Lüge und Schuld - Schuld und Sühne
von Pearl
Kurzbeschreibung
In einer regnerischen, dunklen Nacht stehen sich zwei Menschen gegenüber, die lange Zeit ein enges Band verbunden hat. Doch diesmal gibt es einen Kampf auszutragen, dessen Ende niemandem gefällt.
GeschichteDrama / P12 / Gen
08.10.2006
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Lüge und Schuld - Schuld und Sühne
Das silberne Licht des Mondes traf auf den eiskalten Stahl der Klinge und spiegelte sich, vom Blut rot gefärbt, dunkler wieder, bevor es in die violetten Augen der Angegriffenen fiel.
Reflexartig hob diese ihr Schwert und stemmte es dem Gegner entgegen, fest entschlossen, nicht einen Schritt zurückzuweichen.
Ein heller, weicher Klang, der so gar nicht zu der blutgetränkten Erde und dem Hass, der die Luft verpestete, passen wollte, entstand aus dieser kurzen Verbindung, und trug die Nachricht des Kampfes über die weiten Felder.
Für einen Moment standen sie ganz dicht bei einander, berührten sich die Körper über den Waffen und und die Blicke verloren sich in einander.
Die grünblauen Augen des junge Mannes hielten die Konfrontation fast nicht aus, doch trotz des Schweißes, der ihm über das Gesicht rann, harrte er aus.
"Warum?"
Die weiche, melodiöse Stimme seiner Gegnerin verlor sich in der Ewigkeit des Dunkeln, und er wich ein paar Schritte davon, um besser angreifen zu können, doch sie gab nicht nach.
"Sag es mir.
Warum?"
Ein undeutbares Lächeln trat auf seine schmalen Lippen, und seine Hand schloss sich fester um den Schwertgriff.
"Ich weiß es nicht..."
Mit Schwung, mit aller Kraft, die er hatte, hob er das Schwert und ließ es auf die Fragende niedersausen, ganz so, als wollte er ihren Schädel spalten.
Schweigend wich diese zurück, stolperte beinahe bei dem Versuch, der unglaublich scharfen Klinge auszuweichen, und blickte den anderen vorwurfsvoll an, bevor sie ihrerseits seinen nach vorne gerichteten Schwung ausnutzte, um selber einen Angriff zu starten.
Elegant und mit tödlicher Präzision ließ sie ihr Schwert kreisen und versuchte, es ihrem Gegner in den Magen zu rammen.
Doch er durchschaute ihren Angriff schnell genug und rollte sich zu Seite ab, sein Schwert gerade noch mitreißend.
Wieder standen sie still, maßen sich mit ihren Blicken, obwohl sie schon längst alles gesehen hatte.
"Ry´lan- Warum?"
Der Gefragte betrachtete seine Gegnerin- ein langer, schwarzer Mantel verhüllte Körper und Gesicht, nur die dunkelvioletten Augen funkelten ihn aus der Dunkelheit an- und genau das konnte er nicht ertragen.
"Ich weiß es nicht!"
Suchend schabten seine Füße über den teils moorigen, teils trockenen Boden, während er dem durchdringenden Blick weiterhin standhielt.
"Bedeutet dir das alles so wenig?
Bist du bereit, alles wegzuwerfen für diese...
diese Frau?
Denke daran, was sie uns angetan hat!"
Er lachte leise und spürte die feste, staubige Erde unter seinen Sohlen.
"Nein, Eve´lyn. Sie hat gar nichts getan- ich war es."
Mit aller Kraft stiess er sich vom Boden ab und legte allen Zorn, der ihm noch geblieben war, in diesen einen Schlag.
Dieser hätte fast das Ende bedeutet.
Die junge Frau, fast noch ein Mädchen, stand wie angewurzelt da, und nur ein ungläubiges Zurückweichen rettete ihr Leben.
Die blitzende, todbringende Klinge drang durch den dunklen Stoff ihres Umhangs wie durch Butter, und blieb, durch den Schwung mit genug Kraft versehen, um den zierlichen Körper zu spalten, in der Erde stecken.
Und wieder standen sie still, das Schwert zwischen den Füßen Eve´lyn´s als einzige Barriere zwischen ihnen.
"Du?"
Im selben Moment, als die Erkenntnis die geistige Sperre zersplittern ließ, die sie aus Unglauben gebaut hatte, rutschte der Kleidungsfetzen von ihren Schultern und fiel zu Boden.
Eine Wolke schob sich vor den Mond und warf einen Schatten auf die Kämpfenden, und es schien so, als wolle der Himmelsherrscher nicht sehen, was geschehen würde.
Doch unwiderruflich segelte seine Deckung mit dem kühlen Wind, der auch das lange, geschmückte Haar des Mädchens fliegen ließ, davon.
Dort waren sie nun, körperlich nah und doch weiter von einander entfernt als je zuvor.
Eve´lyn hielt ihr Schwert nur noch in einer Hand, die andere wanderte zitternd zum geradezu blendend weißen Haarreif, der ihr die Sicht freihielt.
"Ich."
Dieses eine Wort war so klein, so unbedeutend, und änderte an diesem Tage eine ganze Welt.
Eve´lyn´s Welt.
Die Luft schien leer zu sein, sie fast zu ersticken, ihr Hochzeitskleid erdrückte sie, während Himmel und Hölle, Richtig und Falsch ihre Plätze tauschten.
Sie war nichts.
Vielleicht war es diese Verzweiflung, vielleicht war es der Gedanke an das, was geschehen war, oder es ging nicht mehr anders- Das Mädchen sprang mit einem Mal in die Höhe, riss sein Schwert mit und ließ es gleich darauf das Blut seines Widersachers kosten, schlug es mit allem, was es hatte, in die gepanzerte Schulter.
Der rote Lebenssaft spritzte trotz des Schutzes bis zu den hellbraunen Haaren des jungen Mannes, der regungslos stehen blieb.
"Ja, ich war es...
Alleine."
Ein lauter Knall ertönte,so, als hätte man mit einer Peitsche hineingeschlagen, und Eve´lyn schaffte es kaum, den Gegenschlag zu parieren.
Es schien ihr, als würde ihr Arm abgerissen, ihre Muskeln zerfetzt und zerstört- doch sie schrie nicht.
Sie konnte nicht mehr schreien, denn der Schmerz der Erkenntnis war viel größer als der, den ihr der Kampf zufügte- und sie wollte, dass Ry´lan dieses Gefühl mit ihr teilte, mit in dem Tod nahm.
Ihr Schwert löste sich von der Klinge des anderen, schwerfällig, widerwillig, wie eine Liebende von ihrem Geliebten.
Wie um zu werben drehte sie sich um sich selbst, bot ihrem Gegner für den Bruchteil einer Sekunde ihren ungeschützten Rücken dar, doch dieser wartete- wusste nicht, was kommen würde.
Mit aller Kraft, die ihr die Drehung gegeben hatte, griff sie ihn an, wollte ihn töten, verletzen, zerfetzen, mit seinem Blut die Erde tränken, als Strafe für das, was er getan hatte.
Doch er hielt ihr seine Klinge in die Schlagbahn, sorgte dafür, dass wieder dieser überirdische, fast schon schöne Klang über das Gras jagte.
In einander verkeilt standen sie, wie schon so oft an diesem Abend, dort und schauten sich an- lasen in den Augen des anderen jeweils dasselbe.
Die Sonne schien prall auf den grünen Wald herab, und beleuchtete das kleine Haus, das etwas abseits bei den Feldern lag.
Man konnte viele Meilen weit über das flache Land sehen, und am Horizont, der an diesem Tage noch viel ferner schien, zeichneten sich, geradezu zwergenhaft klein, mehrere Planwagen ab.
"Schau nur, Del´ane´y, sie kommen! Sie kommen wieder!!"
Das Mädchen hüpfte aufgeregt hin und her, konnte sich nicht beruhigen, kaum einen ruhigen Gedanken fassen und steckte voller Fragen.
"Glaubst du, Vater bringt uns was Schönes mit? Glaubst du es??"
Die hübsche junge Frau mit den dunkelvioletten Augen, die sich ihre Antwort nun gut überlegen musste, lachte leise.
"Eve´lyn- du bist jetzt eine junge Dame, du solltest wirklich deine Neugierde im Zaum halten!"
Sie bückte sich, hob das rote Band, das ihr zu Boden gefallen war, auf und fasst ihr dunkelbraunes Haar in einem langen Zopf zusammen, während sie weitersprach.
"Du willst doch bestimmt später mal einen Mann bekommen, nicht?"
Das Mädchen verzog das Gesicht und strich sich selbst liebevoll durch das deutlich hellere Haar.
"Muss ich dann auch immer einen Zopf tragen?? Dann will ich nämlich nicht..."
Ane´y musste wieder lachen.
"Natürlich! Die Hochzeit ist der einzige Zeitpunkt, wo du den Herren ohne Band begegnen darfst..."
"Erzähl ihr doch nicht so einen Unsinn..."
Ein großer, kräftiger junger Mann trat aus der kleinen Hütte.
"Du trägst es auch nicht immer- außerdem werde ich Eve heiraten, da darf sie ihre Haare immer gerne offen lassen."
Während die glückliche Braut sich freudig an den Arm ihres Zukünftigen hängte, hob ihre ältere Schwester skeptisch ihre Augenbrauen.
"Du? Ein Ehemann sollte uns beschützen können- Also wird leider nichts aus der Heirat Ry´lan."
Der junge Mann lachte belustigt auf.
"Ach, Eve kann ich immer beschützen...
Und weißt du was?"
Er beugte sich, mit einem Male erschreckend ernst, zu der Skeptikerin herab und sagte:
"Dich beschütze ich auch."
Del´ane´y schaute ihn erst fragend an, lachte dann aber doch.
"Übernimm dich mal nicht, du Krieger des Kethyns..."
"Hast du es da schon gewusst?"
Ihre Stimme zitterte leicht, ob aus Wut, Angst oder Trauer wusste sie nicht so genau, doch die Antwort war etwas, auf das sie ein Anrecht hatte.
"Ja."
Der Wind frischte auf und brachte den Regen, der die Entscheidung herbeiführen sollte.
Der Mond, der das Töten leid war, bedeckte sich mit einem Schleier aus Rot und wandte sich ab, sodass nur noch die Sterne ihr kaltes Licht spendeten.
"Dann wirst du heute sterben."
Ihr Gegenüber lächelte leicht und schaute tief in ihre funkelnden Augen.
"Ich oder du."
Und schon ging der tödliche Tanz der silbrig glänzenden Klingen weiter, während schwere Regentropfen wie Tränen auf die Beiden hinab fielen.
Das Klirren der Schwerter und der metallische Geruch nach Blut, der von der feuchten Erde aufstieg, verscheuchten jeden, der es wagte, sich dem Ort des Geschehens zu nähern, und jene, die versuchten, dennoch dorthin zu gelangen, flüchteten beim Anblick der Kämpfenden.
Die Bewegungen der Beiden schienen beschwingt, fast schon fliegend und verhüllten den brutalen, tödlichen Charakter dieses Spieles.
Immer und Immer wieder trafen sich die blitzenden Klingen, an denen das Wasser hinablief und in großen Tropfen über die Finger der Kämpfenden floss, und immer und immer wieder trafen sich die glühenden Blicke, aus denen Wut und Raserei sprachen.
Plötzlich durchbrach der kreischende Schrei eines Raben die Stille, die vorher nur vom plätschern des Regens und dem Sirren der Schwerter begleitet worden war, und Ry´lan blickte erschrocken auf zu diesem Unglücksboten.
"Verrat..."
Die helle Stimme seiner Gegnerin zischte dieses Wort verächtlich, und mit einem schnellen, vom Zorn beflügelten Schmetterlingsschlag, fügte sie ihrem Widersacher, der immer noch wie erstarrt dort stand, eine klaffende Wunde am Arm zu.
"Schau nur, wen sie dir geschickt hat, du Held! Und du wolltest uns beschützen?"
Mit einem verletzt klingendem Lachen zog sie die scharfe Schneide durch das weiche Fleisch und sah mit einer dunklen Genugtuung, wie das dunkelrote Blut dickflüssig und im einsamen Licht der Nacht fast schwarz über ihre Klinge perlte.
Beide blickten auf die schimmernde Spur, die der Lebenssaft hinterließ, und als ein wenig davon über die schlanken, weißen Finger floss, kam wieder eine Erinnerung aus den Tiefen der Vergangenheit.
Die blitzenden Klingen umkreisten sich im hellen Sonnenlicht, und die Wärme, die das Himmelsgestirn auf die Kämpfenden fließen lies, trieb denen den Schweiß auf die Stirn.
Kunstvoll umtänzelten sie einander, ein lockeres Lächeln auf den Lippen und die schweren Schwerter in den feuchten Händen.
Unter einem kleinen Eichbaum, wo sich noch ein wenig Schatten gesammelt hatte, saß ein kleines Katzenwesen, das gespannt dem Training zusah und sich doch wohlweislich zurückhielt.
Außerdem war es viel zu warm für einen Kampf, auch ohne Rüstung.
Del´ane`y warf das dunkle Haar zurück und wischte sich die salzige Flüssigkeit vom Gesicht, während ein Grinsen über ihr Gesicht huschte.
"Du glaubst also immer noch, mich besiegen zu können?"
Ein siegessicheres Lachen flog über das Gras, hin zu ihrem Widersacher, der etwas verlegen grinste.
"Liebes, glaube ja nicht, dass du besser bist als ich- ich versuche nur, dir einen Vorsprung zu geben."
Seine Gegnerin lachte hell auf und rammte die Spitze ihrer Klinge in den Boden.
"Wie großherzig du doch bist- aber sogar unsere Kleine hier könnte dich mit Leichtigkeit in den Boden stampfen."
"Könnte ich nicht."
Wild schüttelte die junge Dame, die ebenfalls, ermattet von der Hitze, unter dem Baum saß, den Kopf.
"Na komm, den schaffst du doch mit Links- ich meine, unser Held ist doch wirklich kein Gegner für dich."
Zögernd erhob sich Eve`lyn, packte noch im aufstehen ihr schmales Schwert und ging langsam auf die Beiden zu.
"Aber ich habe doch noch nicht so lange Unterricht- was, wenn was passiert?"
Ängstlich schaute sie ihre Schwester mit den großen Augen an- doch diese lachte nur.
"Ach was, da passiert schon nicht..."
Gut gelaunt stellte sie sich ein paar Meter weiter weg, um nichts zu verpassen, und hätte die junge Dame jetzt aufgesehen und nicht angestrengt versucht, das silberne Metall ihres Schwertes zum Glänzen zu bringen, hätte sie auch das amüsierte Zwinkern gesehen, das ihrem Gegner zugeworfen wurde.
So aber begann der Kampf nun, und einige Zeit trafen sich die Klingen immer wieder, in einem geheimnisvollen Rhythmus, der das Ganze wie ein Sommerreigen aussehen ließ.
Schweiß floss, Nettigkeiten wurden ausgetauscht, und während Eve´lyn alles tat, um nicht zu verlieren, schien es für ihren Widersacher nur eine Übung zu sein.
Mit einem Male holte Ry´lan weit aus, und beim Ausführen seines Schlages stolperte er über eine Wurzel, die aberwitzig aus dem Erdreich herausragte.
Seine Gegnerin, die die Klinge auf sich zukommen sah, duckte sich im letzten Moment und rollte zu Seite, bevor sie begeistert aufsprang.
"Siehst du?
Ich kann´s doch..."
Keiner antwortete ihr, und etwas enttäuscht über die fehlende Begeisterung drehte sie sich zu den anderen um, in der Hoffnung, dann endlich Beifall zu bekommen.
"Del´ane´y!"
Erschrocken starrte sie auf das Schwert, das tief im Arm ihrer Schwester steckte, den diese zum Schutze hochgerissen hatte.
Für eine schier endlose Zeit sagte niemand etwas die Hitze war noch drückender als zuvor, und erst als die ersten roten Bluttropfen die Schneide hinabgeronnen waren und über die Finger des Angreifers flossen, regte dieser sich.
"Ich- tut mir leid, ich bin gestolpert...Ich..."
Plötzlich lachte Del´ane´y laut auf und zog langsam ihren Arm zurück.
"Meine Güte, kann immer mal passieren- aber ich würde sagen, wir beenden das Training jetzt, okay?"
Erleichtert und doch irgendwie schuldbewusst folgten die beiden anderen der Verletzten ins Haus, wo sich alle gemeinsam an einen Tisch setzten und schliesslich doch über alles lachen konnten.
"Damals hat es angefangen, nicht war?
Du hast es damals schon versucht..."
Ein tiefer Schmerz blitzte in den nun dunkelgrün wirkenden Augen des jungen Mannes auf, und mit einem schmalen Lächeln meinte er:
"Genau.
Du siehst, ich habe Methode..."
Der Atem seiner Gegnerin ging schneller, wieder versuchten Tränen, sich ihren Weg zu bahnen, hinaus aus der eisigen Kälte, die das Innere des Mädchen erstarren ließ.
"Methode- aber keine Ehre.
Was bist du nur für ein Mensch- Gott, wir hätten nie gedacht, dass ausgerechnet du..."
Ihre Stimme versagte, und die Ruhe, die aus der Wut geboren worden war, nahm schließlich wieder Oberhand.
"Wir haben dir vertraut.
Sie hat dir vertraut- mehr als jedem anderen."
"Das war allein Ihre Entscheidung- ich habe sie nicht gezwungen."
Ein falsches, bedauerndes Grinsen und ein nicht deutbarer Zusatz flogen über sein Gesicht, waren aber gleich darauf wieder verschwunden.
"Du hast es also wirklich getan...
Du bist es gewesen."
Ihr Gegner nickte, und in seinen Augen funkelte es.
"Ja.
Ich bin schuld."
Wortlos stürzte sie sich auf ihn und hätte es fast geschafft, ihn mit ihrem Schwert aufzuspießen, doch er konterte gekonnt und schaffte es, seine Klinge tief in das Fleisch ihres Schwertarmes zu jagen.
Vor Schmerz aufschreiend fiel Eve´lyn auf den Boden und schaffte es nur mit Mühe, sich wieder aufzurichten und das Schwert mit zitternder Hand zu halten.
Ry´lan war zurückgewichen und wartete, bis sie sich wieder aufgerichtet hatte, und während der Regen langsam abebbte, lächelte er sanft.
"Willst du mich nicht töten, Eve?"
Der jungen Frau standen die Tränen in den Augen und sie schaute ihn vorwurfsvoll an, schien ihn immer weiter anklagen zu wollen.
"Nur wegen ihr?
Du hast uns alle verraten- nur wegen dieser Frau?"
"Natürlich.."
Wieder war da eine dieser Pausen, in denen beide genau wussten, woran der andere dachte und in denen die Zeit still zu stehen schien.
"Sie sind gefährlich! Sie werden alles tun, um uns auszulöschen- sie sind ein Volk der Intriganten!"
Wütend stapfte Del´ane´y hin und her, und ihrer kleinen Schwester machte das Ganze langsam Angst.
"Aber sie können doch nicht alle so sein..."
"DOCH!"
Barsch unterbracht die große Schwester Eve´lyn, sodass diese erschrocken zusammenzuckte und den Kopf einzog.
"Sie sind falsch, verlogen und gefährlich!"
"Ouh, ganz böse Menschen..."
Bestens gelaunt schlenderte Ry´lan in die kleine Hütte und ließ sich aufseufzend auf einen der Stühle fallen.
"Über wen redet ihr denn überhaupt?"
Schnaubend verschränkte Del´ane´y die Arme vor der Brust.
"Na, diese Kieris, die falschen, grausamen, unfairen.."
überrascht zuckte sie zusammen, als der kräftige junge Mann erbost aufsprang und sie anzischte.
"Du kennst doch niemanden von denen!
Woher willst du das denn wissen?
Werde erst mal erwachsen und rede dann weiter!"
Wütend rauschte er wieder heraus und lies eine ratlose junge Frau zurück.
"HEY! DU hast keine Ahnung, sie sind ALLE so!!"
Auch sie verließ in Rage das Haus und Eve´lyn blieb ratlos und verängstigt zurück.
"Du hast uns damals belogen..."
Je mehr sich vor ihr auftat, umso fassungsloser und wütender wurde das Mädchen, besonders, weil es Ry´lan nicht auszumachen schien.
"Ja. Schön, dass du es auch langsam verstehst..."
Außer sich stürzte sie sich wieder auf ihn, und ein schneller Schlagabtausch folgte, bei dem beide leichtere Schnitte auf der Haut erlitten.
Doch es war ihnen egal, die Wut, die die Eine, und die Resignation, die den anderen trieb ließ keinen Raum für Schmerzen, und die Geschwindigkeit, in der sich die Klingen drehten war schon mörderisch.
"Wir wollten immer gemeinsam gehen..."
Die schweren Klingen trafen sich mit einen lauten Kreischen, und die Blicke streiften sich erneut.
"Jetzt nicht mehr...
Mit ihr ist alles Anders- und ich werde jetzt nicht zurückgehen, Liebes.
Es ist vorbei.
Hör auf zu träumen, Kleine."
Für einen Moment standen sie Rücken an Rücken, spürten den schnellen Atem des anderen und fühlten das Blut pulsieren.
"Du wolltest auf uns aufpassen..."
Nur mit einem schnellen Ausweichmanöver konnte Eve´lyn dem Schwert entgehen, das auf sie zuraste, und nun standen sich die Beiden wieder gegenüber.
"Ihr wart leicht zu täuschen..."
Ein Schatten lag über seinem Gesicht, und ein seltsames Leuchten lag auf seinen Lippen.
"Du...
Du bist so ein..."
Obwohl in ihr so viele Dinge gärten, die gesagt werden wollten, die sie ihm ins Gesicht schreien und um die Ohren schlagen sollte, fehlten ihr die Worte.
Der Schnitt in ihrem Arm brannte unaufhörlich und der Muskel, der das plötzlich fast unerträgliche Gewicht des Schwertes trug, schien nicht mehr arbeiten zu wollen.
Mit einem Male riss die dichte Wolkendecke, die den Mond die ganze Nacht schon verdeckt hatte, auf, und kaltes, blutrotes Licht ergoss sich auf die Kämpfenden.
Und dann, plötzlich, durchfuhr es die junge Frau, deren Arm immer schwerer zu werden schien- das war ein Zeichen, jetzt oder nie!
Und trotz der Schmerzen, die ihren ganzen Körper gefangen hielten, trotz dem Schreien ihrer Muskeln, die endlich ruhen wollten, raffte sich Eve´lyn Sychxia vom Stamme der Faith auf und machte ihrem kämpferischen Volk alle ehre, indem sie mit einigen sicheren, oft geübten Schritte über den durchweichten, schlammigen Boden glitt und ihrem Gegner, der bei dem Versuch, ihr auszuweichen, in der nassen Erde stecken blieb, das Schwert in die Brust rammte.
"Elendig sollst du verrecken, du Verräter..."
Und als der schwere Körper des Mörders ihrer Schwester, der Leichnam ihres Bruders, Ry´lan Sychxia, auf dem Erdboden aufschlug, der Regen über ihn hinüber floss und sich mit dem schwarzen Blut verband, das aus der Wunde trat, musste sie weinen.
"Wie ich sehe, hast du soeben meinen Geliebten getötet..."
Die kalte, grausam gleichgültige Stimme ließ sie herumfahren, und vor ihr im strömenden Regen stand die Frau, die alles zerstört hatte, an das das Mädchen jemals geglaubt hatte.
Sie war schön...
Makellose Haut, die in der Dunkelheit wie Elfenbein wirkte, langes blondes Haar, das genau den Farbton von goldenem Weizen traf, ohne ordinär zu wirken und dunkelblaue Augen, in denen sich die Sterne spiegelten.
Und trotz dieses engelsgleichen Wesens war sie der Teufel.
"Nun ja, so muss ich wenigstens nicht alle Arbeit erledigen...
Erst deine Schwester, dann ihn, dann dich- man kann doch nicht alles selber machen."
Für einen Moment blieb Eve´lyns Herz stehen, dann schlug es in doppelter Geschwindigkeit weiter, als wolle es die verlorene Zeit aufholen.
"Er hat sie getötet."
Die schlanke, gut gebaute Person schüttelte lachend den hübschen Kopf.
"Nein- hast du ihn deswegen erdolcht?
Wie niedlich.
Er hat es mir verraten- wo sie ist, was sie macht...
Er dachte tatsächlich, alle würden sich in mir täuschen und nur er könnte mein wahres ich sehen- und so hat er mir geholfen, euren Clan auszulöschen.
Er selbst hätte es doch nicht fertig gebracht, seine eigenen Schwestern...
Nein, so stark war er nicht."
Sie lachte noch lauter auf, als ihr die Tragweite des Geschehenen klar wurde.
"Du hast ihn also für etwas getötet, das ich gemacht habe?
Oh du armes Ding- willst du mir nicht meine Arbeit erleichtern und dich gleich dazu legen?"
Alles drehte sich, und der Schwertgriff glitt aus den kalten, blutleeren Fingern Eve´lyns- er hatte es ihr gesagt, es ihr immer wieder gesagt, Mal für Mal, mit grausamer Genugtuung...
"Damals hat es angefangen, nicht war?
Du hast es damals schon versucht..."
Ein tiefer Schmerz blitzte für Sekunden in den dunkelgrünen Augen des jungen Mannes auf, und mit einem schmalen Lächeln meinte er:
"Genau.
Du siehst, ich habe Methode..."
Der Atem der jungen Frau, die ihn mit aller Kraft töten wollte, ging schneller, wieder versuchten Tränen, sich ihren Weg zu bahnen, hinaus aus der eisigen Kälte, die das Innere des Mädchen schon längst hatte erfrieren lassen..
"Methode- aber keine Ehre.
Was bist du nur für ein Mensch- Gott, wir hätten nie gedacht, dass ausgerechnet du..."
Ihre Stimme versagte, und die kalte Ruhe, die aus der Wut geboren worden war, drang wieder nach außen und beseitigte alle Zweifel.
"Wir haben dir vertraut.
Sie hat dir vertraut- mehr als jedem anderen."
"Das war allein Ihre Entscheidung- ich habe sie nicht gezwungen.
Und in diesem Moment huscht ein abgrundtiefes Bedauern, ein unfassbare Schuld über sein Gesicht, die jedoch bravour von dem Gegner missverstanden wurden.
"Du hast es also wirklich gemacht...
Du bist es gewesen."
Ihr Gegner nickte, und in seinen Augen funkelte etwas, dass sie nicht deuten konnte.
"Ja.
Ich bin schuld."
Und dann ging ihr Kampf in der Stille weiter.
"Nein..."
Die Stimme der jungen Frau war nicht mehr als ein flüstern, und doch verstand ihr Gegenüber dieses Wort in all seiner Bedeutung, ließ es nicht in der Ewigkeit der Nacht verklingen.
"Furchtbar, nicht?
Wie konnte so etwas nur passieren?
Euch, dem königlichen Kämpfervolk der Faith, die ihr alle Kriege überdauert habt...
Doch eure Zeit ist abgelaufen.
Mein Volk wird bald den tragischen Tod eures Stammes bekannt geben, und dann werden wir diesen Krieg gewonnen haben- wir werden euren Platz einnehmen...
Ich sagte euch doch, dass ich nicht vorhabe, alle einfach hinzunehmen."
Sie lachte in all ihrer Selbstgefälligkeit, und die junge Braut spürte, wie in ihr ein nicht zu greifender Zorn hochkochte, auf sie, auf sich, auf ihren Bruder, der für seinen Verrat sühnen wollte, weil er ein Tor in der Liebe gewesen war...
Vorsichtig umkreisten sich die beiden Frauen, die eine ausgelaugt und erschöpft, die andere voller Zuversicht und neuer Hoffnung für ihr Volk.
"Ich habe ihn auch geliebt- doch es gibt wichtigeres."
Die Lippen Eve´lyns zitterten, und im Mondlicht konnte sie das dunkle Blut auf der Brust ihres Bruders schimmern sehen- es floss noch immer, unaufhörlich, wie um sie ihrer Tat zu gemahnen.
"Was?
Was war wichtiger?"
Sie hatte ihn ermordet, auf grausame Weise getötet, und nun wollte sie wissen, weshalb.
Ihre Gegnerin blickte hoheitsvoll, mit einer unfassbaren Ausstrahlung auf sie herab.
"Ich trage die Verantwortung für meine Volk- und es will nicht mehr hinter euch stehen. Seit Jahrhunderten gibt es unsere Fehde, und nun ist sie, mit dem Tod eurer Familie beendet."
Eve´lyn fühlte nicht als Kälte, die ihr alle Kraft raubte und den ungeheuren Schmerz, der sich erst jetzt seinen Weg bahnte- sie war eine Mörderin geworden, und sie war alleine.
Blut klebte an ihren Händen, Blut, das nur noch durch ihren Tod abgewaschen werden konnte- was war denn so besonders an der Macht, dass alle dafür sterben mussten?
Sie verstand es nicht, und der einzige Gedanke, der sie jetzt noch tröstete war, dass auch sie bald sterben würde.
Plötzlich fuhr ein gleißender Blitz über den tiefschwarzen Himmel und tauchte alles in ein weißes Licht, indem selbst der Mond zu einem Schatten verblasste.
Und der Regen prasselte mit einem Male auf sie herab wie nie zuvor, sodass man durch den dichten Schleier kaum etwas erkennen konnte.
Wieder ein Blitz, der nun für Sekunden wenigstens etwas Licht brachte. Denn die Dunkelheit war so undurchdringlich geworden, dass jede Helligkeit wie verbannt schien.
Sich ihres Todes bewusst, schritt Eve´lyn auf ihr Kontrahentin zu, um es endlich zu beenden, und als sie nur noch wenige Meter vor ihr stand, geschah es.
Es silberner Blitz fuhr von hinten durch die Brust der blonden Schönheit und blieb dort haften, und erst, als Miaque von Stamme der Kieri vornüber in den Tod stürzte, erkannte Eve´lyn das Schwert, das in ihr steckte.
Und sie sah auch die schwankende Gestalt, die groß und zuverlässig hinter dem Leichnam stand.
Ein Blitz erhellte noch einmal das Land, und die junge Stammesfürstin erkannte das um Verzeihung heischende Lächeln ihres Bruders, bevor auch dieser tot zur Erde fiel...
Romeo und Julia, nur auf eine andere Weise, ein unglückliche, unmögliche Liebe, der so viel zum Opfer gefallen war..
Eve´lyn wischte sich mit der ob der Verletzung stark zitternden Hand den Regen und den Schweiß von der Stirn und blinzelte ratlos in den weißen Mond, der dieser Nacht etwas Ruhiges, Beschauliches gab.
Dann seufzte sie und legte ihren Bruder und die Mörderin ihrer Schwester in eines der Erdlöcher, das sie nach kurzer Zeit wieder zuschaufelte.
Dasselbe tat sie mit dem Leichnam ihrer Schwester, der starr und kalt etwas abseits lag.
Einen Moment zögerte sie, strich ihrer großen Schwester zärtlich über die weißen Wangen versank einige Momente in der Vergangenheit, bevor auch sie mit der schwarzen Erde bedeckt wurde.
Es war vorbei.
Endgültig, für immer, und die Folgen würde sie ihr ganzes Leben spüren...
Wieder krochen Trauer und Selbstvorwürfe in ihr hoch- wie hatte sie es nur glauben können? Sie kannte Ry´lan doch wirklich lange genug, und sie hatte doch auch etwas bemerkt...
Mit einem Wink ihrer linken Hand ließ sie Gras über die frischen Erdhügel wachsen.
Vorbei...
Aber war es jemals wirklich vorbei?
Es würden immer Völker kommen, die mit ihrer Macht nicht zufrieden waren, und wie sollte sie diesen drohenden Kriegen entgegenstehen, wenn sie niemanden hatte?
Seufzend ließ Eve´lyn sich zurückfallen- nach der harten Grabearbeit blutete ihre Wunde stärker und sie dachte verzweifelt über diesen Tag nach, der der schönste in ihrem Leben werden sollte...
"Eve?"
Erschrocken schnellte die junge Frau herum und sah einen muskulöse Waldläufer mit dunklem Haar, einer freundlichen Ausstrahlung und einem netten, wenn auch leicht in Mitleidenschaft gezogenem Gesicht vor sich.
"Ma´il..."
Vorsichtig kam ihr Bräutigam über die völlig durchweichte Wiese auf sie zu und schloss sie, nach kurzem Zögern, in seine Arme.
"Du...
Du heiratest mich doch noch?
Ich meine- auch wenn du heute so plötzlich weggelaufen bist..."
Er klang unsicher, schien auch nicht zu wissen, was er machen sollte, was eigentlich passiert war, und doch klammerte Eve´lyn sich Schutz suchend an ihn.
"Ja...
Ry´lan und Del´ane´y sind aber weg- sie sind mit ihren Liebschaften geflohen, sie überlassen mir die Verantwortung."
"Aha..."
Ma´il drückte sie fester an sich und ließ seinen Blick über das Schlachtfeld voller in den Boden gelaufenem Gras, blitzendem Stahl und an noch intakten Stengel herabperlendem Regen schweifen, streichelte sanft über den geschundenen Körper seiner Zukünftigen.
"Und wann erzählst du mir, was wirklich passiert ist?"
Leise weinend lehnte Eve´lyn ihren Kopf an seine Schulter und klammerte sich noch fester an ihn.
"Zuhause..."
Das silberne Licht des Mondes traf auf den eiskalten Stahl der Klinge und spiegelte sich, vom Blut rot gefärbt, dunkler wieder, bevor es in die violetten Augen der Angegriffenen fiel.
Reflexartig hob diese ihr Schwert und stemmte es dem Gegner entgegen, fest entschlossen, nicht einen Schritt zurückzuweichen.
Ein heller, weicher Klang, der so gar nicht zu der blutgetränkten Erde und dem Hass, der die Luft verpestete, passen wollte, entstand aus dieser kurzen Verbindung, und trug die Nachricht des Kampfes über die weiten Felder.
Für einen Moment standen sie ganz dicht bei einander, berührten sich die Körper über den Waffen und und die Blicke verloren sich in einander.
Die grünblauen Augen des junge Mannes hielten die Konfrontation fast nicht aus, doch trotz des Schweißes, der ihm über das Gesicht rann, harrte er aus.
"Warum?"
Die weiche, melodiöse Stimme seiner Gegnerin verlor sich in der Ewigkeit des Dunkeln, und er wich ein paar Schritte davon, um besser angreifen zu können, doch sie gab nicht nach.
"Sag es mir.
Warum?"
Ein undeutbares Lächeln trat auf seine schmalen Lippen, und seine Hand schloss sich fester um den Schwertgriff.
"Ich weiß es nicht..."
Mit Schwung, mit aller Kraft, die er hatte, hob er das Schwert und ließ es auf die Fragende niedersausen, ganz so, als wollte er ihren Schädel spalten.
Schweigend wich diese zurück, stolperte beinahe bei dem Versuch, der unglaublich scharfen Klinge auszuweichen, und blickte den anderen vorwurfsvoll an, bevor sie ihrerseits seinen nach vorne gerichteten Schwung ausnutzte, um selber einen Angriff zu starten.
Elegant und mit tödlicher Präzision ließ sie ihr Schwert kreisen und versuchte, es ihrem Gegner in den Magen zu rammen.
Doch er durchschaute ihren Angriff schnell genug und rollte sich zu Seite ab, sein Schwert gerade noch mitreißend.
Wieder standen sie still, maßen sich mit ihren Blicken, obwohl sie schon längst alles gesehen hatte.
"Ry´lan- Warum?"
Der Gefragte betrachtete seine Gegnerin- ein langer, schwarzer Mantel verhüllte Körper und Gesicht, nur die dunkelvioletten Augen funkelten ihn aus der Dunkelheit an- und genau das konnte er nicht ertragen.
"Ich weiß es nicht!"
Suchend schabten seine Füße über den teils moorigen, teils trockenen Boden, während er dem durchdringenden Blick weiterhin standhielt.
"Bedeutet dir das alles so wenig?
Bist du bereit, alles wegzuwerfen für diese...
diese Frau?
Denke daran, was sie uns angetan hat!"
Er lachte leise und spürte die feste, staubige Erde unter seinen Sohlen.
"Nein, Eve´lyn. Sie hat gar nichts getan- ich war es."
Mit aller Kraft stiess er sich vom Boden ab und legte allen Zorn, der ihm noch geblieben war, in diesen einen Schlag.
Dieser hätte fast das Ende bedeutet.
Die junge Frau, fast noch ein Mädchen, stand wie angewurzelt da, und nur ein ungläubiges Zurückweichen rettete ihr Leben.
Die blitzende, todbringende Klinge drang durch den dunklen Stoff ihres Umhangs wie durch Butter, und blieb, durch den Schwung mit genug Kraft versehen, um den zierlichen Körper zu spalten, in der Erde stecken.
Und wieder standen sie still, das Schwert zwischen den Füßen Eve´lyn´s als einzige Barriere zwischen ihnen.
"Du?"
Im selben Moment, als die Erkenntnis die geistige Sperre zersplittern ließ, die sie aus Unglauben gebaut hatte, rutschte der Kleidungsfetzen von ihren Schultern und fiel zu Boden.
Eine Wolke schob sich vor den Mond und warf einen Schatten auf die Kämpfenden, und es schien so, als wolle der Himmelsherrscher nicht sehen, was geschehen würde.
Doch unwiderruflich segelte seine Deckung mit dem kühlen Wind, der auch das lange, geschmückte Haar des Mädchens fliegen ließ, davon.
Dort waren sie nun, körperlich nah und doch weiter von einander entfernt als je zuvor.
Eve´lyn hielt ihr Schwert nur noch in einer Hand, die andere wanderte zitternd zum geradezu blendend weißen Haarreif, der ihr die Sicht freihielt.
"Ich."
Dieses eine Wort war so klein, so unbedeutend, und änderte an diesem Tage eine ganze Welt.
Eve´lyn´s Welt.
Die Luft schien leer zu sein, sie fast zu ersticken, ihr Hochzeitskleid erdrückte sie, während Himmel und Hölle, Richtig und Falsch ihre Plätze tauschten.
Sie war nichts.
Vielleicht war es diese Verzweiflung, vielleicht war es der Gedanke an das, was geschehen war, oder es ging nicht mehr anders- Das Mädchen sprang mit einem Mal in die Höhe, riss sein Schwert mit und ließ es gleich darauf das Blut seines Widersachers kosten, schlug es mit allem, was es hatte, in die gepanzerte Schulter.
Der rote Lebenssaft spritzte trotz des Schutzes bis zu den hellbraunen Haaren des jungen Mannes, der regungslos stehen blieb.
"Ja, ich war es...
Alleine."
Ein lauter Knall ertönte,so, als hätte man mit einer Peitsche hineingeschlagen, und Eve´lyn schaffte es kaum, den Gegenschlag zu parieren.
Es schien ihr, als würde ihr Arm abgerissen, ihre Muskeln zerfetzt und zerstört- doch sie schrie nicht.
Sie konnte nicht mehr schreien, denn der Schmerz der Erkenntnis war viel größer als der, den ihr der Kampf zufügte- und sie wollte, dass Ry´lan dieses Gefühl mit ihr teilte, mit in dem Tod nahm.
Ihr Schwert löste sich von der Klinge des anderen, schwerfällig, widerwillig, wie eine Liebende von ihrem Geliebten.
Wie um zu werben drehte sie sich um sich selbst, bot ihrem Gegner für den Bruchteil einer Sekunde ihren ungeschützten Rücken dar, doch dieser wartete- wusste nicht, was kommen würde.
Mit aller Kraft, die ihr die Drehung gegeben hatte, griff sie ihn an, wollte ihn töten, verletzen, zerfetzen, mit seinem Blut die Erde tränken, als Strafe für das, was er getan hatte.
Doch er hielt ihr seine Klinge in die Schlagbahn, sorgte dafür, dass wieder dieser überirdische, fast schon schöne Klang über das Gras jagte.
In einander verkeilt standen sie, wie schon so oft an diesem Abend, dort und schauten sich an- lasen in den Augen des anderen jeweils dasselbe.
Die Sonne schien prall auf den grünen Wald herab, und beleuchtete das kleine Haus, das etwas abseits bei den Feldern lag.
Man konnte viele Meilen weit über das flache Land sehen, und am Horizont, der an diesem Tage noch viel ferner schien, zeichneten sich, geradezu zwergenhaft klein, mehrere Planwagen ab.
"Schau nur, Del´ane´y, sie kommen! Sie kommen wieder!!"
Das Mädchen hüpfte aufgeregt hin und her, konnte sich nicht beruhigen, kaum einen ruhigen Gedanken fassen und steckte voller Fragen.
"Glaubst du, Vater bringt uns was Schönes mit? Glaubst du es??"
Die hübsche junge Frau mit den dunkelvioletten Augen, die sich ihre Antwort nun gut überlegen musste, lachte leise.
"Eve´lyn- du bist jetzt eine junge Dame, du solltest wirklich deine Neugierde im Zaum halten!"
Sie bückte sich, hob das rote Band, das ihr zu Boden gefallen war, auf und fasst ihr dunkelbraunes Haar in einem langen Zopf zusammen, während sie weitersprach.
"Du willst doch bestimmt später mal einen Mann bekommen, nicht?"
Das Mädchen verzog das Gesicht und strich sich selbst liebevoll durch das deutlich hellere Haar.
"Muss ich dann auch immer einen Zopf tragen?? Dann will ich nämlich nicht..."
Ane´y musste wieder lachen.
"Natürlich! Die Hochzeit ist der einzige Zeitpunkt, wo du den Herren ohne Band begegnen darfst..."
"Erzähl ihr doch nicht so einen Unsinn..."
Ein großer, kräftiger junger Mann trat aus der kleinen Hütte.
"Du trägst es auch nicht immer- außerdem werde ich Eve heiraten, da darf sie ihre Haare immer gerne offen lassen."
Während die glückliche Braut sich freudig an den Arm ihres Zukünftigen hängte, hob ihre ältere Schwester skeptisch ihre Augenbrauen.
"Du? Ein Ehemann sollte uns beschützen können- Also wird leider nichts aus der Heirat Ry´lan."
Der junge Mann lachte belustigt auf.
"Ach, Eve kann ich immer beschützen...
Und weißt du was?"
Er beugte sich, mit einem Male erschreckend ernst, zu der Skeptikerin herab und sagte:
"Dich beschütze ich auch."
Del´ane´y schaute ihn erst fragend an, lachte dann aber doch.
"Übernimm dich mal nicht, du Krieger des Kethyns..."
"Hast du es da schon gewusst?"
Ihre Stimme zitterte leicht, ob aus Wut, Angst oder Trauer wusste sie nicht so genau, doch die Antwort war etwas, auf das sie ein Anrecht hatte.
"Ja."
Der Wind frischte auf und brachte den Regen, der die Entscheidung herbeiführen sollte.
Der Mond, der das Töten leid war, bedeckte sich mit einem Schleier aus Rot und wandte sich ab, sodass nur noch die Sterne ihr kaltes Licht spendeten.
"Dann wirst du heute sterben."
Ihr Gegenüber lächelte leicht und schaute tief in ihre funkelnden Augen.
"Ich oder du."
Und schon ging der tödliche Tanz der silbrig glänzenden Klingen weiter, während schwere Regentropfen wie Tränen auf die Beiden hinab fielen.
Das Klirren der Schwerter und der metallische Geruch nach Blut, der von der feuchten Erde aufstieg, verscheuchten jeden, der es wagte, sich dem Ort des Geschehens zu nähern, und jene, die versuchten, dennoch dorthin zu gelangen, flüchteten beim Anblick der Kämpfenden.
Die Bewegungen der Beiden schienen beschwingt, fast schon fliegend und verhüllten den brutalen, tödlichen Charakter dieses Spieles.
Immer und Immer wieder trafen sich die blitzenden Klingen, an denen das Wasser hinablief und in großen Tropfen über die Finger der Kämpfenden floss, und immer und immer wieder trafen sich die glühenden Blicke, aus denen Wut und Raserei sprachen.
Plötzlich durchbrach der kreischende Schrei eines Raben die Stille, die vorher nur vom plätschern des Regens und dem Sirren der Schwerter begleitet worden war, und Ry´lan blickte erschrocken auf zu diesem Unglücksboten.
"Verrat..."
Die helle Stimme seiner Gegnerin zischte dieses Wort verächtlich, und mit einem schnellen, vom Zorn beflügelten Schmetterlingsschlag, fügte sie ihrem Widersacher, der immer noch wie erstarrt dort stand, eine klaffende Wunde am Arm zu.
"Schau nur, wen sie dir geschickt hat, du Held! Und du wolltest uns beschützen?"
Mit einem verletzt klingendem Lachen zog sie die scharfe Schneide durch das weiche Fleisch und sah mit einer dunklen Genugtuung, wie das dunkelrote Blut dickflüssig und im einsamen Licht der Nacht fast schwarz über ihre Klinge perlte.
Beide blickten auf die schimmernde Spur, die der Lebenssaft hinterließ, und als ein wenig davon über die schlanken, weißen Finger floss, kam wieder eine Erinnerung aus den Tiefen der Vergangenheit.
Die blitzenden Klingen umkreisten sich im hellen Sonnenlicht, und die Wärme, die das Himmelsgestirn auf die Kämpfenden fließen lies, trieb denen den Schweiß auf die Stirn.
Kunstvoll umtänzelten sie einander, ein lockeres Lächeln auf den Lippen und die schweren Schwerter in den feuchten Händen.
Unter einem kleinen Eichbaum, wo sich noch ein wenig Schatten gesammelt hatte, saß ein kleines Katzenwesen, das gespannt dem Training zusah und sich doch wohlweislich zurückhielt.
Außerdem war es viel zu warm für einen Kampf, auch ohne Rüstung.
Del´ane`y warf das dunkle Haar zurück und wischte sich die salzige Flüssigkeit vom Gesicht, während ein Grinsen über ihr Gesicht huschte.
"Du glaubst also immer noch, mich besiegen zu können?"
Ein siegessicheres Lachen flog über das Gras, hin zu ihrem Widersacher, der etwas verlegen grinste.
"Liebes, glaube ja nicht, dass du besser bist als ich- ich versuche nur, dir einen Vorsprung zu geben."
Seine Gegnerin lachte hell auf und rammte die Spitze ihrer Klinge in den Boden.
"Wie großherzig du doch bist- aber sogar unsere Kleine hier könnte dich mit Leichtigkeit in den Boden stampfen."
"Könnte ich nicht."
Wild schüttelte die junge Dame, die ebenfalls, ermattet von der Hitze, unter dem Baum saß, den Kopf.
"Na komm, den schaffst du doch mit Links- ich meine, unser Held ist doch wirklich kein Gegner für dich."
Zögernd erhob sich Eve`lyn, packte noch im aufstehen ihr schmales Schwert und ging langsam auf die Beiden zu.
"Aber ich habe doch noch nicht so lange Unterricht- was, wenn was passiert?"
Ängstlich schaute sie ihre Schwester mit den großen Augen an- doch diese lachte nur.
"Ach was, da passiert schon nicht..."
Gut gelaunt stellte sie sich ein paar Meter weiter weg, um nichts zu verpassen, und hätte die junge Dame jetzt aufgesehen und nicht angestrengt versucht, das silberne Metall ihres Schwertes zum Glänzen zu bringen, hätte sie auch das amüsierte Zwinkern gesehen, das ihrem Gegner zugeworfen wurde.
So aber begann der Kampf nun, und einige Zeit trafen sich die Klingen immer wieder, in einem geheimnisvollen Rhythmus, der das Ganze wie ein Sommerreigen aussehen ließ.
Schweiß floss, Nettigkeiten wurden ausgetauscht, und während Eve´lyn alles tat, um nicht zu verlieren, schien es für ihren Widersacher nur eine Übung zu sein.
Mit einem Male holte Ry´lan weit aus, und beim Ausführen seines Schlages stolperte er über eine Wurzel, die aberwitzig aus dem Erdreich herausragte.
Seine Gegnerin, die die Klinge auf sich zukommen sah, duckte sich im letzten Moment und rollte zu Seite, bevor sie begeistert aufsprang.
"Siehst du?
Ich kann´s doch..."
Keiner antwortete ihr, und etwas enttäuscht über die fehlende Begeisterung drehte sie sich zu den anderen um, in der Hoffnung, dann endlich Beifall zu bekommen.
"Del´ane´y!"
Erschrocken starrte sie auf das Schwert, das tief im Arm ihrer Schwester steckte, den diese zum Schutze hochgerissen hatte.
Für eine schier endlose Zeit sagte niemand etwas die Hitze war noch drückender als zuvor, und erst als die ersten roten Bluttropfen die Schneide hinabgeronnen waren und über die Finger des Angreifers flossen, regte dieser sich.
"Ich- tut mir leid, ich bin gestolpert...Ich..."
Plötzlich lachte Del´ane´y laut auf und zog langsam ihren Arm zurück.
"Meine Güte, kann immer mal passieren- aber ich würde sagen, wir beenden das Training jetzt, okay?"
Erleichtert und doch irgendwie schuldbewusst folgten die beiden anderen der Verletzten ins Haus, wo sich alle gemeinsam an einen Tisch setzten und schliesslich doch über alles lachen konnten.
"Damals hat es angefangen, nicht war?
Du hast es damals schon versucht..."
Ein tiefer Schmerz blitzte in den nun dunkelgrün wirkenden Augen des jungen Mannes auf, und mit einem schmalen Lächeln meinte er:
"Genau.
Du siehst, ich habe Methode..."
Der Atem seiner Gegnerin ging schneller, wieder versuchten Tränen, sich ihren Weg zu bahnen, hinaus aus der eisigen Kälte, die das Innere des Mädchen erstarren ließ.
"Methode- aber keine Ehre.
Was bist du nur für ein Mensch- Gott, wir hätten nie gedacht, dass ausgerechnet du..."
Ihre Stimme versagte, und die Ruhe, die aus der Wut geboren worden war, nahm schließlich wieder Oberhand.
"Wir haben dir vertraut.
Sie hat dir vertraut- mehr als jedem anderen."
"Das war allein Ihre Entscheidung- ich habe sie nicht gezwungen."
Ein falsches, bedauerndes Grinsen und ein nicht deutbarer Zusatz flogen über sein Gesicht, waren aber gleich darauf wieder verschwunden.
"Du hast es also wirklich getan...
Du bist es gewesen."
Ihr Gegner nickte, und in seinen Augen funkelte es.
"Ja.
Ich bin schuld."
Wortlos stürzte sie sich auf ihn und hätte es fast geschafft, ihn mit ihrem Schwert aufzuspießen, doch er konterte gekonnt und schaffte es, seine Klinge tief in das Fleisch ihres Schwertarmes zu jagen.
Vor Schmerz aufschreiend fiel Eve´lyn auf den Boden und schaffte es nur mit Mühe, sich wieder aufzurichten und das Schwert mit zitternder Hand zu halten.
Ry´lan war zurückgewichen und wartete, bis sie sich wieder aufgerichtet hatte, und während der Regen langsam abebbte, lächelte er sanft.
"Willst du mich nicht töten, Eve?"
Der jungen Frau standen die Tränen in den Augen und sie schaute ihn vorwurfsvoll an, schien ihn immer weiter anklagen zu wollen.
"Nur wegen ihr?
Du hast uns alle verraten- nur wegen dieser Frau?"
"Natürlich.."
Wieder war da eine dieser Pausen, in denen beide genau wussten, woran der andere dachte und in denen die Zeit still zu stehen schien.
"Sie sind gefährlich! Sie werden alles tun, um uns auszulöschen- sie sind ein Volk der Intriganten!"
Wütend stapfte Del´ane´y hin und her, und ihrer kleinen Schwester machte das Ganze langsam Angst.
"Aber sie können doch nicht alle so sein..."
"DOCH!"
Barsch unterbracht die große Schwester Eve´lyn, sodass diese erschrocken zusammenzuckte und den Kopf einzog.
"Sie sind falsch, verlogen und gefährlich!"
"Ouh, ganz böse Menschen..."
Bestens gelaunt schlenderte Ry´lan in die kleine Hütte und ließ sich aufseufzend auf einen der Stühle fallen.
"Über wen redet ihr denn überhaupt?"
Schnaubend verschränkte Del´ane´y die Arme vor der Brust.
"Na, diese Kieris, die falschen, grausamen, unfairen.."
überrascht zuckte sie zusammen, als der kräftige junge Mann erbost aufsprang und sie anzischte.
"Du kennst doch niemanden von denen!
Woher willst du das denn wissen?
Werde erst mal erwachsen und rede dann weiter!"
Wütend rauschte er wieder heraus und lies eine ratlose junge Frau zurück.
"HEY! DU hast keine Ahnung, sie sind ALLE so!!"
Auch sie verließ in Rage das Haus und Eve´lyn blieb ratlos und verängstigt zurück.
"Du hast uns damals belogen..."
Je mehr sich vor ihr auftat, umso fassungsloser und wütender wurde das Mädchen, besonders, weil es Ry´lan nicht auszumachen schien.
"Ja. Schön, dass du es auch langsam verstehst..."
Außer sich stürzte sie sich wieder auf ihn, und ein schneller Schlagabtausch folgte, bei dem beide leichtere Schnitte auf der Haut erlitten.
Doch es war ihnen egal, die Wut, die die Eine, und die Resignation, die den anderen trieb ließ keinen Raum für Schmerzen, und die Geschwindigkeit, in der sich die Klingen drehten war schon mörderisch.
"Wir wollten immer gemeinsam gehen..."
Die schweren Klingen trafen sich mit einen lauten Kreischen, und die Blicke streiften sich erneut.
"Jetzt nicht mehr...
Mit ihr ist alles Anders- und ich werde jetzt nicht zurückgehen, Liebes.
Es ist vorbei.
Hör auf zu träumen, Kleine."
Für einen Moment standen sie Rücken an Rücken, spürten den schnellen Atem des anderen und fühlten das Blut pulsieren.
"Du wolltest auf uns aufpassen..."
Nur mit einem schnellen Ausweichmanöver konnte Eve´lyn dem Schwert entgehen, das auf sie zuraste, und nun standen sich die Beiden wieder gegenüber.
"Ihr wart leicht zu täuschen..."
Ein Schatten lag über seinem Gesicht, und ein seltsames Leuchten lag auf seinen Lippen.
"Du...
Du bist so ein..."
Obwohl in ihr so viele Dinge gärten, die gesagt werden wollten, die sie ihm ins Gesicht schreien und um die Ohren schlagen sollte, fehlten ihr die Worte.
Der Schnitt in ihrem Arm brannte unaufhörlich und der Muskel, der das plötzlich fast unerträgliche Gewicht des Schwertes trug, schien nicht mehr arbeiten zu wollen.
Mit einem Male riss die dichte Wolkendecke, die den Mond die ganze Nacht schon verdeckt hatte, auf, und kaltes, blutrotes Licht ergoss sich auf die Kämpfenden.
Und dann, plötzlich, durchfuhr es die junge Frau, deren Arm immer schwerer zu werden schien- das war ein Zeichen, jetzt oder nie!
Und trotz der Schmerzen, die ihren ganzen Körper gefangen hielten, trotz dem Schreien ihrer Muskeln, die endlich ruhen wollten, raffte sich Eve´lyn Sychxia vom Stamme der Faith auf und machte ihrem kämpferischen Volk alle ehre, indem sie mit einigen sicheren, oft geübten Schritte über den durchweichten, schlammigen Boden glitt und ihrem Gegner, der bei dem Versuch, ihr auszuweichen, in der nassen Erde stecken blieb, das Schwert in die Brust rammte.
"Elendig sollst du verrecken, du Verräter..."
Und als der schwere Körper des Mörders ihrer Schwester, der Leichnam ihres Bruders, Ry´lan Sychxia, auf dem Erdboden aufschlug, der Regen über ihn hinüber floss und sich mit dem schwarzen Blut verband, das aus der Wunde trat, musste sie weinen.
"Wie ich sehe, hast du soeben meinen Geliebten getötet..."
Die kalte, grausam gleichgültige Stimme ließ sie herumfahren, und vor ihr im strömenden Regen stand die Frau, die alles zerstört hatte, an das das Mädchen jemals geglaubt hatte.
Sie war schön...
Makellose Haut, die in der Dunkelheit wie Elfenbein wirkte, langes blondes Haar, das genau den Farbton von goldenem Weizen traf, ohne ordinär zu wirken und dunkelblaue Augen, in denen sich die Sterne spiegelten.
Und trotz dieses engelsgleichen Wesens war sie der Teufel.
"Nun ja, so muss ich wenigstens nicht alle Arbeit erledigen...
Erst deine Schwester, dann ihn, dann dich- man kann doch nicht alles selber machen."
Für einen Moment blieb Eve´lyns Herz stehen, dann schlug es in doppelter Geschwindigkeit weiter, als wolle es die verlorene Zeit aufholen.
"Er hat sie getötet."
Die schlanke, gut gebaute Person schüttelte lachend den hübschen Kopf.
"Nein- hast du ihn deswegen erdolcht?
Wie niedlich.
Er hat es mir verraten- wo sie ist, was sie macht...
Er dachte tatsächlich, alle würden sich in mir täuschen und nur er könnte mein wahres ich sehen- und so hat er mir geholfen, euren Clan auszulöschen.
Er selbst hätte es doch nicht fertig gebracht, seine eigenen Schwestern...
Nein, so stark war er nicht."
Sie lachte noch lauter auf, als ihr die Tragweite des Geschehenen klar wurde.
"Du hast ihn also für etwas getötet, das ich gemacht habe?
Oh du armes Ding- willst du mir nicht meine Arbeit erleichtern und dich gleich dazu legen?"
Alles drehte sich, und der Schwertgriff glitt aus den kalten, blutleeren Fingern Eve´lyns- er hatte es ihr gesagt, es ihr immer wieder gesagt, Mal für Mal, mit grausamer Genugtuung...
"Damals hat es angefangen, nicht war?
Du hast es damals schon versucht..."
Ein tiefer Schmerz blitzte für Sekunden in den dunkelgrünen Augen des jungen Mannes auf, und mit einem schmalen Lächeln meinte er:
"Genau.
Du siehst, ich habe Methode..."
Der Atem der jungen Frau, die ihn mit aller Kraft töten wollte, ging schneller, wieder versuchten Tränen, sich ihren Weg zu bahnen, hinaus aus der eisigen Kälte, die das Innere des Mädchen schon längst hatte erfrieren lassen..
"Methode- aber keine Ehre.
Was bist du nur für ein Mensch- Gott, wir hätten nie gedacht, dass ausgerechnet du..."
Ihre Stimme versagte, und die kalte Ruhe, die aus der Wut geboren worden war, drang wieder nach außen und beseitigte alle Zweifel.
"Wir haben dir vertraut.
Sie hat dir vertraut- mehr als jedem anderen."
"Das war allein Ihre Entscheidung- ich habe sie nicht gezwungen.
Und in diesem Moment huscht ein abgrundtiefes Bedauern, ein unfassbare Schuld über sein Gesicht, die jedoch bravour von dem Gegner missverstanden wurden.
"Du hast es also wirklich gemacht...
Du bist es gewesen."
Ihr Gegner nickte, und in seinen Augen funkelte etwas, dass sie nicht deuten konnte.
"Ja.
Ich bin schuld."
Und dann ging ihr Kampf in der Stille weiter.
"Nein..."
Die Stimme der jungen Frau war nicht mehr als ein flüstern, und doch verstand ihr Gegenüber dieses Wort in all seiner Bedeutung, ließ es nicht in der Ewigkeit der Nacht verklingen.
"Furchtbar, nicht?
Wie konnte so etwas nur passieren?
Euch, dem königlichen Kämpfervolk der Faith, die ihr alle Kriege überdauert habt...
Doch eure Zeit ist abgelaufen.
Mein Volk wird bald den tragischen Tod eures Stammes bekannt geben, und dann werden wir diesen Krieg gewonnen haben- wir werden euren Platz einnehmen...
Ich sagte euch doch, dass ich nicht vorhabe, alle einfach hinzunehmen."
Sie lachte in all ihrer Selbstgefälligkeit, und die junge Braut spürte, wie in ihr ein nicht zu greifender Zorn hochkochte, auf sie, auf sich, auf ihren Bruder, der für seinen Verrat sühnen wollte, weil er ein Tor in der Liebe gewesen war...
Vorsichtig umkreisten sich die beiden Frauen, die eine ausgelaugt und erschöpft, die andere voller Zuversicht und neuer Hoffnung für ihr Volk.
"Ich habe ihn auch geliebt- doch es gibt wichtigeres."
Die Lippen Eve´lyns zitterten, und im Mondlicht konnte sie das dunkle Blut auf der Brust ihres Bruders schimmern sehen- es floss noch immer, unaufhörlich, wie um sie ihrer Tat zu gemahnen.
"Was?
Was war wichtiger?"
Sie hatte ihn ermordet, auf grausame Weise getötet, und nun wollte sie wissen, weshalb.
Ihre Gegnerin blickte hoheitsvoll, mit einer unfassbaren Ausstrahlung auf sie herab.
"Ich trage die Verantwortung für meine Volk- und es will nicht mehr hinter euch stehen. Seit Jahrhunderten gibt es unsere Fehde, und nun ist sie, mit dem Tod eurer Familie beendet."
Eve´lyn fühlte nicht als Kälte, die ihr alle Kraft raubte und den ungeheuren Schmerz, der sich erst jetzt seinen Weg bahnte- sie war eine Mörderin geworden, und sie war alleine.
Blut klebte an ihren Händen, Blut, das nur noch durch ihren Tod abgewaschen werden konnte- was war denn so besonders an der Macht, dass alle dafür sterben mussten?
Sie verstand es nicht, und der einzige Gedanke, der sie jetzt noch tröstete war, dass auch sie bald sterben würde.
Plötzlich fuhr ein gleißender Blitz über den tiefschwarzen Himmel und tauchte alles in ein weißes Licht, indem selbst der Mond zu einem Schatten verblasste.
Und der Regen prasselte mit einem Male auf sie herab wie nie zuvor, sodass man durch den dichten Schleier kaum etwas erkennen konnte.
Wieder ein Blitz, der nun für Sekunden wenigstens etwas Licht brachte. Denn die Dunkelheit war so undurchdringlich geworden, dass jede Helligkeit wie verbannt schien.
Sich ihres Todes bewusst, schritt Eve´lyn auf ihr Kontrahentin zu, um es endlich zu beenden, und als sie nur noch wenige Meter vor ihr stand, geschah es.
Es silberner Blitz fuhr von hinten durch die Brust der blonden Schönheit und blieb dort haften, und erst, als Miaque von Stamme der Kieri vornüber in den Tod stürzte, erkannte Eve´lyn das Schwert, das in ihr steckte.
Und sie sah auch die schwankende Gestalt, die groß und zuverlässig hinter dem Leichnam stand.
Ein Blitz erhellte noch einmal das Land, und die junge Stammesfürstin erkannte das um Verzeihung heischende Lächeln ihres Bruders, bevor auch dieser tot zur Erde fiel...
Romeo und Julia, nur auf eine andere Weise, ein unglückliche, unmögliche Liebe, der so viel zum Opfer gefallen war..
Eve´lyn wischte sich mit der ob der Verletzung stark zitternden Hand den Regen und den Schweiß von der Stirn und blinzelte ratlos in den weißen Mond, der dieser Nacht etwas Ruhiges, Beschauliches gab.
Dann seufzte sie und legte ihren Bruder und die Mörderin ihrer Schwester in eines der Erdlöcher, das sie nach kurzer Zeit wieder zuschaufelte.
Dasselbe tat sie mit dem Leichnam ihrer Schwester, der starr und kalt etwas abseits lag.
Einen Moment zögerte sie, strich ihrer großen Schwester zärtlich über die weißen Wangen versank einige Momente in der Vergangenheit, bevor auch sie mit der schwarzen Erde bedeckt wurde.
Es war vorbei.
Endgültig, für immer, und die Folgen würde sie ihr ganzes Leben spüren...
Wieder krochen Trauer und Selbstvorwürfe in ihr hoch- wie hatte sie es nur glauben können? Sie kannte Ry´lan doch wirklich lange genug, und sie hatte doch auch etwas bemerkt...
Mit einem Wink ihrer linken Hand ließ sie Gras über die frischen Erdhügel wachsen.
Vorbei...
Aber war es jemals wirklich vorbei?
Es würden immer Völker kommen, die mit ihrer Macht nicht zufrieden waren, und wie sollte sie diesen drohenden Kriegen entgegenstehen, wenn sie niemanden hatte?
Seufzend ließ Eve´lyn sich zurückfallen- nach der harten Grabearbeit blutete ihre Wunde stärker und sie dachte verzweifelt über diesen Tag nach, der der schönste in ihrem Leben werden sollte...
"Eve?"
Erschrocken schnellte die junge Frau herum und sah einen muskulöse Waldläufer mit dunklem Haar, einer freundlichen Ausstrahlung und einem netten, wenn auch leicht in Mitleidenschaft gezogenem Gesicht vor sich.
"Ma´il..."
Vorsichtig kam ihr Bräutigam über die völlig durchweichte Wiese auf sie zu und schloss sie, nach kurzem Zögern, in seine Arme.
"Du...
Du heiratest mich doch noch?
Ich meine- auch wenn du heute so plötzlich weggelaufen bist..."
Er klang unsicher, schien auch nicht zu wissen, was er machen sollte, was eigentlich passiert war, und doch klammerte Eve´lyn sich Schutz suchend an ihn.
"Ja...
Ry´lan und Del´ane´y sind aber weg- sie sind mit ihren Liebschaften geflohen, sie überlassen mir die Verantwortung."
"Aha..."
Ma´il drückte sie fester an sich und ließ seinen Blick über das Schlachtfeld voller in den Boden gelaufenem Gras, blitzendem Stahl und an noch intakten Stengel herabperlendem Regen schweifen, streichelte sanft über den geschundenen Körper seiner Zukünftigen.
"Und wann erzählst du mir, was wirklich passiert ist?"
Leise weinend lehnte Eve´lyn ihren Kopf an seine Schulter und klammerte sich noch fester an ihn.
"Zuhause..."