Mechanik im Inneren reingequetscht.“
„Ja, wenn sie nur ein kleines Glas Flüssigkeit trinkt, muss sie sofort pinkeln gehen, so klein ist ihre Blase“, fiel Karin dazu ein.
Ihr Grinsen wurde noch breiter, als Abbey aus dem Hintergrund ungnädig feststellte: „Das habe ich gehört.“
Zufrieden kauend meinte Silke: „Und ihr glaubt wirklich, ich nehme euch diesen ‚Schyssdräckch’ ab?“
„Denk was du willst, aber komm einfach mit. Du wirst es im Lauf der Zeit schon selbst merken, dass das kein... Unsinn ist.“ Karin sah ihr tief in die Augen, worauf sie aufhörte zu kauen. „Was meinst du wohl, wie es uns am Anfang erging? Wir waren wochenlang zu nichts zu gebrauchen, nachdem wir die Wahrheit erfahren hatten, aber das waren eigentlich ganz andere Umstände. Du hast den Luxus leider nicht, lange zu zögern und zu zaudern. Es tut mir leid für dich, aber es ist nun mal nicht zu ändern.“
„Ihr seid allesamt beknackt, das ist euch doch klar?“
Abbey referierte: „Wenn du glauben würdest, wir wären verrückt, würdest du es uns nicht so offen ins Gesicht sagen, da jeder weiß, wie gefährlich es sein kann, einem Irren zu sagen, er sei irre. Na?“
Silke blickte zu Boden und sagte nichts mehr. Sie nahm ihre Brille ab, putzte nervös ihre Gläser mit dem Rand des Tischtuches und trank ihren Milchkaffee in einem letzten großen Zug aus, bevor sie die schwere Tasse geräuschvoll auf den Tisch knallte. „Na toll. Ich bin fertig. Worauf warten wir noch? Wir sind hier in höchster Gefahr. Nichts wie weg!“
Die anderen sahen sich alle zweifelnd an, ob sie jetzt nur verschaukelt worden waren, ließen dann aber zur Überraschung ihres Schützlings alles stehen und liegen, nahmen ihre Tasche auf und brachen auf. Simon hatte noch sein mit Konfitüre bestrichenes Hörnchen in der Hand und kaute, bis sie unten auf der Straße waren.
Unten auf der Straße fiel ihm erstmals auf, dass überall auf dem Trottoir Konfetti in Rot und Weiß sowie vereinzelt leere Sektflaschen lagen und fast aus jedem zweiten Fenster eine Schweizer Flagge heraushing. Mit gerunzelter Stirn kommentierte er: „Ist euch das eigentlich aufgefallen, dass es hier aussieht wie nach einer Riesenfeier?“
Beim Einsteigen sah Silke über die Schulter und gab zurück: „Sagt bloß, ihr habt vor lauter Daseinskampf nicht einmal das Ergebnis der Fußball-Europameisterschaft gestern mit bekommen?“
„Nein, wir waren tatsächlich...“ Er brach ab und seine Gesichtszüge entgleisten. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
Die junge Schweizerin grinste ihn bis über beide Ohren an.
Karin lamentierte: „Und du glaubst nicht an die Existenz von Kampfmaschinen aus der Zukunft! Das in einer Welt, in der ihr Europameister geworden seid! Wenn dich das nicht überzeugt, was dann?“
„Hey, unsere Elf hat phantastisch gespielt!“, entrüstete Silke sich darauf beim Anschnallen und funkelte Karin zornig an.
„Wer war euer Gegner? Andorra? Die Färöer-Inseln?“
Als sie ihren großen Wagen aus der Parklücke direkt vor der betreffenden Haustür ausparkten und losfuhren, war noch relativ wenig Verkehr im Wohnviertel, in dem sie sich hier befanden. Am Ende der Straße kam ein Stopschild, wo sie etwas länger warten mussten, um links auf die Vorfahrtsstrasse abbiegen zu können. Abbey sah im Rückspiegel, dass ihr Platz bereits von einem anderen Auto eingenommen war.
Aus diesem stieg sie aus.
Ihr Kopf schnellte herum, was bei den anderen ähnliche Reaktionen auslöste. Mit mehreren Keuchlauten sahen die anderen, wie eine junge Frau in einem schwarzen Hosenanzug und einem leuchtendroten Pferdeschwanz ihren Mercedes abschloss und um die Fahrzeugfront herumging, eine riesige Sporttasche tragend.
„Abbey, wie kann das sein? Das... das bist du! Du hast einen eineiigen Zwilling oder etwas in der Art! Oder...“ Karin sah sie hilfesuchend an, während die anderen noch immer mit erschütterten Mienen beobachteten, wie Abbeys Ebenbild an der Haustür rüttelte, dann plötzlich den herausgerissenen Türgriff in der Hand hielt und achtlos zu Boden warf. Sie verschwand im Hausflur.
„Das ist ein weiteres Modell der Baureihe TSR 301. Sie müssen absichtlich einen T-880 mit diesem Aussehen verwendet haben, um euch zu verwirren oder um ihre Spuren bezüglich des Aussehens der Attentäter hier in der Gegenwart zu verschleiern. Ich bin ein Vorserienmodell und existiere nur fünf Mal, was bedeutet, dass insgesamt drei Exemplare von meinem Aussehen hier sein könnten. Wir müssen so schnell wie möglich von hier weg; in wenigen Minuten hat der T-880 unseren überhasteten Aufbruch entdeckt und wird sich dem nächsten Ziel zuwenden. Wenn Silke nicht spaß halber verlangt hätte, so unvermittelt zu gehen, hättet ihr jetzt ein Problem.“
„Warum wir?“
„Weil ich mit Sicherheit bereits terminiert wäre. In dieser Sporttasche befindet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Plasmaimpulswaffe.“ Abbey ließ keinen Zweifel an ihren Prognosen.
„Was für ein Ding?“ wollte Silke wissen, während sie mit überhöhter Geschwindigkeit zum Autobahnzubringer Seebach fuhren.
„Eine Art Lasergewehr aus der Zukunft. Auf Grund der neuen Situation fahren wir nicht über die Autobahn 3 zurück nach Basel, da es sehr wahrscheinlich ist, dass der T-880 diese Strecke nehmen wird. Sein Fahrzeug ist schneller als unseres, weshalb das Risiko besteht, dass er uns irgendwo auf der Fahrt überholt. Und wir wollen ja nicht, dass er einen Blick zu uns herüber wirft und wir so in eine unangenehme Lage kommen.
Folglich bietet sich als Ausweichroute die Strecke über die A 4 und Winterthur, Schaffhausen und Singen auf die A 81 nach Stuttgart und von dort weiter auf der A 8 nach Karlsruhe an. Wir werden bei guten Verkehrsverhältnissen gegen Mittag dort sein. Die Zeit wird knapp, denn auch unser Gegner wird die Stadt zu diesem Zeitpunkt bereits erreicht haben. Wiederum ist es unser Vorteil, dass wir seine möglichen Aufenthaltsorte kennen und der T-880 bei Null mit seiner Standardsuche anfangen muss. Wir sind ihm aber nur einen kleinen Schritt voraus.“
„Sind wir das? Ich denke, es gibt mehrere von dieser Sorte. Das hast du eben gesagt“, warf Silke skeptisch ein. Sie saß hinten neben Simon und beobachtete die Geschehnisse argwöhnisch; offenbar versuchte ihr Verstand in einer natürlichen Abwehrreaktion noch immer Lücken in ihrer so abenteuerlich klingenden Geschichte zu finden, um diese ad absurdum zu führen.
„Das ist richtig; dein analytischer Sachverstand spricht für sich. Er wird uns noch von großem Nutzen sein“, lobte Abbey auch gleich ihren Neuzugang.
„Ja, ja, was immer ihr sagt. Aber warum müssen wir denn ausgerechnet nach Karlsruhe?“
Simon nahm es auf sich, ihr nach bestem Wissen und Gewissen die Zusammenhänge grob zusammengefasst zu schildern, wobei ihre Miene zuerst völlig geschockt, dann immer abweisender und am Schluss der Ausführungen zunehmend zweifelnder wurde. Dennoch hörte sie ruhig zu und stellte kaum Fragen, bis er fertig war. Zur allgemeinen Verblüffung zog sie sich danach in sich zurück und verfiel in brütendes Schweigen, sodass sie kaum mitbekam, wie sie die Grenze ohne Kontrolle überquerten und dann in Richtung Schwäbischer Alb auf der Autobahn dahinrasten, jegliche Geschwindigkeitsbegrenzung sträflich ignorierend.
Frankfurt-Rödelheim, Hessen, Deutschland 5. Juli 2004
Während Abbeys Gruppe gerade am Rheinfall bei Schaffhausen vorbei fuhr, passierten die anderen das Frankfurter Kreuz, die wahrscheinlich verkehrsreichste Autobahnkreuzung Europas. Sie hatten Daniel am Frankfurter Flughafen abgesetzt, wo er ein Teil des Gepäcks an sich genommen hatte und gleich die diversen Autovermietungen nach einem geeigneten Automobil absuchte. Er entschied sich für einen Saab 9-5 Kombi 3.0 TD, lud gleich alles ein und machte sich auf den Weg.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten und durch die Vororte Frankfurts fuhren, fragte Natasha Alex: „Wozu braucht er denn einen so großen Wagen, wo er doch allein ist?“
„Er wird noch in den östlichen Bundesländern auf dem hiesigen Schwarzmarkt einige Waffen organisieren, vornehmlich schwere Automatikgewehre aus ehemaligen sowjetischen und DDR-Volksarmee-Beständen. Das, was wir in unserer Waffenkiste haben, reicht im Ernstfall bei Weitem nicht, um mehrere Terminatoren auf einmal abwehren zu können.“
Caroline lehnte sich zwischen den beiden von der zweiten Reihe aus nach vorn und schluckte bei diesem Kommentar. Dann fasste sie sich und fragte: „Und wohin fahren wir jetzt?“
„Wir werden der nächsten Zielperson habhaft werden. Sie heißt Aishe Kerbüle und befindet sich unseren Informationen nach in diesem Stadtteil, wo sie im Gemüseladen ihres Vaters neben ihrem Studium aushilft. Wir sind gleich dort.“
Natasha schnaubte: „Eine junge Türkin, die in einem Gemüseladen arbeitet? Wie elendig klischeehaft! Das schmerzt ja fast schon.“
„Na und? Ich glaube, wir können uns hier keine Vorurteile leisten. Bald schon werden wir keine Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Rassen und Länder mehr machen.“ Caroline lehnte sich wieder zurück, worauf auch Natasha sich abwandte, um aus dem Fenster zu starren und vor sich hin zu brüten.
Leise sagte sie: „Ich vergesse immer wieder, worum es hier im Grunde geht. Vielleicht ist es besser für Ralf, dass er das alles nicht mehr mit erleben muss.“
Caroline legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Tut mir leid. Und ich habe vergessen, dass du schon ein Opfer zu beklagen hast.“
„In dieser Straße befindet sich das Geschäft“, verkündete Alex, als sie in eine schmale Einbahnstrasse einbogen, die abwechselnd links und rechts von Parkbuchten und Bäumen gesäumt war. Die Häuser waren alle von der Bausubstanz her sehr alt und bestanden vornehmlich aus Ziegelstein. Leider waren die meisten davon nicht sehr gepflegt, so dass sich das Bild einer Arbeitersiedlung ergab, welche langsam dem Verfall anheim fiel.
Natasha sah sich um, sagte aber nichts, was zumindest Caroline erstaunte. Als sie langsam auf der Suche nach einer Parkmöglichkeit die menschenleere Straße hinabfuhren, bog ein alter hellblauer Ford-Transporter mit der Firmenaufschrift „Kerbüle Gemüse“ aus einer schmalen Hofeinfahrt vor ihnen auf die Straße und fuhr davon. Alex zoomte heran und erkannte einen schwarzhaarigen älteren Osmanen mit riesigem Schnauzbart hinter dem Steuer, was er den anderen umgehend mitteilte.
„Das sieht nach einem glücklichen Zufall aus. Wenn ihr Vater zu einer Lieferung oder Besorgung wegfährt, ist sie vielleicht alleine im Laden“, mutmaßte Natasha. „Weißt du was? Du hältst dort quer in der Einfahrt zum Geschäft, da wir mit unserem Monstervan hier sowieso keinen Parkplatz finden werden. Ich gehe rein und sondiere die Lage, bevor ich dich nachhole. Caroline kann auf den Wagen aufpassen, bis wir Aishe geholt haben. Na?“
Alex sah sie aus dem Augenwinkel an, als er die Hofeinfahrt zuparkte, die leer war. „Unter Vorbehalten. Bitte sei dir bewusst, dass das gefährlich sein kann. Es ist möglich, dass sie nicht alleine ist, auch wenn es auf den ersten Blick den Eindruck macht.“
„Ja, schon gut“, erwiderte sie ungeduldig und sprang aus dem Auto, kaum dass es ausgerollt war. Sie hastete zum Ladeneingang, neben dem schon auf mehreren Ständen diverse Sorten Obst und Gemüse ausgestellt waren.
„Was hatte das denn zu bedeuten?“ fragte Caroline mehr sich selbst als Alex, doch der nahm das nicht zur Notiz.
„Sie will entweder sich selbst oder uns etwas beweisen. Es steht zu befürchten, dass sie sich zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lässt. Es ist besser, wenn ich doch nachsehe, was im Laden vor sich geht.“ Alex öffnete die Fahrertür und schwang sein linkes Bein hinaus, als eine kleine, orientalisch wirkende Frau mit langen schwarzen Haaren aus der Tür kam, dicht gefolgt von Natasha. Beide hatten einen ernsten Ausdruck auf dem Gesicht.
„Steig ein, steig ein, steig ein“, rief Natasha hastig mit drängender Stimme und geleitete Aishe zur hinteren Beifahrertür, die bereits von Caroline geöffnet wurde. Während diese heraussprang und schnell den Beifahrersitz einnahm, schob Natasha die junge Türkin, die alles willenlos mit sich machen ließ, in den Fond und sprang rasch hinterher.
Als Alex anfuhr und in den Rückspiegel starrte, sagte Caroline: „Das ging aber schnell. Hallo, ich bin Caroline und das ist...“
Sie ließ die Hand sinken, welche sie zum Gruß nach hinten ausgestreckt hatte, als sie bemerkte, dass Natasha ganz unauffällig in Hüfthöhe eine der Pistolen, eine Walther PPK, auf Aishe gerichtet hielt. Sie fuhr Natasha an: „Bist du irre? Du hast sie mit der Waffe bedroht und aus dem Laden geschleppt?“
„Es war ganz einfach“, sagte Natasha mit einem Grinsen, das Caroline
entschieden eine Spur zu breit war.
„Wer von uns ist jetzt die Bekloppte, hä? Bitte hör zu, Aishe, das tut mir wirklich leid. Du glaubst jetzt sicher, wir würden dich entführen oder so. Das stimmt aber nicht ganz. Es ist nur so, dass uns einfach die Zeit fehlt, um dir alle Zusammenhänge zu erklären und dich von unserer Sache zu überzeugen. Außerdem ist das mehr eine Rettungsmission als Kidnapping, da du in großer Gefahr warst und dringend aus deiner gewohnten Umgebung geholt werden musstest.“
„Soll... soll das heißen, ihr seid Polizisten? Das ist gar keine...“ Ihre Stimme versagte und Tränen stiegen der kleinen zierlichen Frau um die Zwanzig in die rabenschwarzen Augen. Sie strich sich eine Strähne der langen glatten und ebenso schwarzen Haare aus dem anmutigen Gesicht mit hohen Wangenknochen, spitzem Kinn und kleiner Stupsnase. Erleichtert sah sie Caroline an und ihr schmaler Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln.
„Nun, nicht direkt Polizisten, aber du musst dir trotzdem keine Sorgen machen. Du bist auf jeden Fall vorerst in Sicherheit und brauchst dich nicht vor uns zu fürchten.“ Mit diesen Worten steckte sie die Waffe weg und reichte ihr die Hand. „Ich heiße Natasha und das ist Alex. Ich möchte mich für den blöden Zwischenfall im Laden entschuldigen, aber du musst verstehen, dass wir einfach keine einzige Minute verschwenden dürfen. Wir müssen noch jemanden einsammeln; wenn wir zu spät kommen, kann ihn das sein Leben kosten. Das willst du doch nicht, dass jemand Unschuldiges stirbt, nur weil wir uns zu lange mit Zweifeln aufgehalten haben?“
„Nein, natürlich nicht, aber...“ Aishe hielt ein und fragte zaghaft: „Wovon redest du überhaupt? Das klingt nach James Bond oder einem schlechten Actionfilm. Und was habe ich damit zu tun? Ich bin nur eine ganz normale Chemiestudentin. Ihr habt mich sicher mit jemand anderem verwechselt. Seid ihr sicher, dass...?“
„Zu einhundert Prozent. Man könnte sogar sagen, das Schicksal hat dich für große Taten ausersehen. Aber wir sollten alles zusammen hängend erklären...“ Alex begann seine Ausführungen, als sie bereits wieder auf der A 5 Richtung Norden fuhren.
Brunswick, Glynn County, Georgia, USA 29. Oktober 1962
T-XF betrat mit drei Freunden zusammen das Lokal und setzte sich in eine der mit rotem Leder ausgekleideten Vierersitzgruppen. Während Bill zum Wurlitzer hinüberging, um einige Songs anzuwählen, kam ihr ‚Stammkellner’ herbeigeeilt und zeigte mit breitem Grinsen auf T-XF.
„Verdammt, Jim, woher hast du es gewusst? Mann, ich hab die Hosen gestrichen voll gehabt bis gestern, ich hab sogar meine Nachtschicht hier sausen lassen und hab mich daheim verkrochen.“
T-XF zuckte nur mit den Schultern: „Komm schon, Butch, ich hab dir zwölf Tage lang gesagt, Chruschtschow zieht den Schwanz ein und baut die Raketen ab. Und ich hab dir gesagt, wir werden heute Abend hier drin sitzen und zusammen feiern, dass die Welt noch nicht untergegangen ist. Und, was machen wir gerade?“
„Wir feiern dass die Welt noch steht! Aber wie zum Teufel noch mal hast du es gewusst? Kein Mensch hat auf deine Sprüche auch nur einen lausigen Nickel gegeben! Scheiße noch eins, mein Dad hat eine Woche lang seinen Rasen zerstört und Erde vor die Kellerfenster geschaufelt. Jetzt ärgert er sich grün und blau. Er war sich todsicher, dass die Kubaner und die gottverdammten Sowjets Ernst machen und uns wegputzen. Jeder hat es gedacht außer dir!“
„Das stimmt, Jim“, schaltete sich sein Freund Bob ein, während im Hintergrund ‚The Wanderer’ von Dion anlief. „Wir alle dachten vorgestern, das war’s, adieu du schnöde Welt.“
T-XF schüttelte nur den Kopf und orderte, ohne die Karte auch nur angerührt zu haben: „Einen Bananenshake und ein Truthahnsandwich, Butch. Eigentlich hätte doch klar sein müssen, dass die Russen nur hoch gepokert haben und gerne klein nachgegeben haben. Vor allem, weil wir dafür die Raketen aus der Türkei abziehen, die wir auf sie gerichtet hatten. Lest ihr keine Zeitung?“
„Verdammt, nein, Mann, ich bin sechzehn! Und du übrigens auch, du solltest dir nicht jeden Tag diesen Mist reinziehen. Leb lieber mal ein bisschen, lach dir auch mal ein nettes Mädel an.“ Der Vierte in der Runde, Jeff, schien den Gedanken einer regelmäßigen Zeitungslektüre geradezu obszön zu finden.
„He, seht es doch mal so: wenn ich nicht ab und an Zeitung lesen würde, hättet ihr die ganzen dreizehn Tage nur die Hosen voll gehabt.“
„Das hatten wir, weil wir dir nicht geglaubt haben, Mann! Wie auch, bei so einer brenzligen Lage...“
In diesem Moment beschloss T-XF, dass es an der Zeit war, spurlos zu verschwinden und eine andere Identität anzunehmen. Morgen würde er seine Existenz als sechzehnjähriger Highschool-Junge beenden und zu neuen Ufern aufbrechen. Vielleicht sollte er sich weiter an der Ostküste umsehen.
Wer rastet, der rostet, dachte er und verzehrte sein Sandwich, dessen zerkaute Überreste er in einem kleinen Hohlraum im Inneren seiner Bauchhöhle aufbewahrte, um sie später wieder abzugeben, wenn er unbeobachtet war. Als Polimimet brauchte er im Gegensatz zu den kybernetischen T-800 und T-880 keinerlei Nahrung, da er über keine wirklich lebendige Hülle verfügte.
Er betrachtete nochmals das ‚Pitch’, die Burgerbude, in der er in den vergangenen Monaten oft mit seinen drei Freunden gewesen war. Wahrscheinlich würde er es nach diesem Abend nie wieder sehen, doch das machte ihm in diesem Stadium seiner Mission nicht das Geringste aus. Noch war er nicht so weit, dass er die Trennung von vertrauten Personen und Orten als wirklichen Verlust ansehen konnte.
Karlsruhe-Nordstadt, Baden, Deutschland 5. Juli 2004
Gegen Mittag erreichten Abbey, Karin, Simon und Silke die beschauliche Stadt in der Oberrheinischen Tiefebene. Abbey umfuhr die Innenstadt und steuerte ein ehemaliges amerikanisches Kasernengelände an, das zwar zum Teil noch aktiv war, aber ebenfalls vom endgültigen Rückzug der dortigen Truppen zeugte. Ihr Ziel waren eine Reihe zu Studenten- und Stadtbauwohnungen umfunktionierte ehemalige Kasernengebäude, wo auch ihre nächste Zielperson, Dimitri Davidow, eingemietet war.
Sie hielten direkt vor dem fraglichen Bau und berieten sich kurz. Abbey sagte an Simon gewandt: „Bleibst du mit Silke im Wagen und wartest auf uns? Es kann eine Weile dauern.“
Simon und Silke tauschten einen kurzen Blick aus, wobei Simon sie fragte: „Du schlägst mich nicht K.O. oder versuchst sonst wie auszureißen?“
„Ich dachte immer, als Gefangene ist es meine Pflicht, einen Fluchtversuch zu unternehmen, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet?“ Sie grinste ihn frech an.
„Aber nur als Soldat. Außerdem weißt du doch mittlerweile, dass wir dich zu deinem eigenen Schutz mit genommen haben. Wir haben dir alles erzählt und du hast mit eigenen Augen Abbeys Doppelgängerin gesehen. Wenn dich das nicht überzeugt hat, was dann? Glaubst du etwa an solche Zufälle?“
Sie schüttelte den Kopf und verfiel wieder in finsteres Schweigen. Offenbar musste sie diese neue Realität immer noch verarbeiten, bevor sie damit vernünftig umgehen konnte. Leise sagte sie: „Geht nur, ich werde euch keine Probleme machen.“
„Ausgezeichnet. Kommst du, Karin?“ Abbey stieg aus und schob sich eine Sonnenbrille gegen die hochstehende Mittagssonne auf die Nase. Im Auto selbst, dessen Frontscheibe gegen die Wärmestrahlung und Helligkeit mit Platin bedampft war, benötigte sie keinen Augenschutz, doch im freien war das Tageslicht zu stark für ihre empfindliche Optik.
„Wieso muss ich eigentlich immer mit, wenn es um Kontaktaufnahmen geht? Bin ich jetzt so eine Art Botschafter oder so?“ wollte Karin wissen, als sie sich dem Hauseingang des schmucklosen mehrstöckigen Quaders näherten, in dem Dimitri wohnte.
„Man könnte es so sehen“, bestätigte Abbey und sah sie dann direkt an. „Ich vertraue dir, was zwischenmenschliche Belange angeht.“
„Ich weiß gar nicht. Erinnerst du dich nicht mehr, wie Daniel und ich uns immer in der Wolle hatten, bevor wir zusammen kamen?“
„Du vergisst wohl, dass meine CPU im Grunde eine Kopie von Daniels ist. Ich war er, wenn man es genau nimmt. Das heißt, ich kenne jedes Detail deiner Beziehung zu ihm, alles was du in seiner Gegenwart je gesagt und getan hast, als hätte ich selbst es erlebt. So ist das eben mit uns Cyborgs. Nur auf Grund dieser Informationen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass du für diese Aufgabe geeignet bist.“
Karin hielt inne, als sie die Haustür geöffnet hatte. „Warte mal. Du willst damit sagen, du weißt alles über uns? Wirklich alles?“
„Na klar. Du kleines Luder“, fügte Abbey grinsend hinzu, worauf Karins künstliche Sonnenbräune einem tiefen Verlegenheitsrot wich.
„Mist, das war mir echt nie richtig klar“, kommentierte sie und studierte die Klingelschilder, um sich abzulenken. „Er wohnt im ersten Stock. Lass uns gehen.“
Sie fanden seine Zimmertür recht schnell, erhielten jedoch auf ihr Klopfen keine Antwort. Ohne ein weiteres Wort zog Abbey ihre Scheckkarte, worauf sich Karin nervös auf dem leeren Gang umsah. Zwanzig Sekunden darauf hatte der Dietrich seine Arbeit verrichtet und sie schlossen die Zimmertür hinter sich. Für einen Studenten war seine Bleibe recht ordentlich, wie Karin fand.
Sie sagte unsicher: „Und was wollen wir jetzt tun?“
„Wir suchen einen Hinweis auf seinen Tagesablauf oder seinen aktuellen Verbleib. Vielleicht bekommen wir heraus, wo er sich gewöhnlich um diese Zeit aufhält, wann er zurückkommt oder ob er gerade heute etwas Bestimmtes vorhat.“ Sie begann noch während ihrer Erklärung damit, methodisch sämtliche Notizzettel, Merkblätter oder ähnliche Schriftstücke zu untersuchen, welche die gewünschte Information enthalten mochten.
Karin hatte den Eindruck, dass sie Abbey bei der Erledigung dieser Aufgabe eher behindern als nutzen würde, weshalb sie sich aufs Geratewohl im Zimmer umsah. Ihr Blick blieb auf einem Photo heften, das zwei junge blonde Männer mit stahlblauen Augen und typisch slawischen Gesichtszügen zeigte, der Ähnlichkeit nach augenscheinlich Brüder. Ihr Blick streifte einige Automodelle, die in einem schmalen Regal in einer Zimmerecke standen.
Abbey merkte auf. „Dimitri ist gar kein Student, wie wir angenommen haben. Halt dich fest: er ist KFZ-Mechaniker. Hier liegt seine letzte Lohnbescheinigung mit dem Namen und der Adresse der betreffenden Werkstatt. Und es wird immer besser – es ist ein Renault-Autohaus. Was für ein glücklicher Zufall.“
Karin schüttelte nur müde den Kopf. „Ich kann in letzter Zeit einfach nicht mehr an Zufälle glauben, dafür gab es einfach zu viele davon.“
Sie hielt inne und schob den Vorhang des Fensters ein wenig zur Seite. „Rate mal, wer beispielsweise in diesem Augenblick draußen vor dem Haus in Richtung Eingang spaziert.“
Abbey trat zur Gardine und ihre Augen weiteten sich. Karin wusste nicht, ob das tatsächlich echtes Erstaunen war oder sich lediglich ihre Optik scharf stellte.
„Daniel! Aber er müsste bereits in Ostdeutschland sein. Das ist nicht CSM 108-1. Es muss einer der T-880-Attentäter sein, da er eine dieser riesigen Sporttaschen zum Transport der M-80-Plasmawaffe trägt. Und in etwa zwei Minuten wird er hier sein.“ Während sich Karin noch von dem Schock erholte, öffnete Abbey bereits das Fenster, wartete noch einige Sekunden, bis der T-880 im Hauseingang verschwunden war und schwang sich behände aufs Fensterbrett, um sich ohne zu zögern hinaus auf den Zierrasen vor dem Haus fallen zu lassen. Sie rollte geschmeidig ab, hinterließ aber dennoch eine tiefe Kuhle im Gras. Sobald sie auf den Füßen war, wies sie Karin an, zu springen und fing sie verblüffend sanft auf, indem sie mit ausgestreckten Armen unter dem Fenster stand und sie praktisch aus der Luft pflückte, nach unten nachgab und mit einer anschließenden Drehbewegung die Fallgeschwindigkeit geschickt abbaute. Wie man ein kleines Kind auffängt, das in einen Baum geklettert ist und sich nicht mehr herabtraut, dachte Karin verwundert.
Sie rannten zum Espace und sprangen hinein, die verwunderten Blicke von Simon und Silke ignorierend. Mit quietschenden Reifen brausten sie los und unterrichteten die beiden auf der Fahrt in die Stadt von ihrem knappen Entkommen. Gottlob war er aus der anderen Richtung gekommen und hatte Simon und Silke nicht gesehen, sonst wären sie mit Sicherheit bereits tot gewesen.
„Meinst du, er hat uns noch gesehen?“ fragte Karin besorgt.
„Das glaube ich nicht, dafür war die Zeit nicht ausreichend für ihn. Aber er ist auch nicht dumm und wird in wenigen Minuten anhand irgendwelcher anderen Papiere im Zimmer herausgefunden haben, wo er zu finden sein wird. Unser Vorsprung ist nur hauchdünn. Das macht mir Sorgen, denn es sind mehrere dieser Kerlchen unterwegs, während wir nur zwei Gruppen sind, die einen nach dem anderen auflesen müssen. Ich befürchte, dass wir irgendwann weniger Glück haben könnten und zu spät kommen.“
Karlsruhe-Albsiedlung, Baden, Deutschland 5. Juli 2004
Dank der flexiblen Arbeitszeiten mussten sie seit über einem Jahr durchgehend geöffnet haben. Keinen der Mechaniker freute das, am wenigsten Dimitri, der die wenigsten Dienstjahre seit der Ausbildung in dieser großen Filiale vorweisen konnte. Folglich war meistens er derjenige, der zu den unangenehmsten Zeiten über Mittag die Stellung in der Reparaturannahme halten musste, während die anderen gemütlich am Imbiss um die Ecke aßen. Er konnte das meistens erst nach der eigentlichen Mittagszeit nachholen.
Jetzt kam auch noch ein Grand Espace auf den Hof gerollt, dachte er ärgerlich, als er gerade die Reifen an einem alten Renault 19 gewechselt hatte und den Wagen von der Hebebühne herabließ. Seine Stimmung besserte sich allerdings, als er sah, wie eine gutgebaute rothaarige Frau Anfang oder Mitte Zwanzig und eine etwa gleichaltrige schwarzhaarige, aber zierlichere Beifahrerein dem großen Van entstiegen und zielstrebig direkt auf ihn zusteuerten. Schnell wischte er sich seine Hände an einem bereitliegenden Tuch ab.
„Meine Damen, was kann ich für Sie tun? Macht das gute Stück Ärger?“
„Das gute Stück? Sie haben Nerven! Wir haben den Kofferraum randvoll mit Gepäck und müssen noch heute durch halb Deutschland fahren, um unsere Freunde zur großen Fahrt abzuholen und dann ruckelt der Motor wie blöde. Wir sind froh, dass wir es noch bis hierher geschafft haben.“ Es sprudelte nur so aus Karin heraus, halb ärgerlich, halb verzweifelt.
„Nur keine Sorge, ich seh’ mir das sofort an. Der Lehrling kann den Wagen hier schnell fertig machen, dann unternehmen wir inzwischen eine Probefahrt und schauen, was ihm fehlt. Ein Diesel, wenn ich es recht gehört habe?“ Beschwichtigend hob er die Hände und winkte einem in der Ecke lehnenden Lehrling zu, seine Arbeit zu übernehmen. Missmutig stieß dieser sich von der Wand ab und machte sich langsam auf den Weg zu ihnen, während Dimitri mit den beiden attraktiven Frauen zum Espace ging und sich den Zündschlüssel aushändigen ließ.
„Ein 2.2 CRD, wenn ich nicht irre. Bisher lief er toll und ist auch sehr sparsam, aber ausgerechnet jetzt...“ Abbey lächelte ihn warmherzig an, wobei ihm ganz anders wurde. Er nickte, startete den Motor und öffnete die Motorhaube, um sich die Maschine im Leerlauf anzusehen.
„Hm, hört sich eigentlich ganz gut an, aber so kann man das natürlich nicht sagen.“ Probeweise gab er ein paar Mal Gas und lauschte aufmerksam, konnte aber nichts Verdächtiges erkennen. Deshalb stieg er ein und bat die Damen kurz zu warten, während er eine Runde fahren wollte.
„Nein, wir möchten gerne mitfahren. Dann können wir Sie am besten darauf hinweisen, was das Problem ist. Es ist nicht persönlich gemeint, verstehen Sie?“ erklärte Karin und blinzelte schelmisch.
Er schluckte. „Na klar. Bitte einsteigen.“
Während er gemächlich mit niedriger Drehzahl vom Hof fuhr, gingen ihm die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Das war jedenfalls kein normaler Werkstattbesuch dieser beiden aparten Damen, soviel war einmal sicher. Anhand der Blicke, welche die Beiden miteinander wechselten, kamen die wildesten Phantasien in ihm auf, die er mit einem Kopfschütteln schnell wieder abschüttelte. Schließlich war das hier ein Topmodell im Programm ihrer Marke und hier war ordentlich Geld zu verdienen. Wenn er das durch ungebührliches Verhalten versaute und die beiden Frauen zu einer der anderen drei ortsansässigen Markenwerkstätten wechselten, würde sein Chef gar nicht erfreut sein, um es gelinde auszudrücken. Also gab er sich freundlich und distanziert, wie man es ihnen eingebläut hatte und merkte an: „Bisher noch nichts Verdächtiges.“
„Warten Sie mal ab, wenn wir ein paar Minuten gefahren sind. Dann werden Sie schon sehen.“ Wieder diese Blicke, als der nicht ganz eindeutige Kommentar von Abbey kam. Ein kleiner Teil seines Unterbewusstseins sagte ihm, dass das durchaus ein unerwartetes Abenteuer werden konnte. Nun, wenn die Damen es tatsächlich wünschten, würde er Dienstleistungen jedweder Art erbringen.
Kurz vor einer Bushaltestelle rief Karin plötzlich: „Halten Sie sofort an! Schnell!“
Alarmiert zog er instinktiv in die Seitenbucht, wo drei Personen standen und auf den nächsten Bus warteten. Zwei von ihnen traten zu Dimitris Erstaunen zum Van und öffneten die Türen. Ohne große Worte zu verlieren, steigen sie hinten ein und sagten beide: „Hallo, Dimitri.“
Er starrte über die Schulter den drahtigen dunkelblonden Jungen und das jüngere, aber hochgewachsene und kräftige Mädchen mit den dunklen Haaren und Augen an, die ihn beide durch ihre runden Brillengläser freundlich ansahen und sich hinten in die dritte Reihe setzten. Dann wanderte sein Blick hinüber zu Abbey, die ihn ebenfalls unbekümmert anlächelte, als sei alles in bester Ordnung.
Ganz vorsichtig fragte er: „Was ist hier los?“
Abbey lächelte immer noch: „Wir freuen uns alle, dich kennen zu lernen, Dimitri. Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Die gute ist, dass dem Espace nichts fehlt. Die schlechte ist, dass dir jemand nach dem Leben trachtet. Du bist zur Terminierung vorgesehen, wenn ich es so ausdrücken darf.“
Seine Augen wurden groß und rund. „Was für ein Blödsinn! Ich werde jetzt zur Werkstatt zurück fahren und Sie können dann bitte...“
„Ich fürchte, das wirst du nicht“, widersprach Karin. Als er in den Rückspiegel sah, erblickte er die kleine mattschwarze Handfeuerwaffe, mit der sie gedankenversunken spielte.
„Was ist...? Verdammt, ihr wollt mich entführen! Ich...“ Er brach ab und riss die Fahrertür auf. Beinahe gleichzeitig packte Abbey ihn am Kragen und hielt ihn mit eisernem Griff fest, so dass er sich nicht mehr rühren konnte.
„Ich fürchte, ich kann nicht zulassen, dass du dich aus dem Fahrzeug begibst. Offenbar hast du nicht richtig zugehört. Wir sind da, um dich zu schützen und dein Überleben sicher zu stellen. Du bist in Lebensgefahr, wenn du jetzt aussteigst und gehst. Hast du das begriffen?“ Eindringlich starrte sie ihn mit ihren leuchtend grünen Augen an, so dass er nichts mehr sagen konnte.
Karin war inzwischen ausgestiegen, hatte die Fahrertür geöffnet und winkte Dimitri vage nach hinten auf die Rückbank. Simon staunte von hinten aus, wie abgebrüht sie wirkte. Wenn man bedachte, dass sie vor wenigen Tagen noch ganz normale Studienabgänger gewesen waren...
Sie setzte sich neben ihn und begann freundlich, seine ersten zögerlich gestellten Fragen zu beantworten, während Abbey den Fahrersitz einnahm. Dabei versuchte sie so ehrlich wie möglich zu sein, ohne ihn gleich mit der ganzen Wahrheit zu schockieren. Nichts desto trotz war es unvermeidlich, dass er nur bedingt glauben konnte, was sie ihm da auftischte.
Sie waren gerade an der ersten Kreuzung und wollten in Richtung Autobahn abbiegen, als ihnen ein schwarzer Mercedes 190 älteren Baujahres entgegen kam. Dimitris Kopf ruckte rum. „Oh Mann, Sie haben ja einen Zwilling, Lady.“
Abbey erspähte den TSR 301 am Steuer und duckte sich automatisch weg. Einen Moment darauf taten die anderen bis auf Dimitri es ihr nach. Bis Karin ihn hinabziehen konnte, war es bereits geschehen; der Terminator musste sie noch aus dem Augenwinkel erspäht haben. Eine Vollbremsung und Reifenquietschen hinter ihnen kündeten von dem Wendemanöver der schwäbischen Limousine.
„Ich heiße Abbey und das ist nicht mein Zwilling, sondern einer deiner Mörder. Festhalten!“ Sie legte mit einer augenwischerisch schnellen Bewegung den Gang ein und trat das Gaspedal durch, worauf der bärenstarke Dieselmotor den Van nach vorne schnellen ließ. Vor allem Simon war hochgradig verblüfft über die immense Beschleunigung dieses so schwerfällig wirkenden Automobils.
Sie rasten zur autobahnartig ausgebauten B 10, die zur A 5 führte. Kurz vor der Auffahrt hatte der Feind sie eingeholt. Alarmiert rief Simon: „Was sollen wir jetzt machen?“
Dimitri starrte ihn verunsichert an, da er wohl angenommen hatte, dass jeder seiner „Beschützer“ genau wusste, was zu tun war. Indes näherte sich ihnen der Mercedes und versuchte zu überholen, was Abbey zu einem spontanen Spurwechsel veranlasste. Mit einem groben Ruck prallte das Heck ihres Wagens seitlich gegen die Front des kleineren Verfolgerfahrzeuges. Sie schlingerten für eine Sekunde, während der alle den Atem anhielten. Der Mercedes fiel zurück, gab aber gleich wieder Gas und näherte sich ihnen erneut.
„Soll ich aus dem Fenster hinaus auf ihn schießen?“ schlug Karin vor.
„Wozu? Der T-880 selbst ist gepanzert und fährt einen Mercedes, eines der solidesten Fahrzeuge der Welt. Was willst du damit erreichen? Das hier ist kein amerikanischer Action-Film, sondern die Wirklichkeit“, belehrte Abbey sie ruhig. „Nehmt lieber die Köpfe runter. Ihr müsst ihm nicht auch noch ein Ziel bieten.“
Das wirkte. Beim nächsten Rammstoß von hinten schlingerte das Heck des Wagens etwas stärker in der Kurve, dann waren sie auf die B 10 aufgefahren und Abbey gab Gas. Sie fuhr viel zu schnell im Zickzack zwischen den anderen Verkehrsteilnehmern hindurch, begleitet von einem anhaltenden, empörten Hupkonzert. Jedes mal, wenn ihr Gegner zu überholen versuchte, riss sie das Lenkrad scharf herum und zwang ihn so zum ausweichen, was viele gefährliche Situationen mit unbeteiligten und nichtsahnenden Verkehrsteilnehmern verursachte. Als sie wieder einmal nach rechts verriss, um den T-880 hinter ihnen abzublocken, streifte sie an einem knallroten Porsche-Cabrio entlang und verbeulte dessen linke Flanke gehörig, was diesen zu einer ungläubigen Miene und dann zu wütenden Protesten veranlasste.
Die Fliehkräfte schleuderten die Passagiere in den Kurven wild zu den Seiten. Dimitri hörte neben sich eine Stimme: „Ich bin übrigens Karin. Tut mir echt leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennen lernen.“
Dimitri starrte sie an, dann musste er ungewollt grinsen, als er erkannte, dass diese Situation für sie genauso ungewohnt und traumatisch war wie für ihn. Er rief nach hinten: „Und wer seid ihr beiden Helden?“
„Simon und Silke“, erklang es schwach von der Rückbank.
Der wütende Porschefahrer verfolgte sie nun ebenfalls hartnäckig mit dem Ziel, sie zur Rechenschaft zu ziehen, was ihn seinerseits dummerweise direkt in die Bahn ihres Verfolgers brachte. Der T-880 rammte ihn rücksichtslos von hinten und verschrottete damit zusätzlich noch sein Heck. Mit einem zornigen Aufheulen sah er hinter sich und erkannte Abbeys Zwilling hinter dem Steuer des Mercedes. Ihm schien das offenbar zu hoch zu sein, doch andererseits hatte er wohl beschlossen, dass sein Auto nun ohnehin nur noch Schrottwert hatte und er deshalb genauso gut ein wenig Autofahrer-Selbstjustiz in Verbindung mit Schulmeisterei betreiben konnte, bekanntermaßen einer der Volkssporte der Deutschen, der ziemlich bald nach Versicherungsbetrug und Steuerhinterziehung in der Rangliste kam. Fahrerflucht konnte auch noch in die Top Five aufgenommen werden, dachte er grimmig und fuhr dem Mercedes mit der TSR 301 am Steuer auf sein Heck, worauf dieser gefährlich schlingerte und seine Stoßstange in einem schrägen Winkel hinabhing.
Der Cyborg entschied darauf, dass der vormals unbeteiligte Cabriolenker nun eine Bedrohung und ein Hindernis für die Ausführung seiner Mission geworden war. Sie ließ sich daraufhin zurückfallen, bis die beiden Fahrzeuge auf gleicher Höhe waren und zog seelenruhig eine MP-5 Maschinenpistole, welche sie ihrem Widersacher unter die Nase hielt. Das genügte bereits, sie musste nicht einen einzigen Schuss abfeuern, da der Porschefahrer zu Tode erschrocken eine Vollbremsung machte und die Arme vor das Gesicht riss. Sein außer Kontrolle geratener Wagen verursachte eine mittlere Massenkollision auf der zweispurigen Straße, die sie rasch hinter sich ließen und dadurch schnell mit dem hartnäckigen schwarzen Mercedes allein waren.
Dimitri wagte einen Blick zur Rückscheibe hinaus und blickte in die grimmig wirkenden Augen von Abbeys Ebenbild, keine fünf Meter hinter ihnen. Zudem blickte er noch in die Mündung der Uzi, welche sie aus dem geöffneten Fahrerfenster hielt. Sofort schrie er: „Alle runter!“
Im nächsten Moment explodierte die Rückscheibe, untermalt von einem lauten Knattern direkt hinter ihnen. Simon schrie auf und Silke kreischte kurz wie am Spieß, bis die beiden eine erstaunliche Entdeckung machten. „Es sind kaum Scherben nach innen gefallen waren, wir sind unverletzt.“
„Klar, der Unterdruck verursacht durch den Fahrtwind bei einhundertundfünfzig km/h hat die Splitter hinausgesaugt. Zudem ist das hier Verbundglas. Ich habe euch doch gesagt, das ist kein Actionfilm.“ Gleichzeitig trat Abbey hart auf die Bremse, worauf der Mercedes mit einem ziemlich heftigen Stoss in sie hineinraste. Kurz darauf rief sie triumphierend: „Ha, dachte ich es mir doch! Sein bereits beschädigter Kühler ist geplatzt und sein Motor kocht über. Er fällt zurück. Wir haben es geschafft.“
Sie gab erneut Gas und ignorierte die zweite fest montierte Blitzanlage, die ihren rigorosen Geschwindigkeitsverstoß dokumentierte. Fast zur gleichen Zeit sahen sie insgesamt drei Polizeifahrzeuge und einen Krankenwagen, alle mit Blaulicht und Sirenen, auf der Gegenspur zum Unfallort hinter ihnen rasen. Kurz darauf erreichten sie die A 5 und nahmen die Auffahrt nach Norden.
„Das war verdammt knapp“, kommentierte Simon und kletterte zusammen mit Silke umständlich in die zweite Reihe vor, um dem starken Zugwind durch die fehlende Heckscheibe zu entgehen. Karin hatte sich bereits nach vorne neben Abbey gequetscht.
„Ist mit euch alles in Ordnung?“ rief Abbey besorgt. Durch den Fahrtwind war es furchtbar laut im Wagen und man konnte sich nicht mehr in normaler Lautstärke unterhalten.
„Ja, uns fehlt nichts. Wir haben noch mal Glück gehabt. Es...“ Simon stockte der Atem, als er sah, dass die Kopfstütze von Abbey von insgesamt sieben Kugeln durchschlagen worden war.
„Abbey, bist du getroffen worden?“
„Ja, aber es ist nichts passiert. Alles in Ordnung mit mir.“ Sie winkte ab, doch Karin riss den Kopf herum.
„Was sagst du da? Oh mein Gott, du bist verwundet! Lass mich mal sehen.“ Sie strich das volle rote Haar von ihr aus dem Nacken und erstarrte. Mehrere kleine rote Flecken zeigten für alle gut sichtbar an, wo die Kugeln aus der Maschinenpistole sie getroffen hatten. An einer Stelle seitlich am Nacken, wo etwas mehr Haut und Fleisch über dem Endoskelett vorhanden war, steckte noch eine Kugel. Der Ekel war Karin ins Gesicht geschrieben, als sie mit spitzen Fingern das Ende des Projektils ergriff und zog. Es saß erstaunlich fest und als es sich schließlich löste, sah Karin auch, wieso: das vordere Ende war plattgedrückt und deformiert.
„Es ist wirklich nichts“, wiegelte Abbey ab. So eine Uzi hat keine große Durchschlagskraft. Diese Kugeln hätten nur euch schaden können; ich bin nicht ihr Ziel.“
Simon legte ihr von hinten die Hand auf die Schulter. „Ich bin froh, dass du in Ordnung bist. Ich hatte es bis jetzt wohl wirklich nicht begriffen, aber jetzt ist mir klar, was es für uns bedeutet, was du bist.“
Dimitri war auf seinem Sitz so weit nach hinten und damit weg von Abbey gerückt wie möglich. Er sah von einem zum anderen, doch Silke zuckte nur mit den Schultern. An Simon gewandt, wollte er wissen: „Wovon redest du? Wie kann ein Mensch das überleben?“
„Ich glaube, ich fange ganz von vorne an...“ Er seufzte. Hoffentlich hatten sie das bald hinter sich, jedes Mal aufs Neue jemandem klar machen zu müssen, was hier vor sich ging.
Bruchsal, Baden, Deutschland 5. Juli 2004
Sie mussten den Wagen los werden, der mit verbeultem Heck und zerschossener Scheibe bereits auffiel, was sich in gelegentlichem Aufblenden oder Hupen von anderen Autos, die von ihnen überholt wurden, äußerte. Als sie bereits das weit entfernte Knattern eines Hubschraubers in der Luft vernahm, wurde es Abbey zu riskant, weiter auf der Autobahn zu bleiben, wo sie von einer Polizeimaschine nur allzu leicht ausgemacht werden konnten. So verließen sie bereits bei Bruchsal die Autobahn wieder und fuhren in die Innenstadt zur nächstbesten Autovermietung, ließen ihren lädierten Van allerdings außer Sichtweite stehen. Nur Abbey kümmerte sich um die Beschaffung des geeigneten Fahrzeugs und traf wie gewohnt eine gute Wahl. Sie fuhr mit einem silbernen, unauffälligen Mercedes Viano in extralanger Ausführung vor, der extrem geräumig und wiederum mit einem starken Dieselmotor sowie mit einem riesigen Kofferraum ausgestattet war.
Rasch luden sie ihr Gepäck um und setzten ihre Fahrt fort. Als sie wieder auf die Autobahn nach Norden auffuhren, wollte Karin wissen: „Wie geht es für uns jetzt weiter? Wir haben jetzt zweimal gesehen, wie dicht uns die Terminatoren auf den Fersen sind. Die eine ‚Abbey’ war uns schon in Zürich dicht auf den Fersen. Wir sind ihr offenbar durch unsere Ausweichroute über Singen und Stuttgart erfolgreich entkommen, aber hier war sie schon vor Ort, als wir in Aktion traten. Und wenn wir bei Dimitri nicht aus dem Fenster gesprungen wären, hätte uns der ‚Daniel’-Verschnitt dort erwischt. Zu guter letzt noch die filmreife Verfolgungsjagd eben...“
Abbey resümierte: „Das ist ein raffinierter Trick von Skynet. Offenbar ist sowohl Daniels als auch mein Modell in Wirklichkeit eine Vorserie mit jeweils fünf Exemplaren gewesen. Dadurch, dass er je einen von uns bei unserer ersten Mission im Feld eingesetzt und einen weiteren zu den anderen Prototypen gehängt hat, die es nur in Zweierserien gibt, wurde der Eindruck erweckt, dass wir zur Prototypenserie gehörten. Die jeweils anderen drei Exemplare mit unserem Aussehen hat er hierher gesandt, um die Führung des osteuropäischen Widerstandes zu terminieren und um gleichzeitig das Aussehen der Attentäter zu verschleiern, da man in der Zukunft annehmen musste und auch angenommen hat, dass es keine weiteren T-880 mit unserem Aussehen gab.
So sorgt Skynet für Verwirrung, da sozusagen die ‚Guten’ und die ‚Bösen’ identisch aussehen. Diesen psychologischen Effekt auf euch darf man nicht unterschätzen.“
„Auf mich hat es jedenfalls einen gewaltigen psychologischen Effekt“, stellte Dimitri fest. „Dich gibt es also viermal, wenn ich das richtig verstanden habe?“
Abbey nickte. „Und von dem anderen T-880, den ihr als Daniel kennt, ebenfalls. Wobei einer unserer Gegner bereits terminiert wurde. Wir wissen leider nicht, ob er ausgesehen hat wie Daniel oder wie ich. Aber wir haben bis jetzt mit jeweils einem von ihren Kontakt gehabt. Dummerweise verfügt unser Gegner ebenfalls über ausgefeilte strategische Kenntnisse und wird sein weiteres Vorgehen der neuen Lage anpassen. Die beiden T-880 haben Karlsruhe sicher ebenfalls verlassen, entweder um getrennt in zwei Richtungen nach uns Ausschau zu halten oder um sich zum nächsten Zielort zu begeben. Gott sei Dank ist dieser weitaus größer als die bisherigen, sodass sie erheblich länger brauchen werden, um die nächste Zielperson zu lokalisieren. Wir hingegen haben wieder den Vorteil, dass wir über Daten zum Aufenthaltsort der Zielperson verfügen.“
„Wohin soll’s denn gehen?“ fragte Dimitri einmütig.
„Köln.“
„Köln? Irgendwie entferne ich mich immer weiter von zu Hause. Wie soll das denn weitergehen?“ Silke wurde offenbar nervös.
Karin sah über die Schulter. „Wir alle werden eine schwere Zeit vor uns haben. Aber glaub mir, wenn du daheim geblieben wärst, hättest du jetzt eine noch viel schwerere Zeit, denn dann wärst du jetzt tot, so wie jeder von uns hier. Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass sie hinter uns her sind. Und wenn es richtig heiß wird, sind wir wohl am besten dran, wenn wir uns an Abbey und Daniel halten.“
Danach sagte niemand mehr etwas.
Abbey sah zu ihr und sagte leise, wohl wissend, dass sie hinten nicht gehört werden konnte: „Danke für deine Unterstützung. Das hätte ich in dieser Form nicht von dir erwartet.“
„Kein Problem. Welche Strecke fahren wir?“
„Wir meiden die offensichtlichste Route über Frankfurt und fahren stattdessen über Hockenheim und die A 61 durch Rheinland-Pfalz. So ist die Chance geringer, dass wir auf der Fahrt den anderen Terminatoren begegnen. Wenn wir erst einmal in Köln sind, haben wir das Gröbste hinter uns. Aller Wahrscheinlichkeit nach befindet sich dort zwar bereits ein Attentäter, sodass es dann maximal drei sein werden, die auf uns und die Zielperson Jagd machen, doch den Daten nach, die ich über die Zielperson habe, dürfte es für sie höchst unwahrscheinlich sein, ihn in so kurzer Zeit zu finden.“
Während sie durchs Alzeyer Hügelland fuhren, kehrte allmählich Ruhe im Fond ein, als sich die Erschöpfung und der Stress bei Dimitri und Silke bemerkbar machten und diese auf ihren Sitzen vor sich hin dösten. Simon indessen fragte: „Was weißt du über den nächsten ‚Kandidaten’?“
„Das wird euch gefallen: er heißt Bernd Bühler, kommt ursprünglich aus der Freiburger Gegend und ist vor drei Jahren nach Köln zum Medizinstudium gezogen. Was sagt man dazu: er hat die Uniklinik Freiburg vor der Nase und zieht nach Köln zum Studieren! Na ja, hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, wenn man die neuesten Ereignisse von unserem Standpunkt aus betrachtet. Zur Zeit leistet er seinen Zivildienst ab, aber nicht im Krankenhaus, sondern in der Jugendherberge. Das ist auch der Grund, warum er so schwer aufzufinden ist.“
„Interessant. Da bin ich ja mal gespannt.“ Simon kratzte sich an der Wange, wo langsam die ersten Bartstoppeln sichtbar wurden.
„Ruht euch noch ein wenig aus, bis wir ankommen.“ Abbey lächelte erneut und drückte Karin den Arm. „Macht euch keine Sorgen, wir schaffen das schon.“
„Du strahlst eine solche Zuversicht aus...“
„Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ist das nicht eine rein menschliche Eigenschaft?“ Sie strich sich eine Strähne des feuerroten langen Haares aus dem Gesicht und schaltete einen Gang hinab, um den steilen Anstieg des Binger Waldes mit gleichbleibendem Tempo zu erklimmen.
Karin sah zum Fenster hinaus. „Für mich bist du so menschlich, wie nur ein Mensch sein kann. Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut, was wir euch angetan haben, indem wir zugelassen haben, dass man euch reaktiviert. Wir wussten es einfach nicht besser. Es passiert so viel Schlechtes auf der Welt, weil die Menschen nicht offen und ehrlich mit einander reden. Und das gilt auch für Menschen und Terminatoren, wenn ich das richtig sehe.“
An ihrer Stimme erkannte Abbey, dass Karin den Tränen nahe war. Und da einiges dazu gehörte, die toughe junge Frau zum Weinen zu bringen, sagte Abbey: „Es ist okay, Mädchen. Es gibt Schlimmeres; immerhin sind wir zusammen, das ist das Wichtigste.“
Als sie ihr die Hand auf den Oberschenkel legte und leicht drückte, ließ Karin sie gewähren. Sie lächelte nochmals und schloss die Augen. Kurz darauf war auch sie eingenickt.
- 6 -
Erfurt, Thüringen, Deutschland 5. Juli 2004
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“ Natasha sah sich um und machte den Eindruck, als fühle sie sich hier überhaupt nicht wohl. Bei dem Anblick war das auch nicht weiter verwunderlich.
„Ja, das ist die Siedlung ‚Roter Berg’, wo unsere nächste Zielperson wohnt.“
„Roter Berg?“ echote Natasha. „Um Himmels Willen, hätten sie diesen Schandfleck nicht nach der Wende umbenennen können? Mit Leningrad und Karl-Marx-Stadt haben sie das schließlich auch geschafft.“
Sie befanden sich in der Mitte von vier Formationen aus Häusern, die sehr schmal, aber auch sehr lang in einer grob achteckigen Form gebaut waren. Jedes dieser Achtecke hatte einen Durchmesser von drei- bis vierhundert Metern; solche Ausmaße von zusammenhängenden Häusern hatte keiner von ihnen je zuvor gesehen. Das wirklich Imposante war aber, dass diese typischen Plattenbauten alle elf Stockwerke hoch waren und dabei trotz ihrer schieren Größe nicht sonderlich stabil wirkten. Wären diese Komplexe nicht so ehrfurchtgebietend riesig, hätte man sie gar als fragil wirkend bezeichnen können.
Andererseits sah man den Bauten genau an, dass sie auf dem Höhepunkt der sozialistisch geprägten Herrschaft errichtet worden waren. Sämtliche West-, Süd- und Ostfronten der Gebäude schienen aus Balkonen zu bestehen, nur durchbrochen von wenigen schmalen Fensterreihen; es war wohl damals als Privileg der Arbeitergesellschaft DDR betrachtet worden, dass jeder für wenig Geld eine nette Wohnung mit Balkon bewohnen konnte. Interessanterweise waren die schmalen Seiten, wo der Grundriß des ‚Achtecks’ durchbrochen wurde, komplett fensterlos verkleidet. Auch die Nordseiten, die als reine Fensterfronten ausgelegt waren, waren mit diesen schmucklos strukturierten Platten in rotbraun und ocker verkleidet. Das stilistische Übel dabei war, dass restlos alle Häuser dieser gesamten Satellitenstadt in diesen Farben gehalten waren. Das traf sogar auf die fünf siebzehnstöckigen Wohntürme zu, deren Standorte nach dem Zufallsprinzip über das Gelände verteilt schienen, wobei zwei davon sinnloser weise keine zehn Meter auseinander zu stehen schienen.
„Ja, dieses Haus muss es sein. Kommt mit.“ Alex trat durch den Eingang des linken der beiden Zwillingstürme, eine Schiebetür.
Aishe bemerkte nach einem Blick auf die Klingeln: „Habt ihr gesehen? Fast jede zweite Wohnung steht leer. Die sind sicher alle in den Westen gezogen.“
Natashas Bedrückung nahm zu, je länger sie sich umsah. „Wie kann man nur so eine Umgebung für Familien mit kleinen Kindern schaffen? Ist das noch menschlich?“
Caroline schob sie voran, dicht gefolgt von Aishe, wobei sie ihr zuraunte: „Sobald du nicht mehr im Freien bist, musst du dir’s auch nicht mehr ansehen.“
Worauf sie schweigend weiterging und sich mit den anderen in den Lift quetschte, der sie alle gerade noch so aufnehmen konnte.
„Warum sollen wir denn alle mitkommen?“ wollte Natasha dann wissen, als sie hinauffuhren. „Sollen wir ihn umzingeln?“
„Nein, lediglich im Gang warten. Ich kann euch nicht schutzlos im Wagen zurücklassen, da die Gefahr besteht, dass einer der anderen Terminatoren auftaucht.“
„So schutzlos sind wir auch wieder nicht“, sagte Caroline überzeugt.
Aishe wollte wissen: „Aber ich denke, der... Bösewicht weiß nicht, wo er wohnt?“
„Das ist korrekt. Allerdings befindet er sich mit Sicherheit bereits in der Stadt und hat intensive Nachforschungen betrieben. Du musst dir das vor Augen halten, Aishe, dass wir von keinem Menschen reden. Dieses Wesen macht keine Pausen, isst nicht, schläft nicht. Es verwendet all seine Energie und Raffinesse Tag und Nacht einzig dazu, seine Mission zu erfüllen. Und es ist wirklich raffiniert, denn es wird durch nichts abgelenkt, hat ein so hochentwickeltes elektronisches Gehirn, dass es dem des Menschen nicht mehr in viel nachsteht und kennt keinerlei Skrupel. Es wird jedes Mittel einsetzen und vor gar nichts zurückschrecken, um sein Ziel zu erreichen.“ Alex hielt inne, als er Aishes entsetztes Gesicht registrierte.
„Du verstehst es ausgezeichnet, einem Mut zu machen“, grummelte Natasha mit finsterer Miene.
„Ich kann euch nicht belügen, was die Tatsachen unserer Mission angeht. Im Prinzip ist es ein ständiges Kopf-an-Kopf-Rennen, denn sie haben den Vorteil, dass sie mehr sind als wir und früher mit der Suche begonnen haben. Wir hingegen haben eine Ortsangabe, wo wir einen direkten Zugriff versuchen können. Niemand weiß, wie knapp das werden kann.“
Sie kamen im sechzehnten Stock an, dem zweitobersten. Auf dem engen, schlecht beleuchteten Hausflur gingen sie an mehreren unbewohnten Apartments vorbei und kamen schließlich zu einer Tür mit einem Namensschild daran. Er läutete und wartete geduldig, bis eine kleine zierliche Frau asiatischer Herkunft öffnete. In ihren dunklen mandelförmigen Augen zeigte sich eine Spur Angst, doch Natasha lächelte sie über Alex’ Schulter hinweg freundlich an. „Hallo? Wir wollten zu Shin.“
„Shin. Was wollen von mein Sohn?“ fragte sie misstrauisch in gebrochenem, nur schwer verständlichem Deutsch.
„Wir wollen ihn nur kurz etwas fragen. Es besteht kein Grund zur Sorge.“ Alex verzog keine Miene.
„Bitte warten.“ Die Frau schloss die dünnwandige Tür wieder und lief hörbar durch die Wohnung. Caroline tippte Alex auf die Schulter und erregte dessen Aufmerksamkeit.
„Mir ist etwas aufgefallen, als wir am Eingang waren, aber ich dachte, es ist nichts Wichtiges. Aber ist es nicht komisch, dass der gesamte oberste Stock, dieser hier und die nächsten beiden nach unten hin komplett unbewohnt sind? Nur in dieser einen Wohnung im sechzehnten lebt Shins Familie.“
Aishe vermutete unsicher: „Vielleicht wollen die Hausbesitzer einfach nur die obersten Etagen leer räumen, wegen der Wasser- oder Heizungsversorgung oder sonst was. Wahrscheinlich sind sie die einzigen, die sich bis jetzt geweigert haben, die Wohnung zu wechseln.“
Die Tür öffnete sich und ein junger Mann Anfang zwanzig mit ebenfalls asiatischen Gesichtszügen sah ihre kleine Gruppe mit skeptischer Miene an. Er war kleinwüchsig, nicht viel größer als 1,50 m und damit etwa so groß wie Aishe. Kurze, glatte schwarze Haare, die typischen dunklen Mandelaugen und hohen Wangenknochen waren seine Merkmale. Er war sehr schlank, fast schon mager, schien aber zäh und drahtig wie Simon zu sein, nur eben eine Nummer kleiner.
Bevor er etwas sagen konnte, fragte Alex: „Shin Chu?“
„Ja?“ Der misstrauische Blick von Shin sprach Bände; er schien zu ahnen, dass zumindest etwas Unangenehmes auf ihn zuzukommen schien.
Alex machte ihm auf seine unmissverständliche Weise klar: „Du befindest dich in großer Gefahr. Es ist für dich lebenswichtig, dass du schnell etwas Kleidung zusammenpackst und mit uns kommst. Auch warme Sachen. Wir sind zu deinem Schutz abgestellt. Deiner Familie empfehle ich, zu ihrer eigenen Sicherheit ebenfalls diesen Ort zu verlassen.“
„Bist du bekloppt? Für mich und meine Leute ist dies der sicherste Ort in der ganzen Stadt. Niemand weiß, dass hier oben noch jemand wohnt. Und wer hier mit bösen Absichten eindringt, wird das bereuen. Wer hat euch Vögel überhaupt geschickt?“
„Wir haben keine Zeit für lange Erklärungen. Jede Minute, die wir verlieren, könnte entscheidend über Leben und Tod sein. Ich muss darauf bestehen, dass du mitkommst.“
Natasha begab sich angesichts der Dringlichkeit ihrer Lage auf Neuland und versuchte es mit Diplomatie und Einfühlungsvermögen. „Bitte sei so gut und überlege es dir. Meinst du, wir kommen einfach so ausgerechnet hierher spaziert und quatschen dich voll, wenn wir es nicht todernst meinen würden? Es ist wirklich wichtig, dass du mitkommst. Bitte!“
„Ihr spinnt doch, nü!“ Damit schlug er die Tür zu und ließ sie auf dem Gang stehen.
„Dafür haben wir keine Zeit“, sagte Alex und drückte die Tür kurzerhand auf, die klaglos und sauber aus dem Schloss sprang und weit aufschwang. Shin, der sich abgewandt und ein paar Meter von der Tür entfernt hatte, drehte sich um und starrte sie an, als sie in wenigen Sekunden alle in die Wohnung geschlüpft waren und die Tür mit dem demolierten Schloss wieder zugezogen hatten. Alex packte ihn am Arm und sagte: „Komm jetzt bitte mit. Wir erklären dir unterwegs alles Wissenswerte.“
„Lass mich los, du Klotz. Verdammte Kacke, das darf doch nicht wahr sein!“ Während Shin unflätig zu fluchen begann und mit nicht druckreifen und äußerst blumigen Ausdrücken um sich warf, begann seine Mutter lauthals in ihrer Heimatsprache loszukrakeelen. Nach etwa drei Sekunden hatten sowohl Alex als auch Natasha je eine Pistole gezogen, wobei letztere nur zur moralischen Unterstützung gedacht war. Sofort verstummten die Proteste der beiden; mit aufgerissenen Augen starrten sie auf das schwarze kalte Metall der Waffen, die zwar nicht direkt auf sie gerichtet waren, aber dennoch eine deutliche Sprache sprachen.
„Ruhig jetzt. Wir haben es im Guten versucht, doch du bist stur geblieben.“ Dann sagte Alex etwas auf Vietnamesisch zu Shins Mutter, worauf diese ihn noch ungläubiger anstarrte. Offenbar war sie nun überzeugt von der Ernsthaftigkeit ihrer Lage, denn sie eilte nach hinten in die Wohnung und begann ihre Kleiderschränke durchzuwühlen.
Caroline ging voraus zum Lift, gefolgt von Natasha, Aishe und den Schluss bildeten Alex und Shin. Dann ging alles so schnell, dass sie erst später realisierten, was eigentlich geschehen war.
Um die Biegung zum Aufzug kam Abbey. Natasha lächelte freudig überrascht, doch Caroline fuhr angesichts der schwarzgewandeten Frau herum und schrie panisch: „Runter!“
Sie warf sich gegen Aishe und Natasha und riss beide zu Boden. Gleichzeitig hatte Abbeys Double am anderen Ende des Flures ihren langen dunklen Mantel zurückgeschlagen, eine Uzi hervor gerissen und feuerte das gesamte Magazin auf einmal auf sie ab. In einem Knäuel aus Armen und Beinen fielen die vorderen drei auf den Boden, obenauf Caroline. Natasha hatte das Gefühl, sie würde taub werden bei dem unglaublich lauten Schusslärm und als würde sie erdrückt unter den beiden anderen Mädchen.
Alex hatte Shin hinter sich geschoben, sodass die Kugeln nur in seinen Körper einschlugen und feuerte seinerseits das komplette Magazin seiner Walther PPK leer, dann riss er ein Ersatzmagazin aus dem Hosenbund und trat gleichzeitig die nächste Tür ein. „Da rein!“, wies er die anderen an, während er mit langen, donnernden Schritten an ihnen vorbei rannte.
Der T-880 hielt sich nicht damit auf, seine Maschinenpistole nachzuladen. Die TSR 301-Serie hatte die klobige kurze Automatikwaffe bereits fallengelassen und öffnete nun ihre Sporttasche. Alex schoss mehrmals auf ihre Hände, um sie davon abzuhalten, denn wenn sie es schaffen würde, an das Lasergewehr zu kommen, würden ihre Überlebenschancen gegen Null absinken.
Aus dem Augenwinkel registrierte Alex, dass neben ihnen eine Tür aufgerissen wurde. Mit voller Wucht rammte er seinen Körper beim Aufeinandertreffen wie ein Footballspieler gegen den viel leichteren T-880. Sein Gegner wurde zusammen mit ihm durch die hauchdünne Zwischenwand getrieben und landete in einem großen Wohnraum, in dem an einem Tisch vier Vietnamesen gesessen und Karten gespielt hatten, wovon einer, vom Lärm aufgeschreckt, an die Tür geeilt war. Alle waren alarmiert und umklammerten Kalaschnikows, die sie offenbar stets in Griffweite hatten. Offenbar hielten sie wenig von Alex’ Tätigkeit als Innenarchitekt, denn sie schwenkten ihre Waffen herum, schossen aber noch nicht. Nebenbei nahm er im Nachbarzimmer riesige Stapel von diversen Zigarettenmarken war, die zu Stangen gebündelt waren.
Der T-880 riss einem der verduzten Asiaten die Waffe aus der Hand und lud sie durch. Mit einem schnellen Schritt war Alex bei ihr und packte sie an beiden Unterarmen, damit sie die Mündung nicht auf ihn richten konnte. Dann schwang er den Terminator herum und knallte sie gegen eine Wand.
Überraschenderweise handelte es sich dabei um eine Außenwand, welche allerdings genauso unsolide ausgelegt war wie der Rest der Zwischenwände, da sie diese ebenso glatt durchschlug. Die TSR stürzte in die Tiefe und Alex sah ihr durch das entstandene Loch in der Wand hinterher. In diesem Moment feuerte sie noch eine Garbe mit dem sowjetischen Sturmgewehr ab, während sie fiel. Die Kugeln pfiffen ihm um die Ohren, sodass er schnell wieder den Kopf einzog.
Die vier im Vergleich zu Alex winzigen Vietnamesen waren starr vor Schreck, keiner von ihnen wagte sich zu rühren. Auf Vietnamesisch bat er um Verzeihung für diesen unseligen Zwischenfall und verließ das Zimmer durch das Loch, das er vom Gang aus geschlagen hatte.
Draußen spähte Caroline vorsichtig um den Türpfosten herum und riskierte einen Blick auf den Gang. Als sie Alex sah, kam sie erleichtert heraus und bedeutete den anderen, heraus zu kommen. Dabei fragte sie: „Was ist passiert?“
„Ich habe sie durch die Wand geworfen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie den Sturz aus dieser Höhe überstanden hat. Wir sollten uns aber trotzdem sofort von diesem Ort entfernen. Der TSR kann per Funk eine Meldung durchgegeben haben. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob sich nicht noch einer von ihnen hier in Erfurt aufhält. Zudem sitzen wir hier mitten im Zentrum eines Zigaretten-Mafia-Betriebs.“
Natashas Augen wurden groß und ihr Kopf ruckte zu Shin herum: „Waaas? Du bist ein Schmuggler?“
„He, ich habe euch nicht darum gebeten, hier reinzuschneien und mir mein Leben zu versauen.“
„Pah, du wärst tot, wenn Alex dich nicht gerettet hätte!“ Caroline verschränkte die Arme über der Brust und musterte ihn ungnädig.
„Hm, das stimmt“, meinte er nachdenklich.
Caroline trat zu Alex und merkte auf: „Du bist verletzt, Alex. Du blutest.“
Sie wies auf ein kleines rotes Rinnsal, das seine Schläfe hinablief. Dann erst sah sie auf seinem weinroten Pullover die zahlreichen Löcher und deren dunkle Umrandungen.
Aishe stieß einen kleinen Schrei aus. „Was ist das? Bei Allah, du bist getroffen! Wir müssen dir... Moment... das sind mindestens zwanzig Schüsse... wie...?“
Ihr versagte die Stimme, doch Alex sagte nur: „Der T-880 hat ein ganzes Magazin aus seiner MP-5 auf mich verfeuert und bis auf einen Streifschuss an der Stirn selbstredend immer getroffen. Diese Waffe hat allerdings nur einen sehr kurzen Lauf und damit keine hohe Durchschlagskraft.“
Shin war völlig verdattert und wollte etwas sagen, wurde dann aber grob am Arm gepackt. Alex schob ihn in den Lift, der nun unter ihrem hohen Gesamtgewischt bedenklich knarrte, fuhren hinab und verließen das Hochhaus. Auf der Fahrt nach unten hatte Alex die mitgenommene Sporttasche geöffnet und mit einem befriedigenden Grunzen die Plasmaimpulswaffe zutage gefördert. Shin und Aishe fiel die Kinnlade herab beim Anblick des riesigen, futuristischen Gewehres, das aussah wie eine Spielzeugwaffe, aber aus solidem Metall gefertigt war und sehr robust und schwer wirkte.
„Ausgezeichnet. Das Kräfteverhältnis verschiebt sich langsam zu unseren Gunsten.“
Allerdings erlebten sie eine böse Überraschung, als sie unten ankamen: der T-880 war verschwunden. Nur eine tiefe Kuhle im zerschmertterten Pflaster zeugte noch vom Aufprall der schweren Kampfmaschine. Am Grund der Vertiefung waren Hautfetzen, rote Haarbüschel und Blut zu sehen.
„Das ist bemerkenswert. Ein T-800 wie ich hätte diesen Sturz kaum überstanden. Er muss zumindest noch rudimentär funktionieren, dass er sich wegschleppen konnte. Wahrscheinlich wird er sich ein Versteck suchen und von den anderen geborgen werden, die ihm bei seiner Reparatur helfen können.“ Alex wandte sich ohne einen weiteren Blick ab und steuerte ihr Auto an.
Shin allerdings blieb wie angewurzelt stehen, starrte auf das Loch hoch über ihnen in der Außenwand des Hauses, dann auf die zerschlagenen Pflastersteine und die blutbefleckte Kuhle im Boden. „Aber... sie müsste mausetot sein! Ich... sie...“
„Hast du’s noch nicht kapiert? Wir haben es hier mit Leuten zu tun, die nicht ganz so leicht umzubringen sind. Alex und die Angreiferin sind keine Menschen.“ Aishe schien das Unglaubliche erstaunlicherweise bereits akzeptiert zu haben, wenn auch die Tatsachen vielleicht noch nicht bis ins Unterbewusstsein eingesunken waren.
„Keine Menschen? Aber... das musst du mir erklären.“ Er sah sie an, nun völlig gefasst.
„Vertrau’ mir und komm mit uns. Du wirst alles erfahren, was du wissen willst. Glaubst du an Schicksal?“
Er überlegte kurz und bejahte: „Ja, ich denke schon.“
„Dann komm.“ Sie lächelte scheu und winkte ihm über die Schulter beim Gehen, ihm zu folgen.
Als Shin sie zum Auto begleitete, wollte er wissen: „He, wie lange werden wir denn unterwegs sein? Ich habe doch noch gar nichts packen können.“
„Deine Chance dafür hast du selbst nicht wahr genommen. Wir werden dir unterwegs alles, was du benötigst, besorgen. “Alex öffnete die Fondtür und winkte ihn hinein in den Grand Voyager. „Und ja, wir werden lange unterwegs sein. Unser nächstes Ziel ist Hamburg.“
„Hamburg! Aber ich kann nicht so einfach mal nach...“ Die zuknallende Tür schnitt seinen Protest ab. Natasha grinste und ließ sich vorne nieder, während Aishe sich neben Shin und Caroline hinten rechts platzierte.
Alex wollte gerade einsteigen, als sein Blick etwas registrierte. Er erstarrte und deutete auf einen funkelnagelneuen roten Audi A6, der ein Stück weit weg geparkt war. „Dieses Automobil ist in Frankfurt in die Straße eingebogen, in der das Geschäft von Aishes Vater liegt, in dem Moment, als wir abgefahren sind. Die Chance eines Zufalls ist zu klein; ich erkenne das Nummernschild wieder. Es muss das Fahrzeug des Terminators sein.“
„Wirklich? Mann, dass das in Frankfurt so knapp war, hätte ich gar nicht gedacht.“ Aishe sah sich nervös um.
„Bis gerade eben wussten wir das ja nicht. Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, im Moment ist der T-880 nicht in der Lage, aus eigener Kraft Auto zu fahren. Einer der anderen wird ihn bergen müssen. Vielleicht hält sie das sogar ein wenig auf, wenn sie einen der anderen Terminatoren aus einer anderen Stadt abziehen müssen, um sich darum zu kümmern.“
Zur Sicherheit ging Alex zum Wagen ihres Widersachers und beugte sich unauffällig hinab. Er packte auf der Fahrerseite den Vorderreifen und ruckte kurz, aber fest daran, worauf die komplette Radaufhängung abriss und das gesamte Rad in schrägem Winkel herabhing. Dieselbe Behandlung ließ er dem linken Hinterrad angedeihen, wonach der Audi in bedenklicher Schräglage auf seinem Parkplatz stand. Zufrieden stieg er dann ein und bemerkte: „Dieses Fahrzeug wird sich aus eigener Kraft nicht mehr bewegen.“
Als Caroline die Schiebetür hinten zuzog, fragte Aishe: „Wo ist denn deine Jacke hin?“
Die junge Elsässerin zuckte zusammen. „Mist, die hab’ ich oben in dem Zimmer liegen gelassen, in das wir uns vor der Schießerei geflüchtet haben. Ist das schlimm?“
Shin meinte lässig: „Das bezweifle ich. Die Einwohner des halben Hauses sind von unserem kleinen Unternehmen gekauft oder ihm anderweitig verpflichtet. Wahrscheinlich wird nicht einmal die Polizei gerufen werden, das traut sich niemand. Wenn nicht zufällig ein Passant den Sturz der Frau gesehen hat, wird mit Sicherheit niemand davon erfahren. Die Familie kümmert sich um die Schäden und schmiert die nötigen Stellen.“
Kurz darauf waren sie unterwegs zur Autobahn, um ihr nächstes Ziel anzusteuern. Auf der Fahrt begannen sie, Shin in alles einzuweihen. Diesmal schien der Neuling in der Gruppe die phantastischen Fakten, die ihm präsentiert wurden, offenbar mit größerer Akzeptanz aufzunehmen, angesichts dessen, was er schon mit eigenen Augen gesehen hatte. Ein unumstößlicher Beweis war Alex, der mit etwa zwei Dutzend Kugeln im Oberleib munter am Steuer saß und fuhr, als wäre nichts geschehen. Ein weiterer war das Verschwinden der ‚Frau’, die aus dem sechzehnten Stock auf solides Pflaster gefallen war und das nicht nur überlebt, sondern sich auch noch aus eigener Kraft vom Schauplatz entfernt hatte. Dazu kam noch die Leichtigkeit, mit der sich die beiden durch Zwischenwände des Plattenbaus geprügelt hatten. Zugegebener maßen waren diese nicht gerade die massivsten, doch so etwas hatte er trotzdem noch nie gesehen, und er hatte sein Leben lang in dieser Trabantenstadt gelebt; als kleines Kind noch mit seiner Familie, die als Gastarbeiter aus dem kommunistischen Bruderland Vietnam gekommen war, dann nach der Wende unter den Fittichen der Organisation, die über seine und viele andere Familien wachte und sich um sie kümmerte, finanziert von vielen, vielen Stangen Zigaretten, auf denen mysteriöserweise das Steueretikett fehlte.
Die Zeit lief ihnen davon, wie sie auf höchst unangenehme Weise am eigenen Leib erfahren hatten. Nur durch Zufall und viel Glück waren sie heute alle der ‚Terminierung’ entgangen. Jetzt kam es darauf an, so schnell es ging zum letzten Zielort zu gelangen, der für sie auch der bisher größte war.
Sie hielten auf dem ganzen Weg nur zweimal zum Austreten und ernährten sich unterwegs provisorisch von belegten Broten und Snacks aus den Raststätten. Unbekümmert und klaglos saß Alex die ganze Strecke über am Steuer und bewegte den großen Chrysler mit höchstmöglicher Effizienz. Er war dabei der denkbar beste Autopilot und um Längen besser als jeder menschliche Fahrer. Mit der Zeit dämmerte das auch den neueren Insassen, worauf auch sie sich entspannen konnten und etwas in ihren bequemen Sitzen dösten.
Köln-Riehl, Nordrhein-Westfalen, Deutschland 5. Juli 2004
Während Alex und Konsorten sich der zweitgrößten Stadt Deutschlands an der Elbmündung näherten, war auch die andere Gruppe an ihrem nächsten Ziel, in der viertgrößten Stadt Deutschlands am Niederrhein angekommen. Abbey stellte den Van auf einem Parkplatz ab, der von viel Grün umgeben war. Sowohl die beiden Türme und die gewaltigen Haltetrossen der Mülheimer Brücke, einer der großen Hängebrücken Kölns, als auch der durchdringend tiefe, anhaltende Ton des Nebelhornes eines Binnenfrachtschiffes im Hintergrund zeugte von der unmittelbaren Nähe von „Vater Rhein“.
Ihr erster direkter Anlaufpunkt war kurioserweise ebenfalls ein hoch aufragendes Gebäude mit acht Stockwerken: das Jugendgästehaus Köln-Riehl. Es erwies sich mit seiner Front aus Ziegelsteinen und Schieferplatten sowie einem oxidierten, grün schimmernden Kupferdach als durchaus ansehnlich. „Hier sollte Bernd gemäss den Angaben, die ich habe, als Zivildienstleistender gearbeitet haben. Wollt ihr im Wagen warten oder mitkommen?“
„Machst du Witze? Nach dieser langen Fahrt ist jeder froh, wenn er sich ein bisschen die Beine vertreten kann.“ Silke schob die hintere Tür nach hinten und sprang heraus, gefolgt von Simon und Dimitri.
„Genau, ich war noch nie in Köln“, bekräftigte letzterer und sah sich im kleinen Park zwischen der Herberge und dem Rheinufer neugierig um, obwohl es hier abgesehen von der nahen Brücke und den hoch aufragenden Türmen des Kölner Domes in über vier Kilometer Entfernung nicht viel von der Stadt zu sehen gab. Die paar in der Nähe stehenden Hochhäuser, von denen das höchste weit über vierzig Stockwerke aufwies, gaben mit ihren hässlichen Betonfronten nicht viel her.
„Ich fürchte, da werde ich euch enttäuschen müssen. Wir sind hier nicht zur Besichtigungstour, sondern um ein Menschenleben zu retten. Wenn alles glatt läuft, sitzen wir in einer Viertelstunde schon wieder im Auto zu unserer letzten Station. Und dort muss wirklich alles glatt laufen, denn Bremen ist eine viel kleinere Stadt; ich mache mir große Sorgen um die Zielperson dort. Wenn sie nur einen einzigen Terminator gleich zu Anfang dort hin gesandt haben, besteht höchste Gefahr für den dortigen ‚Kandidaten’. Kommt jetzt.“ Zielstrebig steuerte Abbey den Eingang der Jugendherberge an und schritt mit ihren langen Beinen forsch aus, sodass vor allem Karin Mühe hatte, ihr zu folgen.
„Denkt dran, wir sind Freunde aus Freiburg, die ihn hier überraschen wollen. Ansonsten überlasst mir das Reden.“
Alle stimmten zu und betraten gemeinsam die Eingangshalle des Gebäudes. Abbey ging zum Empfang und stützte sich gewichtig vornüber auf den Tresen, worauf sich ein junger Mann dahinter augenblicklich aufrichtete, sich nervös durch die zerzauste Kraushaarmähne strich und seine Nickelbrille zurecht rückte. Fröhlich begann sie: „Hallo, ich wollte fragen, ob Bernd da ist. Wir sind Freunde von ihm aus Freiburg und sind gerade in der Stadt zu Besuch, da dachten wir, wir überraschen ihn einfach mal.“
„Der Bernd... aus Freiburg... na klar, der hat diese Woche Nachtschicht. Da habt ihr wohl Pech gehabt, er hat nämlich heute schön ausgeschlafen und ist gerade vorhin in die Stadt rein. Ich könnte höchstens seinen Kumpel Flitze fragen; die Beiden hängen oft miteinander rum.“ Der Zivi hob das Telefon ab und wählte eine interne Kurznummer.
„He, Urs, ist Flitze grad da... na, dann schau halt mal nach, ich hab hier Leute aus Freiburg da, die... ach, was erzähl ich hier lang, tu’s einfach... nee, irgendwann heute wär echt toll...“ Er hielt kurz inne und rief dann fast in den Hörer: „Na klar sofort, du blöder Anfänger! Soll ich denn erst selbst hochkommen oder wa? Na, denn mach hinne.“
In der darauf entstehenden Pause grinste er Abbey breit mit tiefgelben, krummen Zähnen an. „Tut mir leid, oben in der Gemeinschaftswohnung für die Zivis ist gerade einer von den Neuen drangegangen. Die Typen muss man alles heißen. Ich bin übrigens der Palle.“
„Aha.“ Abbey sah über die Schulter zu den anderen.
„Und du bist...“ fing Palle neugierig an.
„...zum ersten Mal in Köln.“ Sie lächelte zuckersüß.
„Und du heißt...“
„...meine Freunde auch alles. Sie hören auf mich, musst du wissen.“ Sie zwinkerte ihm zu, worauf er seine plumpen Annäherungsversuche aufgab. Gleichzeitig meldete sich jemand am anderen Ende der Leitung.
„Ja, Flitze, hier ist jemand... nein, ich... weißt du was, ich geb’ sie dir einfach mal...“ Konsterniert reichte er ihr den Hörer. Sie lächelte immer noch, nickte dankbar und winkte Karin näher heran.
„Hallo Flitze, ich bin eine Freundin von Bernd. Wir sind hier ein paar Leutchen aus dem Freiburger Raum, sind grad in der Stadt und dachten, wir schauen mal, was der Bernd so treibt.“ Sie unterbrach für einen Moment, als Karin zu ihnen an den Tresen kam und den Zivi freundlich musterte, offenbar amüsiert über sein Aussehen.
„Das ist Karin. Karin, das ist Palle.“ Antiproportional zu Palles wachsendem Grinsen verschwand selbiges aus Karins Gesicht, doch Abbey drehte sich rasch weg und telefonierte weiter. „Ja, er ist in die Stadt gefahren und kommt offenbar erst heut Abend zurück, deshalb dachte Palle, wir können dich fragen, ob du weißt, wo er sich rumtreibt.“
Sie lauschte kurz und sagte dann: „Das ist ja perfekt. Ja, kenn ich. Wir sind mit dem Auto da, wir können also... ja, genau, machen wir. Danke!“
Sie legte auf und amüsierte sich dabei über Karins Versuche, Palles Tresen unter irgend einem Vorwand, gleich wie fadenscheinig, zu verlassen. Abbey übernahm das Ruder wieder und erlöste ihre leidgeprüfte Freundin, als sie das Jugendgästehaus verließen. „Was für ein Glück, Karin. Bernd trifft sich nachher mit einem Freund in der Südstadt in einem Café. Ich habe Zeit und Ort. Dort können wir sicher sein, ihn anzutreffen. Wir fahren am besten gleich los, dann könnt ihr euch doch noch etwas von Köln ansehen, bevor wir den Zugriff machen.“
Sie waren bereits wieder im Freien. Karin tippte ihr von hinten auf die Schulter. „Ja?“
„Dafür schuldest du mir was, dass das klar ist.“
Abbey grinste schelmisch. „Und, hast du seine Telefonnummer?“
„Ich wird noch bekloppt! Der Typ war so eklig! Warum ich?“ rief sie anklagend.
„Ich brauchte eine Ablenkung, das war alles. Und schließlich haben wir das erreicht, was wir wollten. Jetzt fahren wir in die Stadt, ihr macht ein wenig Sightseeing und dann postieren wir uns eine Weile vor dem Zeitpunkt des Treffens in besagtem Café. So können wir Bernd vielleicht abfangen, wenn er vor seinem Kollegen eintrifft.“
„Klingt gut. Ich schlage vor, wir nutzen die Zeit, um ordentlich Kleidung einzukaufen, vor allem für Dimitri.“
„Für uns alle. Wir werden einiges brauchen. Also auf zur Schildergasse.“ Sie startete den Viano und fuhr los Richtung Innenstadt.
Hatteras, Dare County, North Carolina, USA 19. Dezember 1972
T-XF nahm den starken Wind, der seit zwei Tagen unablässig den Regen gegen die Panoramafenster der Strandbar prasseln ließ, kaum wahr. Draußen war es finster, der nächste Wintersturm auf dem Atlantik kündigte sich an. Sie warf im Vorbeigehen einen kurzen Blick auf ihre momentane Erscheinung: eine junge, schüchtern wirkende Frau Anfang zwanzig, schlank und ansehnlich mit blonden Haaren, zum Pferdeschwanz gebunden, klaren blauen Augen und einem Schmollmund. In den Jahren, die sie hier am sprichwörtlichen Ende der Welt zugebracht hatte und sich als Kellnerin und Küchengehilfin über Wasser gehalten hatte (Kreditkarten waren noch nicht etabliert worden), hatte sie so manche Avance bekommen und die eine oder andere auch angenommen. Ihre durch die von Daniel und Abbey geschaffene formidable Tarnung war durch die immense Erfahrung der Jahre hier nochmals immens erweitert worden. Bis sie sich in der Zeit befinden würde, um ihre Mission anzugehen, würde sie sich selbst wahrscheinlich daran erinnern müssen, dass sie kein Mensch war.
Während sie mit traumwandlerischer Sicherheit und in atemberaubendem Tempo das Regal mit den diversen Cocktailgläsern an der Spiegelwand hinter der Theke durcharbeitete, wobei sie jedes Glas einzeln herausnahm und polierte, bis es den sprichwörtlichen Glanz aus der Fernsehwerbung hatte, bedauerte sie ein wenig, dass man heute wegen des miserablen Winterwetters nichts vom Panorama draußen sehen konnte. Das landschaftliche Phänomen, auf dem sie sich befand, bestand aus einem insgesamt über einhundert Meilen langen, aber nur etwa einer Meile breiten Inselstreifen, der in einem stumpfen Winkel von der Küste North Carolinas bis zu vierzig Meilen weit in den Atlantischen Ozean hereinragte, nur an wenigen Stellen unterbrochen, so dass eine riesige Binnenfläche mit Salzwasser entstand, der Pamlico Sund. Diese geologische Formation ähnelte in frappierender Weise der Kurischen Nehrung und dem gleichnamigen Haff, die sich nördlich von Kaliningrad und im litauischen Süden der Sowjetunion befanden.
T-XF liebte die Abgelegenheit des 400-Seelen-Dörfchens, das links und rechts von der See umzingelt war und nur eine einzige Straße als Verbindung zum weit entfernten Festland besaß. Cape Hatteras war auch heute schon ein sehr beliebtes Ferien- und Ausflugziel, doch im Winter war der Ort größtenteils verwaist und die wenigen Geschäfte, die nicht einfach bis zur nächsten Saison geschlossen hatten, schlugen sich durch die einkommenslose und besinnliche Jahreszeit mit Renovierung ihrer Häuser und vielen anderen Zeitvertreiben, damit sie nicht vor Langeweile wahnsinnig wurden. Ihr Chef Percy hatte dabei noch Glück, da seine Bar eine der wenigen Anlaufpunkte im Städtchen war, wo sich die Dagebliebenen zu treffen pflegten, um der Einsamkeit zu entgehen. Es wurde nicht wirklich kalt so weit im Süden und im gemäßigten Inselklima, doch die Stürme im Winter konnten einem doch die gute Laune trüben.
„Heute rührt sich wohl gar nichts mehr, was, Sally?“ rief Percy zu ihr herüber.
„Kein Wunder bei dem Wetter. Würdest du freiwillig einen Fuß vor die Tür setzen?“ Sie ging zum kleinen, brandneuen Farbfernsehgerät und stellte ihn an.
„Na ja, stimmt schon. Wozu stellst du die Kiste an?“
„Sie zeigen die Rückkehr. Das einzig wirklich Große, was zur Zeit in Amerika passiert. In Nam bekleckern wir uns ja nicht gerade mit Ruhm.“
Percy seufzte: „Verdammte kleine Pazifistin! Wenn wir den Schlitzaugen nicht zeigen, wer das Sagen hat, glaubt der Kommie, er kann sich die ganze Welt unter den Nagel reißen. Wie oft soll ich dir das noch erklären?“
„Ich denke nicht, dass... da, sie berichten gerade darüber, dass seit gestern pausenlos von Guam aus mit schweren B-52-Bombern Einsätze über Nordvietnam geflogen werden. Weißt du, was das heißt? Wir gestehen unsere Niederlage ein, indem wir ihr gesamtes Land mit Stratofestungen in Schutt und Asche legen. Und warum? Weil wir es nicht geschafft haben, ihnen im Dschungel das Wasser zu reichen. Operation Linebaker II soll beliebig lange fortgesetzt werden, bis die Nordvietnamesen wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, sagt General Meyer gerade.“
Percy kam langsam zu ihr herüber. Er hatte gelernt, dass sie, ungeachtet der Tatsache, dass sie eine junge Frau war, sich in weltpolitischen Belangen vorzüglich auskannte und allgemeine Entwicklungen mit unheimlicher Treffsicherheit prognostizieren konnte. Seinen Gästen pflegte er zu sagen: ‚Wollt ihr die Nachrichten von morgen hören? Fragt Sally!’
Sie fuhr fort. „Und sie werden Erfolg damit haben. Was bleibt den Vietnamesen denn anderes übrig angesichts dieser Zerstörungen? Ich gebe ihnen nicht mehr bis Neujahr, dann sitzen sie wieder am runden Tisch zusammen. Wirst schon sehen.“
Er staunte, während sie angestrengt den weiteren Nachrichten lauschte. Endlich kam die Meldung, auf die sie lange gewartet hatte. Aufgeregt packte sie ihn am Hemdsärmel. „Da, sieh nur! Apollo 17 ist wohlauf zurückgekehrt. Mann, was für ein Augenblick in der Geschichte unseres Landes. Halte dir diesen Tag gut in Erinnerung, Percy. Unser Land wird vielleicht nie wieder eine solche Leistung wie heute zu Stande bringen.“
„Wovon redest du?“ Er runzelte die Stirn. „Die Erforschung des Mondes...“
„...ist längst Routine geworden“, beendete sie den Satz für ihn, wenn auch nicht in seinem Sinne. „Kannst du dich noch an die erste Landung von Apollo 11 erinnern? Sondersendungen, die Leute sind Kopf gestanden und haben unsere Jungs bei ihrer Rückkehr empfangen wie Helden. Und jetzt? Sie übertragen es nicht einmal mehr live, dabei haben Schmitt und seine Jungs genauso viel geleistet wie Armstrongs Mannschaft. Unsere Welt ist so oberflächlich und schnelllebig geworden, dass sich bereits bei der sechsten Mondmission kein Mensch mehr dafür interessiert. Apollo 18 und 19? Vergiss es! Ich sage dir, sie werden den Etat für das Weltraumprogramm nächstes Jahr gnadenlos zusammen streichen, obwohl es noch so viel zu entdecken und zu erforschen gibt. Die öffentliche Meinung ist gegen das weitere Verpulvern von Milliarden Dollarn für etwas so Abstraktes, das sie nicht nachvollziehen können. Stattdessen werfen wir lieber noch ein paar Bomben mehr auf nichtsahnende Reisbauern in einem Land, von dem die Hälfte unserer Bevölkerung nicht einmal weiß, wo es liegt.“
„Meine Güte, du machst mir ja Angst! So radikal kenne ich dich gar nicht, Sally! Was ist nur in dich gefahren, Mädchen?“
Sie wandte sich ab. „Es geht bergab mit unserem Land, Percy. Auch wenn hier draußen die Welt noch in Ordnung ist, du kannst die Zeichen bereits sehen. Du musst nur die Nachrichten ansehen, dann kannst du bereits ahnen, wohin es führt. Die Sowjets können sich das Wettrüsten mit ihrem Gesellschaftssystem nicht ewig in dieser Dimension leisten, weißt du? Es mag noch Jahrzehnte dauern, aber schlussendlich werden sie unterliegen. Mehr als zehn Prozent des Staatshaushalts für Waffen auszugeben, macht jedes Land auf Dauer kaputt. Nun, fast jedes. Die USA macht fleißig Schulden und ist fein aus dem Schneider, während die einfachen Leute in Russland verhungern. Wir müssen es nur aussitzen, dann wirst du schon sehen, wer den längeren Atem hat.“
Percy konnte gar nichts mehr sagen; er versuchte angestrengt, ihre Gedankengänge nachzuvollziehen. Schließlich meinte er versonnen: „Manchmal habe ich gute Lust, das alles aufzuschreiben, was du so von dir gibst, Sally. Wer weiß, vielleicht kommt es eines Tages wirklich so – was natürlich absoluter Blödsinn ist - , aber stell dir mal vor, wenn du diejenige bist, die sagen kann: ‚Seht her, ich hab’s doch gewusst!’ Wollen wir alle das nicht einmal im Leben sagen können? Zumindest bei so großen Dingen, wie du sie dir ausmalst.“
„Untersteh’ dich, auch nur ein Wort davon nieder zu schreiben!“ Brüsk wandte sie sich ab. War sie zu unvorsichtig geworden? Vielleicht war es wieder einmal Zeit für einen Orts- und Identitätswechsel geworden. Das, was sie über die USA gesagt hatte, meinte sie wirklich so, mit dem Wissenstand des Jahres 2004 gesegnet. Jetzt, nachdem der letzte Mensch für alle Zeiten auf dem Mond gelandet war, gab es nicht mehr viel, was sie hier noch faszinierte.
Eine Kreuzfahrt nach Europa, das wäre schön, dachte sie so bei sich. Vielleicht würde sie auf einem Schiff anheuern und sich als Besatzungsmitglied die Überfahrt verdienen. Ja, es war Zeit geworden für sie, „God’s own Country“ endgültig den Rücken zu kehren. Und es gab ja noch so viel zu tun, so viel vorzubereiten...
Hamburg-Niendorf, Deutschland 5. Juli 2004
Abbey und ihre Begleiter hatten ihre Einkäufe erledigt und brachen auf, um Kontakt mit ihrer nächsten Zielperson aufzunehmen. Inzwischen war es bereits später Nachmittag geworden, als Alex und seine Mitfahrer kurz vor der Einfahrt in den Elbtunnel die beiden trapezförmigen Pylonen der Köhlbrandbrücke, einer der größten Hängebrücken Deutschlands, bewundern konnten. Aufgrund des hier üblichen Stop-and-Go-Verkehrs hatten sie dazu sogar mehr Zeit, als ihnen lieb war. Als sie bei Hamburg-Stellingen die A 7 verließen, war es schon früher Abend geworden. Zielstrebig fuhr der t-800 durch den nachlassenden Berufsverkehr am NDR-Fernsehstudio vorbei und hielt sich dann links.
Alex fuhr zum Halten an den rechten Straßenrand, als er den Auflauf vor dem Mietshaus sah, welches ihr Ziel war. Mit ernster Miene sagte er: „Da vorne ist etwas passiert.“
„Was meinst du? Ist das etwa das Haus, wo...“
Der Lärm eines zweistrahligen Verkehrsflugzeuges, das vor ihnen in weniger als hundert Meter Höhe über die Straße flog, machte für einige Sekunden jede Unterhaltung unmöglich. Sie befanden sich fast direkt in der Einflugsschneise des Flughafens Fuhlsbüttel.
„Ja. Es kann sein, dass wir zu spät kommen. Wartet hier.“ Er stieg aus, doch Natasha öffnete ebenfalls ihre Tür.
„Ich komme mit. Vier Augen sehen mehr als...“ Sie hielt inne. „Du weißt schon, was ich meine, ja?“
„Das ist taktisch höchst unklug. Der T-880 könnte sich noch in der näheren Umgebung aufhalten. Es ist hier ziemlich gefährlich.“
„Dann solltest du uns hier auch nicht alleine lassen, während du die Lage sondierst, meinst du nicht auch?“, gab sie zu bedenken.
Er hielt inne. „Deine Einschätzung der Lage ist korrekt. Wir werden uns ein Stück weit entfernen und dann eine erneute Annäherung mit umsichtigerer Vorgehensweise unternehmen.“
Er stieg wieder ein und fuhr über mehrere Umwege zur U-Bahn-Haltestelle des berühmten Hagenbecks Tierpark, wo er auf dem Park-and-Ride-Parkplatz tatsächlich noch eine Lücke fand, die groß genug für ihren Van war. Nachdem er ihn abgestellt hatte, sagte er zu den anderen: „Natasha und ich werden mit der U-Bahn zum Wohnort der Zielperson zurückkehren. Währenddessen könnt ihr euch falls nötig etwas Verpflegung besorgen, aber bleibt nicht zu lange weg und entfernt euch nicht zu weit vom Fahrzeug.“
„Kein Problem, wir brauchen nur etwas Bargeld, um uns etwas kaufen zu können.“ Beinahe unverschämt hielt Caroline die Hand auf.
Alex holte ein paar Euro-Banknoten aus seiner Hosentasche und ging dann mit Natasha zum Bahngleis, wo sie die nächste U-Bahn zum Niendorfer Markt zurück nahmen. Nach einer ereignislosen Fahrt gingen sie den kurzen Weg zurück zum Ort des Geschehens, der noch immer von diversen Ambulanzen und Polizeiwagen sowie einer großen Menge von Schaulustigen umgeben war.
Sie stellten sich an den Rand der Menschentraube und fragten arglos einen der Umstehenden nach dem Grund des Aufruhrs. „Da drin hat es eine Schießerei gegeben. Es gibt ne ganze Menge Tote, keine Verletzten. Die Polizei steht offenbar vor einem Rätsel; ich habe selbst gehört, wie einer von ihnen vorhin gesagt hat, er habe so etwas noch nie zuvor gesehen.“
„Was kann denn da so rätselhaft daran sein, wenn ein Haufen Leute erschossen wird?“ wollte Natasha wissen.
„Einer der Sanitäter hat zu den Polizisten gesagt, die Wunden der Toten stammen aus keiner Waffe, die ihm oder irgendeinem seiner Kollegen bekannt wären. Es müsste etwas neues oder völlig exotisches sein, dass solche Einschüsse verursacht.“
„Hm, faszinierend“, murmelte Alex. „Danke.“
Natasha erstarrte, als zwei Männer aus dem Haus kamen und zwischen sich einen Sarg aus Aluminium trugen. „Alex, wir sind zu spät gekommen.“
Sie entfernten sich vom Tatort und blieben am Eingang einer kleinen Seitengasse stehen, wobei Alex sagte: „Hier können wir nichts mehr ausrichten. Es bleibt nur noch die Frage offen, ob sich die Zielperson wirklich unter den Opfern aufgehalten hat, als der Terminator ihren Wohnort aufgespürt hat. Für mich sieht es so aus, als ob er ohne langes Bestätigen der Identität der Zielperson kurzerhand jeden terminiert hat, den er angetroffen hat. Mich beunruhigt dabei, dass er bedenkenlos die Laserwaffe benutzt hat, ohne Rücksicht darauf, dass es mehrere Personen waren und bei der Untersuchung dieser Morde zwangsweise Ungereimtheiten auftauchen werden.“
„Stimmt, der andere T-880 hat zuerst einmal mit konventionellen Waffen auf uns geschossen, bis er merkte, dass dir damit nicht beizukommen ist.“
„Deine kognitiven taktischen Fähigkeiten sind bemerkenswert“, lobte er sie. „Offenbar kümmert sich dieses Exemplar nicht darum, ob es eine Riesensensation geben könnte, wenn in der Presse bekannt wird, dass ein offenbar Geistesgestörter quer durch Deutschland fährt und mit einer geheimnisvollen Waffe Leute ohne jeden Zusammenhang oder erkennbares Muster umlegt, wenn ich es einmal so umgangssprachlich ausdrücken darf.“
„Sehr gut, deine Ausdrucksweise macht sich langsam. Ich frage mich, ob das der gleiche Drecksack war, der in Freiburg Ralf umgebracht hat. Andererseits hat dein Vorgänger diesen Terminator zur Strecke gebracht.“
„Nicht unbedingt“, gab Alex zu bedenken. „Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Cyborg, der Ralf getötet hat und der, den ihr in Simons und Karins Wohnung angetroffen habt, ein und derselbe war. Es hätten auch zwei von ihnen dort sein können, weil es auch mehr als eine Zielperson aufzufinden galt.“
„Und was tun wir jetzt? Wir wissen nicht genau, ob der Terminator hier die Zielperson auch wirklich erwischt hat. Und wenn nicht, wie finden wir sie dann? Sie muss völlig verängstigt und verstört sein, wenn sie davon erfährt. Es wird sicher nicht leicht sein, sie davon zu überzeugen, dass ihr Überleben davon abhängt, mit uns zu kommen.“
Sie gingen langsam zurück zur U-Bahnstation. „Den Informationen nach, die mir vom europäischen Widerstand eingegeben wurden, muss sich die Zielperson zu diesem Zeitpunkt in der Stadt aufgehalten haben. Das heißt, wir können ausschließen, dass sie im Urlaub war, verreist ist oder etwas in der Art.“
„Was weißt du noch über sie?“ fragte Natasha neugierig, als sie in eine ankommende Bahn der Linie U2 in Richtung Innenstadt stiegen. Ein startender Jumbojet unterbrach ihr Gespräch erneut für kurze Zeit. Die Bahn fuhr an und beschleunigte schnell. Da es nur zwei Stationen zum berühmten alten Zoo Hamburgs waren, würde die Fahrt nicht lange dauern.
„Nun, sie heißt Anastasia Yakovlev, wohnt in besagtem Haus mit ihrer Familie, die kurz nach ihrer Geburt aus Kaliningrad hier eingewandert ist. Ihre Großmutter war Deutsche, deshalb konnten sie recht problemlos nach Deutschland kommen. Dann nur noch eine allgemein gehaltene Personenbeschreibung.“
„Ein sehr exotischer Name. Yakovlev wie die sowjetischen Kampfflugzeuge?“ Natasha musste grinsen.
Alex indes zögerte. „Woher kennst du diese Bezeichnung?“
„Mein kleiner Bruder baute früher alle möglichen sowjetischen Flugzeugmodelle. Er schwärmt noch heute für sie. Du weißt natürlich, dass auch meine Familie aus der Sowjetunion kommt, oder?“ Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Selbst wenn ich keine detaillierten Dateien über deine Person hätte - der Name Orloff ist in Russland so häufig wie Meier oder Schmidt in Deutschland.“
Sie nickte und sah zum Fenster hinaus, wo eben das erste Haltestellenschild von Hagenbecks Tierpark auftauchte, als die U-Bahn stark bremste und in die Station einfuhr. Sie verließen die Bahn zusammen mit einigen anderen Leuten und gingen langsam zum Ausgang.
„Wir müssen uns unbedingt Klarheit darüber verschaffen, ob sie noch lebt oder nicht. Wenn ja, müssen wir sie finden und beschützen. Erst mal zurück zum Auto.“
„Suchen wir Anastasia dann?“
„Sag nur Ana. Das ist kürzer.“
Natasha und Alex erstarrten. „Nicht umdrehen. Lauft ganz normal weiter, als ob nichts wäre. Ihr wolltet zu einem Auto? Tut euch keinen Zwang an. Und versucht keine Dummheiten; ich habe einen nervösen Zeigefinger.“
Die beiden sahen sich aus dem Augenwinkel an, gingen aber langsam weiter, ohne sich umzudrehen. Natasha fragte treuselig: „Heißt das, auf uns ist eine Waffe gerichtet?“
„Kluges Kind. Nicht umdrehen, verdammt!“ Anas Stimme klang eigentlich sehr sanft und melodisch, hatte aber im Angesicht der Lage einen gefährlichen Unterton.
„Du scheinst es nicht leicht zu haben hier in der großen Stadt. Ist es da nötig, immer eine Pistole bei sich zu tragen?“
„Du hast ja keine Ahnung. Was wollt ihr von mir?“
„Wir sind so froh, dass du lebst, Ana. Als wir sahen, was passiert war, dachten wir schon, wir seien zu spät. Wir sind hier mit einem großen Auto, diesem Van da vorne. Siehst du ihn?“ Alex lenkte geschickt vom Thema ab.
„Der silberne Chrysler Voyager? Klar. Sieht brandneu aus.“
„Es ist ein Leihwagen“, erklärte Alex, als sie noch fünf Meter hinter dem Fahrzeug auf dem menschenleeren Parkplatz waren. Dann wirbelte er herum, schlug ihr die Waffe aus der Hand und stieß sie nach vorne zum Wagen hin.
Völlig perplex stolperte Ana vorwärts, doch Natasha fing sie auf, half ihr wieder auf die Beine und musterte sie erstmals. „Wow, das übertrifft ja meine Erwartungen noch bei Weitem.“
Ana war ein wenig jünger als Natasha, etwas über 1,70 m groß, sehr schlank und sportlich, aber dennoch mit genügend weiblichen Attributen ausgestattet. Ihr puppenhaftes Gesicht mit rehbraunen Augen, einem perfekt geraden Nasenrücken und einem schmalen Mund mit vollen Lippen hatte sanfte Züge und ein leicht spitzes Kinn. Es wurde von kurzem, hellbraunen Lockenhaar umrahmt. Sie sah absolut harmlos aus in Natashas Augen, was aufgrund ihres Auftrittes bereits als trügerischer Eindruck zu werten war.
Sie nahm Anas Rechte in beide Hände und drückte sie. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass wir dich gesund und unverletzt antreffen.“
Alex hatte ihre Waffe aufgehoben und gab sie ihr mit dem Griff nach vorne zurück. Er verzog keine Miene dabei, während er sagte: „Hier, die hast du verloren. Eine Beretta, ein unzuverlässiger Typ. Ich werde dir später ein anderes Modell geben.“
Ana stand da wie angewurzelt, als sie ihre Pistole wieder an sich nahm. „Seid ihr irgendwie geistig ein bisschen langsam oder so? Ich habe euch gerade mit der Waffe bedroht und ihr gebt sie mir einfach so zurück?“
Natasha grub in den Tiefen ihrer Seele nach den letzten Resten an Diplomatie, die sie noch mobilisieren konnte. Dieser Mist lag ihr einfach nicht. „Hör zu, wir wollen dir damit nur zeigen, dass du uns vertrauen kannst und nichts von uns zu befürchten hast. Wir sind zu deinem Schutz da, während der Mörder deiner Familie immer noch frei herumläuft. Sobald bekannt wird, dass du dem Anschlag entgangen bist, wird er nicht ruhen, solange du noch lebst.“
„Meine Familie...“ Plötzlich schien eine psychische Sperre aufgehoben, worauf sie in sich zusammensackte und haltlos zu schluchzen begann. „Ich bin nur durch pures Glück da raus gekommen. Wir saßen alle zusammen beim Essen, als er die Wohnungstür eintrat. Es ging alles so schnell, da war überall dieses Licht und das Zischen... Schreie... Schüsse... nichts konnte ihn aufhalten... ich bin durch das Badfenster... oh Gott!“
Die Tür des Vans ging auf, als die anderen den Tumult bemerkt hatten. Caroline kam aus dem Fond geeilt, als sie Ana am Boden sitzen und weinen sah. „Können wir euch helfen?“
Sie schafften Ana gemeinsam ins Auto und beruhigten sie. Nur langsam und behutsam lieferten sie ihr häppchenweise Informationen, um sie nicht zu überfordern. Alex indes steuerte den Van in der tiefstehenden Sonne zurück zur Autobahn. Sie hatten nun alle Zielpersonen in ihrer Gruppe aufgesammelt und sollten gemäss des Planes nun direkt zum Safehouse fahren, das Daniel inzwischen besorgt und hergerichtet haben müsste.
Köln, Nordrhein-Westfalen, Deutschland 5. Juli 2004
Kurz nach dem Severinstor bog Abbey vom Ubierring ab in ein ruhiges Viertel der Südstadt, wo in etlichen alten Seitenstraßen wenig Durchgangsverkehr herrschte, dafür aber viele Grünanlagen und kleine Geschäfte sowie Cafés und Restaurants beherbergt waren. Sie parkte den Van auf einem großzügig angelegten Parkstreifen fast genau gegenüber ihres Zielortes. Simon, Silke und Dimitri warteten im Wagen, während Abbey und Karin die Straße überquerten und auf ihr Ziel zuhielten.
„Warum immer ich?“ beschwerte sich Karin beim Betreten des gemütlichen Cafés, das vom ersten Eindruck her von jungen Leuten, vornehmlich Studenten, besucht wurde. „Bin ich so was wie der Botschafter unserer kleinen Delegation?“
„Gewissermaßen. Ich denke einfach, dass du für so etwas am besten geeignet bist. Du bekommst das hin, oder?“
„Na ja, normalerweise ist es eher anders herum, aber... ich versuche es, okay?“ Sie seufzte angesichts der Aufgabe, die ihr bevorstand.
An der Türschwelle blieb Abbey wie angewurzelt stehen, als sie die zahlreichen Gäste mit einem raschen Blick erfasste. „Er ist schon da. Dort vorne an dem kleinen Tisch, mit dem braunen Haar und dem weißen T-Shirt, der mit dem Rücken zu uns sitzt.“
Karin zögerte. „Der da? Oh Mann, Abbey, was verlangst du da von mir? Das ist ja noch schlimmer als die Nummer vom Autohaus. Er wird mich für... du weißt schon was halten.“
„Du hast früh genug Gelegenheit, diesen Eindruck von dir zu berichtigen. Los, schnapp ihn dir!“ Mit einem aufmunternden Klaps auf die Schulter schickte Abbey sie los. Zögernd ging Karin hinein und rieb sich die schmerzende Schulter, während sie wie zufällig auf Bernds Tisch zusteuerte. Wenigstens war das Lokal ziemlich voll, was ihren Vorwand nicht ganz so fadenscheinig wirken ließ.
„Entschuldige, ist hier noch frei?“ fragte sie freundlich, als sie Bernds Tisch von hinten umrundete. Worauf dieser verblüfft von seinem Buch aufsah; ihm passierte das wohl nicht so häufig, dass sich jemand einfach so zu ihm setzte.
„Äh, klar. Bitte sehr.“ Er wies auf den zweiten Stuhl ihm gegenüber, wobei er sie warnte: „Es kann aber sein, dass noch ein Freund von mir nachher vorbeischaut.“
„Kein Problem. Ich bin die Karin“, sagte sie und kam sich hinter ihrem Lächeln vor wie ein Vollidiot. Er ließ indes sein Buch sinken, als in ihm die Erkenntnis reifte, dass dieses weibliche Wesen tatsächlich eine Konversation mit ihm anstrebte.
„Ich heiße Bernd“, stellte er sich einsilbig vor. Sie musterte ihn und wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr vage bekannt vorkam. Er hatte dunkelbraunes Haar, das in einer längeren struppigen Igelfrisur in alle Richtungen abstand wie ein zu lange herausgewachsener Bürstenhaarschnitt. Dicke braune Augenbrauen standen über seinen dunklen großen Augen, mit denen er sie fragend ansah. Eigentlich war er gar nicht so unansehnlich, trotz seines ungepflegten dunklen Vollbartes, der dringend einmal gestutzt werden müsste, aber stattdessen so lange war, dass er bereits erfolgreich die Konturen seiner markanten, leicht eckigen Kiefer- und Kinnpartie verwischte.
„Und, was machst du so? Studierst du hier?“ quälte sie sich weiter durch den ihr ungewohnten Prozess, ein Gespräch mit einem Unbekannten zu beginnen.
„Eigentlich ja, Medizin. Zur Zeit mache ich allerdings Zivi im Jugendgästehaus.“ Er zögerte kurz und fuhr dann fort. „Ich weiß, das klingt jetzt blöd, aber ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Gesichter. Kann es sein, dass ich dich von irgend woher kenne? Bist du auch in der Medizin?“
„Nein, eigentlich habe ich mein Studium schon beendet. Ich habe aber nicht hier...“
„Warte!“ unterbrach er sie unerwartet. „Dein Akzent und dein Aussehen... kann es sein, dass du aus Freiburg kommst?“
Jetzt fiel ihr doch die Kinnlade hinab. „Oh Mann, woher...?“
„Du warst öfter mal im Agar oder im Aspekt, stimmt’s? Du hast schon immer diesen Pferdeschwanz und läufst auch meistens in Schwarz oder in Jeanskluft herum. Und du hast meistens eine große rothaarige Freundin dabei gehabt und früher eine mit sehr langen hellbraunen Haaren. Stimmt’s?“ Er sah ihr tief in die Augen und ihr wurde direkt ein wenig mulmig dabei.
„Das... das stimmt alles. Du kannst dich an all das erinnern? Nach wie langer Zeit?“ Sie war völlig perplex und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte – außer mit einem künftigen Wechsel ihrer Garderobe vielleicht, die einen weniger hohen Wiedererkennungswert liefern sollte.
„Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis für Personen“, wiederholte er und lächelte etwas verschämt, während er die Augen niederschlug. „Na gut, vielleicht lag es auch an dir selbst, aber ich bin etwas ungeschickt darin, Leute anzusprechen, wenn du verstehst. Schüchtern, könnte man sagen. Vielleicht hatte ich ein kleines Faible für dich.“
Unglaublich, dass sie ihn jetzt hier ansprach, nachdem er offenbar damals in Freiburg ein heimlicher Verehrer von ihr gewesen war. Was sagte man dazu?
„Das muss wohl Schicksal sein, dass wir uns hier und jetzt über den Weg laufen, nachdem wir uns in Freiburg nie kennen gelernt haben“, meinte er auch prompt.
„Ich hoffe stark, du glaubst an Schicksal?“ forschte sie nach in der Hoffnung, einen Ansatz für die Erklärung ihres Anliegens zu finden.
„Ja, unbedingt“, bekräftigte er. „Das hier kann kein Zufall sein.“
„Ist es in der Tat nicht“, begann sie vorsichtig. „Wir beide sind gewissermaßen direkt vom Schicksal auserwählt worden.“
„So wie du das sagst, bekommt es schon einen mythischen Klang“, bemerkte er und grinste breit dabei.
„Nun, es ist tatsächlich kein Zufall. Ich bin eigentlich hergekommen, um mit dir über eine Menge Dinge zu reden, die unser Leben in naher Zukunft radikal verändern werden. Die Welt
wie wir sie kennen, wird so in dieser Form nicht mehr lange existieren. Ich weiß, das hört sich jetzt nach Spinnerei an, aber ich kann nur hoffen, du hast eine Menge Phantasie, um das alles, was auf uns zukommt, zu verarbeiten und zu verdauen.“
„Ich muss zugeben, dass ich immer weniger verstehe, aber die Art, wie du ‚uns’ sagst, gefällt mir irgendwie.“ Er grinste noch unverschämter. „Ich weiß, dass ich gerne übers Ziel hinausschieße in meiner Unbekümmertheit. Hab’ ich es schon versaut?“
„Nein, durchaus nicht. Unter normalen Umständen würdest du jetzt bereits wieder alleine am Tisch sitzen, aber in dieser Lage ist es am besten, wenn du mitkommst. Die Zeit läuft uns davon und ich glaube, du bist gewillt, dir anzuhören, was ich dir zu sagen habe.“ Sie stand auf und legte ein paar Münzen für sein Getränk auf den Tisch.
„Was? Wohin willst du? Wohin gehen wir?“ Ihm passierte es wohl auch nicht oft, dass ihn eine Frau einlud und gar zum Mitgehen aufforderte. Unsicher stand er auf, folgte ihr hinaus und über die Straße. Dabei entging ihr nicht, wie er sie verstohlen beim Gehen beobachtete. Sie verdrehte die Augen gen Himmel; der Junge konnte einem schon leid tun. Hätte sie bloß nicht so eine enge Hose an!
„Siehst du, wir sind schon da. Wir machen eine kurze Fahrt, wenn es dir recht ist. Ich erkläre dir unterwegs alles.“ Sie öffnete die Schiebetür an dem großen Van und winkte ihn hinein in die letzte Reihe. Bernd aber blieb unentschlossen stehen, als er die kleine Gruppe im Innern erspähte. Irgendwie schien er den Braten zu riechen.
„Was ist das? Seid ihr auf Urlaubsfahrt?“
Sie schob ihn sanft nach hinten durch. „Ja, wir fahren alle zusammen weg. Unsere Fahrerin kennst du schon.“
Abbey drehte sich um und begrüßte ihn freundlich. Bernds Augen begannen zu leuchten, als er sie erblickte. Meine Güte, man konnte aus ihm lesen wie aus einem offenen Buch. Und dieser Junge war verzweifelt, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Eines war gewiss: sollte sie je das dringende Bedürfnis nach ‚Zerstreuung’ haben, wäre er der letzte, der ihr dieses Anliegen abschlagen würde. Ob ihr Bedürfnis jedoch jemals so stark werden würde, bezweifelte sie ernsthaft.
Sie seufzte nochmals und begab sich zu ihm nach hinten in die letzte Sitzreihe. „Du kannst losfahren, Abbey. Ich fange am Besten von ganz vorne an, dir alles zu erklären.“
Sie stellte noch kurz alle Insassen vor – Bernd erinnerte sich tatsächlich auch noch an Simon, den er wahrscheinlich auch mit Karin zusammen gesehen haben musste – und begann dann die Zusammenhänge zu erläutern. Als die Sprache auf die umwälzenden weltbewegenden Ereignisse kam, die ihnen bevorstanden, verzog er keine Miene, sondern hörte nur gefasst zu. Für Karins Geschmack eine Spur zu gefasst. Dennoch war sie froh, dass er keinen großen Widerstand leistete, als sie auf dem Kreuz Köln-Süd auf die Autobahn auffuhren und sich auf den Weg nach Bremen machten, um das letzte künftige Mitglied ihres Teams zu suchen.
Als Silke ihn darauf ansprach, meinte er lakonisch: „Wenn du wüsstest, wie mein bisheriges Leben verlaufen ist... es gibt nicht mehr viel, was mich ernsthaft erschüttern kann. Und das meine ich ernst. Ich sehe zwar aus wie Mitte zwanzig, aber geistig fühle ich mich manchmal wie ein alter Mann, der auf zu viele Ereignisse für ein einzelnes Leben zurück blicken kann. Es hängt sicher auch mit dem familiären Umfeld zusammen, wie man aufgewachsen ist und so.“
Darauf fragten sie nicht länger nach. Den ersten Aussagen über seinem Werdegang nach hatten sie entnehmen können, dass er nicht in einer intakten Familie, sondern bei einem Elternteil aufgewachsen war. Mehr getraute sich nach diesem gewichtigen Statement niemand zu fragen. Anhand der Gleichmut, mit der er alles so außergewöhnlich klaglos über sich ergehen ließ, was ihm gerade widerfuhr, mussten sie ihm Respekt zollen und zweifelten den Wahrheitsgehalt dieser Andeutungen nicht einmal ansatzweise an.
Abbey schob sich trotz der Antiblend-Beschichtung der Frontscheibe eine Sonnenbrille auf die Nase, als sie die A 1 Richtung Norden erreichten und gegen die tiefstehende Sonne fuhren. In ein paar Stunden sollten sie es bis nach Bremen geschafft haben.
Berlin-West, Bundesrepublik Deutschland 3. Oktober 1990
T-XF stand auf einem Flachdach am Rande des Potsdamer Platzes und sah hinab auf die Hunderttausende von Leuten, die ausgelassen feierten. Heute wurde Geschichte geschrieben, das war ihm klar. Er hatte das Aussehen eines großgewachsenen jungen Mannes, der fast klischeehaft das Bild eines typischen Deutschen verkörperte. Dabei spielte es ab heute keine Rolle mehr, ob West- oder Ostdeutscher, denn in diesen Minuten erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl die beiden deutschen Staaten für wiedervereinigt. Es gab kein West- oder Ostberlin mehr, keine BRD oder DDR. Der eiserne Vorhang war gefallen, eine Zeit des Aufbaus, des Neuanfangs brach an, aber auch eine Zeit der Aufarbeitung von Altlasten, der Konfusion und des Rückzugs der noch sowjetischen Truppen, die bald ebenfalls erst zu den GUS, dann nur noch zu Russland gehören würden. Er gedachte das zu seinen Gunsten auszunutzen.
Dem jungen Mann schien der Jubel und das farbenfrohe Feuerwerk über dem frei zugänglichen Brandenburger Tor, dem einstigen Symbol der Teilung und jetzt des Zusammenwachsens, sichtlich zu gefallen. Er beabsichtigte, die Wirren zu nutzen, die sich in den nächsten Monaten und Jahren noch ergeben würden, bis Routine im neuen Deutschland einkehren würde. Abgesehen von den Möglichkeiten, die ihm ohnehin schon mitgegeben worden waren, begann er jetzt vorauszuplanen.
Langfristig vorauszuplanen.
Er würde sich um vieles kümmern müssen, denn er hatte eine ganze Gruppe unter seine Fittiche zu nehmen, wenn beim Transport der beiden T-880 Einheiten noch mehr schiefgegangen war als bei seinem. Er war bereits über drei Jahrzehnte hier und erfreute sich noch bester Funktionalität, was dank seines Fusionsgenerators auch noch für etliche Jahrzehnte der Fall bleiben konnte. Die T-880 hatten herkömmliche Brennstoffzellen, welche nach gut einhundert Jahren ihren Geist aufgeben würden. Wenn sie bei der Störung, die bei den Zeitsprüngen aufgetreten war, noch weiter als er in der Vergangenheit gelandet waren, lagen sie vielleicht bereits mit verbrauchten Zellen irgendwo verrottend im Dreck.
Dann war er die letzte Hoffnung für die Widerstandsgruppe, für deren Schutz er abgestellt war. Und er wollte so gut wie nur möglich vorbereitet sein. Dabei musste er sich in manchen Belangen auf den technischen Fortschritt der Menschheit verlassen. Vor allem die Entwicklung des bargeldlosen Geldbezugs mittels Magnetkarten hatte ihn enorm weitergebracht in seinen Möglichkeiten. Endlich konnte er die ihm mitgegebene Karte gebührend nutzen und bei jeder Gelegenheit Unsummen von Bargeld von beliebig per Zufallsgenerator angewählten Konten abheben, wobei die Transaktion selbst nach der Ausführung wieder gelöscht wurde, sodass niemand auf seinem persönlichen Konto Geld vermisste. Lediglich das betreffende Geldinstitut musste nach einer Weile einen gewissen Fehlbetrag verbuchen, der sich auf mysteriöse Weise nicht zurückverfolgen ließ.
Nun stand einiges für T-XF an. Zuerst einmal würde er sich in Deutschland einleben, nebenher aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit geeignete Waffen aus sowjetischen Militärdepots beschaffen. Die Fähigkeit, jede gewünschte Gestalt anzunehmen, die er einmal durch physischen Kontakt, sprich Berührung, analysiert hatte, würde ihm beziehungsweise ihr sehr dabei helfen, sich Zutritt auch zu streng bewachten Rotarmee-Depots zu verschaffen. Er musste sich nicht die Mühe machen wie einst CSM 108-1 und extra in eine Kaserne einbrechen, um an ein paar lausige alte Gewehre zu kommen.
Und es war noch weit mehr zu tun. Aber wann immer sich ab 1996 die Gelegenheit dazu bieten würde, würde er in Freiburg sein und dem bunten Treiben von der Clique von Naturwissenschaftlern zusehen, wenn auch in gebührendem Abstand und mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen, wenn er in irgendeiner unauffälligen Gestalt im Hintergrund zusehen würde, wie sich alles entwickelt hatte.
T-XF schüttelte den Kopf. Seit weit über drei Jahrzehnten war er hier in der Vergangenheit, wobei er schon mit einer ‚Lebenserfahrung von 17 Jahren in seinen Speichern, den Erinnerungen von Daniel und Abbey nämlich, angekommen war. Wenn man noch die Zeitspanne dazuzählte, die er jetzt als T-XF unter Menschen geweilt hatte, reichte das beinahe schon für ein Menschenleben. Er weigerte sich mittlerweile, sich einzugestehen, dass er vom mentalen Standpunkt aus kein Mensch war. Wenn da nicht seine besonderen Fähigkeiten und seine Mission wären...
Er kehrte den Feierlichkeiten der jungen neuen Nation, die sich selbst wieder gefunden hatte, den Rücken und machte sich auf. Es gab viel zu tun, das war der Gedanke, der ihn beherrschte.
Zunächst galt es einen wirklich guten Ort zu finden. Etwas besseres als das ursprünglich vorgesehene jedenfalls. Das würde wahrscheinlich Jahre brauchen, doch er würde nichts überstürzen, denn nur wenn er den Ort sorgfältig auswählte, alles nach den Vorstellungen errichtete, die ihm vorschwebten und vor allem nicht zu auffällig wurde in seinen Bemühungen, würden diese am Ende von Erfolg gekrönt sein. Niemand durfte bemerken, was da vor sich ging, bis die Zeit gekommen war, da die Welt sich verdunkeln würde.
Delmenhorst, Niedersachsen, Deutschland 5. Juli 2004
Die Sonne stand weit im Nordwesten, als sie von der A 1 abfuhren und in den beschaulichen Vorort von Bremen einfuhren. Abbey sah sich um, als sie von einer Straße zur nächsten fuhr. Überall bot sich ihnen das gleiche Bild von unverputzten Ziegelhäusern, wie sie in dieser Gegend typisch waren. Besorgt sagte sie: „Es ist noch schlimmer, als ich dachte. Dieser Vorort ist so klein...“
„Ist euch aufgefallen ,wie spät es ist? Und es ist immer noch hell“, stellte Karin erstaunt fest.
„Warst du noch nie so weit im Norden?“ fragte Abbey und suchte weiterhin nach der richtigen Straße.
„Nicht im Sommer, nein. Liegt das an der Mitternachtssonne?“
„Nein, an der Neigung der Erdachse zu ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Aber du meinst schon das Richtige: je weiter man im Sommer nach Norden kommt, desto länger ist es hell. Ah, dort ist es.“ Abbey bog in eine Seitenstraße ein, fuhr noch ein paar Meter und lenkte dann abrupt in eine Parkbucht.
„Was ist?“ fragte Simon, verstummte aber dann beim Blick nach vorne auf die Straße.
Etwa hundert Meter vor ihnen kam eine große athletische Frau mit einer roten Mähne aus einem der Reihenhäuser. In aller Seelenruhe klappte sie die Heckscheibe ihres 530d-Kombis auf, bugsierte eine riesige unförmige Reisetasche ins Gepäckabteil und stieg dann ein, ohne sich noch einmal umzusehen.
Alle starrten bewegungslos wie das Kaninchen vor der Schlange hinaus, als hätten sie Angst, die winzigste Bewegung könnte die Aufmerksamkeit der Tötungsmaschine dort vor ihnen direkt auf sie lenken. Das Abbey-Äquivalent indes fuhr ungerührt davon, worauf sich wieder Stille über die in abendliches Licht getauchte Vorstadtstraße legte.
„Oh mein Gott, wir sind zu spät gekommen“, flüsterte Silke mit blankem Horror in der Stimme.
Bernd fasste sich zuerst wieder, wohl weil die Vorstellung für ihn am abstraktesten war, dass der Zwilling von Abbey dort vorne eine konkrete Gefahr bedeuten konnte. „Was tun wir jetzt?“
„Wartet hier.“ Abbeys Gesicht war wie in Stein gemeißelt, als sie ihre Tür öffnete.
Karin öffnete die ihre ebenfalls und sagte: „Nein, ich möchte mit. Ich will sehen, was hier passiert ist.“
„Das ist keine gute Idee“, warf Abbey ein, doch gleichzeitig öffnete sich die rechte Schiebetür.
„Ich komme auch mit.“
Alle sahen nach hinten und bestaunten Bernd, der mit ernster Miene ohne weiteren Kommentar aus dem Fond stieg und sich abwartend mit vor der Brust verschränkten Armen aufbaute.
Karin sah ihn mit zweifelndem Blick an. „Bist du sicher, dass du das willst? Es kann sehr... hässlich sein, was wir da drin vorfinden werden.“
„Dann wird es Zeit, dass ich aus meiner netten kleinen Welt in diese unglaubliche Realität geholt werde, die ihr mir auf der Fahrt hierher beschrieben habt. Und was könnte besser dafür geeignet sein als...“
„Jetzt hör schon auf, das klingt ja wie aus einem billigen Action-Film nach dem Muster: unerfahrener Büromensch gerät unbeabsichtigt in eine wilde Verfolgungsjagd in Road-Movie-Manier und steht überraschend seinen Mann.“ Karin fixierte ihn erbost.
„Bist du fertig mit dem Mist? Dann können wir jetzt endlich?“
Abbey zog einen Mundwinkel ironisch hoch: „Also, dann komm schon, du Mann aus Stahl.“
Karin blieb noch einige Sekunden wie angewurzelt stehen, dann hastete sie den Beiden hinterher. „He, Moment mal!“
Simon bemerkte noch, als Karin loslief: „Wenn’s recht ist, bleiben wir hier. Ich habe für meinen Geschmack genug Action für einen Tag gehabt.“
Am Tor des niedrigen, weiß gestrichenen Gartenzaunes holte sie Abbey und Bernd ein. Abbey bedeutete ihnen, zu schweigen und sich unbedingt hinter ihr zu halten. Folgsam blieben sie still, doch Karin warf ihm einen erzürnten Blick zu. Er hielt diesem stand, bis sie zu ihrem eigenen Erstaunen wegsah. Was war das nur an ihm, das sie so verunsicherte? Sie hatte das Gefühl, die Lösung lag direkt vor ihr. Es war irgend etwas an seinem Typ Mensch.
Abbey war an der Vordertür angelangt, die angelehnt war. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen beobachtete Karin, wie Abbey sie vorsichtig aufschob und eintrat, sich wachsam umsehend. Bernd folgte ihr auf dem Fuß, ohne sich noch einmal nach Karin umzusehen. Sie registrierte verwundert, dass ihr Ego einen leichten Knacks von seinem Verhalten ihr gegenüber abbekommen hatte, versuchte aber diese Gedanken schnell zu verdrängen. Sie passten einfach nicht hierher.
Im Hausflur erstarrte Abbey und wies stumm auf die Küche. Zwei Frauenfüße in Strumpfhosen und Hausschuhen ragten auf dem Küchenboden in den Türausschnitt hinein. Bernd spähte ungefragt in den Raum, bekam große Augen und sah sie dann an, stumm den Kopf schüttelnd.
Noch bevor Karin die Überraschung verdaut hatte, wie gelassen, ja beinahe routiniert er auf diesen bestimmt grausamen Anblick reagiert hatte, hatte Abbey einen Mann Mitte Fünfzig im Wohnzimmer vorgefunden, der ebenfalls regungslos auf dem Boden lag. Karin sah nicht ins Zimmer, wohl aber Bernd, der für einen Moment die Augen schloss und dann Abbey lautlos die Treppe ins Obergeschoss hinauf folgte. Was zum Henker war bloß los mit ihm? Studierte er Gerichtsmedizin oder hatte er als Leichenträger gejobbt, um sich das Studium zu finanzieren? Wie konnte man beim Anblick zweier Toter nur so abgebrüht reagieren?
Oben gab es neben dem Bad nur zwei Zimmer. Das erste erwies sich als Schlafzimmer der Eltern und war leer. Als sie das zweite Zimmer öffnen wollten, stieß die Tür beim Öffnen gegen ein Hindernis. Abbey drückte etwas fester, worauf sich das Zimmer doch betreten ließ. Im Inneren hörten sie Abbey leise sagen: „Oh nein.“
Das Mädchen war um die zwanzig Jahre gewesen und bildhübsch: eine klassische nordische Gesichtsform mit runden, sommersprossigen Wangen und sanft gebogener Stubsnase sowie vollen geschwungenen Lippen. Eine blonde Lockenmähne und einst klare blaue Augen, die nun gebrochen und glasig gegen die Zimmerdecke starrten. Auch ihre Figur war schlank und ansprechend gewesen. Bernd starrte darauf, ohne jegliche Regung. Er musste sich erst noch an den Anblick des noch immer rauchenden, faustgroßen Lochs in ihrem Brustkorb gewöhnen, den der Plasmaimpuls in den Körper des jungen Mädchens hineingebrannt hatte.
„Das war Jasmin Waltersen. Wir haben sie verloren. Wir waren zu langsam.“ Abbey kehrte ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um und verließ den Schauplatz.
Die ‚böse Abbey’ hatte diesmal ganze Arbeit geleistet, dachte Karin beim Gehen. Die gesamte Familie war terminiert, es gab keine Zeugen und bestimmt hatte niemand die Geräusche der Waffe gehört. Dieses furchtbare Verbrechen würde für alle Zeit ungelöst bleiben. Zumindest für die nächste Zeit, bis sich ein dunkler Schleier der absoluten Vernichtung über das Land legen würde und der Tod einer einzelnen Familie beinahe bedeutungslos würde angesichts des Endes der Welt, wie sie sie gewohnt waren.
Dieser Gedanke bedrückte sie seltsamerweise weniger als die Bilder, die sie eben gesehen hatte. Das Ende der Welt, diese Vorstellung schien so weit hergeholt, dass sie fürchtete, das Eintreten des Ereignisses selbst würde sie wie ein Hammerschlag treffen, obwohl sie schon so weit im Voraus davon gewusst hatte. Wie konnte man sich auf das vorbereiten?
Abbey wisperte fast, als sie schnell losfuhr: „Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun. Wir fahren jetzt direkt zum Safehouse weiter. Es wird eine lange Fahrt. Wenn ihr eine Rast wünscht, müsst ihr es mir sagen, dann können wir einen kurzen Halt einlagen. Ansonsten fahren wir die Nacht durch. Versucht etwas zu schlafen, wenn ihr könnt.“
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