Unforgiven
von Mira Shinya
Kurzbeschreibung
Eigentlich sollte es nur ein Tauchgang auf Capri werden. Aber was, wenn man plötzlich für den besten Freund Gefühle entwickelt und sich für einen Unfall vor vielen Jahren verantworten muss?
GeschichteAbenteuer / P16 / MaleSlash
13.09.2006
13.09.2006
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6.626
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Für das Lena-schadzüüü ~Mila-chan x) Alles Gute zum Geburtstag! Und die Torte war lecker, ne? xP Jetzt biste wenigstens 14, kannst zwar in den Knast wandern, aber immerhin klingt es besser als 13! xD Und außerdem ist doch so ein Geburtstag immer wieder was Feines, oder nicht? ^____^ Erwarte nicht zu viel von der Geschichte… Zeitdruck mag ich halt überhaupt nicht xD Liebz dich <333
~*~
UNFORGIVEN
~*~
„Wahnsinn…“ Die geflüsterten Worte aus Ollis Mund, hallten leise wider. Er blickte mit seinen weit geöffneten Augen fasziniert auf die felsige Wand, an denen sich schon Stalaktiten bildeten. Ab und zu tropfte davon ein schimmernder Tropfen in das klare, tiefblaue Wasser. Das Licht durchbrach vereinzelt die Decke der Höhle, und ein wundersames Farbenspiel entstand in der feuchten, jedoch frischen und klaren Luft.
Olli fröstelte vor Vorfreude, als er so die Höhle bewunderte. Seinen besten Freunden Jens und Thorsten neben ihm ging es anscheinend genauso, den ihre Augen leuchteten.
Es war Ende August, ein paar Tage nach Andreas’ achtzehnten Geburtstag. Aus diesem Grunde, lud er seine zwei besten Freunde auf Capri ein, um mit ihm Tauchen zu gehen. Alle waren schon achtzehn, ihre Stimme hatte sich verändert, ebenso wie ihr Körper. Doch vieles war noch wie vor vier Jahren. Olli hatte noch immer eine kräftigere Statur. Seine Haare hatte er zwar wachsen lassen, sie umspielten jetzt fransig sein Gesicht, aber sonst waren es noch immer die gleichen wässerigen, blauen Augen, in denen immer Kontaktlinsen lagen. Jens war größer geworden, auch männlicher. Mit seinen tiefblauen, leuchteten Augen und seinem naiven Gesicht war er jedoch nach wie vor aller Mädchenschwarm. Doch trotz dessen, ist er in den letzten zwei Jahren keine Beziehung eingegangen. Thorsten war gewachsen, wirklich gewachsen! Seine Größe, wegen der er oftmals geärgert wurde, war ihm nun kein Verhängnis mehr. Auch er hatte wirkte mit seinen achtzehn Jahren viel männlicher, aber mit seiner zarten Figur und seinem Hauch von Kindlichkeit, wurde er eher auf sechzehn geschätzt.
Die drei Freunde sind in den letzten Jahren zusammengewachsen. Sie kannten sich nun schon seit der siebten Klasse und waren allerbeste Freunde. Aus diesem Grunde wählte Olli auch die beiden für seinen Geburtstagskurztrip auf Capri aus. Nur sie drei sollten für zwei Tage mit dem Tauchen die wunderbaren Höhlen der Insel entdecken. Sie hatten mittlerweile alle einen Tauchschein, doch Olli, der diesen schon seit längerem hatte, war inzwischen ein Meistertaucher geworden, deswegen durften sie auch ausnahmsweise zu dritt tauchen gehen. Es hatte dann jeder von ihnen zwei Buddys.
Thorsten kam als erster wieder aus dem Staunen heraus. Er nestelte erst etwas an seiner Tauchrüstung herum, bis er schließlich erwartungsvoll seine beiden Freunde anblickte.
„Na, gehen wir?“ fragte er mit einem süßen Lächeln und blickte Olli an.
„Ist eure Ausrüstung in Ordnung?“ Alle schauten noch einmal auf sich herab, ehe sie stumm nickten.
„Dann los, hier fängt das Abenteuer an!“ Und mit einem breiten Grinsen, betrat er, gefolgt von seinen Freunden, die Höhle.
~
Alles da. Das Dynamit, das Feuerzeug, die gesamte Tauchausrüstung, das Messer. Sie prüfte rasch, ob auch noch alles trocken war. Es war ihre einzige Chance, wenn jetzt etwas schief ging, dann war es vorüber. Als alles in Ordnung schien, lehnte sie sich zurück und wartete. Wartete… auf ihre Opfer.
~
Das Wasser schmiegte sich an den Körper, der kühle Strom erfrischte alle Sinne. Olli genoss das Gefühl, schon lange war er nicht mehr tauchen gewesen. Erwartungsvoll blickte er zu seinen Freunden, doch die schienen dasselbe zu fühlen. Jens schaute sich verträumt die Korallen an, während seine Füße unablässig paddelten. Sein muskulöser Körper wirkte gelöst und entspannt. Olli beobachtete seine geschmeidigen Bewegungen und ertappte sich dabei zu denken, wie es wohl wäre, ihm langsam den Rücken herunter zu streichen. Rasch sah er zu Thorsten. Auch ihm gefiel es sichtlich. Doch ehe er die beiden weiter beobachten konnte, hört man plötzlich einen dumpfen Knall. Was war das?! Kaum eine Sekunde verstrich, da spürt man auch schon, wie eine starke Druckwelle durch das Wasser schoss und die Jungs, bevor sie etwas wahrnehmen konnten, ein paar Meter durch das Wasser schleuderte. Olli keuchte erschrocken auf, als er davon gegen eine Wand gedrückt wurde. Um Himmels Willen, was ist passiert?! Reflexartig blickten sich die Freunde an, nachdem sie sich entkrampft hatten. In allen Gesichtern die gleiche Unsicherheit. Ohne zu zögern, schwamm Olli zur Oberfläche. Sein Körper war angespannt, was hatte eben dieses Geräusch und die Welle verursacht?! Neben ihm tauchten auch die nassen Köpfe Jens’ und Thorstens auf. Zwei fragende Augenpaare blickten ihn an.
„Olli! Was war das?!“
Die aufgeregte Stimme Thorstens hallte in der Grotte wieder.
„Wenn ich das wüsste…!“ Olli schaute sich nachdenklich um. „Ich glaube, es kam von wo wir gekommen sind…“
„Was kann so eine Druckwelle auslösen?! Und auch der Knall, da muss doch etwas an der Oberfläche passiert sein!“
Olli starrte vertieft an die gegenüberliegende Wand, ehe er ohne zu Zögern seine Flossen auszog.
„Wir müssen nachschauen, was das war!“
Jens und Thorsten taten es ihm gleich, und schweigsam liefen sie an der Wand entlang zurück. Ich muss wissen, was das war! Es muss sich irgendwie ein Felsbrocken gelöst haben, und ins Wasser gefallen sein! Aber wenn das so ist, dann dürfen wir nicht länger hier bleiben! Das wird zu gefährlich, ich als Meistertaucher muss wissen, dass man seine Freunde nicht in Gefahr bringen darf!
Ein Keuchen unterbrach seine Gedanken. Thorsten, der ein paar Meter vor ihm ging, ist stehen geblieben. Mit aufgerissenen Augen starrte er um die Biegung. Sein Mund war leicht geöffnet und man konnte ihm seinen Schrecken deutlich ansehen.
„Thorsten, was ist-!“ Olli und Jens rannten besorgt zu ihrem Freund hin, doch als sie um die Ecke blickten, verstummten auch sie schlagartig. Ollis Gedanken überschlugen sich, während er merkte, dass sein Herz raste. Das… das darf doch nicht… Das kann doch nicht sein…!!!
Vor ihnen, wo eigentlich der helle und sonnige Ausgang gewesen wäre, erhob sich nun ein gigantischer Berg von Schutt. Die Felsen lagen quer übereinander und eine Staubwolke schwebte noch immer über den Steinen.
Die drei Jungs starrten fassungslos auf die Trümmer. Die Stille hallte durch die Höhle. Keiner konnte das in Worte fassen, was ihnen gerade durch den Kopf ging. Nach Sekunden des Schweigens, taumelte Olli schließlich ein paar Schritte zu den Steinen. Seine Hand glitt an der rauen Oberfläche herab.
„Es… wir…“, fing er wie in Trance an. Doch rasch schüttelte er sich wie ein nasser Hund und senkte betroffen den Kopf.
„Der Ausgang ist versperrt. Wir kommen hier nicht mehr hinaus.“
~
Es hat geklappt!!! Der Ausgang war zugesprengt, das Dynamit hatte einwandsfrei funktioniert! Sie grinste verzückt, als sie die drei verzweifelten Jungen von ihrem Versteck aus beobachtete. Jetzt waren sie in der Falle… Jetzt würden sie ihrem Tod sehr bald ins Gesicht sehen müssen!
Unwirsch strich sie sich das Blut von der Stirn. Sie war nicht achtsam genug gewesen, ein nerviger Stein hatte sie an der Schläfe getroffen. Doch das hinderte sie nicht an der Weiterführung ihres Planes…
~
Mit aller Kraft stemmten sie sich gegen die Steine, zogen daran, drückten sie auf und ab und taten alles, um sie ein Stückchen zu bewegen. Aber es war zwecklos, die großen Felsbrocken wollten sich einfach nicht bewegen und den Ausgang freigeben.
„Leute… es hat keinen Sinn…“ Jens wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn und lehnte sich schwer atmend an die Wand. Thorsten schaute sich den Gesteinsberg kritisch an.
„Wenn ihr mich fragt, das hier kommt eindeutig von einer Explosion…“ Jens schaute ihn an.
„Das würde auch den Knall und die Druckwelle erklären, aber…“
„Aber wer ist hier noch in der Höhle, und warum versprengt diese Person den Ausgang?!“, fuhr Olli Jens’ angefangenen Satz fort. Thorsten lehnte sich gegen einen Felsen und schloss die Augen.
„Ihr meint, es ist noch jemand hier in der Höhle?! Und dieser Jemand, will uns hier einsperren?!“
Olli und Jens warfen sich rasch einen ernsten Blick zu, ehe sie langsam nickten.
„Das ist absurd! Vollkommen absurd! Wer will uns denn was antun?!“
„Ich weiß nicht… aber es wäre doch möglich? Die Felswand fällt nicht von selbst ein, Thorsten!“ Thorsten grummelte etwas unverständliches, ehe er seine Flossen hochhob und sich aufrichtete.
„Okay. Nehmen wir an es wäre so, trotzdem sollten wir einen anderen Ausgang suchen, nicht wahr?“
Die drei Freunde liefen schweigsam nebeneinanderher. Jeder in seinen Gedanken vertieft, hatte keiner den Drang zu reden. Olli runzelte die Stirn und machte sich die Situation wieder und wieder klar. Warum will uns hier jemand festhalten? Will uns denn überhaupt hier jemand festhalten? Aber es war eine Explosion, da wurde mit Dynamit gearbeitet!
„Meint ihr…“, unterbrach er das Schweigen. Vier Augenpaare ruhten im selben Moment auf ihm.
„Meint ihr, es könnte etwas mit… damals zu tun haben?“ Seine Stimme erzitterte leicht, als ihm die Worte über die Lippen kamen. Doch ehe er weiterreden konnte, traf ihn ein Kinnhaken.
„Olli!!! Wie oft sollen wir es dir noch erklären?! Das damals war nicht unsere Schuld, und erst recht nicht deine!“ Jens’ zorniges Gesicht starrte ihn an. Verdutzt rieb sich Olli den Kiefer.
„Es war ein Unfall! Wir konnten nichts tun!!!“
„Jens hat Recht“ Thorsten legte Olli besänftigend die Hand auf die Schulter. „Mach dir darüber nicht mehr so viele Gedanken!“
Olli schnaufte und senkte den Kopf. Wenn sie bloß Recht haben…!
Jens schaute nervös auf seine Uhr. 15:43 Uhr. Sie liefen jetzt schon seit einer dreiviertel Stunde durch die verworrenen Gänge der Höhle. Inzwischen war sie gar nicht mehr so schön wie vorhin…
„Eine… Verzweigung?“ Ollis Worte brach das Schweigen. Verwundert folgten sie seinem Blick, und entdeckten zwei dunkle Gänge, in die sich ihr jetziger Weg verzweigte. Beide schienen völlig identisch, beide gleich dunkel, beide gleich eng.
„Tja… dann werden wir uns hier wohl aufteilen müssen…“, seufzte Jens.
„Aufteilen?! Nie und nimmer, wir müssen jetzt zusammenbleiben!“, widersprach Olli heftig.
„Olli, sei nicht dumm! Wenn ich hier weitergehe, und ihr den anderen Weg nimmt, finden wir viel schneller einen Ausgang!“ Jens warf rasch einen Blick auf seine Uhr. „Sagen wir, wir treffen uns hier um Viertel nach vier. Ihr habt ja beide einen Uhr.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und wollte gehen, da spürte er wie ein harter Gegenstand ihn am Hinterkopf traf. Verdutzt drehte er sich um und schaute auf die Taucherbrille, die am Boden lag. Dann hob er den Blick und sah Ollis wütende Augen.
„DU WIRST NICHT ALLEIN GEHEN!!!“ Olli holte tief Luft um sich zu beruhigen. „Du wirst nicht allein gehen!“, wiederholte er noch einmal, „Keine wird allein gehen, das dürfen wir nicht, versteh doch!“ Jens sah ihn verblüfft an. Olli atmete heftig, sein Körper war angespannt und ein Gemisch zwischen Verzweifelung, Wut und Besorgnis konnte man auf seinem Gesicht erkennen.
„Es könnte dir was passieren…“ Die letzten Worte waren nur noch flüsternd aus Ollis Mund gekommen.
„Mir… was passieren…?“ Jens starrte Olli verwundert an. Doch im selben Moment wurde sein Blick weich. Er legte den Kopf leicht schief und lächelte seinen Freund sanft an. Dessen Augen glitzerten nass, rasch wischte sich Olli mit dem Handrücken darüber. Jens machte einen Schritt auf ihn zu, und ehe sich Olli versah, umarmte ihn sein bester Freund zärtlich.
Sekunden verstrichen, ehe Olli stockend ein verwundertes „W-Was…?“ herausbrachte. Das Gefühl von Jens’ starken Armen um seine Schultern und der Duft seiner Haare brachten ihn ganz um den Verstand. Er hätte Stunden, nein Tage in dieser Berührung verharren können! Er war doch sein bester Freund… war es denn verboten, sich so gut ihn seiner Nähe zu fühlen…? Ein Kribbeln durchfuhr ihn. Ein angenehmes Kribbeln, wie an Weihnachten vor der Bescherung. Oder wie an einem ersten Ferientag. War er vielleicht etwas mehr, als nur sein bester Freund…? Vorsichtig löste Jens seine Umarmung und lächelte Olli an.
„Du bist so ein guter Freund, sowas habe ich gar nicht verdient! Mir wird nichts passieren…!“
Olli biss sich auf seine Unterlippe, als Jens sich umdrehte. Sein Körper entfernte sich immer weiter von ihm, erkannte er wie durch einen Schleier. Sein Körper, welcher sich davor noch so warm und kraftvoll angefühlt hatte…
Olli senkte den Kopf und atmete tief ein, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Anschließend drehte er sich schwungvoll zu Thorsten um. Thorsten? Verwundert schaute sich Olli um, als er ihn endlich weiter entfernt gegen eine Wand gelehnt entdeckte. Sein Kopf war gesenkt und seine Augen geschlossen. Er hatte doch alle mitbekommen! Was wird er denn wohl denken…?!
Olli ging auf ihn zu, ganz lässig lehnte er da. So sollte es zumindest scheinen, aber Olli bemerkte verdutzt, dass seine Fäuste geballt waren und zitterten. Was sollte das?
„Dann nehmen wir den anderen Gang.“ Die Worte Thorstens waren hart gesprochen, klang- und gefühllos. Schulterzuckend folgte Olli seinem Freund.
~
Soweit so gut. Dieser Idiot von Jens hatte sich getrennt, ihr wäre Olli allein zwar lieber gewesen, aber so würde ihr Plan auch aufgehen. Flink rannte sie durch die unterirdischen Gänge, bis sie in an ihrem Ziel angelangt war, wo sie sich rasch in einer Nische versteckte. Hier würde sie warten.
~
Vier Uhr Nachmittags. Sie liefen jetzt schon eine Viertelstunde etwa durch diesen niedrigen, dunklen und feuchten Gang, der kein Ende zu nehmen schien. Thorsten war seltsam schweigsam gewesen, was war mit ihm los? Einfach heraus, fragte Olli ihn das.
Thorsten warf ihm einen unerklärlichen Blick zu.
„Tut mir Leid, ich…“ Er stolperte, fing sich im selben Moment wieder. „Ich frage mich nur, ob wir hier wieder herauskommen!“, sagte er hastig.
Olli verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und schaute schräg nach oben.
„Und ob wir hier herauskommen! Wir werden hier doch nicht vergammeln!“
„Wenn du das sagst…“ Thorsten senkte den Kopf und lief ein bisschen schneller. Das Schweigen machte sich zwischen den beiden Jungs wieder breit, als Olli auf einmal aufseufzte.
„Ich frage mich, ob es Jens gut geht…“ Thorsten schnaufte unhörbar, eher er Olli anlächelte.
„Ihm wird schon nichts passieren, da bin ich mir sicher…“, meinte er und versuchte seinem Freund einen tröstenden Blick zu schicken. Dieser seufzte nur wieder und schloss die Augen.
„Du… magst Jens sehr, nicht wahr…?“ Diese leisen Worte Thorstens trafen Olli wie ein Faustschlag. Erschrocken starrte er seinen Freund an. Hatte er etwas bemerkt, vorhin?! Wie kommt er auf einmal darauf…?!
„Äääh…“, fing er rasch an, „Er ist doch mein Freund…! Da muss man sich doch Sorgen um ihn machen… nicht?“ Er versuchte ein möglichst echtes Lachen zu inszenieren, was ihm allerdings sichtlich schlecht gelang.
„Dein Freund…“, murmelte Thorsten leise, nicht hörbar für Olli. Dann hob er den Kopf und lachte gehemmt, was Olli wieder nicht mitbekam.
„Ich hoffe auch, dass es ihm gut geht…“
Kurz darauf waren sie an einer Felswand angekommen. Sackgasse. Der Weg war zu Ende, sie mussten umkehren. Der Rückweg verlief schweigsam, jeder hing seinen mehr oder weniger interessanten Gedanken nach. Olli erinnerte sich sehnsüchtig an die Umarmung davor. Er konnte es kaum erwarten, wieder Jens zu sehen. Er wusste nicht, was es war, as er da für seinen Freund fühlte. Es war ungewöhnlich, aber es gefiel ihm auf eine Art und Weise.
„Tja.. da wäre wir wieder.“ 16:13 Uhr. Olli schaute sich sofort hoffnungsvoll nach Jens um, konnte ihn aber nicht entdecken.
„Er wird noch nicht da sein“, meinte Thorsten kühl, als er Ollis Blicke sah. Dieser nickte stumm und setzte sich dann auf einen kleinen Vorsprung. Der Stein war kalt und feucht, das konnte er durch seinen Tauchanzug spüren. Ihre restliche Ausrüstung hatten sie am „Ausgang“ gelassen, die Sauerstoffflasche mit herumzutragen wäre denkbar dumm gewesen. Plötzlich spürte er Thorstens Blick auf sich.
„Ist etwas?“ Dieser wand sich sofort ab und lächelte gequält.
„Du hattest schon lang keine Beziehung mehr…“ Olli setzte sich kerzengerade auf. Was sollte das alles? Erst die Frage wegen Jens, dann diese hier!
„Wie kommst du jetzt darauf?“
„Ach, ist mir nur grad so aufgefallen…“
„Nur so aufgefallen?“
„Ja! Nur so aufgefallen!“
Olli musterte Thorsten genau. Was hatte er?!
„Mmh… du hast Recht… ich hab einfach niemanden gefunden…“ Das war nur zur Hälfte richtig. Das andere war, dass er Mädchen einfach nur noch abstoßend fand. Eine Frau anzufassen, so einen Gedanken empfand er nur noch als ekelhaft. Er wusste nicht, woher das auf einmal kam, aber das andere Geschlecht hatte einfach keine Anziehung mehr auf ihn! Schweigen umschloss die beiden wieder wie einen hauchdünnen Schleier.
16:15 Uhr. Jetzt sollte Jens eigentlich kommen… wo war er?! War ihm etwas zugestoßen..?! Daran durfte Olli gar nicht denken… Die Zeit verstrich wortlos.
16:16 Uhr.
„Olli! Deine Uhr wird auch nicht langsamer, wenn du sie anstarrst!“ Thorsten setzte sich neben Olli. Ihre Schultern berührten sich, allerdings war das ein ganz anderes Gefühl als bei Jens! Es war zwar auch warm und angenehm, aber Olli hatte nicht dieses aufregende Kribbeln. Es war einfach nur… wie unter normalen Freunden.
„Ich fange an mir Sorgen zu machen…“
16:17 Uhr.
„Mensch, sei doch mal vernünftig! Er ist doch erst zwei Minuten zu spät! Vielleicht ist er gestolpert, oder der Gang war viel länger als erwartet! Du kennst doch Jens, wenn er etwas anfängt, dann will er es auch zu Ende bringen!“
„Du hast Recht…“
Doch die Zeit strich unaufhaltsam vorüber, und nichts geschah. Kein Jens machte sich bemerkbar, nur die Tropfen des großen Stalaktiten über ihnen fielen stetig herab, in eine kleine Pfütze, die sich bereits gebildet hat. Olli sah sein Gesicht darin. Seine blonden Haare, seine blauen Augen. Er blickte wieder unauffällig zur Uhr. 16:20 Uhr. Es fiel ihm so schwer, ruhig sitzen zu bleiben, und ihm nicht hinterher zu rennen. Er beobachtete einen weiteren Tropfen, der in die Pfütze fiel. Sein Gesicht verschwamm kurz, als sich kleine Wellen bildeten. Die Oberfläche wurde wieder glatt, doch statt seinem Gesicht, erschien plötzlich Jens’ darin. Seine Augen waren zusammengekniffen, sein Gesicht verkrampft. Was…?! Jens!!! Olli sprang keuchend auf. Was war das?! War es eine Illusion?! Bin ich schon so fertig, dass ich halluzinierte? Oder… war es ein Zeichen…?!
„Thorsten! Wir müssen Jens suchen!“ 16:23 Uhr. Ollis Augen huschten wild hin und her. Ihm war etwas passiert! Ihm war sicherlich etwas passiert!
Thorsten musterte ihn stumm, bis er ebenfalls aufstand und ihn ernst ansah. Dann nickte er.
~
Tss, so ein Weichei. Sie ließ ihr Taschenmesser auf und zu schnappen, als sie spöttisch in seine angsterfüllten Augen blickte.
„Na? Was soll ich jetzt mit dir tun?“ Sie umrundete ihn wie eine Katze, dann bückte sie sich und hob sein Kinn hoch, um ihm in die Augen zu blicken.
„Ach du Armer! Du kannst ja nicht reden! Welch scheußlicher Strick, nein!“ Er blickte sie wild an.
„Was ist denn? Magst du mich denn nicht mehr?“ Ihr eben noch falsch lächelnder Gesichtsausdruck verschwand. Ein kalter Blick durchzuckte ihre Augen.
„Ist mir eigentlich auch egal. Deinen Tod wirst du hier finden.“
~
Jens! Jens!!
Schweiß rannte Olli die Stirn herunter. Woher kam er? Von dem Rennen? Oder war es doch Angstschweiß? Angst, um seinen besten Freund…
Auch Thorsten neben ihm keuchte bereits. Ein Blick auf die Uhr. 16:30 Uhr.
„Olli!“ Olli schreckte zusammen und schaute wirr zu Thorsten.
„Olli, da vorne!“ Kaum 100 Meter von ihnen entfernt, schien der Gang ein Ende zu haben. Es war heller dort, der Tunnel schien in eine größere Höhle mit Tageslicht zu enden. Olli spürte, wie er verkrampfte, wie sein Blut in die Muskeln schoss, ihn anspornte, noch mehr zu geben und seinen Freund zu retten.
„Thorsten, Jens ist in Gefahr! Jens ist sicher in Gefahr!“ Sein Freund schaute ihn an. Was war in seinen Augen? Es schien wie… Wehmut? Thorsten nickte zustimmend. Er schien kurz nachzudenken, ein vertriefter Blickt sprach für sich. Dann schien er sich entschlossen zu haben, und ernst sah er Olli in die Augen.
„Olli, was auch immer passieren wird, du bist ein echter Freund!“ Wäre Olli nicht gerade im Rennen gewesen, wäre er jetzt erstarrt. Was meint er mit „was auch immer passieren wird“?!
„Was soll den passieren, Thorsten?! Wir werden Jens finden, und dann einen Ausgang suchen! Alles wird gut!“
Ehe Thorsten etwas darauf erwidern konnte, standen die zwei in einer großen Höhle. Ganz oben waren vereinzelte, kleine Löcher, durch die helles Tageslicht fiel. Somit schien alles dämmerig, zwar dunkel, aber man konnte noch immer alles genau erkennen. In der Mitte der Höhle war ein tiefer, türkisblauer See, in dem sich die Kristalle an den Wänden spiegelten und glitzerten. Es führte nur der eine Tunnel hinein und hinaus, ansonsten gab es keinen Ausgang.
„JENS! JENS!!! WO BIST DU?!“ Olli keuchte vor Erschöpfung. Die Höhle war komplett leer, aber irgendwo musste er doch sein! Auch Thorsten neben ihm fing an zu rufen. Aber außer der beiden Echo blieb es still. Unheimlich still. Olli stand schnaufend am Ufer des Sees. Er schaute in sein eigenes verschwitztes Gesicht. Jens! Bitte, sag mir wo du bist! Gib mir ein Zeichen!! Bitte, Jens…!“ Eine stumme Träne lief an seiner Wange herab.
Im selben Moment sah er am Grunde des Wassers etwas blitzen. Da war etwas unten! Hastig bückte sich Olli um näher hinzuschauen. Was er sah verschlug ihm die Sprache:
Durch das klare Wasser, sah er Konturen. Konturen eines zusammengekauerten Menschen. Konturen von… Jens. Neben ihm hörte er Thorsten erschrocken aufkeuchen.
„JENS!“ Olli zitterte, seine Muskeln waren angespannt. Er spürte nichts mehr, er hörte nicht mehr Thorstens Ruf, er sah nicht die Person, die aus dem hinteren Teil der Wand heraustrat. Er bemerkte nur noch das kalte Wasser, das seinen Körper umschlang. Wie in Trance paddelte er mit aller Kraft, mit allem Kampfgeist was er hatte auf den Grund des Boden zu. Es schrie in ihm. Allein der Gedanke, dass Jens da unten… Nein! Daran durfte er nicht denken! Er musste ihn retten! Seinen besten Freund! Er spürte, wie ihn die Kräfte verließen, bei der ganzen Sache hatte er seine letzten Reserven verbraucht. Aber er fühlte sich angestachelt, angestachelt von seinen Sorgen nach Jens. Waren es wirklich nur die Sorgen? Oder war da doch ein anderes Gefühl…
Jens!!! Olli war am Grund angekommen, dank seiner ausgebildeten Lunge hatte er noch reichlich Luft. Jens lag zusammengekrümmt am Grund. Seine Augen verschlossen, er rührte sich nicht. Ein großer Stein hing fest an einem Strick an seinem Bein. Hastig blickte sich Olli um. Er ist nicht tot! Er darf nicht tot sein! Fieberhaft versuchte er sein Taschenmesser aus der Tasche zu holen. Mit einem sauberen Schnitt befreite er Jens. Seine Luft wurde knapp. Angestrengt hob er den leblosen Körper Jens auf. Jens! Bitte, Jens! Du darfst nicht sterben! Der Druck machte ihm zu schaffen, er spürte wie eine Ohren schmerzten. Kräftigt stieß er sich vom Boden ab. Dabei umklammerte er fest Jens. Es war keine warme Berührung mehr, sein Körper war kalt. Kalt, wie das Wasser um ihn herum. Olli wurde schwindelig. Er hatte keine Luft mehr, doch trotzdem krallte er seine Finger noch fester in seinen besten Freund. Das Wasser schien ihn zu erdrücken, alles verschwamm vor seinen Augen. Noch ein paar Meter! Seine Gedanken waren ausgeschaltet, es war nur noch diese unerklärliche Kraftressource da. Ollis ganzer Körper zitterte, als er endlich die Wasseroberfläche durchbrach. Keuchend schnappte er nach Luft, sein Brustkorb weitete sich und erschöpft schwamm er zum Ufer. Rasch legte er Jens vor sich auf den Boden. Dieser rührte sich immer noch nicht.
„JENS!“ Olli legte sein Ohr auf Jens’ Brust. Hörte er was?! War da was?! Da musste etwas sein!
„Jens! Oh mein Gott, Jens! Du darfst nicht sterben! Hör zu, du musst weiter leben! Mach die Augen auf! Atme! JENS!!!“ Er stemmte seine Hände auf dessen Brustkorb, immer und immer wieder. Doch nichts geschah, sein bester Freund spuckte kein Wasser. Er tat überhaupt nichts mehr.
„Bitte… Jens…“ Die gehauchten Worte schienen durch die Höhle zu schweben und sich dann zu verlieren. Olli schaute in Jens’ warmes, sanftes Gesicht. Dann holte er tief Luft, warf noch einen Blick auf seinen leicht geöffneten Mund und drückte dann seinen darauf. Seine Lippen waren kalt, doch Olli versuchte alles. Seine erste Mund-zu-Mund-Beatmung hatte er sich zwar anders vorgestellt, aber es war der letzte Ausweg. Wenn das nicht klappte… Tränen strömten über sein ohnehin nasses Gesicht und tropften dann langsam auf Jens.
Plötzlich zuckte Jens’ Arm zusammen. Rasch beugte sich Olli zurück. Er war wie versteinert, eine flammende Hoffnung kam in ihm auf. Jens kniff die Augen zusammen und spuckte das Wasser aus.
„JENS! Oh Jens!!!“ Olli packte seinen Freund an den Schultern und drückte ihn an sich. Er schien noch immer kraftlos, aber Olli spürte, dass da Leben darin war. Das Leben seines besten Freundes. Jens hustete gequält, bis alles Wasser heraus war. Dann schaute er Olli glückselig an.
„Olli… du hast mich gerettet…“ Seine kraftlosen Worte waren die schönsten, die Olli je gehört hatte. Tränen des Glückes liefen an seinen Wangen herab.
„Ja! Ja, ich habe dich gerettet!“, flüsterte er überglücklich und blickte seinen Freund an. Dieser lächelte und nahm Ollis Hand.
„War das vorhin… eine Mund-zu-Mund-Beamtung?“ Olli sah ich verständnislos, dann beschämt an. Er drehte den Kopf zur Seite, damit man nicht sein hochrotes Gesicht sah.
„E-Es tut mir L-leid… Aber ich wusste nicht weiter… da musste i-“ Jens unterbrach sein Gestotter, in dem er ihm sanft einen Zeigefinger auf seine Lippen legte. Verblüfft wurde er von Olli angeschaut, doch er lächelte ihn nur an.
„Würdest du das für mich noch einmal wiederholen…?“ Noch ehe Olli sich über Jens’ Satz Gedanken machen konnte, noch ehe er etwas antworten konnte, sah er plötzlich das Gesicht seines Freundes ganz nah bei seinem. Ungewollt lief ihm ein angenehmer Schauer über den Rücken. Das bekannte Kribbeln kam wieder, als er in den tiefblauen Augen versank. Dann spürte er wieder Jens’ kühle Lippen auf seinen. Sein Verstand schaltete aus, er fühlte nur noch Jens. Seinen weichen Mund, der sich langsam öffnete und seine heiße Zunge, die die seine leidenschaftlich umschlang. Ein Feuer wurde in ihm entfacht, er brannte am ganzen Körper, als er die Hände hob und Jens’ Mund noch fester an seinen drückte. Er wollte jetzt ganz nah bei ihm sein, er wollte in ihm versinken, er wollte mit ihm zusammen brennen. Seine Nähe war wie Feuer und Eis zusammen. Leidenschaftlich spielten sie mit ihren feuchten Zungen, sie pressten ihre Münder aufeinander und dachten nichts mehr, bis sich schließlich Jens keuchend löste. Er sah Olli verschmitzt an, mit diesem Lächeln, bei dem er dahin schmelzen könnte.
„Tja, dann wäre auch geklärt, warum wir beide solange keine Beziehung mehr hatten!“
„Jens, ich hätte nie gedacht…“
„Du hättest nie gedacht, dass ich die gleichen Gefühle für dich empfand, wie du anscheinend für mich?“ Olli nickte stumm. Ein solches Glücksgefühl durchströmte ihn, so etwas hatte er noch nie gefühlt.
„Dann… sind wir jetzt offiziell ein Paar…?“ Jens schaute Olli streng an.
„Also wenn du nicht willst, da-“
„Natürlich will ich!“
„Na dann wäre ja alles geklärt!“ Jens drückte ihm einen sanften Kuss auf den Mund. Ollis verstand versuchte danach wieder zu arbeiten, was gar nicht mal so leicht war. Er machte sich wieder die Situation klar.
„Olli… sag mal, wo ist eigentlich Thorsten?“ Thorsten? Stimmt, den gab es ja auch noch! Hatte er… hatte er jetzt alles mit angesehen?! Olli schaute sich um. Leere. Nichts als Leere, kein Thorsten!
„Ich weiß nicht… eigentlich müsste er noch da sein…“ Jens stand auf und strubbelte sich durch seine nassen Haare.
„Ach übrigens… ich denke es interessiert dich vielleicht, wer mich ertränken wollte…“ Olli sprang ebenfalls auf.
„Wer?! Sag, wer war es?!“ Jens dreht sich um und sah in ernst an.
„Du kennst sie.“
„SIE?! Eine Frau?!“ Jens nickte stumm und senkte die Augen.
„Du weißt doch noch, vor vier Jahren… Sie ist da. Lena ist hier.“
~
Verdammt! Dieses Schwein von Olli hatte Jens doch noch gerettet! Wie konnte nur so ein Fehler geschehen?! Lena riss wütend an dem Strick, den sie zwischen den Zähnen hatte. Der Rest wird aber nach ihrem Schema verlaufen! Jetzt wird Olli dafür büßen müssen…!
~
Am 12.05.2006 ertranken vier Mädchen in einer Schleuse in Bamberg. Eine konnte lebend geborgen werden.
Die Klasse 8a des Clavius Gymnasiums Bamberg beschloss zum Wandertag Kanu fahren zu gehen. Am Ende des Ausfluges, wurde ihnen vom Führer die alte Schleuse gezeigt. Die Klasse mit den drei Kanus fuhr hinein und probierte den Durchlauf aus. Drei Jungen warteten davor und bedienten den Hebel zum Einlassen und Ablassen. Beim Wiedereinfüllen des Wassers, stolperte einer der Jungen gegen den Hebel und er brach ab. Rasch wurden alle Kanus evakuiert. Das Tor war nun nicht mehr richtig verschlossen und brach auf. In der Schleuse waren nur noch fünf Mädchen, alle im Alter von 13 bis 14 Jahren. Die hereinströmenden Wassermassen versenkten die Kanus. Die Mädchen wurden gegen die Steinwand geschleudert.
Vier davon erlagen ihren schweren Verletzungen, eine überlebte mit schweren Frakturen.
~
Sie ist da. Lena ist hier.
Die Worte hallten dumpf in Ollis Kopf wider. Sofort durchströmten ihn wieder die Erinnerungen an jenen Tag. Er hatte das nie gewollt. Der verdammte Stein, der ihn zum Stolpern gebracht hatte, hatte sein Leben zerstört! Er wurde noch immer ständig von Alpträumen heimgesucht. Linda, Petra, Karina, Valentina. Sie alle kamen ums Leben, allein Lena überlebte. Seit dem war sie schweigsam geworden. Ihr sonst so lebhaftes Temperament war einem stillen du düsteren gewichen. Olli hatte oft Schuldgefühle und er hatte sie noch immer! Aber das Lena sich jetzt deswegen räche wollen würde… nein, daran hätte er wahrhaftig nie gedacht!
„Olli, schau, da oben!“ Jens riss ihn aus seinen Gedanken. Er folgte seinem Blick zur Decke. Die einzelnen Öffnungen versprachen einen schönen Tag.
„Meinst du, wir schaffen es da hoch?“
„Klar doch! Wenn nicht wir, wer dann?“ Jens grinste ihn an.
Die zwei Jungs begannen mit einem mühevollen Aufstieg. Ollis Gedanken waren völlig durcheinander. Erst die Explosion, dann der fast sterbende Jens, der Kuss, und jetzt Lena! Das war alles zu viel!
„Lena... Es tut mir noch immer so unendlich Leid, was damals geschah…“, keuchte Olli zwischen zwei Kletterzügen. Schweiß rann ihm bereits die Schläfe herab.
„Mensch Olli!“ Jens biss die Zähne zusammen. Das vorhin hatte ihn ganz schön mitgenommen. Klar, fast ertrinken ist auch nicht besonders schön. „Du konntest nichts dafür! Wenn einmal dieser doofe Stein nicht gewesen wäre… und außerdem, habe ich dich zur Seite gedrängelt…“ Jens starrte auf die Wand vor ihm und verharrte. „Ich habe dich weggedrängelt, weil ich auch mal dran wollte… Ohne mich, wäre das alles nicht passiert!“ Und verbissen kletterte er weiter.
„Es war doch nicht deine Schuld! Vielleicht war es auch nicht meine… es war eine Kette von unerwarteten Ereignissen…“ Das Reden strengte Olli während dem Klettern an.
„Das sieht die Lena aber anscheinend nicht so… du hättest sie vorhin sehen sollen! Vollkommen ausgewechselt! Ihre Augen, total kalt und gefühllos!“
„Sie muss das ziemlich mitgenommen haben… all die Jahre hat sie das in sich hineingefressen…“
„Trotzdem kein Grund uns umzubringen!“, widersprach Jens heftig. „Und ich möchte nicht wissen, was sie in diesem Moment mit Thorsten anstellt! Wir müssen uns beeilen!“ Und noch verbissener kletterten sie vorwärts. Ihren Freund zu retten, hatte jetzt oberste Priorität.
Nach einer knappen Zeit hatten sie es geschafft. Olli zwängte sich durch die Öffnung, gefolgt von Jens. Das helle Tageslicht blendete sie. Sie fühlten sich vollkommen ausgelaugt, ihre Kraft war wie weggesaugt. Trotzdem ging Olli ein paar Schritte schwankend nach vorne, um sich umzuschauen. Was er sah, verschlug im vollkommen die Sprache. Vor seinen Augen erstreckte sich das Meer, überall nur Wasser, wohin sein Auge reichte! Das Wasser war allerdings gut 200 Meter unter ihm. Olli stand auf einer hohen Klippe. Die Höhle hatte zwar genau auf Meereshöhe angefangen, war aber stetig angestiegen! Dies hatten die Jungs in ihrer Aufregung nicht bemerkt, und nun waren sie hoch über dem Wasser. Neben ihm staunte Jens. Auch er, schien das nicht erwartet zu haben.
Olli drehte sich um. Genug Sightseeing! Wo ist Thorsten?! Wir müssen Thorsten finden! Doch bevor er anfangen konnte zu schreien, vernahm er eine kühle Stimme.
„Da seid ihr ja schon.“ Blitzschnell wirbelte er in die Richtung, von wo sie gekommen war. Lena saß mit überschlagenden Beinen auf einem kleinen Felsen. Auch sie hatte einen kurzen Taucheranzug an und ihre blonden Haare hingen ihr nass ins Gesicht. Olli jagte es einen Schauer über den Rücken, als er ihr in die Augen sah: Von wo einst fröhliche, hellblaue Blicke kamen, waren nur noch zusammengekniffene, stahlblaue und harte Augen. Olli atmete tief ein und richtete sich auf.
„Lena! Wo ist Thorsten?!“ Seine Stimme hatte zwar einen festen Klang, allerdings fühlte er sich im Moment überhaupt nicht so.
„Thorsten…?“ Lena dachte ironisch angestrengt nach und spielte dabei mit ihrem Handy.
„Ach Thorsten! Du meinst diesen komischen, kleinen Kauz da?“
„Spiel keine Spielchen mit uns, Lena! Sag, wo Thorsten ist und lass uns gehen!“ Jens starrte sie wütend an.
„Oh, wen haben wir denn da? Und ich dachte, ich hätte dich sicher ins Jenseits befördert! Dass man schon echt alles überprüfen muss!“ Sie seufzte und blickte theatralisch in den Himmel. Dann schien sie es sich zu überlegen und grinste die Jungs an.
„Ihr wollt Thorsten? Hier habt ihr Thorsten!“ Und mit einer Handbewegung deutete sie auf das Ende der Klippe. Olli erstarrte. Nein! Sie wird doch nicht…!!! Mit schnellen Schritten war er dort und blickte wieder herab, allerdings diesmal unter die Klippe. Ein Schock durchfuhr ihn. An einem festen Strick hing Thorsten an einer Hand angebunden an dem großen Felsen. An seinem Fuß baumelte etwas, da war etwas festgemacht! Olli schaute genauer hin, und erstarrte abermals: Eine Sprengladung Dynamit.
„THORSTEN!“ Olli kniete nieder und versuchte den Strick zu lösen um ihn heraufzuziehen, doch gegen die festen Knoten konnte er nichts tun. Im selben Moment stöhnte Thorsten auf und blinzelte.
„W-was…?“ Ein Blick nach unten genügte, um ihm einen grellen Schrei zu entlocken. Panisch schaukelte er in der Höhe hin und her, seine Augen weit aufgerissen, in denen man deutlich die Angst sah.
„Was ist passiert?!“
„Ach das weißt du nicht mehr?“ Lena stand ein bisschen weiter entfernt und blickte spöttisch auf ihn hinab. Ihr Anblick reichte ihm, um sich an alles zu erinnern.
„Olli… Olli ist nach Jens getaucht! Ich wolle ihm nach, da traf mich etwas Hartes auf dem Hinterkopf! Ich hab mich umgedreht, und bevor mir schwarz vor Augen wurde, habe ich dich gesehen…“
„Schön, dass man sich doch noch an mich erinnert!“ Sie drehte sich um und winkte lässig mit ihrem Handy. Oder… war es ein Handy?!
„Jungs, lasst mich etwas erklären. Das hier in meiner Hand, ist eine Fernbedienung. Wenn ihr es genau wissen wollt, das ist die Fernbedienung zu der hübschen Packung Sprengstoff and Thorstens Bein. Ihr versucht ihn hochzuziehen, und ich sprenge ihn in die Luft, alles klar?!“ Olli sah sie wie versteinert an.
„Lena… was willst du?“ Sie lachte auf und blickte ihn wild an.
„Was ich will?! Ist das denn nicht klar?!“ Sie rannte kurz entschlossen auf Olli zu, in ihrer Hand blitze ein Taschenmesser auf.
„Ich will Rache! Rache für meine Freundinnen, die ihr mir genommen habt!“ Ein Stich, auf Ollis Magengegend, der konnte jedoch noch knapp ausweichen.
„Es war ein Unfall, Lena! Ein Unfall!“ Schnell bücke er sich, als das Messer auf seine Augen zukam.
„Ein Unfall, dass ich nicht lache! Hättet ihr besser aufgepasst…!“ Olli rannte nach hinten, und holte rasch sein eigenes Messer heraus. Es hat keinen Sinn, ich muss sie auch angreifen!
„Wir konnten nichts dafür! Die Schleuse war morsch!“ Er rannte auf Lena zu.
„Sie war morsch, und alt! Der Hebel ist abgebrochen!“ Ein blitzschneller Stoß auf Lenas Schulter, dem sie noch knapp ausweichen konnte.
„Es war einfach ein Unfall, Lena! Begreif das!“ Blut spritzte. Ollis Messer hatte Lenas Schulter gestreift. Sie blieb keuchend stehen und presste ihre Hand auf ihre Wunde. Ihre Augen funkelten bedrohlich, als sie Olli von unten ansah.
„Sei still. Hättet ihr besser aufgepasst, wäre das alles nicht passiert.“ Und mit einem Schrei stürzte sie sich auf ihn. Der Angriff kam unerwartet. Olli spürte plötzlich wie sich etwas in seinen rechten Unterleib bohrte, ein glühendes Messer der Rache. Schwer atmend ging er in die Knie und hielt sich seine Verletzung. Verdammt… ist das mein Ende…? Er spürte Bluttropfen auf sich fallen. Lena war anscheinend auch nicht leicht verwundet worden.
„Eigentlich wollte ich dich ja ertränken… Du solltest auch im Wasser sterben, du solltest sehen wie grausam das ist. Aber das ist jetzt egal. Tod ist Tod.“ Lenas flüsternde Worte waren voller Hass. Langsam hob sie ihr Messer. Die Klinge blitze in der Nachmittagssonne auf. Dann hörte man sein Sausen von Metall, einen Schlag, einen Schrei.
Jens hielt ihre Hand fest und schaute ihr entschlossen in die Augen. Mit der anderen Hand hatte er ihr die Fernbedienung weg geschlagen. Sie flog durch die Luft und die dann die Klippe herab. Lena warf ihm einen vernichtenden Blick zu, ehe sie sich freimachte und zurück sprang. Sie keuchte und ihr Gesicht war blass.
„Lena, hör auf. Du bist verletzt, warum weiterkämpfen?“ Doch ohne zu antworten stürzte sie sich auf Jens und rammte ihm das Messer in sein Bein. Stöhnend ging er zu Boden.
„Du nervst mich nicht mehr, Jens!“ Dann wandte sie sich zu Olli, der keuchend da lag.
„Dein Tod…“ hauchte sie ihm ins Ohr. „Sei bereit…“ Das Messer bohrte sich in Ollis Schulter. Er schrie qualvoll auf. Die Klinge bohrte sich tiefer und tiefer in sein Fleisch. Diese Schmerzen, so etwas hatte er noch nie gespürt! Doch auf einmal wurde das Messer mit einem Ruck herausgezogen. Keuchend hob er den Blick, sein eines Auge schmerzhaft zusammengekniffen.
Lena lag am Boden. Sie schien zu kämpfen, aber mit was?! Da entdeckte Olli Thorstens Hand, welche Lenas Fuß fest umklammerte. In seiner anderen, festgebundenen Hand, lag die Fernbedienung. Er musste sie aufgefangen haben!
„Olli… Jens… ihr seid meine besten Freunde gewesen…“, vernahm Olli plötzlich Thorstens leise Stimme. Ehe er etwas sagen konnte, fuhr er fort:
„Und Olli… du warst mehr als das… du warst mehr als mein bester Freund… Ich weiß nicht ob du es bemerkt hast, aber ich… ich habe schon seit längerem Gefühle für dich gehegt…“ Seine Stimme stockte. Versteinert hörte Olli der Stimme zu. Er konnte es nicht fassen, Thorsten! Gerade Thorsten war in ihn verliebt gewesen?! Deshalb hat er sich auch so seltsam verhalten… Warum bin ich nicht früher darauf gekommen?!
„Tja, Olli, du hast aber Jens gewählt, nicht mich. Ich werde wohl gehen müssen.“
„Thorsten!“ Olli stürzte zur Klippe und fiel auf die Knie. Thorstens grüne Augen blickten ihn melancholisch an.
„Leb wohl.“ Ein leises Flüstern. Ein weiblicher Schrei. Und Thorsten hatte sich abgerissen. Er zog Lena mit in die Tiefe.
„THORSTEN!!!“ Olli kniete am Abgrund. Was war eben geschehen?! Noch ehe er sich darüber Gedanken machen konnte, ertönte ein lauter Knall. Ein Hitzeschwall drückte ihn weg. Eine Explosion. Thorsten hatte den Knopf gedrückt und sich in die Luft gesprengt.
~
Das helle Licht blendete Olli furchtbar. Wo… wo bin ich?! Über ihm erschienen besorgte Gesichter, die er nicht kannte. Oder? Moment… diese tiefblauen Augen…
„Olli, Gott sei Dank, du bist aufgewacht!“ Diese Stimme. Von irgendwoher kannte er sie doch!
Auf einmal durchfuhren ihn alle Erinnerungen wieder wie ein Blitz. Die Höhle. Lena. Thorsten! Olli fuhr hoch. Er versuchte es zumindest, auf halbem Wege sackte er vor Schmerzen wieder zusammen.
„Jens… Jens…“, flüsterte er leise. Dieser strich ihm über den Kopf und redete ihm gut zu.
„Olli, alles wird gut. Alles wird gut werden…“
~
Was war das unter ihr? Sand…? Und was klang da in ihren Ohren? Wellenrauschen…? Mühsam öffnete Lena die Augen. Ihre Kleider hingen nur noch in Fetzten von ihr herab. Ihr Mund war trocken. Über ihr beugte sich ein freundliches Gesicht. Es schien besorgt…
„W-wer…?“ flüsterte sie leise. Der Junge legte sich den Finger auf die Lippen und deutete Lena an, sie solle nicht sprechen.
„Du bist verletzt, gleich wirst du ins Krankenhaus gefahren!“ Er schaute sie fürsorglich an. Dann lächelte er süß, sodass es in Lena ungewollt kribbelte.
„Ach ja, ich heiße Thomas…“