Für meinen König
von Ash
Kurzbeschreibung
Nach seiner Ernennung zum Musketier macht König Ludwig XIII D'Artagnan zu seinem persönlichen Leibwächter. Doch bei Hofe erwarten unseren jungen Helden nicht nur neue Aufgaben und Abenteuer, sondern auch die Liebe - allerdings dort, wo er sie nie vermutet hätte. Natürlich sind auch seine drei Freunde wieder mit von der Partie. Auf dem Musical basierend; diese Geschichte beginnt dort, wo das Stück aufhört.
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Aramis
Athos
D'Artagnan
14.03.2006
15.10.2006
20
67.255
3
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14.03.2006
2.702
D'Artagnan hob mit einem Ruck den Kopf. Weil er sich so hastig bewegte, verloren seine eiskalten Füße auf dem glatten Boden den Halt, und er glitt an der Tür herab wie ein Sack und plumpste auf sein Hinterteil. Sofort sprang er wieder auf, griff seinen Degen vom Bett, riss die Tür auf und platzte mit wehenden Fahnen ins Schlafzimmer des Königs.
"Mein König!", rief er, den Degen gezogen und bemüht, sich nach allen Seiten gleichzeitig nach dem vermeintlichen Angreifer umzusehen. "Komm raus, du Schuft!", rief er und riss den königlichen Kleiderschrank, der mit im Schlafzimmer stand, auf. Mit dem Degen in die Kleider pieksend tänzelte er ein bisschen davor herum, bevor er einsah, dass dort niemand war.
"Wo ist er, Majestät?", rief er hochkonzentriert und warf einen kurzen Blick zum Bett - und dann einen längeren. "Majestät?", fragte er etwas eindringlicher und ließ den Degen sinken. "Ist jemand hier?" Ludwig starrte D'Artagnan an wie eine Erscheinung. Er brauchte ein paar Sekunden um zu begreifen, dass das hier nichts mit seinem Traum zu tun hatte und ein paar weitere, um zu verstehen, was D'Artagnan hier bei Nacht in seinem Zimmer tat. NUr langsam wurde er etwas klarer und erinnerte sich, dass er D'Artagnan zu seinem Leibwächter gemacht hatte.
Die Unruhe, die nach diesen Träumen immer von ihm Besitz ergriff, ließ ihn trotzdem nicht los.
"D'Artagnan hier ist niemand" flüsterte er und seine Stimme hörte sich so an, als sei sie kurz davor zu versagen. "Ich ... ich habe nur geträumt." Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und versuchte die Erinnerungen an den Traum zu vertreiben. Jetzt stand D'Artagnan vor ihm, wie ein jugendlicher Racheengel und hatte noch immer das ganze Zimmer scharf im Blick, als traue er dem Frieden noch nicht so ganz über den Weg. Aber in Ludwigs Gedanken stürzte er wieder auf die Knie und schrie ... und dieser Gedanke trieb ihm einen Schauer nach dem Anderen über den Rücken.
"Oh D'Artagnan" flüsterte er erstickt. "Komm her. komm näher. Gib mir deine Hand..."
D'Artagnan warf noch einen sehr gründlichen Blick auf das scheinbar leere Zimmer, bevor er sich entspannte und ans Bett seines Königs trat, den Degen immer noch in der Hand. Er reichte ihm die Hand, wie der König es wünschte, aber er erschrak, als Ludwig sie nahm.
"Majestät!", rief er bestürzt. "Ihr zittert ja! War es ein schlimmer Traum?"
Er versuchte, in der Dunkelheit seinen König genauer zu betrachten, und selbst im Licht des Mondes, das durch die hohen Fenster hereinfiel, konnte er sehen, dass Ludwig blass und aufgelöst aussah. Ein wenig grimmig dachte er, dass selbst ein Leibwächter wohl keine bösen Träume aufhalten konnten, die sich nachts an ihm vorbeistahlen auf dem Weg zum Bett des Königs.
D'Artagnan legte seinen Degen beiseite und setzte sich dann unkompliziert an den äußersten Rand des Bettes. Seine Füße waren immer noch eiskalt, aber er merkte es nicht. Er hatte nur Augen für seinen König, und er war in diesem Moment sehr besorgt um ihn. Er hätte alles getan, damit es ihm besser ging.
"Ja, es war ein schlimmer Traum" flüsterte Ludwig. Er war froh, dass D'Artagnan neben ihm saß und am liebsten hätte er ihn gebeten bei ihm zu bleiben. Er glaubte sogar, dass D'Artagnan nichts dagegen gehabt hätte. Im Mondlicht konnte er erkennen, dass der Junge besorgt auf ihn herabsah.
Aber auch er hatte seinen Stolz. D'Artagnan sollte schließlich nicht das Gefühl bekommen, dass er sein Kindermädchen war.
Er richtete sich etwas im Bett auf und sah ihn eindringlich an. "Sprich zu niemandem davon" sagte er. "Das Volk könnte es als schlechtes Zeichen deuten, wenn es weiß, dass der König von Alpträumen geplagt wird. Ich vertraue dir D'Artagnan und ich bin froh, dass du so schnell gekommen bist. Aber jetzt leg dich schlafen. Du musst ausgeruht sein für die Reise, die bald auf uns wartet."
Er ließ D'Artagnans Hand los, sah ihn aber noch immer an. Es war lange lange her, dass jemand außer der Königin so an seinem Bett gesessen hatte. D'Artagnan nickte ernst. "Ich werde zu keinem ein Wort sagen." Nicht einmal zu seinen Freunden, das schwor er sich. Er war etwas erstaunt über die ganze Situation - der König von Alpträumen geplagt statt von Eindringlingen, und seine Hand hatte so gezittert... Zum ersten Mal kam es D'Artagnan in den Sinn, dass Ludwig schwach war - zumindest schwächer als er gedacht hatte. Er hatte ein strahlendes Bild von seinem König gehabt, ein beinahe übermächtiges, und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass auch ein König ein Mensch war. Und Ludwig war nur allzu menschlich.
Seltsamerweise bestärkte ihn dies nur in seiner Loyalität, statt ihn zu enttäuschen. Ludwig hatte so nur umso mehr Schutz nötig, und anscheinend brauchte wohl auch ein König jemanden, der nachts mal an seinem Bett saß, wenn er schlecht geträumt hatte.
Er lächelte ein bisschen und stand auf. "Es war ja nur ein Traum, Majestät", sagte er, seinen Degen vom Bett klaubend. "Kann ich noch irgend etwas für Euch tun? Wünscht Ihr etwas zu trinken, vielleicht?" Vielleicht wünschte sich Ludwig aber auch jemanden, mit dem er über den Traum reden konnte. "Oder - die Königin?", fügte er also hinzu.
"Nein!" sagte Ludwig und merkte gleich darauf, dass diese Antwort wahrscheinlich etwas zu schnell und zu heftig gekommen war. "Nein, ich möchte sie nicht mit so etwas belästigen und sie deswegen um ihre wohlverdiente Nachtruhe bringen" fügte er deswegen schnell hinzu. "Aber etwas zu trinken..." er wies auf den verzierten Wasserkrug der in einer Ecke des Zimmers auf einer prunkvollen Kommode stand und den danebenstehenden goldenen Becher. Er hatte wirklich Durst, aber er war auch froh, dass er nicht sofort wieder allein sein würde. Er glaubte nicht, dass er nach diesem Traum noch würde schlafen können.
Es war nicht der erste Traum dieser Art, den er gehabt hatte, auch wenn bislang noch niemals D'Artagnan in seinen Alpträumen vorgekommen war. Aber die rote Farbe war ihm mehr als bekannt.
Früher hatte er mit dem Kardinal darüber geredet und der war der Meinung gewesen, dass der Teufel dadurch versuchte von ihm Besitz zu ergreifen. Er schlich sich in seine Träume, um ihn zu beeinflussen. Jetzt, da Ludwig wusste, dass Richelieu derjenige gewesen war, der ihn beeinflusst hatte, musste er diese Theorie natürlich anzweifeln. Aber etwas mussten diese Träume bedeuten. Vielleicht wollte der Herr ihn dadurch für seine Unzulänglichkeiten bestrafen.
Er sah zu wie D'Artagnan vorsichtig Wasser in den Becher goss und erinnerte sich gequält daran, wie der Junge in seinem Traum von dem übermächtigen rot überwältigt worden war ... wie er geschrien hatte..
er würde büßen. Ja, das würde er tun. Gleich Morgen würde er beginnen zu fasten und er würde noch mehr Zeit auf das beten verwenden. Das war das einzige, was gegen seine Träume helfen konnte.
D'Artagnan balancierte den etwas zu vollen Wasserbecher zurück ans Bett des Königs und reichte ihn seinem Herrscher. Es war immer noch dunkel, und er konnte nicht gut erkennen, ob es Ludwig nun besser ging oder nicht. Er machte jedenfalls immer noch einen zittrigen und mitgenommenen Eindruck.
Er überlegte, wann er das letzte Mal schlecht geträumt hatte. Eigentlich träumte er immer ausnehmend gut, zu gut vielleicht schon beizeiten, und das selbst in nicht so rosigen Zeiten. Alpträume jedenfalls waren ihm fremd, wenn er gerade nicht so erfreuliche Dinge erlebte, träumte er einfach nichts.
"Träumt Ihr denn des öfteren so schlecht?", erkundigte er sich. "Vielleicht wollt Ihr einmal einen Arzt zu Rate ziehen!", schlug er optimistisch vor. Er war von der Sorte, die den Satz "Das kriegen wir schon wieder hin", von Geburt im Blut hat. Außerdem ertappte er sich dabei, dass er nach anderen Dingen suchte, die er vorschlagen konnte. Nicht unbedingt, weil er sich gut auskannte, sondern weil er seinen Aufenthalt in diesem Raum verlängern wollte. Er merkte, dass der Gedanke ihm gar nicht gefiel, seinen König jetzt allein zu lassen.
"Ich habe bereits meinen Leibarzt zu Rate gezogen" saget Ludwig und versuchte sich einen letzten Rest Würde zu bewahren, als er den übervollen Wasserkrug von D'Artagnan entgegennahm. "Er hat mir etwas verschrieben, aber es hat nichts geholfen." Nur mit Grausen erinnerte er sich an die furchtbar schmeckende Medizin, die sein Leibarzt ihm verordnet hatte. er hatte sich damit seinen ohnehin empfindlichen Magen verdorben und die Nacht noch unruhiger zugebracht. Geholfen hatte es überhaupt nicht. Andere Herrscher hätten den Leibarzt wahrscheinlich bestraft sofort entlassen, aber Ludwig scheute sich vor Konfrontationen und hatte seine Träume seitdem nicht mehr erwähnt.
"Dagegen hilft wahrscheinlich kein Mittel, dagegen kann mir nur Gott helfen." flüsterte er. "Aber mach dir keine Gedanken, D'Artagnan. Es kommt nur wegen den Geschehnissen der letzten Zeit. Wir standen kurz vor einem Krieg und ich ... oh D'Artagnan ich glaube ich habe mein Volk scher enttäuscht." Der letzte Satz kam ihm aus tiefstem Herzen und es war das erste Mal, dass er diese Befürchtung laut aussprach.
D'Artagnan setzte sich wieder an den Rand des Bettes - teils, weil er seine kalten Füße das erste Mal spürte, aber größtenteils, weil er Ludwig zeigen wollte, dass er Anteil nahm.
"Ihr habt ein starkes Volk", sagte er und griff unbedarft wieder nach der Hand des Königs; sie war ganz kalt. "Und ein kluges. Sie werden unterscheiden können zwischen den wahren Bösen und denen, die nur von ihnen im Netz von Lügen und Intrigen eingefangen wurden. Kardinal Richelieu wusste es ausgezeichnet, die Leute zu blenden und hinters Licht zu führen. Nicht nur Ihr seid ihm auf den Leim gegangen, nicht nur Ihr seid einem Irrtum unterlegen! Ich glaube, für das Volk zählt jetzt vor allem, dass Ihr alles unternehmt, damit es Frankreich gut geht. Dass Ihr Eurem Volk zeigt, dass es jetzt auf Euch zählen kann! Sie sehen immer noch zu Euch auf, dessen bin ich sicher, und sie erwarten Eure Schritte sicherlich mit großer Spannung und Aufmerksamkeit."
Er hatte leidenschaftlich gesprochen, und er hoffte, dass er seinem König verständlich hatte machen können, was er dachte. Er war so fest davon überzeugt, dass das Volk wie ein Mann hinter dem König stand, so wie er selbst es tat. Es war für ihn einfach unvorstellbar, dem König nicht treu zu sein. Einen Irrtum, so verheerend er auch fast gewesen war, musste man verzeihen können, denn irren war menschlich. Und Ludwig war ein sehr menschlicher König, das hatte D'Artagnan ja schon festgestellt.
Er sah ihn mit vor Leidenschaft brennenden Augen an. "Ihr werdet das wieder hinkriegen, Majestät. Ihr habt Euer Volk nicht verloren. Es wartet nur auf Euch!"
"Ich wünschte alle würden so denken wie du D'Artagnan" sagte Ludwig. "Aber du hast Recht. Es ist vor allem wichtig, was ich als nächstes tue. Und deswegen muss ich auf jeden Fall nach England reisen. Auch wenn es vielleicht gefährlich ist. Ich werde dafür sorgen, dass man mir wieder vertrauen kann. Zumindest du und die Musketiere habt immer hinter mir gestanden und ich werde euch meine Dankbarkeit dafür beweisen."
D'Artagnans Rede hatte ihm tatsächlich wieder etwas Mut gemacht. Wenn so ein tapferer, starker junger Mann an ihn glaubte ... auch jetzt noch, da er ihn in einer seiner dunkelsten Stunde gesehen hatte, vielleicht war es dann doch möglich, dass er ein Land stark regieren konnte.
Er brauchte Richelieu nicht. Richelieu hatte gewusst, dass er schwach war, und Ludwig ahtte immer geglaubt, dass er ihm helfen wollte. Aber in Wirklichkeit hatte er seine Schwäche ausgenutzt. Nie wieder würde ihm das passieren, das schwor er sich. Außer D'Artagnan würde niemand mehr erfahren, wie unsicher und verloren er sich hin und wieder fühlte. Aber einen Menschen brauchte er, der ihn so kannte wie er war und trotzdem zu ihm hielt. Er wusste nicht, warum er gerade D'Artagnan dazu gemacht hatte. Vielleicht weil er glaubte, dass der es niemals ausnutzen würde, dass er seine Schwachpunkte kannte.
Eine Sekunde lang sah er D'Artagnan mit einem Blick voller Hunger und Sehnsucht an. Dann ahtte er sich wieder unter Kontrolle. "Geh jetzt". sagte er, als müsse er sich selber dazu drängen das zu sagen. "Ich bin sicher ich werde jetzt ruhiger schlafen." Er zwang sich zu einem Lächeln. "Ich danke dir D'Artagnan."
D'Artagnan drückte zuversichtlich die Hand des Königs und stand dann auf. "Ich bin jederzeit für Euch da, Majestät. Ich wünsche Euch eine angenehme Nachtruhe und sanftere Träume", sagte er, verbeugte sich und drehte sich um. Einen kurzen Moment zögerte er, dann ging er durch die Verbindungstür zurück in sein Zimmer. Ludwig hatte etwas besser geklungen, aber D'Artagnan wurde seine Sorgen dennoch nicht los. Nachdenklich legte er sich ins Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Vielleicht beinhaltete der Posten des Leibwächters doch noch andere Aufgaben als er erwartet hatte. Er wollte noch nicht soweit gehen, sich als des Königs persönlicher Vertrauter zu bezeichnen, aber das Vertrauen, das dieser ihm gerade entgegengebracht hatte, gab ihm schon ein ganz besonderes Gefühl. Allerdings hatte er sich trotzdem nicht ganz frei heraus zu sprechen gewagt, denn dann hätte er dem König nahegelegt, sich nicht nur intensiv um die Staatsgeschäfte zu kümmern, sondern auch um Nachwuchs. Er war zwar kein Politiker, aber er konnte sich dennoch denken, dass gerade so eine Nachricht dem Volk jetzt sehr willkommen gewesen wäre und Ludwig wieder in ein besseres Licht gestellt hätte.
Aber er wollte sich auch nicht zu sehr einmischen. Er war neu bei Hofe, und sicher gab es genügend Leute, die dem König raten konnten, was jetzt für sein Image das beste war.
D'Artagnan drehte sich auf die Seite, so dass er zum Fenster sehen konnte, und gähnte. Der Tag und die Nacht waren äußerst ereignisreich und aufregend gewesen, aber seine Gedanken, die unaufhörlich um König Ludwig kreisten, hielten ihn noch eine Weile wach. Das letzte, woran er dachte, bevor er einschlief, war der Wunsch, dass sein König nebenan mittlerweile wieder gut schlafen und ebenso gut träumen möge.
Ludwig lag wach in seinem Bett, aber seine Gedanken waren D'Artagnan aus dem Zimmer gefolgt. Er sah auf die Tür, die sich hinter seinem jungen Leibwächter geschlossen hatte.
Er fühlte sich wirklich besser, aber immer noch war er innerlich aufgewühlt. Allerdings war es nicht mehr nur Verzweiflung und Hilflosigkeit, die er fühlte. Irgendwo dahinter war noch etwas anderes, das ihm aber nicht weniger Angst machte.
"Oh Herr, warum kannst du mich nicht von meinem Mensch-Sein erlösen?" flüsterte er. "Es ist mir als König nur im Wege. Erlöse mich doch davon, meinem Volk zuliebe."
Was hätte er alles dafür gegeben, um stärker zu sein. Um das tun zu können, was von ihm erwartet wurde. Mit brennenden Augen sah er zu der Tür, die zu den Gemächern der Königin führte. Er wusste was er tun musste, um das Vertrauen des Volkes wiederzugewinnen und um ihnen Hoffnung zu geben. Es konnte doch nicht unmöglich sein...
Morgen. Morgen würde er es wieder versuchen. Das schwor er sich. Er würde das Mittel nehmen, das sein Leibarzt ihm verschrieben hatte und das ihm helfen sollte seinen Mann zu stehen. Auch wenn dessen Medikamente ihm immer Schmerzen verursachten, es musste sein.
Er stand aus seinem Bett auf und entledigte sich der schweren Nachtgewänder, so dass er schließlich wirklich nur noch in Hemdsärmeln dastand. Sofort wurde ihm leichter ums Herz. Er war der König, er konnte schließlich selbst bestimmen, wie er schlafen wollte.
Ein wenig fröstelnd kroch er wieder unter die Bettdecke. Und tatsächlich schlief er jetzt ruhiger.
Im Schlaf sah er D'Artagnan an seinem Bett sitzen.
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"Wenn ich die Geschichte auch vergewaltigt habe, so habe ich ihr doch immerhin schöne Kinder gemacht"
- Alexandre Dumas -
"Mein König!", rief er, den Degen gezogen und bemüht, sich nach allen Seiten gleichzeitig nach dem vermeintlichen Angreifer umzusehen. "Komm raus, du Schuft!", rief er und riss den königlichen Kleiderschrank, der mit im Schlafzimmer stand, auf. Mit dem Degen in die Kleider pieksend tänzelte er ein bisschen davor herum, bevor er einsah, dass dort niemand war.
"Wo ist er, Majestät?", rief er hochkonzentriert und warf einen kurzen Blick zum Bett - und dann einen längeren. "Majestät?", fragte er etwas eindringlicher und ließ den Degen sinken. "Ist jemand hier?" Ludwig starrte D'Artagnan an wie eine Erscheinung. Er brauchte ein paar Sekunden um zu begreifen, dass das hier nichts mit seinem Traum zu tun hatte und ein paar weitere, um zu verstehen, was D'Artagnan hier bei Nacht in seinem Zimmer tat. NUr langsam wurde er etwas klarer und erinnerte sich, dass er D'Artagnan zu seinem Leibwächter gemacht hatte.
Die Unruhe, die nach diesen Träumen immer von ihm Besitz ergriff, ließ ihn trotzdem nicht los.
"D'Artagnan hier ist niemand" flüsterte er und seine Stimme hörte sich so an, als sei sie kurz davor zu versagen. "Ich ... ich habe nur geträumt." Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und versuchte die Erinnerungen an den Traum zu vertreiben. Jetzt stand D'Artagnan vor ihm, wie ein jugendlicher Racheengel und hatte noch immer das ganze Zimmer scharf im Blick, als traue er dem Frieden noch nicht so ganz über den Weg. Aber in Ludwigs Gedanken stürzte er wieder auf die Knie und schrie ... und dieser Gedanke trieb ihm einen Schauer nach dem Anderen über den Rücken.
"Oh D'Artagnan" flüsterte er erstickt. "Komm her. komm näher. Gib mir deine Hand..."
D'Artagnan warf noch einen sehr gründlichen Blick auf das scheinbar leere Zimmer, bevor er sich entspannte und ans Bett seines Königs trat, den Degen immer noch in der Hand. Er reichte ihm die Hand, wie der König es wünschte, aber er erschrak, als Ludwig sie nahm.
"Majestät!", rief er bestürzt. "Ihr zittert ja! War es ein schlimmer Traum?"
Er versuchte, in der Dunkelheit seinen König genauer zu betrachten, und selbst im Licht des Mondes, das durch die hohen Fenster hereinfiel, konnte er sehen, dass Ludwig blass und aufgelöst aussah. Ein wenig grimmig dachte er, dass selbst ein Leibwächter wohl keine bösen Träume aufhalten konnten, die sich nachts an ihm vorbeistahlen auf dem Weg zum Bett des Königs.
D'Artagnan legte seinen Degen beiseite und setzte sich dann unkompliziert an den äußersten Rand des Bettes. Seine Füße waren immer noch eiskalt, aber er merkte es nicht. Er hatte nur Augen für seinen König, und er war in diesem Moment sehr besorgt um ihn. Er hätte alles getan, damit es ihm besser ging.
"Ja, es war ein schlimmer Traum" flüsterte Ludwig. Er war froh, dass D'Artagnan neben ihm saß und am liebsten hätte er ihn gebeten bei ihm zu bleiben. Er glaubte sogar, dass D'Artagnan nichts dagegen gehabt hätte. Im Mondlicht konnte er erkennen, dass der Junge besorgt auf ihn herabsah.
Aber auch er hatte seinen Stolz. D'Artagnan sollte schließlich nicht das Gefühl bekommen, dass er sein Kindermädchen war.
Er richtete sich etwas im Bett auf und sah ihn eindringlich an. "Sprich zu niemandem davon" sagte er. "Das Volk könnte es als schlechtes Zeichen deuten, wenn es weiß, dass der König von Alpträumen geplagt wird. Ich vertraue dir D'Artagnan und ich bin froh, dass du so schnell gekommen bist. Aber jetzt leg dich schlafen. Du musst ausgeruht sein für die Reise, die bald auf uns wartet."
Er ließ D'Artagnans Hand los, sah ihn aber noch immer an. Es war lange lange her, dass jemand außer der Königin so an seinem Bett gesessen hatte. D'Artagnan nickte ernst. "Ich werde zu keinem ein Wort sagen." Nicht einmal zu seinen Freunden, das schwor er sich. Er war etwas erstaunt über die ganze Situation - der König von Alpträumen geplagt statt von Eindringlingen, und seine Hand hatte so gezittert... Zum ersten Mal kam es D'Artagnan in den Sinn, dass Ludwig schwach war - zumindest schwächer als er gedacht hatte. Er hatte ein strahlendes Bild von seinem König gehabt, ein beinahe übermächtiges, und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass auch ein König ein Mensch war. Und Ludwig war nur allzu menschlich.
Seltsamerweise bestärkte ihn dies nur in seiner Loyalität, statt ihn zu enttäuschen. Ludwig hatte so nur umso mehr Schutz nötig, und anscheinend brauchte wohl auch ein König jemanden, der nachts mal an seinem Bett saß, wenn er schlecht geträumt hatte.
Er lächelte ein bisschen und stand auf. "Es war ja nur ein Traum, Majestät", sagte er, seinen Degen vom Bett klaubend. "Kann ich noch irgend etwas für Euch tun? Wünscht Ihr etwas zu trinken, vielleicht?" Vielleicht wünschte sich Ludwig aber auch jemanden, mit dem er über den Traum reden konnte. "Oder - die Königin?", fügte er also hinzu.
"Nein!" sagte Ludwig und merkte gleich darauf, dass diese Antwort wahrscheinlich etwas zu schnell und zu heftig gekommen war. "Nein, ich möchte sie nicht mit so etwas belästigen und sie deswegen um ihre wohlverdiente Nachtruhe bringen" fügte er deswegen schnell hinzu. "Aber etwas zu trinken..." er wies auf den verzierten Wasserkrug der in einer Ecke des Zimmers auf einer prunkvollen Kommode stand und den danebenstehenden goldenen Becher. Er hatte wirklich Durst, aber er war auch froh, dass er nicht sofort wieder allein sein würde. Er glaubte nicht, dass er nach diesem Traum noch würde schlafen können.
Es war nicht der erste Traum dieser Art, den er gehabt hatte, auch wenn bislang noch niemals D'Artagnan in seinen Alpträumen vorgekommen war. Aber die rote Farbe war ihm mehr als bekannt.
Früher hatte er mit dem Kardinal darüber geredet und der war der Meinung gewesen, dass der Teufel dadurch versuchte von ihm Besitz zu ergreifen. Er schlich sich in seine Träume, um ihn zu beeinflussen. Jetzt, da Ludwig wusste, dass Richelieu derjenige gewesen war, der ihn beeinflusst hatte, musste er diese Theorie natürlich anzweifeln. Aber etwas mussten diese Träume bedeuten. Vielleicht wollte der Herr ihn dadurch für seine Unzulänglichkeiten bestrafen.
Er sah zu wie D'Artagnan vorsichtig Wasser in den Becher goss und erinnerte sich gequält daran, wie der Junge in seinem Traum von dem übermächtigen rot überwältigt worden war ... wie er geschrien hatte..
er würde büßen. Ja, das würde er tun. Gleich Morgen würde er beginnen zu fasten und er würde noch mehr Zeit auf das beten verwenden. Das war das einzige, was gegen seine Träume helfen konnte.
D'Artagnan balancierte den etwas zu vollen Wasserbecher zurück ans Bett des Königs und reichte ihn seinem Herrscher. Es war immer noch dunkel, und er konnte nicht gut erkennen, ob es Ludwig nun besser ging oder nicht. Er machte jedenfalls immer noch einen zittrigen und mitgenommenen Eindruck.
Er überlegte, wann er das letzte Mal schlecht geträumt hatte. Eigentlich träumte er immer ausnehmend gut, zu gut vielleicht schon beizeiten, und das selbst in nicht so rosigen Zeiten. Alpträume jedenfalls waren ihm fremd, wenn er gerade nicht so erfreuliche Dinge erlebte, träumte er einfach nichts.
"Träumt Ihr denn des öfteren so schlecht?", erkundigte er sich. "Vielleicht wollt Ihr einmal einen Arzt zu Rate ziehen!", schlug er optimistisch vor. Er war von der Sorte, die den Satz "Das kriegen wir schon wieder hin", von Geburt im Blut hat. Außerdem ertappte er sich dabei, dass er nach anderen Dingen suchte, die er vorschlagen konnte. Nicht unbedingt, weil er sich gut auskannte, sondern weil er seinen Aufenthalt in diesem Raum verlängern wollte. Er merkte, dass der Gedanke ihm gar nicht gefiel, seinen König jetzt allein zu lassen.
"Ich habe bereits meinen Leibarzt zu Rate gezogen" saget Ludwig und versuchte sich einen letzten Rest Würde zu bewahren, als er den übervollen Wasserkrug von D'Artagnan entgegennahm. "Er hat mir etwas verschrieben, aber es hat nichts geholfen." Nur mit Grausen erinnerte er sich an die furchtbar schmeckende Medizin, die sein Leibarzt ihm verordnet hatte. er hatte sich damit seinen ohnehin empfindlichen Magen verdorben und die Nacht noch unruhiger zugebracht. Geholfen hatte es überhaupt nicht. Andere Herrscher hätten den Leibarzt wahrscheinlich bestraft sofort entlassen, aber Ludwig scheute sich vor Konfrontationen und hatte seine Träume seitdem nicht mehr erwähnt.
"Dagegen hilft wahrscheinlich kein Mittel, dagegen kann mir nur Gott helfen." flüsterte er. "Aber mach dir keine Gedanken, D'Artagnan. Es kommt nur wegen den Geschehnissen der letzten Zeit. Wir standen kurz vor einem Krieg und ich ... oh D'Artagnan ich glaube ich habe mein Volk scher enttäuscht." Der letzte Satz kam ihm aus tiefstem Herzen und es war das erste Mal, dass er diese Befürchtung laut aussprach.
D'Artagnan setzte sich wieder an den Rand des Bettes - teils, weil er seine kalten Füße das erste Mal spürte, aber größtenteils, weil er Ludwig zeigen wollte, dass er Anteil nahm.
"Ihr habt ein starkes Volk", sagte er und griff unbedarft wieder nach der Hand des Königs; sie war ganz kalt. "Und ein kluges. Sie werden unterscheiden können zwischen den wahren Bösen und denen, die nur von ihnen im Netz von Lügen und Intrigen eingefangen wurden. Kardinal Richelieu wusste es ausgezeichnet, die Leute zu blenden und hinters Licht zu führen. Nicht nur Ihr seid ihm auf den Leim gegangen, nicht nur Ihr seid einem Irrtum unterlegen! Ich glaube, für das Volk zählt jetzt vor allem, dass Ihr alles unternehmt, damit es Frankreich gut geht. Dass Ihr Eurem Volk zeigt, dass es jetzt auf Euch zählen kann! Sie sehen immer noch zu Euch auf, dessen bin ich sicher, und sie erwarten Eure Schritte sicherlich mit großer Spannung und Aufmerksamkeit."
Er hatte leidenschaftlich gesprochen, und er hoffte, dass er seinem König verständlich hatte machen können, was er dachte. Er war so fest davon überzeugt, dass das Volk wie ein Mann hinter dem König stand, so wie er selbst es tat. Es war für ihn einfach unvorstellbar, dem König nicht treu zu sein. Einen Irrtum, so verheerend er auch fast gewesen war, musste man verzeihen können, denn irren war menschlich. Und Ludwig war ein sehr menschlicher König, das hatte D'Artagnan ja schon festgestellt.
Er sah ihn mit vor Leidenschaft brennenden Augen an. "Ihr werdet das wieder hinkriegen, Majestät. Ihr habt Euer Volk nicht verloren. Es wartet nur auf Euch!"
"Ich wünschte alle würden so denken wie du D'Artagnan" sagte Ludwig. "Aber du hast Recht. Es ist vor allem wichtig, was ich als nächstes tue. Und deswegen muss ich auf jeden Fall nach England reisen. Auch wenn es vielleicht gefährlich ist. Ich werde dafür sorgen, dass man mir wieder vertrauen kann. Zumindest du und die Musketiere habt immer hinter mir gestanden und ich werde euch meine Dankbarkeit dafür beweisen."
D'Artagnans Rede hatte ihm tatsächlich wieder etwas Mut gemacht. Wenn so ein tapferer, starker junger Mann an ihn glaubte ... auch jetzt noch, da er ihn in einer seiner dunkelsten Stunde gesehen hatte, vielleicht war es dann doch möglich, dass er ein Land stark regieren konnte.
Er brauchte Richelieu nicht. Richelieu hatte gewusst, dass er schwach war, und Ludwig ahtte immer geglaubt, dass er ihm helfen wollte. Aber in Wirklichkeit hatte er seine Schwäche ausgenutzt. Nie wieder würde ihm das passieren, das schwor er sich. Außer D'Artagnan würde niemand mehr erfahren, wie unsicher und verloren er sich hin und wieder fühlte. Aber einen Menschen brauchte er, der ihn so kannte wie er war und trotzdem zu ihm hielt. Er wusste nicht, warum er gerade D'Artagnan dazu gemacht hatte. Vielleicht weil er glaubte, dass der es niemals ausnutzen würde, dass er seine Schwachpunkte kannte.
Eine Sekunde lang sah er D'Artagnan mit einem Blick voller Hunger und Sehnsucht an. Dann ahtte er sich wieder unter Kontrolle. "Geh jetzt". sagte er, als müsse er sich selber dazu drängen das zu sagen. "Ich bin sicher ich werde jetzt ruhiger schlafen." Er zwang sich zu einem Lächeln. "Ich danke dir D'Artagnan."
D'Artagnan drückte zuversichtlich die Hand des Königs und stand dann auf. "Ich bin jederzeit für Euch da, Majestät. Ich wünsche Euch eine angenehme Nachtruhe und sanftere Träume", sagte er, verbeugte sich und drehte sich um. Einen kurzen Moment zögerte er, dann ging er durch die Verbindungstür zurück in sein Zimmer. Ludwig hatte etwas besser geklungen, aber D'Artagnan wurde seine Sorgen dennoch nicht los. Nachdenklich legte er sich ins Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Vielleicht beinhaltete der Posten des Leibwächters doch noch andere Aufgaben als er erwartet hatte. Er wollte noch nicht soweit gehen, sich als des Königs persönlicher Vertrauter zu bezeichnen, aber das Vertrauen, das dieser ihm gerade entgegengebracht hatte, gab ihm schon ein ganz besonderes Gefühl. Allerdings hatte er sich trotzdem nicht ganz frei heraus zu sprechen gewagt, denn dann hätte er dem König nahegelegt, sich nicht nur intensiv um die Staatsgeschäfte zu kümmern, sondern auch um Nachwuchs. Er war zwar kein Politiker, aber er konnte sich dennoch denken, dass gerade so eine Nachricht dem Volk jetzt sehr willkommen gewesen wäre und Ludwig wieder in ein besseres Licht gestellt hätte.
Aber er wollte sich auch nicht zu sehr einmischen. Er war neu bei Hofe, und sicher gab es genügend Leute, die dem König raten konnten, was jetzt für sein Image das beste war.
D'Artagnan drehte sich auf die Seite, so dass er zum Fenster sehen konnte, und gähnte. Der Tag und die Nacht waren äußerst ereignisreich und aufregend gewesen, aber seine Gedanken, die unaufhörlich um König Ludwig kreisten, hielten ihn noch eine Weile wach. Das letzte, woran er dachte, bevor er einschlief, war der Wunsch, dass sein König nebenan mittlerweile wieder gut schlafen und ebenso gut träumen möge.
Ludwig lag wach in seinem Bett, aber seine Gedanken waren D'Artagnan aus dem Zimmer gefolgt. Er sah auf die Tür, die sich hinter seinem jungen Leibwächter geschlossen hatte.
Er fühlte sich wirklich besser, aber immer noch war er innerlich aufgewühlt. Allerdings war es nicht mehr nur Verzweiflung und Hilflosigkeit, die er fühlte. Irgendwo dahinter war noch etwas anderes, das ihm aber nicht weniger Angst machte.
"Oh Herr, warum kannst du mich nicht von meinem Mensch-Sein erlösen?" flüsterte er. "Es ist mir als König nur im Wege. Erlöse mich doch davon, meinem Volk zuliebe."
Was hätte er alles dafür gegeben, um stärker zu sein. Um das tun zu können, was von ihm erwartet wurde. Mit brennenden Augen sah er zu der Tür, die zu den Gemächern der Königin führte. Er wusste was er tun musste, um das Vertrauen des Volkes wiederzugewinnen und um ihnen Hoffnung zu geben. Es konnte doch nicht unmöglich sein...
Morgen. Morgen würde er es wieder versuchen. Das schwor er sich. Er würde das Mittel nehmen, das sein Leibarzt ihm verschrieben hatte und das ihm helfen sollte seinen Mann zu stehen. Auch wenn dessen Medikamente ihm immer Schmerzen verursachten, es musste sein.
Er stand aus seinem Bett auf und entledigte sich der schweren Nachtgewänder, so dass er schließlich wirklich nur noch in Hemdsärmeln dastand. Sofort wurde ihm leichter ums Herz. Er war der König, er konnte schließlich selbst bestimmen, wie er schlafen wollte.
Ein wenig fröstelnd kroch er wieder unter die Bettdecke. Und tatsächlich schlief er jetzt ruhiger.
Im Schlaf sah er D'Artagnan an seinem Bett sitzen.
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"Wenn ich die Geschichte auch vergewaltigt habe, so habe ich ihr doch immerhin schöne Kinder gemacht"
- Alexandre Dumas -