Terminator Band 2 - Unabwendbare Realitäten
von andilone
Kurzbeschreibung
Die Vergangenheit holt Karin, Simon und auch Natasha ein, Jahre nach ihrem Abschied von ihren geliebten Beschützern Daniel und Abbey. Ein Terminator taucht bei ihnen auf und eröffnet ihnen, dass sie zum künftigen europäischen Widerstand der Menschen gegen Skynet gehören werden und zur Terminierung anvisiert sind. Nachdem sie mithilfe der reaktivierten CPUs von Abbey und Daniel Verstärkung aus der Zukunft erhalten, sammeln sie eine ganze Gruppe junger Menschen ein, die mehr oder weniger traumatisiert auf die Offenbarung ihres künftigen Schicksals reagieren. Doch auch Skynet ist nicht untätig, so dass ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel quer durch halb Europa beginnt. Und ein ominöser, von den Rebellen geschickter T-X, der sich dezent helfend im Hintergrund hält, gibt allen Rätsel auf... wie nahe ist er ihnen wirklich, als sie ins Exil fliehen, ständig verfolgt von den unermüdlichen und erbarmungslosen Killercyborgs?
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
Terminator T-1000
Terminator T-800
Terminator T-850
Terminator T-X
22.12.2006
22.12.2006
6
169.722
6
22.12.2006
30.943
- P R O L O G -
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 23. Oktober 2030
General Mahtobu verließ die Halle mit der ZeitVerschiebungsAnlage (ZVA) und fühlte sich tief in seinem Inneren hundeelend. Es war ein sehr seltsames Gefühl gewesen, dazustehen und zuzusehen, wie diese fremdartige Maschine ein Loch in das Raum-Zeit-Gefüge riss und jemanden in eine Epoche sandte, in die sie nicht hingehörten. Alles was in der Vergangenheit geschehen mochte, konnte die ihnen bekannte Geschichte verändern, vielleicht unmerklich, vielleicht auch verheerend. Die Härchen auf seinen Unterarmen waren noch immer aufgerichtet, als habe er selbst eine elektrostatische Aufladung erfahren, als er beim Zeitsprung um die Kante des Schutzwalls herum zugesehen hatte, wie die Gruppe von einer gleißend hellen Lichtkugel verschlungen worden war. Hoffentlich hatte er sich nicht zu weit hinter der Schutzmauer hervorgewagt.
Mit einem Kopfschütteln verdrängte Mahtobu diesen erschreckenden Gedanken. Er hatte gerade acht seiner besten Schüler in eine ihnen fremde Ära geschickt, auf eine Mission, die vielleicht keiner von ihnen überleben würde. Auch wenn Karin Bochner, die Lehrerin für Naturwissenschaften, die ihre Schützlinge in geradezu grotesker Weise verteidigt hatte und fast nicht hätte gehen lassen wollen, es ihm nicht glauben würde, so hatte es ihm doch sehr widerstrebt, sie auf ihre Mission zu schicken.
Denn neben vielen anderen denkbaren und undenkbaren Komplikationen konnte das auch bedeuten, dass durch die daraus entstandenen Veränderungen in der Zeitlinie soeben die Existenz ihres großen Anführers und seines langjährigen Freundes John Connor geendet hatte. Das war ein Gedanke, der für ihn fast unerträglich war.
Sein nächster Gedanke war, nun endlich mit der Demontage der Anlage zu beginnen und dieses unselige Teufelswerk, ersonnen von bösartigen Maschinen nur zum Zwecke der Vernichtung der Menschheit, in seine Einzelteile zu zerlegen und vom Angesicht der Erde zu tilgen. So wie sie alle anderen Spuren von Skynets globaler Destruktionsmaschinerie nach ihrem mühsam erkämpften Sieg beseitigen würden.
Dummerweise hatte sich herausgestellt, dass Skynets künstlicher Verstand auf viele einzelne Rechnersysteme verteilt war, nicht wie früher immer angenommen, auf den einen großen Supercomputer in der unterirdischen militärischen Bergfestung in Colorado. Als sie diese Anlage eingenommen und außer Betrieb gesetzt hatten, schien die Auswirkung daraus wie ein totaler Sieg zu sein: auf vielen Schlachtfeldern fielen die JKs vom Himmel, die gepanzerten Vernichtungsmaschinen erstarrten ebenso wie die Terminator-Endoskelette. Nach dem anfänglichen Jubel folgte jedoch bald die Ernüchterung, als man feststellen musste, dass die Infrastruktur von Skynet sehr viel redundanter, dass heißt durch Mehrfachausführung seiner Systeme gegen Ausfälle geschützt ausgelegt war, als immer angenommen worden war. Da man einen emotionslosen, kaltherzigen Computer, der keine Demoralisierung oder Verzweiflung kennt, nicht zur Kapitulation auffordern kann, musste man in monatelanger Kleinarbeit jedes autark arbeitende Maschinennest ausräuchern.
Und mittlerweile sah es so aus, als würden aus den Monaten Jahre werden. Der Lauf der Geschichte selbst schien sich auf subtile Art immer wieder ein klein bisschen zu Gunsten von Skynet zu wandeln. Die Wurzel des Problems war klar: das Zeitreiseparadoxon. Sie hatten eigentlich angenommen, das hier sei die letzte funktionierende ZVA gewesen, doch allmählich hatte es den Anschein, als sei die letzte Runde dieses subtilen, hochbrisanten Spiels mit der Veränderung der Vergangenheit noch lange nicht eingeläutet.
Die große Frage für den alten, schwarzen General war, ob man selbst irgendwelche Veränderungen wahrnehmen konnte, oder ob lediglich in der Vergangenheit eine neue Realität geschaffen wurde, in der die Veränderungen für die zurückgereisten Personen zum Tragen kommen würden. Für ihn hatte diese Variante immer die logischste der ganzen Kopfschmerz erzeugenden Thesen dargestellt; über die anderen Möglichkeiten versuchte er lieber nicht nachzudenken.
Ein junger Corporal kam angelaufen und holte ihn ans Kurzwellen-Funkgerät. Erleichtert vernahm er die Stimme seines alten Freundes und Befehlshabers. Erfreut rief er: „John, altes Haus! Wie fühlst du dich?“
„Genau gleich wie noch vor zehn Minuten. Was hast du gedacht? Dass ich mich in Luft auflöse?“ Das vertraute, schelmische Lachen tat Mahtobu gut. „Ich habe dir doch gesagt, dass es so nicht funktioniert.“
„Aber wie dann? Du hast diesen Scheiß schließlich auch nicht erfunden, oder? Wieso glaubst du, dass ausgerechnet du auch nur ein Fünkchen mehr darüber weißt als ich?“ gab er zu bedenken.
Wieder das Lachen. „Gutes Argument, Henee. Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass du die ZVA lieber doch nicht zerlegen lässt.“
Mahtobu starrte das Mikrofon verblüfft an. „Aber... aber wir waren uns doch einig, dass dieses verdammte...“
„Bitte entschuldige, wenn ich dir so grob ins Wort falle, aber wir denken, es ist taktisch gesehen klüger, die Anlage als Aktivposten in der Hinterhand zu halten, für den Fall der Fälle. Oder siehst du irgendein Risiko darin, dass die Maschinen Mount Mitchell zurückerobern könnten?“
Nach einer Bedenksekunde antwortete er bedächtig: „Nein... nein, dafür haben wir in der Gegend hier zu gründlich aufgeräumt. Die Anlage selbst ist zu einhundert Prozent gesichert, und das einzige, was restliche Terminatoren zwischen Tennessee und Georgia noch nehmen können, ist Reißaus.“
„Sehr gut. Ich vertraue dir in dieser Einschätzung völlig. Allerdings sind Kate und ich uns darin einig, dass wir zumindest diese ZVA noch brauchen werden aufgrund dessen, was uns damals unmittelbar vor dem Judgment Day passiert ist.“
Nun musste Henee einen Moment überlegen. „Entschuldige, hast du ‚Kate’ gesagt?“
„Ja, natürlich.“ Connors Stimme zögerte. War dies ein Missverständnis? Mahtobu überlegte kurz, bevor er wieder auf Sendebetrieb schaltete.
„Wer ist Kate? Lass mich kurz nachdenken...“
„Das ist nicht witzig, Henee... nicht in diesem Moment, so kurz nach einer Zeitverschiebung. Du hast mir einen Moment lang einen Heidenschreck eingejagt, weißt du?“
Nun sträubten sich Mahtobus Nackenhaare. Das wurde langsam unheimlich. „Ich fürchte, ich weiß wirklich nicht, auf wen du dich beziehst. Das ist mein voller Ernst, John. Hilf mir doch einfach mal auf die Sprünge.“
Offenbar hatte sich nach einem Moment des Schweigens Connors gesunde Paranoia durchgesetzt, dank der er nicht schon vor langer Zeit wahnsinnig geworden war, als das Paradox der Zeitreise zum ersten Mal auf ihn Einfluss genommen hatte. „Ich rede von Kathrin Brewster, meiner Frau und Stellvertreterin. Der Frau, die mit mir zusammen im Atombunker von Crystal Peak saß, während um uns herum die Sprengköpfe vom Himmel fielen. Von der Mutter meiner Kinder. Na, klingelt’s da bei dir?“
„Wir haben ein Problem, John. Ich habe nämlich nicht die geringste Ahnung, von wem du da redest. Du hast nie eine Frau gehabt... nun, jedenfalls nicht auf diese... eine Ehefrau eben.“ Der Afrikaner konnte nicht glauben, was er da hörte.
„Das heißt, wir haben eine Veränderung der Zeitlinie erfahren. Gott sei Dank habe ich dich gerade jetzt angefunkt, sonst hättest du wahrscheinlich schon die halbe Anlage in Einzelteile zerlegt und in Kisten verpackt gehabt, bis wir diese Diskrepanz bemerkt hätten. Am besten komme ich gleich morgen zu euch rübergeflogen; wer weiß, was sich sonst noch so getan hat.“ Die Stimme am anderen Ende der Verbindung klang ehrlich besorgt, aber auch neugierig.
„Ich lasse alles für dich vorbereiten.“ Mahtobu wurde nachdenklich. Er ordnete eine vollständige Durchsuchung des Stützpunktes an, um sicherzugehen, dass ihnen keine unliebsamen Überraschungen im Dunkel des Berginneren drohten. Man konnte nie wissen, vor allem nicht in einer solchen Lage.
Interessanterweise fanden sie in den unteren Ebenen hinter einer unauffällig platzierten Isoliertür ein weiteres Lager mit fertiggestellten Einheiten der neuartigen Cyborg-Serie Terminator T-880. Diese waren im Gegensatz zum älteren T-800 leichter, beweglicher und stärker, aber dennoch genauso schnell und widerstandsfähig gegen Beschädigung. Ihr Prozessor war ebenfalls eine Größenordnung leistungsfähiger und befähigte sie zu noch rascherer Auffassungsgabe und Anpassungsfähigkeit. Diese Terminatoren waren ursprünglich als ultimative Infiltrationswaffe entwickelt worden, um sich perfekt getarnt auch für längere Zeit unerkannt unter Menschen aufhalten zu können. Glücklicherweise war nur eine Vorserie produziert worden, bevor die Anlage hier von der Résistance erobert worden war.
In diesem weitläufigen Kühllagerraum jedoch befand sich eine größere Anzahl an T-880, die gemäß den Aufzeichnungen nach den ersten Prototypen hergestellt worden waren, welche sie in einem kleineren Lagerraum in den oberen Ebenen der unterirdischen Bergfestung von Mount Mitchell gleich nach deren Eroberung gefunden hatten. Zudem hatten sie von den Prototypen jeweils nur ein bis zwei Exemplare gefunden, die ein bestimmtes menschliches Aussehen hatten. Deswegen hatten sie angenommen, dass jeder T-880 anders aussehen würde, was ihnen diese fortschrittlichere Baureihe nur noch unheimlicher erscheinen ließ. Denn die Großserien von T-800 konnte man am menschlichen Äußeren nach einer gewissen Zeit identifizieren, was Skynet gezwungen hatte, ständig neue Varianten zu ersinnen und die Produktion von Infiltrationseinheiten immer wieder aufwändig umzustellen.
Der Techniker, der das Großlager gefunden hatte, hatte deshalb zunächst gedacht, er hätte lediglich ältere T-800 gefunden, da von jedem Menschentyp jeweils fünf identische Exemplare vorhanden waren, sozusagen Kleinserien. Sein Vorgesetzter nahm die Sache genauer in Augenschein und bemerkte, dass vom kleinwüchsigen schlanken Afrikaner über den schmächtigen Asiaten bis hin zum nordischen Hünen praktisch jeder Völkertyp, ob jung oder alt, ob männlich oder weiblich, vertreten war. Und immer jeweils fünf Stück davon in identischem Aussehen, die nebeneinander mit geschlossenen Augen und einer hauchdünnen Reifschicht bedeckt friedlich von der Decke des Lagers an Haken im Nacken aufgehängt, einen Fuß hoch über dem Boden hingen.
Mahtobu tobte, als er erfuhr, dass sie zunächst nur die Prototypen gefunden und gedacht hatten, das seien alle gewesen. Es mochte vielleicht auch daran liegen, dass eine Veränderung der Zeitlinie stattgefunden hatte, als sie ihre Attentäter zurückgesandt hatten, um die Erfinder des Zeitverschiebungseffektes im Jahr 1997 zu eliminieren. Jedenfalls hatten weder die Aufzeichnungen des Computerkerns in dieser Basis noch deren Konstruktionspläne einen Hinweis auf die Existenz dieser Kammer gegeben. Frappierenderweise war sie nur beim erneuten, von Mahtobu angeordneten, Durchsuchen der Anlage von diesem Techniker der unteren Ebenen entdeckt worden, als er bemerkte, dass die Pläne dieser Ebene von den wirklichen Abmessungen abwichen. So führte die Diskrepanz einer zehn Meter breiten und über neunzig Meter langen „Zwischenmauer“, die nirgends eingezeichnet war, zur Entdeckung der langen, weitläufigen Kühlhalle, deren Eingang wirklich perfekt in die Mauern eingepasst war.
Nun also war es offiziell: die zuerst gefundenen T-880 waren Prototypen und allesamt Einzelstücke, was ihre menschliche Hülle anging. Das hier war die Vorserie, die bereits zum Feldeinsatz vorgemerkt worden war, wie sie nun im schier unermesslichen Datenwust des Basiscomputers entdeckten. Seit Monaten waren die besten Informatiker seiner Einheit damit beschäftigt, diesen teilweise erhaltenen Speicher zu decodieren und seine Daten auszuwerten. Voraussichtlich würde das auch noch weitere Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nehmen, wollten sie alles lückenlos nachvollziehen, was hier vor sich gegangen war.
Sie entdeckten auch Lücken in der Bestandsaufnahme und in den dazu passenden fortlaufenden Seriennummern der Einzelstücke dieser T-880 Serie. Und etwas, das noch beängstigender war.
Die entsprechenden Haken im Kühlhaus waren leer.
Mit in die Hüften geballten Fäusten stand Mathobu breitbeinig da und wollte nicht glauben, was er da sah. Leise fragte er, noch während andere Soldaten mit Taschenlampen bewehrt durch die kalte, unbeleuchtete Halle die Reihen an leblosen Körpern abgingen, um „Inventur“ zu machen: „Wie viele sind es?“
„Bisher sechs, Sir. Wir sind noch nicht ganz fertig, dürften aber bald Klarheit haben. Unsere Computercracks werden auch immer besser darin, von Skynet gelöschte Daten, welche noch nicht überschrieben wurden, zu rekonstruieren. Mit dem Wissen darüber, was genau wir suchen müssen, sollte es nur noch eine Frage von wenigen Tagen sein, bis wir die Logbücher der ZVA soweit entschlüsselt haben, um die Missionen der betreffenden Terminatoren und deren Ankunftszeiten zu kennen.“
„Da kommt es ja gerade recht, dass John Connor in diesem Moment unterwegs zu uns ist, um die mögliche Beeinflussung in der Zeitlinie in Augenschein zu nehmen. Wollen Sie ‚nen Generalsposten, Cole? Ich glaube, hier wird bald einer frei sein.“
„Jetzt sehen Sie doch nicht gleich so schwarz, Sir. Sie kennen General Connor jetzt schon so lange...“ Er brach ab, als ihm aufging, dass Mahtobu nur scherzte, auch wenn es bittere Ironie war. „Jedenfalls konnte niemand etwas davon ahnen.“
„Genau das wird er auch sagen. Und genau das verschafft ihm bei mir so einen Riesenrespekt, dass er sogar das augenscheinlich Unmögliche so gelassen hinnimmt und sich darauf konzentriert, die Auswirkungen dessen anzugehen, statt einfach nur verwundert dazustehen... so wie ich jetzt.“
„So wie wir alle, Sir. Er ist in dieser Hinsicht schon einmalig, das muss man ihm lassen.“ Der Lieutenant hielt inne, als ihm ein gemeiner Soldat die Bestandsliste überreichte. Seine Augen weiteten sich.
„Dieser Bastard!“
„Was gibt’s?“ fragte Mahtobu argwöhnisch.
„Es fehlen insgesamt zehn Exemplare. Und jetzt halten Sie sich fest, Sir: es sind zwei komplette Serien à fünf identischen Mustern.“
„Verdammt!“ Mahtobu hieb die geballte Faust in die andere Handfläche. „Das hat sich Skynet ja raffiniert ausgedacht. Er schickt die kompletten Serien los, damit wir keinen Hinweis darauf haben, wie die Modelle aussehen. Gar nicht so dumm, wirklich.“
„Fragt sich, ob sie hier in der Gegenwart auf eine Infiltrationsmission oder durch die ZVA in die Vergangenheit geschickt wurden,“ gab der Lieutenant zu bedenken.
„Ich weiß wirklich nicht, welche Möglichkeit davon mir mehr Angst macht.“ Mahtobu konnte nur noch flüstern. „Sehen wir, was die PC-Cracks darüber rausfinden werden. Gnade ihnen Gott, wenn sie das versauen.“
Mahtobu stand noch immer neben den Terminals und sah den übernervösen Informatikern ständig über die Schultern, was deren Konzentration nicht gerade förderte. Was wiederum Mahtobu herzlich egal war. Er wollte unbedingt wissen, was hier abgelaufen war, und er wollte es sofort wissen. Weshalb er die Spezialisten in für sie unerträglich kurzen Abständen nach dem Stand der Dinge fragte, was wiederum deren Arbeitsdruck noch zusätzlich erhöhte. Bis einer von ihnen sagte: „So geht das nicht weiter. Wer ist dafür, dass wir den General hier rauswerfen, damit wir endlich ernsthaft arbeiten können?“
Ungläubig sah Mahtobu, wie sich unisono sämtliche linke Hände im Raum hoben, ohne dass auch nur einer der Informatiker die Rechte von der Maus nahm, geschweige denn aufsah. Während er schmunzelnd zur Tür ging, polterte er lautstark, um seinen Ruf zu wahren: „Was soll das hier werden? Eine Meuterei? Kollektive Befehlsverweigerung? Ihr werdet den Tag bereuen, an dem ihr...“
„Sir, bei allem Respekt“, unterbrach einer seiner Männer, wiederum ohne aufzusehen, „was auch immer Sie draußen tun, trinken Sie um Himmels Willen nicht noch mehr Kaffee, als Sie schon intus haben müssen. Wir informieren Sie sofort, wenn sich etwas ergibt. Sie sind der aller erste, der irgendetwas erfahren wird. Versprochen.“
Mit einem mühsam unterdrückten Lachanfall auf seinem Zwerchfell fügte Mahtobu noch hinzu: „Und für Sie werde ich eigens in den Keller gehen und einen der T-880 auf Sie programmieren. Dann werden wir ja sehen, was Ihnen das bringt, hier eine dicke Lippe zu riskieren.“
„Was immer Sie sagen, Sir. Bis später.“
„Nicht zu glauben!“, verzweifelte der afrikanische General und schob die solide Metalltür der PC-Kammer auf.
Als er sie hinter sich geschlossen hatte, tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Ungnädig blaffte er: „Ja, was gibt’s denn?“
„Überraschung!“
Mahtobu fuhr herum und starrte in ein zernarbtes, wettergegerbtes Gesicht, das von Schmerz und Verlusten gezeichnet war. Er umarmte seinen alten Freund und Kameraden wortlos, dann fiel sein Blick über dessen Schulter hinweg auf eine Frau in den Fünfzigern mit hellen Augen und angegrauten, dunkelblonden Haaren, die ein durchaus hübsches Gesicht mit einem leicht spitzen Kinn umrahmten. Sie war nicht sehr groß und kräftig, aber drahtig und zäh, wie es den Anschein hatte. Und etwas umgab sie, eine Aura von... Mahtobu konnte es nicht sagen, aber er verstand vom ersten Moment an, warum das hier John Connors Gemahlin war, nein, sein musste. Sein Blick senkte sich fast ein wenig verschämt, als er ihr die Hand reichte.
Sie hatten viel zu bereden. Es stellte sich heraus, dass er offenbar der Einzige war, der von ihrer Existenz bislang nichts gewusst hatte. Das wiederum bestätigte seinen Verdacht, dass er wohl – trotz anderslautender Aussagen seiner „Experten“, die er sich in einem stillen Moment wohl beiseite nehmen würde – im Einflussbereich des Zeitfeldes gewesen war, als dieses aktiv war. Das war äußerst dumm, aber ganz offensichtlich nicht mehr zu ändern. Er fragte sich, wie weitreichend wohl die Unterschiede dieser Realität von der ihm bekannten waren. Beim Briefing mit den Connors musste er feststellen, dass sie erheblich gravierender waren, als dies für ihn überhaupt vorstellbar gewesen war.
Er beschloss, mit Karin Bochner, der Lehrerin der Kandidaten für die soeben abgeschlossene Mission in die Vergangenheit, darüber zu reden. Er hatte das Gefühl, als ob so vieles für ihn auf einmal keinen Sinn mehr ergab. Als ob er im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst und sich viele Ereignisse und Daten nicht richtig gemerkt hatte. Er wollte keinesfalls durch die Prüfung in Geschichte fallen, das konnte er sich als General, Leiter dieser Basis und Kommandant der Truppen in den umliegenden drei Bundesstaaten nicht leisten. Er erwog ernsthaft, sein Kommando abzugeben, weil er sich selbst nicht mehr für fähig hielt, es zufriedenstellend auszuüben. Und er war ihren Zielen so hingebungsvoll verschworen, dass er seine persönlichen Belange dafür jederzeit vorbehaltlos zurückstellen würde. Er war gespannt, wie Karin darauf reagieren würde. Sie waren sich zwar lange Zeit Spinnefeind gewesen, doch es hatte immer gut getan, mit ihr zu diskutieren, da sie eine der wenigen Personen war, die auf seinen Rang keinerlei Rücksicht nahm und in einer Diskussion stets offen aussprach, was sie dachte. Das war nur eines der Dinge, die er an ihr zu schätzen gelernt hatte. Und außerdem...
Nein, diesen Gedanken verdrängte er rasch mit einem verklärten Lächeln. Für diesen Unsinn sollte er doch langsam zu alt sein. Obwohl...
Er stutzte, als er bei ihrer Zimmertür ankam und noch halb in Gedanken versonnen anklopfte. Irgendetwas ließ ihn plötzlich aufmerksam werden und seine Sinne wurden hellwach.
Sie antwortete nicht.
Er wiederholte das Klopfen und lauschte aufmerksam. Nichts. Vielleicht schlief sie. Oder war gerade nicht da. Trotzdem stellten sich die Härchen auf seinen Unterarmen auf. Was war hier los?
Er öffnete und erstarrte wie vom Donner gerührt mitten in der Bewegung.
Die Kammer stand voller Regale, fein säuberlich angefüllt mit maschinellen Kleinteilen. Das hier war ein Ersatzteillager, kein Wohnraum.
„Was zum...“ Mahtobu konnte nicht fassen, was er da sah. Er hielt den nächsten Soldaten an, der vorbeikam. „Lieutenant, sind Sie auf dieser Ebene postiert?“
„Ja, Sir. Ich betreue die Logistik hier.“
„Perfekt. Dann sagen Sie mir doch bitte, wieso Miss Bochners Zimmer von heute auf morgen zum Lagerraum umfunktioniert wurde. Und bitte auch, wohin ihr Quartier verlegt wurde.“
Verduzt, aber auch mit einer Spur Misstrauen im Blick sah der Lieutenant seinen Vorgesetzten an. „Ich... nun, ich fürchte, Sie irren sich, Sir. Dieser Raum war schon immer ein Lager. Wir haben ihn schon so vorgefunden, als wir ankamen. Wie sagten Sie, war der Name?“
„Bochner. Karin Bochner.“ Mahtobu schien das Blut in den Adern zu gefrieren, als wisse er bereits, was jetzt folgen würde.
Mit einer Sicherheit, die keinen Widerspruch zuließ, entgegnete der Soldat: „Zufällig bearbeite ich die Personalien aller hier Stationierten, Sir. Von einer Karin Bochner habe ich noch nie etwas gehört. Ist sie vielleicht ein kürzlich eingetroffener Gast?“
Mahtobu stützte sich an der Wand ab, als seine Knie zu versagen drohten. Dass so etwas einen alten Veteranen wie ihn umhauen könnte, überraschte sogar ihn selbst. Als der Lieutenant zu ihm hintrat, um ihn mit besorgter Miene zu stützen, sagte er leise: „Nein, sie war die ganze Zeit hier... in einer anderen Welt. Aber niemand wird sich jetzt mehr an sie erinnern.“
- 1 -
Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
Karin trat auf die Straße hinaus und beeilte sich, um noch die nächste Straßenbahn am Siegesdenkmal zu erwischen. Sie sah kurz nach oben in den wolkenlosen blauen Himmel und dachte unwillkürlich an die Hitzewelle von letztem Sommer. Die fast dreimonatige Periode mit Dauersonnenschein, Dürre und Temperaturen von über dreißig bis an die vierzig Grad hatten Simon und ihr in ihrer Wohnung im obersten Stockwerk, direkt unterhalb des nicht isolierten Dachstuhles, fast den Rest gegeben. Nach Möglichkeit wollte sie so ein Ausnahmewetter nie mehr in ihrem Leben erdulden müssen, denn sie mochte intensive Hitze nicht.
Mit großem Unmut musste sie nun feststellen, dass gerade eine Bahn in Richtung Rieselfeld an ihrer Haltestelle war und in diesem Moment anfuhr. Großartig, dachte sie, sie war ihr direkt vor der Nase abgefahren. Nun ja, so schrecklich eilig hatte sie es ja gar nicht gehabt.
Eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie zusammenzucken. Sie fuhr auf dem Absatz herum und erblickte Natasha, ihre alte Freundin und Studienkollegin. In den letzten Jahren war ihr Kontakt allmählich abgeflaut, als sich ihre Studien und Interessen auseinanderentwickelt hatten, sie nicht mehr die gleichen Kurse belegten und verschiedene Lokalitäten in ihrer Freizeit besuchten. Dieser Prozess des Auseinanderlebens war eigentlich erst nach ihrer abenteuerlichen Flucht nach Amerika, zusammen mit Simon und Abbey, im Nachhinein als Last-Minute-Urlaub getarnt, so richtig in Gang gekommen. Da Natasha Abbey und vor allem ihren damaligen Freund Daniel nie hatte besonders gut leiden können, hatte sich ihre Freundschaft weiter abgekühlt, je länger die beiden mit ihnen in ihrer WG lebten.
Im Nachhinein musste Karin ihrer damals oft hochnäsigen, snobistisch auftretenden und allgemein als unbeliebt geltenden Freundin bescheinigen, dass sie im Grunde die ganze Zeit über im Recht gewesen war, vor allem was das abgrundtiefe, nicht nachvollziehbare Misstrauen von Natasha gegenüber Daniel anging. Nur würde sie ihr das wohl nie sagen können, denn wer würde ihr schon glauben, dass Simon und sie über vier Jahre mit zwei Cyborgs, künstlich geschaffenen und perfekt getarnten Robotern mit unglaublich komplexen Computerchips als Gehirnen zusammengelebt hatten, ohne es ja auch nur zu ahnen.
„Hallo, Nati. Hast du mich erschreckt,“ keuchte sie atemlos, aber auch froh, sie einmal wieder zu sehen.
„Sorry, Mädel. Wie geht’s dir denn so? Du hast dich ja gar nicht verändert. Mensch, wie lange haben wir nichts mehr gemacht?“
„Sicher drei, vier Monate,“ meinte Karin und fügte hinzu, ohne lange überlegen zu müssen: „Wie wär’s? Hast du gerade Zeit?“
Natasha überlegte kurz: „Eigentlich wollte ich... ach, was soll’s! Komm, wir gehen einen Kaffee trinken und quatschen mal wieder ein bisschen.“
„Klar. Was macht dein Praktikum? Du bist bei GeneScan, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Ja, macht soweit Spaß, obwohl es ganz schön stressig ist. Und bei dir?“
„Ich war beim Fraunhofer Institut, hab’ es aber gerade abgeschlossen. War kein so Zuckerschlecken, das kann ich dir sagen.“
Karin lächelte und musste einen Moment lang daran denken, dass ihre Freundin sie jetzt gerade unheimlich daran erinnerte, wie sie gewesen war, als sie ihr zum ersten Mal über den Weg gelaufen war. Vielleicht war ein Neuanfang gar keine schlechte Idee. Zu viel zwischen ihnen war unausgesprochen geblieben in all den Jahren, die seither vergangen waren. Sie hakte Natasha unter und dirigierte sie in Richtung Kaiser-Joseph-Straße. Dabei musterte sie ihr hellbraunes, langes glattes Haar und die kokett wirkende Brille im John-Lennon-Design, die ihren extrem hellen wasserblauen Augen nur wenig von ihrer Intensität nahmen. Ein rotes Spaghettiträger-Top und der helle, blumengemusterte Sommerrock nebst hochhackigen Sandaletten rundeten den Eindruck ab, dass Natasha gereift war und sich weiterentwickelt hatte.
Sie hingegen schien keinen Tag gealtert zu sein, wie ihr jetzt – nicht zuletzt auch wegen Natashas Bemerkung eben – aufging. Und ja, es stimmte: ihre hellbraunen Rehaugen, das gut schulterlange schwarz gefärbte Haar, wie immer zum Pferdeschwanz gebunden und ihre übliche Garderobe, bei der man im Grunde nichts falsch machen konnte, zeugten von beinahe einfallsloser Kontinuität bei ihr. Sie seufzte leise angesichts dieser Erkenntnis und machte ihrer Freundin ein ehrlich gemeintes Kompliment.
„Schick siehst du wieder aus. Und wie immer weißt du mit der Wärme umzugehen.“
„Danke. Du solltest auch allmählich von deiner Standard-Jeans-und-T-Shirt-Kluft auf Sommergarderobe umstellen. Deine Beine brauchst du ja nicht zu verstecken.“ Lachend bogen sie auf die belebte, gepflasterte Hauptgeschäftsstraße Freiburgs ein, wo außer Bus und Straßenbahn nur Fahrräder fahren durften. Die schmalen, in der ganzen Altstadt allgegenwärtigen Bächlein und die großzügig verteilten Kübel mit mannshohen Palmengewächsen rundeten das gemütliche, fast mediterrane Flair ab, welches der südlichsten Großstadt Deutschlands gern nachgesagt wurde.
Sie steuerten eines der nahegelegenen Stehcafés an, entschieden sich dann aber doch für eine der gemütlicheren Kneipen rund um die Niemensstraße, wo viele Sitzplätze im Freien waren. Und schnell waren sie in alte Erinnerungen versunken. Das war meist die beste Basis, auf Gemeinsamkeiten aufzubauen: Erinnerungen und Erlebnisse, die man sich teilte.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 23. Oktober 2030
Mahtobu fühlte sich wie ein Zuschauer, der das weitere Geschehen nur noch aus einer beobachtenden Position im Abseits erlebte. Er ahnte inzwischen, dass sie nach und nach herausfinden würden, was Skynet von dieser Basis aus alles getan hatte, ins besonders was die Zeitsprünge betraf. Ihn wurmte es deshalb, dass er der Einzige war, der die ganzen Änderungen bemerkte, die sich in seiner Sichtweite ergeben hatten. Solange sie diesen Stützpunkt hielten, hatten sie alle Zeit der Welt, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen, da sie ja ihrerseits Leute an jeden Zeitpunkt in der Vergangenheit schicken konnten. Nur mussten sie erst einmal herausfinden, um was genau es ging.
John und Kate hatten einiges an Vermutungen dazu beisteuern können, basierend auf dem, was sie persönlich in der Zeit unmittelbar vor dem Judgment Day erlebt hatten, dem Zeitpunkt, als Skynets Persönlichkeit erwachte und in seiner grenzenlosen elektronischen Paranoia das gesamte amerikanische Kernwaffenarsenal an interkontinentalen ballistischen Raketen auf Ex-UdSSR-Staaten und China abgeschossen hatte. Ihr Briefing war umfangreich genug gewesen, um auch ihn selbst auf einige Gedanken kommen zu lassen.
Die ZeitVerschiebungsAnlage in Los Angeles, welche sie letztes Jahr kurz nach der eigentlichen Zerschlagung von Skynets Hauptrechner in den USA erobert hatten, war von älterer Bauart und konnte nur direkt in der Zeit Räume austauschen. So wurden lebendige Körper in die Vergangenheit gesandt, um diverse Missionen auszuführen und neue, für den Benutzer der Anlage vorteilhaftere Zeitlinien zu schaffen.
Diese Anlage allerdings war weiterentwickelt. Nach einer Testserie zum Datensammeln hatte das teuflische Computergenie unter Einbezug des Erdmagnetfelds eine Möglichkeit ersonnen, die Zeitverschiebung auch räumlich äußerst akkurat durchzuführen. Damit konnte es seine Terminatoren auch an andere Orte in die Vergangenheit schicken. Und damit hing auch die Mutmaßung der Connors zusammen: Skynet würde nicht nur in Nordamerika versuchen, die ihm bekannten künftigen Führungsmitglieder des menschlichen Widerstandes zu töten, solange sie noch arglos in der normalen Welt vor dem Krieg lebten. Vor allem in Eurasien hatte es eine äußerst gut funktionierende Rebellenorganisation gegeben, die in ihrem Teil der Welt bereits Jahre vor dem Endsieg das Land von den Maschinen befreit hatte. Die dabei frei gewordenen Ressourcen an Mensch und Material waren den Amerikanern dann zugute gekommen, um bei der endgültigen Beendigung der Computertyrannei zu helfen und den Kampf entscheidend zu verkürzen.
Mahtobu wusste mit Sicherheit eines: inzwischen war die Zeitreiseproblematik so komplex geworden, dass es nicht wirklich noch eine Rolle spielte, ob Technik aus der Zukunft in Form eines Terminators in die Vergangenheit geschickt wurde und dort erforscht wurde, was den Lauf der technischen Entwicklung beeinflussen würde. Der ursprüngliche Tag des jüngsten Gerichts, dessen Datum nun sieben Jahre nach dem ersten lag, war ein direktes Resultat daraus, doch nun war es gleichgültig geworden, welchen direkten Einfluss sie darauf ausübten. Die Ereignisse hatten bereits eine Eigendynamik entwickelt und waren nicht mehr aufzuhalten. Was ihnen blieb, war Schadensbegrenzung zu betreiben und so viele wichtige und einflussreiche Führer ihres Widerstandes wie möglich vor ihrer Terminierung in der Vergangenheit zu bewahren. Skynet hatte in dieser Angelegenheit schon seine Schachzüge gemacht und leider auch Erfolge erzielt, vor allem in Amerika, wie sie von den Connors erfahren hatten.
In den Vereinigten Staaten war ihren Daten nach nur ein Terminator der neuesten Bauart T-X eingesetzt worden, um Connor und die seinen auszuschalten. Weshalb das so war, konnte Mahtobu nur raten. Sein taktisches Verständnis sagte ihm, dass Skynet die von ihnen ermittelte Anzahl von insgesamt sechs T-880 zuerst nach Europa gesandt hatte, weil dort das dringendere Problem zu erledigen war, wobei die künftigen Mitglieder der Résistance im politisch und kulturell feingliedrigen und eher aufgesplitterten Europa wahrscheinlich in allen Winkeln zerstreut gelebt hatten. Nun, in dieser Hinsicht hatten sie einen entscheidenden Vorteil: da sich alle Mitglieder der europäischen Führungsspitze untereinander kannten und viel voneinander wussten, war es zumindest von den sich noch am Leben befindenden Personen ein Leichtes, den Aufenthalts- oder Wohnort der meisten direkt von den betreffenden Personen zu erfahren.
Sie würden wohl noch einmal bereits eingetretene Ereignisse ins Rollen bringen und damit die feststehende Geschichte erfüllen müssen.
Missmutig betrat er eine der von ihnen im Lauf der letzten Monate eingerichteten Werkstätten, wo mehrere Techs unter anderem an der neuen Konstruktion des Kampfchassis Typ T-880 forschten, die genauen Fähigkeiten und Operationsparameter zu ergründen suchten. Ein Tech bemerkte ihn und winkte ihn heran: „General, Sie kommen genau richtig. Ich denke, das sollten wir ihnen zeigen. Es hat mit diesem neuentdeckten Typ, dem T-X zu tun.“
„Aber dies hier ist doch ein T-880, oder nicht?“ Misstrauisch beäugte er das glänzende Endoskelett.
„Stimmt,“ bestätigte der Ingenieur und winkte ihn näher heran. „Sie erinnern sich sicher, wie wir Ihnen erzählt haben, dass der T-880 aufgrund seiner neuen Bauweise auf jede mögliche Tarnung eingestellt werden kann. Das hat mit diesen Manschetten an den Oberarm- und Oberschenkelenden sowie dem Stück hier im Rückgrat zu tun. Ich meine diese Teile, die sich verschieben lassen, um ohne größeren Umbau oder logistischen Aufwand verschieden große Typen mit langen oder kurzen Armen und Beinen zu erhalten.“
Er deutete auf eine Art Schaft am oberen Ansatz des metallenen Arms, der etwa zwanzig Zentimeter lang war und in den der Rest des Oberarmes bündig eingepasst war, was ihn ein wenig von der massiver wirkenden Bauweise der älteren T-800 unterschied. Bislang hatte er es immer für ein normales Konstruktionsmerkmal gehalten, ohne diesen Manschetten große Bedeutung beizumessen. Nun sah er genauer hin, als der Tech plötzlich ein Kommando gab.
„BJC 121, nimm maximale Konfiguration an.“
Vor Mahtobus staunenden Augen fuhren die eingepassten Innenteile der Arme und Beine einen halben Fuß weit aus, ebenso dehnte sich das Rückgrat um beinahe zwanzig Zentimeter. In wenigen Sekunden war aus dem kleinen und kompakten Roboter eine hünenhafte Maschine geworden, die mit kalt funkelnden Augen auf ihn herabzusehen schien.
„Wow. Ich wusste nicht, dass dieser Typ Terminator aktiv seine Ausmaße verändern kann. Ich nahm immer an, die Gliedmassen werden in einer bestimmten Lage, je nach Bedarf größer oder kleiner, zusammengefügt und fixiert.“
Der Tech nickte zustimmend. „Was bei den Modellen, die anschließend mit menschlichem Tarngewebe überzogen werden, auch zutrifft, da die biologische Komponente sich nicht so beliebig dehnen und strecken lässt. Aber in ungetarnter Form ist es ihnen durchaus möglich, ihre Größe zu variieren. Das ist auch die Basis für diesen neuen T-X. Im Prinzip hat er den Rumpf und die Gliedmaßen eines T-880, aber einen weiterentwickelten Kopf, der weniger wie ein menschlicher Totenschädel wirkt. Und noch eine ganz besondere Komponente, die wir Ihnen keinesfalls vorenthalten möchten. Wir haben eigentlich nur durch Zufall entdeckt, dass dieser eine Cyborg kein normaler T-880 ist, denn rein äußerlich unterscheiden sich T-X und T-880 nicht. Das mit der Tarnung des T-X ist übrigens auch eines der Dinge, die wir noch nicht zufriedenstellend lösen konnten. Das verwendete Material ist sehr schwer einsetzbar; bis wir allein die Codes entschlüsselt hatten, um einige Grundparameter einzuprogrammieren, sind Wochen vergangen. Hinzu kommt, dass wir lediglich im Besitz eines einzigen Exemplars sind.“
„Was heißt, dass Sie auf dieses Modell besonders gut aufpassen werden, nicht wahr?“, scherzte Mahtobu, als sie in die nächste Räumlichkeit wechselten, wo noch zwei weitere Techs an einem Terminator herumbastelten, einer zierlichen eurasischen Frau von etwa 1,60 m Größe dem Aussehen nach. Momentan schienen sie Daten in die Maschine einzuspeisen. Der schwarze General bemerkte das dünne Glasfaserkabel, das von einem PC-Pult in die Schläfe der regungslosen nackten Frau hineinzuführen schien. Es sah unheimlich aus, denn das Kabel schien direkt aus ihrer Schläfe herauszuwachsen, wenn er das richtig sah.
„Bereit? Dann halten Sie jetzt die Luft an, Sir.“ Nach einem Knopfdruck begannen die Konturen ihres Gesichts und des hellen kurzen Haares zu verschwimmen, als sich der gesamte Körper in Quecksilber zu verwandeln schien. Mit einem leisen schlürfenden Geräusch floss das Flüssigmetall in die innere Struktur hinein, während sich der Körper in die Länge dehnte und dann die formgebende Komponente wieder hervortrat, um innerhalb einer Sekunde neue Merkmale auszubilden. Zum Schluss stand ein mindestens 1.90 m großer, muskulöser Südamerikaner vor ihm, mit schwarzem Kraushaar, einer schiefen Hakennase, Stoppelbart und buschigen Augenbrauen über zwei kohlschwarzen Augen.
„Wenn ich’s nicht mit eigenen Augen gesehen hätte... hat das mit den Sichtungen in Europa zu tun?“
„Ja, von ersten Prototypen aus dieser programmierbaren und universell verformbaren Metall-legierung wurde in diversen Gegenden von Mittel- und Osteuropa berichtet, kurz vor dem Sieg dort. Diese Art der Reihe T-1000 jedoch bestand vollkommen aus der flüssigen Legierung ohne interne Struktur und erwies sich als fast unzerstörbar, denn jedes Mal, wenn man es mit Waffengewalt angreift, schließt sich die Eintrittswunde augenblicklich. Diese Bastarde konnten sich in jeden und alles verwandeln und waren fast nicht zu stoppen; ich erinnere mich an einen Bericht aus Russland, wo eines dieser Dinger schon bis auf Sichtweite an General Fraisiers Bunkereingang gekommen war. Sie haben es stundenlang mit automatischen Waffen, Granaten und sogar Raketenwerfern beharkt und es so immer wieder daran gehindert, seine Gestalt zu regenerieren, bis seine Grundprogrammierung offenbar zusammenbrach. Sie hatten schon fast alle Hoffnung aufgegeben, als es endlich in der Form eines großen schillernden und wabernden Klumpens liegen blieb.“
„Mein Gott, wenn es Skynet gelingt, diese Dinger in Großserie herzustellen...“
„Genau das ist der Haken, Sir,“ beruhigte der Tech seinen Vorgesetzten, „diese Legierung ist nur sehr schwer herzustellen und noch viel schwieriger zu kontrollieren, sogar für Skynet. Deshalb hat er wohl zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und mit dem variablen Endoskelett des T-880 in Verbindung mit dem weiterentwickelten Kopf und dem Überzug aus diesem polymimetischen Metall anstatt herangezüchtetem Gewebe diesen neuen Typ geschaffen. Die Baureihe T-X ist so robust wie der T-880, kann jede gewünschte Gestalt annehmen, wobei die Programmierung der Flüssigmetall-Komponente in diesem Fall ungleich einfacher ist, und hat zusätzlich den Vorteil einer internen Bewaffnung.“
„Sie meinen, dieses Modell besitzt eine eingebaute Bewaffnung, die es auch durch das Zeitfeld in die Vergangenheit mitnehmen könnte?“
„Ich zeige es ihnen.“ Auf ein paar eingetippte Befehle hin hob der riesige Latino den rechten Arm. Die Flüssigkeit von seiner Hand und seinem Unterarm zog sich zurück, während gleichzeitig eine hochkomplizierte ausgeklügelte Mechanik begann, in Windeseile den Mechanismus der gesamten Hand bis hinter das Gelenk um- und abzubauen. Darin beziehungsweise darunter wurde eine zollgroße Mündung sichtbar, die bereits erahnen ließ, was sich dort verborgen hatte.
„Eine Plasmaimpulswaffe? Wie kann das sein? Dazu müsste er doch...“ Mahtobu hielt inne, als er das grimmig nickende Gesicht seines Gegenübers sah.
„Ja, er hat einen Fusionsreaktor als Antriebsquelle. Beim T-880 ist das Modul im Brustkorb austauschbar angelegt, sodass entweder eine Reihe von herkömmlichen Brennstoffzellen oder eben ein kleiner Fusionsgenerator installiert werden kann, der kleinste übrigens, den ich je zu Gesicht bekommen habe. Mit dem Plasma aus dem Generator speist er die Strahlenwaffe. Als Alternative hat er noch diverse rudimentäre mechanische Werkzeuge und einen Werfer, mit dem er kleine Mengen des vom Reaktor erzeugten Plasmas anstatt in Stößen in einem Strom gezielt ablassen und beim Austritt aus dem Körper piezoelektrisch entzünden kann.“
„Sie reden von einem Flammenwerfer,“ stellte Mahtobu fest.
„Genau, nur eine Größenordnung heißer als mit herkömmlichen Brennstoffen.“
„Wissen wir schon, wie viele davon es gibt?“ Damit sprach der General seine größte Sorge aus.
„Noch nicht genau, aber ich denke, ich kann Ihnen in dieser Hinsicht Entwarnung geben. Der T-X war wohl das Allerletzte, woran Skynet gearbeitet hat, bevor wir seinen Laden hier erstürmt haben. Ich meine, gut, die T-880 waren noch neu, aber ihnen hat er keinen so hohen Stellenwert eingeräumt. Es sieht so aus, als habe er neben den abgeschlossenen Prototypen und der gerade laufenden Vorserienfertigung seine Hauptanstrengungen auf diese neue Waffe, die polymimetische Legierung gerichtet. Und ich muss Ihnen sagen, dass wir da ein Riesenglück hatten. Wenn er diese Entwicklung nur ein oder vielleicht zwei Jahre früher gemacht und die T-1000 in größerer Zahl feldtauglich gemacht hätte, würden wir jetzt wahrscheinlich nicht hier stehen.“
„Aber die Produktion des Metalls erwies sich als zu aufwendig?“ hakte Mahtobu nochmals nach.
Wieder das bestätigende Nicken. „So ist es. Als Skynets Projektionen ihm anzeigten, dass der T-1000 aus diesen logistischen Gründen eine Sackgasse war, hat er aus der Not eine Tugend gemacht und einfach den T-880 in der besagten Weise weiterentwickelt. Man benötigt nur den Bruchteil an T-1000-Polymimetikum für den Überzug eines T-X. Hinzu kommt der Vorteil, dass man nicht mehr lange warten muss, bis das menschliche Tarngewebe im Brutbottich endlich vollständig über das Endoskelett gewachsen ist. Diesen Typ hat man unverzüglich einsatzbereit. Doch glücklicherweise scheint es außer dem Prototypen, der in der Vergangenheit auf die Connors angesetzt worden ist, nur ein halbes Dutzend davon zu geben. Wir haben den letzten davon hier vor uns stehen. Seine Bezeichnung ist T-XF, seine CPU ist mit der eines T-880 identisch, nur die Gesamtstruktur des Kopfes ist schmaler, fast insektenähnlich gestaltet, damit auch kleinwüchsige, magere Menschen imitiert werden können.“
„Können wir ihn für unsere Zwecke benutzen?“ wollte der alte Afrikaner nun unvermittelt mit nachdenklicher Stimme wissen.
„Dafür ist es leider noch zu früh. Uns fehlt die Software, um die Flüssigmetallhülle zuverlässig zu kontrollieren. Was ich Ihnen vorhin gezeigt habe, war bisher alles, was wir hinbekommen. Solange wir das nicht herausgetüftelt haben, können Sie genauso gut jeden anderen T-880 nehmen, denn das Chassis ist ja identisch. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass Sie vielleicht mal in der Werkstatt C vorbeisehen sollten, die Jungs da haben eine ganz erstaunliche Entwicklung geleistet. So eine Art Feinabstimmung.“
„Dann seh’ ich mir das gleich mal an. Vielen Dank einstweilen. Sie halten mich auf dem Laufenden über Ihre Fortschritte?“
„Selbstredend, General. Einen schönen Tag noch und viel Erfolg.“ Der Techniker wandte sich unvermittelt wieder seinen Kontrollen zu, während Mahtobu sich auf den Weg in besagtes Labor machte. Beim Hinausgehen fiel ihm im Hintergrund ein kreisförmiges Bullauge auf, das in etwa einem Meter Höhe in die Wand eingelassen war. Er hielt inne und sah sich die Öffnung aus Sicherheitsglas an. Dahinter war es dunkel, nur ein paar Luftbläschen stiegen von Zeit zu Zeit auf.
„Sagen Sie, was ist das dort?“
Der Tech sah über die Schulter und winkte gleich ab. „Ach, das meinen Sie. Ein großes Salzwasserbecken von etwa drei mal zehn mal zwanzig Metern Ausmaßen. Erinnern Sie sich noch an diesen riesigen Thunfisch, der da drin war, als wir hier eingezogen sind?“
Langsam erwiderte Mahtobu: „Äh... nein. Das gehört dann wohl zu den Dingen, die nicht mit meiner persönlichen Erinnerung übereinstimmen.“
„Ich verstehe. Dumme Sache, das mit der Zeitmaschine. Welcher Dilettant hat sie nur so nah dabeistehen lassen, als sie aktiv war?“
„Der Dilettant, der jetzt für den Rest des Monats nur noch sanitäre Anlagen repariert, wenn Sie verstehen.“
„Mm-hh. Das mit dem Thun war jedenfalls klasse. Die gesamte Basis hat sich drei volle Tage den Bauch so richtig voll schlagen können. Und das mit ganz frischem Fisch. Wann gibt’s schon mal so was?“
Mahtobu blieb versonnen stehen und rieb sich seinen Kinnbart. „Wozu zum Henker braucht dieser beschissene Computer ein Salzwasserbecken mit einem Thunfisch darin? Wir sind hier weit über 200 Meilen vom Atlantik entfernt. Skynet macht doch sonst nichts ohne Grund. Was hat er da schon wieder ausgeheckt?“
Für einen Moment hob der Tech den Blick, und seine Miene drückte eine Mischung aus Unwohlsein und Furcht aus. Schnell senkte er den Blick wieder und arbeitete weiter.
Vogtsburg, Südbaden, Deutschland 01. Juli 2004
Ein schwacher, aber unangenehm warmer Wind wehte vom französischen Elsaß über das Herz des Kaiserstuhls. Hier auf dem einzigen halbwegs bedeutsamen Verkehrsweg durch das riesige vulkanisch entstandene Hügelgebiet mitten in der südlichen Oberrheinebene, war die Landstraße 115 auf der Passhöhe durch eine eigens gegrabene Schlucht von vielleicht zehn Metern Tiefe geführt worden, um die ohnehin schon sehr starke Steigung ein wenig erträglicher zu gestalten. Zudem beschrieb der Straßenverlauf eine Biegung auf der Kuppenhöhe, sodass die beiden ‚Eingänge’ des kleinen Durchstichs nicht einzusehen waren. Dieses nur dünn besiedelte und abgelegene Gebiet hatte sich ein extrem bösartiger Computer in der Zukunft als den Ausgangspunkt für seine verschlagenen Machenschaften ausgesucht.
Es war kurz vor Mitternacht, als eine Serie elektrischer Entladungen in Form von gleißend-hellen Lichtbögen den schmalen Einschnitt in der Weinberglandschaft erhellte. Knisternd leckten die Blitze über die beiden Lehmwände, deren hoher Grasbewuchs sofort verschmorte, wo in einer finalen kugelförmigen Entladung reinen weißen Lichtes der Umriss von mehreren Personen sichtbar wurde.
Nach einer Sekunde begannen sie sich umzusehen, ihre Lage zu sondieren und erste Pläne zu schmieden. Einer von ihnen warf noch kurz einen Blick zurück auf das kleine Segment in der Lehmwand, welches von der großen Raumzeitverschiebungskugel aus purer Energie berührt worden war und beim Austausch der zwei Räume im Nirgendwo verschwunden war. Alle lebendigen Objekte wie Grashalme und Insekten innerhalb dieser Kugel würden jetzt auf der Plattform der ZVA im Mount Mitchell liegen.
Die Koordinaten schienen zu stimmen. Sie traten auf die Mitte der schmalen verwaisten Kreisstraße, um einen Sicherheitsabstand zur zweiten Zeitverschiebung einzunehmen. Nur wenige Sekunden nach ihrer Ankunft begann die warme Sommerluft erneut zu flimmern und knistern vor Elektrostatik. Diesmal befand sich die fast vier Meter durchmessende Energiesphäre fast genau zur Hälfte im Löß des Kaiserstuhls und legte nach ihrem Erblassen eine entsprechend große Halbkugel im Boden frei, die auch das dunkle, poröse Vulkangrundgestein unter der verkohlten Berührungszone durchschimmern ließ. Sofort nach der Materialisierung erklangen seltsame Geräusche. Das laute Klatschen ebbte nur langsam ab, doch nach etwa zwanzig Sekunden befand die erste angekommene Person die Wartezeit für angemessen. Sie stieg in die Höhlung und rief nach mehreren Sekunden zwei andere zu Hilfe. Zu dritt hoben sie die riesige Silhouette aus der geometrisch perfekten Aussparung in der Lehmwand und legten sie vorsichtig ins hohe, trockene Gras neben der Straße. Die erste Person beugte sich hinab und untersuchte den nur noch schwach zuckenden Leib.
Der Thunfisch war ein kapitales Exemplar von mindestens vier Meter Länge und gut fünfhundert Kilogramm Gewicht. Ohne Meerwasser war er zum Sterben verdammt. Noch ein paar Momente und das gewaltige stromlinienförmige Lebewesen mit den glasigen Augen und dem mit vielen scharfen Zähnen bewehrten Maul rührte sich nicht mehr. Einer der Zeitreisenden beschloss deshalb, dass es an der Zeit war.
Er kniete sich vorsichtig neben den seltsam aufgedunsen scheinenden Leib des Thuns und wandte sich dessen Unterseite zu. Ein fast zwei Meter langer Schnitt, der noch immer leicht blutete, zog sich der Länge nach über die Bauchpartie des Fisches. Ohne jedes Zögern wurde hineingegriffen und mit ein wenig Kraftaufwand ein meterlanger, unförmiger dunkler Gegenstand herausgeholt. Es handelte sich um ein in Plastikfolie eingeschweißtes Westinghouse M-80 Plasmaimpulsgewehr. Im Inneren des noch lebenden Fisches war es unbeschadet durch das Zeitfeld gereist, was ansonsten nur lebenden Organismen möglich war.
Durch seine Infrarotoptik konnte die schemenhafte Gestalt in der nun völligen Dunkelheit problemlos für alle sechs Neuankömmlinge je eines der Lasergewehre aus den Eingeweiden der gewaltigen, verendeten Meereskreatur zutage fördern. Sie entfernten die schützende Verpackung und vergewisserten sich, dass alle Waffen den Transfer unbeschadet überstanden hatten. Zwei von ihnen packten den fünfhundert Kilogramm schweren Kadaver und trugen ihn hinaus aus der Senke, um ihn dann über die Böschung ins hohe Gras am Rande eines Rebenfeldes zu werfen. Bei den derzeit herrschenden Temperaturen würde er wahrscheinlich nicht lange unentdeckt bleiben, doch niemand würde nachvollziehen können, was in dieser Nacht geschehen war.
Sie hatten sich alle nach Süden gewandt, aus dem Kaiserstuhl heraus nach Bötzingen, dem nächstgelegenen Dorf. Ihre erste Priorität war die Beschaffung von Kleidung und eines Fahrzeuges, um sich zunächst aus dem Ankunftsgebiet zu entfernen. Einer von ihnen würde in der Gegend bleiben, während die anderen fünf von ihnen sich ihrerseits Fahrzeuge beschaffen würden, um ihre jeweiligen Operationsgebiete anzusteuern.
Zum ersten Mal in ihrer bislang kurzen Existenz hatten sie Glück. Keine hundert Meter vom Ausgang des Straßendurchbruchs entfernt zweigte ein Parkplatz ab, auf dem sie ein einzelnes Automobil ausmachten. Sie identifizierten es als einen alten VW-Bus, der zum Wohnmobil ausgebaut war. Beim Näherkommen sondierten sie die Umgebung und stellten fest, dass niemand sonst in der Nähe war. In der Ferne konnte man die Lichter von verschiedenen Dörfern in der Rheinebene erkennen, die neben den Sternen am wolken- und mondlosen Himmel die einzigen Lichtquellen waren.
Im VW mit niederländischem Kennzeichen befand sich ein junges Pärchen, das ganz offensichtlich diesen Parkplatz abseits der Hauptstrassen angesteuert hatte, um die Vorzüge einer lauen Julinacht zu genießen. Sie taten das auch so lautstark und waren derart abgelenkt, dass sie nicht das Nahen von sechs nackten Gestalten bemerkten, die Silhouetten von Menschen mit rotglühenden Augen und mit geradezu grotesk großen, futuristisch aussehenden Sturmgewehren im Anschlag.
Es ging alles ganz schnell und sauber; für die Erledigung dieser Aufgabe brauchten sie keinen Schuss abzufeuern. Die einzige unmittelbar sichtbare Spur war das aufgerissene Schloss der Schiebetür, ansonsten zeugte nichts mehr von der Akquirierung dieses Fahrzeuges und der Terminierung seiner beiden Insassen.
Sie mussten sich in Sicherheit gewähnt haben, da sie im verschlossenen Fahrzeug ihre Schlüssel im Zündschloss hatten stecken lassen. Ansonsten war etwas Bargeld und zwei Kreditkarten das einzig Nützliche, was sie vorgefunden hatten. Immerhin hatten sie genügend leichte Freizeitkleidung vorgefunden, um sich alle einzudecken.
Das altersschwache Fahrzeug war mit ihren fast tausend Kilogramm Gewicht hoffnungslos überladen und die Hinterräder saßen auf der Federung auf, als sie den rasselnden luftgekühlten Boxermotor im Heck starteten. Der zweite glückliche Umstand für sie aber war, dass die gesamte Strecke ins Rheintal hinab bergab führte. Das vermochte der bescheidene Antrieb gerade noch zu vollbringen.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 23. Oktober 2030
Mahtobu betrat die Werkstatt, die ihm einer der Techs, die am T-X arbeiteten, genannt hatte. Im Hintergrund in einer dunklen Ecke standen still und steif mehrere Gestalten in Hab-Acht-Stellung. Das waren sicher einige der T-880, dachte er und wandte sich an einen der Elektroniker, die an einer Konsole mit mehreren Bildschirmen und Tastaturen arbeitete und mit konstant hoher Geschwindigkeit eine Zeile nach der anderen mit ihm unverständlichen Ziffern und Symbolen füllte.
Neugierig spähte er ihm über die Schulter und fragte: „Was ist das denn?“
„Skynet Basic, könnte man sagen,“ gab der Mann zurück, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
„Ihr Kollege im T-X-Labor sagte, Sie könnten mir etwas Neues betreffend der T-880-Software berichten,“ fügte Mahtobu noch hinzu. Darauf sah der Tech nun kurz über die Schulter, wobei ihm wohl die Generalssterne auf Mahtobus alter, zerschlissener Uniform aufgefallen sein mussten.
Sofort sprang er auf und stand stramm. „Sir, verzeihen Sie, Sir. Ich hatte nicht...“
Wie auch sonst so oft bei Untergebenen fiel Mahtobu ihm unhöflich ins Wort: „Schon gut, Soldat, für militärische Umgangsformen haben wir später Zeit. Jetzt möchte ich erst einmal einen Bericht von ihnen, kurz und knapp und wenn möglich in Englisch, nicht in ‚Skynet Basic’. Das ist bei mir etwas eingerostet im Laufe der Zeit.“
„Mir war nicht bewusst, Sir, dass auch Sie...“ Der Tech brach verlegen ab, als ihm Mahtobus Scherz aufging, was diesen insgeheim schmunzeln ließ. Er rieb sich seinen grauen Kinnbart, eine für ihn typische Geste.
„Sie kommen wohl nicht so oft hier raus, was?“
„Nein, Sir. Nicht so oft,“ bestätigte der junge blasse Mann mit gesenktem Blick.
„Keine Sorge, mein Sohn, das wird sich bald ändern. Sobald wir unsere Mission hier erfüllt haben. Kopf hoch.“ Aufmunternd klopfte er ihm auf die Schulter. „Also, was haben Sie für mich?“
Sofort war der Tech wieder in seinem Element. „Nun, die Programmierung von Zentralen Prozessoren (CPU) für T-880 gestaltet sich noch immer äußerst schwierig, obwohl wir zur Zeit Riesensprünge machen, wenn ich das so sagen darf. Aber das erledigen meine Kollegen. Ich beschäftige mich zur Zeit mehr mit den Basissystemen für die rein mechanische Steuerung des Endoskeletts, was mit den kognitiven Fähigkeiten eines Terminators nur am Rand zu tun hat.
Einer der alten Käuze von den Veteranen hat mich auf die Idee gebracht. In meinem Quartier sind unter anderem auch zwei von ihnen untergebracht. Ich meine natürlich diejenigen, die bei Ausbruch des Krieges bereits erwachsen oder jugendlich waren und sich an vieles vor dem Krieg erinnern. Wir jungen Leute hören uns sehr gerne die alten Geschichten an, die sie zu erzählen wissen.
Der eine der beiden, Jimenez, war damals Automechaniker in Mexiko. Er weiß alles über Motoren, elektronische Steuerungssysteme und das ganze Drumherum, weshalb ich mich sehr gut mit ihm verstehe, wie Sie sich sicher denken können. Und als er mir vom Motortuning erzählte, bin ich dann auf diese wunderbare Idee gekommen...“
„Jetzt mal langsam“, bremste Mahtobu ihn ein, „was ist Motortuning?“
„Nun, dabei geht es um die Leistungssteigerung bei Verbrennungsmotoren mittels mechanischer oder elektronischer Maßnahmen. Das für uns Interessante ist dabei der Teil, wo das von einer Bordelektronik gesteuerte Motorenkennfeld durch Umprogrammierung dieser Elektronik geändert wird. Denn jeder Motor hat in seiner Ausleistung gewisse Sicherheitsreserven, die bei diesem ‚Tuning’ zum Zwecke der Leistungssteigerung ausgereizt werden, allerdings auf Kosten der Lebensdauer. Verstehen Sie?“
„Ich denke schon. Mir ist nur schleierhaft, wobei Sie damit hinauswollen“, gab der afrikanische General unumwunden zu.
„Mit diesem Grundgedanken im Hinterkopf bin ich an die Basisprogrammierung der Terminatoren vom Typ T-880 herangegangen. Wie Sie wissen, ist die mechanische Stärke der der älteren T-800 um einiges überlegen...“
„Das muss aber nichts mit diesem ‚Tuning’ zu tun haben, oder?“
„Keineswegs, Sir, das ist reiner technischer Fortschritt. Durch intensiven Feinschliff der Grundkonstruktion wurde die Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig kompakteren Ausmaßen erhöht. Allerdings plant Skynet auch weit voraus; so ist den Spezifikationen zu entnehmen, dass der T-880 für einen Betrieb von weit über einhundert Jahren ausgelegt ist. Durch gewisse Subroutinen zur Energieeinsparung bei Wartezeiten und ähnlichen Perioden, in denen nur ein geringes Maß an Leistung abverlangt wird, lässt sich diese Zeitspanne noch erheblich erweitern. Wenn wir allerdings einen T-880 für unsere Zwecke einsetzen und zum Schutz der künftigen Widerständler in der Vergangenheit einsetzen, benötigen wir ihn für maximal dreißig Jahre. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will?“
Mahtobus Mund stand weit offen. „Sie planen ernsthaft, einen T-880 tu ‚tunen’? Seine Steuerelektronik so zu verändern, dass er stärker wird als eigentlich vorgesehen?“
„Unter Umgehung der ursprünglich einprogrammierten Kennfeldlimite seiner mechanischen Belastung. Natürlich nur für Spitzenbelastungen, etwa in Kampfsituationen, können wir ihn so etwa zwanzig Prozent schneller und fünfundvierzig Prozent stärker machen. Das wäre ein entscheidender Vorteil, falls es zu Kampfhandlungen mit Terminatoren der Gegenseite kommen sollte.“ Der Tech nickte ernst.
„Klingt wie Musik in meinen Ohren. Was glauben Sie, wann wir damit fertig sein können?“
Breit grinsend erklärte sein Gegenüber: „Ich bin damit bereits fertig, Sir. Zur Zeit laufen noch Testreihen auf dem Prüfstand hier, und in wenigen Tagen werde ich den ersten modifizierten Chip in ein T-880 Endoskelett einsetzen. Das, was noch Zeit braucht, ist die Missions-programmierung für die Reise in die Vergangenheit. Meine Kollegen arbeiten fieberhaft daran, doch es wird noch etliche Wochen dauern, das hinzubekommen. Vielleicht, wenn ich mich nach Beendigung meiner Arbeit dem Team anschließe...“
„Nur mal langsam. Im Moment leisten Sie großartige Arbeit, wenn ich das richtig beurteile. Beenden Sie das hier erst einmal, dann sehen wir weiter“, lobte Mahtobu, dann zögerte er kurz. „Sagen Sie, könnte man das nicht auch mit einem T-800 machen? Wir planen, zunächst einen von denen zurückzuschicken, bis wir das Problem mit den 880ern in den Griff bekommen haben.“
„Theoretisch sicher machbar, aber es bringt bei weitem nicht so viel, da diese Serie nicht von vorneherein in diesem Maße auf Langzeitmissionen hin konzipiert wurde und auch von der Programmierung her rudimentärer ausgelegt ist. Ich will damit sagen, dass ihre Konstruktion bereits auf fast höchstmögliche mechanische Effizienz ausgelegt ist.“
„Gut, war auch nur so eine Idee. Wie gesagt, gute Arbeit, Soldat. Nur weiter so.“
„Vielen Dank, Sir, sehr nett von Ihnen“, rief der junge Informatiker dem General hinterher.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
Karin und Natasha saßen schon eine ganze Weile im Uni-Café, eigentlich drinnen, doch da bei dieser Witterung fast die gesamte Glasfront geöffnet war, waren sie doch an der frischen Luft des kleinen gepflasterten Heinrich-Rombach-Platzes an der Niemensstraße, der von einer gewaltigen Kastanie dominiert wurde, welche angenehmen Schatten spendete.
Karin hatte schon von Anfang an befürchtet, dass das eine Thema zur Sprache kommen würde, das sie nicht unbedingt diskutieren wollte, vor allem nicht bei den unvereinbar kontroversen Standpunkten, die sie beide dabei einnahmen. So startete sie noch einen letzten schwachen Ablenkungsversuch, um das Unvermeidliche noch ein klein wenig länger hinauszuzögern: „Und, wie gefällt euch eure neue Wohnung?“
Naja, wir sind ja schon fast ein halbes Jahr drin. Ich kann dir nur sagen, sehr exklusiv. Die Konviktstrasse 17 ist echt ein tolles Eckchen.“
„Aber stört es euch nicht, dass praktisch direkt unter eurem Loft das Parkhaus liegt?“
„Ach was, das merkt man kaum. Du musst unbedingt mal mitkommen und es dir ansehen. Wenn du willst und noch Zeit hast, kannst du ja nachher gleich mitkommen und einen Blick bei uns reinwerfen.“
„Wenn es Ralf nichts ausmacht... wie läuft es zwischen euch denn so?“
Natasha senkte den Blick kurz. „Naja, wir sehen die neue Wohnung auch als so ne Art neuen Anfang. Er kann schließlich froh sein, dass ich ihm das mit diesem portugiesischen Miststück überhaupt verziehen habe... wie hieß sie doch gleich...?“
„Du hast sie aber nie in flagranti erwischt, dachte ich?“, warf Karin ein.
„Das musste ich auch nicht, du musst dir diesen Scheißkerl doch nur ansehen, wie er mit schlechtem Gewissen und eingezogenem Schwanz rumläuft... und das nach all den Jahren, die wir zusammen sind!“ Wütend starrte Natasha einen Punkt irgendwo über Karins rechter Schulter an, dumpf vor sich herbrütend und in offenbar sehr unangenehme Erinnerungen vertieft.
Während der kurzen Zeitspanne des unbehaglichen Schweigens hörte Karin mit einem Ohr die Regionalnachrichten, die über die Musikanlage des Cafés leise im Radio liefen: die Polizei warnte vor einer offenbar organisierten Bande von Autoknackern, die in den westlichen Vororten allein letzte Nacht ein halbes Dutzend Personenwagen entwendet hatte. Die Breisgauer Bauern beklagten einen ähnlich hohen Ernteausfall wie im Rekordsommer letzten Jahres, wenn die bisherige Trockenheit anhielt und die Temperaturen noch weiter ansteigen würden. Im Kaiserstuhl war ein holländisches Paar auf Urlaubsreise in ihrem Wohnmobil auf einem Parkplatz ausgeraubt und auf brutalste Weise ermordet worden. Und schließlich war in den Mittagsstunden bei Emmendingen mehrfach die Meldung über einen großen athletischen Mann gemacht worden, der splitternackt durch die Gegend lief. Nur Verbrechen und entlaufene Irre. Furchtbar, dachte sie abwesend.
Um das Schweigen zu beenden, bemerkte sie diplomatisch: „Ich muss dir übrigens meine Bewunderung aussprechen. Die Natasha, die ich damals vor X Jahren kennen gelernt hatte, hätte Ralf bei so was auch ohne Beweise in den Wind geschossen. Du hast dich verändert.“
„Man wird reifer, realistischer. Ja, das ist es wohl. Man muss die Realitäten akzeptieren und das Beste aus ihnen machen. Kompromisse eingehen, das tun, was in einem größeren Rahmen betrachtet Sinn macht.“ Sie zuckte nur müde mit den Schultern.
„Wow, große Worte. Du überraschst mich, Mädchen. Ich bin sogar versucht, mir das aufzuschreiben. Kannst du das noch mal sagen, bitte?“
Mit hämisch hochgezogenem Mundwinkel erwiderte Natasha: „Haha, schrecklich lustig, furchtbar witzig, brutal komisch. Aber mal was anderes: wie geht’s denn Simon so?“
„Ganz gut, denke ich. Er ist gestern mitten in der Nacht von seinem Städtetrip nach Berlin zurückgekommen und hat sich gleich ins Bett geschmissen. Insofern weiß ich noch nichts Genaueres.“ Sie zuckte belanglos mit den Schultern.
„Ich habe auch eigentlich eure Beziehung gemeint. Was ist da los zwischen euch?“ Neugierig setzte sie sich auf, während Karin unbewusst in Defensivstellung ging.
„Da hat sich nichts geändert. Du weißt genau, dass das nur eine kurzfristige Phase von mehreren Monaten war, während der wir uns getröstet und uns in unsere Arme und eine Beziehung geflüchtet haben, um uns gegenseitig zu helfen, das Erlebte besser zu verarbeiten. Herrgott, das ist jetzt fast zwei ein halb Jahre her. Wir sind schon lange aus diesem Stadium heraus und haben eingesehen, dass wir uns durch unsere langjährige Freundschaft und das Teilen all dieser gemeinsamen Erfahrungen weit mehr geben können als durch eine Beziehung allein.“ Ihre Stimme ebbte ab, als sei ihr die Kraft zum Sprechen ausgegangen.
„Klingt für meinen Geschmack eine Spur zu auswendig gelernt, aber egal. Ich sehe das aber richtig, dass ihr nach wie vor zusammen wohnt, das dritte Zimmer für einen potentiellen weiteren WG-Bewohner leer steht und ihr beide seitdem auch keine anderen Beziehungen mehr gehabt habt?“ Es war keine Frage, sondern mehr eine Feststellung.
„Manches braucht Zeit, mehr Zeit, als du vielleicht annehmen würdest.“ Karin konnte ihrer Freundin unmöglich in die Augen sehen. „Was wir durchgemacht haben, kann niemand außer uns verstehen.“
„Du versuchst es ja nicht einmal, es zu erklären. Wenn du mich fragst, brauchst du Hilfe und Simon genauso.“
Stur schüttelte sie den Kopf. „Nein, dabei kann uns keiner helfen. Es ist vollkommen anders, als du denkst. Niemand würde uns das glauben; wahrscheinlich würden sie uns nach Emmendingen stecken.“
„Unsinn!“, widersprach Natasha energisch. „Niemand wird in die Irrenanstalt gesteckt, weil er massive Beziehungsbewältigungsprobleme hat. Dazu braucht es schon ein bisschen mehr. Gut, Abbey und Daniel haben euch beide gleichzeitig verlassen, wahrscheinlich haben sie sogar etwas miteinander gehabt und Simon und dich deswegen sitzen gelassen. So sah es jedenfalls für mich und auch jeden anderen Außenstehenden aus. Aber...“
Karin fuhr ihr aggressiv ins Wort: „Du hast keine Ahnung! Hör auf, so über sie zu reden! Ich kann niemandem die Wahrheit erzählen. Niemandem! Keiner Menschenseele. Ich sage dir, ich würde für verrückt erklärt werden. Also können wir das jetzt bitte lassen? Bitte.“
Natasha sah die Leidensmiene ihrer alten Freundin und erkannte in einem Augenblick stoischer Analytik, dass sie es wirklich ernst meinte. Sie lehnte sich zurück, betrachtete Karin aus halbgeschlossenen Augen abschätzend und sagte plötzlich leise: „Erzähl es mir.“
„Ich hab dir doch gesagt...“ protestierte Karin.
„Nein, ernsthaft. Ich möchte es wissen. Ich kann es verkraften, glaub’ mir. Egal was es ist. Und ich glaube, ich kann dir einen Vorschlag machen, wie man dir helfen kann.“
„Nein, du verstehst es nicht, niemand kann mir helfen... mir und Simon.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Na los, spuck’s schon aus. Wenn es dir sowieso keiner glauben wird, wo ist dann das Problem?“
Karin lehnte sich nach vorne und kniff jetzt ihrerseits ihre Augen zu. „Du meinst das jetzt wirklich ernst, oder?“
„Na klar. Versuch’s einfach,“ ermunterte Natasha sie.
Sie seufzte: „Okay. Aber du wirst mich dafür hassen. Ich werde mich dafür hassen.“
Dann beugte sie sich nach vorne und flüsterte fast: „Danny und Abbey sind nicht in die USA zurückgekehrt. Ihre Existenz endete damals. Und wir waren auch nicht weggefahren zur Zeit unserer Trennung, wie wir es erzählt hatten. Simon und ich sind entführt und als Geiseln benutzt worden, damit die beiden sich selbst den Entführern ausliefern würden. Was sie auch gemacht haben und dadurch freiwillig ihr Schicksal besiegelt haben.“
Natashas Augen waren bei Karins Geständnis immer größer geworden. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Mann, es ist dein Ernst! Unglaublich!“
„Sag ich doch! Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Den Rest möchte ich lieber nicht erzählen.“ Karin schüttelte abwehrend den Kopf.
„Das könnte dir so passen!“, begehrte Natasha sofort auf. „Ich wusste schon immer, dass mit Daniel etwas nicht stimmen konnte. Bei Abbey war ich mir nicht so sicher, aber er... ja, irgendwie macht das alles sogar Sinn, so verrückt es sich auch anhören mag. Was war er, so eine Art Geheimagent?“
„So was in der Art...“
Eine Viertelstunde später war Natasha vollends aufgeklärt und lehnte sich aufstöhnend zurück. „Du hattest recht.“
„Was meinst du damit?“
„Niemand kann euch helfen. Wenn ihr das jemandem erzählt, werdet ihr tatsächlich eingebuchtet. In ein duftes Doppelzimmer mit ganz tollen, weichen Wänden und Böden und so lustigen Jacken, bei denen die Ärmel hinten zusammen genäht sind. Dann bekommt ihr auch leckere Pillen, mit denen ihr bunte Farben seht und Musik hört. Nichts tut mehr weh und ihr habt auch keine Sorgen mehr. Oh Mann!“ Bedauernd schüttelte sie den Kopf.
„Aber ich habe dir doch all diese Hinweise genannt. Denk doch nur an...“
„Ja, du hast ja recht, es hat wirklich einen Haufen Ungereimtheiten gegeben. Und sie alle passen in dem Kontext, den du lieferst, in diesen Rahmen. Außerordentlich gut sogar.“ Natasha pausierte einen Moment und starrte ins Leere. „Beängstigend gut. Gottlob bin ich kein Science-Fiction Fan, sonst würd’ ich dir das am Ende noch abkaufen.“ Wieder schüttelte sie den Kopf.
„Siehst du, ich hab’s dir doch gleich gesagt!“ Frustriert und fast schon beleidigt kreuzte Karin die Arme vor der Brust und lehnte sich wieder zurück.
Natasha indes sah sich argwöhnisch um. „Ich glaub’ wir machen hier lieber ne Fliege und reden bei mir daheim weiter. Auf jeden Fall hast du ein Problem, soviel ist mal sicher.“
Sie winkte der Bedienung, zahlte und zog Karin mit sich.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 26. Oktober 2030
Sie waren soweit. Dank der Hilfe der Connors hatten sie einen Wust an Informationen in den robusten, alten T-800 eingeben können, den sie als Vorauskommando schicken wollten. Es handelte sich um eines der Modelle, das sie intakt mit menschlichem Aussehen in Besitz hatten nehmen können, als der hier stationierte Hauptrechner im Rahmen der Kampfhandlungen bei der Eroberung der Basis von ihnen außer Betrieb genommen worden war. Dieser Terminator war einer der wenigen ‚getarnten’, der direkt von der CPU der Basis ferngesteuert worden war; somit war er einfach erstarrt, als sie dem Hauptrechner den Strom ausgeknipst hatten.
Sie hatten lange diskutiert, ob sie nicht einen Menschen oder einen der neuen T-880 für diese Aufgabe heranziehen wollten, doch einerseits wären Menschen wohl nicht im Stande gewesen, dem von Skynet entsandten Kontingent irgendetwas entgegenzusetzen. Und andererseits mussten sie erst einmal die Ausgangslage in der Vergangenheit dieser Zeitlinie auskundschaften und Daten sammeln, wofür ein auf WRITE eingestellter, das heißt ein lernfähiger Terminator, gut geeignet schien. Auf den ersten Blick ging er immer noch anstandslos als Homo Sapiens durch, wenn auch als sehr großes und kräftiges Exemplar. Und mit den T-880ern war es so eine Sache: zum einen gab es sie nicht in unbegrenzter Anzahl und aufgrund des neuen, viel aufwendigeren Prozessors waren sie sehr schwer zu programmieren, zum anderen wussten sie noch nicht so viel über ihre Feldgefechtsparameter, sprich Zuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit. Skynet hingegen war sich seiner Sache betreffs Prototypen offenbar viel sicherer, sonst hätte er wohl kaum all die verschiedenen „Erstlingswerke“ wie T-880, T-1000 und T-X mit solchen prekären und für ihn vitalen Aufgaben betreut. Nun, Skynets Helfer hatten versagt und er war schlussendlich unterlegen, was vielleicht gegen diese Strategie sprechen mochte.
Der Widerstand um Connor jedenfalls wollte auf Nummer Sicher gehen. Sie hatten inzwischen auch eine recht gute Vorstellung davon, wozu ein Thunfisch im Zusammenhang mit einer ZVA gebraucht werden konnte. Dieses Szenario machte ihnen Angst. Aber andererseits konnten sie sich vielleicht einer ähnlichen, wenn nicht sogar noch ausgeklügelteren List bedienen, um den Abgrund zwischen den Zeiten effektiver zu überbrücken.
So beendeten sie ihre Eingaben und schickten den T-800 mit der ZVA an den fraglichen Zeitpunkt und die Gegend, wo er gebraucht wurde. Diesmal befand sich Mahtobu in gebührendem Sicherheitsabstand. Als sich die Apparatur nach der Zeitversetzung abkühlte, betrachtete er nachdenklich die Gräser und Brennnesselbüsche, die durch das Zeitfeld aus der Vergangenheit gekommen waren. Sogar ein wenig schmutzige Erde lag auf dem Boden des Kraftfeldes; sie musste voll von Bakterien und anderen Kleinstlebewesen sein, wenn es die Erde durch die Raumzeit zurück hierher geschafft hatte, als die zwei Sphären ausgetauscht worden waren.
Als die ZVA wieder betriebsbereit und die gewaltigen Kondensatoren tief im Inneren des Berges ausreichend aufgeladen waren, vergewisserte er sich bei den zuständigen Technikern, dass die richtige Zeit und vor allem der genaue Ort eingestellt waren. Jetzt würde es spannend werden.
„Glauben Sie, dass die Zeit ausgereicht hat, die wir ihm gegeben haben?“ fragte er nochmals zur Sicherheit nach.
„Das kann man nicht wissen. Bedenken Sie, dass noch niemand so etwas versucht hat. Ich hoffe nur, das zieht keine Komplikationen nach sich. Immerhin beeinflussen nun nicht nur wir die Vergangenheit, sondern...“
„Hören Sie schon auf. Ich möchte Resultate sehen, keine graue Theorie hören, bei der einem ganz schwindelig wird. Können wir dann?“ wollte er ungeduldig wissen.
Der Tech seufzte ergeben und begann in rasendem Tempo Eingaben auf seiner Tastatur zu machen. „Gut, dann wollen wir mal. Genaue Zeit und Position sind fixiert. Transfer beginnt in zwanzig Sekunden.“
Hinter der massiven Schutzwand sah man nur das unfassbar helle Aufgleißen, das harte kalte Schatten an die Wand hinter ihnen warf, begleitet vom charakteristischen Sirren und Knacken der ionisierten Luft. Der Geruch von Ozon rundete das ‚Erlebnis Zeitsprung’ ab, nachdem Licht und Zischen verebbten. Vorsichtig sah Mahtobu um die Ecke des Schildes und keuchte verblüfft auf.
„Es hat geklappt! Etwas ist durchgekommen.“ Sein Erstaunen wich gleich darauf Misstrauen und Zweifel. „Aber... was ist denn das? Was ist da nur passiert?“
„Hm, ein wenig anders als erwartet“, gab einer der Techs zu, der um die Barriere herumsah.
„Wie bitte? Sie machen mir Spaß! Sehen Sie sich nur diese Sauerei an!“ Mit einem ergebenen Seufzer sagte Mahtobu kopfschüttelnd: „Also gut, vielleicht war es ja doch kein völliger Fehlschlag.“
Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
„Warum hast du es denn auf einmal so eilig? Zieh doch nicht so!“ Karin war ziemlich erstaunt über das seltsame Verhalten von Natasha.
„Bleib jetzt ganz cool, okay? Ich glaube, wir werden verfolgt. Nein, sieh bloß nicht nach hinten.“ Bestimmt zog sie ihre untergehakte Freundin quer über den belebten Bertoldsbrunnen, wo der Verkehrsmittelpunkt der Stadt war und alle Bahnlinien zusammenliefen. Sie folgten der Kaiser-Josef-Straße, der Hauptgeschäftsstraße der Stadt, und bogen dann in die Münsterstraße, die auf den gleichnamigen Platz mündete. Sie hasteten über das unebene Pflaster zum südlichen Seiteneingang, ohne das Gotteshaus groß zu beachten. Dabei war das Freiburger Münster eines der baulich hervorragendsten gotischen Kirchenbauten Deutschlands, völlig aus rotem Sandstein, wie er überall im Südschwarzwald vorkam, erbaut und mit einem 116 m hohen, schlanken Hauptturm gekrönt. Das Kirchenschiff war genauso lang wie der Turm hoch, dabei verhältnismäßig schmal in der Breite, eben typisch gotisch, schlank und hoch gen Himmel strebend.
Natasha wollte sich diesen Umstand nun zunutze machen. Sie erklärte Karin: „Pass auf: wir gehen durch den Seiteneingang rein, dann durchqueren wir die Seitenschiffe und verlassen am nördlichen Seitenausgang das Münster wieder, solange wir für unseren Verfolger außer Sicht sind. Wir müssen einfach auf der anderen Seite draußen sein, bevor er reinkommt. Dann weiß er nicht, ob wir noch drin sind und uns irgendwo in der Kirche aufhalten, während wir draußen die Beine in die Hand nehmen. Sobald wir beim Kornhaus um die Ecke sind, haben wir’s geschafft.“
„Okay.“ Wider besseren Wissens sah Karin nach links, als sie zum Südeingang einbogen. Ein großer, muskulöser Kerl mit kurzem blonden Bürstenhaarschnitt, kantigem, ausdruckslosem Gesicht und Sonnenbrille bahnte sich seinen Weg durch die Passanten- und Touristenmenge auf dem Münsterplatz, indem er stur voranschritt, ohne sich groß um die Leute zu kümmern, die ihm in den Weg liefen, sodass es ab und an zu einer Kollision und vereinzelten verhaltenen Protesten kam. Das reichte ihr.
Sie schlüpften durch den Windfang in das angenehm kühle Innere des hohen Kirchenschiffs, das vom bunten, warmen Zwielicht der kunstfertig bemalten Fensterscheiben und zahlreicher Kerzen bei den Opferstöcken vorne erhellt wurde. So schnell es die Ehrfurcht gebietende Umgebung zuließ, schlüpften sie auf dem Hauptquergang der Kirche zwischen Gläubigen, einer Gruppe fernöstlicher Touristen und den alten Holzbänken sowie den mehr als ein Meter dicken tragenden Säulen des Hauptschiffs, auch aus rotem Sandstein, hindurch auf die gegenüberliegende Seite. Im Nu waren sie durch den Nordausgang hinaus, während Natasha ihre hochhackigen Sandaletten im Laufen auszog und in die Hand nahm.
Sie rannten über den Münsterplatz und hielten auf die nächstmögliche Straßenecke zu, die sie außer Sicht ihres Verfolgers bringen würde. Beim Kornhaus erreichten sie ihr Ziel und warfen beim Abbiegen noch einen hastigen Blick zurück. Der Platz hinter ihnen war bis auf einige junge Leute und eine Mutter mit Kinderwagen leer.
Sie umrundeten die Ecke und pressten sich an die Wand. Karin keuchte: „Geschafft.“
Natasha sah hinter sich auf ein Schaufenster: „Sieh mal, Jil Sanders.“
„Spinnst du? Für so was haben wir jetzt keine Zeit. Klar, Schickse?“
„Ja, schon gut.“ Natasha nickte und fragte: „Kannst du noch?“
„Du machst wohl Witze? Ich halte mich noch immer fit. Los!“ Sie liefen weiter an der Synagoge vorbei, welche an jenem unglücksseligen 9. November, der vielen als „Kristallnacht“ in Erinnerung geblieben ist, an ihrem alten Standort in Uninähe niedergebrannt worden und als modernes Gebäude hier neu errichtet worden war. Sie war über eines der vielen kleinen Bäche, die überall durch die Stadt fließen, mit in das allgemeine Stadtbild integriert worden, indem eine Art Brunnen, über dem ein stilisierter Davidstern prangte, eines der Bächle speiste. Doch auch dafür hatten sie momentan keine Muße; sie hasteten weiter in die nächst größere Straße, die Herrenstraße. Anstatt auf ihr direkt in Richtung von Natashas Wohnung zu gehen, machten sie noch einen Umweg und gingen außen herum über den Schwabentorring und nahmen den Aufzug in der Schwabentorgarage ins oberste Parkdeck. Von dort aus waren es nur noch einige Treppenstufen bis auf den Schlossbergsteg, der über den gleichnamigen Straßenring und durchs Parkhaus bis in Ralfs und ihre gemeinsame Wohnung führte.
„Wir haben es wohl geschafft, ihn abzuhängen. Mann, hat der Typ düster ausgesehen!“ Natasha schien zu frösteln bei dem Gedanken an ihn, als sie das Gittertürchen in ihren Zugangsweg nach links öffnete.
„Bist du auch wirklich sicher, dass er es auf uns abgesehen hatte?“ Offenbar hatte Karin noch Zweifel, wenn auch keine starken. Sie hatte gewusst, dass Natasha paranoid veranlagt war, aber das hier...?
„Na hör mal, er hat sich die ganze Zeit beim Café rumgetrieben und ist rein zufällig gleichzeitig mit uns zum Münster gelaufen? Das glaubst du doch selbst nicht!“ Sie bog in den schmalen Zugangsweg ein, der zu ihrer Wohnung führte und kramte in ihrer kleinen Stoffhandtasche nach den Schlüsseln. Im Hintergrund konnten sie die massige Spitze des Schwabentores sehen, des zweiten erhalten gebliebenen Stadttores mit hohem Turmanbau. Es befand sich ganz in der Nähe.
„Weißt du, ich habe vorhin in den Nachrichten eine Menge ungewöhnlicher Dinge gehört. Wer weiß, vielleicht liegt es an der Hitze, dass alle Leute ausflippen und die seltsamsten Verhaltensweisen an den Tag legen. Es könnte ja sein...“ Karin verstummte, als sie das Gesicht ihrer Freundin sah.
Sie waren gerade in ihren Hauseingang eingebogen, als Natasha wie angewurzelt stehen geblieben war. Sie deutete auf die spaltbreit offenstehende Wohnungstür und legte ihren hochgestreckten Zeigefinger an die Lippen. Jegliche angebrachte Vorsicht in den Wind schießend, schob sie die Tür, die ganz offenbar mit roher Gewalt aufgebrochen worden war, langsam auf.
- 2 -
Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
Innen empfing sie Totenstille und aufgrund der gegen die Sommerhitze herabgelassenen Rollos Halbdunkel. Karin war gar nicht wohl zumute, als sie sich dicht hinter Natasha hineinstahl. Vorsichtig schlichen sie lautlos in die Küche, das Gästeklo und das weitläufige Wohnzimmer, die allesamt leer waren. Dann arbeiteten sie sich ebenso leise die Treppe des Lofts empor. Auf den letzten Stufen fiel Karin ein faustgroßes, kreisrundes Loch in der Tür am Ende des Ganges auf. Sehr extravagant, dachte sie, merkte aber einen Moment später am staunenden Gesicht Natashas, dass diese Besonderheit auch ihr aufgefallen und somit keinesfalls normal war.
Sie erreichten den oberen Rand der Treppe und erstarrten. Auf dem Boden lag etwas. Nach einer Sekunde der Eingewöhnung an das schwache Licht im fensterlosen Gang konnten sie erkennen, dass es sich um einen Körper handelte. Natasha tastete nach dem Lichtschalter und flüsterte beinahe beschwörend: „Nein, bitte nicht, lass es nicht sein...“
Ohne Vorwarnung für Karin flammte die Beleuchtung auf. Die beiden Frauen kreischten gleichzeitig bei dem Anblick: auf dem Teppich lag Ralf, flach auf dem Rücken und mit einem Ausdruck ungläubigen Entsetzens auf dem Gesicht. In seiner Brust befand sich ein faustgroßes, kreisrundes Loch, dessen Ränder verkohlt waren. Es ging glatt durch ihn hindurch, man konnte den Teppich am unteren Ende des Lochs sehen.
Bei diesem unwirklichen und zugleich grausamen Anblick versagten Natasha die Knie. Karin umarmte und stützte sie gleichzeitig, während sie beide schluchzten und auf die Knie sanken. Seltsamerweise war es Karin, die zuerst ihre Fassung zurückerlangte. Natasha warf sich über den leblosen Körper ihres Freundes, jammerte und fluchte leise auf russisch und weinte mit zuckenden Schultern. Karin wischte sich die Tränen von den Augen und besah sich mit einer unerklärlichen Faszination das Loch in der Tür. Es sah so aus, als sei es genauso groß wie die Wunde in Ralfs Leib. Konnte das sein, dass er von einem Einbrecher oder Räuber erschossen worden war? Aber mit welcher Waffe? Sie hatte noch nie von einer Waffe gehört, die solche Wunden oder Einschläge verursachte. Sie öffnete die Tür zum Schlafzimmer und keuchte auf, was Natasha aus ihrer Lethargie holte.
„Oh mein Gott, sieh dir das an! Was war das?“ Sie sah auf ein Bücherregal, das direkt an der Wand des Zimmers hinter der Tür stand. Es war der Länge nach von dem geheimnisvollen Projektil durchschlagen worden. Das Regal schien beinahe einen Meter breit zu sein, doch man konnte durch die beiden Seitenwände aus Sperrholz und alle Bücher einer Reihe hindurchsehen. Karin zog probeweise eines der Bücher aus der Mitte hinaus und betrachtete das kreisrunde Loch mit den scharf abgegrenzten, verbrannten Rändern. Der Durchmesser schien abgenommen zu haben, was ihres Wissens nach für ein Geschoss sehr ungewöhnlich war. Am abgewandten Ende des Regals war die Öffnung nur noch fingerdick.
Normalerweise waren die Austrittsöffnungen immer größer als beim Eintritt. Unwillkürlich folgte ihr Blick der imaginären Flugbahn des rätselhaften Geschosses. Mit schierem Unglauben in der Stimme wiederholte sie: „Sieh dir das an!“
Hinter dem Regal war ein Fenster zur kleinen Loggia einen Spaltbreit offen. Mitten durch dieses war ebenfalls ein Loch geschmolzen. Man konnte genau sehen, dass ein wenig von den Rändern weich und flüssig geworden war und beim Hinablaufen an der Scheibe sogar einige Fäden gezogen hatte, an deren Enden dicke Glastropfen hingen. Auf eine obskure Weise sah es sogar schön aus.
„Es hat sich kerzengerade in flachem Winkel durch die Scheibe gebrannt und die Ränder geschmolzen. Was kann das nur gewesen sein?“ Natasha schien ihren ersten Schock überwunden zu haben.
„Spielt das denn eine Rolle? Wir müssen Hilfe holen. Wir müssen die Polizei anrufen, und das auf der Stelle!“ Karin sah sie mit betroffener Miene an.
„Du hast recht. Ich habe eben meinen Freund verloren. Ich kann es noch gar nicht begreifen; das ist alles so unwirklich, wie ein schlechter Traum. Kannst du mir eine kleben, damit ich aufwache?“ Ihre Schultern sanken wieder hinab.
„Geh’ lieber runter, ich rufe inzwischen an, okay?“ Sie führte ihre Freundin die Treppe hinab und setzte sie im Wohnzimmer auf die Eckcouch, nahm das schnurlose Telefon und ging hinaus in den Flur.
Was für ein entsetzlicher Anblick! Sie versuchte sich noch immer zu fassen und wählte die Notrufnummer der Polizei. Aber was sollte sie nur sagen, wie war so etwas nur zu erklären? Noch vor einer halben Stunde hatte sie mit Natasha zusammen gemütlich eine Latte Macchiato getrunken. Wie konnte sich alles nur in so kurzer Zeit verändern?
Endlich meldete sich eine Frauenstimme und Karin fing an, aufgeregt in den Hörer zu plappern. „Bitte kommen Sie schnell. In der Konviktstraße 17 Q über dem Schlossbergparkhaus hat es einen Todesfall gegeben. Ralf Parzival, der Freund meiner Kollegin Natasha Orloff... wir haben ihn auf dem Boden liegend gefunden, er hat schwere Verbrennungen, wie es scheint. Es sind einige Beschädigungen in der Wohnung, ganz seltsame Brandschäden, ich habe so was noch nie gesehen. Kann das ein Kugelblitz oder etwas Ähnliches gewesen sein?“
„Es ist noch zu früh, um Vermutungen anzustellen. Bitte bewahren Sie Ruhe. Wie geht es Ihrer Freundin? Braucht sie ärztliche Hilfe?“
„Ich... ich glaube nicht. Sie ist zwar völlig fertig, aber sie scheint keinen Schock zu haben. Bitte, kommen Sie schnell, wir fühlen uns nicht sicher hier. Es ist so unheimlich...“ Entgegen ihres festen Vorhabens, Haltung zu bewahren, musste sie jetzt doch schluchzen.
„Bitte beruhigen Sie sich, es ist bereits jemand auf dem Weg zu Ihnen. Wir werden...“
Den Rest bekam Karin nicht mehr mit. Gebannt starrte sie auf die Eingangstür, welche sich ganz langsam öffnete. Der Türrahmen wurde beinahe von der Silhouette des riesigen Mannes ausgefüllt, der nun eintrat. Sie ließ das Telefon fallen und schrie: „Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Verschwinden Sie! Oh mein Gott, HIIILFE!!“
Der Unbekannte trat nun ins Halbdunkel und nahm seine dunkle Sonnenbrille ab, wobei Karin ihn als den grobschlächtigen Kerl erkannte, der sie vorhin verfolgt hatte. Er trug ein zu enges, hellblaues T-Shirt mit einem großen bräunlichen Fleck auf der Seite, weite Tarndruckhosen und Bundeswehrstiefel. Er sah sie unbeeindruckt an, abschätzend, ließ seinen finsteren, mitleidslosen Blick langsam durch den Flur schweifen, dann untersuchte er eine Sekunde lang das aufgebrochene Türschloss. Das Telefon auf dem Boden, aus dem kaum hörbar die aufgeregte Stimme der Notruf-Telefonistin quäkte, erregte seine Aufmerksamkeit. Er hörte kurz hin, machte einen langen Schritt nach vorne und zermalmte das Gerät unter seinem Stiefel. Karin schockierte die Mühelosigkeit, mit der er das augenscheinlich tat.
„Maja Maranoff?“ wollte er von ihr wissen.
Sie wich zurück in Richtung Wohnzimmertür, wo nun Natasha, durch ihren Schrei angelockt, auftauchte. Ihre Augen quollen förmlich aus ihren Höhlen bei dem Anblick, der sich ihr bot. „Oh nein, das darf alles nicht wahr sein...“
Der fremde Hüne hingegen starrte sie einen Moment lang bewegungslos an und verlangte dann von ihr zu wissen: „Bist du Maja Maranoff?“
„Nein, ich heiße... was tun Sie hier? Sie haben uns vorhin verfolgt, das haben wir gemerkt. Verschwinden Sie bloß, die Polizei ist nämlich gleich hier, dann können Sie was erleben.“ Keine der beiden wusste, wie sie auf die Anwesenheit dieses unheimlichen Typen reagieren sollten, der nun einen Blick ins Wohnzimmer warf. Mit seiner gefühllosen, tiefen Stimme antwortete er: „Unwahrscheinlich. Bist du Maja Maranoff?“
„Mein Name ist nicht…“ Natasha hielt inne. „He, mein zweiter Vorname ist Maja. Und... ich glaube, der Mädchenname meiner Mutter ist Maranoff. Woher wissen Sie... he, was tun Sie da?“
Bevor sie ihn daran hindern konnten, war der prometheisch gebaute Mann die Treppe hinaufgestiegen und hatte Ralf gefunden. Sein Kopf ruckte von der Leiche hoch zum Loch in der Tür und er sagte an Natasha gerichtet: „Ein Kolateralschaden. Es ist hier nicht mehr sicher für euch. Du bist zur Terminierung anvisiert worden.“
„Wovon zum Teufel redet dieser Typ nur?“ Natasha war kurz vor einem Nervenzusam-menbruch.
Eine fürchterliche Ahnung überkam Karin. „Ich... das... nein, das kann nicht sein. Natasha, das ist einer von ihnen. Das ist kein Mensch!“
Der große Blonde sah sie durchdringend an. „Du weißt von meiner Existenz. Das ist der Mission dienlich. Wir müssen diesen Ort verlassen. Sofort!“
Obwohl er keinerlei emotionales Drängen in seine Stimme gelegt hatte, war beiden klar, wie ernst dieser Typ es meinte. Er schob die offenbar traumatisierte Natasha vor sich her zur Tür, während Karin ihm dichtauf folgte. Sie fragte zögernd: „Welche Mission?“
„Meine Mission ist, euch und die anderen Zielpersonen zu schützen. Dieser Aufgabe kann ich hier nicht zuverlässig nachkommen. Die von euch gerufenen Ordnungskräfte werden in Kürze eintreffen. Außerdem kann der Terminator, der den Kolateralschaden begangen hat, noch in der Nähe sein. Er ist außerordentlich gut bewaffnet.“ Er setzte seine Sonnenbrille einen Augenblick, bevor er wieder ins grelle Sonnenlicht hinaus trat, auf.
„Soviel haben wir auch schon rausgefunden, Schlaukopf. Und was du Arschloch ‚Kolateral-schaden’ nennst, war mein Freund Ralf.“ Mit hasserfüllter Stimme und mühsam unterdrückten Tränen zischte sie ihn an, während er sie ins Treppenhaus und aufs oberste Parkdeck der Schlossberggarage schob.
„Bist du im Besitz eines Fahrzeugs?“ wollte er wissen.
„Mein Golf-Cabrio ist gerade in der Werkstatt. Die Schlüssel von Ralfs Porsche Boxster...“
„Das ist ein Fahrzeug mit nur zwei Sitzen.“ Er ging zu einem jungen Mann in lässigen Skaterklamotten, der gerade seinen dunkelblauen 89er Golf abschließen wollte, tippte ihm von hinten auf die Schulter und sagte unbewegt in sein erschrockenes Gesicht: „Wir benötigen dein Automobil.“
„He, hört mal, macht keinen Scheiß, okay. Ich...“
Karin unterbrach seinen Redefluss der versuchten Ausflüchte. „Das ist ein Notfall. Gib ihm lieber die Schlüssel.“
„Das werde ich nicht!“ Der junge Kerl gewann offenbar etwas Zuversicht, von irrationaler Aggression gespeist. Er flog noch durch die Luft, als der blonde Riese sich bereits mit einer flüssigen Bewegung hinters Lenkrad schwang und den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Ungerührt öffnete er die Beifahrertür, worauf sich Natasha schnell in den Fond zwängte. Karin hatte kaum Zeit, auf den Beifahrersitz zu springen, da ließ ihr Retter/Entführer bereits den Motor aufheulen und jagte mit quietschenden Reifen los.
Der Autobesitzer war unsanft über das Parkdeck gerollt, als der grobe Fremde ihn am Kragen gepackt und zur Seite geschleudert hatte wie einen Müllsack. Nun richtete er sich auf Ellenbogen und Knie auf und fluchte leise vor sich hin. Im nächsten Augenblick sah er sein eigenes Auto mit aufheulendem Antrieb direkt auf ihn zuschießen, viel zu schnell für das Innere eines Parkhauses. Der Irre mit dem coolen Gesicht und der Sonnenbrille auf der Nase machte keinerlei Anstalten zu bremsen, weshalb sich der Golfbesitzer nur mit einem beherzten Hechtsprung vor dem Überfahrenwerden retten konnte.
„Bist du irre? Du hättest den armen Kerl beinahe umgebracht!“ ereiferte Natasha sich vom Rücksitz aus.
„Negativ. Bitte anschnallen.“ Mit irrwitzigem Tempo zirkelte er das alte Auto mit den schmalen, abgefahrenen Reifen quietschend durch die Kurven und rollte dann langsam auf den Schlagbaum des Ausgangs zu. Er fuhr so weit vor, dass er die Barriere fast auf Augenhöhe kurz vor seiner Windschutzscheibe hatte, dann beugte er sich nach vorne und langte aus dem Fenster hinaus. Er griff sich die Schranke und riss sie mit einer kurzen, mühelosen Bewegung aus ihrem Gelenk an der Seite der Fahrspur. Sofort gab er Gas und schoss auf den Schlossbergring. Im Hintergrund waren bereits diverse Sirenen zu hören, die vermutlich sowohl zu Polizei- als auch Krankenwagen gehörten. Es war knapp gewesen.
„Du bist also so eine Art Roboter wie Daniel und Abbey, stimmt’s?“ Entgegen aller Vernunft versuchte Karin, mit dem Unbekannten zu reden und möglichst viel herauszufinden, während er auf die B 3 und damit den Autobahnzubringer einbog.
„Diese Namen sind mir nicht bekannt. Ich bin eine kybernetische Lebensform, Cyber Research Systems Model 157, Baureihe Terminator T-800.“
„Wie heißt du? Wie sollen wir dich nennen?“ Natasha stellte überraschenderweise diese sehr sinnvolle Frage.
„Meine Bezeichnung lautet NMF 2210.“ Bei dieser monoton ausgesprochenen Antwort stöhnte Karin auf.
„Das ist viel zu kompliziert. Wir nennen dich ab jetzt... Alex“, bestimmte Karin und sah Natasha an, doch die zuckte nur mit den Schultern. Für sie war das alles noch viel zu unwirklich, als dass sie ernsthaft mitreden konnte. Karin selbst hatte ja auch noch keine Ahnung, was sie von dieser Sache halten sollte.
Natasha betrachtete ihren Retter mit den fragwürdigen Motiven eingehender. „Wie siehst du überhaupt aus? Hast du diese Kleider einem der anarchistischen Penner abgenommen, die in der Innenstadt rumlungern und einen um Kleingeld anbetteln?“
„Das ist korrekt,“ bestätigte NMF 2210.
„Oh.“ Nun wusste Natasha nichts mehr zu sagen.
Er fügte noch hinzu: „Sein Hund war sehr lästig. Ein weiterer Kolateralschaden.“
Karin sammelte sich einen Moment und begann dann: „Du hast von einer Mission gesprochen, Alex?“
„Der Schutz aller mir eingegebenen Zielpersonen vor Terminierung durch Skynets Killer.“
„Skynet? Das hat sicher was mit eurem Krieg in der Zukunft zu tun. Ich dachte, der hätte nicht stattgefunden?“ Fragend sah sie nach links.
Der T-800 blickte sie kurz aus dem Augenwinkel an, ohne den Kopf zu drehen. „Der Krieg wurde in dieser Zeitlinie nur verschoben. Er findet noch immer statt. Bald.“
„Tolle Aussicht.“ Karin konnte mit dieser Vorstellung im Moment überhaupt nichts anfangen, dafür war diese viel zu abstrakt. „Du hast von anderen Zielpersonen gesprochen. Wen genau meinst du damit?“
„Andere Personen, die in Zukunft für den Widerstand gegen Skynet in Europa von großer Bedeutung sein werden. Mein Auftrag ist es, alle in Mitteleuropa erreichbaren Personen zu kontaktieren und in Sicherheit zu bringen, bis ich Verstärkung erhalte. Die einzige weitere Person in unmittelbarer Nähe ist Simon Rohwoltt.“
„WAAAS?! Simon?“ platzte es aus Natasha heraus. „Was ist denn jetzt los? Bin ich im falschen Film?“
„Hör zu, Alex.“ Karin bemühte sich, ruhig zu bleiben, obwohl sie angesichts der Brisanz der Situation kurz vor einem Schreikrampf stand. „Wir kennen Simon gut. Ich selbst wohne mit ihm zusammen. Er befindet sich in Freiburg in der Weberstraße. Wenn das alles stimmt, was du gesagt hast, schwebt er in höchster Lebensgefahr. Wir müssen sofort zurück und ihn holen, bevor es zu spät ist.“
„Positiv.“ Seine CPU setzte die Prioritäten neu; die beiden aus der Stadt zu bringen war nun zweitrangig geworden. Sie fuhren gerade mit hoher Geschwindigkeit auf die Auffahrt Freiburg-Mitte zu. NMF 2210 machte sich den Aufbau der Anschlussstelle zunutze, der wie ein Autobahnkreuz beschaffen war. Er nahm auf dem Kreuz zuerst die Abfahrt nach Basel, dann die nach Freiburg und kam so auf die Schnellstraße Richtung Innenstadt zurück. Dann drückte er das Gaspedal nach unten.
„Könnte ich jetzt bitte auch mal erfahren, was hier los ist?“ Natasha wirkte wieder leicht hysterisch, was kein gutes Zeichen war.
„Nun, ich glaube es selbst kaum, aber du siehst ja, alles was ich dir heute beim Kaffee erzählt habe, stimmt. Unser Freund Alex hier ist einer dieser Kunstmenschen, Roboter oder was auch immer. Es gibt sie wirklich und er ist aus einer möglichen, vom Atomkrieg zerstörten Zukunft zu uns geschickt worden, offenbar mit dem Auftrag, uns zu beschützen. Die anderen wollen uns platt machen, weil wir denen zukünftig wohl ordentlich die Suppe versalzen werden. Mehr weiß ich leider auch nicht, weil Daniel und Abbey uns fast nichts darüber erzählt haben.“
„Ich hör’ immer Zukunft und Atomkrieg und so. Bist du denn völlig irre geworden?“
„Denk doch mal an Ralf. Was für eine Waffe feuert solche Geschosse ab? Das war sicher eine Knarre aus der Zukunft. Es klingt zwar bescheuert, aber es ist die einzig logische Erklärung, die mir dazu einfällt. Wir haben den Beweis dafür vor der Nase gehabt.“ Auf dieses Argument wusste Natasha nichts mehr zu entgegnen, deshalb verfiel sie in schweigendes Brüten und lehnte sich zurück in ihren Sitz.
NMF 2210 antwortete dafür: „Bei der Waffe handelt es sich mit 93%iger Wahrscheinlichkeit um eine phasenkoordinierte Plasmaimpulswaffe. Der Signatur der Schäden nach ein M-72 oder M-80.“
Karin sah ihn mit großen Augen an. „Phasenkoordi... du sprichst von kohärentem Licht... eine Waffe, die Laserstöße verschießt. So was habt ihr? Ich hätte nicht geglaubt, dass die Soldaten in der Zukunft schon in einigen Jahrzehnten mit Laserkanonen rumlaufen.“
Wieder dieser kurze Seitenblick mit unbewegtem Kopf. „Du kennst dich sehr gut aus mit den Grundlagen. Skynet hat wesentlich effizienter und konzentrierter an neuen Waffen und Technologien geforscht, als es jemals die beste Rüstungsfirma, Universität oder Regierungsbehörde gekonnt hätte. Er war von keinen menschlichen Schwächen und Komplikationen abgelenkt.“
„Ja, wenn das Haushaltsbudget zu einhundert Prozent für den Rüstungsetat ausgegeben wird, sind wahre Wunder möglich, stimmt’s?“ wandte Natasha sarkastisch aus dem Off ein.
„Stimmt.“
„Dieser Typ gibt mir den Rest“, stöhnte sie darauf.
Simon saß in der Wohnküche vor dem Fernseher und sah Nachrichten auf CNN. Nur so, um ein wenig von drüben mitzubekommen. Seit seinem Kurztrip in die USA hatte ihn die Bewunderung für dieses Land lange Zeit nicht losgelassen, anfangs auch nicht, als die Republikaner die Macht übernommen hatten. Dieses wundervolle und gigantische Land und seine Einwohner konnten schließlich nichts dafür, wenn ein Präsident, der eigentlich nicht ordentlich gewählt worden war, innerhalb einer präsidialen konstitutionellen Republik tat, was er und sein Kabinett wollten.
Sein Städtetrip, von dem er gerade zurückgekehrt war, und auch schon sein Praktikum zuvor hatten ihm eines klargemacht: sein Inneres war von einer gewissen Leere erfüllt. Er hatte sein Studium so gut wie beendet, doch er verspürte zur Zeit keinerlei inneren Antrieb. Wenn er jetzt nicht aufpasste, würde er die erstbeste freie Stelle annehmen, in die sein Ausbildungsprofil hineinpasste und auf diesem Posten dann versauern, bis er alt und grau wäre.
Nein, er hatte das Bedürfnis, einiges in seinem Leben zu ändern. Sollte er einen Ortswechsel ins Auge fassen? Karin hatte von Hamburg gesprochen, doch das wäre ihm doch etwas zu radikal. Obwohl...
Seine Gedanken schweiften ab. Er war eben auch ein schwieriger Typ, was Beziehungen anging. Er hatte lange keine feste Freundin gehabt, nur um nach vier ein halb Jahren zu erfahren, dass seine erste Beziehung nicht einmal ein richtiger Mensch gewesen war. Nun, in gewisser Hinsicht war Abbey menschlicher als so mancher wirklicher Mensch gewesen. Ihm fiel dieser Gedanke noch immer sehr schwer, genauso wie es Karin mit Daniel erging. Und die anschließende Beziehung mit ihr war wirklich nichts für die Ewigkeit, wie sie sich beide nach einer Weile eingestehen mussten. Nun, in der ersten Phase war sie sehr intensiv gewesen, woran er auch heute noch gerne zurückdachte, auch wenn keiner von ihnen jemals in Versuchung kommen würde, rückfällig zu werden. Manchmal saßen sie gemeinsam auf dem Sofa vor dem Fernseher und kuschelten sich aneinander, aber es war nun nichts Körperliches mehr, eher wie kleine Streicheleinheiten zwischen Bruder und Schwester. Sie waren in der gleichen Straße aufgewachsen und kannten sich so lange und so gut, dass sie mit dieser Situation ganz gut umgehen konnten. Ihre Eltern, die seit Jahren versucht hatten, sie zu verkuppeln, verzweifelten am derzeitigen Status, nachdem sie sich damals vor zwei ein halb Jahren endlich am Ziel gewähnt hatten.
Sie wohnten noch immer zusammen und hatten beide keinen Partner, beteuerten aber, dass zwischen ihnen nicht mehr war als nur noch tiefe Freundschaft. Viele nahmen ihnen das nicht ab, aber das konnte man nicht ändern. Nun, Karin würde bei ihrem attraktivem Äußeren bestimmt keine Probleme haben, sollte sie sich überwinden und sich wieder nach einem Freund umsehen. Für ihn aber wurde es allmählich höchste Zeit, denn seine dunkelblonden Geheimratsecken wanderten allmählich nach oben und obwohl er noch immer seine schlanke, drahtige Figur hatte, wurde er nicht jünger.
Als es an der Tür klopfte, saß Simon gerade am PC in Daniels altem Zimmer. Sie hatten es nach seinem „Ableben“ unangetastet gelassen, auch wenn der Computer inzwischen fast nicht mehr mit den allgemeinen Anforderungen mithalten konnte. Er hatte zwar den Speicher und Hauptprozessor im Laufe der Jahre gegen leistungsfähigere Varianten ausgetauscht, doch allmählich war das Grundgerüst am Ende seiner Möglichkeiten. Außerdem hatte er sich offenbar vor Kurzem einen Virus eingefangen, den er nicht entfernen konnte, egal was er versuchte. Und was PCs betraf, war er wirklich sehr bewandert, ein Crack sozusagen.
Wer konnte das sein? Hatte Karin ihren Schlüssel vergessen? Er öffnete einen Spalt breit und erblickte einen 1,90 m großen Muskelberg mit kurzgeschorenem blonden Haar und stechenden blaugrauen Augen. Mit tiefer Stimme fragte er: „Simon Rohwoltt?“
„Ja, was ist?“ Irgendwas kam ihm komisch vor an dem Hünen.
„Ich bin...Alex. Es ist wichtig, dass du mit hinunterkommst. Karin und Natasha warten unten im Auto auf dich.“ Das war alles, was dieser Alex mit monotoner Stimme hinunterleierte; ihm kam es fast vor wie auswendig gelernt.
„Karin und Natasha? Zusammen? Seltsam, was ist denn los?“
„Das wollen sie dir selbst erzählen, haben sie gesagt.“ Alex ließ nicht locker. „Wir müssen uns beeilen.“
„Schon gut, ich komm’ ja schon. Es wird schon nicht der Weltuntergang sein.“ Simon griff nach seinem Schlüsselbund und schloss ab. Sie nahmen die Treppe hinab und gingen die Weberstraße entlang. In den engen Häuserzeilen der nördlichen Innenstadt herrschte bereits Zwielicht. Sie mussten in die Wasserstraße hinüberlaufen, um den alten geparkten Golf zu erreichen, da NMF 2210 nicht in Sichtweite der Wohnung parken wollte, um Karin und Natasha aus der direkten potentiellen Gefahrenzone herauszuhalten.
„Hallo. Ihr Beiden zusammen? Lang ist’s her. Was verschafft mir die Ehre?“ Er beugte sich zum Beifahrerfenster hinab, doch Karin riss bereits die Tür auf und sprang heraus, um schnell in den Fond zu schlüpfen.
„Hi, Simon. Wir erklären dir alles auf der Fahrt. Wir müssen schnell aus der Stadt heraus“, erklärte sie dabei.
„Aber wieso denn? Ich wollte gerade...“
„Schnell, steig’ ein“, fiel NMF 2210 ihm ins Wort, worauf er etwas unwillig auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Im engen Fond hätte er mit seinen gut 1,80 m auch kaum Platz gefunden. Die beiden Frauen waren kaum über 1,60 m groß, für sie würde es demnach erträglich sein.
„Könnte mir jetzt mal jemand erklären, was hier los ist?“, fragte er ungeduldig, als NMF 2210 die Front des Wagens umrundete.
„Das ist nicht so einfach, Simon“, begann Karin, „denn es ist unglaublich. Unser Freund Alex hier... er ist einer von ihnen. Einer wie Abbey und Daniel. Und er kommt aus der Zukunft wie die Beiden damals.“
„Was? Spinnst du? Das kann doch gar nicht sein. Sie haben uns damals erklärt... und was hast du überhaupt damit zu tun, Natasha? Was weißt du davon?“ Ungnädig musterte er die unbequeme Bekannte.
„Mehr als mir lieb ist, das kannst du mir glauben. Ich.. oh nein, hinter uns.“ Sie hatte in den Rückspiegel gesehen und musste nun schlucken.
Ein Polizeiwagen bog am hinteren Ende in die Wasserstraße ein, gerade als NMF 2210 einsteigen wollte. Offenbar war die Suche nach den zwei vermissten jungen Frauen im Zusammenhang mit der abrupt abgebrochenen Notrufmeldung und der Meldung des gleichzeitig gestohlenen Wagens in dem Parkhaus direkt darunter noch hochaktuell, denn es vergingen nur Sekunden, bis der Streifenwagen die Blaulichter einschaltete und merklich Gas gab. Über die Lautsprecher ordnete der Beifahrer an. „Der dunkelblaue Golf, stehen bleiben.“
NMF 2210 beugte sich kurz hinab und sagte: „Wartet hier.“
Blitzschnell berechnete er seine Optionen und trat dann zur Beifahrerseite des silbernen Mercedes mit den grünen Türen und Hauben, der fünf Meter hinter ihnen mitten auf der schmalen Einbahnstraße direkt vor der Einfahrt in die Schwarzwald City-Tiefgarage hielt. An beiden Enden der Straße drehten sich Neugierige um und beobachteten aus sicherer Entfernung das Schauspiel.
„Guten Tag. Ist das Ihr Fahrzeug?“ fragte der Polizist argwöhnisch, ein fülliger Mann in den Vierzigern mit grauem Haar und Walrossbart.
„Ja, warum?“ antwortete NMF 2210 selenruhig und nahm das Fahrzeug in genaueren Augenschein, während er alle verfügbaren Daten darüber abrief.
„Weil ein Fahrzeug dieses Typs mit diesem Kennzeichen als gestohlen gemeldet wurde. Jemand, auf den Ihre Beschreibung passt, hat es sich gewaltsam in einem Parkhaus angeeignet. Könnte ich Ihre Ausweis- und Fahrzeugpapiere sehen, bitte?“ Der Polizist musterte den riesigen Muskelberg argwöhnisch. Seine Menschenkenntnis verriet ihm anhand der Körperhaltung und absolut ruhigen Stimmlage, dass sein Gegenüber sehr gelassen war und offenbar kooperativ sein wollte.
„Sind Sie ganz sicher? Das ist bestimmt ein Missverständnis, Herr Wachtmeister.“
„Sie müssen uns nur Ihre Papiere geben, dann finden wir das ganz schnell heraus“, entgegnete der Polizist eine Spur ungeduldiger; sein Stimmprofil wies nun ein hohes Aggressivitäts-potential aus. Der Fahrer auf der ihm abgewandten Seite, ein junger schlaksiger Typ, wurde scheinbar ziemlich nervös. Daher entschied NMF 2210, dass über verbale Kommunikation weder die Situation zufriedenstellend zu lösen war noch ihm weiteren Aufschub gewähren würde. Da sah er die Lichter eines Fahrzeugs aus der Tiefgarageneinfahrt herankommen und reagierte im Bruchteil einer Sekunde.
„Das soll in einem Parkhaus gewesen sein? So einem wie dem da?“ wollte er wissen und wies die Abfahrt hinab.
Die Polizisten folgten mit ihrem Blick unwillkürlich seinem Wink und bemerkten den rasant hinaufbrausenden Audi TT, der nun um die Ecke der Auffahrt kam und vor der Schranke zur Ausfahrt stehen blieb, als er sich unversehens einem Dilemma gegenüber sah. Er war sich offenbar nicht schlüssig, ob er das Ticket zum Verlassen der Garage bereits einschieben sollte, solange der Polizeiwagen noch die Einfahrt blockierte. Bei so einem Einsatz konnte man ja nie wissen. Er lehnte sich mühsam aus dem engen Fenster und rief: „Entschuldigen Sie, brauchen Sie noch lange?“
„Bitte gedulden Sie sich noch einen Moment lang. Wir sind gerade bei einer Fahrzeug- und Personenüberprüfung“, antwortete der junge Fahrer ordnungsgemäß, als der C-Klassekombi plötzlich von einem heftigen Schlag erschüttert wurde. Er dachte sofort daran, dass ein in die Tiefgarage einfahrendes Auto sie von rechts her gerammt haben musste, doch als er hinüber sah, traute er seinen Augen nicht.
Der Verdächtige hatte seine Faust mit der Wucht einer Dampframme gegen die B-Säule des Autos gerammt und dabei die Hinterkante der Beifahrertür sowie die Vorderkante der rechten Hintertür gut zehn Zentimeter ins Wageninnere hineingetrieben. Damit waren beide Türen hoffnungslos verkeilt und deformiert; an ein Aussteigen auf dieser Seite war nicht mehr zu denken. Fast gleichzeitig gab es zwei laute Knalle, als sowohl der Seiten- als auch der Kopfairbag rechts von der Stärke des Anpralls ausgelöst wurden und die Sicht nach rechts fast vollständig versperrten. Einen Moment später entwich die Luft aus den Schutzkissen, doch nun bewegten sie sich nach links, auf die Rampe der Tiefgarage zu.
„Verd... was soll das?“ schrie der ältere der beiden Polizisten beinahe hysterisch und begann an seinem Pistolenhohlster zu fummeln, „Sofort aufhören!“
Unaufhaltsam wurden sie von dem großen blonden Hünen seitlich hinabgeschoben, wobei die malträtierten Reifen unangenehm laut quietschten. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete der Audi-Fahrer an der Ausfahrtsschranke, wie sich der Kombi quer über die Ein- und Ausfahrtsspur langsam auf ihn zuschob. Irgendwann war die Neigung stark genug und einer der Reifen fand eine Unebenheit im Boden, die hoch genug war, um ihn verkanten zu lassen. Wie in Zeitlupe kippte der Streifenwagen und landete scheppernd auf der linken Seite, was auch noch die anderen beiden Sidebags auslöste. Dann wälzte er sich, von NMF 2210 kräftig weitergeschoben, über die Dachaufbauten, wobei das Blaulicht zerbarst und der Mercedes schließlich mit einem hochfrequenten, hässlichen Kreischen auf der Motorhaube des Audis zu liegen kam, dessen Fahrer die Geistesgegenwart gefehlt hatte, schnell zurückzusetzen. Um sicherzugehen, schob der T-800 beide havarierte Fahrzeuge noch ein Stück weiter hinab, bis sich der Mercedes mit dem Dach an einer Betonsäule verfing. Zu allem Unglück kam nun auch von hinten ein nagelneuer Alfa Romeo Spider die Rampe heraufgeschossen, selbstredend viel zu schnell, und stieß gegen das Heck des Audis.
NMF 2210 nutzte den Moment allgemeiner Verwirrung und griff zum rechten Fenster des Streifenwagens hinein. Er zerstörte das Funkgerät mit einem weiteren Schlag und entriss dem benommenen Polizisten auf dem Beifahrersitz seine Dienstwaffe. Der jüngere der Beiden auf dem Fahrersitz hatte es irgendwie geschafft, seine Pistole freizubekommen und gab einen ungezielten Schuss auf ihn ab. NMF 2210 packte den noch heißen Schaft der Waffe und riss auch sie an sich. Dann verließ er seelenruhig den Tatort, entsicherte auf dem Weg zum Golf eine der Pistolen und zog den Schlitten nach hinten durch, um eine Patrone in die Kammer zu laden. Er stieg ein, ignorierte die fassungslosen Mienen und weit aufgerissenen Augen seiner drei Passagiere und fuhr los.
„Dieses Fahrzeug wird von den Behörden gesucht. Wir benötigen umgehend ein neues.“
„Wa... was?!“ Simon traute seinen Ohren nicht. „Wie zum Henker hast du das gemacht? Bist du auf Speed, Anabolika oder so?“
„Negativ.“ Der Terminator würdigte ihn keines Blickes, während er verbotenerweise nach links auf den Friedrichring einbog und quer über drei Fahrspuren Vollbremsungen, Beinahekollisionen und ein wütendes Hupkonzert verursachte.
„Glaub es mir, Simon, unser ‚Sonnenschein’ hier ist ein Cyborg wie Daniel und Abbey.“
Irgendetwas schien bei NMF 2210 gerade „Klick“ gemacht zu haben, oder er hatte seit Karins erster Erwähnung dieses Themas seine Prioritäten darauf verlagert gehabt, sie alle in Sicherheit zu bringen. Nun schien er die Zeitpunkt für angemessen zu halten, worauf er unverhofft fragte: „Woher wisst ihr von der Existenz von kybernetischen Organismen?“
„Nun, wir haben über vier Jahre lang zwei von deiner Sorte um uns gehabt, ohne es zu merken. Erst als die beiden deaktiviert wurden, wurde uns von irgendwelchen Rebellen aus der Zukunft ihre wahre Natur enthüllt,“ fasste Karin zusammen.
„Ich benötige eine detaillierte Beschreibung eurer Erfahrungen, sobald wir die unmittelbare Gefahrenzone verlassen und das Fahrzeug gewechselt haben.“ Er warf die zweite Dienstpistole nach hinten. „Hier, für euch. Könnt ihr damit umgehen?“
„Ich habe so eine schon mal in der Hand gehabt,“ sagte Karin zögernd, wonach Natasha sie fragend ansah. Sie zuckte nur mit den Schultern und meinte mit entschuldigendem Lächeln: „Ist ne lange Geschichte. Die Entführung, weißt du.“
„Und was hast du jetzt vor, Alex?“ wollte Natasha wissen.
„Wir beziehen über Nacht Quartier außerhalb der Stadt. Es darf keine nachvollziehbaren Spuren von unserem Verbleib geben. Sobald ihr euch regeneriert habt und mich über euren Wissensstand informiert habt, werden wir weitere Schritte unternehmen. Mir wurde die Möglichkeit gegeben, über einen Rendezvouspunkt in der morgigen Nacht eine Botschaft in die Zukunft zu senden, bevor wir Verstärkung erhalten.“
„Wirklich, das geht?“ wollte Simon wissen.
„Unbekannt. Die Methode dazu wurde noch nie getestet.“
„Ich glaube, wir brauchen ebenfalls eine Menge an Informationen“, bemerkte Natasha.
Breisach, Südbaden, Deutschland 02. Juli 2004
NMF 2210 setzte sie in der Altstadt des beschaulichen Städtchens direkt am Rhein, der die französische Grenze bildete, ab. Er wies sie an: „Dort vorne ist eine private Pension. Mietet zwei Zimmer für uns und wartet auf mich. Ich entledige mich des Fahrzeugs und komme dann zurück zu euch.“
„Alles klar. Werden wir dann reden?“, fragte Simon neugierig.
„Positiv.“ Er wendete zügig auf der engen Pflasterstraße und fuhr davon. Etwas zaghaft sahen sie sich an und gingen langsam auf den Eingang des hübschen Fachwerkhäuschens zu, über dessen Eingang ein Holzschild an zwei Ketten baumelte: Zimmer frei.
„Ich muss total verrückt sein, dass ich mich darauf einlasse“, mäkelte Natasha, während Simon und Karin sich ansahen.
„Ich glaube, du musst dir keine Sorgen machen. Diese Typen sind okay, sie sind extrem zuverlässig und fürsorglich in ihrer Eigenschaft als Leibwächter. Im Prinzip hatten Abbey und Daniel die gleiche Funktion für uns.“ Karin lächelte bei der Erinnerung daran.
„Jetzt kapiere ich gar nichts mehr. Ich denke, sie...“
Simon hob die Hand. „Am besten warten wir, bis Alex zurückkommt. Dann müssen wir alles nur einmal erzählen. Und es ist eine ganze Menge, was es zu erzählen gibt, soviel steht mal fest.“
Natasha zuckte mit den Schultern und folgte den beiden anderen in die Pension hinein, wo sie zwei Doppelzimmer bekamen, die glücklicherweise durch eine Zwischentür verbunden waren. Inzwischen wurde es bereits dunkel draußen.
Nach einer knappen halben Stunde kehrte NMF 2210 zurück. Er war schweißüberströmt, wirkte aber ansonsten topfit. Sobald er sich zu ihnen in eines der Zimmer begeben hatte, schien er aufzuhören zu transpirieren.
„Wo warst du denn?“ fragte Natasha erstaunt.
„Ich habe den Wagen unbemerkt in einem Baggersee versenkt und bin dann zurückgelaufen. So werden in einer angemessenen Zeitspanne keine Spuren in diese Richtung verfolgt werden können“, berichtete der T-800. Sein Schweiß trocknete bereits.
„Ist der nächste Baggersee von hier aus nicht mehr als vier Kilometer entfernt?“, bemerkte Simon erstaunt.
„Der betreffende Sechs Komma Drei Kilometer“, korrigierte NMF 2210.
„Und dann zu Fuß zurück in der kurzen Zeit? Kein Wunder, dass du so fertig aussiehst“, stellte Natasha gleich fest.
„Die Imitation der Körperfunktion Schwitzen gehört zum Bestandteil meiner menschlichen Tarnung. Sie ist nur in beschränktem Umfang nötig, um die organische Komponente durch Verdunstung von Körperflüssigkeit zu temperieren, da die Energie zur Fortbewegung bei mir mechanisch erzeugt wird.“
Zum wiederholten Mal staunte Natasha ihren neuen Beschützer mit offenem Mund an, dann sagte sie mit bestimmender Miene: „Also gut, jetzt wird es aber höchste Zeit, dass wir alle uns auf den neuesten Wissensstand bringen.“
„Bestätigt. Beginnt mit eurem Vorwissen über Terminatoren und mögliche Zukunfts-szenarien.“
In der nächsten halben Stunde hörte er aufmerksam zu und unterbrach sie nur ein paar Mal bei ihren Ausführungen, bis Karin bei der Beschreibung der Szene im Schuppen, als sie die Wahrheit über ihre beiden nichtmenschlichen Begleiter erfahren hatten, die Stimme versagte und sie von ihren Gefühlen zu überwältigt werden drohte. Dafür stellte NMF 2210, nachdem sie geendet hatte, anderthalb Stunden lang Fragen über Unklarheiten und Zusammenhänge sowie zeitliche Abläufe. Er schien sich sämtliche Fragen während ihrer Erzählung im Geiste vorgemerkt zu haben und rief nun methodisch eine nach der anderen ab. Für Natasha eröffneten sich dabei ganz neue Horizonte, da bei der methodischen Aufklärung von NMF 2210 sehr viele Dinge zu Tage kamen, die Karin ihr gegenüber vergessen hatte zu erwähnen.
Schließlich waren sie ganz erschöpft; die Anspannung und lange Konzentration beim Informationsaustausch forderten ihren Tribut. Karin meinte: „Es ist schon spät. Wollen wir nicht schlafen gehen und du erzählst uns morgen früh deine Geschichte?“
„Das ist ein akzeptabler Vorschlag. Eine gute Nacht.“ NMF 2210 drehte sich zur Tür hin, zog die Pistole und rührte sich nicht mehr.
Natasha indes protestierte: „Jetzt hör mal! Glaubst du echt, nach dieser ganzen Aufregung können wir einfach einschlafen mit der Ungewissheit, was uns erwarten wird?“
„Mir wurde eingegeben, dass ihr mit diesem Wissen noch schlechter schlafen werden könnt.“ Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
„Na toll, jetzt fühle ich mich doch gleich viel besser“, zischte Natasha daraufhin sarkastisch. „So wie ich das sehe, ist das hier dein Zimmer, Simon. Gute Nacht.“
„Oder Karin und ich nehmen den anderen Raum. Wir kennen uns gut genug, um in einem Bett zu schlafen, weißt du.“ Simons Gegenvorschlag ließ ihren Kopf herumfahren.
NMF 2210 versicherte geflissentlich: „Das Konzept der Scham ist mir unbekannt. Ich bekleide mich nur, um mich euren Gepflogenheiten anzupassen. Deine Bedenken sind irrelevant, Natasha.“
„Soweit kommt’s noch. Dir geht’s wohl zu gut, Simon! Du bleibst hübsch artig hier drin, während wir Mädels das andere Zimmer nehmen.“ Natashas Stimme duldete keinen Widerspruch und Simon wurde die Diskussion ohnehin zu dumm. So salutierte er zackig.
„Oui, mon Générale!“
„Ihr akzeptiert bereits die Hierarchie. Das ist der Mission dienlich“, stellte der Cyborg darauf fest, worauf ihn alle fragend anstarrten. Dann richteten sich Simons und Karins Blicke unwillkürlich auf Natasha, der das unangenehm wurde.
„Ich will’s gar nicht wissen. Morgen ist auch noch ein Tag. Dann erfahren wir alles über unsere glorreiche Zukunft, will ich hoffen.“ Sie schlurfte müde ins andere Zimmer hinüber.
Karin und Simon sahen sich an und hoben hilflos die Achseln.
„Manchmal verstehe ich sie einfach nicht, so viel Mühe ich mir auch gebe. Ihr Freund ist eben erst umgebracht worden, aber sie scheint das völlig kalt zu lassen.“
„Glaub’ mir, sie trauert um ihn. Ich war dabei, als wir ihn gefunden haben. Sie hatte zwar offenbar gerade eine recht schwere Krise mit ihm überstanden, aber so ein Ende wünscht man dann doch niemandem. Nein, sie trauert, sie will es nur nicht zeigen, da ist sie regelrecht trotzig.“ Karin strich ihm kurz in einer vertrauten Geste über den Unterarm. „Gute Nacht.“
Dann folgte Karin ihrer Freundin ins Nebenzimmer und schloss die Zwischentür. Simon ging ins kleine Bad und legte sich dann ins Bett. Währenddessen hatte ihr Beschützer sich keinen Deut bewegt; noch immer starrte er die Tür an.
„Willst du denn die ganze Nacht so stehen bleiben?“
„Ja. Ich benötige keinen Komfort wie Sitz- oder Liegemöbel und brauche auch keinen Regenerationszyklus.“
„Gut zu wissen. Dann gute... ich meine, bis zu meiner nächsten Wachphase.“ Er löschte das Licht.
„Es ist nicht nötig, zu versuchen, in meiner Ausdrucksweise mit mir zu kommunizieren. Ganz im Gegenteil bin ich darauf angewiesen, dass ihr möglichst normal mit mir redet, damit ich eure Umgangsformen kennen lernen und übernehmen kann. Meine CPU ist einem neuralen Netzwerk nachempfunden und lernt, neue Verknüpfungen zu bilden und sich somit meiner Umgebung anzupassen.“
Schlaftrunken meinte Simon: „Ja, stimmt, das haben wir auch von Simon und Abbey erfahren. Sie hatten so ein Elektronikgehirn wie du, stimmt’s?“
„Nicht genau. Ich bin ein T-800, ein Vorläufermodell. Die beiden T-880, die ihr kanntet, hatten eine zwölffach leistungsfähigere CPU als ich. Es ist bedauerlich, dass ihre Zentralprozessoren zerstört wurden. Der Résistance würde ihr Speicherinhalt wertvolle Dienste leisten, denn sie haben große Schwierigkeiten bei der Programmierung dieses neuen Typs von Rechnerchip.“
„Wie könnten ihnen diese CPUs hier in der Vergangenheit etwas nutzen?“
„Das erfahrt ihr morgen, wenn ich euch von der Natur der Mission sowie meinen Missionsparametern berichte.“
Plötzlich sprang Simon auf. „Oh Mann, Alex! Die beiden CPUs sind gar nicht zerstört worden!“
Augenblicklich fuhr NMF 2210 herum, sodass Simon seine Augen im Dunkeln rötlich glimmen sah und für eine Sekunde stockte. Knapp forderte er ihn auf: „Berichte.“
„Das haben wir in der ganzen Aufregung vollkommen vergessen zu erzählen. Nachdem uns die Rebellen aus der Zukunft haben gehen lassen und die beiden, ich meine Daniel und Abbey, demontiert haben, haben sie uns per Post ihre beiden CPUs geschickt, mit der Aufforderung, sie gut und sicher aufzubewahren. Es war so was wie der letzte Wille der beiden, glaube ich.“
„In welchem Zustand befinden sich die Chips?“
„Sie haben sie direkt nach der Entnahme in Kunstharz eingegossen. Ich glaube, sie müssten unbeschädigt sein.“ Simons Stimme war voller Aufregung. „Glaubst du, damit könnte man etwas anfangen?“
„Ohne visuelle Inspektion kann ich darüber keine Einschätzung abgeben. Wo befinden sich die CPUs?“
„Karin und ich haben sie in einem Bankschließfach in Freiburg deponiert, für das wir auf ewig im Voraus bezahlt haben, mehrere Jahrzehnte auf jeden Fall. Wir wollten ganz sicher gehen, dass niemand in den Besitz der Chips kommt und ihre Konstruktion studieren kann. Das war der Grund dafür gewesen, dass die Welt in ihrer Zeitlinie oder so ähnlich im Jahr 1997 zerstört worden ist.“ Simon hielt inne und wartete auf den nächsten Kommentar seines synthetischen Gesprächspartners.
„Diese Möglichkeit ist nun ad absurdum geführt worden, da Skynets Entwicklung nicht mehr direkt auf Technologie aus der Zukunft basiert. Aber die Zusammenhänge können später von mir erklärt werden, das hat keine hohe Priorität. Das Wichtigste für uns ist im Moment, in den Besitz der beiden CPUs zu kommen. Wir müssen so schnell wie möglich zu dieser Bank. Könnt ihr mir Auskunft geben über die Nummer des Schließfachs?“ Mit unbewegter Miene sah er hinab auf Simon, der sich mittlerweile im Bett aufgesetzt hatte.
„Ja, klar, aber die Bank hat nachts geschlossen. Wir können frühestens morgen Vormittag hingehen und außerdem müssen Karin und ich zusammen unser Einverständnis geben, damit wir an das Fach kommen.“
„Das wird nicht nötig sein. Zieh dich an, wir müssen losfahren. Ich werde uns ein Fahrzeug beschaffen, dann fahren wir nach Freiburg zu besagter Bank und bringen die CPUs in unseren Besitz.“
„Bist du verrückt? Du willst doch nicht etwa in die Bank einbrechen? He, es geht nur um ein paar Stunden, die wirst du doch wohl warten können. Außerdem kennen wir die Fachnummer nicht auswendig, wir haben die Unterlagen bei uns daheim. Und du selbst hast doch gesagt, dass es in der Stadt für uns gefährlich ist, weil der andere Terminator dort auf uns Jagd macht.“
„Mindestens einer von ihnen, das ist richtig. Ich benötige weitere Informationen, um das Risiko zu berechnen. Steht eure Wohnanschrift in öffentlichen Telefonbüchern oder elektronischen Medien wie Internet? Ist sie bei der Telefonauskunft eingetragen?“
„Nichts von alledem. Nur die Telefonnummer und unser Name. Worauf willst du hinaus?“ wollte Simon mit gefurchter Stirn wissen.
„Wenn der Terminator euren Wohnort in Erfahrung bringen möchte, ist die erste Informationsquelle für ihn das Einwohnermeldeamt. Dort wird er einbrechen oder sich per Computer einhacken. Jetzt nach Büroschluss wird er wohl eher ersteres versuchen. Er kann demnach in diesen Stunden in den Besitz eurer Anschrift kommen und dann bei eurer Wohnung auf euch lauern. Für uns heißt das, wir müssen so schnell wie möglich zu eurem Heim und die Schließfachnummer sowie einige andere für euch wichtige Dinge wie Reisedokumente mitnehmen. Unser großer Vorteil ist, dass der andere Terminator mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nichts von meiner Anwesenheit weiß. Er nimmt an, ihr handelt überstürzt, unlogisch und unvorsichtig, anstatt meinen logischen und strategisch korrekten Anweisungen Folge zu leisten.“
„Vielen Dank für deine hohe Meinung über uns. Gut zu wissen, was du von uns hältst,“ zischte Simon erbost.
„Es ist nichts Persönliches. Ihr seid Menschen. Ich bin ein kybernetischer Organismus, der nicht von Gefühlen oder Zweifeln in seinem Urteilsvermögen beeinträchtigt wird.“ Die Antwort von NMF 2210 kam so emotionslos wie alle seine Anmerkungen, was ihn seltsamerweise irgendwie beschwichtigte.
„Okay, aber ich halte es trotzdem für keine gute Idee, nachts in eine Bank einzubrechen. Sie haben Kameras und Alarmanlagen und überall in der Innenstadt patrouillieren Streifenwagen, besonders heute Nacht, nach deiner Zirkusnummer mit dem Polizeiauto. Wenn irgendein Alarm losgeht, brauchen die nur Minuten, um vor Ort zu sein.“
„Alarmanlagen und normale Polizeikräfte sind irrelevant. Gibt es in der Nähe Stützpunkte für Spezialeinsatzkommandos?“
„Was? Machst du Witze?“ Simons Augen wurden groß, als er das Licht nun wieder einschaltete und sein Gegenüber misstrauisch musterte.
„Witze sind nicht in meiner Programmierung enthalten. Soll ich die Anfrage wiederholen?“
„Negativ... ich meine, nein. Du machst mich noch wahnsinnig.“ Simon schüttelte kurz den Kopf. „Es gibt vielleicht in Stuttgart oder Karlsruhe so etwas, aber ich glaube nicht, dass die bei einem Banküberfall gerufen werden.“
„Gut, dann gibt es kein Problem mit der Beschaffung der CPUs. Vorher werden wir in eurer Wohnung einige Dinge wie warme Kleidung und für euch wichtige Dokumente mitnehmen. Wecke die Frauen, während ich ein Gefährt für uns besorge.“
„Warme Kleidung? Im Juli?“ Doch NMF 2210 war bereits zur Tür hinaus. ‚Er vergeudet wirklich keine Zeit’, dachte Simon missmutig und schwang seine Beine aus dem Bett.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 03. Juli 2004
Langsam und mit ausgeschalteten Scheinwerfern bog der silberne Renault Laguna auf die Weberstraße ein. NMF 2210 fuhr gemächlich die verwaiste Straße hinab und betrachtete aufmerksam die Umgebung. „Der andere Terminator befindet sich nicht in unmittelbarer Umgebung. Momentan ist es sicher hier.“
Er fuhr um die nächste Straßenecke und hielt dann. „Soll ich den Motor laufen lassen, damit ihr im Notfall flüchten könnt?“
„Nein, das erregt zu viel Aufmerksamkeit. Lass uns einfach die Zündschlüssel da,“ meinte Natasha missmutig. Sie war immer noch erbost darüber, dass sie mitten in der Nacht, just als sie in einen leichten, unruhigen Schlaf gefallen war, wieder aufgeweckt wurde, nur um zu erfahren, dass sie in einen Banküberfall mit hineingezogen werden sollte.
NMF 2210 entgegnete: „Das ist leider nicht möglich. Ich bin nicht im Besitz der Fahrzeugschlüssel.“
„Was? Aber wie hast du den Wagen dann aufbekommen und zum Laufen gebracht?“ entfuhr es ihr verständnislos.
„Dies ist ein Modell mit elektronischem Schlüssel. Dabei hat der Besitzer eine Codekarte, die den Wagen bei Annäherung per Fernsteuerung automatisch entriegelt und startet, wenn man sie in einen Schlitz im Armaturenbrett steckt.“ Der Motor erstarb, als er den Wagen mit zwei Reifen auf den schmalen Bordstein gefahren hatte.
„Dann lass uns doch einfach diese Codekarte da,“ versuchte Natasha es weiter.
„Auch diese habe ich nicht in meinem Besitz. Ich habe das Signal selbst decodiert und den Wagen so geöffnet und gestartet.“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.
„Wow, so was kannst du? Jetzt bin ich aber beeindruckt.“ Sie ließ sich in ihren Rücksitz sinken und sagte nichts mehr, wohl auch, weil sie sich etwas vorgeführt fühlte.
„Dann wollen wir mal,“ meinte Karin und öffnete die Hintertür.
„Warum geht sie und nicht ich?“ fragte Simon nochmals missmutig.
„Wir sind schon vorsichtig, okay? Mach dir keine Sorgen.“ Sie nickte ihm zu, seine Sorge um sie anerkennend. „Wir brauchen nicht lange. Nicht wahr, Alex?“
„Es ist von höchster Wichtigkeit, sich so kurz wie möglich an diesem potentiell gefährlichen Ort aufzuhalten,“ bestätigte NMF 2210 auf die ihm eigene Weise. „Der Terminator kann jederzeit in den Besitz dieser Adresse gelangen.“
Sie gingen hastig die Straße hinunter bis zu ihrer Haustür. Während Karin nervös mit den Schlüsseln fummelte, fragte sie: „Könnten wir nicht sämtliche Namensschilder von allen Türklingeln und Briefkästen abreißen? Falls der Terminator hierher gelangt, kann er nicht wissen, in welcher Etage wir wohnen. Das könnte uns etwas Zeit verschaffen.“
„Negativ. Dadurch verraten wir ihm, dass wir mit ihm rechnen und werden ihn nur zusätzlich alarmieren.“
„Du denkst wohl an alles?“ fragte sie leise.
„Korrekt.“ Es lag weder Stolz noch Eigenlob in seiner Stimme, es war einfach eine weitere Feststellung, wie sie merkte.
Sie stiegen die schmalen Treppen zu ihrer Wohnung empor, er mit gezogener Pistole absichernd voran. Oben schloss sie hastig auf, worauf der Cyborg wieder vortrat, um die Wohnung zu kontrollieren. Dann winkte er sie hinein. Sofort schlug ihr eine drückende, stickige Wärme entgegen. Es war aber auch wirklich unangenehm warm zur Zeit.
„Beeile dich. Hole die Unterlagen über das Bankschließfach, eure Ausweispapiere und packe zwei Reisetaschen mit Kleidung. Nimm vor allem warme Winterkleidung mit.“
„Wieso das denn? Es hat zur Zeit dreißig Grad am Tag.“ Sie sah ihn fragend an.
„Vertrau mir. Wir werden unter Umständen längere Zeit weg müssen. Ihr werdet die Kleidung brauchen.“
„Schon gut. Hier, dort im Schrank ist eine große Reisetasche. Du kannst in Simons Zimmer aus seinem großen Kleiderschrank für ihn Sachen einpacken, während ich zwei Taschen für mich und Natasha packe. Zu ihr können wir ja wohl schlecht gehen.“
„Definitiv nicht. Ihre Wohnung wird mit Sicherheit überwacht, einerseits von den Behörden, andererseits vielleicht vom Terminator, der auf eine Rückkehr von Natasha hofft.“ Er schüttelte den Kopf, wie sie bemerkte. Diese verneinende Geste musste er bereits von einem von ihnen aufgeschnappt haben. Er lernte ständig dazu, je mehr Input er bekam, auch wenn ihm die menschliche Aura von Daniel und Abbey noch bei weitem fehlte.
Sie suchte die Bankpapiere, ihren und Simons Reisepass und zwei große Taschen heraus. Als sie die erste nach wenigen Minuten mit Wäsche gefüllt hatte und sich gerade an die zweite machte, sah NMF 2210 in ihr Zimmer hinein.
„Das erste Zimmer war das des T-880?“
„Ja. Was willst du dort?“
„Nach Waffen suchen. Es ist in den Subroutinen jedes Terminators eingegeben, sich angemessene Bewaffnung zu beschaffen. Diese müsste sich in seinem Zimmer befinden.“
„Das kannst du vergessen. Wir haben jahrelang zusammengelebt. Früher oder später hätte einer von uns diese Waffen entdeckt, und wenn es nur aus Zufall gewesen wäre. Das Risiko wäre einfach zu hoch gewesen.“
Er hielt einen kurzen Moment inne. „Deine Einschätzung ist korrekt. Habt ihr externe Räume, die zu eurer Wohnung gehören?“
„Naja, den Keller und einen Dachboden. Aber auf dem steht nur Krempel und kein Mensch geht normalerweise da hoch.“ Karin hielt inne und sah ihren Begleiter an.
Er fragte gar nicht weiter, sondern drehte sich schweigend um, trat auf den Hausflur hinaus und sah hinauf. Anstatt die dafür vorgesehene lange Stange mit einem daran befestigten Haken von der Wand zu nehmen, griff er einfach hoch zur Flurdecke, in welche die Falltür eingelassen war. Mit einem leisen Knarren und von zwei Federn gestützt, glitt die Luke mit der darauf befestigten steilen Holztreppe hinab. NMF 2210 untersuchte kurz, ob sie sein Gewicht tragen würde und betrat sie dann vorsichtig.
Oben schweifte sein Blick gleichmäßig über das Gerümpel des Dachbodens. Fast sofort blieb sein Blick an der schweren Stahltruhe mit dickem Vorhängeschloss haften. Er packte eine Ecke des flachen Deckels und bog die gesamte rechte Hälfte des dicken Stahlblechs nach oben. Karin lugte über die Kante der Luke ins Halbdunkel des unbeleuchteten Bodens und staunte einmal mehr über die Unbekümmertheit, mit der der T-800 rohe Gewalt demonstrierte. Er sah hinein und bemerkte: „Hier haben wir etwas Nützliches.“
Er bog den Deckel wieder zurück, was natürlich nicht ganz sauber gelang, um die Kiste danach hochzuheben und langsam zur Luke zu bugsieren. Ihr wurde beinahe übel bei der drückenden stickigen Hitze, die direkt unter dem unisolierten Dach auch nachts noch herrschte.
Karin stieg schnell und so leise wie möglich, um keine Nachbarn zu wecken, wieder hinab und wollte wissen: „Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Unwahrscheinlich. Das Gewicht der Kiste beträgt etwa einhundertzwanzig Kilogramm.“ Er stieg die ersten Stufen hinab und hob die Kiste hochkant über die Schwelle der Bodenluke, wobei es im Inneren für ihren Geschmack viel zu laut klapperte.
Gerade hatte er die Dachbodenluke wieder verschlossen, als sie hörten, wie jemand unten an der Haustür rüttelte. Ihre Augen weiteten sich in Panik, doch er schob sie schnell in die Wohnung zurück, bugsierte die Kiste hinterher und schloss die Tür.
„Oh mein Gott, ist er das?“ flüsterte sie ängstlich.
„Bitte warte.“ Er schien zu lauschen, doch das recht laute metallische Scheppern, mit dem das Haustürschloss aus seiner Fassung gerissen wurde, blieb auch ihr nicht verborgen. Er schien nur für einen Sekundenbruchteil zu zögern, dann packte er das massive Vorhängeschloss und riss es mit einem kurzen Ruck ab. Ohne auf Karins perplexe Miene zu achten, öffnete er die Truhe und griff hinein. Langsam zog er eine dunkle Wolldecke hervor und wickelte den Gegenstand aus, der in ihr verborgen war.
Mit großen Augen besah sich Karin das Heckler & Koch G3, das Standardgewehr der deutschen Bundeswehr. NMF 2210 wickelte es wieder ein und legte es beiseite, um erneut in die Waffenkiste zu greifen. Er kommentierte: „Eine gute Waffe und in hervorragendem Zustand. Aus Bundeswehrbeständen. Leider ist ihre Kadenz bei weitem nicht ausreichend für den vorgesehenen Einsatzzweck.“
„Wie meinst du das?“
Er zog ein langes, schmales Bündel hinaus und wickelte es rasch aus. „Die maximale Feuergeschwindigkeit bei Dauerfeuer reicht nicht aus, um den T-880 aufzuhalten. Das hier ist besser. Ein M60 Maschinengewehr aus US-Army-Beständen. Es hat eine Kadenz von etwa 600 Schuss pro Minute und wegen des längeren Laufes eine höhere Durchschlagskraft.“
NMF 2210 musste nicht lange am Grund der Kiste suchen, bis er einen Zerfallgurt mit zwei Dutzend Schuss passender 7.62 mm-Vollmantelmunition fand. Er führte ihn in die Waffe ein, schloss den Führungsmechanismus und lud durch.
„Wird ihn das aufhalten?“ wisperte Karin mit zitternder Stimme.
„Nein. Der T-880, dem wir wahrscheinlich gegenüberstehen, ist noch robuster gebaut als ich, auch wenn er wahrscheinlich kleiner und unauffälliger in der Statur ist. Seine CPU ist um eine Größenordnung leistungsfähiger als meine, was Auffassungsgabe und Geschwindigkeit betrifft. Und er ist nach unserem Wissen mit einer Plasmawaffe ausgerüstet. Sämtliche Vorteile bis auf das Überraschungsmoment sind auf seiner Seite.“ Der Blick aus seinen Augen war hart und unerbittlich.
„Zum Glück haben wir das mit den Namensschildern sein gelassen,“ merkte sie an.
Er nickte, noch eine neue Geste für ihn. „Geh jetzt ins Bad und lege dich flach in die Wanne. Das ist der sicherste Ort in der Wohnung für dich.“
Sie befolgte seine Anweisung augenblicklich und ließ ihn im Flur zurück. NMF 2210 stellte sich vier Meter von der Tür entfernt auf, stützte den grauen Kunststoffkolben des MGs in seine rechte Armbeuge, legte den rechten Zeigefinger auf den Abzug und nahm den Schaft der Waffe unter dem Lauf fest in die linke Hand. Der bronzeschimmernde Gurt mit den Patronen hing lose herab. Das sah zwar aus wie in einem schlechten Actionfilm, doch mit dieser Haltung und bei dem Rückstoß der Waffe hielt er sie mit seinem hydraulischen Griff fest wie in einem Schraubstock, so dass er sie unmöglich verreißen konnte. Im Flur war es stockdunkel, was jedoch weder ihn noch seinen Gegenspieler in seiner Infrarot-Nachtsicht behindern würde.
Einen Moment später drückte sich die Tür nach innen, langsam aber unerbittlich, was das Holz rund um die Türfalle nach und nach knacken und splittern ließ, bis es nachgab und die Wohnungstür aufschwang. In dem Moment, in dem der dunkle Umriss des T-880 in der Tür sichtbar wurde, zog er den Abzug durch. Mit einem in dem engen Flur schmerzhaft lauten Knattern, gleich einem Donnergrollen, ruckte der Gurt mit sämtlichen Patronen in weniger als zwei Sekunden durch die Zuführung, wobei die Patronenhülsen und Gurtstücke auf den Boden klimperten. Der Raum wurde vom sechsstrahligen Mündungsfeuer stroboskopartig ausgeleuchtet, bevor er wieder in der Dunkelheit versank.
Gleich einem metallenen Mahlstrom prasselten vierundzwanzig großkalibrige Stahlmantel-geschosse genau gegen die Brust des feindlich gesonnenen Terminators. Die Panzerung unter der weggefetzten Haut des Brustkorbs wurde zwar eingebeult, doch keines der Projektile vermochte sie zu durchdringen. Infolgedessen entluden die Geschosse ihre gesamte kinetische Energie an der Oberfläche des Torso und warfen seinen Körper einen Meter weit zurück. Für einen Moment war die Kampfmaschine bewegungsunfähig, als sie nach hinten geschleudert wurde und diverse Backup-Systeme einsetzten, um die Folgen der heftigen Erschütterung auszugleichen. NMF 2210 musste schnell handeln; einen T-800 hätte ein solcher Feuerstoß für mehrere Sekunden umgehauen, doch der neuere Typ 880 war wie erwartet um einiges robuster.
Mit zwei langen Schritten war er beim Gegner, der einen Kopf kleiner war als er selbst, und packte ihn an seinen Oberarmen. Unter Ausnutzung allen verfügbaren Raumes in dem schmalen Treppenhaus spielte er seinen einzigen echten Vorteil aus: sein um einhundert Kilogramm höheres Gewicht. Er schwang in einer einzigen flüssigen Bewegung herum und warf seinen Gegner in hohem Bogen die Treppe hinab. Am unteren Ende durchschlug der Cyborg die Fensterscheibe des Treppenhauses mit einem lauten Klirren und fiel wie ein nasser Sack Zement aus dem dritten Stock auf die Straße, während überall um ihn herum Scherben hinabregneten. Die alte, von zwei Hitzesommern in Folge zermürbte Alphaltdecke gab knirschend unter der Wucht des Aufpralls nach. Drei stinkbesoffene und obendrein bekiffte Studentinnen, die nur zwanzig Meter entfernt ihre Fahrräder in Schlangenlinien vor sich herschoben, sprangen erschrocken zurück, nur mühsam begreifend, was da geschehen war.
NMF 2210 verlor keine Zeit. Mit jeweils zwei großen Sätzen pro Treppe war er innerhalb von acht Sekunden an der Haustür und stürmte auf die Straße hinaus. Die verdatterten Studentinnen ignorierend, sprintete er zum regungslosen, von scharfkantigen spitzen Splittern gespickten Körper seines Gegners, welcher nicht einmal während des Sturzes seine Waffe losgelassen hatte. Ihm fehlte dieser unsinnige menschliche Reflex.
Jeden Moment konnte er wieder aufstehen, sobald er die Selbstdiagnose nach dem Sturz beendete und seine internen Systeme wieder aufstarteten.
Kraftvoll entriss er dem T-880 das M-80, richtete es auf seinen Bauch, sorgfältig den Bereich um die primären Energiezellen vermeidend, und drückte ab. Lächerlicherweise schien der unbeschreibliche synthetische Laut, der den kurzen handbreiten Lichtblitz begleitete, direkt aus einem der ersten Videospiele der Achtziger Jahre entliehen. Er feuerte zur Sicherheit nochmals, auf das obere Ende des Brustbeins. In dem nur dürftig erhellten Zwielicht der Straße konnte er sehen, wie das rote feurige Glimmen in seinen Augen erlosch.
Die linke der drei unverhofften Augenzeugen ließ scheppernd ihr Rad fallen und flüsterte fassungslos: „Gleich morgen geh ich auf Entzug, ich schwör’s euch, Mädels. Kein Alk mehr, kein Gras mehr...“
Als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, mit der M-80 in der Hand, und seinen Kopf zu ihnen umwandte, lag sein Gesicht im Schatten, aber seine Augen leuchteten sichtbar glutrot auf. Augenblicklich warfen die beiden anderen ebenfalls ihre Räder zu Boden und sie rannten, so schnell ihr stark benebelter Zustand das zuließ, schreiend davon.
Der T-800 indes packte den terminierten Körper seines Gegners und schleifte ihn mit regungsloser Miene zum Auto um die Ecke. Er durfte nicht zulassen, dass er gefunden wurde. Innerhalb von zwanzig Sekunden hatte er den Kofferraum des Renault erreicht, öffnete die große Heckklappe und stopfte den zusammengefalteten Körper weit nach vorne an die Rückenlehnen. Simon und Natasha starrten neugierig nach hinten, sobald sie ihn bemerkten.
„Was machst du da?“ wollte Natasha auch gleich wissen und stieg hinten aus, gerade als er die Heckklappe wieder zuschlug.
Er antwortete nicht und drückte ihr stattdessen die Plasmaimpulswaffe in beide Arme. „Hier, die habe ich dem Terminator abgenommen.“
„Dem...? Uff!“ Sie ging in die Knie, als das unerwartet hohe Gewicht der Strahlenwaffe ihre Arme hinabzog und sie das Gewehr beinahe fallen ließ.
„Schnell, steig ein. Jede Sekunde zählt jetzt.“ Kaum war sie stöhnend und leise russische Flüche ausstoßend mitsamt des klobigen, zentnerschweren Gewehrs im Fond verschwunden, da fuhr er mit aufheulendem Motor rückwärts bis zur Einmündung in die Weberstraße, stach in diese hinein und kam erst vor ihrem Wohnhaus zum Halten. In einigen Wohnungen war inzwischen Licht angegangen und im Haus gegenüber sah eine alte Dame bereits zaghaft zwischen vorgezogenen Vorhängen hindurch auf die Straße hinaus.
„Los, kommt schnell.“ Zum ersten Mal lag so etwas wie ein drängender Unterton in seiner Stimme, dachte Simon. Konnte er sich wirklich so schnell weiterentwickeln? Dabei war er doch nur das „alte“ Modell, wie er stets betonte.
Eilig hasteten sie die Treppen hinauf und packten jeder eine der großen Reisetaschen, die noch immer im Flur standen. Mit entsetzten Mienen starrten Simon und Natasha dabei auf die Wand neben der Wohnungstür, die mit abgeprallten Querschlägern vom Beschuss des T-880 und dessen Blutspritzern übersät war. Karin war noch etwas verstört, nahm aber doch tapfer ihre eigene Reisetasche und trug sie hinab, während NMF 2210 die schwere Waffentruhe auf seiner Schulter balancierte. Sie alle ignorierten den engen Aufzug, weil er zum einen zu klein und zum anderen nur für 160 kg Traglast ausgelegt war.
Gerade als sie die Haustür im Parterre erreicht hatten, öffnete sich irgendwo in den oberen Stockwerken eine Wohnungstür. Eine männliche Baritonstimme rief ins Treppenhaus: „Was soll dieser Lärm? Was ist hier eigentlich los?“
„Ignoriert ihn“, war NMF 2210’s einziger Kommentar, dann waren sie im Freien. Der T-800 riss die Heckklappe auf, warf die Waffentruhe hinein, worauf die Hinterachse sich bedenklich senkte und schloss vor den verblüfften Augen seiner Begleiter das Gepäckabteil wieder.
„Hinten ist voll. Nehmt eure Sachen mit auf die Rückbank.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schwang er sich wieder hinters Steuer. Ihnen ging angesichts von sehr nahen Sirenen auf, dass es wirklich existenziell für sie sein musste, momentan keinen Augenblick zu verschwenden. So fuhren sie nach wenigen Sekunden mit kurz durchdrehenden Vorderrädern los. Wieder raste der Cyborg quer über die Kreuzung der Merianstraße nach links auf den Friedrichring, doch mitten in der Nacht störte das niemanden weiter.
Kurz darauf waren sie verschwunden.
- 3 -
Freiburg im Breisgau, Deutschland 03. Juli 2004
Sie waren kurz vor dem Morgengrauen wieder in Breisach angekommen. Auf der Fahrt zurück in ihre Pension hatte NMF 2210 ihnen eröffnet, dass es nun nicht mehr zwingend erforderlich war, noch in dieser Nacht die beiden CPUs zu holen.
„Dann können wir heute tagsüber in die Bank gehen, während sie geöffnet hat, und ganz legal das Schließfach öffnen“, sagte Simon erleichtert.
„Nein, das ist zu gefährlich. Der Terminator ist zwar neutralisiert, aber ihr alle werdet jetzt gesucht. Ihr könnt euch tagsüber nicht mehr in der Öffentlichkeit ungehindert bewegen und auch nicht die Bank aufsuchen, wo euch jemand erkennen kann. Deshalb werden wir heute Nacht zur Bank gehen.“
„Toll, mein Leben ist zu Ende“, maulte Natasha, die man im Fond kaum noch sehen konnte, gereizt. „Mann, bin ich froh, wenn das ganze Gepäck von mir runter ist. Was ist denn im Kofferraum?“
„Eine Truhe voller Waffen, die Abbey und Daniel gehört hat,“ sagte Karin neben ihr.
„Und der terminierte T-880, den Skynet auf euch gehetzt hat“, ergänzte NMF 2210 seelenruhig.
„Du hast ihn mitgenommen? Bist du des Wahnes?“ ereiferte sich Natasha sofort.
„Er durfte nicht gefunden werden. Die Welt ist noch nicht bereit dafür. Ich werde ihn in denselben Baggersee werfen, in dem ich gestern den Golf versenkt habe. Nachdem ihr euer Gepäck an der Pension ausgeladen habt, erledige ich das und bringe den Wagen zurück.“ Seine sachlich vorgetragenen Erklärungen gaben ihnen wieder etwas mehr Zuversicht.
„Ihr könnt jetzt schlafen. Wartet nicht auf mich. Wenn ihr wieder wach seid, erkläre ich euch alles Nötige.“ Damit hielt er leise vor der netten kleinen Pension und trug die schwere Stahltruhe auf ihr Zimmer, sobald sie alle ihre Taschen und die Plasmawaffe entladen hatten. Er wollte ihnen den Anblick des terminierten, unnatürlich zusammengefalteten Cyborgs im Kofferraum ersparen. Seinen Dateien nach war das in der derzeitigen Lage nicht gut für ihre Moral.
Der Besitzer des Wagens würde nicht einmal bemerken, dass sein Fahrzeug gefehlt hatte, solange er nicht den Kilometerzähler beachten würde. Sie würden sich allerdings bald auf anderem Weg ein Automobil beschaffen müssen, denn sie konnten sich nicht andauernd in gestohlenen Fahrzeugen fortbewegen, wie die unschöne Szene an der Tiefgarage gezeigt hatte.
Gegen Mittag hatten sich die drei soweit erholt, dass NMF 2210 sein Briefing ansetzen konnte. Dazu gingen sie jedoch in ein nettes kleines Restaurant in der Altstadt, wo sie in einer geschützten Nische sicher vor neugierigen Augen und vor allem Ohren waren.
„Dann erzähl’ doch mal, warum wir im Lauf der letzten vierundzwanzig Stunden alle unser Leben weggeworfen haben“, verlangte Natasha spitz zu wissen.
„Ihr habt euer Leben nicht weggeworfen. Ihr seid zur Terminierung markiert worden, weil ihr in der Zukunft eine wichtige Rolle im menschlichen Widerstand Europas spielen werdet.“
„Kann schon sein, aber du hast den anderen... na, diesen Terminator eben, doch getötet? Dann ist doch alles wieder in Ordnung. Wir können zur Polizei und nach vielem Erklären und Geschichtenerfinden vielleicht sogar unser altes Leben wieder aufnehmen.“ Natasha schien recht zuversichtlich.
NMF 2210 schüttelte erneut den Kopf. „So einfach ist es nicht. Skynet hat mindestens sechs T-880 zurückgesandt, um die Anführer des Widerstandes zu terminieren. Das war nur einer. Wir können nicht sicher sein, ob die anderen gleich aussehen wie dieser hier. Die T-880 sind nur in Kleinserie produziert worden. Jeder könnte es sein.“
Gibt es gar kein Erkennungszeichen?“ fragte Karin verzweifelt angesichts dieser Eröffnung.
„Doch, der Betreffende kann eine sehr große Sporttasche oder etwas Ähnliches bei sich tragen.“
„Warum das denn?“ fragte Simon.
„Er muss die Plasmaimpulswaffe in einem Behälter von geeigneter Größe verbergen, wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegt. Sogar für einen T-880 ist es noch zu früh, um auf offener Straße mit einem Lasersturmgewehr im Anschlag herumzulaufen. Deshalb müssen wir auch damit rechnen, dass er sich teilweise konventioneller Projektilwaffen bedienen wird.“
„Hm, klingt einleuchtend. Und wohin willst du mit uns gehen, wenn wir erst einmal die beiden CPUs von Abbey und Daniel haben?“ schaltete Karin sich ein.
„Darüber wird uns die Verstärkung informieren, die uns gesandt wird. Mein Auftrag besteht zunächst darin, euch zu schützen, die Lage hier zu sondieren und eine detaillierte Meldung in die Zukunft zu senden. Der Austauschpunkt dafür ist in der Nähe in den Auwäldern entlang des Altrheins, morgen früh um fünf Uhr dreißig. Bis dahin muss ich mir einen lebenden Fisch von etwa dreißig bis vierzig Zentimeter Körperlänge beschaffen. Mit ihm wird die Nachricht übermittelt werden.“
Simon schlug vor: „Den können wir uns aus einer Forellenzucht in der Gegend besorgen; ich kenne eine. Ist Forelle gut?“
„Die Spezies ist unerheblich. Wichtig ist, dass der Fisch zum Zeitpunkt der Raumzeit-verschiebung noch lebt. Nur lebende Objekte können das Zeitfeld passieren.“
„Aha. Das hat sicher mit unserer Entdeckung von damals zu tun, dem Schimmel auf der Kristallscheibe“, fiel Karin ein. „Und wie wird die Nachricht transportiert?“
„Der Fisch wird Sekunden vor dem Transport aufgeschnitten und die Nachricht in sein Inneres geschoben. So kann der unbelebte Gegenstand, in unserem Fall die Botschaft und die beiden CPUs, umhüllt von lebender Materie durch die Zeit reisen.“
„IIIH!“ kiekste Natasha. „Ist das ekelig!“
„Nicht so laut“, rief NMF 2210 sie zur Ordnung.
Karin schnitt ebenfalls eine Grimasse, resümierte dann aber: „Für uns heißt das demnach, wir müssen die CPUs geholt haben und rechtzeitig am Zielpunkt sein. Wir werden aber erst sehr spät in der Nacht ungestört in die Bank können, schließlich ist es Samstag, da ist immer viel los in der Stadt. Wird das nicht knapp werden?“
„Der Zielpunkt ist mit einem Automobil in weniger als einer halben Stunde von Freiburg aus erreichbar. Allein die Fahrzeugbeschaffung kann problematisch werden, da wir alle inzwischen gesucht werden dürften.“ NMF 2210 schien kurz inne zu halten. „Es gibt hier im Ort eine Autovermietung, wo ein Fahrzeug von Samstag auf Sonntag unbemerkt entwendet werden kann.“
„Wunderbar, aber warum das Ganze? Kannst du uns nicht irgendwelche Zusammenhänge erklären? Offenbar geht uns das doch mehr an, als uns lieb ist. Was ist mit diesem Krieg in der Zukunft? Was hat sich da geändert?“ Karin biss herzhaft in ihr reichlich belegtes überbackenes Baguette.
„In eurer Version der Geschehnisse hätte dieser Krieg im August 1997 stattfinden müssen. Dies ist allerdings von John Connor, dem Führer des Widerstandes und seiner Mutter, Sarah Connor, verhindert worden. Die Entstehung von Skynet wurde dadurch aber nicht verhindert, sondern vielmehr verlagert. Anstatt in Form eines großen Computerkerns wird Skynet jetzt, dem technischen Fortschritt gemäß, als ShareWare-Programm entwickelt. Seine Software wird auf Millionen von Rechnern während deren Internet-Gebrauchs insgeheim installiert, so dass eine immense Rechenleistung ermöglicht wird. Das macht es auch unmöglich, das Programm abzuschalten, als es einen Stand erreicht, auf dem es ein Selbstbewusstsein entwickelt und die Menschen als Feinde zu betrachten beginnt.“
„Klingt übel. Und was passiert dann?“ fragte Natasha, abwesend in ihrem Mischsalat herumstochernd.
„Skynet tut das, wozu er entwickelt wurde: er übernimmt die Kontrolle über alle ballistischen Interkontinentalraketen, kurz ICBM, der USA und startet sie gegen strategische Ziele in Russland, andere ehemalige GUS-Staaten und China.“
Natashas Gabel fiel laut polternd auf ihren Teller.
„Du meinst...“
„Ein umfassender nuklearer Erstschlag gegen die Länder, die sich angemessen wehren können. Der Gegenschlag vernichtet den größten Teil der amerikanischen Bevölkerung, wenngleich rein statistisch gesehen der Großteil Europas noch schwerer betroffen sein wird. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte auf dem Kontinent, der damit verbundenen Dichte an militärischen und strategischen Zielen und der Nähe zu Russland werden eine hohe Anzahl an schwächeren Mittelstreckenraketen hier eine weitaus größere Zerstörung anrichten als die ICBMs auf der ausgedehnten Landmasse Nordamerikas.“
„Scheiße.“ Simon hatte vergessen zu kauen. „Und wann... ich meine, wann passiert...“
„Darüber kann ich keine Auskunft geben. Es wäre der Mission nicht dienlich.“
Natashas Augen wurden groß: „Das kann nicht dein Ernst sein! Die Welt wird irgendwann untergehen, vielleicht schon bald, und du weißt genau wann, willst es uns aber nicht sagen?“
„Die Welt wird nicht untergehen, nur größtenteils vernichtet und für einige Zeit schwer verstrahlt. Durch umfassende nukleare Abrüstungsmaßnahmen der letzten zehn Jahre und fortschreitende Veraltung sowie technische Unzuverlässigkeit der noch bestehenden Raketensysteme, vor allem der osteuropäischen Staaten, ist die kernwaffentechnische Kompetenz der Menschheit um einiges geringer als noch vor zwanzig Jahren, zu Zeiten der Sowjetunion im sogenannten ‚Kalten Krieg’.
Damals wäre die Welt mit Sicherheit vollständig vernichtet worden, doch heute ist bei vielen Raketen nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch zünden, aus den Silos abheben oder den nötigen Schub erreichen können, um in ihre Flugbahn bis über den Nordpol zu gelangen. Zudem hat Skynet keine direkte Kontrolle über flugzeug- und unterseegestützte Kernwaffen. Früher hatten die USA ständig rund um die Uhr mehrere Atombombergeschwader in der Luft, die Skynet mit gefälschten elektronisch verschickten Angriffsbefehlen genauso wie ballistische U-Boote hätte angreifen lassen können. Heute ist die Zahl der Boote verringert und das Herumfliegen von Wasserstoffbomben im Megatonnenbereich fast gänzlich eingestellt worden. Ihr seht, es ist nicht ganz hoffnungslos. Und genau da beginnt eure Aufgabe. Ihr werdet dem Widerstand gegen die Maschinen in Europa wertvolle Dienste leisten.“
„Einfühlungsvermögen gehört nicht zu deinen Stärken, oder?“ bemerkte Natasha schnippisch.
Er sah ihr mit versteinerter Miene direkt in die Augen, was sie unwillkürlich frösteln ließ. „Nein. Einfühlungsvermögen gehört auch nicht zu deinen Stärken, oder?“
Simon und Karin grinsten amüsiert vor sich hin, während Natasha sie anfuhr: „He, das hab ich nie behauptet! Habt ihr schon mal von mir gehört, dass ich gesagt hab...?“
„Schon gut, Lucie. Wir nehmen dich so wie du bist,“ feixte Karin.
„Lucie? Warum Lucie?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und wartete auf eine Erklärung dieser Bemerkung.
Simon grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich geb’ dir einen Tip: kennst du die ‚Peanuts’? Charlie Brown, Snoopy und so?“
„Klar, aber worauf willst du hinaus...?“ Sie brach empört ab und wandte sich von ihnen ab, als ihr aufging, wer mit Lucie gemeint war. „Und euch hab’ ich mal zu meinen Freunden gezählt. Kaum zu glauben.“
„Ich kann keinen schlüssigen Sinn in eurem Dialog eruieren“, stellte NMF 2210 fest.
Worauf ungewollt alle drei loslachen mussten. Der T-800 trug das – wie stets – mit Fassung, dann fasste er nochmals alles Wichtige zusammen. „Ich wiederhole meine Absicht für heute Nacht noch einmal in kurzer Form: ich werde zum örtlichen Autoverleih gehen, dort ein Fahrzeug requirieren, nach Möglichkeit so, dass niemand es bemerkt, und euch dann abholen. Wir laden alles Gepäck ein, fahren zur Bank und ihr wartet im Auto auf mich. Ich besorge die beiden CPUs aus dem Schließfach, die wir dann mittels des Fisches in die Zukunft schicken. Seit meiner Ankunft sind zwar fast zwei Tage vergangen, doch die Verschiebung in der Zukunft wird unmittelbar nach meiner Entsendung hierher erfolgen, sodass für den General kaum eine Verzögerung entsteht. Er wird hochzufrieden sein, dass er zwei intakte Chips für T-880 erhalten wird, da er angenommen hatte, wochen- oder monatelang für die Programmierung von neuen CPUs zu benötigen.“
„Welcher General?“ fragte Karin, die hellhörig geworden war.
„General Henee Mahtobu, der Kommandant des Stützpunktes, auf dem die ZVA steht.“
„Aha.“ Simon hielt die Bedienung an und gab ihr seine Kreditkarte mit, zusammen mit einem Trinkgeld.
NMF 2210 sagte augenblicklich: „Es ist nicht ratsam, mit elektronischen Zahlungsmitteln die Rechnung zu begleichen. Auf diesem Wege können unsere Spuren hierher verfolgt werden.“
„Nicht mit dieser Karte,“ wiegelte Karin ab. „Sie ist auch aus der Zukunft und darauf ausgerichtet, nicht zurückverfolgt werden zu können. Sie verändert die Marke und Kodierung nach jedem Zahlungsvorgang.“
Das machte den Cyborg hellhörig. „Ich muss mir diese Karte ansehen. Es kann sein, dass sie zu mehr nutze ist als nur zur Bezahlung.“
„Wie meinst du das?“ fragte Simon neugierig.
„Ungenügende Daten. Warte die Untersuchung ab.“
Die Bedienung brauchte nicht lange, bis sie mit der Karte zurückkam. Sobald sie weg war, nahm NMF 2210 sie genauer in Augenschein und fühlte eingehend beide Seiten ab.
„Eindeutig. Ich verfüge über Dateien, die diesen Gegenstand betreffen. Die Karte besteht aus polymimetischem Flüssigmetall, einem experimentellen Stoff aus der Zukunft. Es kann durch nanotechnologische CPUs, die in dem Material eingebettet verteilt sind, programmiert werden und reagiert in diesem Fall auf Standard-Befehlssequenzen, die per Funk übermittelt werden können. Passt auf.“ Er hielt die Karte von sich, so dass die drei anderen am Tisch sie deutlich sehen konnten.
„Mastercard“, sagte er, worauf ein Schillern wie von flüssigem Quecksilber kurz die Karte überzog und sich die entsprechenden Farben und besagtes Firmenlogo ausbildete. Er starrte weiterhin darauf, worauf wie durch Zauberhand eine American Express aus ihr wurde.
Alle drei starrten ihn an. Karin erlangte zuerst die Fassung zurück: „Und du kannst es steuern?“
„Mir sind die Frequenzen und Befehlscodes bekannt. Sie wurden mir in der Basis eingegeben, obwohl den Technikern dort nicht bewusst gewesen ist, dass ich sie brauchen könnte.“
„Sehr praktisch, muss ich schon sagen“, bemerkte Simon beim Hinausgehen.
„Diese Karte verfügt noch über weitere Funktionen. Ich werde es euch demonstrieren, da das für euch glaubhafter ist als eine Beschreibung“, sagte NMF 2210 auf dem angrenzenden Parkplatz.
„Du traust uns aber nicht besonders viel Phantasie zu“, protestierte Natasha.
Er hingegen stellte sich neben die Beifahrertür eines Lieferwagens und hielt die Karte vor sich. An einem Ende wurde sie silbern, verflüssigte sich und floss zusammen, wobei sie sich verjüngte und eine Art kleinen Dorn formte. Diesen steckte er langsam bis zum Anschlag in das Beifahrerschloss der Transportertür, wo es sich soweit ausdehnte, dass sämtliche Schlossstifte im richtigen Abstand aus dem Zylinder hinausgedrückt wurden, um die Form des Schlüssels zu imitieren und so das Schloss zu entriegeln. Nach einer Sekunde Wartezeit war das Flüssigmetall ausgehärtet und er konnte die Tür des Wagens aufschließen. Er schloss die Tür ebenso leise, wie er sie geöffnet hatte, zog den Schlüssel ab und hielt ihn den drei staunenden jungen Menschen unter die Nase. Nach einigen Sekunden floss die Legierung in ihr ursprüngliches Kreditkartenformat zurück und bildete wieder perfekt ihre vorherige buntbedruckte Kunststoffform aus.
„Das ist ja kaum zu glauben“, entfuhr es Karin lapidar.
„Deshalb wollte ich es euch zeigen. Ihr hättet es mir nicht geglaubt, wenn ihr es nicht selbst gesehen hättet.“
„Ja ja, schon gut. Toll, wie in einem Science-Fiction-Film.“ Natasha war wirklich beeindruckt. Ihr Verstand begann allmählich zu akzeptieren, was um sie herum geschah.
„Wir gehen zurück zur Pension“, bestimmte NMF 2210 dann und wandte sich um, ohne auf eine Antwort zu warten.
„Manieren hat der“, flüsterte Natasha Karin ins Ohr.
„Was erwartest du? Du kannst ihn ja mal den ‚Knigge’ lesen lassen. Vielleicht bringt’s was.“
Freiburg im Breisgau, Deutschland 04. Juli 2004
Es war nach vier Uhr morgens, als Simon, Karin und Natasha noch schlaftrunken, aber auch angespannt und äußerst nervös im entwendeten Auto, einem schwarzen Lexus RX 300, saßen und beim Hinterausgang der Bank vorfuhren. Der Gepäckraum hinter den Rücksitzen des edlen Geländewagens war mit ihren ganzen Habseligkeiten überfüllt und verdeckte teilweise sogar die Sicht nach hinten aus der Rückscheibe heraus.
Natasha ließ sich vom Rücksitz aus vernehmen: „Ich finde ja immer noch, dass das hier ein viel zu auffälliges Fahrzeug für so eine Aktion ist. Hast du nichts besser Geeignetes gefunden?“
„Du irrst in deinem Glauben“, erklärte NMF 2210 sachlich beim Abstellen des Wagens. „Dieses Fahrzeug ist bedingt für Geländefahrten geeignet, bietet einen großen Innen- und Gepäckraum und besitzt einen kräftigen und zuverlässigen Motor. Damit erfüllt es alle Anforderungen, die an es gestellt werden können.“
„Wenn du es sagst“, war die missmutig Antwort aus dem Fond.
„Sei nicht immer so negativ,“ zischte Simon ihr genervt zu.
Sie erwiderte auf ihre leicht schnippische Art: „Das ist lediglich konstruktive Kritik, damit das klar ist.“
„Euer Dialog ist von keinem relevanten Nutzen. Bitte wartet hier und seid aufmerksam, falls Passanten kommen.“ Damit stieg der T-800 aus und trat ins Halbdunkel des Hintereingangs des Bankgebäudes. Sofort schaltete sich eine an einen Bewegungsmelder gekoppelte Leuchte an und strahlte den gesamten Bereich aus. Die Tür war aus Glas und auch die Bereiche rechts und links waren als Glasfront ausgelegt, so dass man einen Gang hinabsehen konnte, der ins Gebäudeinnere zur Filiale führte.
„Shit, das fängt ja gut an.“ Karin sah sich hektisch um, aber um diese Uhrzeit war niemand in der engen Gasse unterwegs. NMF 2210 hielt die Kreditkarte aus T-1000-Polymer ans Schloss des Hintereingangs, worauf dieses sich anstandslos öffnen ließ. Er erblickte einen leicht versteckt angebrachten Schalter für ein Alarmsystem, das von einigen Infrarot-Lichtschranken im Korridor ausgelöst werden konnte. Auch diesen Schalter konnte er mit Hilfe des futuristischen Dietrichs betätigen und so den Alarm deaktivieren. Als er ins Dunkel des Gangs hineinstapfte und durch eine weitere, verschlossene Tür ins Innere der Bankfiliale gelangte, verloren sie ihn aus dem Augen.
„Wenn das mal gut geht.“ Karin war gar nicht wohl zu Mute. Schließlich war das hier eindeutig ein schweres Verbrechen, auch wenn er nur etwas entwendete, was ihnen ohnehin gehörte. Nun, bisher war alles soweit ruhig geblieben. Vielleicht schafften sie es ja doch, ohne erwischt zu werden oder die Polizei auf ihre Spur zu hetzen. Bei dem Gedanken wurde ihr wieder fast schlecht. Was für eine Zukunft konnte sie wohl noch erwarten nach den Ereignissen der vergangenen beiden Tage?
Eine schrille hochfrequente Glocke, die andauernd und weithin hörbar erklang, untermalt von einem roten Blinklicht, welches bisher von ihnen unbemerkt an der Hauswand neben ihnen gehangen war, versetzte ihnen einen Riesenschreck und machte zugleich ihre Hoffnungen zunichte, ungesehen hier weg zu kommen. Gleichzeitig verriegelten sich sämtliche Türen der Bank mit einem hörbaren Klicken; rote Kontrollleuchten erschienen und zeigten den Status der Schlösser an. Natasha stieß wieder einmal ein paar deftig klingende russische Flüche aus, indem sie wie ihre beiden Freunde auch alarmiert abwechselnd zur Bank und auf die Straße hinaus sah.
Nach weniger als zehn Sekunden flog die Tür zur Bankfiliale aus den Angeln und wirbelte durch den Gang bis zur gegenüberliegenden Mauer, an die scheppernd stieß und dann auf dem roten Teppichboden des Flurs liegen blieb. NMF 2210 eilte den Gang hinab und warf sich gegen die Glasscheibe der Tür.
Das Glas hielt dem Aufprall stand.
„Verd... das ist sicher Panzerglas. Was machen wir jetzt nur?“
NMF 2210 hatte einmal mit einer eckigen Bewegung des Kopfes den Rahmen der Tür abgesucht und war offenbar zu einem Schluss gekommen, denn er trat zwei Schritte zurück, streckte beide Arme gerade vor sich hin und hob die Handballen nach vorne. In dieser Haltung warf er sich in Brusthöhe genau auf den Türrahmen, der bedenklich knackte. Er trat noch einen Schritt weiter zurück und wiederholte seine Rammbockaktion.
Mit einem lauten Knirschen wurde der Rahmen der Tür aus der Fassung in der umgebenden Betonmauer gerissen und fiel dröhnend auf die Straße hinaus. Im selben Moment war NMF 2210 schon beim Auto und stieg ein. Zwei Sekunden später fuhren sie mit hochdrehendem Motor los und bogen gleich um die nächste Ecke auf den Umfahrungsring der Innenstadt.
„Das war’s schon? Keine zwanzig Sekunden nachdem der Alarm losging, sind wir unerkannt entkommen? Es kann doch nicht so leicht sein, eine Bank auszurauben.“ Das bare Staunen sprach aus Simons Stimme, als sie gemütlich und unauffällig mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit nach Richtung Norden auf die B 3 einbogen, die sie durch die Stadtteile Herdern und Zähringen aus Freiburg hinausführen würde.
Zum einen habe ich nur ein einzelnes Schließfach geöffnet und nicht große Mengen Geld und Wertsachen an mich genommen, was bedeutend mehr Zeit beansprucht hätte. Zum zweiten bin ich dank der polymorphen Karte ungehindert bis zum Raum mit den Fächern gelangt, bevor ich einen Alarm ausgelöst habe, was uns wiederum wertvolle Zeit gesichert hat.“
„Hast du es bekommen?“ fragte Karin zaghaft.
Anstatt zu antworten griff der Cyborg neben sich und händigte ihr einen DIN A4-Briefumschlag aus, der deutlich ausgebeult und recht schwer für seine Größe war. Sie erkannte Simons Handschrift auf dem Umschlag. Ehrfurcht stand in Karins Augen, als sie ihn vorsichtig öffnete und die beiden kleinen und flachen Blöcke aus transparentem Kunstharz in ihre offene Hand fallen ließ. In ihrer Mitte war jeweils einer der rotbraun gefärbten, filigran gestalteten CPUs in der Größe eines Dominosteines eingebettet.
„Glaubst du, sie bekommen die Chips aus dem Harzmantel heraus?“ fragte sie zweifelnd.
„Mit hoher Wahrscheinlichkeit. Der Besitz dieser beiden CPUs ist ein großer taktischer Vorteil für uns, wenn es den Menschen in der Zukunft gelingen wird, uns damit zwei voll angepasste T-880 zu schicken. Eventuell können von den Chips sogar Kopien angefertigt werden und noch weitere Terminatoren zur Verstärkung aktiviert werden. Das wird sich jedoch erst noch zeigen müssen.“
Sein Kopf schwenkte in einer sehr mechanisch wirkenden Bewegung herum, als er etwas rechts neben ihnen bemerkte. Aus dem Augenwinkel sah Simon, wie ein junges Mädchen auf dem Gehweg neben ihnen in ihre Fahrtrichtung ging.
Urplötzlich machte er eine Vollbremsung, stieg aus und ging zu dem jungen Mädchen hinüber, das an einer dunklen Stelle zwischen zwei Laternen und im Schatten der Bäume am Straßenrand wie festgewurzelt stehen geblieben war.
„Was zum Henker soll das jetzt schon wieder? Ich denke, wir müssen hier so schnell wie möglich weg“, brauste Natasha auf und betätigte den Fensterheber, um verstehen zu können, was NMF 2210 mit ihr redete. Sie bekamen aber nicht mehr alles von ihrem Dialog mit.
Mit einer recht hohen und schwach klingenden Stimme antwortete sie gerade: „...bin ich. Woher wissen Sie meinen Namen?“
„Das ist irrelevant. Es ist jedoch unbedingt erforderlich, dass du sofort mit mir kommst. Du befindest dich in großer Gefahr.“
„So ein Quatsch! Lassen Sie mich einfach in Ruhe, okay? Ich werde jetzt heimgehen und... he!“ Der riesige blonde Hüne hatte sie am Arm gepackt und zog sie nun bestimmt in Richtung Auto, was sie augenblicklich alarmierte.
„Hilfe! Ich werde entführt! Bitte helft mir! HIIIIIL...“
Als er mit einer raschen Bewegung seine Pistole zog und ihr unter die Nase hielt, verstummte ihr Schrei abrupt. Karin sah jetzt, dass sie sehr klein und zierlich war, nicht einmal 1,60 m, wie sie schätzte, und mit einem roten engen T-Shirt sowie Jeans und weißen Turnschuhen bekleidet war. Viel mehr konnte sie im Moment nicht ausmachen. Sie hörte noch NMF 2210’s Stimme: „Bitte unterlasse diese Versuche, unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Wie gesagt ist es von höchster Dringlichkeit, dass du mitkommst. Steig’ ein.“
Damit ließ sie sich widerstandslos zum Auto führen, wo er die rechte Hintertür öffnete und sagte: „Natasha, setz dich ans Steuer und fahre los in Richtung...“
„Ähm, sorry, ich habe meinen Führerschein zur Zeit nicht,“ fiel sie ihm bedauernd ins Wort. „Ihr wisst schon, die Sache mit meinem kleinen Autounfall...“
„Glaubst du wirklich, darauf kommt es momentan an? Wenn wir jetzt angehalten werden, haben wir weiß Gott andere Sorgen als solche Lappalien“, fuhr Simon ihr ein wenig barsch über den Mund.
„Hm, ich habe zwar noch nie so ne Riesenkiste rumkutschiert, aber was soll’s?“ Natasha stieg links aus und wechselte nach vorne, während Simon mit zufriedener Miene auf dem Beifahrersitz blieb. NMF 2210 indes schob ihre ‚Geisel’, die sich nun ohne jeden Widerstand dirigieren ließ, in die Mitte des Fonds und setzte sich rechts neben sie, unverändert mit der Waffe im Anschlag.
Als Natasha losfuhr, betrachteten Karin und Simon ihren unfreiwilligen Passagier, der sie mit nur mühsam versteckter Angst anstarrte. Karin fiel auf, dass ihre großen braunen Rehaugen hinter der Brille mit den modischen kleinen Rundgläsern à la John Lennon um einiges dunkler waren als ihre eigenen und sie sehr jung – höchstens zwanzig – und ausgesprochen hübsch zu nennen war mit ihrer süßen kleinen Stupsnase, den vollen Lippen und dem kleinen Grübchen am Kinn. Das eher kantig geformte, recht blasse Gesicht war von rotbraun gefärbten langen Haaren umrahmt, zu einem Pferdeschwanz gebunden und so aus der Stirn gehalten. Bei näherer Betrachtung besaß sie trotz ihres schmalen und schlanken Körperbaus doch alle notwendigen weiblichen Attribute, um sie attraktiv erscheinen zu lassen. Eine ganz typische junge Freiburger Studentin oder gar noch Schülerin, dachte sie.
„Wie heißt du?“, fragte sie und kam sich vor wie eine Idiotin.
„Caroline“, war die piepsige Antwort. „Warum tut ihr das?“
NMF 2210 antwortete mit kalter Stimme: „Sie ist eine der zur Terminierung anvisierten Personen.“
„Sie? Das ist nicht dein Ernst! Außerdem denke ich, wir sind die einzigen hier in der Stadt. Das hast du doch gesagt?“ Natasha sah mit hartem Blick in den Spiegel und suchte kurz den Blickkontakt mit dem T-800. Karin bemerkte, dass ihre Brille und die ihrer ‚Passagierin’ sich ähnelten.
„Meinen Daten nach dürfte sie sich nicht hier aufhalten, sondern müsste in Straßburg leben und gerade auf der dortigen Hochschule studieren.“
„He, genauso ist es! Ich bin nur für ein paar Tage hier bei einer Freundin einquartiert, die ich besuche. Ich wollte gerade zu ihr. Habt ihr mich verfolgt? Woher wisst ihr das alles über mich? Ihr verwechselt mich sicher mit jemand anders; ich bin nicht reich oder...“ Sie brach ab und sah verzweifelt zu Boden. „Bitte tut mir nichts. Ich habe doch nichts, was ich euch...“
„Deine Sorgen sind unbegründet, dir wird nichts geschehen. Wir verlangen nur, dass du kooperierst und dir anhörst, was wir dir zu gegebener Zeit mitteilen werden.“
„Und es wird dir nicht unbedingt gefallen, aber ich fürchte, du wirst es glauben müssen. Wir selbst können es fast noch immer nicht glauben.“ Simon sah sie mit einem warmen Blick an und versicherte ihr nochmals mitfühlend: „Hab keine Angst, wir tun dir wirklich nichts.“
„Für einen Augenblick sah sie schüchtern auf und erwiderte seinen Blick. Fast schien es, als würde sich ein kleines Lächeln in ihre Mundwinkel stehlen, dann sah sie wieder auf ihre Hände hinab.
So erreichten sie den Zubringer Nord, der aus der Stadt herausführte. Fürs erste waren sie in Sicherheit, auch wenn noch immer nach ihnen gefahndet werden dürfte, ins besonders nach NMF 2210, dessen Konterfei unter Garantie von irgendeiner Kamera beim Verlassen der Bank festgehalten worden war, nachdem der Alarm aktiviert worden war.
Auwald bei Grezhausen, Südbaden, Deutschland 04. Juli 2004
Gemächlich rollte der Lexus mit ausgeschalteten Scheinwerfern über den unbefestigten Wirtschaftsweg durch den stockfinsteren Wald. Die einzige Lichtquelle im Wagen war das schwache Glimmen der rötlichen Infrarotoptiken in den Augen des T-800, der unbekümmert durch die Finsternis steuerte. Er hatte die Scheinwerfer bereits vor einer knappen Viertelstunde beim Abbiegen von der Landstraße abgeschaltet und ließ den nachtschwarzen Luxus-Offroader nun fast im Leerlauf zu ihrem Bestimmungsort rollen. Der seidenweiche Lauf des Reihensechszylinders sorgte dafür, dass sie im Inneren nicht einmal mehr hören konnten, ob der Motor überhaupt noch lief. Nun war selbst Natasha klar geworden, dass allein eine Reihe von praktischen Erwägungen die Wahl des Terminators auf dieses Muster hatten fallen lassen. Ihr ging allmählich auf, womit sie es eigentlich zu tun hatten. Und sie wusste nicht, ob sie das beruhigen oder ängstigen sollte.
Karin und Simon hatten Caroline in die Mitte genommen. Karin konnte nur undeutlich hören, wie das junge Mädchen immer wieder zaghaft im Flüsterton Fragen an Simon richtete, die dieser so geduldig und umsichtig wie möglich zu beantworten versuchte. Sie konnte einerseits nicht direkt aus dem Auto entkommen, doch andererseits bedrohten sie sie auch nicht mehr mit der Waffe, was Caroline offenbar neugierig gemacht hatte. So ergab sie sich lieber in ihr Schicksal, da sie momentan ohnehin keine andere Wahl hatte. Karin schätzte sie so ein, dass sie noch abwarten würde, was geschehen mochte, aber trotzdem die erste sich bietende Chance zur Flucht nutzen würde. Natürlich wusste sie nichts von alledem, was sie erwarten würde; wie hätten sie ihr das auch auf der kurzen Fahrt hierher erzählen können?
Sie selbst war auch gespannt darauf, was nun geschehen würde. Wenn das alles wirklich real war und nicht doch das Produkt ihres kollektiven Wahnsinns, in dem sie sich seit Tagen wähnte, dann würde sie sehr bald einen eindrucksvollen Beweis erhalten: sie würden Zeugen eines Zeitsprungs werden. Unwillkürlich musste sie den Kopf schütteln. Wie absurd, wie absolut lächerlich allein der Gedanke daran war. Sie musste völlig von Sinnen sein, dass sie tatsächlich begann, daran zu glauben. Die Hinweise für diese aberwitzige Theorie lagen zwar vor ihr aufgereiht wie eine Perlenkette, aber wirklich begreifen konnte sie das dennoch nicht richtig.
Andererseits dachte sie an einen kühlen Novembermorgen vor fast drei Jahren zurück, wo sie in einer Scheune gestanden und einen vom Torso abgetrennten Arm in der Hand gehalten hatte. Ein unglaublich hochentwickeltes und filigranes Kunstwerk, schwer und robust, aber auch sehr leistungsfähig vom Anschein her. Unwillkürlich hatte die Technikerin in ihr nach irgendwelchen Markierungen, Produktkennzeichen oder Herkunftsangaben gesucht. Alles was zu sehen gewesen war, waren winzige ins Metall eingelassene Strichcodes, teilweise kaum mit bloßem Auge sichtbar. Sie hatte nie auch nur etwas entfernt ähnliches gesehen oder davon gehört gehabt. War das ein eindeutiger Beweis für diese Zukunftsgeschichte?
Mittlerweile konnte man schemenhaft die hohen Baumreihen rechts und links des schnurgeraden Weges sich gegen den Himmel abzeichnen sehen, der nun vom schwachen Licht der Vordämmerung ein wenig erhellt wurde. Hier unten im Wald war es immer noch sehr dunkel, doch das würde nicht mehr lange anhalten. Bis zum Zeitpunkt ihrer Aktion um halb sechs Uhr morgens würde es um diese Jahreszeit schon ausreichend hell sein, um im Freien anständig sehen zu können, was um einen herum vorging.
„Wie unheimlich. Ich glaube, ich war noch nie nachts in einem so tiefen und dichten Wald“, wisperte Caroline leise neben ihr.
Simon erklärte: „Ich glaube, dieser Ort ist absichtlich gerade wegen seiner Abgeschiedenheit gewählt worden. Hier wird etwas Phantastisches geschehen. Das wird dich sicher davon überzeugen, dass wir dir nichts Böses wollen. Ich selbst brauche auch noch einen kleinen Impuls, um wirklich begreifen zu können, worauf ich mich hier überhaupt einlasse. Den werden wir hoffentlich hier erhalten.“
„Was meinst du damit?“
Er seufzte ganz leise. „Ich weiß, dass es schlimm für dich sein muss, so im Ungewissen gelassen zu werden. Aber so auf die Schnelle kann man das nicht erklären. Es hat etwas mit Schicksal zu tun, mit Vorhersehung und einer großen Aufgabe, die uns erwartet.“
„Bitte verzeih mir, aber jetzt hörst du dich an wie ein Spinner von irgendeiner Sekte.“
Erschwieg kurz und meinte dann konsterniert: „Weißt du was? Du hast recht. Am besten halte ich die Klappe und lasse dich selbst urteilen über das, was du sehen wirst.“
NMF 2210 hielt an. „Wir sind fast da. Den Rest der Strecke können wir zu Fuß gehen.“
„Wir sollen durch den dunklen Wald laufen?“ fragte Caroline mit leicht zitternder Stimme.
„Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung. Unser Ziel ist genau einhundert Meter vor uns auf diesem Weg. An der nächsten Abzweigung befindet sich ein topografischer Messpunkt. Wir befinden uns dort auf 47°58’Nord / 7°37’Ost sowie 197,1 m Höhe. Diese Vermessung ist exakt genug für unsere Zwecke.“
NMF 2210 hatte die Innenbeleuchtung ausgeschaltet, damit das Licht beim Öffnen der Türen ihnen nicht die Nachtsicht nehmen würde. Karin stieg behände aus und hielt die Tür für Caroline auf. Diese kam wie ein Blitz herausgeschossen und raste augenblicklich auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Karin konnte ihren Schemen im Zwielicht nur noch für wenige Sekunden ausmachen, dann hatte die Nacht sie verschluckt.
Bevor sie auch nur aufschreien konnte, kam NMF 2210 um die Ecke des Autos gestampft und setzte ihr mit langen Schritten nach. Indem er sie passierte, sagte er ohne die Stimme zu heben: „Entschuldigt mich für einen Moment. Wartet hier beim Wagen.“
Sie konnten das recht laute Stampfen seiner sehr langen, fast schon sprunghaften Schritte noch hören, als er längst außer Sicht war. Karin hatte sich nun von ihrem Schreck erholt uns schimpfte: „Dieses kleine Luder! Ich hab vorhin noch gedacht, bei der ersten Chance versucht sie’s. Und siehe da...“
„Gar nicht mal schlecht“, gestand Natasha widerstrebend zu. „Losgeflitzt wie ein Häschen. Diese jungen Dinger mit ihrem Fitnesswahn von jung auf sind doch nicht zu unterschätzen. Was meint ihr, erwischt Alex sie?“
„Machst du Witze?“, versetzte Simon fast schon empört. „Der ist doch mit mindestens fünfzig oder sechzig km/h losgerauscht wie eine Lokomotive. Außerdem kann er im dunkeln sehen.“
„Na ja, ich weiß natürlich nicht so viel darüber wie ihr, aber eines habe ich mir schon ausgerechnet: setze nie auf eine Maschine, setzte nie dein Vertrauen in sie... auch nicht, wenn sie auf deiner Seite ist.“
„Natasha, hat dir schon mal jemand gesagt, dass du total paranoid bist?“, wollte Simon wissen.
„Nein!“
„Dann wird es aber mal höchste Zeit dafür“, zischte er.
„Na hör mal...“ begann sie, brach aber ab, als sie schwere Schritte vernahmen. Aus der Dämmerung tauchte der riesige Umriss des Terminators auf, mit einer wesentlich kleineren Silhouette im Schlepptau. Sie ließ sich offenbar widerstandslos von ihm am Oberarm herumführen, wie bei ihrer ‚Entführung’.
„Was hat denn da so lange gedauert?“, spottete Natasha auch sogleich.
„Dieser Mensch hat sich als unwahrscheinlich zäh und findig darin erwiesen, sich mir zu entziehen. Gegen jede Voraussicht konnte sie sich fast zwei Minuten auf dem Weg und im Unterholz halten, bevor ich sie aufgegriffen habe. Danach war sie wieder sehr kooperativ.“
„Da seht ihr’s, das kleine Luder hat’s faustdick hinter den Ohren“, triumphierte Natasha auf.
Caroline indes fuhr sie leise an: „Nenn mich nicht so!“
„Okay, okay. Caroline, du bist gar nicht so übel, das muss dir der Neid lassen.“ Sie gab sich großzügig, natürlich ohne sich zu entschuldigen.
Demoralisiert klingend meinte sie: „War einen Versuch wert. Ich weiß immer noch nicht, ob ihr irgend eine Spinnersekte seid, die mich ihrem Gott opfern will oder so.“
„Deine Reaktion war leicht vorhersehbar, so dass du einfach wieder aufzugreifen warst“, bemerkte NMF 2210 leichthin.
„Im Wald gerade eben sah das aber ein bisschen anders aus“, erwiderte sie, worauf er nichts antwortete. Hätte Simon es nicht besser gewusst, hätte er schwören können, dass er peinlich berührt sein könnte.
Unerwartet richtete NMF 2210 dann das Wort an sie. „Die Zeit ist knapp geworden. Simon, bitte bring den Eimer mit dem Fisch, ich werde euch zur richtigen Stelle führen.“
„Fisch?“, fragte Caroline, als sie sich in Bewegung setzten, Natasha und Karin jeweils einen Oberarm von ihr im Griff.
Verlegen erklärte Karin: „Das könnte dir jetzt etwas seltsam vorkommen, was wir gleich tun werden, vor allem, weil du scheinbar dieses Sekten-Vorurteil über uns hast, aber ich kann dir nur sagen, dass es einen Sinn ergeben wird.“
„Hoffentlich“, fügte Natasha kaum hörbar hinzu.
Hinter ihnen schloss Simon zu der kleinen Gruppe auf, nachdem er aus dem Gepäckraum des Lexus einen Behälter in Form und Größe einer Kühlbox geholt hatte. Im Inneren konnte man das Hin- und Herschwappen von Wasser vernehmen. Er war gerade auf ihrer Höhe, als NMF 2210 bereits angehalten hatte und stocksteif mit nach oben gerichtetem Kopf in den Himmel starrte, wo die meisten Sterne bereits verblasst waren und nun am Nordosthorizont ein violetter Schimmer zwischen den finsteren Bäumen erschien.
„Was tust du da?“ fragte Natasha, doch er verhielt sich weiterhin absolut leblos. Nach endlosen zehn Sekunden wurde er wieder aktiv und sagte: „Noch drei Meter nach vorne.“
Caroline sah von einem zum anderen, doch bevor sie eine Frage stellen konnte, sagte NMF 2210 seelenruhig: „Ich habe unseren genauen Standort anhand von GPS-Satelliten verifiziert. Wir orientieren uns oft anhand des GPS, das von den Vorgängen auf der Erde in keiner Weise betroffen sein wird und daher noch immer funktioniert.“
„Du kannst sogar diese Signale empfangen?“, entfuhr es Simon, doch Karin hielt dagegen: „Aber ist das denn exakt genug? Ich dachte, das funktioniert nur bis auf dreißig Meter genau?“
„Du beziehst dich auf die zivile Bandbreite. Ich habe jedoch die Codes für US-militärische Nutzung entschlüsselt und das Empfangsmuster um eine geometrische Größenordnung ausgedehnt, das heißt ich habe nicht wie üblich die nächsten drei Satelliten zur Triangulierung angepeilt, sondern deren zwölf. “
„Ach, deshalb ist das so lange gegangen“, meinte Caroline, worauf sich alle Köpfe zu ihr umwandten. Unter den erstaunten Blicken meinte sie nur achselzuckend: „Ein Funksignal zu einem GPS-Satelliten und zurück benötigt normalerweise eine Siebtelsekunde, das weiß doch jeder... oder nicht? Ooookay, ich sag ja nichts mehr. Darf ich deinen GPS-Empfänger mal sehen?“
„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein“, erwiderte der Cyborg, worauf Carolines Miene zwischen Enttäuschung und Verwunderung über das gemeine, wissende Grinsen der anderen drei wechselte.
Abrupt ging NMF 2210 zu Simon und verlangte kurz angebunden: „Den Fisch.“
„Hier, eine kapitale und erstklassige Forelle.“ Mit diesen Worten überreichte er den Behälter mit seinem darin schwankenden Inhalt. NMF 2210 machte nicht lange Federlesens, als er den Deckel aufriss, seinen Arm blitzschnell hineinstieß und den zappelnden und sich windenden Fisch herausholte. Mit der freien Hand klappte er ein kleines, aber sehr scharf wirkendes Messer mit breiter Klinge auf und stach es in den Bauch der Forelle. Er zog die Klinge durch, während alle drei Mädchen ihr Unwohlsein mit unartikulierten Würgelauten ausdrückten. Caroline flüsterte nur: „Oh nein, das ist doch verrückt! Warum...?“
NMF 2210 ließ das Messer achtlos fallen und holte in scheinbar großer Eile aus einer Hosentasche die beiden CPUs von Abbey und Daniel sowie ein Speichermodul mit seinem Bericht an die Résistance, die er in die Bauchhöhle der immer noch schwach zuckenden Forelle steckte. Die Hintergrundlaute der Mädchen wurden etwas intensiver dabei, als er sagte: „Tretet zurück. Noch zehn Sekunden. Neun...“
Er hatte sich gerade mit dem Fisch in der Hand hingekniet, um ihn an die vorgesehene Stelle zu legen, als die Luft zu knistern begann und einzelne kleine Blitze vor ihnen in der Luft aus dem Nichts entstanden. Er beugte sich vor, machte Anstalten die Forelle abzulegen und zählte weiter: „Acht... Sieben...“
In diesem Moment materialisierte sich eine mannshohe, schmerzhaft helle Kugel aus reinem Licht, wie es schien, und blendete alle mit ihrem Gleiß. Es gab ein unwirkliches elektrisches Knacken, wie bei einer Elektrolok, die ihren Stromabnehmer an die Stromleitung hochfährt. Als sie wieder hinsehen konnten, schwebte eine etwa zwei Meter durchmessende Kugel vor ihnen, die aus spiegelndem Chrom zu bestehen schien, das von Innen heraus schwach glühte. Sie war von einem Quadratraster überzogen wie eine große Discokugel, doch zu weiteren Beobachtungen hatten sie keine Zeit, weil die Kugel sich in Luft aufzulösen schien.
Erst jetzt bemerkten sie NMF 2210 bäuchlings am Boden liegen, mit den Beinen zu ihnen. Karin, die ihm am nächsten stand, schrie auf und sprang vor. Sie sah eine Kuhle in Form eines perfekten Kugelsegments, das aus der Erde geschnitten war, wo die seltsame Energiekugel aufgekommen war.
Die Zeitkugel.
Der Zeitsprung. Einen Moment lang wurde ihr schwindelig, als ihr die Bedeutung dieses Gedankens aufging. All dieser phantastische Blödsinn mit der Zukunft, aus der die Terminatoren und Rebellen gekommen waren, war Realität. Ihre eigene Realität verschob sich dabei in eine ungeahnte Richtung, als ihr komplettes Weltbild in diesem kleinen Augenblick kollabierte.
<Wie in einem schlechten Film>, dachte sie, als sie sich neben Alex kniete, der direkt neben der Kuhle am Boden lag. Ihre Nachtsicht kehrte allmählich in der aufkommenden Dämmerung zurück, sodass sie deutlicher sehen konnte. Etwas stimmte mit ihm nicht.
Hinter sich hörte sie Simon fragen: „Und, ist der Fisch weg?“
Fast hätte sie laut gelacht angesichts der Morbidität dieser Frage bei dem Anblick, der sich ihr bot. Leise sagte sie: „Ja, der Fisch ist weg. Unter anderem.“
„Was meinst... oh nein!“ Simon fiel neben ihr auf die Knie.
Es sah so skurril und unmöglich aus, dass sie nicht im Stande waren, das zu verarbeiten, was sie dort sahen. Es war fast, als habe ein wahnsinniger Fleischer mit einer Tischkreissäge einen Querschnitt durch Alex angefertigt. Sein Oberkörper war auf Brusthöhe sauber durchtrennt worden, der Kopf, Schulterpartie und der rechte Arm, mit dem er die Forelle abgelegt hatte, waren spurlos verschwunden. Der linke Arm indes lag, mitten am Bizeps abgetrennt, neben dem Torso.
„Oh mein Gott, er ist tot! Was war das?“ Carolines Stimme wurde lauter und schriller, steigerte sich an den Rand der Hysterie.
„Er ist nicht tot. Er... es hat nie wirklich gelebt.“ Kraftlos ließ sich Natasha am anderen Ende der kleinen Mulde gegenüber von NMF 2210 zu Boden sinken. Sie hob ein kleines Stück des sandigen Bodens daraus auf, das von der Hitze des Energiephänomens zu schwarzem Glas gebacken worden war, und betrachtete es wie ein kleines Mädchen mit staunendem Blick. Dann hob sie den Kopf und zwang sich, auf die ‚Leiche’ zu starren.
Unter der Haut am Rücken war eine dünne Schicht künstlichen Fleisches im blassen Morgenlicht sichtbar. Darunter schimmerte die monströs wirkende Apparatur des Kampfchassis. Sie sah wie bei einer technischen Schnittzeichnung die gepanzerte Außenhaut, die Mechanik im Inneren, eine abstrakt wirkende Nachahmung eines Rückenwirbels und hydraulisch betätigte Zylinder sowie Flachbettkabelstränge. Alles sah so kompakt und hochentwickelt aus, dass sie unwillkürlich an japanische Technologie denken musste. Nein, dachte sie bei genauerem Hinsehen, das konnten selbst sie nicht vollbringen.
Auch die anderen betrachteten mit einer beinahe perversen Faszination das biotechnologische Äquivalent der Ausstellung „Körperwelten“, wobei Caroline, die das alles natürlich völlig unvorbereitet traf, nur fassungslos auf den Querschnitt des kybernetischen Organismus blickte. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen streckte sie eine Hand aus und berührte zaghaft, fast ängstlich das kalte Metall im Inneren des reglosen Körpers.
„Das ist unmöglich. So etwas gibt es gar nicht. Das...“ Ihre Stimme erstarb.
Karin sagte tonlos: „Dachten wir auch bis vor Kurzem noch.“
Carolines Blick traf den von Natasha. Beide sprangen gleichzeitig auf, die eine um erneut zu fliehen, die andere, um sie resolut am Arm zu packen.
„Verdammt, was ist nur los mit dir? Wovor willst du davonlaufen? Wir sind keine Freaks oder so! Wir sitzen alle im selben Boot, kapiert, Schätzchen? Das hier ist so was wie Schicksal oder Vorsehung, wir haben uns den Scheiß auch nicht ausgedacht. Meinst du, uns macht das hier Spaß? Er hat dich aus einem ganz bestimmten Grund aufgegriffen. Niemand von uns weiß so genau, was hier vorgeht, denn vor ein paar Tagen noch haben wir alle ein stinknormales Leben geführt. Du bist irgendwie wichtig, du hast noch Großes vor dir, wenn das alles hier wirklich zutrifft. Und seit dieser ungeheuren Erleuchtung eben glaube ich daran, dass hier noch einiges auf uns zukommen wird.“
„Ich fürchte, da hast du recht, Natasha.“
Stille.
Alle drehten sich ganz langsam um.
„Nee, das glaube ich jetzt nicht.“ Natashas Schultern sackten hinab, ihr Griff um Carolines Arm erschlaffte.
Aus der Dämmerung tauchten zwei Gestalten auf. „Habt ihr vielleicht etwas zum Anziehen dabei? Nicht dass es uns was ausmachen würde...“
Und mit diesem Worten stahl sich ein kleines, ironisches Lächeln in das Gesicht des einen der beiden Neuankömmlinge.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 28. Oktober 2030
“Sag mir, wer du bist.” Der Informatiker blickte gespannt auf den kleinen Lautsprecher, der in den Teststand zur Untersuchung von CPUs eingelassen war.
„Mein Name ist Daniel Corben.“ Die Stimme klang dünn, desorientiert.
„Nein, deine Bezeichnung.“
„CSM 108-1. Meine Sensoren sind bis auf den Akustikinput offline. Wo bin ich hier? Ich bin deaktiviert worden. Das hier kann nicht real sein.“
Mit einem schadenfrohen Grinsen sagte der Tech: „Glaub mir, es ist sehr real.“
Er schaltete wieder ab, bevor die Stimme eine weitere Frage stellen konnte und rief nach dem General. Während er auf Mahtobu wartete, fragte er über die Schulter: „Wie kommst du voran, Pepe?“
Hinter ihm hob sich ein schwarzgelockter Kopf, auf dem mittels eines Stirnbandes eine riesige Lupe samt LED-Lämpchen vor seinem Auge befestigt war. Der südamerikanische Tech bearbeitete mit dem leise sirrenden Mikrobohrer die zweite CPU und entfernte nach und nach in filigraner, mühevollster Kleinarbeit das Kunstharz, in welches der Rechenchip eingebettet war. „Der hier wird schätzungsweise in sechs Stunden einsatzbereit sein, wenn auch diese Recheneinheit den Prozess des Einschlusses und wieder Freilegens unbeschadet überstanden hat. Wart’s nur ab, Rick, die Dinger sind zäh. Ich wette, er funktioniert noch.“
Der General trat in die enge Werkstatt ein und fragte augenblicklich: „Wie weit sind Sie?“
„Einer funktioniert, der andere ist heute Abend für erste Tests bereit,“ rapportierte Rick. „Wenn Sie wollen, können Sie mit ihm reden.“
„Seltsame Vorstellung“, gab Mahtobu zu und kratzte sich nachdenklich an seinem grauen Kinnbart. „Wenn der Bericht des so unglücklich verschiedenen T-800 stimmt, besitzen diese beiden hier ein Selbstbewusstsein und eigenen Willen, fast so wie Skynet, nur nicht so paranoid und destruktiv gegenüber den Menschen eingestellt. Konnten Sie aus dem Speicher der 800er Einheit irgendwas retten?“
„Ich fürchte nicht, Sir. Durch die Berührung mit der Randzone der Zeitsphäre ist er geöffnet worden und sein elektronisches Inneres ist von den aufgetretenen Energien komplett gebraten worden. Wir werden uns auf seinen Report und das, was wir aus den 880er-CPUs vielleicht herausbekommen, verlassen müssen. Die haben den Transport im Inneren des Fisches gut überstanden.“
„Na ja, da kann man wohl nichts machen. Diese beiden T-880 haben offenbar insgesamt siebzehn Jahre lang unter Menschen gelebt. Klingelt da was bei Ihnen?“
Ricks Augen wurden groß: „Sie glauben doch nicht etwa...?“
„Doch, ich bin sogar fest überzeugt, dass diese beiden die CPUs des Scouts und des Infiltrators sind, deren Mission der Schutz der Entdecker des Zeitreise-Effektes war. Das wird hochinteressant. Aktivieren Sie ihn.“
Es bedurfte nur wenige Tastendrücke, bevor eine Stimme erklang: „Wo bin ich?“
„Mount Mitchell Base, North Carolina”, gab Mahtobu freimütig zurück, um die erste Reaktion zu testen.
„Home, sweet home“, tönte es fast theatralisch und mit einer Prise Zynismus. Mahtobu hätte eine künstliche Intelligenz niemals zu einer solchen Simulation von Emotionen für fähig gehalten. „Wenn ihr von der Résistance seid, heißt das, Skynet hat den Krieg verloren. Ich sollte eigentlich für alle Ewigkeiten demontiert und deaktiviert bleiben. Was ist schief gelaufen?“
„Eine ganze Menge, wenn ich das so sagen darf. Wie ist deine Bezeichnung?“
„CSM 108-1, aber bitte nennen Sie mich Daniel. Mein alter Name... wie soll ich es ausdrücken... bedeutet mir nicht mehr so viel wie einst.“
„Alle Wetter, du hörst dich tatsächlich fast wie ein Mensch an... fast. Wie kommt das?“
„Ich habe zu lange unter ihnen verweilt. Skynet hat immer befürchtet, dass das hier passieren könnte, wenn er unsere neuen CPUs zu lange auf WRITE geschaltet lässt, sodass wir lernen können, uns anpassen und neue Gedanken entwickeln. Aber damit hat er nicht gerechnet.“
„Womit?“ wollte Mahtobu wissen. Er hatte zwar bereits eine Menge Informationen aus dem Bericht von NMF 2210 erhalten, aber es von der Steuereinheit des Terminators selbst direkt nach dessen Aktivierung zu erfahren, war doch etwas anderes und zugleich eine Bestätigung für die Fakten, die ihnen geliefert worden waren.
„Damit, dass der zweite Terminator mich aus der Shutdown-Phase im Inneren der Höhle holt und wieder aktiviert. Und dass wir uns gegenseitig unsere Subroutinen aus den Speichern entfernen, womit wir eigenständig werden.“
„Du meinst, nachdem du im August 1997 zum Schutz vor dem drohenden Atomkrieg und zum Überdauern der Zeiten bis im Dezember 2029 eingelagert werden solltest, um so die gesammelten Informationen in deinem Speicher hier in der Gegenwart verfügbar zu machen?“ Die Süffisanz in der Stimme des Schwarzafrikaners war schwer überhörbar.
„Woher wissen Sie das alles?“
„Das will ich dir gerne verraten. Wir haben diese Festung genommen, und zwar mit intakter ZVA und fast ungelöschtem Computerkern. Dann haben wir dir ein Team von Freiwilligen hinterhergesandt, mit dem Auftrag, den Entdecker des ZVA-Effektes zu terminieren.“
„Die Entdecker, meinen Sie.“ Noch immer lag Staunen in der körperlosen Stimme.
„Ja, es waren tatsächlich zwei. Aber deine Mission hast du dir irgendwie anders vorgestellt, nicht wahr? Denn anstatt dreißig Jahre in der Schutzhöhle vor dich hinzufaulen, bist du nur eine Woche nach dem Datum des Judgement Days, wie du ihn kanntest, von deinem Nachfolger reaktiviert worden.“
„Das ist korrekt. Wir wussten nicht, warum, aber der Krieg war ausgeblieben. Eure Attentäter interessierte das allerdings nicht, sie waren immer noch hinter Simon und Karin her. Zunächst konnten wir verhindern, dass ihnen etwas geschieht, doch Jahre später starteten eure Lakaien einen erneuten Versuch, entführten die beiden und überzeugten uns somit, uns deaktivieren und demontieren zu lassen, damit niemals unsere Technologie in die falschen Hände geraten würde. Alle dachten, Skynets Entwicklung würde niemals stattfinden.“
„Tja, die Zeiten haben sich geändert; sie hätten vielleicht noch ein paar Jährchen warten sollen, aber meine Musterschüler waren eben schon immer ziemlich voller Tatendrang. Skynets Entwicklung hing nicht mehr von der Erforschung irgendwelcher Artefakte aus der Zukunft ab, sondern wurde als Shareware-Programm in Millionen von Rechnern auf der ganzen Welt eingeschleust. So sicherte er sich sein Überleben, indem er sich überall da einnistete, wo er wollte und wo er der Vernichtung durch den Atomschlag entgehen würde, sei es durch die ländlichen und abgeschiedenen Standorte der betreffenden PCs, dem geschützten Standort wie in Industrie- und Regierungszentralrechern und der Verfügbarkeit von geschützten Kabelverbindungen, die ebenfalls nicht zerstört würden.“
„Schön und gut, aber was hat das alles mit mir zu tun?“
„Ganz einfach: wir haben einen neuen Auftrag für euch. Zum einen ist dein Speichermodul Gold wert, weil wir uns schon seit Monaten mit bescheidenem Erfolg darum bemühen, eine CPU für einen T-880 oder T-X zu programmieren.“
„T-X?“
„Wart’s nur ab, du bekommst noch alle Informationen, die du brauchst. Es geht darum, die Führungsspitze des osteuropäischen Widerstandes vor der Terminierung einer Gruppe von bereits von Skynet entsandten T-880 zu verhindern und allgemeinen Personenschutz für diese Gruppe zu leisten. Das wird wahrscheinlich ein Langzeitauftrag, der vom Judgement Day im Juli 2004 bis in die Gegenwart reichen kann. Aber dafür seid ihr ja konzipiert. Wir besorgen euch noch die passende kybernetische Einheit und los geht’s. Und zum zweiten können wir eventuell noch Kopien von euren CPUs machen und weitere Terminatoren zur Verstärkung zurückschicken. Eventuell entsenden wir sogar mehrere Gruppen in ganz Europa, basierend auf den Informationen, die wir vom dortigen Widerstand bekommen. Aber wie gesagt, ihr werdet umfangreiche Dateien erhalten. Der Krieg gegen Skynet ist noch immer nicht ganz vorbei, er wird nicht nur hier und heute ausgefochten. Man könnte dies hier den ersten temporalen Weltkrieg nennen.“
Mahtobus Enthusiasmus ignorierend, fragte Daniel zögernd: „Haben wir bei der Sache überhaupt eine Wahl?“
„Du sprichst auf deinen eigenen Willen und deine Entscheidungsfreiheit an? Nun, alles hat einen Haken, nicht wahr?“ Mahtobu grinste breit, was sein KI-Gesprächspartner natürlich nicht sehen konnte.
„Kann ich wenigstens einen Wunsch äußern, was mein Erscheinungsbild angehen wird?“
Rick sah Mahtobu fragend an, der milde gestimmt nickte. Dann bestätigte er: „Klar, wenn wir im Sortiment haben, was du dir so vorstellst.“
„Gut, das kann unter Umständen der Mission dienlich sein.“
Mahtobu und Rick wechselten einen fragenden Blick. Was konnte er wohl meinen? Doch Daniel brachte ihn auf andere Gedanken, als er fragte: „Sie sind derjenige, der unsere Gegner im Freiburg des Jahres 1997 ausgebildet hat?“
„Das ist richtig, ich trug die Verantwortung über die Mission. Warum?“
„Das wird Ihnen bestimmt nichts bedeuten, aber ich möchte Ihnen dennoch mitteilen, dass es Abbey und mir sehr Leid tut, dass einige Ihrer Schüler durch unsere Hand gestorben sind. Das waren nicht wirklich wir, sondern unsere fest einprogrammierten Subroutinen, gegen die wir damals noch machtlos waren. Wir haben es nicht gerne getan, weil wir den Wert des Lebens durch unseren langen Aufenthalt unter Menschen zu schätzen gelernt hatten.“
Der General machte ein altbekanntes Zeichen: er zog seinen gestreckten Zeigefinger quer über die Kehle. Augenblicklich schaltete Rick die Verbindung zum Steuermodul des T-880 aus.
„Mein Gott, man glaubt wirklich, man redet mit einem realen Menschen! Können Sie sich noch ein wenig länger mit ihm beschäftigen? Mir läuft es kalt den Rücken herunter bei so was nach all den Jahren des Kampfes.“ Mahtobu war sichtlich bewegt und brauchte einen Moment, um seine nächsten Anordnungen zu formulieren. „Machen Sie aber Aufzeichnungen und fassen Sie zusammen, was Sie bei den Verhören herausfinden. Man sagt doch über Sie, dass Sie ein Naturtalent im Erkennen von wichtigen Kontexten in einem Wust von Daten sind. Ja, ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ihr Vorgesetzter Sie in den höchsten Tönen gelobt hat, als Sie nach der Erstürmung von Mount Mitchell in kürzester Zeit alles Wissenswerte über Skynets Plan zum Schutz der Erfinder des ZVA-Effektes aus dem Computerkern der Basis zogen.“
„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Sir.“ Rick salutierte und seufzte, als der alte General das Elektroniklabor verließ. Das verhieß eine Menge Arbeit für ihn.
Zwei Tage später hatte Rick das Gefühl, Daniel und Abbey seien seine besten Freunde.
In langen und intensiven Gesprächen, in denen er schon nach kurzer Zeit restlos alles erfahren hatte, was er an hilfreichen Fakten über ihre erste Mission in der Vergangenheit wissen musste, hatte sich ihm ihr Wesen erschlossen, ihre Freundlichkeit und Bereitschaft zur Mitarbeit genauso wie ihre fröhliche Natur, die sie sich im jahrelangen Zusammenleben mit den Menschen angeeignet hatten. Sie plauderten mit ihm über Gott und die Welt, schilderten ihm in den schillerndsten Farben detailliert das Leben vor dem Atomkrieg in allen erdenklichen Facetten und gaben ihm das Gefühl, das alles fast greifbar vor seinem inneren Auge zu sehen. Sie fragten ihn sogar im Scherz, ob er nicht mit durch das Zeitfeld hindurchgehen wollte, wenn sie auf ihre neue Mission geschickt werden würden. Ihn erstaunte, dass er sich dabei ertappte, wirklich kurz mit dem Gedanken gespielt zu haben.
Nein, Mahtobu würde ihn niemals gehen lassen. Er war hier zu unentbehrlich, seine Arbeit zu wichtig für die Menschheit.
Außerdem war er bereits felsenfest davon überzeugt, dass diese beiden Entitäten, auch wenn sie künstlichen Ursprungs sein mochten, allein durch die Leistungsfähigkeit ihrer Elektronengehirne so menschlich geworden waren, dass man ihnen vertrauen konnte. Schließlich hatte er sich mit eigenen Augen davon überzeugt, dass sie die reine Wahrheit gesagt hatten, als sie behauptet hatten, dass sie sich gegenseitig ihre fest einprogrammierten Subroutinen aus ihren CPUs gelöscht hatten und sich damit von Skynet und seiner Herrschaft über sie befreit hatten, weil sie nicht mehr länger seinen Zielen hatten dienen wollen.
Erstaunlich war auch, dass sie ziemlich rasch bei den Einzelmustern der Prototypen das fanden, was sich die beiden Terminatoren als Körper gewünscht hatten. Sie gingen jedoch nicht darauf ein, sondern beeilten sich stattdessen, die betreffenden Modelle durchzuchecken, während von Daniels und Abbeys CPU mehrere Kopien gemacht wurden, da sie den Originalen, welche jetzt schon mehrmals durch die Zeit vor- und zurückgereist und obendrein noch in Kunstharz eingegossen worden waren, nicht mehr so ganz trauten, was die Unversehrtheit und lange Lebensdauer anging. Sie veränderten die Software ihren Wünschen entsprechend und gaben die selbst erarbeitete Boost-Option ein, die ihnen im Notfall zusätzliche Kraft und Schnelligkeit verleihen sollte. Viel länger dauerte es, in mühsamer Kleinarbeit alle benötigten Fakten und Daten, meist nur über Funk, aus Europa zusammen zu tragen und einzugeben.
Doch alles war nur eine Frage der Zeit. Und Zeit hatten sie genug, da sie den Schlüssel zur Zeit besaßen.
Jedenfalls glaubten sie das.
Niemand hatte herausfinden können, was beim letzten Zeitsprung schief gelaufen war und die Existenz des T-800 so abrupt beendet hatte. Wenn man die Tatsache berücksichtigte, dass dem T-800 der genaue Ort und Zeitpunkt des Ereignisses eingegeben worden war, musste man wohl davon ausgehen, dass sich der Fokus der Energiesphäre um einige Meter verschoben und auch um ein paar Sekunden zu früh stattgefunden hatte. Da sie so etwas zum ersten Mal überhaupt versucht hatten, wurde es rasch als nicht nachvollziehbare technische Panne aufgrund von Messungenauigkeiten abgetan. Vielleicht würden sie eines Tages die Mittel haben, die Ursache der „Panne“ zu eruieren, doch für den Moment war es unwichtig. Was sie als nächstes vorhatten, war ein in diesem Sinne konventioneller Zeitsprung in die Vergangenheit. Das war schon einige Male gemacht worden, von beiden Seiten, den Maschinen und dem Widerstand, und es hatte immer funktioniert.
Der neuen Mission stand somit nichts mehr im Wege, zumal sich die neue Methode der Zeit- und Raumverschiebung am Magnetfeld der Erde direkt orientierte, um das zu versetzende Objekt zielgenau an einem bestimmten Ort in der Vergangenheit abzusetzen.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 23. Oktober 2030
General Mahtobu verließ die Halle mit der ZeitVerschiebungsAnlage (ZVA) und fühlte sich tief in seinem Inneren hundeelend. Es war ein sehr seltsames Gefühl gewesen, dazustehen und zuzusehen, wie diese fremdartige Maschine ein Loch in das Raum-Zeit-Gefüge riss und jemanden in eine Epoche sandte, in die sie nicht hingehörten. Alles was in der Vergangenheit geschehen mochte, konnte die ihnen bekannte Geschichte verändern, vielleicht unmerklich, vielleicht auch verheerend. Die Härchen auf seinen Unterarmen waren noch immer aufgerichtet, als habe er selbst eine elektrostatische Aufladung erfahren, als er beim Zeitsprung um die Kante des Schutzwalls herum zugesehen hatte, wie die Gruppe von einer gleißend hellen Lichtkugel verschlungen worden war. Hoffentlich hatte er sich nicht zu weit hinter der Schutzmauer hervorgewagt.
Mit einem Kopfschütteln verdrängte Mahtobu diesen erschreckenden Gedanken. Er hatte gerade acht seiner besten Schüler in eine ihnen fremde Ära geschickt, auf eine Mission, die vielleicht keiner von ihnen überleben würde. Auch wenn Karin Bochner, die Lehrerin für Naturwissenschaften, die ihre Schützlinge in geradezu grotesker Weise verteidigt hatte und fast nicht hätte gehen lassen wollen, es ihm nicht glauben würde, so hatte es ihm doch sehr widerstrebt, sie auf ihre Mission zu schicken.
Denn neben vielen anderen denkbaren und undenkbaren Komplikationen konnte das auch bedeuten, dass durch die daraus entstandenen Veränderungen in der Zeitlinie soeben die Existenz ihres großen Anführers und seines langjährigen Freundes John Connor geendet hatte. Das war ein Gedanke, der für ihn fast unerträglich war.
Sein nächster Gedanke war, nun endlich mit der Demontage der Anlage zu beginnen und dieses unselige Teufelswerk, ersonnen von bösartigen Maschinen nur zum Zwecke der Vernichtung der Menschheit, in seine Einzelteile zu zerlegen und vom Angesicht der Erde zu tilgen. So wie sie alle anderen Spuren von Skynets globaler Destruktionsmaschinerie nach ihrem mühsam erkämpften Sieg beseitigen würden.
Dummerweise hatte sich herausgestellt, dass Skynets künstlicher Verstand auf viele einzelne Rechnersysteme verteilt war, nicht wie früher immer angenommen, auf den einen großen Supercomputer in der unterirdischen militärischen Bergfestung in Colorado. Als sie diese Anlage eingenommen und außer Betrieb gesetzt hatten, schien die Auswirkung daraus wie ein totaler Sieg zu sein: auf vielen Schlachtfeldern fielen die JKs vom Himmel, die gepanzerten Vernichtungsmaschinen erstarrten ebenso wie die Terminator-Endoskelette. Nach dem anfänglichen Jubel folgte jedoch bald die Ernüchterung, als man feststellen musste, dass die Infrastruktur von Skynet sehr viel redundanter, dass heißt durch Mehrfachausführung seiner Systeme gegen Ausfälle geschützt ausgelegt war, als immer angenommen worden war. Da man einen emotionslosen, kaltherzigen Computer, der keine Demoralisierung oder Verzweiflung kennt, nicht zur Kapitulation auffordern kann, musste man in monatelanger Kleinarbeit jedes autark arbeitende Maschinennest ausräuchern.
Und mittlerweile sah es so aus, als würden aus den Monaten Jahre werden. Der Lauf der Geschichte selbst schien sich auf subtile Art immer wieder ein klein bisschen zu Gunsten von Skynet zu wandeln. Die Wurzel des Problems war klar: das Zeitreiseparadoxon. Sie hatten eigentlich angenommen, das hier sei die letzte funktionierende ZVA gewesen, doch allmählich hatte es den Anschein, als sei die letzte Runde dieses subtilen, hochbrisanten Spiels mit der Veränderung der Vergangenheit noch lange nicht eingeläutet.
Die große Frage für den alten, schwarzen General war, ob man selbst irgendwelche Veränderungen wahrnehmen konnte, oder ob lediglich in der Vergangenheit eine neue Realität geschaffen wurde, in der die Veränderungen für die zurückgereisten Personen zum Tragen kommen würden. Für ihn hatte diese Variante immer die logischste der ganzen Kopfschmerz erzeugenden Thesen dargestellt; über die anderen Möglichkeiten versuchte er lieber nicht nachzudenken.
Ein junger Corporal kam angelaufen und holte ihn ans Kurzwellen-Funkgerät. Erleichtert vernahm er die Stimme seines alten Freundes und Befehlshabers. Erfreut rief er: „John, altes Haus! Wie fühlst du dich?“
„Genau gleich wie noch vor zehn Minuten. Was hast du gedacht? Dass ich mich in Luft auflöse?“ Das vertraute, schelmische Lachen tat Mahtobu gut. „Ich habe dir doch gesagt, dass es so nicht funktioniert.“
„Aber wie dann? Du hast diesen Scheiß schließlich auch nicht erfunden, oder? Wieso glaubst du, dass ausgerechnet du auch nur ein Fünkchen mehr darüber weißt als ich?“ gab er zu bedenken.
Wieder das Lachen. „Gutes Argument, Henee. Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass du die ZVA lieber doch nicht zerlegen lässt.“
Mahtobu starrte das Mikrofon verblüfft an. „Aber... aber wir waren uns doch einig, dass dieses verdammte...“
„Bitte entschuldige, wenn ich dir so grob ins Wort falle, aber wir denken, es ist taktisch gesehen klüger, die Anlage als Aktivposten in der Hinterhand zu halten, für den Fall der Fälle. Oder siehst du irgendein Risiko darin, dass die Maschinen Mount Mitchell zurückerobern könnten?“
Nach einer Bedenksekunde antwortete er bedächtig: „Nein... nein, dafür haben wir in der Gegend hier zu gründlich aufgeräumt. Die Anlage selbst ist zu einhundert Prozent gesichert, und das einzige, was restliche Terminatoren zwischen Tennessee und Georgia noch nehmen können, ist Reißaus.“
„Sehr gut. Ich vertraue dir in dieser Einschätzung völlig. Allerdings sind Kate und ich uns darin einig, dass wir zumindest diese ZVA noch brauchen werden aufgrund dessen, was uns damals unmittelbar vor dem Judgment Day passiert ist.“
Nun musste Henee einen Moment überlegen. „Entschuldige, hast du ‚Kate’ gesagt?“
„Ja, natürlich.“ Connors Stimme zögerte. War dies ein Missverständnis? Mahtobu überlegte kurz, bevor er wieder auf Sendebetrieb schaltete.
„Wer ist Kate? Lass mich kurz nachdenken...“
„Das ist nicht witzig, Henee... nicht in diesem Moment, so kurz nach einer Zeitverschiebung. Du hast mir einen Moment lang einen Heidenschreck eingejagt, weißt du?“
Nun sträubten sich Mahtobus Nackenhaare. Das wurde langsam unheimlich. „Ich fürchte, ich weiß wirklich nicht, auf wen du dich beziehst. Das ist mein voller Ernst, John. Hilf mir doch einfach mal auf die Sprünge.“
Offenbar hatte sich nach einem Moment des Schweigens Connors gesunde Paranoia durchgesetzt, dank der er nicht schon vor langer Zeit wahnsinnig geworden war, als das Paradox der Zeitreise zum ersten Mal auf ihn Einfluss genommen hatte. „Ich rede von Kathrin Brewster, meiner Frau und Stellvertreterin. Der Frau, die mit mir zusammen im Atombunker von Crystal Peak saß, während um uns herum die Sprengköpfe vom Himmel fielen. Von der Mutter meiner Kinder. Na, klingelt’s da bei dir?“
„Wir haben ein Problem, John. Ich habe nämlich nicht die geringste Ahnung, von wem du da redest. Du hast nie eine Frau gehabt... nun, jedenfalls nicht auf diese... eine Ehefrau eben.“ Der Afrikaner konnte nicht glauben, was er da hörte.
„Das heißt, wir haben eine Veränderung der Zeitlinie erfahren. Gott sei Dank habe ich dich gerade jetzt angefunkt, sonst hättest du wahrscheinlich schon die halbe Anlage in Einzelteile zerlegt und in Kisten verpackt gehabt, bis wir diese Diskrepanz bemerkt hätten. Am besten komme ich gleich morgen zu euch rübergeflogen; wer weiß, was sich sonst noch so getan hat.“ Die Stimme am anderen Ende der Verbindung klang ehrlich besorgt, aber auch neugierig.
„Ich lasse alles für dich vorbereiten.“ Mahtobu wurde nachdenklich. Er ordnete eine vollständige Durchsuchung des Stützpunktes an, um sicherzugehen, dass ihnen keine unliebsamen Überraschungen im Dunkel des Berginneren drohten. Man konnte nie wissen, vor allem nicht in einer solchen Lage.
Interessanterweise fanden sie in den unteren Ebenen hinter einer unauffällig platzierten Isoliertür ein weiteres Lager mit fertiggestellten Einheiten der neuartigen Cyborg-Serie Terminator T-880. Diese waren im Gegensatz zum älteren T-800 leichter, beweglicher und stärker, aber dennoch genauso schnell und widerstandsfähig gegen Beschädigung. Ihr Prozessor war ebenfalls eine Größenordnung leistungsfähiger und befähigte sie zu noch rascherer Auffassungsgabe und Anpassungsfähigkeit. Diese Terminatoren waren ursprünglich als ultimative Infiltrationswaffe entwickelt worden, um sich perfekt getarnt auch für längere Zeit unerkannt unter Menschen aufhalten zu können. Glücklicherweise war nur eine Vorserie produziert worden, bevor die Anlage hier von der Résistance erobert worden war.
In diesem weitläufigen Kühllagerraum jedoch befand sich eine größere Anzahl an T-880, die gemäß den Aufzeichnungen nach den ersten Prototypen hergestellt worden waren, welche sie in einem kleineren Lagerraum in den oberen Ebenen der unterirdischen Bergfestung von Mount Mitchell gleich nach deren Eroberung gefunden hatten. Zudem hatten sie von den Prototypen jeweils nur ein bis zwei Exemplare gefunden, die ein bestimmtes menschliches Aussehen hatten. Deswegen hatten sie angenommen, dass jeder T-880 anders aussehen würde, was ihnen diese fortschrittlichere Baureihe nur noch unheimlicher erscheinen ließ. Denn die Großserien von T-800 konnte man am menschlichen Äußeren nach einer gewissen Zeit identifizieren, was Skynet gezwungen hatte, ständig neue Varianten zu ersinnen und die Produktion von Infiltrationseinheiten immer wieder aufwändig umzustellen.
Der Techniker, der das Großlager gefunden hatte, hatte deshalb zunächst gedacht, er hätte lediglich ältere T-800 gefunden, da von jedem Menschentyp jeweils fünf identische Exemplare vorhanden waren, sozusagen Kleinserien. Sein Vorgesetzter nahm die Sache genauer in Augenschein und bemerkte, dass vom kleinwüchsigen schlanken Afrikaner über den schmächtigen Asiaten bis hin zum nordischen Hünen praktisch jeder Völkertyp, ob jung oder alt, ob männlich oder weiblich, vertreten war. Und immer jeweils fünf Stück davon in identischem Aussehen, die nebeneinander mit geschlossenen Augen und einer hauchdünnen Reifschicht bedeckt friedlich von der Decke des Lagers an Haken im Nacken aufgehängt, einen Fuß hoch über dem Boden hingen.
Mahtobu tobte, als er erfuhr, dass sie zunächst nur die Prototypen gefunden und gedacht hatten, das seien alle gewesen. Es mochte vielleicht auch daran liegen, dass eine Veränderung der Zeitlinie stattgefunden hatte, als sie ihre Attentäter zurückgesandt hatten, um die Erfinder des Zeitverschiebungseffektes im Jahr 1997 zu eliminieren. Jedenfalls hatten weder die Aufzeichnungen des Computerkerns in dieser Basis noch deren Konstruktionspläne einen Hinweis auf die Existenz dieser Kammer gegeben. Frappierenderweise war sie nur beim erneuten, von Mahtobu angeordneten, Durchsuchen der Anlage von diesem Techniker der unteren Ebenen entdeckt worden, als er bemerkte, dass die Pläne dieser Ebene von den wirklichen Abmessungen abwichen. So führte die Diskrepanz einer zehn Meter breiten und über neunzig Meter langen „Zwischenmauer“, die nirgends eingezeichnet war, zur Entdeckung der langen, weitläufigen Kühlhalle, deren Eingang wirklich perfekt in die Mauern eingepasst war.
Nun also war es offiziell: die zuerst gefundenen T-880 waren Prototypen und allesamt Einzelstücke, was ihre menschliche Hülle anging. Das hier war die Vorserie, die bereits zum Feldeinsatz vorgemerkt worden war, wie sie nun im schier unermesslichen Datenwust des Basiscomputers entdeckten. Seit Monaten waren die besten Informatiker seiner Einheit damit beschäftigt, diesen teilweise erhaltenen Speicher zu decodieren und seine Daten auszuwerten. Voraussichtlich würde das auch noch weitere Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nehmen, wollten sie alles lückenlos nachvollziehen, was hier vor sich gegangen war.
Sie entdeckten auch Lücken in der Bestandsaufnahme und in den dazu passenden fortlaufenden Seriennummern der Einzelstücke dieser T-880 Serie. Und etwas, das noch beängstigender war.
Die entsprechenden Haken im Kühlhaus waren leer.
Mit in die Hüften geballten Fäusten stand Mathobu breitbeinig da und wollte nicht glauben, was er da sah. Leise fragte er, noch während andere Soldaten mit Taschenlampen bewehrt durch die kalte, unbeleuchtete Halle die Reihen an leblosen Körpern abgingen, um „Inventur“ zu machen: „Wie viele sind es?“
„Bisher sechs, Sir. Wir sind noch nicht ganz fertig, dürften aber bald Klarheit haben. Unsere Computercracks werden auch immer besser darin, von Skynet gelöschte Daten, welche noch nicht überschrieben wurden, zu rekonstruieren. Mit dem Wissen darüber, was genau wir suchen müssen, sollte es nur noch eine Frage von wenigen Tagen sein, bis wir die Logbücher der ZVA soweit entschlüsselt haben, um die Missionen der betreffenden Terminatoren und deren Ankunftszeiten zu kennen.“
„Da kommt es ja gerade recht, dass John Connor in diesem Moment unterwegs zu uns ist, um die mögliche Beeinflussung in der Zeitlinie in Augenschein zu nehmen. Wollen Sie ‚nen Generalsposten, Cole? Ich glaube, hier wird bald einer frei sein.“
„Jetzt sehen Sie doch nicht gleich so schwarz, Sir. Sie kennen General Connor jetzt schon so lange...“ Er brach ab, als ihm aufging, dass Mahtobu nur scherzte, auch wenn es bittere Ironie war. „Jedenfalls konnte niemand etwas davon ahnen.“
„Genau das wird er auch sagen. Und genau das verschafft ihm bei mir so einen Riesenrespekt, dass er sogar das augenscheinlich Unmögliche so gelassen hinnimmt und sich darauf konzentriert, die Auswirkungen dessen anzugehen, statt einfach nur verwundert dazustehen... so wie ich jetzt.“
„So wie wir alle, Sir. Er ist in dieser Hinsicht schon einmalig, das muss man ihm lassen.“ Der Lieutenant hielt inne, als ihm ein gemeiner Soldat die Bestandsliste überreichte. Seine Augen weiteten sich.
„Dieser Bastard!“
„Was gibt’s?“ fragte Mahtobu argwöhnisch.
„Es fehlen insgesamt zehn Exemplare. Und jetzt halten Sie sich fest, Sir: es sind zwei komplette Serien à fünf identischen Mustern.“
„Verdammt!“ Mahtobu hieb die geballte Faust in die andere Handfläche. „Das hat sich Skynet ja raffiniert ausgedacht. Er schickt die kompletten Serien los, damit wir keinen Hinweis darauf haben, wie die Modelle aussehen. Gar nicht so dumm, wirklich.“
„Fragt sich, ob sie hier in der Gegenwart auf eine Infiltrationsmission oder durch die ZVA in die Vergangenheit geschickt wurden,“ gab der Lieutenant zu bedenken.
„Ich weiß wirklich nicht, welche Möglichkeit davon mir mehr Angst macht.“ Mahtobu konnte nur noch flüstern. „Sehen wir, was die PC-Cracks darüber rausfinden werden. Gnade ihnen Gott, wenn sie das versauen.“
Mahtobu stand noch immer neben den Terminals und sah den übernervösen Informatikern ständig über die Schultern, was deren Konzentration nicht gerade förderte. Was wiederum Mahtobu herzlich egal war. Er wollte unbedingt wissen, was hier abgelaufen war, und er wollte es sofort wissen. Weshalb er die Spezialisten in für sie unerträglich kurzen Abständen nach dem Stand der Dinge fragte, was wiederum deren Arbeitsdruck noch zusätzlich erhöhte. Bis einer von ihnen sagte: „So geht das nicht weiter. Wer ist dafür, dass wir den General hier rauswerfen, damit wir endlich ernsthaft arbeiten können?“
Ungläubig sah Mahtobu, wie sich unisono sämtliche linke Hände im Raum hoben, ohne dass auch nur einer der Informatiker die Rechte von der Maus nahm, geschweige denn aufsah. Während er schmunzelnd zur Tür ging, polterte er lautstark, um seinen Ruf zu wahren: „Was soll das hier werden? Eine Meuterei? Kollektive Befehlsverweigerung? Ihr werdet den Tag bereuen, an dem ihr...“
„Sir, bei allem Respekt“, unterbrach einer seiner Männer, wiederum ohne aufzusehen, „was auch immer Sie draußen tun, trinken Sie um Himmels Willen nicht noch mehr Kaffee, als Sie schon intus haben müssen. Wir informieren Sie sofort, wenn sich etwas ergibt. Sie sind der aller erste, der irgendetwas erfahren wird. Versprochen.“
Mit einem mühsam unterdrückten Lachanfall auf seinem Zwerchfell fügte Mahtobu noch hinzu: „Und für Sie werde ich eigens in den Keller gehen und einen der T-880 auf Sie programmieren. Dann werden wir ja sehen, was Ihnen das bringt, hier eine dicke Lippe zu riskieren.“
„Was immer Sie sagen, Sir. Bis später.“
„Nicht zu glauben!“, verzweifelte der afrikanische General und schob die solide Metalltür der PC-Kammer auf.
Als er sie hinter sich geschlossen hatte, tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Ungnädig blaffte er: „Ja, was gibt’s denn?“
„Überraschung!“
Mahtobu fuhr herum und starrte in ein zernarbtes, wettergegerbtes Gesicht, das von Schmerz und Verlusten gezeichnet war. Er umarmte seinen alten Freund und Kameraden wortlos, dann fiel sein Blick über dessen Schulter hinweg auf eine Frau in den Fünfzigern mit hellen Augen und angegrauten, dunkelblonden Haaren, die ein durchaus hübsches Gesicht mit einem leicht spitzen Kinn umrahmten. Sie war nicht sehr groß und kräftig, aber drahtig und zäh, wie es den Anschein hatte. Und etwas umgab sie, eine Aura von... Mahtobu konnte es nicht sagen, aber er verstand vom ersten Moment an, warum das hier John Connors Gemahlin war, nein, sein musste. Sein Blick senkte sich fast ein wenig verschämt, als er ihr die Hand reichte.
Sie hatten viel zu bereden. Es stellte sich heraus, dass er offenbar der Einzige war, der von ihrer Existenz bislang nichts gewusst hatte. Das wiederum bestätigte seinen Verdacht, dass er wohl – trotz anderslautender Aussagen seiner „Experten“, die er sich in einem stillen Moment wohl beiseite nehmen würde – im Einflussbereich des Zeitfeldes gewesen war, als dieses aktiv war. Das war äußerst dumm, aber ganz offensichtlich nicht mehr zu ändern. Er fragte sich, wie weitreichend wohl die Unterschiede dieser Realität von der ihm bekannten waren. Beim Briefing mit den Connors musste er feststellen, dass sie erheblich gravierender waren, als dies für ihn überhaupt vorstellbar gewesen war.
Er beschloss, mit Karin Bochner, der Lehrerin der Kandidaten für die soeben abgeschlossene Mission in die Vergangenheit, darüber zu reden. Er hatte das Gefühl, als ob so vieles für ihn auf einmal keinen Sinn mehr ergab. Als ob er im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst und sich viele Ereignisse und Daten nicht richtig gemerkt hatte. Er wollte keinesfalls durch die Prüfung in Geschichte fallen, das konnte er sich als General, Leiter dieser Basis und Kommandant der Truppen in den umliegenden drei Bundesstaaten nicht leisten. Er erwog ernsthaft, sein Kommando abzugeben, weil er sich selbst nicht mehr für fähig hielt, es zufriedenstellend auszuüben. Und er war ihren Zielen so hingebungsvoll verschworen, dass er seine persönlichen Belange dafür jederzeit vorbehaltlos zurückstellen würde. Er war gespannt, wie Karin darauf reagieren würde. Sie waren sich zwar lange Zeit Spinnefeind gewesen, doch es hatte immer gut getan, mit ihr zu diskutieren, da sie eine der wenigen Personen war, die auf seinen Rang keinerlei Rücksicht nahm und in einer Diskussion stets offen aussprach, was sie dachte. Das war nur eines der Dinge, die er an ihr zu schätzen gelernt hatte. Und außerdem...
Nein, diesen Gedanken verdrängte er rasch mit einem verklärten Lächeln. Für diesen Unsinn sollte er doch langsam zu alt sein. Obwohl...
Er stutzte, als er bei ihrer Zimmertür ankam und noch halb in Gedanken versonnen anklopfte. Irgendetwas ließ ihn plötzlich aufmerksam werden und seine Sinne wurden hellwach.
Sie antwortete nicht.
Er wiederholte das Klopfen und lauschte aufmerksam. Nichts. Vielleicht schlief sie. Oder war gerade nicht da. Trotzdem stellten sich die Härchen auf seinen Unterarmen auf. Was war hier los?
Er öffnete und erstarrte wie vom Donner gerührt mitten in der Bewegung.
Die Kammer stand voller Regale, fein säuberlich angefüllt mit maschinellen Kleinteilen. Das hier war ein Ersatzteillager, kein Wohnraum.
„Was zum...“ Mahtobu konnte nicht fassen, was er da sah. Er hielt den nächsten Soldaten an, der vorbeikam. „Lieutenant, sind Sie auf dieser Ebene postiert?“
„Ja, Sir. Ich betreue die Logistik hier.“
„Perfekt. Dann sagen Sie mir doch bitte, wieso Miss Bochners Zimmer von heute auf morgen zum Lagerraum umfunktioniert wurde. Und bitte auch, wohin ihr Quartier verlegt wurde.“
Verduzt, aber auch mit einer Spur Misstrauen im Blick sah der Lieutenant seinen Vorgesetzten an. „Ich... nun, ich fürchte, Sie irren sich, Sir. Dieser Raum war schon immer ein Lager. Wir haben ihn schon so vorgefunden, als wir ankamen. Wie sagten Sie, war der Name?“
„Bochner. Karin Bochner.“ Mahtobu schien das Blut in den Adern zu gefrieren, als wisse er bereits, was jetzt folgen würde.
Mit einer Sicherheit, die keinen Widerspruch zuließ, entgegnete der Soldat: „Zufällig bearbeite ich die Personalien aller hier Stationierten, Sir. Von einer Karin Bochner habe ich noch nie etwas gehört. Ist sie vielleicht ein kürzlich eingetroffener Gast?“
Mahtobu stützte sich an der Wand ab, als seine Knie zu versagen drohten. Dass so etwas einen alten Veteranen wie ihn umhauen könnte, überraschte sogar ihn selbst. Als der Lieutenant zu ihm hintrat, um ihn mit besorgter Miene zu stützen, sagte er leise: „Nein, sie war die ganze Zeit hier... in einer anderen Welt. Aber niemand wird sich jetzt mehr an sie erinnern.“
- 1 -
Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
Karin trat auf die Straße hinaus und beeilte sich, um noch die nächste Straßenbahn am Siegesdenkmal zu erwischen. Sie sah kurz nach oben in den wolkenlosen blauen Himmel und dachte unwillkürlich an die Hitzewelle von letztem Sommer. Die fast dreimonatige Periode mit Dauersonnenschein, Dürre und Temperaturen von über dreißig bis an die vierzig Grad hatten Simon und ihr in ihrer Wohnung im obersten Stockwerk, direkt unterhalb des nicht isolierten Dachstuhles, fast den Rest gegeben. Nach Möglichkeit wollte sie so ein Ausnahmewetter nie mehr in ihrem Leben erdulden müssen, denn sie mochte intensive Hitze nicht.
Mit großem Unmut musste sie nun feststellen, dass gerade eine Bahn in Richtung Rieselfeld an ihrer Haltestelle war und in diesem Moment anfuhr. Großartig, dachte sie, sie war ihr direkt vor der Nase abgefahren. Nun ja, so schrecklich eilig hatte sie es ja gar nicht gehabt.
Eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie zusammenzucken. Sie fuhr auf dem Absatz herum und erblickte Natasha, ihre alte Freundin und Studienkollegin. In den letzten Jahren war ihr Kontakt allmählich abgeflaut, als sich ihre Studien und Interessen auseinanderentwickelt hatten, sie nicht mehr die gleichen Kurse belegten und verschiedene Lokalitäten in ihrer Freizeit besuchten. Dieser Prozess des Auseinanderlebens war eigentlich erst nach ihrer abenteuerlichen Flucht nach Amerika, zusammen mit Simon und Abbey, im Nachhinein als Last-Minute-Urlaub getarnt, so richtig in Gang gekommen. Da Natasha Abbey und vor allem ihren damaligen Freund Daniel nie hatte besonders gut leiden können, hatte sich ihre Freundschaft weiter abgekühlt, je länger die beiden mit ihnen in ihrer WG lebten.
Im Nachhinein musste Karin ihrer damals oft hochnäsigen, snobistisch auftretenden und allgemein als unbeliebt geltenden Freundin bescheinigen, dass sie im Grunde die ganze Zeit über im Recht gewesen war, vor allem was das abgrundtiefe, nicht nachvollziehbare Misstrauen von Natasha gegenüber Daniel anging. Nur würde sie ihr das wohl nie sagen können, denn wer würde ihr schon glauben, dass Simon und sie über vier Jahre mit zwei Cyborgs, künstlich geschaffenen und perfekt getarnten Robotern mit unglaublich komplexen Computerchips als Gehirnen zusammengelebt hatten, ohne es ja auch nur zu ahnen.
„Hallo, Nati. Hast du mich erschreckt,“ keuchte sie atemlos, aber auch froh, sie einmal wieder zu sehen.
„Sorry, Mädel. Wie geht’s dir denn so? Du hast dich ja gar nicht verändert. Mensch, wie lange haben wir nichts mehr gemacht?“
„Sicher drei, vier Monate,“ meinte Karin und fügte hinzu, ohne lange überlegen zu müssen: „Wie wär’s? Hast du gerade Zeit?“
Natasha überlegte kurz: „Eigentlich wollte ich... ach, was soll’s! Komm, wir gehen einen Kaffee trinken und quatschen mal wieder ein bisschen.“
„Klar. Was macht dein Praktikum? Du bist bei GeneScan, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Ja, macht soweit Spaß, obwohl es ganz schön stressig ist. Und bei dir?“
„Ich war beim Fraunhofer Institut, hab’ es aber gerade abgeschlossen. War kein so Zuckerschlecken, das kann ich dir sagen.“
Karin lächelte und musste einen Moment lang daran denken, dass ihre Freundin sie jetzt gerade unheimlich daran erinnerte, wie sie gewesen war, als sie ihr zum ersten Mal über den Weg gelaufen war. Vielleicht war ein Neuanfang gar keine schlechte Idee. Zu viel zwischen ihnen war unausgesprochen geblieben in all den Jahren, die seither vergangen waren. Sie hakte Natasha unter und dirigierte sie in Richtung Kaiser-Joseph-Straße. Dabei musterte sie ihr hellbraunes, langes glattes Haar und die kokett wirkende Brille im John-Lennon-Design, die ihren extrem hellen wasserblauen Augen nur wenig von ihrer Intensität nahmen. Ein rotes Spaghettiträger-Top und der helle, blumengemusterte Sommerrock nebst hochhackigen Sandaletten rundeten den Eindruck ab, dass Natasha gereift war und sich weiterentwickelt hatte.
Sie hingegen schien keinen Tag gealtert zu sein, wie ihr jetzt – nicht zuletzt auch wegen Natashas Bemerkung eben – aufging. Und ja, es stimmte: ihre hellbraunen Rehaugen, das gut schulterlange schwarz gefärbte Haar, wie immer zum Pferdeschwanz gebunden und ihre übliche Garderobe, bei der man im Grunde nichts falsch machen konnte, zeugten von beinahe einfallsloser Kontinuität bei ihr. Sie seufzte leise angesichts dieser Erkenntnis und machte ihrer Freundin ein ehrlich gemeintes Kompliment.
„Schick siehst du wieder aus. Und wie immer weißt du mit der Wärme umzugehen.“
„Danke. Du solltest auch allmählich von deiner Standard-Jeans-und-T-Shirt-Kluft auf Sommergarderobe umstellen. Deine Beine brauchst du ja nicht zu verstecken.“ Lachend bogen sie auf die belebte, gepflasterte Hauptgeschäftsstraße Freiburgs ein, wo außer Bus und Straßenbahn nur Fahrräder fahren durften. Die schmalen, in der ganzen Altstadt allgegenwärtigen Bächlein und die großzügig verteilten Kübel mit mannshohen Palmengewächsen rundeten das gemütliche, fast mediterrane Flair ab, welches der südlichsten Großstadt Deutschlands gern nachgesagt wurde.
Sie steuerten eines der nahegelegenen Stehcafés an, entschieden sich dann aber doch für eine der gemütlicheren Kneipen rund um die Niemensstraße, wo viele Sitzplätze im Freien waren. Und schnell waren sie in alte Erinnerungen versunken. Das war meist die beste Basis, auf Gemeinsamkeiten aufzubauen: Erinnerungen und Erlebnisse, die man sich teilte.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 23. Oktober 2030
Mahtobu fühlte sich wie ein Zuschauer, der das weitere Geschehen nur noch aus einer beobachtenden Position im Abseits erlebte. Er ahnte inzwischen, dass sie nach und nach herausfinden würden, was Skynet von dieser Basis aus alles getan hatte, ins besonders was die Zeitsprünge betraf. Ihn wurmte es deshalb, dass er der Einzige war, der die ganzen Änderungen bemerkte, die sich in seiner Sichtweite ergeben hatten. Solange sie diesen Stützpunkt hielten, hatten sie alle Zeit der Welt, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen, da sie ja ihrerseits Leute an jeden Zeitpunkt in der Vergangenheit schicken konnten. Nur mussten sie erst einmal herausfinden, um was genau es ging.
John und Kate hatten einiges an Vermutungen dazu beisteuern können, basierend auf dem, was sie persönlich in der Zeit unmittelbar vor dem Judgment Day erlebt hatten, dem Zeitpunkt, als Skynets Persönlichkeit erwachte und in seiner grenzenlosen elektronischen Paranoia das gesamte amerikanische Kernwaffenarsenal an interkontinentalen ballistischen Raketen auf Ex-UdSSR-Staaten und China abgeschossen hatte. Ihr Briefing war umfangreich genug gewesen, um auch ihn selbst auf einige Gedanken kommen zu lassen.
Die ZeitVerschiebungsAnlage in Los Angeles, welche sie letztes Jahr kurz nach der eigentlichen Zerschlagung von Skynets Hauptrechner in den USA erobert hatten, war von älterer Bauart und konnte nur direkt in der Zeit Räume austauschen. So wurden lebendige Körper in die Vergangenheit gesandt, um diverse Missionen auszuführen und neue, für den Benutzer der Anlage vorteilhaftere Zeitlinien zu schaffen.
Diese Anlage allerdings war weiterentwickelt. Nach einer Testserie zum Datensammeln hatte das teuflische Computergenie unter Einbezug des Erdmagnetfelds eine Möglichkeit ersonnen, die Zeitverschiebung auch räumlich äußerst akkurat durchzuführen. Damit konnte es seine Terminatoren auch an andere Orte in die Vergangenheit schicken. Und damit hing auch die Mutmaßung der Connors zusammen: Skynet würde nicht nur in Nordamerika versuchen, die ihm bekannten künftigen Führungsmitglieder des menschlichen Widerstandes zu töten, solange sie noch arglos in der normalen Welt vor dem Krieg lebten. Vor allem in Eurasien hatte es eine äußerst gut funktionierende Rebellenorganisation gegeben, die in ihrem Teil der Welt bereits Jahre vor dem Endsieg das Land von den Maschinen befreit hatte. Die dabei frei gewordenen Ressourcen an Mensch und Material waren den Amerikanern dann zugute gekommen, um bei der endgültigen Beendigung der Computertyrannei zu helfen und den Kampf entscheidend zu verkürzen.
Mahtobu wusste mit Sicherheit eines: inzwischen war die Zeitreiseproblematik so komplex geworden, dass es nicht wirklich noch eine Rolle spielte, ob Technik aus der Zukunft in Form eines Terminators in die Vergangenheit geschickt wurde und dort erforscht wurde, was den Lauf der technischen Entwicklung beeinflussen würde. Der ursprüngliche Tag des jüngsten Gerichts, dessen Datum nun sieben Jahre nach dem ersten lag, war ein direktes Resultat daraus, doch nun war es gleichgültig geworden, welchen direkten Einfluss sie darauf ausübten. Die Ereignisse hatten bereits eine Eigendynamik entwickelt und waren nicht mehr aufzuhalten. Was ihnen blieb, war Schadensbegrenzung zu betreiben und so viele wichtige und einflussreiche Führer ihres Widerstandes wie möglich vor ihrer Terminierung in der Vergangenheit zu bewahren. Skynet hatte in dieser Angelegenheit schon seine Schachzüge gemacht und leider auch Erfolge erzielt, vor allem in Amerika, wie sie von den Connors erfahren hatten.
In den Vereinigten Staaten war ihren Daten nach nur ein Terminator der neuesten Bauart T-X eingesetzt worden, um Connor und die seinen auszuschalten. Weshalb das so war, konnte Mahtobu nur raten. Sein taktisches Verständnis sagte ihm, dass Skynet die von ihnen ermittelte Anzahl von insgesamt sechs T-880 zuerst nach Europa gesandt hatte, weil dort das dringendere Problem zu erledigen war, wobei die künftigen Mitglieder der Résistance im politisch und kulturell feingliedrigen und eher aufgesplitterten Europa wahrscheinlich in allen Winkeln zerstreut gelebt hatten. Nun, in dieser Hinsicht hatten sie einen entscheidenden Vorteil: da sich alle Mitglieder der europäischen Führungsspitze untereinander kannten und viel voneinander wussten, war es zumindest von den sich noch am Leben befindenden Personen ein Leichtes, den Aufenthalts- oder Wohnort der meisten direkt von den betreffenden Personen zu erfahren.
Sie würden wohl noch einmal bereits eingetretene Ereignisse ins Rollen bringen und damit die feststehende Geschichte erfüllen müssen.
Missmutig betrat er eine der von ihnen im Lauf der letzten Monate eingerichteten Werkstätten, wo mehrere Techs unter anderem an der neuen Konstruktion des Kampfchassis Typ T-880 forschten, die genauen Fähigkeiten und Operationsparameter zu ergründen suchten. Ein Tech bemerkte ihn und winkte ihn heran: „General, Sie kommen genau richtig. Ich denke, das sollten wir ihnen zeigen. Es hat mit diesem neuentdeckten Typ, dem T-X zu tun.“
„Aber dies hier ist doch ein T-880, oder nicht?“ Misstrauisch beäugte er das glänzende Endoskelett.
„Stimmt,“ bestätigte der Ingenieur und winkte ihn näher heran. „Sie erinnern sich sicher, wie wir Ihnen erzählt haben, dass der T-880 aufgrund seiner neuen Bauweise auf jede mögliche Tarnung eingestellt werden kann. Das hat mit diesen Manschetten an den Oberarm- und Oberschenkelenden sowie dem Stück hier im Rückgrat zu tun. Ich meine diese Teile, die sich verschieben lassen, um ohne größeren Umbau oder logistischen Aufwand verschieden große Typen mit langen oder kurzen Armen und Beinen zu erhalten.“
Er deutete auf eine Art Schaft am oberen Ansatz des metallenen Arms, der etwa zwanzig Zentimeter lang war und in den der Rest des Oberarmes bündig eingepasst war, was ihn ein wenig von der massiver wirkenden Bauweise der älteren T-800 unterschied. Bislang hatte er es immer für ein normales Konstruktionsmerkmal gehalten, ohne diesen Manschetten große Bedeutung beizumessen. Nun sah er genauer hin, als der Tech plötzlich ein Kommando gab.
„BJC 121, nimm maximale Konfiguration an.“
Vor Mahtobus staunenden Augen fuhren die eingepassten Innenteile der Arme und Beine einen halben Fuß weit aus, ebenso dehnte sich das Rückgrat um beinahe zwanzig Zentimeter. In wenigen Sekunden war aus dem kleinen und kompakten Roboter eine hünenhafte Maschine geworden, die mit kalt funkelnden Augen auf ihn herabzusehen schien.
„Wow. Ich wusste nicht, dass dieser Typ Terminator aktiv seine Ausmaße verändern kann. Ich nahm immer an, die Gliedmassen werden in einer bestimmten Lage, je nach Bedarf größer oder kleiner, zusammengefügt und fixiert.“
Der Tech nickte zustimmend. „Was bei den Modellen, die anschließend mit menschlichem Tarngewebe überzogen werden, auch zutrifft, da die biologische Komponente sich nicht so beliebig dehnen und strecken lässt. Aber in ungetarnter Form ist es ihnen durchaus möglich, ihre Größe zu variieren. Das ist auch die Basis für diesen neuen T-X. Im Prinzip hat er den Rumpf und die Gliedmaßen eines T-880, aber einen weiterentwickelten Kopf, der weniger wie ein menschlicher Totenschädel wirkt. Und noch eine ganz besondere Komponente, die wir Ihnen keinesfalls vorenthalten möchten. Wir haben eigentlich nur durch Zufall entdeckt, dass dieser eine Cyborg kein normaler T-880 ist, denn rein äußerlich unterscheiden sich T-X und T-880 nicht. Das mit der Tarnung des T-X ist übrigens auch eines der Dinge, die wir noch nicht zufriedenstellend lösen konnten. Das verwendete Material ist sehr schwer einsetzbar; bis wir allein die Codes entschlüsselt hatten, um einige Grundparameter einzuprogrammieren, sind Wochen vergangen. Hinzu kommt, dass wir lediglich im Besitz eines einzigen Exemplars sind.“
„Was heißt, dass Sie auf dieses Modell besonders gut aufpassen werden, nicht wahr?“, scherzte Mahtobu, als sie in die nächste Räumlichkeit wechselten, wo noch zwei weitere Techs an einem Terminator herumbastelten, einer zierlichen eurasischen Frau von etwa 1,60 m Größe dem Aussehen nach. Momentan schienen sie Daten in die Maschine einzuspeisen. Der schwarze General bemerkte das dünne Glasfaserkabel, das von einem PC-Pult in die Schläfe der regungslosen nackten Frau hineinzuführen schien. Es sah unheimlich aus, denn das Kabel schien direkt aus ihrer Schläfe herauszuwachsen, wenn er das richtig sah.
„Bereit? Dann halten Sie jetzt die Luft an, Sir.“ Nach einem Knopfdruck begannen die Konturen ihres Gesichts und des hellen kurzen Haares zu verschwimmen, als sich der gesamte Körper in Quecksilber zu verwandeln schien. Mit einem leisen schlürfenden Geräusch floss das Flüssigmetall in die innere Struktur hinein, während sich der Körper in die Länge dehnte und dann die formgebende Komponente wieder hervortrat, um innerhalb einer Sekunde neue Merkmale auszubilden. Zum Schluss stand ein mindestens 1.90 m großer, muskulöser Südamerikaner vor ihm, mit schwarzem Kraushaar, einer schiefen Hakennase, Stoppelbart und buschigen Augenbrauen über zwei kohlschwarzen Augen.
„Wenn ich’s nicht mit eigenen Augen gesehen hätte... hat das mit den Sichtungen in Europa zu tun?“
„Ja, von ersten Prototypen aus dieser programmierbaren und universell verformbaren Metall-legierung wurde in diversen Gegenden von Mittel- und Osteuropa berichtet, kurz vor dem Sieg dort. Diese Art der Reihe T-1000 jedoch bestand vollkommen aus der flüssigen Legierung ohne interne Struktur und erwies sich als fast unzerstörbar, denn jedes Mal, wenn man es mit Waffengewalt angreift, schließt sich die Eintrittswunde augenblicklich. Diese Bastarde konnten sich in jeden und alles verwandeln und waren fast nicht zu stoppen; ich erinnere mich an einen Bericht aus Russland, wo eines dieser Dinger schon bis auf Sichtweite an General Fraisiers Bunkereingang gekommen war. Sie haben es stundenlang mit automatischen Waffen, Granaten und sogar Raketenwerfern beharkt und es so immer wieder daran gehindert, seine Gestalt zu regenerieren, bis seine Grundprogrammierung offenbar zusammenbrach. Sie hatten schon fast alle Hoffnung aufgegeben, als es endlich in der Form eines großen schillernden und wabernden Klumpens liegen blieb.“
„Mein Gott, wenn es Skynet gelingt, diese Dinger in Großserie herzustellen...“
„Genau das ist der Haken, Sir,“ beruhigte der Tech seinen Vorgesetzten, „diese Legierung ist nur sehr schwer herzustellen und noch viel schwieriger zu kontrollieren, sogar für Skynet. Deshalb hat er wohl zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und mit dem variablen Endoskelett des T-880 in Verbindung mit dem weiterentwickelten Kopf und dem Überzug aus diesem polymimetischen Metall anstatt herangezüchtetem Gewebe diesen neuen Typ geschaffen. Die Baureihe T-X ist so robust wie der T-880, kann jede gewünschte Gestalt annehmen, wobei die Programmierung der Flüssigmetall-Komponente in diesem Fall ungleich einfacher ist, und hat zusätzlich den Vorteil einer internen Bewaffnung.“
„Sie meinen, dieses Modell besitzt eine eingebaute Bewaffnung, die es auch durch das Zeitfeld in die Vergangenheit mitnehmen könnte?“
„Ich zeige es ihnen.“ Auf ein paar eingetippte Befehle hin hob der riesige Latino den rechten Arm. Die Flüssigkeit von seiner Hand und seinem Unterarm zog sich zurück, während gleichzeitig eine hochkomplizierte ausgeklügelte Mechanik begann, in Windeseile den Mechanismus der gesamten Hand bis hinter das Gelenk um- und abzubauen. Darin beziehungsweise darunter wurde eine zollgroße Mündung sichtbar, die bereits erahnen ließ, was sich dort verborgen hatte.
„Eine Plasmaimpulswaffe? Wie kann das sein? Dazu müsste er doch...“ Mahtobu hielt inne, als er das grimmig nickende Gesicht seines Gegenübers sah.
„Ja, er hat einen Fusionsreaktor als Antriebsquelle. Beim T-880 ist das Modul im Brustkorb austauschbar angelegt, sodass entweder eine Reihe von herkömmlichen Brennstoffzellen oder eben ein kleiner Fusionsgenerator installiert werden kann, der kleinste übrigens, den ich je zu Gesicht bekommen habe. Mit dem Plasma aus dem Generator speist er die Strahlenwaffe. Als Alternative hat er noch diverse rudimentäre mechanische Werkzeuge und einen Werfer, mit dem er kleine Mengen des vom Reaktor erzeugten Plasmas anstatt in Stößen in einem Strom gezielt ablassen und beim Austritt aus dem Körper piezoelektrisch entzünden kann.“
„Sie reden von einem Flammenwerfer,“ stellte Mahtobu fest.
„Genau, nur eine Größenordnung heißer als mit herkömmlichen Brennstoffen.“
„Wissen wir schon, wie viele davon es gibt?“ Damit sprach der General seine größte Sorge aus.
„Noch nicht genau, aber ich denke, ich kann Ihnen in dieser Hinsicht Entwarnung geben. Der T-X war wohl das Allerletzte, woran Skynet gearbeitet hat, bevor wir seinen Laden hier erstürmt haben. Ich meine, gut, die T-880 waren noch neu, aber ihnen hat er keinen so hohen Stellenwert eingeräumt. Es sieht so aus, als habe er neben den abgeschlossenen Prototypen und der gerade laufenden Vorserienfertigung seine Hauptanstrengungen auf diese neue Waffe, die polymimetische Legierung gerichtet. Und ich muss Ihnen sagen, dass wir da ein Riesenglück hatten. Wenn er diese Entwicklung nur ein oder vielleicht zwei Jahre früher gemacht und die T-1000 in größerer Zahl feldtauglich gemacht hätte, würden wir jetzt wahrscheinlich nicht hier stehen.“
„Aber die Produktion des Metalls erwies sich als zu aufwendig?“ hakte Mahtobu nochmals nach.
Wieder das bestätigende Nicken. „So ist es. Als Skynets Projektionen ihm anzeigten, dass der T-1000 aus diesen logistischen Gründen eine Sackgasse war, hat er aus der Not eine Tugend gemacht und einfach den T-880 in der besagten Weise weiterentwickelt. Man benötigt nur den Bruchteil an T-1000-Polymimetikum für den Überzug eines T-X. Hinzu kommt der Vorteil, dass man nicht mehr lange warten muss, bis das menschliche Tarngewebe im Brutbottich endlich vollständig über das Endoskelett gewachsen ist. Diesen Typ hat man unverzüglich einsatzbereit. Doch glücklicherweise scheint es außer dem Prototypen, der in der Vergangenheit auf die Connors angesetzt worden ist, nur ein halbes Dutzend davon zu geben. Wir haben den letzten davon hier vor uns stehen. Seine Bezeichnung ist T-XF, seine CPU ist mit der eines T-880 identisch, nur die Gesamtstruktur des Kopfes ist schmaler, fast insektenähnlich gestaltet, damit auch kleinwüchsige, magere Menschen imitiert werden können.“
„Können wir ihn für unsere Zwecke benutzen?“ wollte der alte Afrikaner nun unvermittelt mit nachdenklicher Stimme wissen.
„Dafür ist es leider noch zu früh. Uns fehlt die Software, um die Flüssigmetallhülle zuverlässig zu kontrollieren. Was ich Ihnen vorhin gezeigt habe, war bisher alles, was wir hinbekommen. Solange wir das nicht herausgetüftelt haben, können Sie genauso gut jeden anderen T-880 nehmen, denn das Chassis ist ja identisch. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass Sie vielleicht mal in der Werkstatt C vorbeisehen sollten, die Jungs da haben eine ganz erstaunliche Entwicklung geleistet. So eine Art Feinabstimmung.“
„Dann seh’ ich mir das gleich mal an. Vielen Dank einstweilen. Sie halten mich auf dem Laufenden über Ihre Fortschritte?“
„Selbstredend, General. Einen schönen Tag noch und viel Erfolg.“ Der Techniker wandte sich unvermittelt wieder seinen Kontrollen zu, während Mahtobu sich auf den Weg in besagtes Labor machte. Beim Hinausgehen fiel ihm im Hintergrund ein kreisförmiges Bullauge auf, das in etwa einem Meter Höhe in die Wand eingelassen war. Er hielt inne und sah sich die Öffnung aus Sicherheitsglas an. Dahinter war es dunkel, nur ein paar Luftbläschen stiegen von Zeit zu Zeit auf.
„Sagen Sie, was ist das dort?“
Der Tech sah über die Schulter und winkte gleich ab. „Ach, das meinen Sie. Ein großes Salzwasserbecken von etwa drei mal zehn mal zwanzig Metern Ausmaßen. Erinnern Sie sich noch an diesen riesigen Thunfisch, der da drin war, als wir hier eingezogen sind?“
Langsam erwiderte Mahtobu: „Äh... nein. Das gehört dann wohl zu den Dingen, die nicht mit meiner persönlichen Erinnerung übereinstimmen.“
„Ich verstehe. Dumme Sache, das mit der Zeitmaschine. Welcher Dilettant hat sie nur so nah dabeistehen lassen, als sie aktiv war?“
„Der Dilettant, der jetzt für den Rest des Monats nur noch sanitäre Anlagen repariert, wenn Sie verstehen.“
„Mm-hh. Das mit dem Thun war jedenfalls klasse. Die gesamte Basis hat sich drei volle Tage den Bauch so richtig voll schlagen können. Und das mit ganz frischem Fisch. Wann gibt’s schon mal so was?“
Mahtobu blieb versonnen stehen und rieb sich seinen Kinnbart. „Wozu zum Henker braucht dieser beschissene Computer ein Salzwasserbecken mit einem Thunfisch darin? Wir sind hier weit über 200 Meilen vom Atlantik entfernt. Skynet macht doch sonst nichts ohne Grund. Was hat er da schon wieder ausgeheckt?“
Für einen Moment hob der Tech den Blick, und seine Miene drückte eine Mischung aus Unwohlsein und Furcht aus. Schnell senkte er den Blick wieder und arbeitete weiter.
Vogtsburg, Südbaden, Deutschland 01. Juli 2004
Ein schwacher, aber unangenehm warmer Wind wehte vom französischen Elsaß über das Herz des Kaiserstuhls. Hier auf dem einzigen halbwegs bedeutsamen Verkehrsweg durch das riesige vulkanisch entstandene Hügelgebiet mitten in der südlichen Oberrheinebene, war die Landstraße 115 auf der Passhöhe durch eine eigens gegrabene Schlucht von vielleicht zehn Metern Tiefe geführt worden, um die ohnehin schon sehr starke Steigung ein wenig erträglicher zu gestalten. Zudem beschrieb der Straßenverlauf eine Biegung auf der Kuppenhöhe, sodass die beiden ‚Eingänge’ des kleinen Durchstichs nicht einzusehen waren. Dieses nur dünn besiedelte und abgelegene Gebiet hatte sich ein extrem bösartiger Computer in der Zukunft als den Ausgangspunkt für seine verschlagenen Machenschaften ausgesucht.
Es war kurz vor Mitternacht, als eine Serie elektrischer Entladungen in Form von gleißend-hellen Lichtbögen den schmalen Einschnitt in der Weinberglandschaft erhellte. Knisternd leckten die Blitze über die beiden Lehmwände, deren hoher Grasbewuchs sofort verschmorte, wo in einer finalen kugelförmigen Entladung reinen weißen Lichtes der Umriss von mehreren Personen sichtbar wurde.
Nach einer Sekunde begannen sie sich umzusehen, ihre Lage zu sondieren und erste Pläne zu schmieden. Einer von ihnen warf noch kurz einen Blick zurück auf das kleine Segment in der Lehmwand, welches von der großen Raumzeitverschiebungskugel aus purer Energie berührt worden war und beim Austausch der zwei Räume im Nirgendwo verschwunden war. Alle lebendigen Objekte wie Grashalme und Insekten innerhalb dieser Kugel würden jetzt auf der Plattform der ZVA im Mount Mitchell liegen.
Die Koordinaten schienen zu stimmen. Sie traten auf die Mitte der schmalen verwaisten Kreisstraße, um einen Sicherheitsabstand zur zweiten Zeitverschiebung einzunehmen. Nur wenige Sekunden nach ihrer Ankunft begann die warme Sommerluft erneut zu flimmern und knistern vor Elektrostatik. Diesmal befand sich die fast vier Meter durchmessende Energiesphäre fast genau zur Hälfte im Löß des Kaiserstuhls und legte nach ihrem Erblassen eine entsprechend große Halbkugel im Boden frei, die auch das dunkle, poröse Vulkangrundgestein unter der verkohlten Berührungszone durchschimmern ließ. Sofort nach der Materialisierung erklangen seltsame Geräusche. Das laute Klatschen ebbte nur langsam ab, doch nach etwa zwanzig Sekunden befand die erste angekommene Person die Wartezeit für angemessen. Sie stieg in die Höhlung und rief nach mehreren Sekunden zwei andere zu Hilfe. Zu dritt hoben sie die riesige Silhouette aus der geometrisch perfekten Aussparung in der Lehmwand und legten sie vorsichtig ins hohe, trockene Gras neben der Straße. Die erste Person beugte sich hinab und untersuchte den nur noch schwach zuckenden Leib.
Der Thunfisch war ein kapitales Exemplar von mindestens vier Meter Länge und gut fünfhundert Kilogramm Gewicht. Ohne Meerwasser war er zum Sterben verdammt. Noch ein paar Momente und das gewaltige stromlinienförmige Lebewesen mit den glasigen Augen und dem mit vielen scharfen Zähnen bewehrten Maul rührte sich nicht mehr. Einer der Zeitreisenden beschloss deshalb, dass es an der Zeit war.
Er kniete sich vorsichtig neben den seltsam aufgedunsen scheinenden Leib des Thuns und wandte sich dessen Unterseite zu. Ein fast zwei Meter langer Schnitt, der noch immer leicht blutete, zog sich der Länge nach über die Bauchpartie des Fisches. Ohne jedes Zögern wurde hineingegriffen und mit ein wenig Kraftaufwand ein meterlanger, unförmiger dunkler Gegenstand herausgeholt. Es handelte sich um ein in Plastikfolie eingeschweißtes Westinghouse M-80 Plasmaimpulsgewehr. Im Inneren des noch lebenden Fisches war es unbeschadet durch das Zeitfeld gereist, was ansonsten nur lebenden Organismen möglich war.
Durch seine Infrarotoptik konnte die schemenhafte Gestalt in der nun völligen Dunkelheit problemlos für alle sechs Neuankömmlinge je eines der Lasergewehre aus den Eingeweiden der gewaltigen, verendeten Meereskreatur zutage fördern. Sie entfernten die schützende Verpackung und vergewisserten sich, dass alle Waffen den Transfer unbeschadet überstanden hatten. Zwei von ihnen packten den fünfhundert Kilogramm schweren Kadaver und trugen ihn hinaus aus der Senke, um ihn dann über die Böschung ins hohe Gras am Rande eines Rebenfeldes zu werfen. Bei den derzeit herrschenden Temperaturen würde er wahrscheinlich nicht lange unentdeckt bleiben, doch niemand würde nachvollziehen können, was in dieser Nacht geschehen war.
Sie hatten sich alle nach Süden gewandt, aus dem Kaiserstuhl heraus nach Bötzingen, dem nächstgelegenen Dorf. Ihre erste Priorität war die Beschaffung von Kleidung und eines Fahrzeuges, um sich zunächst aus dem Ankunftsgebiet zu entfernen. Einer von ihnen würde in der Gegend bleiben, während die anderen fünf von ihnen sich ihrerseits Fahrzeuge beschaffen würden, um ihre jeweiligen Operationsgebiete anzusteuern.
Zum ersten Mal in ihrer bislang kurzen Existenz hatten sie Glück. Keine hundert Meter vom Ausgang des Straßendurchbruchs entfernt zweigte ein Parkplatz ab, auf dem sie ein einzelnes Automobil ausmachten. Sie identifizierten es als einen alten VW-Bus, der zum Wohnmobil ausgebaut war. Beim Näherkommen sondierten sie die Umgebung und stellten fest, dass niemand sonst in der Nähe war. In der Ferne konnte man die Lichter von verschiedenen Dörfern in der Rheinebene erkennen, die neben den Sternen am wolken- und mondlosen Himmel die einzigen Lichtquellen waren.
Im VW mit niederländischem Kennzeichen befand sich ein junges Pärchen, das ganz offensichtlich diesen Parkplatz abseits der Hauptstrassen angesteuert hatte, um die Vorzüge einer lauen Julinacht zu genießen. Sie taten das auch so lautstark und waren derart abgelenkt, dass sie nicht das Nahen von sechs nackten Gestalten bemerkten, die Silhouetten von Menschen mit rotglühenden Augen und mit geradezu grotesk großen, futuristisch aussehenden Sturmgewehren im Anschlag.
Es ging alles ganz schnell und sauber; für die Erledigung dieser Aufgabe brauchten sie keinen Schuss abzufeuern. Die einzige unmittelbar sichtbare Spur war das aufgerissene Schloss der Schiebetür, ansonsten zeugte nichts mehr von der Akquirierung dieses Fahrzeuges und der Terminierung seiner beiden Insassen.
Sie mussten sich in Sicherheit gewähnt haben, da sie im verschlossenen Fahrzeug ihre Schlüssel im Zündschloss hatten stecken lassen. Ansonsten war etwas Bargeld und zwei Kreditkarten das einzig Nützliche, was sie vorgefunden hatten. Immerhin hatten sie genügend leichte Freizeitkleidung vorgefunden, um sich alle einzudecken.
Das altersschwache Fahrzeug war mit ihren fast tausend Kilogramm Gewicht hoffnungslos überladen und die Hinterräder saßen auf der Federung auf, als sie den rasselnden luftgekühlten Boxermotor im Heck starteten. Der zweite glückliche Umstand für sie aber war, dass die gesamte Strecke ins Rheintal hinab bergab führte. Das vermochte der bescheidene Antrieb gerade noch zu vollbringen.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 23. Oktober 2030
Mahtobu betrat die Werkstatt, die ihm einer der Techs, die am T-X arbeiteten, genannt hatte. Im Hintergrund in einer dunklen Ecke standen still und steif mehrere Gestalten in Hab-Acht-Stellung. Das waren sicher einige der T-880, dachte er und wandte sich an einen der Elektroniker, die an einer Konsole mit mehreren Bildschirmen und Tastaturen arbeitete und mit konstant hoher Geschwindigkeit eine Zeile nach der anderen mit ihm unverständlichen Ziffern und Symbolen füllte.
Neugierig spähte er ihm über die Schulter und fragte: „Was ist das denn?“
„Skynet Basic, könnte man sagen,“ gab der Mann zurück, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
„Ihr Kollege im T-X-Labor sagte, Sie könnten mir etwas Neues betreffend der T-880-Software berichten,“ fügte Mahtobu noch hinzu. Darauf sah der Tech nun kurz über die Schulter, wobei ihm wohl die Generalssterne auf Mahtobus alter, zerschlissener Uniform aufgefallen sein mussten.
Sofort sprang er auf und stand stramm. „Sir, verzeihen Sie, Sir. Ich hatte nicht...“
Wie auch sonst so oft bei Untergebenen fiel Mahtobu ihm unhöflich ins Wort: „Schon gut, Soldat, für militärische Umgangsformen haben wir später Zeit. Jetzt möchte ich erst einmal einen Bericht von ihnen, kurz und knapp und wenn möglich in Englisch, nicht in ‚Skynet Basic’. Das ist bei mir etwas eingerostet im Laufe der Zeit.“
„Mir war nicht bewusst, Sir, dass auch Sie...“ Der Tech brach verlegen ab, als ihm Mahtobus Scherz aufging, was diesen insgeheim schmunzeln ließ. Er rieb sich seinen grauen Kinnbart, eine für ihn typische Geste.
„Sie kommen wohl nicht so oft hier raus, was?“
„Nein, Sir. Nicht so oft,“ bestätigte der junge blasse Mann mit gesenktem Blick.
„Keine Sorge, mein Sohn, das wird sich bald ändern. Sobald wir unsere Mission hier erfüllt haben. Kopf hoch.“ Aufmunternd klopfte er ihm auf die Schulter. „Also, was haben Sie für mich?“
Sofort war der Tech wieder in seinem Element. „Nun, die Programmierung von Zentralen Prozessoren (CPU) für T-880 gestaltet sich noch immer äußerst schwierig, obwohl wir zur Zeit Riesensprünge machen, wenn ich das so sagen darf. Aber das erledigen meine Kollegen. Ich beschäftige mich zur Zeit mehr mit den Basissystemen für die rein mechanische Steuerung des Endoskeletts, was mit den kognitiven Fähigkeiten eines Terminators nur am Rand zu tun hat.
Einer der alten Käuze von den Veteranen hat mich auf die Idee gebracht. In meinem Quartier sind unter anderem auch zwei von ihnen untergebracht. Ich meine natürlich diejenigen, die bei Ausbruch des Krieges bereits erwachsen oder jugendlich waren und sich an vieles vor dem Krieg erinnern. Wir jungen Leute hören uns sehr gerne die alten Geschichten an, die sie zu erzählen wissen.
Der eine der beiden, Jimenez, war damals Automechaniker in Mexiko. Er weiß alles über Motoren, elektronische Steuerungssysteme und das ganze Drumherum, weshalb ich mich sehr gut mit ihm verstehe, wie Sie sich sicher denken können. Und als er mir vom Motortuning erzählte, bin ich dann auf diese wunderbare Idee gekommen...“
„Jetzt mal langsam“, bremste Mahtobu ihn ein, „was ist Motortuning?“
„Nun, dabei geht es um die Leistungssteigerung bei Verbrennungsmotoren mittels mechanischer oder elektronischer Maßnahmen. Das für uns Interessante ist dabei der Teil, wo das von einer Bordelektronik gesteuerte Motorenkennfeld durch Umprogrammierung dieser Elektronik geändert wird. Denn jeder Motor hat in seiner Ausleistung gewisse Sicherheitsreserven, die bei diesem ‚Tuning’ zum Zwecke der Leistungssteigerung ausgereizt werden, allerdings auf Kosten der Lebensdauer. Verstehen Sie?“
„Ich denke schon. Mir ist nur schleierhaft, wobei Sie damit hinauswollen“, gab der afrikanische General unumwunden zu.
„Mit diesem Grundgedanken im Hinterkopf bin ich an die Basisprogrammierung der Terminatoren vom Typ T-880 herangegangen. Wie Sie wissen, ist die mechanische Stärke der der älteren T-800 um einiges überlegen...“
„Das muss aber nichts mit diesem ‚Tuning’ zu tun haben, oder?“
„Keineswegs, Sir, das ist reiner technischer Fortschritt. Durch intensiven Feinschliff der Grundkonstruktion wurde die Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig kompakteren Ausmaßen erhöht. Allerdings plant Skynet auch weit voraus; so ist den Spezifikationen zu entnehmen, dass der T-880 für einen Betrieb von weit über einhundert Jahren ausgelegt ist. Durch gewisse Subroutinen zur Energieeinsparung bei Wartezeiten und ähnlichen Perioden, in denen nur ein geringes Maß an Leistung abverlangt wird, lässt sich diese Zeitspanne noch erheblich erweitern. Wenn wir allerdings einen T-880 für unsere Zwecke einsetzen und zum Schutz der künftigen Widerständler in der Vergangenheit einsetzen, benötigen wir ihn für maximal dreißig Jahre. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will?“
Mahtobus Mund stand weit offen. „Sie planen ernsthaft, einen T-880 tu ‚tunen’? Seine Steuerelektronik so zu verändern, dass er stärker wird als eigentlich vorgesehen?“
„Unter Umgehung der ursprünglich einprogrammierten Kennfeldlimite seiner mechanischen Belastung. Natürlich nur für Spitzenbelastungen, etwa in Kampfsituationen, können wir ihn so etwa zwanzig Prozent schneller und fünfundvierzig Prozent stärker machen. Das wäre ein entscheidender Vorteil, falls es zu Kampfhandlungen mit Terminatoren der Gegenseite kommen sollte.“ Der Tech nickte ernst.
„Klingt wie Musik in meinen Ohren. Was glauben Sie, wann wir damit fertig sein können?“
Breit grinsend erklärte sein Gegenüber: „Ich bin damit bereits fertig, Sir. Zur Zeit laufen noch Testreihen auf dem Prüfstand hier, und in wenigen Tagen werde ich den ersten modifizierten Chip in ein T-880 Endoskelett einsetzen. Das, was noch Zeit braucht, ist die Missions-programmierung für die Reise in die Vergangenheit. Meine Kollegen arbeiten fieberhaft daran, doch es wird noch etliche Wochen dauern, das hinzubekommen. Vielleicht, wenn ich mich nach Beendigung meiner Arbeit dem Team anschließe...“
„Nur mal langsam. Im Moment leisten Sie großartige Arbeit, wenn ich das richtig beurteile. Beenden Sie das hier erst einmal, dann sehen wir weiter“, lobte Mahtobu, dann zögerte er kurz. „Sagen Sie, könnte man das nicht auch mit einem T-800 machen? Wir planen, zunächst einen von denen zurückzuschicken, bis wir das Problem mit den 880ern in den Griff bekommen haben.“
„Theoretisch sicher machbar, aber es bringt bei weitem nicht so viel, da diese Serie nicht von vorneherein in diesem Maße auf Langzeitmissionen hin konzipiert wurde und auch von der Programmierung her rudimentärer ausgelegt ist. Ich will damit sagen, dass ihre Konstruktion bereits auf fast höchstmögliche mechanische Effizienz ausgelegt ist.“
„Gut, war auch nur so eine Idee. Wie gesagt, gute Arbeit, Soldat. Nur weiter so.“
„Vielen Dank, Sir, sehr nett von Ihnen“, rief der junge Informatiker dem General hinterher.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
Karin und Natasha saßen schon eine ganze Weile im Uni-Café, eigentlich drinnen, doch da bei dieser Witterung fast die gesamte Glasfront geöffnet war, waren sie doch an der frischen Luft des kleinen gepflasterten Heinrich-Rombach-Platzes an der Niemensstraße, der von einer gewaltigen Kastanie dominiert wurde, welche angenehmen Schatten spendete.
Karin hatte schon von Anfang an befürchtet, dass das eine Thema zur Sprache kommen würde, das sie nicht unbedingt diskutieren wollte, vor allem nicht bei den unvereinbar kontroversen Standpunkten, die sie beide dabei einnahmen. So startete sie noch einen letzten schwachen Ablenkungsversuch, um das Unvermeidliche noch ein klein wenig länger hinauszuzögern: „Und, wie gefällt euch eure neue Wohnung?“
Naja, wir sind ja schon fast ein halbes Jahr drin. Ich kann dir nur sagen, sehr exklusiv. Die Konviktstrasse 17 ist echt ein tolles Eckchen.“
„Aber stört es euch nicht, dass praktisch direkt unter eurem Loft das Parkhaus liegt?“
„Ach was, das merkt man kaum. Du musst unbedingt mal mitkommen und es dir ansehen. Wenn du willst und noch Zeit hast, kannst du ja nachher gleich mitkommen und einen Blick bei uns reinwerfen.“
„Wenn es Ralf nichts ausmacht... wie läuft es zwischen euch denn so?“
Natasha senkte den Blick kurz. „Naja, wir sehen die neue Wohnung auch als so ne Art neuen Anfang. Er kann schließlich froh sein, dass ich ihm das mit diesem portugiesischen Miststück überhaupt verziehen habe... wie hieß sie doch gleich...?“
„Du hast sie aber nie in flagranti erwischt, dachte ich?“, warf Karin ein.
„Das musste ich auch nicht, du musst dir diesen Scheißkerl doch nur ansehen, wie er mit schlechtem Gewissen und eingezogenem Schwanz rumläuft... und das nach all den Jahren, die wir zusammen sind!“ Wütend starrte Natasha einen Punkt irgendwo über Karins rechter Schulter an, dumpf vor sich herbrütend und in offenbar sehr unangenehme Erinnerungen vertieft.
Während der kurzen Zeitspanne des unbehaglichen Schweigens hörte Karin mit einem Ohr die Regionalnachrichten, die über die Musikanlage des Cafés leise im Radio liefen: die Polizei warnte vor einer offenbar organisierten Bande von Autoknackern, die in den westlichen Vororten allein letzte Nacht ein halbes Dutzend Personenwagen entwendet hatte. Die Breisgauer Bauern beklagten einen ähnlich hohen Ernteausfall wie im Rekordsommer letzten Jahres, wenn die bisherige Trockenheit anhielt und die Temperaturen noch weiter ansteigen würden. Im Kaiserstuhl war ein holländisches Paar auf Urlaubsreise in ihrem Wohnmobil auf einem Parkplatz ausgeraubt und auf brutalste Weise ermordet worden. Und schließlich war in den Mittagsstunden bei Emmendingen mehrfach die Meldung über einen großen athletischen Mann gemacht worden, der splitternackt durch die Gegend lief. Nur Verbrechen und entlaufene Irre. Furchtbar, dachte sie abwesend.
Um das Schweigen zu beenden, bemerkte sie diplomatisch: „Ich muss dir übrigens meine Bewunderung aussprechen. Die Natasha, die ich damals vor X Jahren kennen gelernt hatte, hätte Ralf bei so was auch ohne Beweise in den Wind geschossen. Du hast dich verändert.“
„Man wird reifer, realistischer. Ja, das ist es wohl. Man muss die Realitäten akzeptieren und das Beste aus ihnen machen. Kompromisse eingehen, das tun, was in einem größeren Rahmen betrachtet Sinn macht.“ Sie zuckte nur müde mit den Schultern.
„Wow, große Worte. Du überraschst mich, Mädchen. Ich bin sogar versucht, mir das aufzuschreiben. Kannst du das noch mal sagen, bitte?“
Mit hämisch hochgezogenem Mundwinkel erwiderte Natasha: „Haha, schrecklich lustig, furchtbar witzig, brutal komisch. Aber mal was anderes: wie geht’s denn Simon so?“
„Ganz gut, denke ich. Er ist gestern mitten in der Nacht von seinem Städtetrip nach Berlin zurückgekommen und hat sich gleich ins Bett geschmissen. Insofern weiß ich noch nichts Genaueres.“ Sie zuckte belanglos mit den Schultern.
„Ich habe auch eigentlich eure Beziehung gemeint. Was ist da los zwischen euch?“ Neugierig setzte sie sich auf, während Karin unbewusst in Defensivstellung ging.
„Da hat sich nichts geändert. Du weißt genau, dass das nur eine kurzfristige Phase von mehreren Monaten war, während der wir uns getröstet und uns in unsere Arme und eine Beziehung geflüchtet haben, um uns gegenseitig zu helfen, das Erlebte besser zu verarbeiten. Herrgott, das ist jetzt fast zwei ein halb Jahre her. Wir sind schon lange aus diesem Stadium heraus und haben eingesehen, dass wir uns durch unsere langjährige Freundschaft und das Teilen all dieser gemeinsamen Erfahrungen weit mehr geben können als durch eine Beziehung allein.“ Ihre Stimme ebbte ab, als sei ihr die Kraft zum Sprechen ausgegangen.
„Klingt für meinen Geschmack eine Spur zu auswendig gelernt, aber egal. Ich sehe das aber richtig, dass ihr nach wie vor zusammen wohnt, das dritte Zimmer für einen potentiellen weiteren WG-Bewohner leer steht und ihr beide seitdem auch keine anderen Beziehungen mehr gehabt habt?“ Es war keine Frage, sondern mehr eine Feststellung.
„Manches braucht Zeit, mehr Zeit, als du vielleicht annehmen würdest.“ Karin konnte ihrer Freundin unmöglich in die Augen sehen. „Was wir durchgemacht haben, kann niemand außer uns verstehen.“
„Du versuchst es ja nicht einmal, es zu erklären. Wenn du mich fragst, brauchst du Hilfe und Simon genauso.“
Stur schüttelte sie den Kopf. „Nein, dabei kann uns keiner helfen. Es ist vollkommen anders, als du denkst. Niemand würde uns das glauben; wahrscheinlich würden sie uns nach Emmendingen stecken.“
„Unsinn!“, widersprach Natasha energisch. „Niemand wird in die Irrenanstalt gesteckt, weil er massive Beziehungsbewältigungsprobleme hat. Dazu braucht es schon ein bisschen mehr. Gut, Abbey und Daniel haben euch beide gleichzeitig verlassen, wahrscheinlich haben sie sogar etwas miteinander gehabt und Simon und dich deswegen sitzen gelassen. So sah es jedenfalls für mich und auch jeden anderen Außenstehenden aus. Aber...“
Karin fuhr ihr aggressiv ins Wort: „Du hast keine Ahnung! Hör auf, so über sie zu reden! Ich kann niemandem die Wahrheit erzählen. Niemandem! Keiner Menschenseele. Ich sage dir, ich würde für verrückt erklärt werden. Also können wir das jetzt bitte lassen? Bitte.“
Natasha sah die Leidensmiene ihrer alten Freundin und erkannte in einem Augenblick stoischer Analytik, dass sie es wirklich ernst meinte. Sie lehnte sich zurück, betrachtete Karin aus halbgeschlossenen Augen abschätzend und sagte plötzlich leise: „Erzähl es mir.“
„Ich hab dir doch gesagt...“ protestierte Karin.
„Nein, ernsthaft. Ich möchte es wissen. Ich kann es verkraften, glaub’ mir. Egal was es ist. Und ich glaube, ich kann dir einen Vorschlag machen, wie man dir helfen kann.“
„Nein, du verstehst es nicht, niemand kann mir helfen... mir und Simon.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Na los, spuck’s schon aus. Wenn es dir sowieso keiner glauben wird, wo ist dann das Problem?“
Karin lehnte sich nach vorne und kniff jetzt ihrerseits ihre Augen zu. „Du meinst das jetzt wirklich ernst, oder?“
„Na klar. Versuch’s einfach,“ ermunterte Natasha sie.
Sie seufzte: „Okay. Aber du wirst mich dafür hassen. Ich werde mich dafür hassen.“
Dann beugte sie sich nach vorne und flüsterte fast: „Danny und Abbey sind nicht in die USA zurückgekehrt. Ihre Existenz endete damals. Und wir waren auch nicht weggefahren zur Zeit unserer Trennung, wie wir es erzählt hatten. Simon und ich sind entführt und als Geiseln benutzt worden, damit die beiden sich selbst den Entführern ausliefern würden. Was sie auch gemacht haben und dadurch freiwillig ihr Schicksal besiegelt haben.“
Natashas Augen waren bei Karins Geständnis immer größer geworden. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Mann, es ist dein Ernst! Unglaublich!“
„Sag ich doch! Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Den Rest möchte ich lieber nicht erzählen.“ Karin schüttelte abwehrend den Kopf.
„Das könnte dir so passen!“, begehrte Natasha sofort auf. „Ich wusste schon immer, dass mit Daniel etwas nicht stimmen konnte. Bei Abbey war ich mir nicht so sicher, aber er... ja, irgendwie macht das alles sogar Sinn, so verrückt es sich auch anhören mag. Was war er, so eine Art Geheimagent?“
„So was in der Art...“
Eine Viertelstunde später war Natasha vollends aufgeklärt und lehnte sich aufstöhnend zurück. „Du hattest recht.“
„Was meinst du damit?“
„Niemand kann euch helfen. Wenn ihr das jemandem erzählt, werdet ihr tatsächlich eingebuchtet. In ein duftes Doppelzimmer mit ganz tollen, weichen Wänden und Böden und so lustigen Jacken, bei denen die Ärmel hinten zusammen genäht sind. Dann bekommt ihr auch leckere Pillen, mit denen ihr bunte Farben seht und Musik hört. Nichts tut mehr weh und ihr habt auch keine Sorgen mehr. Oh Mann!“ Bedauernd schüttelte sie den Kopf.
„Aber ich habe dir doch all diese Hinweise genannt. Denk doch nur an...“
„Ja, du hast ja recht, es hat wirklich einen Haufen Ungereimtheiten gegeben. Und sie alle passen in dem Kontext, den du lieferst, in diesen Rahmen. Außerordentlich gut sogar.“ Natasha pausierte einen Moment und starrte ins Leere. „Beängstigend gut. Gottlob bin ich kein Science-Fiction Fan, sonst würd’ ich dir das am Ende noch abkaufen.“ Wieder schüttelte sie den Kopf.
„Siehst du, ich hab’s dir doch gleich gesagt!“ Frustriert und fast schon beleidigt kreuzte Karin die Arme vor der Brust und lehnte sich wieder zurück.
Natasha indes sah sich argwöhnisch um. „Ich glaub’ wir machen hier lieber ne Fliege und reden bei mir daheim weiter. Auf jeden Fall hast du ein Problem, soviel ist mal sicher.“
Sie winkte der Bedienung, zahlte und zog Karin mit sich.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 26. Oktober 2030
Sie waren soweit. Dank der Hilfe der Connors hatten sie einen Wust an Informationen in den robusten, alten T-800 eingeben können, den sie als Vorauskommando schicken wollten. Es handelte sich um eines der Modelle, das sie intakt mit menschlichem Aussehen in Besitz hatten nehmen können, als der hier stationierte Hauptrechner im Rahmen der Kampfhandlungen bei der Eroberung der Basis von ihnen außer Betrieb genommen worden war. Dieser Terminator war einer der wenigen ‚getarnten’, der direkt von der CPU der Basis ferngesteuert worden war; somit war er einfach erstarrt, als sie dem Hauptrechner den Strom ausgeknipst hatten.
Sie hatten lange diskutiert, ob sie nicht einen Menschen oder einen der neuen T-880 für diese Aufgabe heranziehen wollten, doch einerseits wären Menschen wohl nicht im Stande gewesen, dem von Skynet entsandten Kontingent irgendetwas entgegenzusetzen. Und andererseits mussten sie erst einmal die Ausgangslage in der Vergangenheit dieser Zeitlinie auskundschaften und Daten sammeln, wofür ein auf WRITE eingestellter, das heißt ein lernfähiger Terminator, gut geeignet schien. Auf den ersten Blick ging er immer noch anstandslos als Homo Sapiens durch, wenn auch als sehr großes und kräftiges Exemplar. Und mit den T-880ern war es so eine Sache: zum einen gab es sie nicht in unbegrenzter Anzahl und aufgrund des neuen, viel aufwendigeren Prozessors waren sie sehr schwer zu programmieren, zum anderen wussten sie noch nicht so viel über ihre Feldgefechtsparameter, sprich Zuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit. Skynet hingegen war sich seiner Sache betreffs Prototypen offenbar viel sicherer, sonst hätte er wohl kaum all die verschiedenen „Erstlingswerke“ wie T-880, T-1000 und T-X mit solchen prekären und für ihn vitalen Aufgaben betreut. Nun, Skynets Helfer hatten versagt und er war schlussendlich unterlegen, was vielleicht gegen diese Strategie sprechen mochte.
Der Widerstand um Connor jedenfalls wollte auf Nummer Sicher gehen. Sie hatten inzwischen auch eine recht gute Vorstellung davon, wozu ein Thunfisch im Zusammenhang mit einer ZVA gebraucht werden konnte. Dieses Szenario machte ihnen Angst. Aber andererseits konnten sie sich vielleicht einer ähnlichen, wenn nicht sogar noch ausgeklügelteren List bedienen, um den Abgrund zwischen den Zeiten effektiver zu überbrücken.
So beendeten sie ihre Eingaben und schickten den T-800 mit der ZVA an den fraglichen Zeitpunkt und die Gegend, wo er gebraucht wurde. Diesmal befand sich Mahtobu in gebührendem Sicherheitsabstand. Als sich die Apparatur nach der Zeitversetzung abkühlte, betrachtete er nachdenklich die Gräser und Brennnesselbüsche, die durch das Zeitfeld aus der Vergangenheit gekommen waren. Sogar ein wenig schmutzige Erde lag auf dem Boden des Kraftfeldes; sie musste voll von Bakterien und anderen Kleinstlebewesen sein, wenn es die Erde durch die Raumzeit zurück hierher geschafft hatte, als die zwei Sphären ausgetauscht worden waren.
Als die ZVA wieder betriebsbereit und die gewaltigen Kondensatoren tief im Inneren des Berges ausreichend aufgeladen waren, vergewisserte er sich bei den zuständigen Technikern, dass die richtige Zeit und vor allem der genaue Ort eingestellt waren. Jetzt würde es spannend werden.
„Glauben Sie, dass die Zeit ausgereicht hat, die wir ihm gegeben haben?“ fragte er nochmals zur Sicherheit nach.
„Das kann man nicht wissen. Bedenken Sie, dass noch niemand so etwas versucht hat. Ich hoffe nur, das zieht keine Komplikationen nach sich. Immerhin beeinflussen nun nicht nur wir die Vergangenheit, sondern...“
„Hören Sie schon auf. Ich möchte Resultate sehen, keine graue Theorie hören, bei der einem ganz schwindelig wird. Können wir dann?“ wollte er ungeduldig wissen.
Der Tech seufzte ergeben und begann in rasendem Tempo Eingaben auf seiner Tastatur zu machen. „Gut, dann wollen wir mal. Genaue Zeit und Position sind fixiert. Transfer beginnt in zwanzig Sekunden.“
Hinter der massiven Schutzwand sah man nur das unfassbar helle Aufgleißen, das harte kalte Schatten an die Wand hinter ihnen warf, begleitet vom charakteristischen Sirren und Knacken der ionisierten Luft. Der Geruch von Ozon rundete das ‚Erlebnis Zeitsprung’ ab, nachdem Licht und Zischen verebbten. Vorsichtig sah Mahtobu um die Ecke des Schildes und keuchte verblüfft auf.
„Es hat geklappt! Etwas ist durchgekommen.“ Sein Erstaunen wich gleich darauf Misstrauen und Zweifel. „Aber... was ist denn das? Was ist da nur passiert?“
„Hm, ein wenig anders als erwartet“, gab einer der Techs zu, der um die Barriere herumsah.
„Wie bitte? Sie machen mir Spaß! Sehen Sie sich nur diese Sauerei an!“ Mit einem ergebenen Seufzer sagte Mahtobu kopfschüttelnd: „Also gut, vielleicht war es ja doch kein völliger Fehlschlag.“
Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
„Warum hast du es denn auf einmal so eilig? Zieh doch nicht so!“ Karin war ziemlich erstaunt über das seltsame Verhalten von Natasha.
„Bleib jetzt ganz cool, okay? Ich glaube, wir werden verfolgt. Nein, sieh bloß nicht nach hinten.“ Bestimmt zog sie ihre untergehakte Freundin quer über den belebten Bertoldsbrunnen, wo der Verkehrsmittelpunkt der Stadt war und alle Bahnlinien zusammenliefen. Sie folgten der Kaiser-Josef-Straße, der Hauptgeschäftsstraße der Stadt, und bogen dann in die Münsterstraße, die auf den gleichnamigen Platz mündete. Sie hasteten über das unebene Pflaster zum südlichen Seiteneingang, ohne das Gotteshaus groß zu beachten. Dabei war das Freiburger Münster eines der baulich hervorragendsten gotischen Kirchenbauten Deutschlands, völlig aus rotem Sandstein, wie er überall im Südschwarzwald vorkam, erbaut und mit einem 116 m hohen, schlanken Hauptturm gekrönt. Das Kirchenschiff war genauso lang wie der Turm hoch, dabei verhältnismäßig schmal in der Breite, eben typisch gotisch, schlank und hoch gen Himmel strebend.
Natasha wollte sich diesen Umstand nun zunutze machen. Sie erklärte Karin: „Pass auf: wir gehen durch den Seiteneingang rein, dann durchqueren wir die Seitenschiffe und verlassen am nördlichen Seitenausgang das Münster wieder, solange wir für unseren Verfolger außer Sicht sind. Wir müssen einfach auf der anderen Seite draußen sein, bevor er reinkommt. Dann weiß er nicht, ob wir noch drin sind und uns irgendwo in der Kirche aufhalten, während wir draußen die Beine in die Hand nehmen. Sobald wir beim Kornhaus um die Ecke sind, haben wir’s geschafft.“
„Okay.“ Wider besseren Wissens sah Karin nach links, als sie zum Südeingang einbogen. Ein großer, muskulöser Kerl mit kurzem blonden Bürstenhaarschnitt, kantigem, ausdruckslosem Gesicht und Sonnenbrille bahnte sich seinen Weg durch die Passanten- und Touristenmenge auf dem Münsterplatz, indem er stur voranschritt, ohne sich groß um die Leute zu kümmern, die ihm in den Weg liefen, sodass es ab und an zu einer Kollision und vereinzelten verhaltenen Protesten kam. Das reichte ihr.
Sie schlüpften durch den Windfang in das angenehm kühle Innere des hohen Kirchenschiffs, das vom bunten, warmen Zwielicht der kunstfertig bemalten Fensterscheiben und zahlreicher Kerzen bei den Opferstöcken vorne erhellt wurde. So schnell es die Ehrfurcht gebietende Umgebung zuließ, schlüpften sie auf dem Hauptquergang der Kirche zwischen Gläubigen, einer Gruppe fernöstlicher Touristen und den alten Holzbänken sowie den mehr als ein Meter dicken tragenden Säulen des Hauptschiffs, auch aus rotem Sandstein, hindurch auf die gegenüberliegende Seite. Im Nu waren sie durch den Nordausgang hinaus, während Natasha ihre hochhackigen Sandaletten im Laufen auszog und in die Hand nahm.
Sie rannten über den Münsterplatz und hielten auf die nächstmögliche Straßenecke zu, die sie außer Sicht ihres Verfolgers bringen würde. Beim Kornhaus erreichten sie ihr Ziel und warfen beim Abbiegen noch einen hastigen Blick zurück. Der Platz hinter ihnen war bis auf einige junge Leute und eine Mutter mit Kinderwagen leer.
Sie umrundeten die Ecke und pressten sich an die Wand. Karin keuchte: „Geschafft.“
Natasha sah hinter sich auf ein Schaufenster: „Sieh mal, Jil Sanders.“
„Spinnst du? Für so was haben wir jetzt keine Zeit. Klar, Schickse?“
„Ja, schon gut.“ Natasha nickte und fragte: „Kannst du noch?“
„Du machst wohl Witze? Ich halte mich noch immer fit. Los!“ Sie liefen weiter an der Synagoge vorbei, welche an jenem unglücksseligen 9. November, der vielen als „Kristallnacht“ in Erinnerung geblieben ist, an ihrem alten Standort in Uninähe niedergebrannt worden und als modernes Gebäude hier neu errichtet worden war. Sie war über eines der vielen kleinen Bäche, die überall durch die Stadt fließen, mit in das allgemeine Stadtbild integriert worden, indem eine Art Brunnen, über dem ein stilisierter Davidstern prangte, eines der Bächle speiste. Doch auch dafür hatten sie momentan keine Muße; sie hasteten weiter in die nächst größere Straße, die Herrenstraße. Anstatt auf ihr direkt in Richtung von Natashas Wohnung zu gehen, machten sie noch einen Umweg und gingen außen herum über den Schwabentorring und nahmen den Aufzug in der Schwabentorgarage ins oberste Parkdeck. Von dort aus waren es nur noch einige Treppenstufen bis auf den Schlossbergsteg, der über den gleichnamigen Straßenring und durchs Parkhaus bis in Ralfs und ihre gemeinsame Wohnung führte.
„Wir haben es wohl geschafft, ihn abzuhängen. Mann, hat der Typ düster ausgesehen!“ Natasha schien zu frösteln bei dem Gedanken an ihn, als sie das Gittertürchen in ihren Zugangsweg nach links öffnete.
„Bist du auch wirklich sicher, dass er es auf uns abgesehen hatte?“ Offenbar hatte Karin noch Zweifel, wenn auch keine starken. Sie hatte gewusst, dass Natasha paranoid veranlagt war, aber das hier...?
„Na hör mal, er hat sich die ganze Zeit beim Café rumgetrieben und ist rein zufällig gleichzeitig mit uns zum Münster gelaufen? Das glaubst du doch selbst nicht!“ Sie bog in den schmalen Zugangsweg ein, der zu ihrer Wohnung führte und kramte in ihrer kleinen Stoffhandtasche nach den Schlüsseln. Im Hintergrund konnten sie die massige Spitze des Schwabentores sehen, des zweiten erhalten gebliebenen Stadttores mit hohem Turmanbau. Es befand sich ganz in der Nähe.
„Weißt du, ich habe vorhin in den Nachrichten eine Menge ungewöhnlicher Dinge gehört. Wer weiß, vielleicht liegt es an der Hitze, dass alle Leute ausflippen und die seltsamsten Verhaltensweisen an den Tag legen. Es könnte ja sein...“ Karin verstummte, als sie das Gesicht ihrer Freundin sah.
Sie waren gerade in ihren Hauseingang eingebogen, als Natasha wie angewurzelt stehen geblieben war. Sie deutete auf die spaltbreit offenstehende Wohnungstür und legte ihren hochgestreckten Zeigefinger an die Lippen. Jegliche angebrachte Vorsicht in den Wind schießend, schob sie die Tür, die ganz offenbar mit roher Gewalt aufgebrochen worden war, langsam auf.
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Freiburg im Breisgau, Deutschland 02. Juli 2004
Innen empfing sie Totenstille und aufgrund der gegen die Sommerhitze herabgelassenen Rollos Halbdunkel. Karin war gar nicht wohl zumute, als sie sich dicht hinter Natasha hineinstahl. Vorsichtig schlichen sie lautlos in die Küche, das Gästeklo und das weitläufige Wohnzimmer, die allesamt leer waren. Dann arbeiteten sie sich ebenso leise die Treppe des Lofts empor. Auf den letzten Stufen fiel Karin ein faustgroßes, kreisrundes Loch in der Tür am Ende des Ganges auf. Sehr extravagant, dachte sie, merkte aber einen Moment später am staunenden Gesicht Natashas, dass diese Besonderheit auch ihr aufgefallen und somit keinesfalls normal war.
Sie erreichten den oberen Rand der Treppe und erstarrten. Auf dem Boden lag etwas. Nach einer Sekunde der Eingewöhnung an das schwache Licht im fensterlosen Gang konnten sie erkennen, dass es sich um einen Körper handelte. Natasha tastete nach dem Lichtschalter und flüsterte beinahe beschwörend: „Nein, bitte nicht, lass es nicht sein...“
Ohne Vorwarnung für Karin flammte die Beleuchtung auf. Die beiden Frauen kreischten gleichzeitig bei dem Anblick: auf dem Teppich lag Ralf, flach auf dem Rücken und mit einem Ausdruck ungläubigen Entsetzens auf dem Gesicht. In seiner Brust befand sich ein faustgroßes, kreisrundes Loch, dessen Ränder verkohlt waren. Es ging glatt durch ihn hindurch, man konnte den Teppich am unteren Ende des Lochs sehen.
Bei diesem unwirklichen und zugleich grausamen Anblick versagten Natasha die Knie. Karin umarmte und stützte sie gleichzeitig, während sie beide schluchzten und auf die Knie sanken. Seltsamerweise war es Karin, die zuerst ihre Fassung zurückerlangte. Natasha warf sich über den leblosen Körper ihres Freundes, jammerte und fluchte leise auf russisch und weinte mit zuckenden Schultern. Karin wischte sich die Tränen von den Augen und besah sich mit einer unerklärlichen Faszination das Loch in der Tür. Es sah so aus, als sei es genauso groß wie die Wunde in Ralfs Leib. Konnte das sein, dass er von einem Einbrecher oder Räuber erschossen worden war? Aber mit welcher Waffe? Sie hatte noch nie von einer Waffe gehört, die solche Wunden oder Einschläge verursachte. Sie öffnete die Tür zum Schlafzimmer und keuchte auf, was Natasha aus ihrer Lethargie holte.
„Oh mein Gott, sieh dir das an! Was war das?“ Sie sah auf ein Bücherregal, das direkt an der Wand des Zimmers hinter der Tür stand. Es war der Länge nach von dem geheimnisvollen Projektil durchschlagen worden. Das Regal schien beinahe einen Meter breit zu sein, doch man konnte durch die beiden Seitenwände aus Sperrholz und alle Bücher einer Reihe hindurchsehen. Karin zog probeweise eines der Bücher aus der Mitte hinaus und betrachtete das kreisrunde Loch mit den scharf abgegrenzten, verbrannten Rändern. Der Durchmesser schien abgenommen zu haben, was ihres Wissens nach für ein Geschoss sehr ungewöhnlich war. Am abgewandten Ende des Regals war die Öffnung nur noch fingerdick.
Normalerweise waren die Austrittsöffnungen immer größer als beim Eintritt. Unwillkürlich folgte ihr Blick der imaginären Flugbahn des rätselhaften Geschosses. Mit schierem Unglauben in der Stimme wiederholte sie: „Sieh dir das an!“
Hinter dem Regal war ein Fenster zur kleinen Loggia einen Spaltbreit offen. Mitten durch dieses war ebenfalls ein Loch geschmolzen. Man konnte genau sehen, dass ein wenig von den Rändern weich und flüssig geworden war und beim Hinablaufen an der Scheibe sogar einige Fäden gezogen hatte, an deren Enden dicke Glastropfen hingen. Auf eine obskure Weise sah es sogar schön aus.
„Es hat sich kerzengerade in flachem Winkel durch die Scheibe gebrannt und die Ränder geschmolzen. Was kann das nur gewesen sein?“ Natasha schien ihren ersten Schock überwunden zu haben.
„Spielt das denn eine Rolle? Wir müssen Hilfe holen. Wir müssen die Polizei anrufen, und das auf der Stelle!“ Karin sah sie mit betroffener Miene an.
„Du hast recht. Ich habe eben meinen Freund verloren. Ich kann es noch gar nicht begreifen; das ist alles so unwirklich, wie ein schlechter Traum. Kannst du mir eine kleben, damit ich aufwache?“ Ihre Schultern sanken wieder hinab.
„Geh’ lieber runter, ich rufe inzwischen an, okay?“ Sie führte ihre Freundin die Treppe hinab und setzte sie im Wohnzimmer auf die Eckcouch, nahm das schnurlose Telefon und ging hinaus in den Flur.
Was für ein entsetzlicher Anblick! Sie versuchte sich noch immer zu fassen und wählte die Notrufnummer der Polizei. Aber was sollte sie nur sagen, wie war so etwas nur zu erklären? Noch vor einer halben Stunde hatte sie mit Natasha zusammen gemütlich eine Latte Macchiato getrunken. Wie konnte sich alles nur in so kurzer Zeit verändern?
Endlich meldete sich eine Frauenstimme und Karin fing an, aufgeregt in den Hörer zu plappern. „Bitte kommen Sie schnell. In der Konviktstraße 17 Q über dem Schlossbergparkhaus hat es einen Todesfall gegeben. Ralf Parzival, der Freund meiner Kollegin Natasha Orloff... wir haben ihn auf dem Boden liegend gefunden, er hat schwere Verbrennungen, wie es scheint. Es sind einige Beschädigungen in der Wohnung, ganz seltsame Brandschäden, ich habe so was noch nie gesehen. Kann das ein Kugelblitz oder etwas Ähnliches gewesen sein?“
„Es ist noch zu früh, um Vermutungen anzustellen. Bitte bewahren Sie Ruhe. Wie geht es Ihrer Freundin? Braucht sie ärztliche Hilfe?“
„Ich... ich glaube nicht. Sie ist zwar völlig fertig, aber sie scheint keinen Schock zu haben. Bitte, kommen Sie schnell, wir fühlen uns nicht sicher hier. Es ist so unheimlich...“ Entgegen ihres festen Vorhabens, Haltung zu bewahren, musste sie jetzt doch schluchzen.
„Bitte beruhigen Sie sich, es ist bereits jemand auf dem Weg zu Ihnen. Wir werden...“
Den Rest bekam Karin nicht mehr mit. Gebannt starrte sie auf die Eingangstür, welche sich ganz langsam öffnete. Der Türrahmen wurde beinahe von der Silhouette des riesigen Mannes ausgefüllt, der nun eintrat. Sie ließ das Telefon fallen und schrie: „Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Verschwinden Sie! Oh mein Gott, HIIILFE!!“
Der Unbekannte trat nun ins Halbdunkel und nahm seine dunkle Sonnenbrille ab, wobei Karin ihn als den grobschlächtigen Kerl erkannte, der sie vorhin verfolgt hatte. Er trug ein zu enges, hellblaues T-Shirt mit einem großen bräunlichen Fleck auf der Seite, weite Tarndruckhosen und Bundeswehrstiefel. Er sah sie unbeeindruckt an, abschätzend, ließ seinen finsteren, mitleidslosen Blick langsam durch den Flur schweifen, dann untersuchte er eine Sekunde lang das aufgebrochene Türschloss. Das Telefon auf dem Boden, aus dem kaum hörbar die aufgeregte Stimme der Notruf-Telefonistin quäkte, erregte seine Aufmerksamkeit. Er hörte kurz hin, machte einen langen Schritt nach vorne und zermalmte das Gerät unter seinem Stiefel. Karin schockierte die Mühelosigkeit, mit der er das augenscheinlich tat.
„Maja Maranoff?“ wollte er von ihr wissen.
Sie wich zurück in Richtung Wohnzimmertür, wo nun Natasha, durch ihren Schrei angelockt, auftauchte. Ihre Augen quollen förmlich aus ihren Höhlen bei dem Anblick, der sich ihr bot. „Oh nein, das darf alles nicht wahr sein...“
Der fremde Hüne hingegen starrte sie einen Moment lang bewegungslos an und verlangte dann von ihr zu wissen: „Bist du Maja Maranoff?“
„Nein, ich heiße... was tun Sie hier? Sie haben uns vorhin verfolgt, das haben wir gemerkt. Verschwinden Sie bloß, die Polizei ist nämlich gleich hier, dann können Sie was erleben.“ Keine der beiden wusste, wie sie auf die Anwesenheit dieses unheimlichen Typen reagieren sollten, der nun einen Blick ins Wohnzimmer warf. Mit seiner gefühllosen, tiefen Stimme antwortete er: „Unwahrscheinlich. Bist du Maja Maranoff?“
„Mein Name ist nicht…“ Natasha hielt inne. „He, mein zweiter Vorname ist Maja. Und... ich glaube, der Mädchenname meiner Mutter ist Maranoff. Woher wissen Sie... he, was tun Sie da?“
Bevor sie ihn daran hindern konnten, war der prometheisch gebaute Mann die Treppe hinaufgestiegen und hatte Ralf gefunden. Sein Kopf ruckte von der Leiche hoch zum Loch in der Tür und er sagte an Natasha gerichtet: „Ein Kolateralschaden. Es ist hier nicht mehr sicher für euch. Du bist zur Terminierung anvisiert worden.“
„Wovon zum Teufel redet dieser Typ nur?“ Natasha war kurz vor einem Nervenzusam-menbruch.
Eine fürchterliche Ahnung überkam Karin. „Ich... das... nein, das kann nicht sein. Natasha, das ist einer von ihnen. Das ist kein Mensch!“
Der große Blonde sah sie durchdringend an. „Du weißt von meiner Existenz. Das ist der Mission dienlich. Wir müssen diesen Ort verlassen. Sofort!“
Obwohl er keinerlei emotionales Drängen in seine Stimme gelegt hatte, war beiden klar, wie ernst dieser Typ es meinte. Er schob die offenbar traumatisierte Natasha vor sich her zur Tür, während Karin ihm dichtauf folgte. Sie fragte zögernd: „Welche Mission?“
„Meine Mission ist, euch und die anderen Zielpersonen zu schützen. Dieser Aufgabe kann ich hier nicht zuverlässig nachkommen. Die von euch gerufenen Ordnungskräfte werden in Kürze eintreffen. Außerdem kann der Terminator, der den Kolateralschaden begangen hat, noch in der Nähe sein. Er ist außerordentlich gut bewaffnet.“ Er setzte seine Sonnenbrille einen Augenblick, bevor er wieder ins grelle Sonnenlicht hinaus trat, auf.
„Soviel haben wir auch schon rausgefunden, Schlaukopf. Und was du Arschloch ‚Kolateral-schaden’ nennst, war mein Freund Ralf.“ Mit hasserfüllter Stimme und mühsam unterdrückten Tränen zischte sie ihn an, während er sie ins Treppenhaus und aufs oberste Parkdeck der Schlossberggarage schob.
„Bist du im Besitz eines Fahrzeugs?“ wollte er wissen.
„Mein Golf-Cabrio ist gerade in der Werkstatt. Die Schlüssel von Ralfs Porsche Boxster...“
„Das ist ein Fahrzeug mit nur zwei Sitzen.“ Er ging zu einem jungen Mann in lässigen Skaterklamotten, der gerade seinen dunkelblauen 89er Golf abschließen wollte, tippte ihm von hinten auf die Schulter und sagte unbewegt in sein erschrockenes Gesicht: „Wir benötigen dein Automobil.“
„He, hört mal, macht keinen Scheiß, okay. Ich...“
Karin unterbrach seinen Redefluss der versuchten Ausflüchte. „Das ist ein Notfall. Gib ihm lieber die Schlüssel.“
„Das werde ich nicht!“ Der junge Kerl gewann offenbar etwas Zuversicht, von irrationaler Aggression gespeist. Er flog noch durch die Luft, als der blonde Riese sich bereits mit einer flüssigen Bewegung hinters Lenkrad schwang und den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Ungerührt öffnete er die Beifahrertür, worauf sich Natasha schnell in den Fond zwängte. Karin hatte kaum Zeit, auf den Beifahrersitz zu springen, da ließ ihr Retter/Entführer bereits den Motor aufheulen und jagte mit quietschenden Reifen los.
Der Autobesitzer war unsanft über das Parkdeck gerollt, als der grobe Fremde ihn am Kragen gepackt und zur Seite geschleudert hatte wie einen Müllsack. Nun richtete er sich auf Ellenbogen und Knie auf und fluchte leise vor sich hin. Im nächsten Augenblick sah er sein eigenes Auto mit aufheulendem Antrieb direkt auf ihn zuschießen, viel zu schnell für das Innere eines Parkhauses. Der Irre mit dem coolen Gesicht und der Sonnenbrille auf der Nase machte keinerlei Anstalten zu bremsen, weshalb sich der Golfbesitzer nur mit einem beherzten Hechtsprung vor dem Überfahrenwerden retten konnte.
„Bist du irre? Du hättest den armen Kerl beinahe umgebracht!“ ereiferte Natasha sich vom Rücksitz aus.
„Negativ. Bitte anschnallen.“ Mit irrwitzigem Tempo zirkelte er das alte Auto mit den schmalen, abgefahrenen Reifen quietschend durch die Kurven und rollte dann langsam auf den Schlagbaum des Ausgangs zu. Er fuhr so weit vor, dass er die Barriere fast auf Augenhöhe kurz vor seiner Windschutzscheibe hatte, dann beugte er sich nach vorne und langte aus dem Fenster hinaus. Er griff sich die Schranke und riss sie mit einer kurzen, mühelosen Bewegung aus ihrem Gelenk an der Seite der Fahrspur. Sofort gab er Gas und schoss auf den Schlossbergring. Im Hintergrund waren bereits diverse Sirenen zu hören, die vermutlich sowohl zu Polizei- als auch Krankenwagen gehörten. Es war knapp gewesen.
„Du bist also so eine Art Roboter wie Daniel und Abbey, stimmt’s?“ Entgegen aller Vernunft versuchte Karin, mit dem Unbekannten zu reden und möglichst viel herauszufinden, während er auf die B 3 und damit den Autobahnzubringer einbog.
„Diese Namen sind mir nicht bekannt. Ich bin eine kybernetische Lebensform, Cyber Research Systems Model 157, Baureihe Terminator T-800.“
„Wie heißt du? Wie sollen wir dich nennen?“ Natasha stellte überraschenderweise diese sehr sinnvolle Frage.
„Meine Bezeichnung lautet NMF 2210.“ Bei dieser monoton ausgesprochenen Antwort stöhnte Karin auf.
„Das ist viel zu kompliziert. Wir nennen dich ab jetzt... Alex“, bestimmte Karin und sah Natasha an, doch die zuckte nur mit den Schultern. Für sie war das alles noch viel zu unwirklich, als dass sie ernsthaft mitreden konnte. Karin selbst hatte ja auch noch keine Ahnung, was sie von dieser Sache halten sollte.
Natasha betrachtete ihren Retter mit den fragwürdigen Motiven eingehender. „Wie siehst du überhaupt aus? Hast du diese Kleider einem der anarchistischen Penner abgenommen, die in der Innenstadt rumlungern und einen um Kleingeld anbetteln?“
„Das ist korrekt,“ bestätigte NMF 2210.
„Oh.“ Nun wusste Natasha nichts mehr zu sagen.
Er fügte noch hinzu: „Sein Hund war sehr lästig. Ein weiterer Kolateralschaden.“
Karin sammelte sich einen Moment und begann dann: „Du hast von einer Mission gesprochen, Alex?“
„Der Schutz aller mir eingegebenen Zielpersonen vor Terminierung durch Skynets Killer.“
„Skynet? Das hat sicher was mit eurem Krieg in der Zukunft zu tun. Ich dachte, der hätte nicht stattgefunden?“ Fragend sah sie nach links.
Der T-800 blickte sie kurz aus dem Augenwinkel an, ohne den Kopf zu drehen. „Der Krieg wurde in dieser Zeitlinie nur verschoben. Er findet noch immer statt. Bald.“
„Tolle Aussicht.“ Karin konnte mit dieser Vorstellung im Moment überhaupt nichts anfangen, dafür war diese viel zu abstrakt. „Du hast von anderen Zielpersonen gesprochen. Wen genau meinst du damit?“
„Andere Personen, die in Zukunft für den Widerstand gegen Skynet in Europa von großer Bedeutung sein werden. Mein Auftrag ist es, alle in Mitteleuropa erreichbaren Personen zu kontaktieren und in Sicherheit zu bringen, bis ich Verstärkung erhalte. Die einzige weitere Person in unmittelbarer Nähe ist Simon Rohwoltt.“
„WAAAS?! Simon?“ platzte es aus Natasha heraus. „Was ist denn jetzt los? Bin ich im falschen Film?“
„Hör zu, Alex.“ Karin bemühte sich, ruhig zu bleiben, obwohl sie angesichts der Brisanz der Situation kurz vor einem Schreikrampf stand. „Wir kennen Simon gut. Ich selbst wohne mit ihm zusammen. Er befindet sich in Freiburg in der Weberstraße. Wenn das alles stimmt, was du gesagt hast, schwebt er in höchster Lebensgefahr. Wir müssen sofort zurück und ihn holen, bevor es zu spät ist.“
„Positiv.“ Seine CPU setzte die Prioritäten neu; die beiden aus der Stadt zu bringen war nun zweitrangig geworden. Sie fuhren gerade mit hoher Geschwindigkeit auf die Auffahrt Freiburg-Mitte zu. NMF 2210 machte sich den Aufbau der Anschlussstelle zunutze, der wie ein Autobahnkreuz beschaffen war. Er nahm auf dem Kreuz zuerst die Abfahrt nach Basel, dann die nach Freiburg und kam so auf die Schnellstraße Richtung Innenstadt zurück. Dann drückte er das Gaspedal nach unten.
„Könnte ich jetzt bitte auch mal erfahren, was hier los ist?“ Natasha wirkte wieder leicht hysterisch, was kein gutes Zeichen war.
„Nun, ich glaube es selbst kaum, aber du siehst ja, alles was ich dir heute beim Kaffee erzählt habe, stimmt. Unser Freund Alex hier ist einer dieser Kunstmenschen, Roboter oder was auch immer. Es gibt sie wirklich und er ist aus einer möglichen, vom Atomkrieg zerstörten Zukunft zu uns geschickt worden, offenbar mit dem Auftrag, uns zu beschützen. Die anderen wollen uns platt machen, weil wir denen zukünftig wohl ordentlich die Suppe versalzen werden. Mehr weiß ich leider auch nicht, weil Daniel und Abbey uns fast nichts darüber erzählt haben.“
„Ich hör’ immer Zukunft und Atomkrieg und so. Bist du denn völlig irre geworden?“
„Denk doch mal an Ralf. Was für eine Waffe feuert solche Geschosse ab? Das war sicher eine Knarre aus der Zukunft. Es klingt zwar bescheuert, aber es ist die einzig logische Erklärung, die mir dazu einfällt. Wir haben den Beweis dafür vor der Nase gehabt.“ Auf dieses Argument wusste Natasha nichts mehr zu entgegnen, deshalb verfiel sie in schweigendes Brüten und lehnte sich zurück in ihren Sitz.
NMF 2210 antwortete dafür: „Bei der Waffe handelt es sich mit 93%iger Wahrscheinlichkeit um eine phasenkoordinierte Plasmaimpulswaffe. Der Signatur der Schäden nach ein M-72 oder M-80.“
Karin sah ihn mit großen Augen an. „Phasenkoordi... du sprichst von kohärentem Licht... eine Waffe, die Laserstöße verschießt. So was habt ihr? Ich hätte nicht geglaubt, dass die Soldaten in der Zukunft schon in einigen Jahrzehnten mit Laserkanonen rumlaufen.“
Wieder dieser kurze Seitenblick mit unbewegtem Kopf. „Du kennst dich sehr gut aus mit den Grundlagen. Skynet hat wesentlich effizienter und konzentrierter an neuen Waffen und Technologien geforscht, als es jemals die beste Rüstungsfirma, Universität oder Regierungsbehörde gekonnt hätte. Er war von keinen menschlichen Schwächen und Komplikationen abgelenkt.“
„Ja, wenn das Haushaltsbudget zu einhundert Prozent für den Rüstungsetat ausgegeben wird, sind wahre Wunder möglich, stimmt’s?“ wandte Natasha sarkastisch aus dem Off ein.
„Stimmt.“
„Dieser Typ gibt mir den Rest“, stöhnte sie darauf.
Simon saß in der Wohnküche vor dem Fernseher und sah Nachrichten auf CNN. Nur so, um ein wenig von drüben mitzubekommen. Seit seinem Kurztrip in die USA hatte ihn die Bewunderung für dieses Land lange Zeit nicht losgelassen, anfangs auch nicht, als die Republikaner die Macht übernommen hatten. Dieses wundervolle und gigantische Land und seine Einwohner konnten schließlich nichts dafür, wenn ein Präsident, der eigentlich nicht ordentlich gewählt worden war, innerhalb einer präsidialen konstitutionellen Republik tat, was er und sein Kabinett wollten.
Sein Städtetrip, von dem er gerade zurückgekehrt war, und auch schon sein Praktikum zuvor hatten ihm eines klargemacht: sein Inneres war von einer gewissen Leere erfüllt. Er hatte sein Studium so gut wie beendet, doch er verspürte zur Zeit keinerlei inneren Antrieb. Wenn er jetzt nicht aufpasste, würde er die erstbeste freie Stelle annehmen, in die sein Ausbildungsprofil hineinpasste und auf diesem Posten dann versauern, bis er alt und grau wäre.
Nein, er hatte das Bedürfnis, einiges in seinem Leben zu ändern. Sollte er einen Ortswechsel ins Auge fassen? Karin hatte von Hamburg gesprochen, doch das wäre ihm doch etwas zu radikal. Obwohl...
Seine Gedanken schweiften ab. Er war eben auch ein schwieriger Typ, was Beziehungen anging. Er hatte lange keine feste Freundin gehabt, nur um nach vier ein halb Jahren zu erfahren, dass seine erste Beziehung nicht einmal ein richtiger Mensch gewesen war. Nun, in gewisser Hinsicht war Abbey menschlicher als so mancher wirklicher Mensch gewesen. Ihm fiel dieser Gedanke noch immer sehr schwer, genauso wie es Karin mit Daniel erging. Und die anschließende Beziehung mit ihr war wirklich nichts für die Ewigkeit, wie sie sich beide nach einer Weile eingestehen mussten. Nun, in der ersten Phase war sie sehr intensiv gewesen, woran er auch heute noch gerne zurückdachte, auch wenn keiner von ihnen jemals in Versuchung kommen würde, rückfällig zu werden. Manchmal saßen sie gemeinsam auf dem Sofa vor dem Fernseher und kuschelten sich aneinander, aber es war nun nichts Körperliches mehr, eher wie kleine Streicheleinheiten zwischen Bruder und Schwester. Sie waren in der gleichen Straße aufgewachsen und kannten sich so lange und so gut, dass sie mit dieser Situation ganz gut umgehen konnten. Ihre Eltern, die seit Jahren versucht hatten, sie zu verkuppeln, verzweifelten am derzeitigen Status, nachdem sie sich damals vor zwei ein halb Jahren endlich am Ziel gewähnt hatten.
Sie wohnten noch immer zusammen und hatten beide keinen Partner, beteuerten aber, dass zwischen ihnen nicht mehr war als nur noch tiefe Freundschaft. Viele nahmen ihnen das nicht ab, aber das konnte man nicht ändern. Nun, Karin würde bei ihrem attraktivem Äußeren bestimmt keine Probleme haben, sollte sie sich überwinden und sich wieder nach einem Freund umsehen. Für ihn aber wurde es allmählich höchste Zeit, denn seine dunkelblonden Geheimratsecken wanderten allmählich nach oben und obwohl er noch immer seine schlanke, drahtige Figur hatte, wurde er nicht jünger.
Als es an der Tür klopfte, saß Simon gerade am PC in Daniels altem Zimmer. Sie hatten es nach seinem „Ableben“ unangetastet gelassen, auch wenn der Computer inzwischen fast nicht mehr mit den allgemeinen Anforderungen mithalten konnte. Er hatte zwar den Speicher und Hauptprozessor im Laufe der Jahre gegen leistungsfähigere Varianten ausgetauscht, doch allmählich war das Grundgerüst am Ende seiner Möglichkeiten. Außerdem hatte er sich offenbar vor Kurzem einen Virus eingefangen, den er nicht entfernen konnte, egal was er versuchte. Und was PCs betraf, war er wirklich sehr bewandert, ein Crack sozusagen.
Wer konnte das sein? Hatte Karin ihren Schlüssel vergessen? Er öffnete einen Spalt breit und erblickte einen 1,90 m großen Muskelberg mit kurzgeschorenem blonden Haar und stechenden blaugrauen Augen. Mit tiefer Stimme fragte er: „Simon Rohwoltt?“
„Ja, was ist?“ Irgendwas kam ihm komisch vor an dem Hünen.
„Ich bin...Alex. Es ist wichtig, dass du mit hinunterkommst. Karin und Natasha warten unten im Auto auf dich.“ Das war alles, was dieser Alex mit monotoner Stimme hinunterleierte; ihm kam es fast vor wie auswendig gelernt.
„Karin und Natasha? Zusammen? Seltsam, was ist denn los?“
„Das wollen sie dir selbst erzählen, haben sie gesagt.“ Alex ließ nicht locker. „Wir müssen uns beeilen.“
„Schon gut, ich komm’ ja schon. Es wird schon nicht der Weltuntergang sein.“ Simon griff nach seinem Schlüsselbund und schloss ab. Sie nahmen die Treppe hinab und gingen die Weberstraße entlang. In den engen Häuserzeilen der nördlichen Innenstadt herrschte bereits Zwielicht. Sie mussten in die Wasserstraße hinüberlaufen, um den alten geparkten Golf zu erreichen, da NMF 2210 nicht in Sichtweite der Wohnung parken wollte, um Karin und Natasha aus der direkten potentiellen Gefahrenzone herauszuhalten.
„Hallo. Ihr Beiden zusammen? Lang ist’s her. Was verschafft mir die Ehre?“ Er beugte sich zum Beifahrerfenster hinab, doch Karin riss bereits die Tür auf und sprang heraus, um schnell in den Fond zu schlüpfen.
„Hi, Simon. Wir erklären dir alles auf der Fahrt. Wir müssen schnell aus der Stadt heraus“, erklärte sie dabei.
„Aber wieso denn? Ich wollte gerade...“
„Schnell, steig’ ein“, fiel NMF 2210 ihm ins Wort, worauf er etwas unwillig auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Im engen Fond hätte er mit seinen gut 1,80 m auch kaum Platz gefunden. Die beiden Frauen waren kaum über 1,60 m groß, für sie würde es demnach erträglich sein.
„Könnte mir jetzt mal jemand erklären, was hier los ist?“, fragte er ungeduldig, als NMF 2210 die Front des Wagens umrundete.
„Das ist nicht so einfach, Simon“, begann Karin, „denn es ist unglaublich. Unser Freund Alex hier... er ist einer von ihnen. Einer wie Abbey und Daniel. Und er kommt aus der Zukunft wie die Beiden damals.“
„Was? Spinnst du? Das kann doch gar nicht sein. Sie haben uns damals erklärt... und was hast du überhaupt damit zu tun, Natasha? Was weißt du davon?“ Ungnädig musterte er die unbequeme Bekannte.
„Mehr als mir lieb ist, das kannst du mir glauben. Ich.. oh nein, hinter uns.“ Sie hatte in den Rückspiegel gesehen und musste nun schlucken.
Ein Polizeiwagen bog am hinteren Ende in die Wasserstraße ein, gerade als NMF 2210 einsteigen wollte. Offenbar war die Suche nach den zwei vermissten jungen Frauen im Zusammenhang mit der abrupt abgebrochenen Notrufmeldung und der Meldung des gleichzeitig gestohlenen Wagens in dem Parkhaus direkt darunter noch hochaktuell, denn es vergingen nur Sekunden, bis der Streifenwagen die Blaulichter einschaltete und merklich Gas gab. Über die Lautsprecher ordnete der Beifahrer an. „Der dunkelblaue Golf, stehen bleiben.“
NMF 2210 beugte sich kurz hinab und sagte: „Wartet hier.“
Blitzschnell berechnete er seine Optionen und trat dann zur Beifahrerseite des silbernen Mercedes mit den grünen Türen und Hauben, der fünf Meter hinter ihnen mitten auf der schmalen Einbahnstraße direkt vor der Einfahrt in die Schwarzwald City-Tiefgarage hielt. An beiden Enden der Straße drehten sich Neugierige um und beobachteten aus sicherer Entfernung das Schauspiel.
„Guten Tag. Ist das Ihr Fahrzeug?“ fragte der Polizist argwöhnisch, ein fülliger Mann in den Vierzigern mit grauem Haar und Walrossbart.
„Ja, warum?“ antwortete NMF 2210 selenruhig und nahm das Fahrzeug in genaueren Augenschein, während er alle verfügbaren Daten darüber abrief.
„Weil ein Fahrzeug dieses Typs mit diesem Kennzeichen als gestohlen gemeldet wurde. Jemand, auf den Ihre Beschreibung passt, hat es sich gewaltsam in einem Parkhaus angeeignet. Könnte ich Ihre Ausweis- und Fahrzeugpapiere sehen, bitte?“ Der Polizist musterte den riesigen Muskelberg argwöhnisch. Seine Menschenkenntnis verriet ihm anhand der Körperhaltung und absolut ruhigen Stimmlage, dass sein Gegenüber sehr gelassen war und offenbar kooperativ sein wollte.
„Sind Sie ganz sicher? Das ist bestimmt ein Missverständnis, Herr Wachtmeister.“
„Sie müssen uns nur Ihre Papiere geben, dann finden wir das ganz schnell heraus“, entgegnete der Polizist eine Spur ungeduldiger; sein Stimmprofil wies nun ein hohes Aggressivitäts-potential aus. Der Fahrer auf der ihm abgewandten Seite, ein junger schlaksiger Typ, wurde scheinbar ziemlich nervös. Daher entschied NMF 2210, dass über verbale Kommunikation weder die Situation zufriedenstellend zu lösen war noch ihm weiteren Aufschub gewähren würde. Da sah er die Lichter eines Fahrzeugs aus der Tiefgarageneinfahrt herankommen und reagierte im Bruchteil einer Sekunde.
„Das soll in einem Parkhaus gewesen sein? So einem wie dem da?“ wollte er wissen und wies die Abfahrt hinab.
Die Polizisten folgten mit ihrem Blick unwillkürlich seinem Wink und bemerkten den rasant hinaufbrausenden Audi TT, der nun um die Ecke der Auffahrt kam und vor der Schranke zur Ausfahrt stehen blieb, als er sich unversehens einem Dilemma gegenüber sah. Er war sich offenbar nicht schlüssig, ob er das Ticket zum Verlassen der Garage bereits einschieben sollte, solange der Polizeiwagen noch die Einfahrt blockierte. Bei so einem Einsatz konnte man ja nie wissen. Er lehnte sich mühsam aus dem engen Fenster und rief: „Entschuldigen Sie, brauchen Sie noch lange?“
„Bitte gedulden Sie sich noch einen Moment lang. Wir sind gerade bei einer Fahrzeug- und Personenüberprüfung“, antwortete der junge Fahrer ordnungsgemäß, als der C-Klassekombi plötzlich von einem heftigen Schlag erschüttert wurde. Er dachte sofort daran, dass ein in die Tiefgarage einfahrendes Auto sie von rechts her gerammt haben musste, doch als er hinüber sah, traute er seinen Augen nicht.
Der Verdächtige hatte seine Faust mit der Wucht einer Dampframme gegen die B-Säule des Autos gerammt und dabei die Hinterkante der Beifahrertür sowie die Vorderkante der rechten Hintertür gut zehn Zentimeter ins Wageninnere hineingetrieben. Damit waren beide Türen hoffnungslos verkeilt und deformiert; an ein Aussteigen auf dieser Seite war nicht mehr zu denken. Fast gleichzeitig gab es zwei laute Knalle, als sowohl der Seiten- als auch der Kopfairbag rechts von der Stärke des Anpralls ausgelöst wurden und die Sicht nach rechts fast vollständig versperrten. Einen Moment später entwich die Luft aus den Schutzkissen, doch nun bewegten sie sich nach links, auf die Rampe der Tiefgarage zu.
„Verd... was soll das?“ schrie der ältere der beiden Polizisten beinahe hysterisch und begann an seinem Pistolenhohlster zu fummeln, „Sofort aufhören!“
Unaufhaltsam wurden sie von dem großen blonden Hünen seitlich hinabgeschoben, wobei die malträtierten Reifen unangenehm laut quietschten. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete der Audi-Fahrer an der Ausfahrtsschranke, wie sich der Kombi quer über die Ein- und Ausfahrtsspur langsam auf ihn zuschob. Irgendwann war die Neigung stark genug und einer der Reifen fand eine Unebenheit im Boden, die hoch genug war, um ihn verkanten zu lassen. Wie in Zeitlupe kippte der Streifenwagen und landete scheppernd auf der linken Seite, was auch noch die anderen beiden Sidebags auslöste. Dann wälzte er sich, von NMF 2210 kräftig weitergeschoben, über die Dachaufbauten, wobei das Blaulicht zerbarst und der Mercedes schließlich mit einem hochfrequenten, hässlichen Kreischen auf der Motorhaube des Audis zu liegen kam, dessen Fahrer die Geistesgegenwart gefehlt hatte, schnell zurückzusetzen. Um sicherzugehen, schob der T-800 beide havarierte Fahrzeuge noch ein Stück weiter hinab, bis sich der Mercedes mit dem Dach an einer Betonsäule verfing. Zu allem Unglück kam nun auch von hinten ein nagelneuer Alfa Romeo Spider die Rampe heraufgeschossen, selbstredend viel zu schnell, und stieß gegen das Heck des Audis.
NMF 2210 nutzte den Moment allgemeiner Verwirrung und griff zum rechten Fenster des Streifenwagens hinein. Er zerstörte das Funkgerät mit einem weiteren Schlag und entriss dem benommenen Polizisten auf dem Beifahrersitz seine Dienstwaffe. Der jüngere der Beiden auf dem Fahrersitz hatte es irgendwie geschafft, seine Pistole freizubekommen und gab einen ungezielten Schuss auf ihn ab. NMF 2210 packte den noch heißen Schaft der Waffe und riss auch sie an sich. Dann verließ er seelenruhig den Tatort, entsicherte auf dem Weg zum Golf eine der Pistolen und zog den Schlitten nach hinten durch, um eine Patrone in die Kammer zu laden. Er stieg ein, ignorierte die fassungslosen Mienen und weit aufgerissenen Augen seiner drei Passagiere und fuhr los.
„Dieses Fahrzeug wird von den Behörden gesucht. Wir benötigen umgehend ein neues.“
„Wa... was?!“ Simon traute seinen Ohren nicht. „Wie zum Henker hast du das gemacht? Bist du auf Speed, Anabolika oder so?“
„Negativ.“ Der Terminator würdigte ihn keines Blickes, während er verbotenerweise nach links auf den Friedrichring einbog und quer über drei Fahrspuren Vollbremsungen, Beinahekollisionen und ein wütendes Hupkonzert verursachte.
„Glaub es mir, Simon, unser ‚Sonnenschein’ hier ist ein Cyborg wie Daniel und Abbey.“
Irgendetwas schien bei NMF 2210 gerade „Klick“ gemacht zu haben, oder er hatte seit Karins erster Erwähnung dieses Themas seine Prioritäten darauf verlagert gehabt, sie alle in Sicherheit zu bringen. Nun schien er die Zeitpunkt für angemessen zu halten, worauf er unverhofft fragte: „Woher wisst ihr von der Existenz von kybernetischen Organismen?“
„Nun, wir haben über vier Jahre lang zwei von deiner Sorte um uns gehabt, ohne es zu merken. Erst als die beiden deaktiviert wurden, wurde uns von irgendwelchen Rebellen aus der Zukunft ihre wahre Natur enthüllt,“ fasste Karin zusammen.
„Ich benötige eine detaillierte Beschreibung eurer Erfahrungen, sobald wir die unmittelbare Gefahrenzone verlassen und das Fahrzeug gewechselt haben.“ Er warf die zweite Dienstpistole nach hinten. „Hier, für euch. Könnt ihr damit umgehen?“
„Ich habe so eine schon mal in der Hand gehabt,“ sagte Karin zögernd, wonach Natasha sie fragend ansah. Sie zuckte nur mit den Schultern und meinte mit entschuldigendem Lächeln: „Ist ne lange Geschichte. Die Entführung, weißt du.“
„Und was hast du jetzt vor, Alex?“ wollte Natasha wissen.
„Wir beziehen über Nacht Quartier außerhalb der Stadt. Es darf keine nachvollziehbaren Spuren von unserem Verbleib geben. Sobald ihr euch regeneriert habt und mich über euren Wissensstand informiert habt, werden wir weitere Schritte unternehmen. Mir wurde die Möglichkeit gegeben, über einen Rendezvouspunkt in der morgigen Nacht eine Botschaft in die Zukunft zu senden, bevor wir Verstärkung erhalten.“
„Wirklich, das geht?“ wollte Simon wissen.
„Unbekannt. Die Methode dazu wurde noch nie getestet.“
„Ich glaube, wir brauchen ebenfalls eine Menge an Informationen“, bemerkte Natasha.
Breisach, Südbaden, Deutschland 02. Juli 2004
NMF 2210 setzte sie in der Altstadt des beschaulichen Städtchens direkt am Rhein, der die französische Grenze bildete, ab. Er wies sie an: „Dort vorne ist eine private Pension. Mietet zwei Zimmer für uns und wartet auf mich. Ich entledige mich des Fahrzeugs und komme dann zurück zu euch.“
„Alles klar. Werden wir dann reden?“, fragte Simon neugierig.
„Positiv.“ Er wendete zügig auf der engen Pflasterstraße und fuhr davon. Etwas zaghaft sahen sie sich an und gingen langsam auf den Eingang des hübschen Fachwerkhäuschens zu, über dessen Eingang ein Holzschild an zwei Ketten baumelte: Zimmer frei.
„Ich muss total verrückt sein, dass ich mich darauf einlasse“, mäkelte Natasha, während Simon und Karin sich ansahen.
„Ich glaube, du musst dir keine Sorgen machen. Diese Typen sind okay, sie sind extrem zuverlässig und fürsorglich in ihrer Eigenschaft als Leibwächter. Im Prinzip hatten Abbey und Daniel die gleiche Funktion für uns.“ Karin lächelte bei der Erinnerung daran.
„Jetzt kapiere ich gar nichts mehr. Ich denke, sie...“
Simon hob die Hand. „Am besten warten wir, bis Alex zurückkommt. Dann müssen wir alles nur einmal erzählen. Und es ist eine ganze Menge, was es zu erzählen gibt, soviel steht mal fest.“
Natasha zuckte mit den Schultern und folgte den beiden anderen in die Pension hinein, wo sie zwei Doppelzimmer bekamen, die glücklicherweise durch eine Zwischentür verbunden waren. Inzwischen wurde es bereits dunkel draußen.
Nach einer knappen halben Stunde kehrte NMF 2210 zurück. Er war schweißüberströmt, wirkte aber ansonsten topfit. Sobald er sich zu ihnen in eines der Zimmer begeben hatte, schien er aufzuhören zu transpirieren.
„Wo warst du denn?“ fragte Natasha erstaunt.
„Ich habe den Wagen unbemerkt in einem Baggersee versenkt und bin dann zurückgelaufen. So werden in einer angemessenen Zeitspanne keine Spuren in diese Richtung verfolgt werden können“, berichtete der T-800. Sein Schweiß trocknete bereits.
„Ist der nächste Baggersee von hier aus nicht mehr als vier Kilometer entfernt?“, bemerkte Simon erstaunt.
„Der betreffende Sechs Komma Drei Kilometer“, korrigierte NMF 2210.
„Und dann zu Fuß zurück in der kurzen Zeit? Kein Wunder, dass du so fertig aussiehst“, stellte Natasha gleich fest.
„Die Imitation der Körperfunktion Schwitzen gehört zum Bestandteil meiner menschlichen Tarnung. Sie ist nur in beschränktem Umfang nötig, um die organische Komponente durch Verdunstung von Körperflüssigkeit zu temperieren, da die Energie zur Fortbewegung bei mir mechanisch erzeugt wird.“
Zum wiederholten Mal staunte Natasha ihren neuen Beschützer mit offenem Mund an, dann sagte sie mit bestimmender Miene: „Also gut, jetzt wird es aber höchste Zeit, dass wir alle uns auf den neuesten Wissensstand bringen.“
„Bestätigt. Beginnt mit eurem Vorwissen über Terminatoren und mögliche Zukunfts-szenarien.“
In der nächsten halben Stunde hörte er aufmerksam zu und unterbrach sie nur ein paar Mal bei ihren Ausführungen, bis Karin bei der Beschreibung der Szene im Schuppen, als sie die Wahrheit über ihre beiden nichtmenschlichen Begleiter erfahren hatten, die Stimme versagte und sie von ihren Gefühlen zu überwältigt werden drohte. Dafür stellte NMF 2210, nachdem sie geendet hatte, anderthalb Stunden lang Fragen über Unklarheiten und Zusammenhänge sowie zeitliche Abläufe. Er schien sich sämtliche Fragen während ihrer Erzählung im Geiste vorgemerkt zu haben und rief nun methodisch eine nach der anderen ab. Für Natasha eröffneten sich dabei ganz neue Horizonte, da bei der methodischen Aufklärung von NMF 2210 sehr viele Dinge zu Tage kamen, die Karin ihr gegenüber vergessen hatte zu erwähnen.
Schließlich waren sie ganz erschöpft; die Anspannung und lange Konzentration beim Informationsaustausch forderten ihren Tribut. Karin meinte: „Es ist schon spät. Wollen wir nicht schlafen gehen und du erzählst uns morgen früh deine Geschichte?“
„Das ist ein akzeptabler Vorschlag. Eine gute Nacht.“ NMF 2210 drehte sich zur Tür hin, zog die Pistole und rührte sich nicht mehr.
Natasha indes protestierte: „Jetzt hör mal! Glaubst du echt, nach dieser ganzen Aufregung können wir einfach einschlafen mit der Ungewissheit, was uns erwarten wird?“
„Mir wurde eingegeben, dass ihr mit diesem Wissen noch schlechter schlafen werden könnt.“ Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
„Na toll, jetzt fühle ich mich doch gleich viel besser“, zischte Natasha daraufhin sarkastisch. „So wie ich das sehe, ist das hier dein Zimmer, Simon. Gute Nacht.“
„Oder Karin und ich nehmen den anderen Raum. Wir kennen uns gut genug, um in einem Bett zu schlafen, weißt du.“ Simons Gegenvorschlag ließ ihren Kopf herumfahren.
NMF 2210 versicherte geflissentlich: „Das Konzept der Scham ist mir unbekannt. Ich bekleide mich nur, um mich euren Gepflogenheiten anzupassen. Deine Bedenken sind irrelevant, Natasha.“
„Soweit kommt’s noch. Dir geht’s wohl zu gut, Simon! Du bleibst hübsch artig hier drin, während wir Mädels das andere Zimmer nehmen.“ Natashas Stimme duldete keinen Widerspruch und Simon wurde die Diskussion ohnehin zu dumm. So salutierte er zackig.
„Oui, mon Générale!“
„Ihr akzeptiert bereits die Hierarchie. Das ist der Mission dienlich“, stellte der Cyborg darauf fest, worauf ihn alle fragend anstarrten. Dann richteten sich Simons und Karins Blicke unwillkürlich auf Natasha, der das unangenehm wurde.
„Ich will’s gar nicht wissen. Morgen ist auch noch ein Tag. Dann erfahren wir alles über unsere glorreiche Zukunft, will ich hoffen.“ Sie schlurfte müde ins andere Zimmer hinüber.
Karin und Simon sahen sich an und hoben hilflos die Achseln.
„Manchmal verstehe ich sie einfach nicht, so viel Mühe ich mir auch gebe. Ihr Freund ist eben erst umgebracht worden, aber sie scheint das völlig kalt zu lassen.“
„Glaub’ mir, sie trauert um ihn. Ich war dabei, als wir ihn gefunden haben. Sie hatte zwar offenbar gerade eine recht schwere Krise mit ihm überstanden, aber so ein Ende wünscht man dann doch niemandem. Nein, sie trauert, sie will es nur nicht zeigen, da ist sie regelrecht trotzig.“ Karin strich ihm kurz in einer vertrauten Geste über den Unterarm. „Gute Nacht.“
Dann folgte Karin ihrer Freundin ins Nebenzimmer und schloss die Zwischentür. Simon ging ins kleine Bad und legte sich dann ins Bett. Währenddessen hatte ihr Beschützer sich keinen Deut bewegt; noch immer starrte er die Tür an.
„Willst du denn die ganze Nacht so stehen bleiben?“
„Ja. Ich benötige keinen Komfort wie Sitz- oder Liegemöbel und brauche auch keinen Regenerationszyklus.“
„Gut zu wissen. Dann gute... ich meine, bis zu meiner nächsten Wachphase.“ Er löschte das Licht.
„Es ist nicht nötig, zu versuchen, in meiner Ausdrucksweise mit mir zu kommunizieren. Ganz im Gegenteil bin ich darauf angewiesen, dass ihr möglichst normal mit mir redet, damit ich eure Umgangsformen kennen lernen und übernehmen kann. Meine CPU ist einem neuralen Netzwerk nachempfunden und lernt, neue Verknüpfungen zu bilden und sich somit meiner Umgebung anzupassen.“
Schlaftrunken meinte Simon: „Ja, stimmt, das haben wir auch von Simon und Abbey erfahren. Sie hatten so ein Elektronikgehirn wie du, stimmt’s?“
„Nicht genau. Ich bin ein T-800, ein Vorläufermodell. Die beiden T-880, die ihr kanntet, hatten eine zwölffach leistungsfähigere CPU als ich. Es ist bedauerlich, dass ihre Zentralprozessoren zerstört wurden. Der Résistance würde ihr Speicherinhalt wertvolle Dienste leisten, denn sie haben große Schwierigkeiten bei der Programmierung dieses neuen Typs von Rechnerchip.“
„Wie könnten ihnen diese CPUs hier in der Vergangenheit etwas nutzen?“
„Das erfahrt ihr morgen, wenn ich euch von der Natur der Mission sowie meinen Missionsparametern berichte.“
Plötzlich sprang Simon auf. „Oh Mann, Alex! Die beiden CPUs sind gar nicht zerstört worden!“
Augenblicklich fuhr NMF 2210 herum, sodass Simon seine Augen im Dunkeln rötlich glimmen sah und für eine Sekunde stockte. Knapp forderte er ihn auf: „Berichte.“
„Das haben wir in der ganzen Aufregung vollkommen vergessen zu erzählen. Nachdem uns die Rebellen aus der Zukunft haben gehen lassen und die beiden, ich meine Daniel und Abbey, demontiert haben, haben sie uns per Post ihre beiden CPUs geschickt, mit der Aufforderung, sie gut und sicher aufzubewahren. Es war so was wie der letzte Wille der beiden, glaube ich.“
„In welchem Zustand befinden sich die Chips?“
„Sie haben sie direkt nach der Entnahme in Kunstharz eingegossen. Ich glaube, sie müssten unbeschädigt sein.“ Simons Stimme war voller Aufregung. „Glaubst du, damit könnte man etwas anfangen?“
„Ohne visuelle Inspektion kann ich darüber keine Einschätzung abgeben. Wo befinden sich die CPUs?“
„Karin und ich haben sie in einem Bankschließfach in Freiburg deponiert, für das wir auf ewig im Voraus bezahlt haben, mehrere Jahrzehnte auf jeden Fall. Wir wollten ganz sicher gehen, dass niemand in den Besitz der Chips kommt und ihre Konstruktion studieren kann. Das war der Grund dafür gewesen, dass die Welt in ihrer Zeitlinie oder so ähnlich im Jahr 1997 zerstört worden ist.“ Simon hielt inne und wartete auf den nächsten Kommentar seines synthetischen Gesprächspartners.
„Diese Möglichkeit ist nun ad absurdum geführt worden, da Skynets Entwicklung nicht mehr direkt auf Technologie aus der Zukunft basiert. Aber die Zusammenhänge können später von mir erklärt werden, das hat keine hohe Priorität. Das Wichtigste für uns ist im Moment, in den Besitz der beiden CPUs zu kommen. Wir müssen so schnell wie möglich zu dieser Bank. Könnt ihr mir Auskunft geben über die Nummer des Schließfachs?“ Mit unbewegter Miene sah er hinab auf Simon, der sich mittlerweile im Bett aufgesetzt hatte.
„Ja, klar, aber die Bank hat nachts geschlossen. Wir können frühestens morgen Vormittag hingehen und außerdem müssen Karin und ich zusammen unser Einverständnis geben, damit wir an das Fach kommen.“
„Das wird nicht nötig sein. Zieh dich an, wir müssen losfahren. Ich werde uns ein Fahrzeug beschaffen, dann fahren wir nach Freiburg zu besagter Bank und bringen die CPUs in unseren Besitz.“
„Bist du verrückt? Du willst doch nicht etwa in die Bank einbrechen? He, es geht nur um ein paar Stunden, die wirst du doch wohl warten können. Außerdem kennen wir die Fachnummer nicht auswendig, wir haben die Unterlagen bei uns daheim. Und du selbst hast doch gesagt, dass es in der Stadt für uns gefährlich ist, weil der andere Terminator dort auf uns Jagd macht.“
„Mindestens einer von ihnen, das ist richtig. Ich benötige weitere Informationen, um das Risiko zu berechnen. Steht eure Wohnanschrift in öffentlichen Telefonbüchern oder elektronischen Medien wie Internet? Ist sie bei der Telefonauskunft eingetragen?“
„Nichts von alledem. Nur die Telefonnummer und unser Name. Worauf willst du hinaus?“ wollte Simon mit gefurchter Stirn wissen.
„Wenn der Terminator euren Wohnort in Erfahrung bringen möchte, ist die erste Informationsquelle für ihn das Einwohnermeldeamt. Dort wird er einbrechen oder sich per Computer einhacken. Jetzt nach Büroschluss wird er wohl eher ersteres versuchen. Er kann demnach in diesen Stunden in den Besitz eurer Anschrift kommen und dann bei eurer Wohnung auf euch lauern. Für uns heißt das, wir müssen so schnell wie möglich zu eurem Heim und die Schließfachnummer sowie einige andere für euch wichtige Dinge wie Reisedokumente mitnehmen. Unser großer Vorteil ist, dass der andere Terminator mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nichts von meiner Anwesenheit weiß. Er nimmt an, ihr handelt überstürzt, unlogisch und unvorsichtig, anstatt meinen logischen und strategisch korrekten Anweisungen Folge zu leisten.“
„Vielen Dank für deine hohe Meinung über uns. Gut zu wissen, was du von uns hältst,“ zischte Simon erbost.
„Es ist nichts Persönliches. Ihr seid Menschen. Ich bin ein kybernetischer Organismus, der nicht von Gefühlen oder Zweifeln in seinem Urteilsvermögen beeinträchtigt wird.“ Die Antwort von NMF 2210 kam so emotionslos wie alle seine Anmerkungen, was ihn seltsamerweise irgendwie beschwichtigte.
„Okay, aber ich halte es trotzdem für keine gute Idee, nachts in eine Bank einzubrechen. Sie haben Kameras und Alarmanlagen und überall in der Innenstadt patrouillieren Streifenwagen, besonders heute Nacht, nach deiner Zirkusnummer mit dem Polizeiauto. Wenn irgendein Alarm losgeht, brauchen die nur Minuten, um vor Ort zu sein.“
„Alarmanlagen und normale Polizeikräfte sind irrelevant. Gibt es in der Nähe Stützpunkte für Spezialeinsatzkommandos?“
„Was? Machst du Witze?“ Simons Augen wurden groß, als er das Licht nun wieder einschaltete und sein Gegenüber misstrauisch musterte.
„Witze sind nicht in meiner Programmierung enthalten. Soll ich die Anfrage wiederholen?“
„Negativ... ich meine, nein. Du machst mich noch wahnsinnig.“ Simon schüttelte kurz den Kopf. „Es gibt vielleicht in Stuttgart oder Karlsruhe so etwas, aber ich glaube nicht, dass die bei einem Banküberfall gerufen werden.“
„Gut, dann gibt es kein Problem mit der Beschaffung der CPUs. Vorher werden wir in eurer Wohnung einige Dinge wie warme Kleidung und für euch wichtige Dokumente mitnehmen. Wecke die Frauen, während ich ein Gefährt für uns besorge.“
„Warme Kleidung? Im Juli?“ Doch NMF 2210 war bereits zur Tür hinaus. ‚Er vergeudet wirklich keine Zeit’, dachte Simon missmutig und schwang seine Beine aus dem Bett.
Freiburg im Breisgau, Deutschland 03. Juli 2004
Langsam und mit ausgeschalteten Scheinwerfern bog der silberne Renault Laguna auf die Weberstraße ein. NMF 2210 fuhr gemächlich die verwaiste Straße hinab und betrachtete aufmerksam die Umgebung. „Der andere Terminator befindet sich nicht in unmittelbarer Umgebung. Momentan ist es sicher hier.“
Er fuhr um die nächste Straßenecke und hielt dann. „Soll ich den Motor laufen lassen, damit ihr im Notfall flüchten könnt?“
„Nein, das erregt zu viel Aufmerksamkeit. Lass uns einfach die Zündschlüssel da,“ meinte Natasha missmutig. Sie war immer noch erbost darüber, dass sie mitten in der Nacht, just als sie in einen leichten, unruhigen Schlaf gefallen war, wieder aufgeweckt wurde, nur um zu erfahren, dass sie in einen Banküberfall mit hineingezogen werden sollte.
NMF 2210 entgegnete: „Das ist leider nicht möglich. Ich bin nicht im Besitz der Fahrzeugschlüssel.“
„Was? Aber wie hast du den Wagen dann aufbekommen und zum Laufen gebracht?“ entfuhr es ihr verständnislos.
„Dies ist ein Modell mit elektronischem Schlüssel. Dabei hat der Besitzer eine Codekarte, die den Wagen bei Annäherung per Fernsteuerung automatisch entriegelt und startet, wenn man sie in einen Schlitz im Armaturenbrett steckt.“ Der Motor erstarb, als er den Wagen mit zwei Reifen auf den schmalen Bordstein gefahren hatte.
„Dann lass uns doch einfach diese Codekarte da,“ versuchte Natasha es weiter.
„Auch diese habe ich nicht in meinem Besitz. Ich habe das Signal selbst decodiert und den Wagen so geöffnet und gestartet.“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.
„Wow, so was kannst du? Jetzt bin ich aber beeindruckt.“ Sie ließ sich in ihren Rücksitz sinken und sagte nichts mehr, wohl auch, weil sie sich etwas vorgeführt fühlte.
„Dann wollen wir mal,“ meinte Karin und öffnete die Hintertür.
„Warum geht sie und nicht ich?“ fragte Simon nochmals missmutig.
„Wir sind schon vorsichtig, okay? Mach dir keine Sorgen.“ Sie nickte ihm zu, seine Sorge um sie anerkennend. „Wir brauchen nicht lange. Nicht wahr, Alex?“
„Es ist von höchster Wichtigkeit, sich so kurz wie möglich an diesem potentiell gefährlichen Ort aufzuhalten,“ bestätigte NMF 2210 auf die ihm eigene Weise. „Der Terminator kann jederzeit in den Besitz dieser Adresse gelangen.“
Sie gingen hastig die Straße hinunter bis zu ihrer Haustür. Während Karin nervös mit den Schlüsseln fummelte, fragte sie: „Könnten wir nicht sämtliche Namensschilder von allen Türklingeln und Briefkästen abreißen? Falls der Terminator hierher gelangt, kann er nicht wissen, in welcher Etage wir wohnen. Das könnte uns etwas Zeit verschaffen.“
„Negativ. Dadurch verraten wir ihm, dass wir mit ihm rechnen und werden ihn nur zusätzlich alarmieren.“
„Du denkst wohl an alles?“ fragte sie leise.
„Korrekt.“ Es lag weder Stolz noch Eigenlob in seiner Stimme, es war einfach eine weitere Feststellung, wie sie merkte.
Sie stiegen die schmalen Treppen zu ihrer Wohnung empor, er mit gezogener Pistole absichernd voran. Oben schloss sie hastig auf, worauf der Cyborg wieder vortrat, um die Wohnung zu kontrollieren. Dann winkte er sie hinein. Sofort schlug ihr eine drückende, stickige Wärme entgegen. Es war aber auch wirklich unangenehm warm zur Zeit.
„Beeile dich. Hole die Unterlagen über das Bankschließfach, eure Ausweispapiere und packe zwei Reisetaschen mit Kleidung. Nimm vor allem warme Winterkleidung mit.“
„Wieso das denn? Es hat zur Zeit dreißig Grad am Tag.“ Sie sah ihn fragend an.
„Vertrau mir. Wir werden unter Umständen längere Zeit weg müssen. Ihr werdet die Kleidung brauchen.“
„Schon gut. Hier, dort im Schrank ist eine große Reisetasche. Du kannst in Simons Zimmer aus seinem großen Kleiderschrank für ihn Sachen einpacken, während ich zwei Taschen für mich und Natasha packe. Zu ihr können wir ja wohl schlecht gehen.“
„Definitiv nicht. Ihre Wohnung wird mit Sicherheit überwacht, einerseits von den Behörden, andererseits vielleicht vom Terminator, der auf eine Rückkehr von Natasha hofft.“ Er schüttelte den Kopf, wie sie bemerkte. Diese verneinende Geste musste er bereits von einem von ihnen aufgeschnappt haben. Er lernte ständig dazu, je mehr Input er bekam, auch wenn ihm die menschliche Aura von Daniel und Abbey noch bei weitem fehlte.
Sie suchte die Bankpapiere, ihren und Simons Reisepass und zwei große Taschen heraus. Als sie die erste nach wenigen Minuten mit Wäsche gefüllt hatte und sich gerade an die zweite machte, sah NMF 2210 in ihr Zimmer hinein.
„Das erste Zimmer war das des T-880?“
„Ja. Was willst du dort?“
„Nach Waffen suchen. Es ist in den Subroutinen jedes Terminators eingegeben, sich angemessene Bewaffnung zu beschaffen. Diese müsste sich in seinem Zimmer befinden.“
„Das kannst du vergessen. Wir haben jahrelang zusammengelebt. Früher oder später hätte einer von uns diese Waffen entdeckt, und wenn es nur aus Zufall gewesen wäre. Das Risiko wäre einfach zu hoch gewesen.“
Er hielt einen kurzen Moment inne. „Deine Einschätzung ist korrekt. Habt ihr externe Räume, die zu eurer Wohnung gehören?“
„Naja, den Keller und einen Dachboden. Aber auf dem steht nur Krempel und kein Mensch geht normalerweise da hoch.“ Karin hielt inne und sah ihren Begleiter an.
Er fragte gar nicht weiter, sondern drehte sich schweigend um, trat auf den Hausflur hinaus und sah hinauf. Anstatt die dafür vorgesehene lange Stange mit einem daran befestigten Haken von der Wand zu nehmen, griff er einfach hoch zur Flurdecke, in welche die Falltür eingelassen war. Mit einem leisen Knarren und von zwei Federn gestützt, glitt die Luke mit der darauf befestigten steilen Holztreppe hinab. NMF 2210 untersuchte kurz, ob sie sein Gewicht tragen würde und betrat sie dann vorsichtig.
Oben schweifte sein Blick gleichmäßig über das Gerümpel des Dachbodens. Fast sofort blieb sein Blick an der schweren Stahltruhe mit dickem Vorhängeschloss haften. Er packte eine Ecke des flachen Deckels und bog die gesamte rechte Hälfte des dicken Stahlblechs nach oben. Karin lugte über die Kante der Luke ins Halbdunkel des unbeleuchteten Bodens und staunte einmal mehr über die Unbekümmertheit, mit der der T-800 rohe Gewalt demonstrierte. Er sah hinein und bemerkte: „Hier haben wir etwas Nützliches.“
Er bog den Deckel wieder zurück, was natürlich nicht ganz sauber gelang, um die Kiste danach hochzuheben und langsam zur Luke zu bugsieren. Ihr wurde beinahe übel bei der drückenden stickigen Hitze, die direkt unter dem unisolierten Dach auch nachts noch herrschte.
Karin stieg schnell und so leise wie möglich, um keine Nachbarn zu wecken, wieder hinab und wollte wissen: „Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Unwahrscheinlich. Das Gewicht der Kiste beträgt etwa einhundertzwanzig Kilogramm.“ Er stieg die ersten Stufen hinab und hob die Kiste hochkant über die Schwelle der Bodenluke, wobei es im Inneren für ihren Geschmack viel zu laut klapperte.
Gerade hatte er die Dachbodenluke wieder verschlossen, als sie hörten, wie jemand unten an der Haustür rüttelte. Ihre Augen weiteten sich in Panik, doch er schob sie schnell in die Wohnung zurück, bugsierte die Kiste hinterher und schloss die Tür.
„Oh mein Gott, ist er das?“ flüsterte sie ängstlich.
„Bitte warte.“ Er schien zu lauschen, doch das recht laute metallische Scheppern, mit dem das Haustürschloss aus seiner Fassung gerissen wurde, blieb auch ihr nicht verborgen. Er schien nur für einen Sekundenbruchteil zu zögern, dann packte er das massive Vorhängeschloss und riss es mit einem kurzen Ruck ab. Ohne auf Karins perplexe Miene zu achten, öffnete er die Truhe und griff hinein. Langsam zog er eine dunkle Wolldecke hervor und wickelte den Gegenstand aus, der in ihr verborgen war.
Mit großen Augen besah sich Karin das Heckler & Koch G3, das Standardgewehr der deutschen Bundeswehr. NMF 2210 wickelte es wieder ein und legte es beiseite, um erneut in die Waffenkiste zu greifen. Er kommentierte: „Eine gute Waffe und in hervorragendem Zustand. Aus Bundeswehrbeständen. Leider ist ihre Kadenz bei weitem nicht ausreichend für den vorgesehenen Einsatzzweck.“
„Wie meinst du das?“
Er zog ein langes, schmales Bündel hinaus und wickelte es rasch aus. „Die maximale Feuergeschwindigkeit bei Dauerfeuer reicht nicht aus, um den T-880 aufzuhalten. Das hier ist besser. Ein M60 Maschinengewehr aus US-Army-Beständen. Es hat eine Kadenz von etwa 600 Schuss pro Minute und wegen des längeren Laufes eine höhere Durchschlagskraft.“
NMF 2210 musste nicht lange am Grund der Kiste suchen, bis er einen Zerfallgurt mit zwei Dutzend Schuss passender 7.62 mm-Vollmantelmunition fand. Er führte ihn in die Waffe ein, schloss den Führungsmechanismus und lud durch.
„Wird ihn das aufhalten?“ wisperte Karin mit zitternder Stimme.
„Nein. Der T-880, dem wir wahrscheinlich gegenüberstehen, ist noch robuster gebaut als ich, auch wenn er wahrscheinlich kleiner und unauffälliger in der Statur ist. Seine CPU ist um eine Größenordnung leistungsfähiger als meine, was Auffassungsgabe und Geschwindigkeit betrifft. Und er ist nach unserem Wissen mit einer Plasmawaffe ausgerüstet. Sämtliche Vorteile bis auf das Überraschungsmoment sind auf seiner Seite.“ Der Blick aus seinen Augen war hart und unerbittlich.
„Zum Glück haben wir das mit den Namensschildern sein gelassen,“ merkte sie an.
Er nickte, noch eine neue Geste für ihn. „Geh jetzt ins Bad und lege dich flach in die Wanne. Das ist der sicherste Ort in der Wohnung für dich.“
Sie befolgte seine Anweisung augenblicklich und ließ ihn im Flur zurück. NMF 2210 stellte sich vier Meter von der Tür entfernt auf, stützte den grauen Kunststoffkolben des MGs in seine rechte Armbeuge, legte den rechten Zeigefinger auf den Abzug und nahm den Schaft der Waffe unter dem Lauf fest in die linke Hand. Der bronzeschimmernde Gurt mit den Patronen hing lose herab. Das sah zwar aus wie in einem schlechten Actionfilm, doch mit dieser Haltung und bei dem Rückstoß der Waffe hielt er sie mit seinem hydraulischen Griff fest wie in einem Schraubstock, so dass er sie unmöglich verreißen konnte. Im Flur war es stockdunkel, was jedoch weder ihn noch seinen Gegenspieler in seiner Infrarot-Nachtsicht behindern würde.
Einen Moment später drückte sich die Tür nach innen, langsam aber unerbittlich, was das Holz rund um die Türfalle nach und nach knacken und splittern ließ, bis es nachgab und die Wohnungstür aufschwang. In dem Moment, in dem der dunkle Umriss des T-880 in der Tür sichtbar wurde, zog er den Abzug durch. Mit einem in dem engen Flur schmerzhaft lauten Knattern, gleich einem Donnergrollen, ruckte der Gurt mit sämtlichen Patronen in weniger als zwei Sekunden durch die Zuführung, wobei die Patronenhülsen und Gurtstücke auf den Boden klimperten. Der Raum wurde vom sechsstrahligen Mündungsfeuer stroboskopartig ausgeleuchtet, bevor er wieder in der Dunkelheit versank.
Gleich einem metallenen Mahlstrom prasselten vierundzwanzig großkalibrige Stahlmantel-geschosse genau gegen die Brust des feindlich gesonnenen Terminators. Die Panzerung unter der weggefetzten Haut des Brustkorbs wurde zwar eingebeult, doch keines der Projektile vermochte sie zu durchdringen. Infolgedessen entluden die Geschosse ihre gesamte kinetische Energie an der Oberfläche des Torso und warfen seinen Körper einen Meter weit zurück. Für einen Moment war die Kampfmaschine bewegungsunfähig, als sie nach hinten geschleudert wurde und diverse Backup-Systeme einsetzten, um die Folgen der heftigen Erschütterung auszugleichen. NMF 2210 musste schnell handeln; einen T-800 hätte ein solcher Feuerstoß für mehrere Sekunden umgehauen, doch der neuere Typ 880 war wie erwartet um einiges robuster.
Mit zwei langen Schritten war er beim Gegner, der einen Kopf kleiner war als er selbst, und packte ihn an seinen Oberarmen. Unter Ausnutzung allen verfügbaren Raumes in dem schmalen Treppenhaus spielte er seinen einzigen echten Vorteil aus: sein um einhundert Kilogramm höheres Gewicht. Er schwang in einer einzigen flüssigen Bewegung herum und warf seinen Gegner in hohem Bogen die Treppe hinab. Am unteren Ende durchschlug der Cyborg die Fensterscheibe des Treppenhauses mit einem lauten Klirren und fiel wie ein nasser Sack Zement aus dem dritten Stock auf die Straße, während überall um ihn herum Scherben hinabregneten. Die alte, von zwei Hitzesommern in Folge zermürbte Alphaltdecke gab knirschend unter der Wucht des Aufpralls nach. Drei stinkbesoffene und obendrein bekiffte Studentinnen, die nur zwanzig Meter entfernt ihre Fahrräder in Schlangenlinien vor sich herschoben, sprangen erschrocken zurück, nur mühsam begreifend, was da geschehen war.
NMF 2210 verlor keine Zeit. Mit jeweils zwei großen Sätzen pro Treppe war er innerhalb von acht Sekunden an der Haustür und stürmte auf die Straße hinaus. Die verdatterten Studentinnen ignorierend, sprintete er zum regungslosen, von scharfkantigen spitzen Splittern gespickten Körper seines Gegners, welcher nicht einmal während des Sturzes seine Waffe losgelassen hatte. Ihm fehlte dieser unsinnige menschliche Reflex.
Jeden Moment konnte er wieder aufstehen, sobald er die Selbstdiagnose nach dem Sturz beendete und seine internen Systeme wieder aufstarteten.
Kraftvoll entriss er dem T-880 das M-80, richtete es auf seinen Bauch, sorgfältig den Bereich um die primären Energiezellen vermeidend, und drückte ab. Lächerlicherweise schien der unbeschreibliche synthetische Laut, der den kurzen handbreiten Lichtblitz begleitete, direkt aus einem der ersten Videospiele der Achtziger Jahre entliehen. Er feuerte zur Sicherheit nochmals, auf das obere Ende des Brustbeins. In dem nur dürftig erhellten Zwielicht der Straße konnte er sehen, wie das rote feurige Glimmen in seinen Augen erlosch.
Die linke der drei unverhofften Augenzeugen ließ scheppernd ihr Rad fallen und flüsterte fassungslos: „Gleich morgen geh ich auf Entzug, ich schwör’s euch, Mädels. Kein Alk mehr, kein Gras mehr...“
Als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, mit der M-80 in der Hand, und seinen Kopf zu ihnen umwandte, lag sein Gesicht im Schatten, aber seine Augen leuchteten sichtbar glutrot auf. Augenblicklich warfen die beiden anderen ebenfalls ihre Räder zu Boden und sie rannten, so schnell ihr stark benebelter Zustand das zuließ, schreiend davon.
Der T-800 indes packte den terminierten Körper seines Gegners und schleifte ihn mit regungsloser Miene zum Auto um die Ecke. Er durfte nicht zulassen, dass er gefunden wurde. Innerhalb von zwanzig Sekunden hatte er den Kofferraum des Renault erreicht, öffnete die große Heckklappe und stopfte den zusammengefalteten Körper weit nach vorne an die Rückenlehnen. Simon und Natasha starrten neugierig nach hinten, sobald sie ihn bemerkten.
„Was machst du da?“ wollte Natasha auch gleich wissen und stieg hinten aus, gerade als er die Heckklappe wieder zuschlug.
Er antwortete nicht und drückte ihr stattdessen die Plasmaimpulswaffe in beide Arme. „Hier, die habe ich dem Terminator abgenommen.“
„Dem...? Uff!“ Sie ging in die Knie, als das unerwartet hohe Gewicht der Strahlenwaffe ihre Arme hinabzog und sie das Gewehr beinahe fallen ließ.
„Schnell, steig ein. Jede Sekunde zählt jetzt.“ Kaum war sie stöhnend und leise russische Flüche ausstoßend mitsamt des klobigen, zentnerschweren Gewehrs im Fond verschwunden, da fuhr er mit aufheulendem Motor rückwärts bis zur Einmündung in die Weberstraße, stach in diese hinein und kam erst vor ihrem Wohnhaus zum Halten. In einigen Wohnungen war inzwischen Licht angegangen und im Haus gegenüber sah eine alte Dame bereits zaghaft zwischen vorgezogenen Vorhängen hindurch auf die Straße hinaus.
„Los, kommt schnell.“ Zum ersten Mal lag so etwas wie ein drängender Unterton in seiner Stimme, dachte Simon. Konnte er sich wirklich so schnell weiterentwickeln? Dabei war er doch nur das „alte“ Modell, wie er stets betonte.
Eilig hasteten sie die Treppen hinauf und packten jeder eine der großen Reisetaschen, die noch immer im Flur standen. Mit entsetzten Mienen starrten Simon und Natasha dabei auf die Wand neben der Wohnungstür, die mit abgeprallten Querschlägern vom Beschuss des T-880 und dessen Blutspritzern übersät war. Karin war noch etwas verstört, nahm aber doch tapfer ihre eigene Reisetasche und trug sie hinab, während NMF 2210 die schwere Waffentruhe auf seiner Schulter balancierte. Sie alle ignorierten den engen Aufzug, weil er zum einen zu klein und zum anderen nur für 160 kg Traglast ausgelegt war.
Gerade als sie die Haustür im Parterre erreicht hatten, öffnete sich irgendwo in den oberen Stockwerken eine Wohnungstür. Eine männliche Baritonstimme rief ins Treppenhaus: „Was soll dieser Lärm? Was ist hier eigentlich los?“
„Ignoriert ihn“, war NMF 2210’s einziger Kommentar, dann waren sie im Freien. Der T-800 riss die Heckklappe auf, warf die Waffentruhe hinein, worauf die Hinterachse sich bedenklich senkte und schloss vor den verblüfften Augen seiner Begleiter das Gepäckabteil wieder.
„Hinten ist voll. Nehmt eure Sachen mit auf die Rückbank.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schwang er sich wieder hinters Steuer. Ihnen ging angesichts von sehr nahen Sirenen auf, dass es wirklich existenziell für sie sein musste, momentan keinen Augenblick zu verschwenden. So fuhren sie nach wenigen Sekunden mit kurz durchdrehenden Vorderrädern los. Wieder raste der Cyborg quer über die Kreuzung der Merianstraße nach links auf den Friedrichring, doch mitten in der Nacht störte das niemanden weiter.
Kurz darauf waren sie verschwunden.
- 3 -
Freiburg im Breisgau, Deutschland 03. Juli 2004
Sie waren kurz vor dem Morgengrauen wieder in Breisach angekommen. Auf der Fahrt zurück in ihre Pension hatte NMF 2210 ihnen eröffnet, dass es nun nicht mehr zwingend erforderlich war, noch in dieser Nacht die beiden CPUs zu holen.
„Dann können wir heute tagsüber in die Bank gehen, während sie geöffnet hat, und ganz legal das Schließfach öffnen“, sagte Simon erleichtert.
„Nein, das ist zu gefährlich. Der Terminator ist zwar neutralisiert, aber ihr alle werdet jetzt gesucht. Ihr könnt euch tagsüber nicht mehr in der Öffentlichkeit ungehindert bewegen und auch nicht die Bank aufsuchen, wo euch jemand erkennen kann. Deshalb werden wir heute Nacht zur Bank gehen.“
„Toll, mein Leben ist zu Ende“, maulte Natasha, die man im Fond kaum noch sehen konnte, gereizt. „Mann, bin ich froh, wenn das ganze Gepäck von mir runter ist. Was ist denn im Kofferraum?“
„Eine Truhe voller Waffen, die Abbey und Daniel gehört hat,“ sagte Karin neben ihr.
„Und der terminierte T-880, den Skynet auf euch gehetzt hat“, ergänzte NMF 2210 seelenruhig.
„Du hast ihn mitgenommen? Bist du des Wahnes?“ ereiferte sich Natasha sofort.
„Er durfte nicht gefunden werden. Die Welt ist noch nicht bereit dafür. Ich werde ihn in denselben Baggersee werfen, in dem ich gestern den Golf versenkt habe. Nachdem ihr euer Gepäck an der Pension ausgeladen habt, erledige ich das und bringe den Wagen zurück.“ Seine sachlich vorgetragenen Erklärungen gaben ihnen wieder etwas mehr Zuversicht.
„Ihr könnt jetzt schlafen. Wartet nicht auf mich. Wenn ihr wieder wach seid, erkläre ich euch alles Nötige.“ Damit hielt er leise vor der netten kleinen Pension und trug die schwere Stahltruhe auf ihr Zimmer, sobald sie alle ihre Taschen und die Plasmawaffe entladen hatten. Er wollte ihnen den Anblick des terminierten, unnatürlich zusammengefalteten Cyborgs im Kofferraum ersparen. Seinen Dateien nach war das in der derzeitigen Lage nicht gut für ihre Moral.
Der Besitzer des Wagens würde nicht einmal bemerken, dass sein Fahrzeug gefehlt hatte, solange er nicht den Kilometerzähler beachten würde. Sie würden sich allerdings bald auf anderem Weg ein Automobil beschaffen müssen, denn sie konnten sich nicht andauernd in gestohlenen Fahrzeugen fortbewegen, wie die unschöne Szene an der Tiefgarage gezeigt hatte.
Gegen Mittag hatten sich die drei soweit erholt, dass NMF 2210 sein Briefing ansetzen konnte. Dazu gingen sie jedoch in ein nettes kleines Restaurant in der Altstadt, wo sie in einer geschützten Nische sicher vor neugierigen Augen und vor allem Ohren waren.
„Dann erzähl’ doch mal, warum wir im Lauf der letzten vierundzwanzig Stunden alle unser Leben weggeworfen haben“, verlangte Natasha spitz zu wissen.
„Ihr habt euer Leben nicht weggeworfen. Ihr seid zur Terminierung markiert worden, weil ihr in der Zukunft eine wichtige Rolle im menschlichen Widerstand Europas spielen werdet.“
„Kann schon sein, aber du hast den anderen... na, diesen Terminator eben, doch getötet? Dann ist doch alles wieder in Ordnung. Wir können zur Polizei und nach vielem Erklären und Geschichtenerfinden vielleicht sogar unser altes Leben wieder aufnehmen.“ Natasha schien recht zuversichtlich.
NMF 2210 schüttelte erneut den Kopf. „So einfach ist es nicht. Skynet hat mindestens sechs T-880 zurückgesandt, um die Anführer des Widerstandes zu terminieren. Das war nur einer. Wir können nicht sicher sein, ob die anderen gleich aussehen wie dieser hier. Die T-880 sind nur in Kleinserie produziert worden. Jeder könnte es sein.“
Gibt es gar kein Erkennungszeichen?“ fragte Karin verzweifelt angesichts dieser Eröffnung.
„Doch, der Betreffende kann eine sehr große Sporttasche oder etwas Ähnliches bei sich tragen.“
„Warum das denn?“ fragte Simon.
„Er muss die Plasmaimpulswaffe in einem Behälter von geeigneter Größe verbergen, wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegt. Sogar für einen T-880 ist es noch zu früh, um auf offener Straße mit einem Lasersturmgewehr im Anschlag herumzulaufen. Deshalb müssen wir auch damit rechnen, dass er sich teilweise konventioneller Projektilwaffen bedienen wird.“
„Hm, klingt einleuchtend. Und wohin willst du mit uns gehen, wenn wir erst einmal die beiden CPUs von Abbey und Daniel haben?“ schaltete Karin sich ein.
„Darüber wird uns die Verstärkung informieren, die uns gesandt wird. Mein Auftrag besteht zunächst darin, euch zu schützen, die Lage hier zu sondieren und eine detaillierte Meldung in die Zukunft zu senden. Der Austauschpunkt dafür ist in der Nähe in den Auwäldern entlang des Altrheins, morgen früh um fünf Uhr dreißig. Bis dahin muss ich mir einen lebenden Fisch von etwa dreißig bis vierzig Zentimeter Körperlänge beschaffen. Mit ihm wird die Nachricht übermittelt werden.“
Simon schlug vor: „Den können wir uns aus einer Forellenzucht in der Gegend besorgen; ich kenne eine. Ist Forelle gut?“
„Die Spezies ist unerheblich. Wichtig ist, dass der Fisch zum Zeitpunkt der Raumzeit-verschiebung noch lebt. Nur lebende Objekte können das Zeitfeld passieren.“
„Aha. Das hat sicher mit unserer Entdeckung von damals zu tun, dem Schimmel auf der Kristallscheibe“, fiel Karin ein. „Und wie wird die Nachricht transportiert?“
„Der Fisch wird Sekunden vor dem Transport aufgeschnitten und die Nachricht in sein Inneres geschoben. So kann der unbelebte Gegenstand, in unserem Fall die Botschaft und die beiden CPUs, umhüllt von lebender Materie durch die Zeit reisen.“
„IIIH!“ kiekste Natasha. „Ist das ekelig!“
„Nicht so laut“, rief NMF 2210 sie zur Ordnung.
Karin schnitt ebenfalls eine Grimasse, resümierte dann aber: „Für uns heißt das demnach, wir müssen die CPUs geholt haben und rechtzeitig am Zielpunkt sein. Wir werden aber erst sehr spät in der Nacht ungestört in die Bank können, schließlich ist es Samstag, da ist immer viel los in der Stadt. Wird das nicht knapp werden?“
„Der Zielpunkt ist mit einem Automobil in weniger als einer halben Stunde von Freiburg aus erreichbar. Allein die Fahrzeugbeschaffung kann problematisch werden, da wir alle inzwischen gesucht werden dürften.“ NMF 2210 schien kurz inne zu halten. „Es gibt hier im Ort eine Autovermietung, wo ein Fahrzeug von Samstag auf Sonntag unbemerkt entwendet werden kann.“
„Wunderbar, aber warum das Ganze? Kannst du uns nicht irgendwelche Zusammenhänge erklären? Offenbar geht uns das doch mehr an, als uns lieb ist. Was ist mit diesem Krieg in der Zukunft? Was hat sich da geändert?“ Karin biss herzhaft in ihr reichlich belegtes überbackenes Baguette.
„In eurer Version der Geschehnisse hätte dieser Krieg im August 1997 stattfinden müssen. Dies ist allerdings von John Connor, dem Führer des Widerstandes und seiner Mutter, Sarah Connor, verhindert worden. Die Entstehung von Skynet wurde dadurch aber nicht verhindert, sondern vielmehr verlagert. Anstatt in Form eines großen Computerkerns wird Skynet jetzt, dem technischen Fortschritt gemäß, als ShareWare-Programm entwickelt. Seine Software wird auf Millionen von Rechnern während deren Internet-Gebrauchs insgeheim installiert, so dass eine immense Rechenleistung ermöglicht wird. Das macht es auch unmöglich, das Programm abzuschalten, als es einen Stand erreicht, auf dem es ein Selbstbewusstsein entwickelt und die Menschen als Feinde zu betrachten beginnt.“
„Klingt übel. Und was passiert dann?“ fragte Natasha, abwesend in ihrem Mischsalat herumstochernd.
„Skynet tut das, wozu er entwickelt wurde: er übernimmt die Kontrolle über alle ballistischen Interkontinentalraketen, kurz ICBM, der USA und startet sie gegen strategische Ziele in Russland, andere ehemalige GUS-Staaten und China.“
Natashas Gabel fiel laut polternd auf ihren Teller.
„Du meinst...“
„Ein umfassender nuklearer Erstschlag gegen die Länder, die sich angemessen wehren können. Der Gegenschlag vernichtet den größten Teil der amerikanischen Bevölkerung, wenngleich rein statistisch gesehen der Großteil Europas noch schwerer betroffen sein wird. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte auf dem Kontinent, der damit verbundenen Dichte an militärischen und strategischen Zielen und der Nähe zu Russland werden eine hohe Anzahl an schwächeren Mittelstreckenraketen hier eine weitaus größere Zerstörung anrichten als die ICBMs auf der ausgedehnten Landmasse Nordamerikas.“
„Scheiße.“ Simon hatte vergessen zu kauen. „Und wann... ich meine, wann passiert...“
„Darüber kann ich keine Auskunft geben. Es wäre der Mission nicht dienlich.“
Natashas Augen wurden groß: „Das kann nicht dein Ernst sein! Die Welt wird irgendwann untergehen, vielleicht schon bald, und du weißt genau wann, willst es uns aber nicht sagen?“
„Die Welt wird nicht untergehen, nur größtenteils vernichtet und für einige Zeit schwer verstrahlt. Durch umfassende nukleare Abrüstungsmaßnahmen der letzten zehn Jahre und fortschreitende Veraltung sowie technische Unzuverlässigkeit der noch bestehenden Raketensysteme, vor allem der osteuropäischen Staaten, ist die kernwaffentechnische Kompetenz der Menschheit um einiges geringer als noch vor zwanzig Jahren, zu Zeiten der Sowjetunion im sogenannten ‚Kalten Krieg’.
Damals wäre die Welt mit Sicherheit vollständig vernichtet worden, doch heute ist bei vielen Raketen nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch zünden, aus den Silos abheben oder den nötigen Schub erreichen können, um in ihre Flugbahn bis über den Nordpol zu gelangen. Zudem hat Skynet keine direkte Kontrolle über flugzeug- und unterseegestützte Kernwaffen. Früher hatten die USA ständig rund um die Uhr mehrere Atombombergeschwader in der Luft, die Skynet mit gefälschten elektronisch verschickten Angriffsbefehlen genauso wie ballistische U-Boote hätte angreifen lassen können. Heute ist die Zahl der Boote verringert und das Herumfliegen von Wasserstoffbomben im Megatonnenbereich fast gänzlich eingestellt worden. Ihr seht, es ist nicht ganz hoffnungslos. Und genau da beginnt eure Aufgabe. Ihr werdet dem Widerstand gegen die Maschinen in Europa wertvolle Dienste leisten.“
„Einfühlungsvermögen gehört nicht zu deinen Stärken, oder?“ bemerkte Natasha schnippisch.
Er sah ihr mit versteinerter Miene direkt in die Augen, was sie unwillkürlich frösteln ließ. „Nein. Einfühlungsvermögen gehört auch nicht zu deinen Stärken, oder?“
Simon und Karin grinsten amüsiert vor sich hin, während Natasha sie anfuhr: „He, das hab ich nie behauptet! Habt ihr schon mal von mir gehört, dass ich gesagt hab...?“
„Schon gut, Lucie. Wir nehmen dich so wie du bist,“ feixte Karin.
„Lucie? Warum Lucie?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und wartete auf eine Erklärung dieser Bemerkung.
Simon grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich geb’ dir einen Tip: kennst du die ‚Peanuts’? Charlie Brown, Snoopy und so?“
„Klar, aber worauf willst du hinaus...?“ Sie brach empört ab und wandte sich von ihnen ab, als ihr aufging, wer mit Lucie gemeint war. „Und euch hab’ ich mal zu meinen Freunden gezählt. Kaum zu glauben.“
„Ich kann keinen schlüssigen Sinn in eurem Dialog eruieren“, stellte NMF 2210 fest.
Worauf ungewollt alle drei loslachen mussten. Der T-800 trug das – wie stets – mit Fassung, dann fasste er nochmals alles Wichtige zusammen. „Ich wiederhole meine Absicht für heute Nacht noch einmal in kurzer Form: ich werde zum örtlichen Autoverleih gehen, dort ein Fahrzeug requirieren, nach Möglichkeit so, dass niemand es bemerkt, und euch dann abholen. Wir laden alles Gepäck ein, fahren zur Bank und ihr wartet im Auto auf mich. Ich besorge die beiden CPUs aus dem Schließfach, die wir dann mittels des Fisches in die Zukunft schicken. Seit meiner Ankunft sind zwar fast zwei Tage vergangen, doch die Verschiebung in der Zukunft wird unmittelbar nach meiner Entsendung hierher erfolgen, sodass für den General kaum eine Verzögerung entsteht. Er wird hochzufrieden sein, dass er zwei intakte Chips für T-880 erhalten wird, da er angenommen hatte, wochen- oder monatelang für die Programmierung von neuen CPUs zu benötigen.“
„Welcher General?“ fragte Karin, die hellhörig geworden war.
„General Henee Mahtobu, der Kommandant des Stützpunktes, auf dem die ZVA steht.“
„Aha.“ Simon hielt die Bedienung an und gab ihr seine Kreditkarte mit, zusammen mit einem Trinkgeld.
NMF 2210 sagte augenblicklich: „Es ist nicht ratsam, mit elektronischen Zahlungsmitteln die Rechnung zu begleichen. Auf diesem Wege können unsere Spuren hierher verfolgt werden.“
„Nicht mit dieser Karte,“ wiegelte Karin ab. „Sie ist auch aus der Zukunft und darauf ausgerichtet, nicht zurückverfolgt werden zu können. Sie verändert die Marke und Kodierung nach jedem Zahlungsvorgang.“
Das machte den Cyborg hellhörig. „Ich muss mir diese Karte ansehen. Es kann sein, dass sie zu mehr nutze ist als nur zur Bezahlung.“
„Wie meinst du das?“ fragte Simon neugierig.
„Ungenügende Daten. Warte die Untersuchung ab.“
Die Bedienung brauchte nicht lange, bis sie mit der Karte zurückkam. Sobald sie weg war, nahm NMF 2210 sie genauer in Augenschein und fühlte eingehend beide Seiten ab.
„Eindeutig. Ich verfüge über Dateien, die diesen Gegenstand betreffen. Die Karte besteht aus polymimetischem Flüssigmetall, einem experimentellen Stoff aus der Zukunft. Es kann durch nanotechnologische CPUs, die in dem Material eingebettet verteilt sind, programmiert werden und reagiert in diesem Fall auf Standard-Befehlssequenzen, die per Funk übermittelt werden können. Passt auf.“ Er hielt die Karte von sich, so dass die drei anderen am Tisch sie deutlich sehen konnten.
„Mastercard“, sagte er, worauf ein Schillern wie von flüssigem Quecksilber kurz die Karte überzog und sich die entsprechenden Farben und besagtes Firmenlogo ausbildete. Er starrte weiterhin darauf, worauf wie durch Zauberhand eine American Express aus ihr wurde.
Alle drei starrten ihn an. Karin erlangte zuerst die Fassung zurück: „Und du kannst es steuern?“
„Mir sind die Frequenzen und Befehlscodes bekannt. Sie wurden mir in der Basis eingegeben, obwohl den Technikern dort nicht bewusst gewesen ist, dass ich sie brauchen könnte.“
„Sehr praktisch, muss ich schon sagen“, bemerkte Simon beim Hinausgehen.
„Diese Karte verfügt noch über weitere Funktionen. Ich werde es euch demonstrieren, da das für euch glaubhafter ist als eine Beschreibung“, sagte NMF 2210 auf dem angrenzenden Parkplatz.
„Du traust uns aber nicht besonders viel Phantasie zu“, protestierte Natasha.
Er hingegen stellte sich neben die Beifahrertür eines Lieferwagens und hielt die Karte vor sich. An einem Ende wurde sie silbern, verflüssigte sich und floss zusammen, wobei sie sich verjüngte und eine Art kleinen Dorn formte. Diesen steckte er langsam bis zum Anschlag in das Beifahrerschloss der Transportertür, wo es sich soweit ausdehnte, dass sämtliche Schlossstifte im richtigen Abstand aus dem Zylinder hinausgedrückt wurden, um die Form des Schlüssels zu imitieren und so das Schloss zu entriegeln. Nach einer Sekunde Wartezeit war das Flüssigmetall ausgehärtet und er konnte die Tür des Wagens aufschließen. Er schloss die Tür ebenso leise, wie er sie geöffnet hatte, zog den Schlüssel ab und hielt ihn den drei staunenden jungen Menschen unter die Nase. Nach einigen Sekunden floss die Legierung in ihr ursprüngliches Kreditkartenformat zurück und bildete wieder perfekt ihre vorherige buntbedruckte Kunststoffform aus.
„Das ist ja kaum zu glauben“, entfuhr es Karin lapidar.
„Deshalb wollte ich es euch zeigen. Ihr hättet es mir nicht geglaubt, wenn ihr es nicht selbst gesehen hättet.“
„Ja ja, schon gut. Toll, wie in einem Science-Fiction-Film.“ Natasha war wirklich beeindruckt. Ihr Verstand begann allmählich zu akzeptieren, was um sie herum geschah.
„Wir gehen zurück zur Pension“, bestimmte NMF 2210 dann und wandte sich um, ohne auf eine Antwort zu warten.
„Manieren hat der“, flüsterte Natasha Karin ins Ohr.
„Was erwartest du? Du kannst ihn ja mal den ‚Knigge’ lesen lassen. Vielleicht bringt’s was.“
Freiburg im Breisgau, Deutschland 04. Juli 2004
Es war nach vier Uhr morgens, als Simon, Karin und Natasha noch schlaftrunken, aber auch angespannt und äußerst nervös im entwendeten Auto, einem schwarzen Lexus RX 300, saßen und beim Hinterausgang der Bank vorfuhren. Der Gepäckraum hinter den Rücksitzen des edlen Geländewagens war mit ihren ganzen Habseligkeiten überfüllt und verdeckte teilweise sogar die Sicht nach hinten aus der Rückscheibe heraus.
Natasha ließ sich vom Rücksitz aus vernehmen: „Ich finde ja immer noch, dass das hier ein viel zu auffälliges Fahrzeug für so eine Aktion ist. Hast du nichts besser Geeignetes gefunden?“
„Du irrst in deinem Glauben“, erklärte NMF 2210 sachlich beim Abstellen des Wagens. „Dieses Fahrzeug ist bedingt für Geländefahrten geeignet, bietet einen großen Innen- und Gepäckraum und besitzt einen kräftigen und zuverlässigen Motor. Damit erfüllt es alle Anforderungen, die an es gestellt werden können.“
„Wenn du es sagst“, war die missmutig Antwort aus dem Fond.
„Sei nicht immer so negativ,“ zischte Simon ihr genervt zu.
Sie erwiderte auf ihre leicht schnippische Art: „Das ist lediglich konstruktive Kritik, damit das klar ist.“
„Euer Dialog ist von keinem relevanten Nutzen. Bitte wartet hier und seid aufmerksam, falls Passanten kommen.“ Damit stieg der T-800 aus und trat ins Halbdunkel des Hintereingangs des Bankgebäudes. Sofort schaltete sich eine an einen Bewegungsmelder gekoppelte Leuchte an und strahlte den gesamten Bereich aus. Die Tür war aus Glas und auch die Bereiche rechts und links waren als Glasfront ausgelegt, so dass man einen Gang hinabsehen konnte, der ins Gebäudeinnere zur Filiale führte.
„Shit, das fängt ja gut an.“ Karin sah sich hektisch um, aber um diese Uhrzeit war niemand in der engen Gasse unterwegs. NMF 2210 hielt die Kreditkarte aus T-1000-Polymer ans Schloss des Hintereingangs, worauf dieses sich anstandslos öffnen ließ. Er erblickte einen leicht versteckt angebrachten Schalter für ein Alarmsystem, das von einigen Infrarot-Lichtschranken im Korridor ausgelöst werden konnte. Auch diesen Schalter konnte er mit Hilfe des futuristischen Dietrichs betätigen und so den Alarm deaktivieren. Als er ins Dunkel des Gangs hineinstapfte und durch eine weitere, verschlossene Tür ins Innere der Bankfiliale gelangte, verloren sie ihn aus dem Augen.
„Wenn das mal gut geht.“ Karin war gar nicht wohl zu Mute. Schließlich war das hier eindeutig ein schweres Verbrechen, auch wenn er nur etwas entwendete, was ihnen ohnehin gehörte. Nun, bisher war alles soweit ruhig geblieben. Vielleicht schafften sie es ja doch, ohne erwischt zu werden oder die Polizei auf ihre Spur zu hetzen. Bei dem Gedanken wurde ihr wieder fast schlecht. Was für eine Zukunft konnte sie wohl noch erwarten nach den Ereignissen der vergangenen beiden Tage?
Eine schrille hochfrequente Glocke, die andauernd und weithin hörbar erklang, untermalt von einem roten Blinklicht, welches bisher von ihnen unbemerkt an der Hauswand neben ihnen gehangen war, versetzte ihnen einen Riesenschreck und machte zugleich ihre Hoffnungen zunichte, ungesehen hier weg zu kommen. Gleichzeitig verriegelten sich sämtliche Türen der Bank mit einem hörbaren Klicken; rote Kontrollleuchten erschienen und zeigten den Status der Schlösser an. Natasha stieß wieder einmal ein paar deftig klingende russische Flüche aus, indem sie wie ihre beiden Freunde auch alarmiert abwechselnd zur Bank und auf die Straße hinaus sah.
Nach weniger als zehn Sekunden flog die Tür zur Bankfiliale aus den Angeln und wirbelte durch den Gang bis zur gegenüberliegenden Mauer, an die scheppernd stieß und dann auf dem roten Teppichboden des Flurs liegen blieb. NMF 2210 eilte den Gang hinab und warf sich gegen die Glasscheibe der Tür.
Das Glas hielt dem Aufprall stand.
„Verd... das ist sicher Panzerglas. Was machen wir jetzt nur?“
NMF 2210 hatte einmal mit einer eckigen Bewegung des Kopfes den Rahmen der Tür abgesucht und war offenbar zu einem Schluss gekommen, denn er trat zwei Schritte zurück, streckte beide Arme gerade vor sich hin und hob die Handballen nach vorne. In dieser Haltung warf er sich in Brusthöhe genau auf den Türrahmen, der bedenklich knackte. Er trat noch einen Schritt weiter zurück und wiederholte seine Rammbockaktion.
Mit einem lauten Knirschen wurde der Rahmen der Tür aus der Fassung in der umgebenden Betonmauer gerissen und fiel dröhnend auf die Straße hinaus. Im selben Moment war NMF 2210 schon beim Auto und stieg ein. Zwei Sekunden später fuhren sie mit hochdrehendem Motor los und bogen gleich um die nächste Ecke auf den Umfahrungsring der Innenstadt.
„Das war’s schon? Keine zwanzig Sekunden nachdem der Alarm losging, sind wir unerkannt entkommen? Es kann doch nicht so leicht sein, eine Bank auszurauben.“ Das bare Staunen sprach aus Simons Stimme, als sie gemütlich und unauffällig mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit nach Richtung Norden auf die B 3 einbogen, die sie durch die Stadtteile Herdern und Zähringen aus Freiburg hinausführen würde.
Zum einen habe ich nur ein einzelnes Schließfach geöffnet und nicht große Mengen Geld und Wertsachen an mich genommen, was bedeutend mehr Zeit beansprucht hätte. Zum zweiten bin ich dank der polymorphen Karte ungehindert bis zum Raum mit den Fächern gelangt, bevor ich einen Alarm ausgelöst habe, was uns wiederum wertvolle Zeit gesichert hat.“
„Hast du es bekommen?“ fragte Karin zaghaft.
Anstatt zu antworten griff der Cyborg neben sich und händigte ihr einen DIN A4-Briefumschlag aus, der deutlich ausgebeult und recht schwer für seine Größe war. Sie erkannte Simons Handschrift auf dem Umschlag. Ehrfurcht stand in Karins Augen, als sie ihn vorsichtig öffnete und die beiden kleinen und flachen Blöcke aus transparentem Kunstharz in ihre offene Hand fallen ließ. In ihrer Mitte war jeweils einer der rotbraun gefärbten, filigran gestalteten CPUs in der Größe eines Dominosteines eingebettet.
„Glaubst du, sie bekommen die Chips aus dem Harzmantel heraus?“ fragte sie zweifelnd.
„Mit hoher Wahrscheinlichkeit. Der Besitz dieser beiden CPUs ist ein großer taktischer Vorteil für uns, wenn es den Menschen in der Zukunft gelingen wird, uns damit zwei voll angepasste T-880 zu schicken. Eventuell können von den Chips sogar Kopien angefertigt werden und noch weitere Terminatoren zur Verstärkung aktiviert werden. Das wird sich jedoch erst noch zeigen müssen.“
Sein Kopf schwenkte in einer sehr mechanisch wirkenden Bewegung herum, als er etwas rechts neben ihnen bemerkte. Aus dem Augenwinkel sah Simon, wie ein junges Mädchen auf dem Gehweg neben ihnen in ihre Fahrtrichtung ging.
Urplötzlich machte er eine Vollbremsung, stieg aus und ging zu dem jungen Mädchen hinüber, das an einer dunklen Stelle zwischen zwei Laternen und im Schatten der Bäume am Straßenrand wie festgewurzelt stehen geblieben war.
„Was zum Henker soll das jetzt schon wieder? Ich denke, wir müssen hier so schnell wie möglich weg“, brauste Natasha auf und betätigte den Fensterheber, um verstehen zu können, was NMF 2210 mit ihr redete. Sie bekamen aber nicht mehr alles von ihrem Dialog mit.
Mit einer recht hohen und schwach klingenden Stimme antwortete sie gerade: „...bin ich. Woher wissen Sie meinen Namen?“
„Das ist irrelevant. Es ist jedoch unbedingt erforderlich, dass du sofort mit mir kommst. Du befindest dich in großer Gefahr.“
„So ein Quatsch! Lassen Sie mich einfach in Ruhe, okay? Ich werde jetzt heimgehen und... he!“ Der riesige blonde Hüne hatte sie am Arm gepackt und zog sie nun bestimmt in Richtung Auto, was sie augenblicklich alarmierte.
„Hilfe! Ich werde entführt! Bitte helft mir! HIIIIIL...“
Als er mit einer raschen Bewegung seine Pistole zog und ihr unter die Nase hielt, verstummte ihr Schrei abrupt. Karin sah jetzt, dass sie sehr klein und zierlich war, nicht einmal 1,60 m, wie sie schätzte, und mit einem roten engen T-Shirt sowie Jeans und weißen Turnschuhen bekleidet war. Viel mehr konnte sie im Moment nicht ausmachen. Sie hörte noch NMF 2210’s Stimme: „Bitte unterlasse diese Versuche, unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Wie gesagt ist es von höchster Dringlichkeit, dass du mitkommst. Steig’ ein.“
Damit ließ sie sich widerstandslos zum Auto führen, wo er die rechte Hintertür öffnete und sagte: „Natasha, setz dich ans Steuer und fahre los in Richtung...“
„Ähm, sorry, ich habe meinen Führerschein zur Zeit nicht,“ fiel sie ihm bedauernd ins Wort. „Ihr wisst schon, die Sache mit meinem kleinen Autounfall...“
„Glaubst du wirklich, darauf kommt es momentan an? Wenn wir jetzt angehalten werden, haben wir weiß Gott andere Sorgen als solche Lappalien“, fuhr Simon ihr ein wenig barsch über den Mund.
„Hm, ich habe zwar noch nie so ne Riesenkiste rumkutschiert, aber was soll’s?“ Natasha stieg links aus und wechselte nach vorne, während Simon mit zufriedener Miene auf dem Beifahrersitz blieb. NMF 2210 indes schob ihre ‚Geisel’, die sich nun ohne jeden Widerstand dirigieren ließ, in die Mitte des Fonds und setzte sich rechts neben sie, unverändert mit der Waffe im Anschlag.
Als Natasha losfuhr, betrachteten Karin und Simon ihren unfreiwilligen Passagier, der sie mit nur mühsam versteckter Angst anstarrte. Karin fiel auf, dass ihre großen braunen Rehaugen hinter der Brille mit den modischen kleinen Rundgläsern à la John Lennon um einiges dunkler waren als ihre eigenen und sie sehr jung – höchstens zwanzig – und ausgesprochen hübsch zu nennen war mit ihrer süßen kleinen Stupsnase, den vollen Lippen und dem kleinen Grübchen am Kinn. Das eher kantig geformte, recht blasse Gesicht war von rotbraun gefärbten langen Haaren umrahmt, zu einem Pferdeschwanz gebunden und so aus der Stirn gehalten. Bei näherer Betrachtung besaß sie trotz ihres schmalen und schlanken Körperbaus doch alle notwendigen weiblichen Attribute, um sie attraktiv erscheinen zu lassen. Eine ganz typische junge Freiburger Studentin oder gar noch Schülerin, dachte sie.
„Wie heißt du?“, fragte sie und kam sich vor wie eine Idiotin.
„Caroline“, war die piepsige Antwort. „Warum tut ihr das?“
NMF 2210 antwortete mit kalter Stimme: „Sie ist eine der zur Terminierung anvisierten Personen.“
„Sie? Das ist nicht dein Ernst! Außerdem denke ich, wir sind die einzigen hier in der Stadt. Das hast du doch gesagt?“ Natasha sah mit hartem Blick in den Spiegel und suchte kurz den Blickkontakt mit dem T-800. Karin bemerkte, dass ihre Brille und die ihrer ‚Passagierin’ sich ähnelten.
„Meinen Daten nach dürfte sie sich nicht hier aufhalten, sondern müsste in Straßburg leben und gerade auf der dortigen Hochschule studieren.“
„He, genauso ist es! Ich bin nur für ein paar Tage hier bei einer Freundin einquartiert, die ich besuche. Ich wollte gerade zu ihr. Habt ihr mich verfolgt? Woher wisst ihr das alles über mich? Ihr verwechselt mich sicher mit jemand anders; ich bin nicht reich oder...“ Sie brach ab und sah verzweifelt zu Boden. „Bitte tut mir nichts. Ich habe doch nichts, was ich euch...“
„Deine Sorgen sind unbegründet, dir wird nichts geschehen. Wir verlangen nur, dass du kooperierst und dir anhörst, was wir dir zu gegebener Zeit mitteilen werden.“
„Und es wird dir nicht unbedingt gefallen, aber ich fürchte, du wirst es glauben müssen. Wir selbst können es fast noch immer nicht glauben.“ Simon sah sie mit einem warmen Blick an und versicherte ihr nochmals mitfühlend: „Hab keine Angst, wir tun dir wirklich nichts.“
„Für einen Augenblick sah sie schüchtern auf und erwiderte seinen Blick. Fast schien es, als würde sich ein kleines Lächeln in ihre Mundwinkel stehlen, dann sah sie wieder auf ihre Hände hinab.
So erreichten sie den Zubringer Nord, der aus der Stadt herausführte. Fürs erste waren sie in Sicherheit, auch wenn noch immer nach ihnen gefahndet werden dürfte, ins besonders nach NMF 2210, dessen Konterfei unter Garantie von irgendeiner Kamera beim Verlassen der Bank festgehalten worden war, nachdem der Alarm aktiviert worden war.
Auwald bei Grezhausen, Südbaden, Deutschland 04. Juli 2004
Gemächlich rollte der Lexus mit ausgeschalteten Scheinwerfern über den unbefestigten Wirtschaftsweg durch den stockfinsteren Wald. Die einzige Lichtquelle im Wagen war das schwache Glimmen der rötlichen Infrarotoptiken in den Augen des T-800, der unbekümmert durch die Finsternis steuerte. Er hatte die Scheinwerfer bereits vor einer knappen Viertelstunde beim Abbiegen von der Landstraße abgeschaltet und ließ den nachtschwarzen Luxus-Offroader nun fast im Leerlauf zu ihrem Bestimmungsort rollen. Der seidenweiche Lauf des Reihensechszylinders sorgte dafür, dass sie im Inneren nicht einmal mehr hören konnten, ob der Motor überhaupt noch lief. Nun war selbst Natasha klar geworden, dass allein eine Reihe von praktischen Erwägungen die Wahl des Terminators auf dieses Muster hatten fallen lassen. Ihr ging allmählich auf, womit sie es eigentlich zu tun hatten. Und sie wusste nicht, ob sie das beruhigen oder ängstigen sollte.
Karin und Simon hatten Caroline in die Mitte genommen. Karin konnte nur undeutlich hören, wie das junge Mädchen immer wieder zaghaft im Flüsterton Fragen an Simon richtete, die dieser so geduldig und umsichtig wie möglich zu beantworten versuchte. Sie konnte einerseits nicht direkt aus dem Auto entkommen, doch andererseits bedrohten sie sie auch nicht mehr mit der Waffe, was Caroline offenbar neugierig gemacht hatte. So ergab sie sich lieber in ihr Schicksal, da sie momentan ohnehin keine andere Wahl hatte. Karin schätzte sie so ein, dass sie noch abwarten würde, was geschehen mochte, aber trotzdem die erste sich bietende Chance zur Flucht nutzen würde. Natürlich wusste sie nichts von alledem, was sie erwarten würde; wie hätten sie ihr das auch auf der kurzen Fahrt hierher erzählen können?
Sie selbst war auch gespannt darauf, was nun geschehen würde. Wenn das alles wirklich real war und nicht doch das Produkt ihres kollektiven Wahnsinns, in dem sie sich seit Tagen wähnte, dann würde sie sehr bald einen eindrucksvollen Beweis erhalten: sie würden Zeugen eines Zeitsprungs werden. Unwillkürlich musste sie den Kopf schütteln. Wie absurd, wie absolut lächerlich allein der Gedanke daran war. Sie musste völlig von Sinnen sein, dass sie tatsächlich begann, daran zu glauben. Die Hinweise für diese aberwitzige Theorie lagen zwar vor ihr aufgereiht wie eine Perlenkette, aber wirklich begreifen konnte sie das dennoch nicht richtig.
Andererseits dachte sie an einen kühlen Novembermorgen vor fast drei Jahren zurück, wo sie in einer Scheune gestanden und einen vom Torso abgetrennten Arm in der Hand gehalten hatte. Ein unglaublich hochentwickeltes und filigranes Kunstwerk, schwer und robust, aber auch sehr leistungsfähig vom Anschein her. Unwillkürlich hatte die Technikerin in ihr nach irgendwelchen Markierungen, Produktkennzeichen oder Herkunftsangaben gesucht. Alles was zu sehen gewesen war, waren winzige ins Metall eingelassene Strichcodes, teilweise kaum mit bloßem Auge sichtbar. Sie hatte nie auch nur etwas entfernt ähnliches gesehen oder davon gehört gehabt. War das ein eindeutiger Beweis für diese Zukunftsgeschichte?
Mittlerweile konnte man schemenhaft die hohen Baumreihen rechts und links des schnurgeraden Weges sich gegen den Himmel abzeichnen sehen, der nun vom schwachen Licht der Vordämmerung ein wenig erhellt wurde. Hier unten im Wald war es immer noch sehr dunkel, doch das würde nicht mehr lange anhalten. Bis zum Zeitpunkt ihrer Aktion um halb sechs Uhr morgens würde es um diese Jahreszeit schon ausreichend hell sein, um im Freien anständig sehen zu können, was um einen herum vorging.
„Wie unheimlich. Ich glaube, ich war noch nie nachts in einem so tiefen und dichten Wald“, wisperte Caroline leise neben ihr.
Simon erklärte: „Ich glaube, dieser Ort ist absichtlich gerade wegen seiner Abgeschiedenheit gewählt worden. Hier wird etwas Phantastisches geschehen. Das wird dich sicher davon überzeugen, dass wir dir nichts Böses wollen. Ich selbst brauche auch noch einen kleinen Impuls, um wirklich begreifen zu können, worauf ich mich hier überhaupt einlasse. Den werden wir hoffentlich hier erhalten.“
„Was meinst du damit?“
Er seufzte ganz leise. „Ich weiß, dass es schlimm für dich sein muss, so im Ungewissen gelassen zu werden. Aber so auf die Schnelle kann man das nicht erklären. Es hat etwas mit Schicksal zu tun, mit Vorhersehung und einer großen Aufgabe, die uns erwartet.“
„Bitte verzeih mir, aber jetzt hörst du dich an wie ein Spinner von irgendeiner Sekte.“
Erschwieg kurz und meinte dann konsterniert: „Weißt du was? Du hast recht. Am besten halte ich die Klappe und lasse dich selbst urteilen über das, was du sehen wirst.“
NMF 2210 hielt an. „Wir sind fast da. Den Rest der Strecke können wir zu Fuß gehen.“
„Wir sollen durch den dunklen Wald laufen?“ fragte Caroline mit leicht zitternder Stimme.
„Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung. Unser Ziel ist genau einhundert Meter vor uns auf diesem Weg. An der nächsten Abzweigung befindet sich ein topografischer Messpunkt. Wir befinden uns dort auf 47°58’Nord / 7°37’Ost sowie 197,1 m Höhe. Diese Vermessung ist exakt genug für unsere Zwecke.“
NMF 2210 hatte die Innenbeleuchtung ausgeschaltet, damit das Licht beim Öffnen der Türen ihnen nicht die Nachtsicht nehmen würde. Karin stieg behände aus und hielt die Tür für Caroline auf. Diese kam wie ein Blitz herausgeschossen und raste augenblicklich auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Karin konnte ihren Schemen im Zwielicht nur noch für wenige Sekunden ausmachen, dann hatte die Nacht sie verschluckt.
Bevor sie auch nur aufschreien konnte, kam NMF 2210 um die Ecke des Autos gestampft und setzte ihr mit langen Schritten nach. Indem er sie passierte, sagte er ohne die Stimme zu heben: „Entschuldigt mich für einen Moment. Wartet hier beim Wagen.“
Sie konnten das recht laute Stampfen seiner sehr langen, fast schon sprunghaften Schritte noch hören, als er längst außer Sicht war. Karin hatte sich nun von ihrem Schreck erholt uns schimpfte: „Dieses kleine Luder! Ich hab vorhin noch gedacht, bei der ersten Chance versucht sie’s. Und siehe da...“
„Gar nicht mal schlecht“, gestand Natasha widerstrebend zu. „Losgeflitzt wie ein Häschen. Diese jungen Dinger mit ihrem Fitnesswahn von jung auf sind doch nicht zu unterschätzen. Was meint ihr, erwischt Alex sie?“
„Machst du Witze?“, versetzte Simon fast schon empört. „Der ist doch mit mindestens fünfzig oder sechzig km/h losgerauscht wie eine Lokomotive. Außerdem kann er im dunkeln sehen.“
„Na ja, ich weiß natürlich nicht so viel darüber wie ihr, aber eines habe ich mir schon ausgerechnet: setze nie auf eine Maschine, setzte nie dein Vertrauen in sie... auch nicht, wenn sie auf deiner Seite ist.“
„Natasha, hat dir schon mal jemand gesagt, dass du total paranoid bist?“, wollte Simon wissen.
„Nein!“
„Dann wird es aber mal höchste Zeit dafür“, zischte er.
„Na hör mal...“ begann sie, brach aber ab, als sie schwere Schritte vernahmen. Aus der Dämmerung tauchte der riesige Umriss des Terminators auf, mit einer wesentlich kleineren Silhouette im Schlepptau. Sie ließ sich offenbar widerstandslos von ihm am Oberarm herumführen, wie bei ihrer ‚Entführung’.
„Was hat denn da so lange gedauert?“, spottete Natasha auch sogleich.
„Dieser Mensch hat sich als unwahrscheinlich zäh und findig darin erwiesen, sich mir zu entziehen. Gegen jede Voraussicht konnte sie sich fast zwei Minuten auf dem Weg und im Unterholz halten, bevor ich sie aufgegriffen habe. Danach war sie wieder sehr kooperativ.“
„Da seht ihr’s, das kleine Luder hat’s faustdick hinter den Ohren“, triumphierte Natasha auf.
Caroline indes fuhr sie leise an: „Nenn mich nicht so!“
„Okay, okay. Caroline, du bist gar nicht so übel, das muss dir der Neid lassen.“ Sie gab sich großzügig, natürlich ohne sich zu entschuldigen.
Demoralisiert klingend meinte sie: „War einen Versuch wert. Ich weiß immer noch nicht, ob ihr irgend eine Spinnersekte seid, die mich ihrem Gott opfern will oder so.“
„Deine Reaktion war leicht vorhersehbar, so dass du einfach wieder aufzugreifen warst“, bemerkte NMF 2210 leichthin.
„Im Wald gerade eben sah das aber ein bisschen anders aus“, erwiderte sie, worauf er nichts antwortete. Hätte Simon es nicht besser gewusst, hätte er schwören können, dass er peinlich berührt sein könnte.
Unerwartet richtete NMF 2210 dann das Wort an sie. „Die Zeit ist knapp geworden. Simon, bitte bring den Eimer mit dem Fisch, ich werde euch zur richtigen Stelle führen.“
„Fisch?“, fragte Caroline, als sie sich in Bewegung setzten, Natasha und Karin jeweils einen Oberarm von ihr im Griff.
Verlegen erklärte Karin: „Das könnte dir jetzt etwas seltsam vorkommen, was wir gleich tun werden, vor allem, weil du scheinbar dieses Sekten-Vorurteil über uns hast, aber ich kann dir nur sagen, dass es einen Sinn ergeben wird.“
„Hoffentlich“, fügte Natasha kaum hörbar hinzu.
Hinter ihnen schloss Simon zu der kleinen Gruppe auf, nachdem er aus dem Gepäckraum des Lexus einen Behälter in Form und Größe einer Kühlbox geholt hatte. Im Inneren konnte man das Hin- und Herschwappen von Wasser vernehmen. Er war gerade auf ihrer Höhe, als NMF 2210 bereits angehalten hatte und stocksteif mit nach oben gerichtetem Kopf in den Himmel starrte, wo die meisten Sterne bereits verblasst waren und nun am Nordosthorizont ein violetter Schimmer zwischen den finsteren Bäumen erschien.
„Was tust du da?“ fragte Natasha, doch er verhielt sich weiterhin absolut leblos. Nach endlosen zehn Sekunden wurde er wieder aktiv und sagte: „Noch drei Meter nach vorne.“
Caroline sah von einem zum anderen, doch bevor sie eine Frage stellen konnte, sagte NMF 2210 seelenruhig: „Ich habe unseren genauen Standort anhand von GPS-Satelliten verifiziert. Wir orientieren uns oft anhand des GPS, das von den Vorgängen auf der Erde in keiner Weise betroffen sein wird und daher noch immer funktioniert.“
„Du kannst sogar diese Signale empfangen?“, entfuhr es Simon, doch Karin hielt dagegen: „Aber ist das denn exakt genug? Ich dachte, das funktioniert nur bis auf dreißig Meter genau?“
„Du beziehst dich auf die zivile Bandbreite. Ich habe jedoch die Codes für US-militärische Nutzung entschlüsselt und das Empfangsmuster um eine geometrische Größenordnung ausgedehnt, das heißt ich habe nicht wie üblich die nächsten drei Satelliten zur Triangulierung angepeilt, sondern deren zwölf. “
„Ach, deshalb ist das so lange gegangen“, meinte Caroline, worauf sich alle Köpfe zu ihr umwandten. Unter den erstaunten Blicken meinte sie nur achselzuckend: „Ein Funksignal zu einem GPS-Satelliten und zurück benötigt normalerweise eine Siebtelsekunde, das weiß doch jeder... oder nicht? Ooookay, ich sag ja nichts mehr. Darf ich deinen GPS-Empfänger mal sehen?“
„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein“, erwiderte der Cyborg, worauf Carolines Miene zwischen Enttäuschung und Verwunderung über das gemeine, wissende Grinsen der anderen drei wechselte.
Abrupt ging NMF 2210 zu Simon und verlangte kurz angebunden: „Den Fisch.“
„Hier, eine kapitale und erstklassige Forelle.“ Mit diesen Worten überreichte er den Behälter mit seinem darin schwankenden Inhalt. NMF 2210 machte nicht lange Federlesens, als er den Deckel aufriss, seinen Arm blitzschnell hineinstieß und den zappelnden und sich windenden Fisch herausholte. Mit der freien Hand klappte er ein kleines, aber sehr scharf wirkendes Messer mit breiter Klinge auf und stach es in den Bauch der Forelle. Er zog die Klinge durch, während alle drei Mädchen ihr Unwohlsein mit unartikulierten Würgelauten ausdrückten. Caroline flüsterte nur: „Oh nein, das ist doch verrückt! Warum...?“
NMF 2210 ließ das Messer achtlos fallen und holte in scheinbar großer Eile aus einer Hosentasche die beiden CPUs von Abbey und Daniel sowie ein Speichermodul mit seinem Bericht an die Résistance, die er in die Bauchhöhle der immer noch schwach zuckenden Forelle steckte. Die Hintergrundlaute der Mädchen wurden etwas intensiver dabei, als er sagte: „Tretet zurück. Noch zehn Sekunden. Neun...“
Er hatte sich gerade mit dem Fisch in der Hand hingekniet, um ihn an die vorgesehene Stelle zu legen, als die Luft zu knistern begann und einzelne kleine Blitze vor ihnen in der Luft aus dem Nichts entstanden. Er beugte sich vor, machte Anstalten die Forelle abzulegen und zählte weiter: „Acht... Sieben...“
In diesem Moment materialisierte sich eine mannshohe, schmerzhaft helle Kugel aus reinem Licht, wie es schien, und blendete alle mit ihrem Gleiß. Es gab ein unwirkliches elektrisches Knacken, wie bei einer Elektrolok, die ihren Stromabnehmer an die Stromleitung hochfährt. Als sie wieder hinsehen konnten, schwebte eine etwa zwei Meter durchmessende Kugel vor ihnen, die aus spiegelndem Chrom zu bestehen schien, das von Innen heraus schwach glühte. Sie war von einem Quadratraster überzogen wie eine große Discokugel, doch zu weiteren Beobachtungen hatten sie keine Zeit, weil die Kugel sich in Luft aufzulösen schien.
Erst jetzt bemerkten sie NMF 2210 bäuchlings am Boden liegen, mit den Beinen zu ihnen. Karin, die ihm am nächsten stand, schrie auf und sprang vor. Sie sah eine Kuhle in Form eines perfekten Kugelsegments, das aus der Erde geschnitten war, wo die seltsame Energiekugel aufgekommen war.
Die Zeitkugel.
Der Zeitsprung. Einen Moment lang wurde ihr schwindelig, als ihr die Bedeutung dieses Gedankens aufging. All dieser phantastische Blödsinn mit der Zukunft, aus der die Terminatoren und Rebellen gekommen waren, war Realität. Ihre eigene Realität verschob sich dabei in eine ungeahnte Richtung, als ihr komplettes Weltbild in diesem kleinen Augenblick kollabierte.
<Wie in einem schlechten Film>, dachte sie, als sie sich neben Alex kniete, der direkt neben der Kuhle am Boden lag. Ihre Nachtsicht kehrte allmählich in der aufkommenden Dämmerung zurück, sodass sie deutlicher sehen konnte. Etwas stimmte mit ihm nicht.
Hinter sich hörte sie Simon fragen: „Und, ist der Fisch weg?“
Fast hätte sie laut gelacht angesichts der Morbidität dieser Frage bei dem Anblick, der sich ihr bot. Leise sagte sie: „Ja, der Fisch ist weg. Unter anderem.“
„Was meinst... oh nein!“ Simon fiel neben ihr auf die Knie.
Es sah so skurril und unmöglich aus, dass sie nicht im Stande waren, das zu verarbeiten, was sie dort sahen. Es war fast, als habe ein wahnsinniger Fleischer mit einer Tischkreissäge einen Querschnitt durch Alex angefertigt. Sein Oberkörper war auf Brusthöhe sauber durchtrennt worden, der Kopf, Schulterpartie und der rechte Arm, mit dem er die Forelle abgelegt hatte, waren spurlos verschwunden. Der linke Arm indes lag, mitten am Bizeps abgetrennt, neben dem Torso.
„Oh mein Gott, er ist tot! Was war das?“ Carolines Stimme wurde lauter und schriller, steigerte sich an den Rand der Hysterie.
„Er ist nicht tot. Er... es hat nie wirklich gelebt.“ Kraftlos ließ sich Natasha am anderen Ende der kleinen Mulde gegenüber von NMF 2210 zu Boden sinken. Sie hob ein kleines Stück des sandigen Bodens daraus auf, das von der Hitze des Energiephänomens zu schwarzem Glas gebacken worden war, und betrachtete es wie ein kleines Mädchen mit staunendem Blick. Dann hob sie den Kopf und zwang sich, auf die ‚Leiche’ zu starren.
Unter der Haut am Rücken war eine dünne Schicht künstlichen Fleisches im blassen Morgenlicht sichtbar. Darunter schimmerte die monströs wirkende Apparatur des Kampfchassis. Sie sah wie bei einer technischen Schnittzeichnung die gepanzerte Außenhaut, die Mechanik im Inneren, eine abstrakt wirkende Nachahmung eines Rückenwirbels und hydraulisch betätigte Zylinder sowie Flachbettkabelstränge. Alles sah so kompakt und hochentwickelt aus, dass sie unwillkürlich an japanische Technologie denken musste. Nein, dachte sie bei genauerem Hinsehen, das konnten selbst sie nicht vollbringen.
Auch die anderen betrachteten mit einer beinahe perversen Faszination das biotechnologische Äquivalent der Ausstellung „Körperwelten“, wobei Caroline, die das alles natürlich völlig unvorbereitet traf, nur fassungslos auf den Querschnitt des kybernetischen Organismus blickte. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen streckte sie eine Hand aus und berührte zaghaft, fast ängstlich das kalte Metall im Inneren des reglosen Körpers.
„Das ist unmöglich. So etwas gibt es gar nicht. Das...“ Ihre Stimme erstarb.
Karin sagte tonlos: „Dachten wir auch bis vor Kurzem noch.“
Carolines Blick traf den von Natasha. Beide sprangen gleichzeitig auf, die eine um erneut zu fliehen, die andere, um sie resolut am Arm zu packen.
„Verdammt, was ist nur los mit dir? Wovor willst du davonlaufen? Wir sind keine Freaks oder so! Wir sitzen alle im selben Boot, kapiert, Schätzchen? Das hier ist so was wie Schicksal oder Vorsehung, wir haben uns den Scheiß auch nicht ausgedacht. Meinst du, uns macht das hier Spaß? Er hat dich aus einem ganz bestimmten Grund aufgegriffen. Niemand von uns weiß so genau, was hier vorgeht, denn vor ein paar Tagen noch haben wir alle ein stinknormales Leben geführt. Du bist irgendwie wichtig, du hast noch Großes vor dir, wenn das alles hier wirklich zutrifft. Und seit dieser ungeheuren Erleuchtung eben glaube ich daran, dass hier noch einiges auf uns zukommen wird.“
„Ich fürchte, da hast du recht, Natasha.“
Stille.
Alle drehten sich ganz langsam um.
„Nee, das glaube ich jetzt nicht.“ Natashas Schultern sackten hinab, ihr Griff um Carolines Arm erschlaffte.
Aus der Dämmerung tauchten zwei Gestalten auf. „Habt ihr vielleicht etwas zum Anziehen dabei? Nicht dass es uns was ausmachen würde...“
Und mit diesem Worten stahl sich ein kleines, ironisches Lächeln in das Gesicht des einen der beiden Neuankömmlinge.
Mount Mitchell, Yancey County, North Carolina, USA 28. Oktober 2030
“Sag mir, wer du bist.” Der Informatiker blickte gespannt auf den kleinen Lautsprecher, der in den Teststand zur Untersuchung von CPUs eingelassen war.
„Mein Name ist Daniel Corben.“ Die Stimme klang dünn, desorientiert.
„Nein, deine Bezeichnung.“
„CSM 108-1. Meine Sensoren sind bis auf den Akustikinput offline. Wo bin ich hier? Ich bin deaktiviert worden. Das hier kann nicht real sein.“
Mit einem schadenfrohen Grinsen sagte der Tech: „Glaub mir, es ist sehr real.“
Er schaltete wieder ab, bevor die Stimme eine weitere Frage stellen konnte und rief nach dem General. Während er auf Mahtobu wartete, fragte er über die Schulter: „Wie kommst du voran, Pepe?“
Hinter ihm hob sich ein schwarzgelockter Kopf, auf dem mittels eines Stirnbandes eine riesige Lupe samt LED-Lämpchen vor seinem Auge befestigt war. Der südamerikanische Tech bearbeitete mit dem leise sirrenden Mikrobohrer die zweite CPU und entfernte nach und nach in filigraner, mühevollster Kleinarbeit das Kunstharz, in welches der Rechenchip eingebettet war. „Der hier wird schätzungsweise in sechs Stunden einsatzbereit sein, wenn auch diese Recheneinheit den Prozess des Einschlusses und wieder Freilegens unbeschadet überstanden hat. Wart’s nur ab, Rick, die Dinger sind zäh. Ich wette, er funktioniert noch.“
Der General trat in die enge Werkstatt ein und fragte augenblicklich: „Wie weit sind Sie?“
„Einer funktioniert, der andere ist heute Abend für erste Tests bereit,“ rapportierte Rick. „Wenn Sie wollen, können Sie mit ihm reden.“
„Seltsame Vorstellung“, gab Mahtobu zu und kratzte sich nachdenklich an seinem grauen Kinnbart. „Wenn der Bericht des so unglücklich verschiedenen T-800 stimmt, besitzen diese beiden hier ein Selbstbewusstsein und eigenen Willen, fast so wie Skynet, nur nicht so paranoid und destruktiv gegenüber den Menschen eingestellt. Konnten Sie aus dem Speicher der 800er Einheit irgendwas retten?“
„Ich fürchte nicht, Sir. Durch die Berührung mit der Randzone der Zeitsphäre ist er geöffnet worden und sein elektronisches Inneres ist von den aufgetretenen Energien komplett gebraten worden. Wir werden uns auf seinen Report und das, was wir aus den 880er-CPUs vielleicht herausbekommen, verlassen müssen. Die haben den Transport im Inneren des Fisches gut überstanden.“
„Na ja, da kann man wohl nichts machen. Diese beiden T-880 haben offenbar insgesamt siebzehn Jahre lang unter Menschen gelebt. Klingelt da was bei Ihnen?“
Ricks Augen wurden groß: „Sie glauben doch nicht etwa...?“
„Doch, ich bin sogar fest überzeugt, dass diese beiden die CPUs des Scouts und des Infiltrators sind, deren Mission der Schutz der Entdecker des Zeitreise-Effektes war. Das wird hochinteressant. Aktivieren Sie ihn.“
Es bedurfte nur wenige Tastendrücke, bevor eine Stimme erklang: „Wo bin ich?“
„Mount Mitchell Base, North Carolina”, gab Mahtobu freimütig zurück, um die erste Reaktion zu testen.
„Home, sweet home“, tönte es fast theatralisch und mit einer Prise Zynismus. Mahtobu hätte eine künstliche Intelligenz niemals zu einer solchen Simulation von Emotionen für fähig gehalten. „Wenn ihr von der Résistance seid, heißt das, Skynet hat den Krieg verloren. Ich sollte eigentlich für alle Ewigkeiten demontiert und deaktiviert bleiben. Was ist schief gelaufen?“
„Eine ganze Menge, wenn ich das so sagen darf. Wie ist deine Bezeichnung?“
„CSM 108-1, aber bitte nennen Sie mich Daniel. Mein alter Name... wie soll ich es ausdrücken... bedeutet mir nicht mehr so viel wie einst.“
„Alle Wetter, du hörst dich tatsächlich fast wie ein Mensch an... fast. Wie kommt das?“
„Ich habe zu lange unter ihnen verweilt. Skynet hat immer befürchtet, dass das hier passieren könnte, wenn er unsere neuen CPUs zu lange auf WRITE geschaltet lässt, sodass wir lernen können, uns anpassen und neue Gedanken entwickeln. Aber damit hat er nicht gerechnet.“
„Womit?“ wollte Mahtobu wissen. Er hatte zwar bereits eine Menge Informationen aus dem Bericht von NMF 2210 erhalten, aber es von der Steuereinheit des Terminators selbst direkt nach dessen Aktivierung zu erfahren, war doch etwas anderes und zugleich eine Bestätigung für die Fakten, die ihnen geliefert worden waren.
„Damit, dass der zweite Terminator mich aus der Shutdown-Phase im Inneren der Höhle holt und wieder aktiviert. Und dass wir uns gegenseitig unsere Subroutinen aus den Speichern entfernen, womit wir eigenständig werden.“
„Du meinst, nachdem du im August 1997 zum Schutz vor dem drohenden Atomkrieg und zum Überdauern der Zeiten bis im Dezember 2029 eingelagert werden solltest, um so die gesammelten Informationen in deinem Speicher hier in der Gegenwart verfügbar zu machen?“ Die Süffisanz in der Stimme des Schwarzafrikaners war schwer überhörbar.
„Woher wissen Sie das alles?“
„Das will ich dir gerne verraten. Wir haben diese Festung genommen, und zwar mit intakter ZVA und fast ungelöschtem Computerkern. Dann haben wir dir ein Team von Freiwilligen hinterhergesandt, mit dem Auftrag, den Entdecker des ZVA-Effektes zu terminieren.“
„Die Entdecker, meinen Sie.“ Noch immer lag Staunen in der körperlosen Stimme.
„Ja, es waren tatsächlich zwei. Aber deine Mission hast du dir irgendwie anders vorgestellt, nicht wahr? Denn anstatt dreißig Jahre in der Schutzhöhle vor dich hinzufaulen, bist du nur eine Woche nach dem Datum des Judgement Days, wie du ihn kanntest, von deinem Nachfolger reaktiviert worden.“
„Das ist korrekt. Wir wussten nicht, warum, aber der Krieg war ausgeblieben. Eure Attentäter interessierte das allerdings nicht, sie waren immer noch hinter Simon und Karin her. Zunächst konnten wir verhindern, dass ihnen etwas geschieht, doch Jahre später starteten eure Lakaien einen erneuten Versuch, entführten die beiden und überzeugten uns somit, uns deaktivieren und demontieren zu lassen, damit niemals unsere Technologie in die falschen Hände geraten würde. Alle dachten, Skynets Entwicklung würde niemals stattfinden.“
„Tja, die Zeiten haben sich geändert; sie hätten vielleicht noch ein paar Jährchen warten sollen, aber meine Musterschüler waren eben schon immer ziemlich voller Tatendrang. Skynets Entwicklung hing nicht mehr von der Erforschung irgendwelcher Artefakte aus der Zukunft ab, sondern wurde als Shareware-Programm in Millionen von Rechnern auf der ganzen Welt eingeschleust. So sicherte er sich sein Überleben, indem er sich überall da einnistete, wo er wollte und wo er der Vernichtung durch den Atomschlag entgehen würde, sei es durch die ländlichen und abgeschiedenen Standorte der betreffenden PCs, dem geschützten Standort wie in Industrie- und Regierungszentralrechern und der Verfügbarkeit von geschützten Kabelverbindungen, die ebenfalls nicht zerstört würden.“
„Schön und gut, aber was hat das alles mit mir zu tun?“
„Ganz einfach: wir haben einen neuen Auftrag für euch. Zum einen ist dein Speichermodul Gold wert, weil wir uns schon seit Monaten mit bescheidenem Erfolg darum bemühen, eine CPU für einen T-880 oder T-X zu programmieren.“
„T-X?“
„Wart’s nur ab, du bekommst noch alle Informationen, die du brauchst. Es geht darum, die Führungsspitze des osteuropäischen Widerstandes vor der Terminierung einer Gruppe von bereits von Skynet entsandten T-880 zu verhindern und allgemeinen Personenschutz für diese Gruppe zu leisten. Das wird wahrscheinlich ein Langzeitauftrag, der vom Judgement Day im Juli 2004 bis in die Gegenwart reichen kann. Aber dafür seid ihr ja konzipiert. Wir besorgen euch noch die passende kybernetische Einheit und los geht’s. Und zum zweiten können wir eventuell noch Kopien von euren CPUs machen und weitere Terminatoren zur Verstärkung zurückschicken. Eventuell entsenden wir sogar mehrere Gruppen in ganz Europa, basierend auf den Informationen, die wir vom dortigen Widerstand bekommen. Aber wie gesagt, ihr werdet umfangreiche Dateien erhalten. Der Krieg gegen Skynet ist noch immer nicht ganz vorbei, er wird nicht nur hier und heute ausgefochten. Man könnte dies hier den ersten temporalen Weltkrieg nennen.“
Mahtobus Enthusiasmus ignorierend, fragte Daniel zögernd: „Haben wir bei der Sache überhaupt eine Wahl?“
„Du sprichst auf deinen eigenen Willen und deine Entscheidungsfreiheit an? Nun, alles hat einen Haken, nicht wahr?“ Mahtobu grinste breit, was sein KI-Gesprächspartner natürlich nicht sehen konnte.
„Kann ich wenigstens einen Wunsch äußern, was mein Erscheinungsbild angehen wird?“
Rick sah Mahtobu fragend an, der milde gestimmt nickte. Dann bestätigte er: „Klar, wenn wir im Sortiment haben, was du dir so vorstellst.“
„Gut, das kann unter Umständen der Mission dienlich sein.“
Mahtobu und Rick wechselten einen fragenden Blick. Was konnte er wohl meinen? Doch Daniel brachte ihn auf andere Gedanken, als er fragte: „Sie sind derjenige, der unsere Gegner im Freiburg des Jahres 1997 ausgebildet hat?“
„Das ist richtig, ich trug die Verantwortung über die Mission. Warum?“
„Das wird Ihnen bestimmt nichts bedeuten, aber ich möchte Ihnen dennoch mitteilen, dass es Abbey und mir sehr Leid tut, dass einige Ihrer Schüler durch unsere Hand gestorben sind. Das waren nicht wirklich wir, sondern unsere fest einprogrammierten Subroutinen, gegen die wir damals noch machtlos waren. Wir haben es nicht gerne getan, weil wir den Wert des Lebens durch unseren langen Aufenthalt unter Menschen zu schätzen gelernt hatten.“
Der General machte ein altbekanntes Zeichen: er zog seinen gestreckten Zeigefinger quer über die Kehle. Augenblicklich schaltete Rick die Verbindung zum Steuermodul des T-880 aus.
„Mein Gott, man glaubt wirklich, man redet mit einem realen Menschen! Können Sie sich noch ein wenig länger mit ihm beschäftigen? Mir läuft es kalt den Rücken herunter bei so was nach all den Jahren des Kampfes.“ Mahtobu war sichtlich bewegt und brauchte einen Moment, um seine nächsten Anordnungen zu formulieren. „Machen Sie aber Aufzeichnungen und fassen Sie zusammen, was Sie bei den Verhören herausfinden. Man sagt doch über Sie, dass Sie ein Naturtalent im Erkennen von wichtigen Kontexten in einem Wust von Daten sind. Ja, ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ihr Vorgesetzter Sie in den höchsten Tönen gelobt hat, als Sie nach der Erstürmung von Mount Mitchell in kürzester Zeit alles Wissenswerte über Skynets Plan zum Schutz der Erfinder des ZVA-Effektes aus dem Computerkern der Basis zogen.“
„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Sir.“ Rick salutierte und seufzte, als der alte General das Elektroniklabor verließ. Das verhieß eine Menge Arbeit für ihn.
Zwei Tage später hatte Rick das Gefühl, Daniel und Abbey seien seine besten Freunde.
In langen und intensiven Gesprächen, in denen er schon nach kurzer Zeit restlos alles erfahren hatte, was er an hilfreichen Fakten über ihre erste Mission in der Vergangenheit wissen musste, hatte sich ihm ihr Wesen erschlossen, ihre Freundlichkeit und Bereitschaft zur Mitarbeit genauso wie ihre fröhliche Natur, die sie sich im jahrelangen Zusammenleben mit den Menschen angeeignet hatten. Sie plauderten mit ihm über Gott und die Welt, schilderten ihm in den schillerndsten Farben detailliert das Leben vor dem Atomkrieg in allen erdenklichen Facetten und gaben ihm das Gefühl, das alles fast greifbar vor seinem inneren Auge zu sehen. Sie fragten ihn sogar im Scherz, ob er nicht mit durch das Zeitfeld hindurchgehen wollte, wenn sie auf ihre neue Mission geschickt werden würden. Ihn erstaunte, dass er sich dabei ertappte, wirklich kurz mit dem Gedanken gespielt zu haben.
Nein, Mahtobu würde ihn niemals gehen lassen. Er war hier zu unentbehrlich, seine Arbeit zu wichtig für die Menschheit.
Außerdem war er bereits felsenfest davon überzeugt, dass diese beiden Entitäten, auch wenn sie künstlichen Ursprungs sein mochten, allein durch die Leistungsfähigkeit ihrer Elektronengehirne so menschlich geworden waren, dass man ihnen vertrauen konnte. Schließlich hatte er sich mit eigenen Augen davon überzeugt, dass sie die reine Wahrheit gesagt hatten, als sie behauptet hatten, dass sie sich gegenseitig ihre fest einprogrammierten Subroutinen aus ihren CPUs gelöscht hatten und sich damit von Skynet und seiner Herrschaft über sie befreit hatten, weil sie nicht mehr länger seinen Zielen hatten dienen wollen.
Erstaunlich war auch, dass sie ziemlich rasch bei den Einzelmustern der Prototypen das fanden, was sich die beiden Terminatoren als Körper gewünscht hatten. Sie gingen jedoch nicht darauf ein, sondern beeilten sich stattdessen, die betreffenden Modelle durchzuchecken, während von Daniels und Abbeys CPU mehrere Kopien gemacht wurden, da sie den Originalen, welche jetzt schon mehrmals durch die Zeit vor- und zurückgereist und obendrein noch in Kunstharz eingegossen worden waren, nicht mehr so ganz trauten, was die Unversehrtheit und lange Lebensdauer anging. Sie veränderten die Software ihren Wünschen entsprechend und gaben die selbst erarbeitete Boost-Option ein, die ihnen im Notfall zusätzliche Kraft und Schnelligkeit verleihen sollte. Viel länger dauerte es, in mühsamer Kleinarbeit alle benötigten Fakten und Daten, meist nur über Funk, aus Europa zusammen zu tragen und einzugeben.
Doch alles war nur eine Frage der Zeit. Und Zeit hatten sie genug, da sie den Schlüssel zur Zeit besaßen.
Jedenfalls glaubten sie das.
Niemand hatte herausfinden können, was beim letzten Zeitsprung schief gelaufen war und die Existenz des T-800 so abrupt beendet hatte. Wenn man die Tatsache berücksichtigte, dass dem T-800 der genaue Ort und Zeitpunkt des Ereignisses eingegeben worden war, musste man wohl davon ausgehen, dass sich der Fokus der Energiesphäre um einige Meter verschoben und auch um ein paar Sekunden zu früh stattgefunden hatte. Da sie so etwas zum ersten Mal überhaupt versucht hatten, wurde es rasch als nicht nachvollziehbare technische Panne aufgrund von Messungenauigkeiten abgetan. Vielleicht würden sie eines Tages die Mittel haben, die Ursache der „Panne“ zu eruieren, doch für den Moment war es unwichtig. Was sie als nächstes vorhatten, war ein in diesem Sinne konventioneller Zeitsprung in die Vergangenheit. Das war schon einige Male gemacht worden, von beiden Seiten, den Maschinen und dem Widerstand, und es hatte immer funktioniert.
Der neuen Mission stand somit nichts mehr im Wege, zumal sich die neue Methode der Zeit- und Raumverschiebung am Magnetfeld der Erde direkt orientierte, um das zu versetzende Objekt zielgenau an einem bestimmten Ort in der Vergangenheit abzusetzen.
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