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Hinter Gittern & Ghost Whisperer: Mutterliebe über den Tod hinaus

von Lenara
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P12 / Gen
Bea Hansen Christine Walter Eva Baal Jule Neumann Mona Suttner Nadja Feldmann
12.11.2006
12.11.2006
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Mutterliebe über den Tod hinaus

Es war Abendbrotzeit in der Justizvollzugsanstalt Reutlitz. Die hungrigen Insassinnen der Station B strömten in den Aufenthaltsraum. Mona Suttner, eine großgewachsene elegante Blondine, stand neben der Kaffeemaschine und beobachtete amüsiert das Treiben. Melanie Schmitt, von allen nur Mel genannt, griff gierig nach Brot und Wurst, fand dabei aber noch Zeit Wilhelmina Makhubela anzupöbeln. „So war Mel schon zu der Zeit als wir Zellengenossinnen waren – immer laut, immer dreist, aber auch immer drollig!“ Mona grinste. Wilhelmina gab einen arroganten Kommentar zurück und wandte sich ihrem Essen zu. „Na, die Gute bildet sich auch etwas darauf ein, dass sie stellvertretende Stationssprecherin ist und merkt dabei gar nicht, wie sie von den Schließern verarscht wird.“ Neben ihr saß Annabelle Liffers, ihres Zeichens 1. Stationssprecherin. Eine auf den ersten Blick unscheinbare Frau, deren Verhaltens jedoch zutiefst neurotisch und paranoid war. Sie nahm ihr Amt noch wichtiger als Wilhelmina und sah sich als Autoritätsperson die dem Knacki-Gesocks Manieren und Disziplin beibringen musste, dass sie selbst wegen Mordes hier war, ließ Liffers dabei völlig außer Acht. „Ein wandelndes Pulverfass! Irgendwann läuft die Amok, genauso wie diese irre Nonne, die mich auf dem Gewissen hat.“ Mona spürte kalte Wut in sich aufsteigen, als sie an die Ordensfrau Ruth mit der multiplen Persönlichkeitsstörung dachte. Sie lachte hart auf, „zum Glück ist dieser Psycho hinübergegangen.“ In dem Moment erschien Bea Hansen, die zugleich entsetzt zu ihrer großen Liebe Christine Walter rannte, die schon die ganze Zeit mit Manu Wellmann herumschäkerte. Manu erinnerte von ihrem Wesen her Mona ein wenig an ihre Tochter Jule. Mona verdrehte die Augen. „Ich werde nie verstehen, wieso Walter so einen Schlag bei den Frauen hat. Die Wellmann wirkt doch eigentlich ganz okay! Wenigstens hat Jule nicht auf Walter gestanden. Ich glaube, ich wäre durchgedreht.“ Bea indes schaute verzweifelt Walter und Manu bei ihrem Turteln zu. „Bea lass doch! Es hat keinen Sinn mehr. Wie viele Betthäschen von Walter willst Du Dir denn noch antun?“ rief Mona rüber. Doch Bea hörte nicht auf sie. „Das kann doch nicht sein! Es war doch die ganz große Liebe zwischen uns.“ Mitleidig schüttelte Mona den Kopf. Früher war ihr Verhältnis eher frostig gewesen. Schließlich war Bea damals Schließerin. Aber wenn man nun gemeinsam als Geister durch Reutlitz wandelte, verband das doch irgendwie. „Ja, ja, die gute Walter, immer ist’s die große Liebe bei ihr. Und genauso schnell ist’s auch wieder vergessen. Arme Bea! Hoffentlich steigert sich die Wellmann später mal nicht so rein, wenn es vorbei ist.“ Die füllige grauhaarige Uschi König erregte nun Monas Aufmerksamkeit. Sie war eine der ältesten Insassinnen und früher eine Art Ersatzmutter für Jule, dachte Mona eifersüchtig, sie empfand jedoch auch große Dankbarkeit, da Uschi ihrer Tochter im Knast oft Wärme und Kraft gespendet hatte. „Vielleicht besser als ich es jemals konnte.“ Die vertraute Trauer umschlang erneut Mona. Sie schaute abermals zu Mel, die sich damals aufhetzen ließ und so der sadistischen Schließerin Eva Baal half, ihre geliebte Jule in den Selbstmord zu treiben. „Diese Liffers hat recht: Alles Gesocks!“ Mit diesen Worten verschwand Mona aus dem Aufenthaltsraum. Sie wollte Jule suchen, die wie sie nach ihrem Tod keine Ruhe gefunden hatte.

Währenddessen in einem kleinen US-amerikanischen Städtchen: Melinda Gordon saß gutgelaunt am Küchentisch und ging die Checkliste für ihre Berlin-Reise durch. Sie freute sich sehr darauf, denn sie und ihr Ehemann Jim waren noch nie in Europa gewesen und sie konnten gemeinsam diese fremde Stadt erkunden. „Ob mich dort auch die Seelen der Verstorbenen rufen?“ fragte sich die zierliche Dunkelhaarige noch, als Jim in die Küche kam und sie von hinten umarmte.
„Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen. Ich werde viel zu viele Stunden auf diesem Rettungsdienst-Seminar sein, während Du allein in dieser großen Stadt herumläufst. Und jetzt machst Du noch die ganzen Vorbereitungen für unseren Trip!“ raunte er ihr ins Ohr.
Melinda drehte sich um und gab Jim einen kleinen Kuss auf den Mund. „Musst Du nicht haben, Jim. Ich freue mich genauso wie Du auf Berlin. Das Seminar dauert ja nur drei Tage und dann verbringen wir die restliche Zeit dort gemeinsam. Außerdem kann ich mich damit revanchieren. Du bist hier immer für mich da und unterstützt mich, wenn ich den Geistern helfe. Und schließlich...“ Melinda hörte auf zu sprechen und grinste ihren Ehemann listig an.
Jim musste schmunzeln und wiederholte „Und schließlich... was?“
Melinda küsste ihren Mann erneut und stand auf „Ja, und schließlich ist es mal ganz gut, wenn ich für ein paar Stunden alleine bin. Dann kann ich in Ruhe shoppen. Da störst Du sowieso nur.“
Jim gab einen genervten Laut von sich und meinte dann lächelnd „Oh ja, da störe ich so sogar sehr! Gut, dass ich dann in den Workshops bin und dem entgehe!“
Sie lachten beide und umarmten sich. Dann wurde Melinda ernst. „Ich habe mich gerade gefragt, ob die Geister in Berlin auch meine Hilfe beanspruchen. Oder vielleicht gibt es dort auch einen Menschen, der die gleiche Gabe hat wie ich?“
Jim streichelte ihr Haar. „Wir werden es herausfinden. So oder so, ich werde Dich immer mit den Geistern unterstützen, ob hier zuhause oder drüben in good old Germany! Aber vielleicht gewähren sie uns auch den Urlaub. Und außerdem...“ nun schwieg Jim und schaute seine Frau grinsend an.
„Und außerdem... was?“ fragte Melinda stirnrunzelnd.
Jims Grinsen wurde breiter „Und außerdem, wer weiß, ob die deutschen Geister überhaupt englisch sprechen und sich trauen, Dich beim Shoppen zu stören?“
Melinda gab ihm spaßeshalber einen Klaps und dann schickte sie ihn unter die Dusche. Sie schaute ihm liebevoll hinterher, ihrem großen muskulösen Ehemann, mit seinen dunklen kurzgeschnittenen Haaren, die sich im Nacken lustig kringelten und seinem großen Herzen und seinem großen Verständnis für ihre Gabe mit den Geistern zu kommunizieren, weshalb er in der Vergangenheit oft zurückstehen musste. Melinda war glücklich.

Es war inzwischen tiefste Nacht in Berlin. Die Gefangenen der JVA Reutlitz waren nun alle in ihren Zellen eingesperrt. Im Gefängnishof stand, allein an einer Mauer gelehnt, eine schlanke junge Frau mit dunklen langen Locken, über die sie eine verblasste rote Wollmütze gezogen hatte. Um ihren Hals herum war der dunkle tiefe Abdruck zu sehen, die das Wäschelaken verursacht hatte, das sie benutzt hatte, um sich aufzuhängen. Diese junge Frau war Jule Neumann, die Tochter von Mona Suttner. Als sie damals beschloss sich das Leben zu nehmen, hatte sie gehofft, endlich Frieden oder zumindest Ruhe zu finden. Ruhe vor Eva Baal, die sie gezwungen hatte ihre Großmutter zu bespitzeln, die als dies herausgekommen war, sie den wütenden Frauen wehrlos ausgeliefert ließ, Ruhe vor diesen Frauen, die sie geschlagen und mit einem Messer das Judas-Zeichen in ihre Stirn geritzt hatten, Ruhe vor ihrer Mutter, die sie so oft im Stich gelassen und sie verraten hatte, und Ruhe vor ihrem schlechten Gewissen, dass sie gegenüber Nadja empfand, neben Uschi König der einzige Mensch, dem sie je hatte vertrauen können und den Jule so gemein von sich stieß. Aber dies war ein Trugschluss gewesen, sie war hier unter den Lebenden und ihre Seele fand noch immer keinen Frieden. Als ob dies nicht genug wäre, dachte Jule bitter, verfolgte sie dazu noch Mona, die plötzlich vor ihr stand.
„Hallo Jule. Da bist Du ja. Ich habe Dich überall gesucht.“ Mona schaute ihre Tochter liebevoll an.
„Lass mich endlich in Ruhe. Ich wollte schon, als wir noch am Leben waren, nichts mehr mit Dir zu tun haben und jetzt, wo wir beide tot sind, schon überhaupt nicht.“ schrie Jule ihre Mutter an.
„Aber Jule, wie lange soll das noch gehen? Es tut mir leid, was ich Dir damals angetan habe. Ich bereue es so sehr. Lass uns bitte endlich miteinander reden.“ flehte Mona.
Doch Jule funkelte Mona nur mit einem bösen Blick an und verschwand. Dann stand sie an ihrem Grab und an dem ihrer Adoptiveltern, die vor einem halben Jahr bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten. Sie wusste, dort würde sich Mona nicht hintrauen. Hier wollte sie auf Nadja warten.

Einen Tag später. Müde vom langen Flug betraten Jim und Melinda ihr Hotelzimmer. Es war eine geräumige Juniorsuite mit einem schönen großen Kingsize-Bett, einer kleinen Sitzgruppe, einem Bad mit großer Wanne und es gab sogar eine kleine Küchenzeile in der man sich Kaffee und kleine Gerichte zubereiten konnte.
Melinda war begeistert. „Unser neues Heim für eine Woche!“ rief sie fröhlich.
Jim nahm seine Frau in die Arme „Ja, das Zimmer ist wunderbar und es muss auch nichts renoviert werden wie bei unserm Haus. Lass uns hier für immer einziehen!“
Melinda kicherte. Sie beiden liebten ihr Haus, was Jim in mühevoller Kleinarbeit restaurierte, aber ständig musste hier und da etwas repariert werden, was manchmal doch etwas nervig war.
„Was machen eigentlich die Berliner Geister? Hast Du schon welche gesehen?“ fragte Jim.
„Ja, es gibt sie auch hier. Es sind sogar sehr viele. Aber sie sind zu sehr miteinander beschäftigt und wenn ihr Blick sich doch mal mit meinem kreuzt, wenden sie sich ungläubig ab.“
Jim zog sein Hemd aus. „Bist Du enttäuscht?“
Melinda zögerte ein wenig mit ihrer Antwort. „Nein, es ist nur seltsam. Die Geister hier haben sich in ihrer Existenz eingerichtet, als würden sie ihr altes Leben wieder ein zweites Mal verbringen wollen, und sie wünschen dabei keine Einmischung von außen. Na ja, okay, vielleicht bin ich ein bisschen beleidigt.“ Jetzt musste Melinda doch grinsen.
Jim streichelte ihr Gesicht. „Oder sie gönnen Dir einfach mal ein paar Tage Ruhe.“
Melinda schmiegte sich an Jims breite Brust. „Ja, die deutschen Geister sind wesentlich rücksichtsvoller als unsere.“

Nadja schaute auf ihre Uhr. Ihr Vortrag war erst um 11 Uhr; jetzt war es gerade 9.00 Uhr. Sie müsste sich also nicht abhetzen. Sie ging langsam über den Friedhof, außer sie waren kaum andere Leute da. Nadja ging grundsätzlich nur hier hin, wenn sie wusste, dass möglichst wenige Menschen ihre Toten besuchten, so dass sie relativ ungestört war und laut ihre Gedanken an ihre tote Freundin richten konnte. Der Grabstein war sehr schlicht gehalten, aber dafür war das Grab voll mit Blumen geschmückt. So wie es Jule gewollt hätte. Auch nach so vielen Jahren wurde Nadjas Herz ihr schwer. Heute jährte sich Jules Todestag. Jule stand neben Nadja und schaute traurig dabei zu, wie diese eine Friedhofsvase mit einem neuen Blumenstrauß in die dunkle feuchte Graberde steckte. „Ach Jule, warum musste alles so kommen. Ich hätte Dir doch geholfen. Warum diese verzweifelte Suche nach Deiner leiblichen Mutter, warum die Drogen, warum hast Du mich bestohlen, warum hast Du mich weg gestoßen, als Du wieder clean warst? Ich wollte doch nur, dass wir von neuem glücklich werden. Warum wolltest Du fliehen? Du hattest doch nicht mehr lange Zeit abzusitzen. Dann hätten wir eine gemeinsame Zukunft gehabt, aber Du hast mir nicht verziehen, weil ich Deine Flucht verteilte. Warum nur, Jule?“ Nadja redete sich in Rage. Jule war zwar schon einige Jahre tot, aber sie konnte immer noch nicht mit der Vergangenheit abschließen.. „Nadja, bitte verzeih mir.“ Jule weinte, doch Nadja konnte sie nicht hören.

Angestrengt blickte Melinda auf ihren Stadtplan. Sie suchte die U-Bahnstation, von wo aus sie zu dem berühmten Kurfürstendamm wollte. Die berühmte Shopping-Meile Berlins, wie sie in Gedanken lächelnd ergänzte; Jim war inzwischen in seinem Workshop und sie konnte nach Herzenslust bummeln gehen. Endlich hatte sie den Weg dorthin gefunden. Melinda steckte den Plan in ihre Handtasche und verließ das Hotel. Die Häuser in diesem Stadtteil waren recht klein, die Straßen mit vielen Bäumen umsäumt, so dass man kaum glauben mochte, dass man sich in Deutschlands größter Stadt befand. Sie schlenderte gemütlich durch die Gegend, bis sie in eine Straße einbog, die sich erheblich von den anderen abhob. Sie war dominiert von einem hässlichen und düsteren Gebäudekomplex mit dicken hohen Mauern und einem großen schweren Eisentor. Melinda trat näher. Sie las die Inschrift auf dem Schild, das am Eingang angebracht war. JVA Reutlitz. Es war ein Frauengefängnis. In dem Moment fuhr gerade ein Transporter vor das Tor. Als es sich öffnete, sah Melinda ein gutes Dutzend Seelen von verstorbenen Gefangenen und Schließern, die feixend die Ankunft des Fahrzeugs und seinen Insassen kommentierten. Eine von ihnen hielt jedoch inne, als sie Melinda sah. Sie schauten sich beide überrascht an.
Die Frau ging auf Melinda zu und fragte ungläubig. „Du kannst mich sehen! Aber Du lebst doch. Wie kann das sein?“
Genauso ungläubig fragte sich Melinda, weshalb sie diesen Geist verstand, er sprach bestimmt auf deutsch, eine Sprache, die Melinda nicht verstand. „Es gibt bei Toten also doch keine Sprachbarrieren. Und Urlaub gönnen sie mir auch keinen.“ dachte sie noch lakonisch als sie der Verstorbenen antworte: „Ja, ich kann Dich sehen. Ich habe die Gabe mit den Toten zu reden, die noch nicht hinübergegangen sind und versuche ihnen, dabei zu helfen.“
Jetzt lächelte die Frau. „Es gibt also doch solche Menschen wie Du. Ich heiße übrigens Mona Suttner. Bin hier im Knast von einer verrückt gewordenen Nonne erdrosselt worden.“
Melinda fröstelte es bei Monas Worten, aber sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. „Ich heiße Melinda Gordon und bin eigentlich nur für ein paar Tage hier.“
„Hmm, das klingt englisch. Bist Du Touristin?“ antwortete Mona. „Ja, aber mein Mann hat hier beruflich zu tun.“ Melinda war es ein Bedürfnis Jim zu erwähnen, weil sie nicht einschätzen konnte, ob Mona vielleicht bedrohlich war.
„Kannst Du mir helfen, Melinda? Es geht um meine Tochter Jule. Sie ist auch tot, aber sie kann sich noch nicht von ihrem früheren Leben lösen, weil sie sich gegenüber ihrer früheren Freundin schuldig fühlt. Ich selbst kann das Licht schon seit langer Zeit sehen. Ich bin nur wegen Jule noch hier..“
Erleichtert atmete Melinda aus. Sie konnte nun spüren, dass diese Mona keine bösen Absichten hatte, sondern nur aus Sorge mit ihr Kontakt aufgenommen hatte. „Gut, ich werde Euch helfen. Aber warum konntest Du sie nicht davon überzeugen loszulassen?“
Verschämt wandte Mona ihren Blick ab. „Als wir beide noch lebten, habe ich viele Fehler gemacht. Ich war eine schlechte Mutter. Jule hat mir das bis heute nicht verziehen und lehnt es ab mit mir zu reden.“
Melinda trat näher an sie heran. “Erzähl mir davon, wenn ich Euch helfen soll.“

Endlich war Mittagspause. Jim fand den Vortrag über die neuesten Entwicklungen von Reanimationsgeräten zwar sehr interessant, aber er hatte ihn auch sehr angestrengt und er war nun hungrig. Jetzt stand er vor dem Essensstand und bemerkte mit Entsetzen, dass die Service-Kraft ausschließlich deutsch sprach. Und Jim konnte doch nur englisch und ein paar Brocken spanisch. Er versuchte stammelnd einen Teller Erbenssuppe zu bestellen, aber die Bedienung hinter der Theke verstand ihn partout nicht.
Plötzlich sprach die Frau neben ihn grinsend auf englisch an. „Schlechte Organisation, stimmt´s? Die Workshops werden in Ihrer Sprache abgehalten, aber wenn man etwas zum Essen haben will, muss man deutsch können. Wenn Sie gestatten, ich übernehme das für Sie.“
Erleichtert nahm Jim das Angebot an und schaute seine Retterin genauer an. Sie war etwas größer als Melinda, hatte lange hellbraune lockige Haare, kornblumenblaue Augen, die in ihrem schmalen Gesicht sehr groß wirkten, und volle rote Lippen. Sie wirkte mädchenhaft, aber gleichzeitig auch resolut. Nachdem sie ihr Essen bekamen setzten sie sich gemeinsam an einen Tisch.
Jim schaute auf das Namensschild seiner Tischnachbarin und lächelte „Das war sehr freundlich von Ihnen, Dr. Feldmann. Was mir aufgefallen ist. Sie sprechen fast akzentfreies amerikanisches Englisch. Woher können Sie das so gut?“.
Sie erwiderte sein Lächeln. „Keine Ursache, Mr. Clancy. Ich habe einige Zeit in den USA Medizin studiert, da ist das noch hängen geblieben.“
Und so entwickelte sich zwischen den Beiden eine angeregte Unterhaltung, wobei heraus kam, dass Dr. Feldmanns Uni ganz in der Nähe von Jims Heimatstadt lag und die beiden sogar gemeinsame alte Bekannte hatten. Sie plauderten so vertieft, dass sie fast den Beginn des nächsten Vortrags verpasst hätten.

Melinda verzichtete derweil für diesen Tag auf ihre Shopping-Tour auf dem Kudamm und ging stattdessen mit Mona an Jules Grab.
„Ich verstehe Jule nicht. Ständig steht sie an ihrem eigenen Grab und wartet, dass Nadja dort auftaucht. Das ist doch makaber. Sie weiß doch, wo sie wohnt und wo sie arbeitet.“ Mona konnte es nicht fassen.
„Vielleicht hofft sie hier mit Nadja in Kontakt treten zu können. Manchmal können die Menschen an gewissen Orten die Verstorbenen spüren. Dies wäre eine Erklärung.“ antwortete Melinda.
Als sie das Grab erreichten, sahen sie Jule dort schon stehen. „Hallo Jule. Ich habe Melinda Gordon mitgebracht. Sie kann uns sehen und vielleicht kann sie Dir auch mit Nadja helfen.“ begrüßte Mona ihre Tochter.
Doch Jule ignorierte Melinda. Voller Zorn brüllte sie. „Wenigstens hier will ich vor Dir meine Ruhe haben! Aber nein, selbst das kannst Du nicht respektieren. Und mit Deiner Komplizin will ich auch nichts zu tun haben. Sie hilft doch eh nur Dir.“ Sie wartete keine Antwort ab und verschwand augenblicklich.
Verzweifelt schloss Mona die Augen. Sie weinte. „Ich weiß nicht, was ich noch tun soll, Melinda. Sie leidet so sehr und ich kann ihr nicht helfen.“
Betroffen blickte Melinda zu ihr. „Gib die Hoffnung nicht auf, Mona. Ich bin mir ganz sicher, dass sie mit mir noch Kontakt aufnehmen wird. Sie brauchte nur noch etwas Zeit.“
Die zwei Frauen standen noch eine Weile an Jules Grabmal und Mona erzählte noch von ihrer Tochter und deren tragischen Beziehung zu Nadja, dann verabschiedeten sie sich, weil sich Melinda noch nachher mit Jim in einem kleinen Café treffen wollte.

Gedankenverloren flanierte Melinda durch die Straßen, das Gespräch mit Mona hallte noch in ihr nach. Sie musste an ihre Mutter denken, die ebenfalls die Gabe hatte mit den Toten zu kommunizieren, aber im Gegensatz zu Melinda versuchte sie die Toten zu ignorieren, geschweige denn ihnen zu helfen. Das hatte schon seit ihrer frühesten Kindheit zu großen Problemen zwischen Mutter und Tochter geführt und mittlerweile hatte Melinda ein sehr unterkühltes Verhältnis zu ihr. Sie sahen sich auch nur sehr selten, selbst bei ihrer Hochzeit mit Jim war Mrs. Gordon nicht dabei gewesen. Aber im Vergleich zu dem Konflikt zwischen Jule und ihrer Mutter, erschienen ihre eigenen Meinungsverschiedenheiten auf einmal unbedeutend. Melinda schaute auf die Uhr, sie war eigentlich erst in einer Stunde mit Jim verabredet, aber die Lust auf Shopping und die Berliner Sehenswürdigkeiten waren ihr vergangen. Sie wollte direkt in dieses kleine Café namens „Planet“ gehen, um noch in Ruhe nachdenken zu können.

Melinda öffnete die schwere Glastür und sah zu ihrer Überraschung Jim an einem kleinen Tisch sitzen. Er war jedoch nicht alleine. Jim unterhielt sich angeregt mit einer hübschen brünetten jungen Frau. Als sich Melinda den Beiden stirnrunzelnd näherte, erhob sich die Unbekannte und ging in Richtung Toiletten. Jim erblickte seine Frau, stand auf und gab ihr einen liebevollen Kuss, den sie jedoch kaum erwiderte.
„So früh habe ich noch gar nicht mit Dir gerechnet. Schon so schnell fertig mit Deiner Shopping-Tour für heute?“ fragte er sie.
Melinda ging auf seine Frage nicht ein und erwiderte stattdessen eifersüchtig: „Wer ist diese Frau? Ich habe gedacht, Du wärst noch mit Deinem Rettungsdienst-Workshop beschäftigt. Ein Irrtum, wie ich sehe.“
Jim gab ihr belustigt noch einen Kuss. „Wir sind früher fertig geworden. Dr. Feldmann nimmt als Ärztin auch an einigen Seminaren teil. Stell Dir vor, sie hat früher ganz in der Nähe meiner Geburtsstadt gewohnt, da haben wir natürlich viel zu erzählen. Im übrigen hätte ich eher Grund eifersüchtig zu sein als Du.“ lachte er.
„Wieso denn das?“ fragte Melinda, sie wusste nicht, auf was ihr Mann hinaus wollte.
„Nun, nachdem ich Dr. Feldmann heute Mittag erzählte, dass ich mit der wundervollsten Frau auf der ganzen Welt verheiratet bin, wollte sie wissen, ob Du vielleicht auch eine Schwester hättest. Sie ist nämlich lesbisch.“
Melinda atmete erleichtert auf. Sie entschuldigte sich bei Jim und sie versicherten sich gegenseitig ihre Liebe und Treue zueinander. Sie wurden von der Bedienung, einer großen anmutigen Dunkelhaarigen, gestört, die Melindas Bestellung aufnehmen wollte. Melinda orderte einen Milchkaffee. In dem Moment kam Dr. Feldmann zurück und auch sie wurde gefragt, ob sie noch etwas wünschte, obwohl ihr Glas noch halb voll war. Im Gegensatz zu Melinda wurde die Ärztin dabei von der Kellnerin eingehend gemustert. Jim stellte Dr. Feldmann und seine Frau einander vor und Melinda musste, nachdem sich ihre Eifersucht als unbegründet erwiesen hatte, zugeben, dass sie diese Frau sympathisch fand.
Sie schwatzten angeregt miteinander bis unvermutet Mona erschien. Sie schaute ungläubig auf die Ärztin herunter, doch bevor sie etwas sagen konnte, machte ihr Melinda, die sich bewusst war, dass man sie für verrückt halten würde, wenn sie hier mit einem Geist redete, unauffällig Zeichen, dass sie mit ihr auf die Toilette gehen solle. Dort angekommen, versicherte sich Melinda zunächst, ob sie auch allein waren und fragte dann was eigentlich los sei.
Die sonst stets coole Mona war ganz aufgeregt. „Eure Tischnachbarin, das ist sie! Das ist Nadja, Jules Exfreundin!“

Jule stand vor dem Café und beobachtete grollend das Geschehen dort drin. Nachdem heute Mittag dieses Medium sich von ihrer Mutter trennte, folgte sie ihr unauffällig. „Es ist also wirklich wahr. Sie kann mit uns reden. Wie Mona, das wohl geschafft hat, die aufzutreiben. Und jetzt redet diese Frau sogar mit Nadja!“ Als Jule sah, wie Mona plötzlich erschien, auch sie musste Melinda gefolgt sein, überkam sie noch größere Wut, jedoch auch große Sorge um Nadja. „Was hat Mona bloß vor? In was wollen sie Nadja nur hereinziehen?“ Sie kannte ihre Mutter und erinnerte sich daran, als sie im Knast von ihr erneut auf Heroin gebracht wurde und sie zur Prostitution gezwungen hatte. Ja, das war Mona! Sie wusste damals zwar noch nicht, dass Jule ihre Tochter war – schließlich hatte sie sie kurz nach ihr Geburt zur Adoption weggegeben, aber trotzdem, nur ein schlechter Mensch konnte dies jemand anderem antun und es war für Jule damals eine sehr furchtbare Zeit gewesen. Sie wünschte sich, sie wäre Mona nach ihrer Geburt nie begegnet, dann würde sie noch leben und wäre schon längst wieder in Freiheit. Jule verlor sich in alte Erinnerungen und in Alternativen, die allesamt schöner gewesen wären als die Ereignisse, die tatsächlich eingetreten waren. Als sie nochmals ihre Aufmerksamkeit auf das Café richtete, bemerkte sie, dass Mona verschwunden war und diese zwei Amis sich immer noch mit Nadja unterhielten. Sie schienen sehr freundlich zu ihr zu sein, aber dies konnte auch nur ein taktisches Manöver von den Beiden sein. Jule beschloss Melinda Gordon nicht aus den Augen zu lassen und sie zur Rede zu stellen, wenn sie beide allein wären. Sie schaute traurig zu Nadja. „Das bin ich Dir schuldig. Ich werde nicht zulassen, dass Mona auch noch Dein Leben verpfuscht.“

Es war später Abend. Melinda und Jim lagen zusammengekuschelt auf ihrem Hotelbett und sprachen über ihren ereignisreichen Tag.
„Ich kann diese Jule irgendwie verstehen. Wird nach ihrer Geburt von ihrer eigenen Mutter weggegeben, dann von ihr auf Drogen gebracht, muss mit Drogendealern schlafen und dann als sie sich endlich versöhnen, verwickelt sie Mona in kriminelle Machenschaften und schließlich verrät sie Jules geplante Flucht, damit sie vorzeitig entlassen werden kann und trägt damit Mitschuld an dem Tod ihrer Tochter. Es gibt kaum noch abscheulichere Dinge, die eine Mutter ihrem Kind antun kann.“ meinte Jim.
Melinda legte ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes und erwiderte. „Ja, das war entsetzlich, was Mona ihr angetan hatte. Auch wenn es keine Entschuldigung ist, sie hat jedoch auch eine schlimme Zeit durchmachen müssen. Sie war noch ein halbes Kind als sie Prostituierte wurde, dann wurde sie mit 14 Jahren schwanger, musste ihr Kind weggeben und dann weiter anschaffen gehen. Ich glaube, darum war Mona zu Lebzeiten so hart und egoistisch. Aber schon da wurde sie durch die Wiederbegegnung mit ihrer Tochter ein etwas besserer Mensch, versuchte ihr zu helfen und für sie da zu sein. Sie hätte Jule bloß nicht verraten dürfen.“
Jim war von diesem tragischen Fall sehr berührt, nicht wegen Mona, sondern weil er sehr großes Mitgefühl für Jule und Nadja, die in diesen Mutter-Tochter-Konflikt hereingezogen wurde. „Ich hoffe sehr, dass Du Nadja helfen kannst, mit der Vergangenheit abzuschließen. Und natürlich auch Jule, damit sie endlich hinübergehen kann. Dieser Suttner gönne ich jedoch, dass sie noch lange hier als Geist hier bleiben muss.“
Melinda erhob sich und fing an ihre Kleidung für den morgigen Tag herauszulegen. „Mona hat es auch verdient sich vom Diesseits zu lösen. Sie hat sich geändert. Sie ist schon längst bereit ins Licht zu gehen. Die anderen Geister sagten mir, es wäre eine Riesenüberwindung es nicht zu tun. Aber sie bleibt hier um Jule und Nadja zu helfen. Mona ist inzwischen geläutert.“
Ihr Ehemann erhob sich ebenfalls und gab ihr einen Kuss. „Du bist ein guter Mensch, Melinda. Und dafür liebe ich Dich.“
Melinda lächelte „Dito, Mr. Clancy.“ und sah ihm nach, wie er ins Badezimmer verschwand. Sie wollte sich gerade ein Glas Wasser einschenken, als vollkommen unerwartet Jule im Raum stand.„Ich habe alles mitangehört, Melinda. Du steckst doch nicht mit Mona unter einer Decke. Ich habe Dir unrecht getan. Sorry. Aber wie willst Du uns helfen? Was passiert ist, ist passiert! Das kannst Du auch nicht mehr ändern.“
Melinda erschrak zuerst als der Geist so jäh erschienen war, aber sie verspürte auch Erleichterung, denn endlich war Jule gesprächsbereit. „Das stimmt. Ich kann jedoch zwischen Euch vermitteln, wenn Ihr alle dazu bereit seid. Ich habe mich für morgen mit Nadja zum Spazieren gehen verabredet. Dann sehen wir weiter.“
Jule nickte. „Danke, Melinda! Und gute Nacht.“ Dann verschwand sie.

Es war ein schöner sonniger Vormittag in Berlin, doch in dem düsteren Büro der Anstaltsleitung der JVA Reutlitz bemerkte man davon nichts. Eva Baal hatte die Jalousien ihres Büros heruntergezogen und arbeitete mit steinerner Miene konzentriert ihre Akten durch. Voller Verachtung beobachtete Mona sie, diese Frau, die an diesem ganzen Unglück Schuld hatte. Bei der Beerdigung erfuhr Mona von Nadja und Uschi König, wie es zu Jules Freitod kam. Sofia Monetti, diese alte Mafia-Hexe und Mutter von Jules Vater, hatte damals dafür gesorgt, dass sich ihr Sohn von Mona trennte, was sie dann dazu zwang ihr Baby wegzugeben und wieder anschaffen zu gehen. Viele Jahre blieben Mona nur ein einziges Foto von ihrer Tochter zur Erinnerung. Als dann Sofia selbst in Reutlitz saß, nötigte Baal Jule ihre Großmutter auszuhorchen, damit sie an Informationen über deren Mafia-Organisation gelangen konnte. Sie drohte Jule sonst an, dass sie sie erneut an die Nadel bringen würde, wenn sie sich weigerte. Die Spitzeldienste wurden jedoch auf Station bekannt und ihre eigene Großmutter wiegelte die anderen Gefangenen auf Jule grausamst zu bestrafen. Uschi war zu dem Zeitpunkt im Krankenhaus, so dass ihr niemand beistand, auch Eva Baal nicht. Jule sah damals keinen Ausweg mehr als sich selbst das Leben zu nehmen. In der Zwischenzeit war Sofia Monetti gestorben. Viel zu spät, wie Mona voller Hass dachte. „Aber Du lebst noch! Du bösartiger Eisklotz“ Sie schrie Eva Baal an, die sie nicht hören konnte und die weiter ihre Arbeit nachging. Sonst hatte die Leiterin der JVA Reutlitz auch nichts in ihrem Leben, keine Freunde, ungeliebt von ihren Eltern, verachtet von den Insassinnen und gefürchtet von ihrem Personal. Ein einsames, freudloses Dasein. Mona wusste dies und sie empfand Genugtuung deswegen. Eva Baal selbst war Baals größter Feind und wenn sie auch die Gefangenen nicht mehr sadistisch behandelte, so war sie noch weit entfernt ein normales Leben zu führen und außerdem war es für Jule zu spät. Angewidert wandte sich Mona ab. Sie war fertig mit Baal. Nun wollte sie sich noch ein wenig amüsieren. „Mal schauen, was Walter und Konsorten so treiben.“ Mona grinste.

Einige Kilometer weiter, spazierten Melinda und Nadja durch den Berliner Grunewald. Nadja hatte heute frei und es gab auch keine interessanten Vorträge beim Rettungsdienst-Workshop für sie. Dies war eine gute Chance um mit ihr über ihre Vergangenheit zu reden. Melinda erfand einen Onkel von Mona, der in die USA auswanderte und mit dem Melinda angeblich befreundet war. Es war zwar eine abenteuerliche Geschichte, aber sie konnte sie derartig überzeugend rüberbringen, dass Nadja ihr diese Geschichte abkaufte und vor allem sie dazu brachte über Jule zu reden.
Nadja war nach außen hin eine toughe lebenslustige Frau, aber im Innern sah es anders aus. Das konnte Melinda genau spüren und ihr Gefühl trog sie nicht, als Nadja anfing über Jule und Mona zu reden. „Im Grunde war die Suttner total verkorkst. Fast ihr ganzes Leben war sie im kriminellen Milieu und das färbte natürlich auf ihren Charakter ab. Aber sie liebte Jule aufrichtig, auch wenn sie gegenüber ihrer Tochter viele Fehler gemacht hatte. Als sie Jules Flucht vereitelte, machte sie zwar das auch aus Eigennutz, aber auch weil Jule nur noch kurze Zeit hätte in Reutlitz bleiben müssen, hätte sie die überstanden, wäre sie endgültig frei gewesen. Bei einer Flucht jedoch hätte sie ihr Leben lang sich vor der Polizei verstecken müssen.“
Überrascht entfuhr es Melinda: „Das habe ich nicht gewusst.“
Nadja zuckte mit den Schultern. „Woher auch? Nach Jules Tod machten wir uns Vorwürfe, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn ihre Flucht geglückt wäre, denn dann wäre sie heute noch am Leben. Ich habe wenige Monate vorher dasselbe getan wie Mona, auch ich hatte sie verraten.“
Melinda legte ihre Hand auf Nadjas Schulter. „Ihr konntet es damals nicht wissen, was diese Direktorin und ihre Großmutter vorhatten, sonst hättet Ihr versucht dies zu verhindern.“
Nadja weinte jetzt. „Aber es ist geschehen. Und ich trage die Mitschuld nicht nur an Jules Tod, sondern auch an dem von Mona. Sie versuchte damals ihre Tochter zu rächen, indem sie einen Mordanschlag auf Eva Baal verübte. Er missglückte und sie musste zurück ins Gefängnis. Dort wurde sie dann von einer Mitinsassin erdrosselt. Wenn ich bloß nicht Jule verraten hätte.“ Ihr versagte die Stimme.
„Nein, Nadja, Du hast nichts falsches getan. Du wurdest in diesen Strudel von Gewalt mithereingezogen ohne dass Du etwas dafür konntest. Jule hätte versuchen können Hilfe zu bekommen und dass Mona zurück nach Reutlitz musste, hatte sie selbst zu verantworten. Außerdem hätten die beiden auch in Freiheit umgebracht werden können. Du kannst nichts dafür!“ sprach Melinda eindringlich auf sie ein.
„Du hast ja recht. Mein Kopf sieht das ja genauso, nur mein Herz macht mir seitdem große Vorwürfe. Vor ihrem Tod war das anders. Wusstest Du, dass Jule sich an mir rächte, weil ich ihre Flucht vereitelte? Keiner durfte damals wissen, dass wir wieder zusammen waren, weil ich Gefängnisärztin in Reutlitz war. Jule sorgte dafür, dass ich meinen Job dort verlor. Als wir uns in meinem Behandlungszimmer liebten, drückte sie den Alarmknopf und erklärte den herbeigeeilten Beamten, dass ich sie sexuell belästigt hätte. Ich wurde daraufhin fristlos entlassen. Sie konnte also genau wie ihre Mutter sein.“ Nadja lachte hart.
„Hattet Ihr danach trotzdem noch Kontakt?“ fragte Melinda und ignorierte bewusst Jule, die während des Gesprächs erschienen war und alles mitanhörte.
Nadjas Stimme wurde bitter. „Nein, das wollten wir beide nicht mehr. Ich schloss damals mit dem Thema ab. Sie liebte mich nicht mehr so, wie ich sie liebte und das hatte ich endgültig eingesehen. Als wir uns das erste Mal trennten, da sie mich mehrfach bestohlen hatte, war Jule noch auf Drogen, so dass ich seinerzeit noch ständig grübelte, ob sie nicht elendig an einem Goldenen Schuss verreckt wäre. Aber dieses Mal glaubte ich sie in Sicherheit, was zwar ein Irrtum war, aber das wusste ich ja nicht. Endlich konnte ich wieder ein Leben führen ohne ständig an Jule denken zu müssen, ich ging sogar eine Beziehung mit einer Klinikangestellten ein. Ich war glücklich. Diese Frau war so anders als Jule. Nicht so stur und impulsiv, bei ihr musste ich nicht immer die Starke und Vernünftige spielen, sondern konnte mich auch mal fallen lassen. Und vor allem wurde ich zurückgeliebt.“
Jule schaute beschämt auf den Boden.
„Und dann hast Du von Jules Tod erfahren.“ ergänzte Melinda.
„Ja, es war der schlimmste Tag in meinem Leben. Ich fühle mich seitdem so schuldig und damals glaubte ich, dass ich nicht das Recht hatte, selber glücklich zu sein. Meine Beziehung ging in die Brüche und ich stürzte mich wie eine Wahnsinnige in die Klinikarbeit. Mir geht es mittlerweile etwas besser, ich hatte auch flüchtige Affären, aber es vergeht immer noch kein Tag an dem ich nicht an Jule denke. Aber das Seltsame ist, wenn ich an ihrem Grab stehe, habe ich das Gefühl, sie wäre bei mir. Ich überlegte schon nicht mehr hinzugehen, weil es so unheimlich ist, aber dann kam es mir so vor, als würde ich sie erneut verraten.“
Melinda nahm Nadja ohne ein Wort zu sagen in den Arm.
Jule weinte. „Ich habe das alles nicht gewollt. Ich habe Dir nur Unglück gebracht!“ Mit diesen Worten ließ sie Melinda und Nadja allein.

Nachdem sie sich von Nadja verabschiedet hatte, ging Melinda shoppen. Nicht, weil es ihr Vergnügen bereitete, sondern um sich abzulenken. Das Schicksal dieser drei Frauen berührte sie immer mehr. Melinda hatte schon vielen geholfen, aber eine so tragische und komplizierte Geschichte hatte sie noch nie erlebt. „Und ich hatte gedacht, dass Berlin mir vielleicht eine Auszeit von den Geistern bringen würde.“ dachte sie kopfschüttelnd. Melinda saß inzwischen vor einem Café am Brandenburger Tor, einst das Symbol für das geteilte Deutschland und ganz in der Nähe vom Reichstag, dem neuen alten Machtzentrum dieses Landes, gelegen. Es waren zu dieser Zeit nicht viele Menschen dort, nur einige kleine Touristengruppe standen herum und fotografierten das Wahrzeichen Berlins. Sie bemerkten die Hunderte von Geistern um ihnen herum nicht. Wie auch, sie waren nur für Melinda sichtbar. Sie hatte noch nie eine solch große Ansammlung von Verstorbenen gesehen. Sie alle waren schon seit Jahrzehnten tot, die meisten von ihnen trugen Uniformen, andere hingegen waren ganz ausgemergelt und trugen blau-weiß-gestreifte Sträflingsuniformen. Es war ein entsetzlicher Anblick. Melinda schloss die Augen.
„Eine schreckliche Aussicht. Stimmt´s, Melinda? Darum bleiben wir tote Reutlitzer auch meist im Knast. Ironie der Geschichte – als wir noch lebten, wollten wir unbedingt raus.“ Eine dunkle rauchige Frauenstimme riss Melinda aus ihren Gedanken. Es war Mona, die lächelnd vor ihr stand.
Melinda nahm ihr Handy aus der Handtasche und hielt es vor ihr Ohr, damit die anderen Menschen glaubten, sie würde telefonieren, wenn sie mit einem Geist redete. Sie erzählte in knappen Worten Mona von ihrem Spaziergang mit Nadja, als abermals wie aus dem Nichts Jule erschien.
Sofort machte sie Mona eine Szene. „Es war nett von Dir uns den Kontakt mit Melinda zu vermitteln, aber jetzt kannst Du verschwinden und Dich über Walter und Uschi amüsieren. Hau ab, bevor Du wieder alles versaust. Das geht Dich nichts mehr an!“
Mona nickte stumm, es war ihr anzusehen, dass Jules Worte sie verletzten. Aber sie entsprach der Aufforderung ihrer Tochter und verschwand.
Jetzt packte Melinda die Wut: „Verdammt Jule, Du bist so selbstgerecht! Ja, sie hat Dir schlimme Dinge angetan. Aber hast Du Dich jemals gefragt, warum sie so geworden ist und kannst Du denn nicht sehen, dass sie sich verändert hat. Auch schon zu Lebzeiten. Sie fühlt sich auch schuldig, so wie Du es haben willst. Aber seit sie weiß, dass sie Deine Mutter ist, hat sie Dir so oft geholfen. Nadja hat mir erzählt, dass sie seinerzeit den Job als Gefängnisärztin angenommen hatte, weil Mona sie darum bat. Sie machte sich damals Sorgen um Dich, weil Du den Knastalltag immer weniger ertrugst und wollte Dich deswegen mit Nadja verkuppeln, damit es Dir besser ginge. Außerdem hat sie Dich wieder von den Drogen weggebracht. Soll ich fortfahren?“
Jule schaute sie wie ein bockiges Kind an, aber etwas einsichtiger erwiderte sie. „Nein, nicht nötig. Okay, ja, als sie erfuhr, dass ich ihre Tochter bin, war sie bemüht, eine gute Mutter zu sein und wir hatten dann auch schöne Zeiten. Aber trotzdem. Sie hat damals meine Flucht verraten, um selbst den Knast verlassen zu können.“
Melinda schüttelte den Kopf. „Auch Nadja hat Deine Pläne vereitelt und ihr hast Du verziehen. Mehr noch, Du hast wegen ihr ein so schlechtes Gewissen, dass Du nicht ins Licht gehen willst und immer noch hier bleibst.“
Jule biss sich auf die Lippe und meinte kleinlaut. “Aber bei Nadja ist es anders. Sie lebt noch und soll wieder glücklich werden. Ich war so unfair zu ihr, ich will wenigstens jetzt ihr helfen, so wie sie es früher bei mir getan hat. Um Mona kann ich mich danach noch kümmern. Wir haben ja bis in alle Ewigkeit noch Zeit dazu.“
Erleichtert atmete Melinda tief durch. Endlich war das Eis gebrochen. Sie verabredete sich mit Jule am morgigen Tag im Kongresszentrum, wo das Rettungsdienstseminar stattfand, dort würden sie versuchen mit Nadja zu reden. Hoffentlich wäre auch die Ärztin bereit dazu und würde die Existenz von Geistern nicht als Humbug abtun.

Jule und Melinda standen aufgeregt in dem leeren Seminarraum. Heute würden noch die Ergebnisse der Workshops durchgesprochen werden und dann gab es nur noch einen Abschlussvortrag. Hoffentlich würde Nadja kommen, sie hatte als Mitglied des Veranstaltungsteams viel zu tun, aber Jim wollte sie unter einem Vorwand zu ihnen schicken.
Als für Jule das Warten fast unerträglich wurde, kam Nadja abgehetzt herein. „Was ist passiert, Melinda? Jim sagte mir, Du bräuchtest meine Hilfe?“
Jetzt kam der schwierigste Part. „Es mag sich für Dich seltsam anhören. Aber ich bin wegen Jule da. Sie ist auch hier. Ich bin eine Art Medium und kann mit ihr kommunizieren. Sie will mit Dir reden.“
Nadja starrte sie angewidert an. „Findest Du das lustig? Ich habe gedacht, wir hätten uns angefreundet und jetzt machst Du makabre Scherze auf meinen Kosten. Das ist ekelhaft.“
Jule zog panisch an Melindas Ärmel. „Schnell, bevor sie wieder geht! Sag ihr, das Stethoskop, das sie immer bei sich trägt, was angeblich ein Erbstück von ihrem Großvater ist, hat sie in Wirklichkeit selbst gekauft, weil sie das Original an der Uni verloren hatte. Das wissen nur wir beide.“ Melinda berichtete es ihr.
„Woher weißt Du davon? Aber das kann auch nur ein Zufallstreffer sein. Also gut, noch ein Test. Zu welchem Lied haben Jule und ich uns das erste Mal geküsst.“ Nadjas Ablehnung wich langsam einer gewissen Unsicherheit, sollte Melinda auf einmal wirklich ein Medium sein?
Jule nannte Melinda den Titel und gab noch ein weiteres Geheimnis preis. „Das Lied hieß „What´s up“ und war von den 4 Non Blondes.“ Melinda räusperte sich. „Und außerdem sagt sie, dass Du drei Muttermale in Form eines Dreiecks auf der Innenseite Deines linken Oberschenkels hast. Ziemlich weit oben.“
Nadja musste sich setzen. „Das stimmt. Ich fasse es nicht, Du kannst wirklich mit Jule reden. Wie geht es ihr?“
„Es geht ihr gut. Sie macht sich jedoch Vorwürfe wegen Dir und findet darum keine Ruhe. Es tut ihr leid, dass sie Dich damals bestohlen hat, als sie auf Drogen war und dass Du wegen ihr in Reutlitz fristlos entlassen wurdest. Sie bedauert es sehr, dass sie Dich so fies behandelt hat. Du kannst übrigens sie selbst ansprechen. Sie kann Dich verstehen.“
„Und ich bereue es zutiefst, dass ich damals dafür sorgte, dass Du nicht fliehen konntest und deswegen in den Tod getrieben wurdest, Jule.“
„Nein, das war nicht ihr Fehler. Ich hätte versuchen müssen, mir Hilfe zu holen, vielleicht bei Walter oder bei einem vertrauenswürdigen Beamten. Schon direkt als Baal mir androhte, mich wieder anzufixen, als ich für sie spitzeln sollte. Bitte, sag ihr, sie soll sich keine Vorwürfe mehr machen.“ Melinda wiederholte es für Nadja.
„Ja, Du wolltest schon immer Dein eigenes Ding durchziehen. Und versuchen es ohne Hilfe von anderen zu schaffen.“ Nadja lachte bitter.
„Jule meint, sie war egozentrisch und hat Dich und ihre Adoptiveltern deswegen unglücklich gemacht. Außerdem hat sie sich nach ihrer Entziehungskur Dir gegenüber sehr geschämt und konnte deswegen keinen Neuanfang wagen, als Du das erste Mal in Reutlitz als Praktikantin dort warst. Sie hat Dich zu jener Zeit aber immer noch geliebt.“
„Aber Du hast damals gesagt, dass Du mich nicht mehr richtig liebst. Und beim zweiten Mal hast Du Dich auch nicht emotional auf mich eingelassen.“
„Melinda, sag ihr: Ich habe damals gefühlt, dass ich Dir wegen den Drogen so viel angetan habe, darum konnte ich es nicht. Außerdem habe ich gespürt, dass wir nicht mehr gleichberechtigt mehr miteinander umgehen konnten. Du warst die Ärztin und ich der kriminelle Ex-Junkie, um den man sich immer Sorgen machen muss.“
„Jule, das wäre doch irgendwann wieder anders geworden. Ich habe Dir mehrmals gesagt, dass ich Dir die Sache mit dem Klauen verziehen hatte. Und nach Deiner Entlassung hätten wir nochmals von vorne beginnen können!“
„Wir waren zu verschieden. Auch wenn ich Dich liebe, habe ich dies irgendwann begriffen und ich hatte gehofft, dass Du es irgendwann auch erkennst. Ich konnte Dir nie geben, was Du brauchst. Geborgenheit und Verlässlichkeit. Dafür war ich zu flippig und zu launisch.“
„Du hast recht, und ich war zu ernsthaft und diszipliniert für Dich. Wahrscheinlich hat mich auch diese Tragik und die Sorge um Dich mich so lange an Dich gebunden. Ich habe es damals auch erkannt, aber Dein Tod hatte alles durcheinander gebracht. Ich vermisse Dich Jule, nicht als Lebensgefährtin, sondern als gute Freundin.“ Nadja hatte Tränen in den Augen.
„Ich vermisse sie auch. Ich hätte sie gerne als Schwester gehabt. Und sie soll sich der Gegenwart zuwenden und sich wieder verlieben. Sie hat es verdient. Und auf keinen Fall soll sie sich mehr Vorwürfe machen.“ Auch Jule weinte.
Bevor Nadja etwas erwidern konnte, wurde sie ausgerufen. Sie sollte sich am Infostand melden. Sie seufzte. Aber es war alles gesagt, was gesagt werden musste. Jule umarmte Nadja zum Abschied, auch wenn sie die Berührung nicht konkret erfassen konnte, spürte sie einen angenehmen warmen Hauch auf ihrer Haut. „Mach es gut, Jule! Und danke Melinda für alles“ mit diesen Worten verabschiedete Nadja sich.

Nach dem Nadja gegangen war, standen Jule und Melinda noch minutenlang schweigend nebeneinander. Zu aufwühlend war diese Begegnung gewesen und zu erleichtert waren beide Frauen, dass sie etwas miteinander hätten reden können.
Plötzlich fuhr Jule auf. „Ich kann es sehen. Das Licht.“
Melinda lächelte. „Ja, jetzt bist Du bereit hinüberzugehen.“
Jule zog ihr Käppi aus, das Judas-Zeichen war von ihrer Stirn verschwunden. „Ich sehe meine Adoptiveltern. Sie rufen mich. Aber ich kann noch nicht gehen!“
„Aber wieso nicht?“ fragte Melinda.
„Ich will noch nach Mona suchen. Sie soll auch ihren Frieden finden.“
Jule hat kaum ihre Worte gesagt, als Mona erschien: „Jule, ich habe ihn bereits gefunden. Jetzt, wo Du Dich mit Nadja ausgesprochen hast und Du bereit bist Dich von den Lebenden zu lösen, kann ich auch hinübergehen.“
„Melinda hatte recht. Ich war selbstgerecht. Ich habe spätestens nach meinem Tod nur noch das Schlechte in Dir gesehen und das Gute völlig ignoriert. Aber Du liebst mich wirklich, das habe ich jetzt erkannt.“
Mona nahm Jules Hand in die ihre. „Ja, das tue ich. Und nun fangen wir wirklich von vorne an.“
Jule lächelte ihre Mutter an. „Genau, das werden wir, Mona!“
Beide drehten sich nach Melinda um. „Danke für alles, Melinda. Leb wohl!“ Dann gingen Mutter und Tochter Arm in Arm ins Licht.
„Ihr auch!“ Melinda blieb mit Tränen der Rührung im leeren Seminarraum. Endlich hatten diese drei Frauen ihre Vergangenheit bewältigt.

Einige Tage später im Café Planet, es war während Jims und Melindas Berlin-Aufenthalt zu ihrem Stammlokal geworden. Dieses Mal feierten sie mit Nadja dort ihren Abschied. Am Tag darauf würde das Ehepaar zurück in die Staaten fliegen.
„Wie geht es Dir nun, Nadja? Jetzt wo Du Dich mit Jule aussprechen konntest?“ fragte Jim.
Nadja überlegt kurz, bevor sie antwortete. „Es ist alles noch so frisch und ich bin noch ganz aufgewühlt deswegen. Aber auf jeden Fall bin ich erleichtert und Jule hat mir mein schlechtes Gewissen wegen ihrem Tod genommen. Ich bin jetzt wieder bereit in die Zukunft zu sehen und werde auch nicht mehr so viel über Vergangenes brüten. Und das verdanke ich Euch. Vielen, vielen Dank!“
Melinda tätschelte Nadjas Arm: „Das haben wir doch gern getan! Außerdem haben wir hier in Berlin eine Freundin gefunden. Du musst uns unbedingt demnächst in Amerika besuchen!“
„Das werde ich auf jeden Fall machen. Jim, ich mir will mir doch mal Eure Rettungswache anschauen und Melinda, auf Dein Antiquitätengeschäft bin ich auch schon sehr gespannt. Gell, dann gehen wir bei Euch mal anständig shoppen!“ sie lachte.
Jim verdrehte spaßeshalber die Augen. „Frauen! Ihr seid alle gleich!“
Melinda versetzte ihm mit ihrem Ellenbogen einen Knuff. „Wir haben uns aber auch Dir zu bedanken. Du warst eine tolle Fremdenführerin, ohne Dich hätten wir die interessantesten Orte gar nicht entdeckt!“
„Oh, ja und diese leckeren Falafel bestimmt auch nicht!“ Jim schloss genießerisch die Augen.
„Hey, ich habe mitbekommen, meine amerikanischen Stammgäste kommen heute zum letzten Mal! Ich habe hier Grappa auf Kosten des Hauses, damit ihr das Planet und mich in guter Erinnerung behält.“ Marina, die sie schon beim ersten Mal bedient hatte und die, wie es sich herausgestellt hatte, auch die Wirtin des Cafés war, kam mit vier Gläsern an den Tisch.
„Oh, das ist sehr nett! Danke! Cheers“ riefen ihre drei Gäste und nahmen sich jeweils einen Grappa.
„Salute!“ erwiderte Marina, die dabei Nadja tief in die Augen sah. „Aber es ist schön, dass Du mir als Gast erhalten bleibst.“
Nadja errötete. Sie fing sich aber schnell, erwiderte den Blick und antwortete lächelnd. „Natürlich. Bei dem tollen Angebot und dem überaus angenehmen Service bleibe ich diesem Café ganz bestimmt treu.“
Jim und Melinda grinsten sich vielsagend an, es schien so, als würde Nadja nicht nur in die Zukunft sehen, sondern sie auch wieder leben wollen.

Das Flugzeug flog über den Atlantik. Eng zusammengekuschelt schauten Jim und Melinda aus dem Fenster.
„Es war eine schöne Zeit in Deutschland.“ flüsterte Melinda.
„Ja, das war sie. Wir haben dort eine Freundin gefunden und Du konntest helfen.“ Jim küsste sie sacht auf die Schläfe.
„Du hast auch geholfen, Jim!“ Ich bin auf jeden Fall froh, dass Nadja nun unbelastet ein neues Leben beginnen kann. Und Jule und Mona sich endlich von ihrem irdischen Dasein lösen konnten.“ erwiderte seine Frau gedankenverloren.
„Ich habe dabei auch etwas gelernt. Weißt Du, ich habe mir nie große Gedanken über Homosexuelle gemacht. Ich hatte nie etwas gegen sie, das Thema hat mich nur nie interessiert. Aber jetzt, nachdem wir Nadja kennen gelernt haben und Du mir von Jule berichtet hast, werde ich wütend, wenn ich daheim an unsere Fundamentalisten denke, wie sie über Lesben und Schwule hetzen. Denen muss man die Stirn bieten.“ Jim machte ein entschlossenes Gesicht.
„Genau, gegen diese Intoleranz muss man Stellung beziehen. Aber ich habe durch die Begegnung mit Mona noch etwas anderes gelernt. Man darf Gefangene nicht einfach so als Kriminelle abstempeln. Oft sind äußere Umstände, das Milieu oder Schicksalsschläge dafür verantwortlich. Außerdem können sich Menschen auch ändern.“ Melinda nahm Jims Hand.
„Denkst Du mit dem letzten Satz auch an Deine Mutter?“ fragte er sie.
„Du kennst mich einfach zu gut, Jim! Ja, wir haben ein so angespanntes Verhältnis. Ich wollte deswegen mit ihr nur noch das nötigste zu tun haben. Aber durch die Geschichte mit Jule und Mona bin ich ins Grübeln geraten und in mir wächst immer mehr der Wunsch mich mit meiner Mutter auszusprechen. Ich will nicht damit warten, bis wir beide tot sind.“ Melinda lief eine einzelne Träne die Wange hinunter.
Jim küsste die Träne zärtlich weg. „Dann werdet Ihr das auch schaffen. Erzähl Deiner Mutter von Jule und Mona. Das wäre ein guter Einstieg.“
„Ja, das werde ich tun. Ach Jim, ich bin so glücklich, dass Du mein Mann bist. Ich liebe Dich.“ Melinda legte ihren Kopf an seine Schulter.
Jim streichelte ihre Hand„Und ich liebe Dich, Melinda Gordon.“

ENDE
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