Der dunkle Gott
von Dana Brandt
Kurzbeschreibung
Der dunkle Gott: Ein Relikt aus unbekannter Zeit erweist sich als Sitz einer furchtbaren Gottheit. Durch alle Zeiten verfolgt es zwei Menschen, die sich ihm zum ersten Mal seiner Existenz widersetzt haben. Das Spiel beginnt.../ Ein kleines Abenteuer: dieselben Figuren, jedoch keine Geschichte des "Kanons"
GeschichteMystery / P16 / Gen
29.07.2005
19.11.2011
2
10.097
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29.07.2005
2.307
Autoren: Neko & She Seya
E-Mail: sumeragi_subarukun@yahoo.de & sheseya@yahoo.de
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"Du musst in die Vertiefung treten, dann den Zaun hoch. Wenn du dich am untersten Ast festhältst, dann dürftest du dich eigentlich hochziehen können", meinte Peter. Sein Blick streifte begehrlich die roten Früchte über ihren Köpfen. Dieser rohe, grob gehobelte Zaun hielt sie davon, seinen Stamm zu erklimmen.
"Und warum muss ich das schon wieder machen?", maulte Cedric und musterte den Zaun kritisch. Wenn man nicht vorsichtig war, konnte man sich ganz schnell ein halbes Dutzend Splitter in der Hand zuziehen. Und an sein letztes Abenteuer dieser Art erinnerten immer noch ein paar Pflaster am Arm.
"Du bist ein Tollpatsch", schimpfte Peter. Er zog Cedric zur Seite und kletterte selbst hinauf. Tatsächlich erreichte er den untersten Ast und zog sich daran hoch. "Komm schon, du Feigling", zog er seinen Freund auf. "Du Hasenfuß!"
"Gar nicht!", verteidigte Cedric sich und folgte Peter mit einer Flinkheit, die ihm sein Freund sonst nicht zugetraut hätte, weil er in der Regel zu faul für derartige Anstrengungen war. "Ich habe nur wieder keine Lust auf Schimpfe und blaue Flecken."
Die überreifen Kirschen, die nun direkt vor seiner Nase baumelten, stimmten Cedric jedoch sofort milder.
"Er ist nicht da. Ich habe den ganzen Tag das Haus beobachtet." Peter grinste frech und schob sich die ersten Kirschen in den Mund.
"Hattest du sonst nichts zu tun?" Cedric angelte sich ebenfalls ein paar Kirschen und stopfte sie sich in den Mund. Die nächsten zwei, noch am Stiel zusammenhängend, kamen als Reserve über das Ohr.
"Klar! Was denn sonst? Ich muss hier immer die Zeitung austragen. Ist mein Gebiet, daher weiß ich alles!", informierte ihn Peter und legte sich einen Moment später mit einer Amsel an, die ihm eine Kirsche vor der Nase wegklauen wollte.
Cedric grinste und streckte den Arm nach ein paar hoher hängenden Kirschen aus. "Wäre mir zu anstrengend", erklärte er, "da lese ich lieber ein gutes Buch."
"Ach, dann hättest du wohl jetzt Kirschen in Papierform gegessen", zog ihn Peter auf.
"Pah!" Cedric tippte Peter auf die Nase und hinterließ dort einen knallroten Saftflecken. Nun wurde auch sein Grinsen wieder breiter.
"Äh, lass das!", rief Peter und wischte sich verärgert die Nase ab. "Los, wir packen uns noch ein paar Kirschen ein, dann verschwinden wir wieder von hier." Umständlich zog er eine Zellophantüte aus seiner Tasche.
Derweil pflückte Cedric noch ein paar mehr Kirschen und gab sie zum Einpacken an Peter weiter, schielte zwischendurch aber immer wieder in Richtung Haus. "Sicher, dass er nicht da ist?", fragte er und kniff die Augen zusammen, "ich meine, da war jemand hinter der Gardine vom Wohnzimmerfenster."
"Kann nicht sein. Aber beeil dich trotzdem!" Peter füllte seinerseits die Tüte und bald hatten sie die Hälfte davon voll.
Gerade als sie noch ein paar besonders schöne Kirschen aus den oberen Ästen angeln wollten, hörten sie eine Tür quietschten. "Verflixt, das ist doch der Alte!", wisperte Cedric und turnte hinüber zu den Ästen über dem Zaun.
Peter fluchte leise. "Warte auf mich!", rief seinem Freund hinterher. Peter hatte für einen Moment den Halt verloren und hangelte sich wieder auf einen festen Ast.
"Los, gib die Kirschen runter und halt dich bloß fest!", kam die wenig hilfreiche Anweisung von unten. Cedric war bereits wieder über den Zaun und stand sicher auf dem Gehweg dahinter.
Peter warf ihm den Beutel zu. "Und wehe, du isst alles allein!"
"Ich doch nicht!" Cedric grinste. "Los, komm rüber, du lahme Ente!"
Vom Haus her hörten sie eine weitere Tür und dann das Schlurfen von Schritten über dem Kiesweg.
Peter schaute zurück. Der alte Mann war doch da. Er kniff die Augen zusammen. Peter wusste, dass er schlecht sah. Wenn er leise war, dann würde ihn der Mann gar nicht bemerken. Vorsichtig zog er sich zum Zaun und drehte sich um, so dass er in die Vertiefung kam.
Für einen Moment stand er fest, aber dann verlor Peter den Halt am Zaun. Reflexartig wollte Cedric ihn auffangen, aber durch den Schwung verlor er ebenfalls das Gleichgewicht. Mit einem "Uff" landeten die beiden Jungen unsanft auf dem Gehweg.
Peter prustete. "Los, lass uns verschwinden, ehe wir doch erwischt werden!"
"Ja, nichts wie weg hier."
Ächzend rappelten die beiden sich auf und rannten die Straße hinunter. Erst am anderen Ende und weiter außerhalb der Sichtweite des Hauses machten sie halt. "Hier, ich hab sie gerettet!" Triumphierend hielt Cedric die Tüte mit den Kirschen hoch.
Sie waren ein wenig zerdrückt, aber essbar. Zufrieden mit sich räuberten Cedrik und Peter die Tüte bis auf den Grund.
"Wir können morgen noch mal hin, wenn du magst", schlug Peter vor.
Cedric grinste und wischte sich den Fruchtsaft aus den Mundwinkeln. "Klar. Aber dann sollten wir sichergehen, dass der Alte auch wirklich weg ist. Du solltest echt mal deine Augen untersuchen lassen, du Blindfisch!" Dem Vorwurf folgte eine freundschaftlicher Knuff in die Rippen.
Sie beide waren recht unterschiedliche Freunde. Cedric war 12 Jahre alt und Peter 14.
Sie hatten sich per Zufall kennen gelernt. Peter war in die Nachbarschaft von Cedric gezogen und sie hatten einander gleich von Anfang an gemocht. Normalerweise hatte sich Peter immer mit Gruppen von Jungs zusammengetan, die älter waren als er selbst. Doch bei Cedric war es etwas anderes. Sie hatten eine Wellenlänge und sie stellten in der Folgezeit jede Menge Unsinn an in einer Kleinstadt, die nicht hätte langweiliger sein können.
Peter grinste wieder. "Ich sags dir, er war nicht da. Wahrscheinlich ist er heute wieder gekommen."
"Ja ja, red du nur! Morgen spiele ich bestimmt nicht wieder Kissen für dich, wenn du Flugstunden machen willst!", gab Cedric frech zurück. Dabei würde er morgen sowieso wieder irgend etwas mit Peter zusammen anstellen, das stand jetzt schon fest. Zuhause war es sowieso trostlos; als Cedrics Mutter vor 6 Jahren starb, war sein Vater in eine Weinflasche gekrochen und seitdem nicht mehr herausgekommen. Die meiste Zeit erinnerte er sich kaum daran, dass er noch einen Sohn hatte.
"Musst du ja nicht. Wenn du dich in den Weg wirfst!" Peter rannte los und erwartete, dass Cedric folgte. "Lass uns noch Milchshakes abstauben. Dann ist es ein Kirschmilchshake im Magen."
"Hey, ich wollte nur deinen Hintern retten, und was ist der Dank?" Cedric lief ihm nach und holte Peter lachend ein.
"Ja, ja, das soll ich dir glauben. Stellst dich einfach in den Weg und ich soll dir dankbar sein."
Sie liefen direkt zur Milchbar. Hier bekamen sie, wenn sie es klug anstellten, für ein paar Cent einen Milchshake.
Das war sehr viel billiger, als er normalerweise kostete. Dafür mussten sie nur ein paar Handreichungen machen. Nichts Großartiges und erst recht nichts Schweres. Müll raustragen oder den Raum ausfegen. Jedenfalls hatte die rundliche, ältliche Dame hinter dem Tresen eine Schwäche für Kinder, die so große Augen machen konnten wie Peter und Cedric - bei Bedarf. Auch heute wurden die beiden mit einem Lächeln begrüßt. "Na, ihr zwei? Durst?"
"Ja, mächtig. Aber wir haben nur einen Dollar." Peter sah sie mit einem herzerweichenden Lächeln an.
Und wie immer gab Mrs. Fries nach. "Na schön. Kommt rein und spült mir die paar Gläser dahinten, ja? Dann gibt es auch einen doppelten Schokoshake."
Cedric und Peter sahen sich verschwörerisch an.
"Ja, gut!", damit war der Deal perfekt. Sie teilten sich wie immer die Arbeit auf. Dieses Mal spülte Peter und Cedric trocknete ab.
Obwohl sie die Arbeit sorgfältig machten, waren sie sehr schnell fertig. Und prompt wurde ihnen von der freundlichen Frau zwei große, schäumende Schokoshakes vor die Nase gestellt. "Hier, ihr Racker. Lasst es euch schmecken. Aber sagt mal, wo habt ihr euch die ganzen Kratzer geholt?" Fragend deutete sie auf Peters Arm.
Cedric musste ein Grinsen unterdrücken. "Ich bin hingefallen. Nichts großes. Da war was auf der Straße und ich bin ausgerutscht. Cedric zieht mich schon die ganze Zeit damit auf." Cedric fing sich bei diesen Worten einen spielerischen Schlag.
"Naja, jetzt passen wir wenigstens wieder zusammen."Cedric deutete auf seine verpflasterten Arme. Mrs. Fries lachte herzlich. "Racker, ich sage es ja. Genießt diese Zeit bloß, so lange ihr könnt, Jungs. ich beneide euch fast."
"Klar, Mrs. Fries." Mit Appetit machten sich die Beiden über ihre ergatterten Shakes her, während der wohlwollende Blick der Inhaberin immer auf ihnen ruhte.
Es dauerte nicht lange, und die Gläser waren restlos leer getrunken. "Bis bald!", verabschiedeten die beiden Jungen sich.
"Kommt jederzeit wieder!", rief ihnen Mrs. Fries hinterher, wie sie es immer tat.
Cedric sah auf seine Uhr; es war noch lange nicht Abend und Zeit, nach Hause gehen zu müssen. "Was machen wir jetzt noch?", fragte er Peter.
"Weiß ich nicht", meinte Peter. Er wirkte satt und zufrieden. Mit der Kraft seiner Jugend streckte er sich und gähnte herzhaft.
Cedric nutzte das und piekte Peter in die Rippen. "Hab noch keine Lust nach Hause", meinte er.
"Habe ich doch gar nicht gesagt!"
"Dann sag was! Ich hab zuviel Schokoshake im Bauch, um noch nachdenken zu wollen." Cedric grinste frech.
Peter leckte sich über die Lippen. "War lecker. Aber wer sagt, dass ich besser denken kann, als du?"
"Habe ich nicht behauptet. Ich hab nur keine Lust", gab Cedric zurück. "Außerdem will ich ja nicht, dass du verdummst, wenn ich immer nur nachdenke."
"Hö?" Peter kniff die Augen zusammen. "Willst ins Krankenhaus?"
"Und willst du etwa deinen besten Freund schlagen, der viel schwächer als du und zudem noch einen halben Kopf kleiner ist?" Auf einmal bestand Cedrics Gesicht nur noch aus zwei großen Augen.
"So ein Schwächling bist du nicht, also mach dir nicht in die Hosen. Bist du ein Feigling?" Peter baute sich auf.
Cedric verdrehte die Augen. "Nicht mit vollem Magen! Frag mich in einer Stunde wieder."
Peter zuckte nur mit den Schultern und wandte sich ab. So, wie es aussah, wollte er in den Park. Dort hatten sie ihre Lieblingsbank.
Cedric, noch immer grinsend, folgte ihm. Um diese Uhrzeit war im Park wenig los, nur ein paar alte Leute führten ihre Hunde spazieren. Die beiden ließen sich auf die Bank unter einer großen alten Kastanie fallen und streckten sich aus. Vereinzelt blitzte ein Sonnenstrahl durch das dicke Blätterdach und kitzelte sie an der Nase.
"Ich liebe diesen Ort", murmelte Peter. "Schade, dass ich weg muss!"
Cedric setzte sich auf und starrte ihn an. "Was?"
"Ähm", Peter kratzte sich verlegen am Kopf. "Ist mir so raus gerutscht", versuchte er sich aus der Situation zu retten.
"Hör mal, wir kennen uns seit Ewigkeiten, du kannst mir nichts erzählen!", fauchte Cedric ihn an. "Du erzählst mir jetzt auf der Stelle die ganze Geschichte!"
"Nun, mein Vater hat eine neue Stelle bekommen. Wir werden wohl im Herbst umziehen müssen", erklärte Peter mit deutlichem Zögern.
"Und... wohin?"
"Nun, etwa 300 Meilen Richtung Norden."
Cedric wollte etwas sagen, aber dann bemerkte er, dass er nicht wusste, was. Also starrte er wieder in die Baumkrone über ihnen. "Schreibst du mir?", fragte er schließlich.
Peter schaute im Gegensatz zu ihm auf seine Schuhspitzen, "Ich werds probieren. Aber mein Vater glaubt nicht, dass wir lange dort bleiben. Du wirst mich wohl vergessen, schätze ich. Bei unserem vorigen Haus war das auch so. Die Freunde dort haben mich auch vergessen. So ist das eben."
"Na hör mal. Ich bin zwar nie aus diesem Kaff herausgekommen und weiß nicht, wie das ist, wenn man ständig umzieht, aber ich vergesse dich sicher nicht! Und mit wem soll ich denn herumhängen, wenn du weg bist? Die anderen Jungs in unserem Alter sind alle Baseball-besessene Idioten, und mit Mädchen kann man ja wohl nicht reden." Cedric verschränkte die Arme. "Und irgendwann komme ich hier auch mal weg. Dann sehen wir uns bestimmt wieder."
Peter glaubte es nicht. Er kannte das. Wie mal seine Mutter sagte: "Aus den Augen aus dem Sinn." Trotzdem nickte er. "Sicher", meinte er einsilbig.
Cedric zog die Augenbrauen zusammen. "Hey, ganz bestimmt! Und wenn wir nur noch diesen Sommer haben, dann müssen wir eben den ganzen Quatsch für die nächsten Jahre machen, okay?"
"Das ist nicht dein ernst."
"Doch, klar. Wenn doch schon weg musst, dann können wir vorher doch nochmal einen drauf machen! Jetzt ist es doch eh egal, oder?" Cedric hatte sein Grinsen wiedergefunden, auch wenn ihm nicht wirklich danach zumute war. Aber er war entschlossen, das vorerst zu verdrängen.
"Den ganzen Sommer? Hey, das artet ja in Arbeit aus." Auch Peter lachte über diese Idee. Aber er konnte dem Gedanken einiges abgewinnen.
"Wir haben doch sonst nichts zu tun, oder? Außerdem will ich nicht, dass am Ende du... das alles hier vergisst."
"Okay, hast du schon eine Idee? Ich würde gern noch mal ..."
Für den Rest des Nachmittags saßen die beiden Jungen auf der Bank und planten für die ihnen verbleibende Zeit. Noch war es nicht Herbst, noch konnten sie alles tun, wozu sie Lust hatten... und noch konnten sie es zusammen anstellen. Darüber, wie es danach werden würde, beschlossen sie, vorerst nicht nachzudenken.
ENDE
E-Mail: sumeragi_subarukun@yahoo.de & sheseya@yahoo.de
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"Du musst in die Vertiefung treten, dann den Zaun hoch. Wenn du dich am untersten Ast festhältst, dann dürftest du dich eigentlich hochziehen können", meinte Peter. Sein Blick streifte begehrlich die roten Früchte über ihren Köpfen. Dieser rohe, grob gehobelte Zaun hielt sie davon, seinen Stamm zu erklimmen.
"Und warum muss ich das schon wieder machen?", maulte Cedric und musterte den Zaun kritisch. Wenn man nicht vorsichtig war, konnte man sich ganz schnell ein halbes Dutzend Splitter in der Hand zuziehen. Und an sein letztes Abenteuer dieser Art erinnerten immer noch ein paar Pflaster am Arm.
"Du bist ein Tollpatsch", schimpfte Peter. Er zog Cedric zur Seite und kletterte selbst hinauf. Tatsächlich erreichte er den untersten Ast und zog sich daran hoch. "Komm schon, du Feigling", zog er seinen Freund auf. "Du Hasenfuß!"
"Gar nicht!", verteidigte Cedric sich und folgte Peter mit einer Flinkheit, die ihm sein Freund sonst nicht zugetraut hätte, weil er in der Regel zu faul für derartige Anstrengungen war. "Ich habe nur wieder keine Lust auf Schimpfe und blaue Flecken."
Die überreifen Kirschen, die nun direkt vor seiner Nase baumelten, stimmten Cedric jedoch sofort milder.
"Er ist nicht da. Ich habe den ganzen Tag das Haus beobachtet." Peter grinste frech und schob sich die ersten Kirschen in den Mund.
"Hattest du sonst nichts zu tun?" Cedric angelte sich ebenfalls ein paar Kirschen und stopfte sie sich in den Mund. Die nächsten zwei, noch am Stiel zusammenhängend, kamen als Reserve über das Ohr.
"Klar! Was denn sonst? Ich muss hier immer die Zeitung austragen. Ist mein Gebiet, daher weiß ich alles!", informierte ihn Peter und legte sich einen Moment später mit einer Amsel an, die ihm eine Kirsche vor der Nase wegklauen wollte.
Cedric grinste und streckte den Arm nach ein paar hoher hängenden Kirschen aus. "Wäre mir zu anstrengend", erklärte er, "da lese ich lieber ein gutes Buch."
"Ach, dann hättest du wohl jetzt Kirschen in Papierform gegessen", zog ihn Peter auf.
"Pah!" Cedric tippte Peter auf die Nase und hinterließ dort einen knallroten Saftflecken. Nun wurde auch sein Grinsen wieder breiter.
"Äh, lass das!", rief Peter und wischte sich verärgert die Nase ab. "Los, wir packen uns noch ein paar Kirschen ein, dann verschwinden wir wieder von hier." Umständlich zog er eine Zellophantüte aus seiner Tasche.
Derweil pflückte Cedric noch ein paar mehr Kirschen und gab sie zum Einpacken an Peter weiter, schielte zwischendurch aber immer wieder in Richtung Haus. "Sicher, dass er nicht da ist?", fragte er und kniff die Augen zusammen, "ich meine, da war jemand hinter der Gardine vom Wohnzimmerfenster."
"Kann nicht sein. Aber beeil dich trotzdem!" Peter füllte seinerseits die Tüte und bald hatten sie die Hälfte davon voll.
Gerade als sie noch ein paar besonders schöne Kirschen aus den oberen Ästen angeln wollten, hörten sie eine Tür quietschten. "Verflixt, das ist doch der Alte!", wisperte Cedric und turnte hinüber zu den Ästen über dem Zaun.
Peter fluchte leise. "Warte auf mich!", rief seinem Freund hinterher. Peter hatte für einen Moment den Halt verloren und hangelte sich wieder auf einen festen Ast.
"Los, gib die Kirschen runter und halt dich bloß fest!", kam die wenig hilfreiche Anweisung von unten. Cedric war bereits wieder über den Zaun und stand sicher auf dem Gehweg dahinter.
Peter warf ihm den Beutel zu. "Und wehe, du isst alles allein!"
"Ich doch nicht!" Cedric grinste. "Los, komm rüber, du lahme Ente!"
Vom Haus her hörten sie eine weitere Tür und dann das Schlurfen von Schritten über dem Kiesweg.
Peter schaute zurück. Der alte Mann war doch da. Er kniff die Augen zusammen. Peter wusste, dass er schlecht sah. Wenn er leise war, dann würde ihn der Mann gar nicht bemerken. Vorsichtig zog er sich zum Zaun und drehte sich um, so dass er in die Vertiefung kam.
Für einen Moment stand er fest, aber dann verlor Peter den Halt am Zaun. Reflexartig wollte Cedric ihn auffangen, aber durch den Schwung verlor er ebenfalls das Gleichgewicht. Mit einem "Uff" landeten die beiden Jungen unsanft auf dem Gehweg.
Peter prustete. "Los, lass uns verschwinden, ehe wir doch erwischt werden!"
"Ja, nichts wie weg hier."
Ächzend rappelten die beiden sich auf und rannten die Straße hinunter. Erst am anderen Ende und weiter außerhalb der Sichtweite des Hauses machten sie halt. "Hier, ich hab sie gerettet!" Triumphierend hielt Cedric die Tüte mit den Kirschen hoch.
Sie waren ein wenig zerdrückt, aber essbar. Zufrieden mit sich räuberten Cedrik und Peter die Tüte bis auf den Grund.
"Wir können morgen noch mal hin, wenn du magst", schlug Peter vor.
Cedric grinste und wischte sich den Fruchtsaft aus den Mundwinkeln. "Klar. Aber dann sollten wir sichergehen, dass der Alte auch wirklich weg ist. Du solltest echt mal deine Augen untersuchen lassen, du Blindfisch!" Dem Vorwurf folgte eine freundschaftlicher Knuff in die Rippen.
Sie beide waren recht unterschiedliche Freunde. Cedric war 12 Jahre alt und Peter 14.
Sie hatten sich per Zufall kennen gelernt. Peter war in die Nachbarschaft von Cedric gezogen und sie hatten einander gleich von Anfang an gemocht. Normalerweise hatte sich Peter immer mit Gruppen von Jungs zusammengetan, die älter waren als er selbst. Doch bei Cedric war es etwas anderes. Sie hatten eine Wellenlänge und sie stellten in der Folgezeit jede Menge Unsinn an in einer Kleinstadt, die nicht hätte langweiliger sein können.
Peter grinste wieder. "Ich sags dir, er war nicht da. Wahrscheinlich ist er heute wieder gekommen."
"Ja ja, red du nur! Morgen spiele ich bestimmt nicht wieder Kissen für dich, wenn du Flugstunden machen willst!", gab Cedric frech zurück. Dabei würde er morgen sowieso wieder irgend etwas mit Peter zusammen anstellen, das stand jetzt schon fest. Zuhause war es sowieso trostlos; als Cedrics Mutter vor 6 Jahren starb, war sein Vater in eine Weinflasche gekrochen und seitdem nicht mehr herausgekommen. Die meiste Zeit erinnerte er sich kaum daran, dass er noch einen Sohn hatte.
"Musst du ja nicht. Wenn du dich in den Weg wirfst!" Peter rannte los und erwartete, dass Cedric folgte. "Lass uns noch Milchshakes abstauben. Dann ist es ein Kirschmilchshake im Magen."
"Hey, ich wollte nur deinen Hintern retten, und was ist der Dank?" Cedric lief ihm nach und holte Peter lachend ein.
"Ja, ja, das soll ich dir glauben. Stellst dich einfach in den Weg und ich soll dir dankbar sein."
Sie liefen direkt zur Milchbar. Hier bekamen sie, wenn sie es klug anstellten, für ein paar Cent einen Milchshake.
Das war sehr viel billiger, als er normalerweise kostete. Dafür mussten sie nur ein paar Handreichungen machen. Nichts Großartiges und erst recht nichts Schweres. Müll raustragen oder den Raum ausfegen. Jedenfalls hatte die rundliche, ältliche Dame hinter dem Tresen eine Schwäche für Kinder, die so große Augen machen konnten wie Peter und Cedric - bei Bedarf. Auch heute wurden die beiden mit einem Lächeln begrüßt. "Na, ihr zwei? Durst?"
"Ja, mächtig. Aber wir haben nur einen Dollar." Peter sah sie mit einem herzerweichenden Lächeln an.
Und wie immer gab Mrs. Fries nach. "Na schön. Kommt rein und spült mir die paar Gläser dahinten, ja? Dann gibt es auch einen doppelten Schokoshake."
Cedric und Peter sahen sich verschwörerisch an.
"Ja, gut!", damit war der Deal perfekt. Sie teilten sich wie immer die Arbeit auf. Dieses Mal spülte Peter und Cedric trocknete ab.
Obwohl sie die Arbeit sorgfältig machten, waren sie sehr schnell fertig. Und prompt wurde ihnen von der freundlichen Frau zwei große, schäumende Schokoshakes vor die Nase gestellt. "Hier, ihr Racker. Lasst es euch schmecken. Aber sagt mal, wo habt ihr euch die ganzen Kratzer geholt?" Fragend deutete sie auf Peters Arm.
Cedric musste ein Grinsen unterdrücken. "Ich bin hingefallen. Nichts großes. Da war was auf der Straße und ich bin ausgerutscht. Cedric zieht mich schon die ganze Zeit damit auf." Cedric fing sich bei diesen Worten einen spielerischen Schlag.
"Naja, jetzt passen wir wenigstens wieder zusammen."Cedric deutete auf seine verpflasterten Arme. Mrs. Fries lachte herzlich. "Racker, ich sage es ja. Genießt diese Zeit bloß, so lange ihr könnt, Jungs. ich beneide euch fast."
"Klar, Mrs. Fries." Mit Appetit machten sich die Beiden über ihre ergatterten Shakes her, während der wohlwollende Blick der Inhaberin immer auf ihnen ruhte.
Es dauerte nicht lange, und die Gläser waren restlos leer getrunken. "Bis bald!", verabschiedeten die beiden Jungen sich.
"Kommt jederzeit wieder!", rief ihnen Mrs. Fries hinterher, wie sie es immer tat.
Cedric sah auf seine Uhr; es war noch lange nicht Abend und Zeit, nach Hause gehen zu müssen. "Was machen wir jetzt noch?", fragte er Peter.
"Weiß ich nicht", meinte Peter. Er wirkte satt und zufrieden. Mit der Kraft seiner Jugend streckte er sich und gähnte herzhaft.
Cedric nutzte das und piekte Peter in die Rippen. "Hab noch keine Lust nach Hause", meinte er.
"Habe ich doch gar nicht gesagt!"
"Dann sag was! Ich hab zuviel Schokoshake im Bauch, um noch nachdenken zu wollen." Cedric grinste frech.
Peter leckte sich über die Lippen. "War lecker. Aber wer sagt, dass ich besser denken kann, als du?"
"Habe ich nicht behauptet. Ich hab nur keine Lust", gab Cedric zurück. "Außerdem will ich ja nicht, dass du verdummst, wenn ich immer nur nachdenke."
"Hö?" Peter kniff die Augen zusammen. "Willst ins Krankenhaus?"
"Und willst du etwa deinen besten Freund schlagen, der viel schwächer als du und zudem noch einen halben Kopf kleiner ist?" Auf einmal bestand Cedrics Gesicht nur noch aus zwei großen Augen.
"So ein Schwächling bist du nicht, also mach dir nicht in die Hosen. Bist du ein Feigling?" Peter baute sich auf.
Cedric verdrehte die Augen. "Nicht mit vollem Magen! Frag mich in einer Stunde wieder."
Peter zuckte nur mit den Schultern und wandte sich ab. So, wie es aussah, wollte er in den Park. Dort hatten sie ihre Lieblingsbank.
Cedric, noch immer grinsend, folgte ihm. Um diese Uhrzeit war im Park wenig los, nur ein paar alte Leute führten ihre Hunde spazieren. Die beiden ließen sich auf die Bank unter einer großen alten Kastanie fallen und streckten sich aus. Vereinzelt blitzte ein Sonnenstrahl durch das dicke Blätterdach und kitzelte sie an der Nase.
"Ich liebe diesen Ort", murmelte Peter. "Schade, dass ich weg muss!"
Cedric setzte sich auf und starrte ihn an. "Was?"
"Ähm", Peter kratzte sich verlegen am Kopf. "Ist mir so raus gerutscht", versuchte er sich aus der Situation zu retten.
"Hör mal, wir kennen uns seit Ewigkeiten, du kannst mir nichts erzählen!", fauchte Cedric ihn an. "Du erzählst mir jetzt auf der Stelle die ganze Geschichte!"
"Nun, mein Vater hat eine neue Stelle bekommen. Wir werden wohl im Herbst umziehen müssen", erklärte Peter mit deutlichem Zögern.
"Und... wohin?"
"Nun, etwa 300 Meilen Richtung Norden."
Cedric wollte etwas sagen, aber dann bemerkte er, dass er nicht wusste, was. Also starrte er wieder in die Baumkrone über ihnen. "Schreibst du mir?", fragte er schließlich.
Peter schaute im Gegensatz zu ihm auf seine Schuhspitzen, "Ich werds probieren. Aber mein Vater glaubt nicht, dass wir lange dort bleiben. Du wirst mich wohl vergessen, schätze ich. Bei unserem vorigen Haus war das auch so. Die Freunde dort haben mich auch vergessen. So ist das eben."
"Na hör mal. Ich bin zwar nie aus diesem Kaff herausgekommen und weiß nicht, wie das ist, wenn man ständig umzieht, aber ich vergesse dich sicher nicht! Und mit wem soll ich denn herumhängen, wenn du weg bist? Die anderen Jungs in unserem Alter sind alle Baseball-besessene Idioten, und mit Mädchen kann man ja wohl nicht reden." Cedric verschränkte die Arme. "Und irgendwann komme ich hier auch mal weg. Dann sehen wir uns bestimmt wieder."
Peter glaubte es nicht. Er kannte das. Wie mal seine Mutter sagte: "Aus den Augen aus dem Sinn." Trotzdem nickte er. "Sicher", meinte er einsilbig.
Cedric zog die Augenbrauen zusammen. "Hey, ganz bestimmt! Und wenn wir nur noch diesen Sommer haben, dann müssen wir eben den ganzen Quatsch für die nächsten Jahre machen, okay?"
"Das ist nicht dein ernst."
"Doch, klar. Wenn doch schon weg musst, dann können wir vorher doch nochmal einen drauf machen! Jetzt ist es doch eh egal, oder?" Cedric hatte sein Grinsen wiedergefunden, auch wenn ihm nicht wirklich danach zumute war. Aber er war entschlossen, das vorerst zu verdrängen.
"Den ganzen Sommer? Hey, das artet ja in Arbeit aus." Auch Peter lachte über diese Idee. Aber er konnte dem Gedanken einiges abgewinnen.
"Wir haben doch sonst nichts zu tun, oder? Außerdem will ich nicht, dass am Ende du... das alles hier vergisst."
"Okay, hast du schon eine Idee? Ich würde gern noch mal ..."
Für den Rest des Nachmittags saßen die beiden Jungen auf der Bank und planten für die ihnen verbleibende Zeit. Noch war es nicht Herbst, noch konnten sie alles tun, wozu sie Lust hatten... und noch konnten sie es zusammen anstellen. Darüber, wie es danach werden würde, beschlossen sie, vorerst nicht nachzudenken.
ENDE