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Zur falschen Zeit am falschen Ort

von KayKay
Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi / P12 / Gen
Dr. Jordan Cavanaugh
08.11.2006
15.11.2008
3
4.878
 
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08.11.2006 1.833
 
Disclaimer: nichts gehört mir.  


Zur falschen Zeit am falschen Ort


Es war schon spät am Abend als Jordan endlich den geräumigen Fahrstuhl betrat. Sie hatte nun schon den größten Teil dieser schrecklichen Woche hinter sich. Morgen Abend würde sie drei Kreuzzeichen machen, wenn dieser Tag erst überstanden war. Zugegeben war fast jede Arbeitswoche in der Gerichtsmedizin kein Zuckerschlecken, aber diese hatte es besonders in sich gehabt.
Schon in der Nacht zum Montag hatte ein verrückter Guru seine sieben Schützlinge ins Nirvana geschickt und ihr damit viel Arbeit beschert.
Dienstag hatte sie ausgiebig mit Woody gestritten.
Gestern rammte ein offensichtlich druchgeknallter Autofahrer seinen dunkelblauen Pickup in ihren Wagen und beging  anschließend wie vom Teufel gejagt Fahrerflucht.
Zusätzlich verlangte Macy ihre ausstehenden Berichte bis morgen Abend. Jordan hasste nichts mehr als diesen unnützen Papierkram.
Vor dem Gebäude angekommen schlug sie, die inzwischen schon gewohnte Richtung ein, um noch einen Drink in der Bar ihres Vaters zu nehmen. Auf den Straßen Bostons war um diese Uhrzeit nie wirklich viel los. Nur vereinzelt kreuzten Menschen ihren weg.
So schenkte sie auch den schnellen Schritten keine Beachtung, die sich von hinten näherten, plötzlich ihre Arme festhielten und ihr ein Tuch aufs Gesicht drückten bevor sie sich wehren konnte.

Jordan wusste nicht wie lange sie bewusstlos gewesen war, als sie endlich erwachte. Sie versuchte sich zu orientieren, was mit verbundenen Augen beinahe unmöglich war. Ihr Kopf schmerzte. Abgestandener, etwas modriger Geruch stieg in ihre Nase. Vorsichtig begann sie sich auf dem anscheinend gepolsterten Untergrund zu bewegen. Ihre Arme und Beine waren mit irgendetwas an die Pfosten des schmalen Bettes gebunden. Die Fesseln hatten wenigstens ein paar Zentimeter Spielraum, was die Angelegenheit einigermaßen erträglich machte. Krampfhaft versuchte sie von den Fesseln zu befreien, doch ohne Erfolg.

Jordan entschied nach kurzem überlegen, sich bemerkbar zu machen, schließlich wollte sie wissen wem sie diese Aktion zu verdanken hatte. Frech und fordernd rief sie in den Raum: „He ist da jemand, machen sie mich gefälligst los, ich hab noch was anderes zu tun als hier rumzuliegen!“ „So, was denn?“ Fragte eine angriffslustige aber angenehme Männerstimme so nah neben ihr, dass es Jordan kalt den Rücken runter lief, trotzdem oder gerade deswegen keifte sie: „Das geht SIE gar nichts an, also machen sie mich gefälligst los, sonst schrei ich halb Boston zusammen!“ Der Mann der keinen halben Meter neben ihr zu stehen schien, entgegnete „Ach, sooo kurz bei Bewusstsein und schon solche Ansprüche stellen?“ Jordan konnte deutlich das Grinsen in seiner Stimme hören. Nun spürte sie wie ihr Kidnapper sich zu ihr auf das Bett setzte, der angenehme Geruch seines Aftershaves stieg ihr in die Nase. „Hören sie mir jetzt gut zu Madame: Erstens, ICH entscheide was MICH etwas angeht und was nicht. Zweitens, ICH stelle die Fragen und Drittens, was das Schreien betrifft, ersparen sie uns beiden den Krach, hier kann sie niemand hören.“ Erklärte er in einem freundlichen aber bestimmten Ton. Dann erhob er sich und fügte hinzu: „Wenn sie friedlich bleiben, bin ich es auch, Miss Cavanaug“ Jordan hielt die Luft an, er oder sie wussten wer sie war und noch schlimmer, sie hatten es anscheinend genau auf sie abgesehen! Bei diesem Gedanken wurde ihr ganz schlecht.

Auch seine ganze Art mit ihr zu sprechen gefiel ihr überhaupt nicht. War er nur freundlich oder irre oder beides zusammen oder hatte er andere schreckliche Dinge im Sinn. Sie durfte nicht zu viel darüber nachdenken.

„Haben sie alles verstanden was ich gesagt habe?“ fragte er mit etwas Besorgnis in der Stimme. Jordan nickte etwas verstört.
Ihr war nun bewusst, dass sie ihr irisches Temperament im Zaum halten musste um diese Situation einigermaßen Heil zu überstehen.
„Wenn sie mich jetzt für einen Moment entschuldigen würden.“ Sie antwortete eingeschüchtert: „Es bleibt mir doch nichts anderes übrig oder?“ „Da haben sie wohl Recht, machen sie es sich doch so lang bequem.“ Jordan lächelte sauer.

Ihr Entführer verlies das Zimmer und sperrte die Tür hinter sich ab. Keine zwei Meter neben ihr war die Tür, der Weg hinaus aus diesem muffigen Gefängnis. Doch für sie momentan unerreichbar. Seine Schritte entfernten sich langsam und vereinzelt konnte sie noch die Bretter unter seinen Füßen knarren hören. Um Jordan herum wurde es nun still, gespenstisch still. Sie war allein. Ganz allein mit ihren Gedanken. Wer hatte sie entführt und warum? Wo hatte man sie hingebracht? Was hatte er oder vielleicht auch die anderen mit ihr vor? Hatte ihr Bruder etwas damit zu tun? War sie in letzter Zeit irgendjemand besonders auf die Füße getreten? Jordan versuchte sich zu beruhigen, bloß keine Panik aufkommen zu lassen. Angestrengt versuchte ihr Verstand alle Tatsachen so zusammenzureimen, damit sie einen Sinn ergaben. Weshalb wurde sie am späten Abend mitten auf der Straße betäubt, gekittnapt und in ein offenbar altes Haus gebracht? Hatte das alles mit der Arbeit zu tun? Es könnte hunderte Gründe geben warum sie hier war. Das einzige Motiv, dass sie eindeutig ausschließen konnte, war Geld. Schließlich hatte sie keines.

Jordan musste einsehen, dass es keinen Sinn machte sich mit all diesen Fragen zu quälen. Sie musste versuchen zuversichtlich zu sein und einfach das Beste zu hoffen. Na ja, wenigstens brauchte sie sich jetzt nicht um Macy’s Papierkram zu kümmern. Außerdem würden ihre Kollegen und die Polizei warscheinlich schon längst nach ihr suchen. Wobei, daheim hätte sie niemand erwartet und bei der Show, die sie beim letzten Termin dieser Art abgeliefert hatte! Damals hatte sie einen Mord belauscht und war nach viel umständen und ärger auf einen erschossenen Drogenboss gestoßen. Garret hätte sie damals fast gefeuert.

Sich nähernde Schritte rissen Jordan aus ihren Gedanken. Die Person blieb kurz vor der Tür stehen und holte den klappernden Schlüsselbund hervor und steckte nach einem kurzen Piepston etwas anderes in die Tasche. Die Tür wurde geöffnet und ihr Gesellschafter fragte höflich: „Hoffentlich haben sie sich nicht zu sehr gelangweilt ohne mich?“  Jordan war irgendwie froh dass er wieder im Zimmer war. Vielleicht war sie auch nur erleichtert, dass nicht noch ein anderer, noch wesentlich unfreundlicherer Kidnapper an ihrer Entführung beteiligt war. Auf seine Frage antwortete sie etwas verängstigt: „Es ging, wie war ihr Telefonat?“ „Ahh, die Frau Doktor kombiniert fleißig! Da sie es unbedingt wissen wollen, es war aufschlussreich.“

Jordan konnte sich das Grinsen gerade noch verkneifen. „Macht es ihnen was aus, wenn ich mich zu ihnen aufs Bett setze?“ Nun war sie ein wenig verwundert und fragte amüsiert  „auch auf einmal so zuvorkommend?“ „Ich wollte nur höflich sein!“ aufgesetzte Empörtheit schwamm in seiner Stimme. „Dann hat man für meine Entführung wohl den letzten Gentleman ausgegraben, oder wie soll ich das verstehen?“ Jordan war froh das er auf diese Mischung aus Flirt und schwarzem Humor eingegangen war. „ist das Galgenhumor?“ fragte er amüsiert während sich die Matratze unter seinem Gewicht weiter neigte. Jordan antwortete betrübt:„Brauche ich denn Galgenhumor?“ und legte ihren Kopf zur Seite. Sie atmete tief ein. Mit einer zärtlichen Bewegung strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und flüsterte traurig: „wir sollten das Thema wechseln findest du nicht?“ Jordan konnte seinen angenehm warmen Atem auf ihrer Wange spüren. Sie genoss seine nähe, irgendwie gab er ihr Sicherheit „Verrätst du mir dann wer du bist und was das hier soll?“ Er streichelte langsam und bedächtig über ihren Unterarm bis zu ihren Fesseln, die er sanft lockerte und sich dann ein wenig zurücklehnte. „Mein Name ist Jack und du bist hier weil du zur falschen Zeit am falschen Ort warst.“ „Was hast du mit mir vor, Jack?“ „ich hab, überhaupt nichts mehr mit dir vor, leider“ bei diesen Worten streifte er langsam ihr hochgerutschtes Shirt wieder nach unten und lies seine rechte Hand auf ihrer Hüfte liegen. „Meine Aufgabe ist erfüllt.“ Jordan konnte die Traurichkeit in seiner Stimme hören und fühlen wie der Klos in ihrem Hals immer größer wurde.

Einen Augenblick später seufzte er tief und erhob sich schwungvoll vom Bett. „Hast du Hunger? Wie wär’s mit Chinesisch?“ Jordan nickte leicht verstört. Seine eiligen Schritte hallten durch den Raum und er hob schnell einige Sachen auf. Was war auf plötzlich passiert? Hatte sie etwas nicht mitgekriegt?  „Was ist auf einmal mit dir los, was hast du vor Jack? Wo willst du hin?“ sie war besorgt, wenn er wohlmöglich irgendeine Dummheit machte und sie hier für immer allein zurück lies? Den Gedanken konnte sie nicht ertragen. „Mach dir keine Sorgen.“ Jack saß wieder neben ihr auf dem Bett und streichelte ihre Wange. „Lass mich nicht allein, Jack, was ist wenn…“ „Sssccchh, du bleibst nicht lang allein, das versprech ich dir. Wir sehen uns bald wieder“ Jack drückte sie ein letztes mal an sich und verließ eilig das Zimmer.

Jordan blieb wieder allein zurück. Ein sanfter Luftzug blies durch den leeren Raum. Jordan wusste dass eine Ewigkeit vergehen würde bis er wieder bei ihr war. Sie vermisste ihn schon jetzt. Seltsam, noch vor ein paar Tagen hatte man ihr Bindungsängste vorgeworfen und nun wartete sie in einem einsamen Zimmer auf die Rückkehr eines fremden Mannes.

Hatte er nicht gesagt, dass seine Aufgabe erledigt sei? Würde er überhaupt zurückkehren? Was der Rest dieser Aufgabe sein mochte, darüber wollte Jordan erst gar nicht nachdenken. Unzählige Gedanken quälten sich durch ihren Kopf. Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, als sie endlich Schritte und Stimmen hörte. Waren das die Polizei oder die Kidnapper? Nun, scheiß egal ob gut oder böse, dort war jemand der sie hören konnte. Dies war vielleicht DIE Chance zu entkommen. Sie schrie aus Leibeskräften: „Hilfeee!!! holt mich hier raus! Hilfeee,  helft mir Hilllffffeeee!“

Jordan holte tief Luft und lauschte einen Moment. Die Stimmen und Schritte waren inzwischen näher, aufgeregter. Jordan schrie noch mal so laut sie konnte: „Hillfffeeee“ Endlich konnte sie die Worte verstehen, als man ihr zurief: „Schreien sie weiter, wir holen Sie da raus!“ Nun fiel ihr ein Stein vom Herzen, besser gesagt ein Felsbrocken. „Hierher, hier bin ich! Helft mir!“ „Jordan sind Sie das?“ Jordans Herz machte Purzelbäume, noch nie war sie so erleichtert gewesen Macys Stimme zu hören.  „Jaaa, holt mich hier raus!“ Einen Moment später stolperten einige aufgeregte Menschen ins Zimmer und als man ihr die Augenbinde abnahm erkannte sie erleichtert ihren Chef. Neben ihnen standen einige Polizisten in Uniform die sich eifrig im Raum umsahen, wären Gerret Jordan von ihren Fesseln befreite.

Er forderte die beiden Polizisten auf vorerst keine dummen Fragen zu stellen und griff Jordan stützend unter die Arme bis sie auf wackeligen Beinen am Streifenwagen angekommen war. Jordan sah sich suchend um. „Wo sind wir hier eigentlich?“ „Harbor Street“ meinte einer der Beamten tonlos und deutete ihr ins Auto zu steigen. Seufzend stieg sie ins Auto und setzte sich neben ihren Chef, der schützend einen Arm um sie legte.

Aus Erleichterung und Erschöpfung lies sie ihren Kopf auf seine Schulter fallen und war auf bestem Wege einzuschlafen. Aus der Ferne hörte sie das Rauschen des Funkgerätes, durchbrochen von einer aufgeregten Männerstimme die Jordan kaum noch wahrnahm bevor sie einschlief. „Schusswechsel zwischen Fid Kennedy Ave und Harbor Steet. Männliche Person Anfang Dreißig in einem Dunkelblauen Pickup tot aufgefunden. Bitte um Verstärkung.“
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