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Das Mordkomplott

von Heike
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
Aramis Athos Graf Rochefort Porthos
26.11.2005
21.07.2006
7
29.454
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26.11.2005 4.877
 
Einige Tage nach dem misslungenen Mordkomplott hatte der König von Frankreich sein Versprechen gegenüber dem Musketierkorps eingelöst. Neben einer Solderhöhung, die von den Musketieren mit viel Jubel und noch mehr Hochrufen quittiert worden war, gab es nun an diesem wunderschönen, sonnigen Tag Ende Mai eine weitere Überraschung: Zur Ausschmückung des Hauptquartiers hatte Henri IV. der Mannschaft ein Banner geschenkt, mit dem Wappen der Musketiere.
Ein paar Musketiere, darunter auch Porthos, trugen in diesem Moment das augenscheinlich sehr schwere Banner in den großen Saal des Hauptquartieres, in dem zu diesem Zeitpunkt sehr viele Musketiere weilten, da sich niemand entgehen lassen wollte, zu sehen, wie das Banner befestigt wurde. Der Platz war schon geklärt worden: Über dem Kamin, damit es jedem, der eintrat, sofort ins Auge fiel. Leider gab es im Moment keinen würdigen Repräsentanten, denn Seine Majestät hatte selbstverständlich keine Zeit und Monsieur de Tréville war in seinem Arbeitszimmer und hatte eine Besprechung mit dem Grafen de Rochefort.
So mussten die tapferen Musketiere allein ihr Banner anbringen, doch da sie unter sich waren, geschah dies in sehr ungezwungener Lautstärke und mit allen möglichen Scherzen, die man sich in der Gegenwart eines hochrangigen Vertreters der Krone wohl nicht auszusprechen getraut hätte.
Porthos, wiewohl noch ein junger Musketier, hatte in diesem Fall die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und unterhielt die Kameraden, indem er ihnen die Beschwerlichkeiten aufzählte, die er und seine Mitträger beim Transport der riesigen Stoffrolle gehabt hatten. Dies amüsierte die anwesenden Musketiere natürlich sehr und sie rühmten seine Tapferkeit, die ihm wohl geholfen hatte, diese Widerwärtigkeiten zu ertragen.
"Was wollt Ihr?" prahlte Porthos, während er mit den anderen das zusammengerollte Banner zum Kamin trug. "Für unser Korps geben wir doch alles, oder? Immerhin ist es eine Ehre, hier dienen zu dürfen." Sie waren vor dem Kamin angekommen und legten das Banner davor ab. Porthos richtete sich wieder auf, streckte sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Das ist uns gut gelungen!" lobte er sich wohlgemut selbst. "Aber wie befestigen wir es jetzt dort?" Prüfend schaute er zum Kamin hoch, der mehr als mannshoch war.
Sein Freund Athos, der etwas hinter den Umstehenden gestanden hatte, trat vor und wies auf die schmückenden Elemente über dem Kamin, der in fast klassisch griechischem Stil gebaut war. "Daran kann man es sicher befestigen", sagte er mit seiner etwas rauen Stimme, wie sie Menschen zu eigen ist, die viel schweigen. "Dann sieht man noch das große Wappen dort und darunter nocheinmal das gleiche im Stoff."
"Ja, so müsste es gehen." Porthos überlegte einen Moment, sah sich prüfend im Saal um und stellte dann fest: "Wir brauchen zwei Stühle." Er half selbst mit, Zwei heranzuholen und stieg dann sofort auf den Einen. "Wer will noch die Ehre haben, das Banner aufzuhängen?"
Für einen Augenblick schien es, als wolle sich das ganze Korps auf den zweiten Stuhl stürzen wollen, doch dann war es Monsieur de Jambert, der hervortrat. "Ich möchte es tun, wenn Ihr gestattet."
"Ach, was habe ich darüber zu bestimmen!" Porthos beugte sich auf seinem Stuhl etwas nach unten, wodurch ihm sein buntes Kopftuch ins Gesicht fiel. Ein Musketier trat rasch heran und hob ihm das Banner entgegen. Porthos dankte mit einem breiten Lächeln, sein Gesicht drückte helle Freude darüber aus, dass er das Banner anhängen durfte. Monsieur de Jambert war nun auch so weit und gemeinsam hoben sie das Banner hoch, das sich entrollte und nun zum ersten Mal in seiner ganzen Pracht zeigte.
"Es ist wunderbar!" rief Aramis begeistert aus. "Wir werden Seiner Majestät nie genug danken können."
"Das glaube ich wohl", bestätigte Athos und trat an den Kamin, um den schweren Stoff von unten etwas zu stützen, damit Porthos und Monsieur de Jambert ihn besser anbinden konnten. "Eigentlich wäre es wohl an Monsieur d'Artagnan, diese Aufgabe zu übernehmen, immerhin ist er derjenige, der das Komplott entdeckt hat."
"D'Artagnan hat Dienst", erwiderte ein Musketier mit blasser Gesichtsfarbe. "Seine Majestät will ihn wohl gar nicht mehr von sich lassen. Aber eigentlich dachte ich, er müsse seinen Dienst bald beendet haben."
Porthos und Monsieur de Jambert hatten indes das Banner mit den sehr langen, dicken Schnüren, die am Banner angenäht waren, über dem Kamin befestigt und warteten nun gespannt auf das Urteil ihrer Kameraden.
"Es hängt schief", kam sofort die messerscharfe Kritik von Aramis, was bei einigen Musketieren Gelächter auslöste. Porthos schnaubte und löste seinen komplizierten Knoten, um ein bisschen an dem Seil zu ziehen. "So besser?" fragte er. Aramis nickte zufrieden und Porthos zurrte das Seil fest. Dann stiegen er und Monsieur de Jambert von ihren Stühlen, schoben sie beiseite und betrachteten liebevoll und stolz ihr Werk. Porthos wandte sich an seine Kameraden und rief, dass der Saal erschüttert wurde: "Ein Hoch auf Seine Majestät, unsern geliebten König!"
"Hoch! Hoch! Hoch!" brüllte die ganze Mannschaft im Chor.
Porthos wiederholte seine Aufforderung. Alle Musketiere jubelten und unbemerkt in dem Lärm öffnete sich die Tür zum Arbeitszimmer Monsieur de Trévilles. Heraus trat Rochefort, blass, mit einer schwarzen Augenklappe, darunter die Narbe noch auffallend rot leuchtete und in seiner Musketieruniform. In der rechten Hand trug er seinen schwarzen Hut. Er war erst gestern aus seinem Krankenzimmer im Hauptquartier entlassen worden und hatte die letzte Nacht zu Hause verbracht. Dort hatte er sich selbst wieder auf Vordermann gebracht, er war sorgfältigst rasiert und bei seinem Hauptmann dann am nächsten Tag, also heute, in voller Montur erschienen, mit Waffenrock und natürlich dem unumgänglichen, reich verzierten Degen. Doch auch diese Ausstattung konnte nicht verbergen, dass er, der er ohnehin sehr dünn gewesen war, abgemagert war und sein Gesicht hager wirkte.
Er trat in den Hauptsaal, was kaum einer der Musketiere mitbekam, da sie alle noch immer mit lauten Hochrufen dem König huldigten.
Schließlich bemerkten die Musketiere, die etwas weiter entfernt von dem Kamin und Porthos standen, Rochefort und traten vor ihm beiseite, eine Gasse bildend. Sie alle hatten ihn seit dem Tage, wo er sich mit d'Artagnan duelliert hatte, nicht mehr gesehen, außer Monsieur de Jambert, doch danach hatte sich der Graf alle weiteren Besuche verbeten. Seine Kameraden waren nun etwas unsicher, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten, da er nicht im mindesten so aussah, als würde es ihm gut gehen. Kaum einer wagte es, ihn anzusehen, zumal er mit der neuen schwarzen Augenklappe sehr fremd wirkte. Rocheforts Miene wurde bei dem Anblick der Musketiere, die alle nicht wussten, wo sie hinblicken sollten, verschlossener und finsterer denn je.
Porthos, der während der Hochrufe wieder auf den Stuhl gesprungen war, damit man ihn besser sehen konnte, sprang herunter und sah etwas betreten aus, als fürchtete er, Rochefort könne der Lärm unangenehm gewesen sein. Aramis hingegen ging auf Rochefort zu, der etwas überrascht in der Bewegung innehielt, als er den jüngeren Musketier wahrnahm.
"Monsieur le comte", Aramis neigte höflich den Kopf. "Wie geht es Euch?"
"Danke der Nachfrage", entgegnete Rochefort ohne Freundlichkeit. "Darf ich fragen, was das da-" er wies mit dem Kinn in Richtung Banner- "sein soll?"
Aramis sah ihn erstaunt an. "Hat Euch Monsieur de Tréville nichts davon gesagt? Es ist ein neues Banner von Seiner Majestät, zum Dank für die Verhinderung am Mordkomplott."
Nun war es an Rochefort, erstaunt auszusehen. "Wie bitte? Ich verstehe kein Wort."
Bei den letzten Sätzen war an der offenstehenden Tür des Hauptquartiers d'Artagnan erschienen, der erst hatte eintreten wollen, doch nun, da er Rochefort gesehen hatte, an der doppelflügeligen Tür stehenblieb. Niemand bemerkte ihn.
"Aber Ihr wart doch eben beim Hauptmann..."
Rochefort verzog spöttisch die Mundwinkel. "Der Hauptmann und ich haben uns nur über die Strafe unterhalten, die ich seiner Meinung nach bekommen muss. Etwas anderes hat er mir nicht mitgeteilt."
Etwas unangenehm berührt sahen sich die Musketiere verstohlen an. Sie schätzten den Ton nicht, in dem Rochefort von ihrem geliebten Kapitän sprach- doch andererseits dünkte es ihnen etwas hart, dass er noch einmal dafür büßen musste, dass er sich geschlagen hatte, da er doch schon durch den Verlust des linken Auges genug geschädigt war. D'Artagnan war von allen Strafen befreit worden, nachdem er das Mordkomplott hatte aufdecken können, wie sie an diesem Morgen beim Appell erfahren hatten.
Aramis räusperte sich etwas verlegen. "Tja, nun, da Ihr es offensichtlich noch nicht wisst... Es gab ein Mordkomplott gegen den König und d'Artagnan hat es aufgeklärt und zu verhindern gewusst."
Rochefort zuckte deutlich sichtbar zusammen. "Was?" fragte er heiser. "D'Artagnan...? Er hat es aufgeklärt? Wann? Warum?"
"An dem Tag, als Ihr Euch mit ihm geschlagen habt..." Aramis sah verwundert in Rocheforts Gesicht, das noch blasser als vorher wirkte, wenn das überhaupt möglich war.
Rochefort schüttelte den Kopf, als könne er es nicht fassen und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch ohne dass dies geschah, wandte er sich plötzlich um und lief an den anderen vorbei rasch nach draußen, wo er die Tür hinter sich zuschlug.
Er war eben im Begriff, die Treppe herunterzusteigen, als ihn eine Stimme zusammenfahren ließ.
"Wohin so eilig?" D'Artagnan, der rasch beiseite getreten war, als er Rochefort hatte zum Ausgang kommen sehen, lehnte an der Mauer, den Hut tief in die Stirn gezogen und die Arme vor der Brust verschränkt. Auf dem Treppenabsatz drehte Rochefort sich um und sah sich seinem Feind gegenüber.
Dieser löste sich von der Wand um an ihn heranzutreten und packte ihn grob am Ärmel.
"Lasst Euch einmal ansehen, Monsieur Einauge." Beinahe genüsslich ließ d'Artagnan seinen Blick auf Rocheforts blassen Gesicht ruhen. Dieser sah zur Seite. D'Artagnan trat noch näher an Rochefort heran, ohne ihn loszulassen. "Ihr bedauert wohl sehr, dass Ihr zu lange ohnmächtig wart, um mich daran zu hindern, das Komplott aufzudecken..." sagte er sehr leise und den Mund nahe an Rocheforts Ohr. "Wisst Ihr, was ich glaube, Rochefort? Dass Ihr an dem Komplott gar nicht so unschuldig seid-" Rochefort starrte d'Artagnan entsetzt an, ohne ein Wort hervor zu bringen.
"Seht Ihr", fuhr der Leibwächter Seiner Majestät fort, "ich habe Euch nie für so königstreu gehalten, wie Ihr immer wieder betont habt. Eure Überraschung da drin lässt einem fast die Überzeugung aufkommen, dass Ihr bedauert, dass es mit dem Komplott nicht so recht gelungen ist."
Rochefort schüttelte leicht den Kopf, als wolle er abstreiten, was d'Artagnan sagte, doch dieser packte ihn am Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen. "Ich wusste immer", sagte er wieder mit gedämpfter Stimme, "das mein Misstrauen gegen Euch gerechtfertigt ist. Leider habe ich unseren Hauptmann nie davon überzeugen können." Abrupt ließ er ihn los und riss ihm ohne Vorwarnung die Musketieruniform vom Leib. "Ihr seid ein Verräter und ein erbärmlicher Edelmann!" Mit diesen Worten knüllte er die Uniform zusammen und stopfte sie Rochefort in die Hände, der unbewusst nach dem Stoff griff, aber noch immer kein Wort hervorbrachte und nur fassungslos d'Artagnan ansah.
"Und sowas will Musketier sein", sagte d'Artagnan verächtlich. Mit diesen Worten wandte er sich ab und öffnete die Tür zum Hauptquartier, um in den Saal einzutreten.
Rochefort blieb für einen Moment bewegungslos auf dem Treppenabsatz stehen und ging dann langsam, wie betäubt nach unten zu den Ställen, um nach Hause zu reiten.

~*~*~*~


Zur Nachtzeit gab es in Paris nicht viele Menschen, die sich noch draußen aufhielten. Die Stadt an der Seine war bei Nacht ein gefährlicher Ort, und viele der engen Straßen und Gassen boten Versteckmöglichkeiten für die vielen Beutel- oder Halsabschneider, die sich bei Tage wohl auf dem "Hof der Wunder" verborgen hielten. Wer also spätabends seine schützende Wohnung verließ, musste dazu gute Gründe haben.
Monsieur de Jounieux hatte solch einen Grund. Ein Auftrag Seiner Eminenz schickte ihn in eine Pariser Gegend, die nicht unbedingt zu den beliebtesten zählte, und dort in das Wirtshaus "Zum Goldenen Apfel". Der Edelmann, mit Degen, Dolch und Pistole bewaffnet, erreichte unter ständigen Umsehen unbeschadet dieses Gasthaus, das ebenfalls nicht eben den besten Ruf genoss. Vor der Tür blieb er einen Moment stehen, sah die vollkommen dunkle Straße auf und ab, seufzte unterdrückt, rückte sein Wams zurecht und ging rasch, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrzunehmen glaubte, hinein. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und der Agent kniff die Augen zusammen. Eine Dunstwolke von Bier und Männerschweiß schlug ihm entgegen. Es war sehr voll, stickig und verräuchert und Monsieur de Jounieux stellte fest, dass sich anscheinend vor allem Arbeiter hier aufhielten und den Tag mit Strömen von Bier, Wein und Schnaps beendeten. Überall vor sich sah der Edelmann Männerleiber, die entweder krumm auf Stühlen hockten oder sich miteinander prügelten oder am Schanktisch lehnten. Jemand stieß ihn von der Seite her an und er erblickte ein Mädchen mit wirrem Haar und einem schmutzigen Gesicht. Das Mädchen ergriff seinen Arm. "Kommt mit mir, Monsieur", sagte sie mit heiserer Stimme und schmiegte sich an ihn. Durch den dünnen Stoff fühlte der Edelmann den abgemagerten Körper der jungen Frau und ein Schaudern ergriff ihn. "Lasst Euch treiben!", hauchte sie ihm ins Ohr und versuchte, ihn fort zu ziehen.
"Nein!" Abwehrend schüttelte Jouonieux den Kopf und riss sich los. Er fühlte sich wie in einem alles verschlingenden Sog und ging rasch vorwärts, an Männern vorbei, die unwillig knurrten oder versuchten, ihn fest zu halten, weil sie sich von ihm beleidigt fühlten, wenn er sie versehentlich berührte. Als sich der Edelmann durch ein paar Männer hindurch schieben musste, fühlte er sich einer Ohnmacht nahe, da entsetzlicher Geruch von ihnen ausging. Doch endlich kam er in den hinteren Teil des Schankraumes und das Gedränge war nicht mehr allzu heftig. Hinter ihm begann einer der Männer grölend zu singen, während die anderen anfingen, in die Hände zu klatschen. Monsieur de Jounieux sah sich um. An den Tischen hier saßen vor allem kartenspielende Männer, nur in einer Ecke sangen zwei Männer an einem Tisch, wo auch eine junge Frau saßen. Keiner der Männer sah nach dem aus, den Monsieur de Jounieux zu suchen beauftragt war und er fragte sich schon, ob er umkehren sollte. Immerhin suchte er keinen Arbeiter, sondern einen Musketier, doch eine blaue Uniform sah er nirgends. Er wollte sich schon wieder umwenden, als er an der Seite einen Mann bemerkte, der auf einer Bank an der Wand vor einem Tisch saß. Monsieur de Jounieux blinzelte und versuchte, den Mann besser zu erkennen. Eine Uniform sah er nicht, aber der Edelmann hatte dunkle Haare und anscheinend auch eine Augenklappe. Zögernd ging der Agent des Kardinals näher heran, um mehr Einzelheiten erkennen zu können. Der Mann auf der Bank sah nicht auf, sondern starrte nur in einen Becher vor sich, der mit Wein gefüllt war. Auf dem Tisch stand eine Weinflasche, die nur noch zu etwa einem Drittel gefüllt war.
Monsieur de Jounieux ging auf den Tisch zu und blieb dann davor stehen. "Ist es erlaubt, hier Platz zu nehmen?", fragte er laut, um das Gegröle hinter sich zu übertönen.Nach einem Moment sah der Mann auf und starrte den Agenten vollkommen gleichgültig an. Dann nickte er zu dem Stuhl an der linken Tischseite und stellte die Weinflasche beiseite. Monsieur de Jounieux ließ sich auf den Stuhl nieder, nachdem er sich mit einem kurzen Blick überzeugt hatte, dass dieser einigermaßen sauber war. Dann richtete er seinen Blick auf den Mann, der immer noch zusammengesunken am Tisch saß, nun allerdings langsam den Becher in der Hand drehte. Neben ihm auf der Bank lag ein schwarzer Hut und am Tisch lehnte ein Degen. Hinter dem Hut erkannte Jounieux ein unförmiges, blaues Stoffbündel. Er lächelte erfreut und bewunderte den Scharfsinn des Kardinals.
"Ihr seid Musketier?" fragte er. Ruckartig hob der Mann den Kopf und sah ihn überrascht an.
Jounieux nickte zu dem zusammengeknüllten Stoff hin. "Ist es nicht Eure Uniform?", fragte er scheinbar erstaunt.
Der schon halb Betrunkene hob seinen Becher und murmelte, bevor er ihn an die Lippen setzte, ein undeutliches "Doch".
"Gefährliche Arbeit, oder?", fragte Monsieur de Jounieux.
Der Musketier schnaubte verächtlich.
Jounieux ließ sich durch die abweisenden Reaktionen nicht einschüchtern. "Darf ich Euch einladen?"
Vorsichtig stellte der Musketier den Becher ab und sah den Edelmann prüfend an, als wolle er ergründen, was dieser vorhatte. Jounieux deutete ein schwaches Lächeln an und sagte: "Wenn es Euch sehr lästig ist, setze ich mich woanders hin. Aber ich dachte, es trinkt sich allein vielleicht schlecht."
Der Musketier zuckte mit den Schultern und nickte. Jounieux machte einem der Mädchen ein Zeichen und dieses brachte schnell zwei Flaschen Wein und einen Becher für ihn.
Monsieur de Jounieux goss dem Musketier und sich selbst ein und hob dann seinen Becher. "Mein Name ist Albert de Jounieux."
"Comte de Rochefort", antwortete der Musketier kurz und stieß mit ihm an. Jounieux nickte wieder zufrieden.
"Wie ist es so, Musketier zu sein? Anstrengend?" Der Agent wusste, worauf es für ihn ankam. Seine Aufgabe war, herauszufinden, was dieser Musketier für ein Mensch war, seine Schwachstellen, seine Stärken. Und so ließ er kaum den Blick von seinem Gegenüber.
Rochefort schüttelte den Kopf.
"Aber gefährlich, oder?" Der Edelmann suchte den Blick des Musketiers und dieser sah tatsächlich auf. Monsieur de Jounieux musterte die Augenklappe. Rochefort verzog die Mundwinkel. "Ein Unfall", sagte er heiser.
"Kein Duell?"
"Doch..."
Monsieur de Jounieux bemerkte trotz des schlechten Lichtes die noch frische Narbe unter der Augenklappe. Da jedoch der Musketier nicht gewillt zu sein schien, die Unterhaltung von sich aus in Gang zu halten, zuckte Monsieur de Jounieux die Schultern und zog eine Pfeife hervor, die er stopfte und mithilfe einer Kerze, die auf dem Nebentisch stand, in Brand setzte. Er rauchte eine Weile still vor sich hin, während Rochefort sich erneut mit leicht zitternder Hand eingoss und langsam den Becher leerte.
"Habt Ihr von dem Mordkomplkott gehört?", fragte Monsieur de Jounieux plötzlich. Rochefort zuckte zusammen.
"Schlimme Sache, nicht wahr? Seine Majestät kann von Glück sagen, dass er es überlebt hat. Man sagt, ein Musketier habe ihm das Leben gerettet?"
Rochefort nickte wieder, bemühte sich aber dieses Mal um eine längere Antwort. "Ein Musketier hat von dem Mordkomplott erfahren und konnte es verhindern", sagte er mit rauer Stimme.
"Und man ist stolz auf den Kameraden?"
Rochefort schnaubte. "Ich hatte kaum mit ihm zu tun. Er ist nicht eben... Wir waren nicht befreundet' oder so etwas."
"Man sagt doch, bei den Musketieren sind alle miteinander befreundet?"
"Sagt man das?", fragte Rochefort spöttisch zurück. "Wie überall gibt es auch bei uns Reibereien. Nicht jeder ist mit jedem befreundet."
"Aber Einer für alle und alle für einen' gilt doch immer, nicht wahr?"
"Nun ja, fast immer..." Rochefort griff erneut nach der Flasche.
Monsieur de Jounieux tat, als überhöre er dies. "Solche Kameradschaft ist löblich. Wird der Held nicht gefeiert?"
"Ich weiß es nicht, Monsieur."
"Ich hätte gedacht, Ihr wartet hier auf Eure Kameraden."
"Kaum einer der Musketiere kommt hierher."
Monsieur de Jounieux schwieg einen Moment. Rochefort atmete tief durch und setzte sich etwas aufrechter hin. Der Agent hörte jetzt wieder mehr auf den Lärm in dem Gasthaus, die Stimmung wurde äußerst feuchtfröhlich. An dem Tisch mit den zwei Männern und der Frau auf der gegenüberliegenden Seite des Schankraumes begann der eine Mann, auf einer Laute zu spielen und mit sehr wohlklingender Stimme zu singen. Ein Mann weiter vorn bedrängte eines der Mädchen, die den Wein an die Tische brachten, doch dieses wusste sich recht gekonnt zur Wehr zu setzen. Der Mann ließ schließlich von ihr ab und sie kam an den Tisch von Monsieur de Jounieux und Rochefort und beugte sich zu den beiden Männern vor. Sie hatte lange, blonde Haare, die ihr offen über den ganzen Rücken fielen. "Noch Wein?", fragte sie laut, um den Lärm der Männer im vorderen Teil des Schankraumes zu übertönen.
Monsieur de Jounieux nickte und sie nahm die bereits leere Weinflasche vor Rochefort mit. Dieser sah nicht einmal auf. Monsieur de Jounieux nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, um sie wieder zum Brennen zu kriegen und stieß den Rauch genüsslich aus. Rochefort wedelte kurz mit der Hand, als wolle er den Rauch verscheuchen.
"Stört es Euch?" Monsieur de Jounieux machte Anstalten, die Pfeife zu löschen.
"Nein, nein. Es macht mir nichts aus." Rochefort räusperte sich.
Das Mädchen kam erneut und stellte den Wein vor ihm ab. Rochefort schob ihr ein Geldstück in die Hand und sah ihr einen Moment hinterher, als sie ging. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit allerdings wieder dem Wein zu.
"Ein hübsches Ding, nicht?", fragte Monsieur de Jounieux, dem nichts davon entgangen war.
Rochefort lächelte schwach, antwortete aber nicht, sondern sank wieder etwas in sich zusammen.
Dem Agenten des Kardinals fiel deutlich auf, dass der Wein dem Musketier inzwischen einigermaßen zusetzte, er konnte sich kaum mehr aufrecht halten.
"Hat Seine Majestät es den Musketieren gedankt, dass sie ihn gerettet haben?"
"Es gab eine Solderhöhung", antwortete Rochefort sehr langsam und deutlich.
Monsieur de Jounieux goss sich wieder Wein ein und hob den Becher. "Hoffen wir, dass so etwas nie wieder vorkommt. Lang lebe der König!"
Rochefort zögerte einen kleinen Moment, hob dann jedoch ebenfalls seinen Becher. "Lang lebe der König." Sie tranken beide einen Schluck und Rochefort wischte sich über den Mund.
"Ihr seid schon lange Musketier?"
"Seit mehreren Jahren."
"Wird der Dienst nicht eintönig? Jahrelang das Gleiche?"
"Nicht, wenn es das ist, was man sich immer gewünscht hat."
"Aber wollt Ihr nicht Leutnant oder gar Hauptmann werden?"
Rochefort schüttelte den Kopf und sagte leise: "Das ist wohl nicht mehr möglich."
"Warum nicht?" Monsieur de Jounieux bemühte sich, vollkommen gelassen zu bleiben. Jetzt wurde dieses Gespräch für ihn interessant.
Bei dem Musketier tat der Wein seine Wirkung, sodass er sich recht gesprächig zeigte. "Ich hatte ein Duell mit einem Musketier. Eben mit dem Musketier, der den König vor dem Attentat bewahrt hat."
"Oh", sagte Jounieux und zeigte einige Betroffenheit. "Und wann?"
"Vor kurzem", antwortete Rochefort, wobei seine Stimme durch den Weingenuss immer heiserer wurde. "Das macht natürlich einen schlechten Eindruck. Als ob ich den Musketier umbringen wollte, der den König gerettet hat." Er lachte höhnisch auf, als sei dies ein komischer Umstand.
"Und jetzt?"
"Jetzt könnte ich die ganze Welt umbringen, Monsieur", antwortete Rochefort hart und mit einem spöttischen Lächeln. "Und zu allererst diesen Musketier, der mir das hier beigebracht hat." Er strich sich über die Augenklappe.
Tja, dachte Monsieur de Jounieux. Das nennt man dann wohl eine Verkettung unglücklicher Umstände.
"Und, werdet Ihr es tun?"
"Ihn umbringen? Wer weiß..."
An einem Nebentisch fiel ein Mann von seinem Stuhl zu Boden. Ein anderer beugte sich zu ihm herunter und half ihm wieder auf, um ihn aus dem Gasthaus zu tragen. Die anderen Männer in der Nähe bemerkten es kaum.
"Weiß der König davon? Von Euch? Und von dem Duell?"
"Seine Majestät hat andere Dinge zu erledigen. Außerdem ist das Sache der Kompanie. Und ich werde dem König immer dienen." Wie zur Bekräftigung seiner Worte setze Rochefort das Glas an die Lippen. Als sei ihm ein Gedanke gekommen, sah er danach Monsieur de Jounieux an. "Für wen arbeitet Ihr eigentlich?"
"Für den König, wie wir alle", sagte Jounieux lächelnd. "Mein direkter Herr ist allerdings nicht der König, sondern jemand anders. So etwa, wie Ihr ja auch ein Untergebener Monsieur de Trévilles seid."
Rochefort nickte. "Und, seid Ihr zufrieden?"
"Ich bin sehr glücklich. Bei meinem Herrn kann jeder das leisten, was er wirklich kann."
Der Musketier sah gedankenverloren vor sich hin und sagte plötzlich wieder sehr langsam: "Vergesst, was ich vorhin über meinen Kameraden gesagt habe. Es ist nicht richtig gewesen."
Monsieur de Jounieux lächelte noch immer. "Es kommt oft vor, dass Dinge geschehen, die man gar nicht wollte oder man Dinge sagt, die man hinterher bereut. Wenn Ihr es wünscht, werde ich alles vergessen. Abe ich hoffe, dass Ihr nicht vergesst, was ich Euch gesagt habe."
Rochefort sah ihn erstaunt an, trank den Becher leer und griff mit noch immer zitternden Händen nach der Weinflasche. Monsieur de Jounieux war ihm beim Einschenken behilflich und beobachtete, wie der Musketier das Glas seltsam lässig ansetzte, es fallen ließ und dann langsam vornüber kippte.
Mit leicht angewiderten Gesichtsausdruck erhob sich der Edelmann und klopfte seine Pfeife aus. "Soldaten...", murmelte er leise. "Heda, Wirt!", rief er dann in Richtung Schanktisch, wo ein junger Mann Gläser polierte. " Bringt diesen Mann irgendwohin, wo er seinen Rausch ausschlafen kann. Und weckt ihn morgen pünktlich, er muss zum Dienst."
Mit diesen Worten verließ Monsieur de Jounieux, nachdem er selbst die Rechnung bezahlt hatte, hochzufrieden mit sich selbst und dem erfüllten Auftrag den "Goldenen Apfel".
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