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Die Ängste einer Mutter

Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
11.01.2005
11.01.2005
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Fears of a mother




Helen Parr seufzte. Sie hatte sich noch immer nicht an ihr neues Heim gewöhnt. Sie hatten wie schon so oft von der Regierung ein neues Haus zur Verfügung gestellt bekommen, nachdem ihr altes von Syndrome dem Erdboden gleich gemacht worden war. Und obwohl dies hoffentlich der letzte Umzug für einige Zeit sein würde, da sie sich nun nicht mehr zu fürchten brauchten, dass Bob "versehentlich" seinen Boss aus Unmut über das Versteckspiel durch die Wand pfefferte, war es etwas deprimierend. Helen hatte gerade die letzte Kiste ausgepackt gehabt, als ihr Haus auch schon zerstört worden war.

"Was hast du, Schatz?", fragte Bob, ihr Ehemann, besorgt. Seit dieser Sache mit Syndrome hatte sich in ihrer Ehe alles wieder zum Besseren gewendet. Helen war immer noch unwohl bei dem Gedanken, wie sehr Bob und sie sich in ihrer Zeit im Superhelden-Schutzprogramm auseinander gelebt hatten, weil Bob den Helden in seinem Inneren einfach nicht verdrängen hatte können. Sie gestand sich ein, dass sie nur knapp an einer Scheidung vorbeigeschlittert waren... und das, obwohl sie ihn doch so sehr liebte. Sie schloss ihre Augen und lauschte Bobs starkem Herzschlag. Es war für sie jedes Mal beruhigend, ihren Kopf auf die breite Brust ihres Mannes zu betten und alles andere zu verdrängen. Sie fühlte sich dann so sicher wie nirgendwo sonst.

"Nichts", wich sie seiner Frage aus.

Sie fühlte sanften Druck, der auf ihre Schulter ausgeübt wurde. Für sie war es immer wieder ein Wunder, dass Bobs Hand, welche imstande war Mauern zu durchbrechen und Bäume zu entwurzeln, sie so zärtlich berühren konnte, ohne sie zu verletzen. Hätten sie nicht ihre Sorgen geplagt, hätte sie vermutlich genießerisch geseufzt.

"Helen, hatten wir nicht beschlossen, keine Geheimnisse mehr voreinander zu haben?"

"Ja, aber hauptsächlich war das an dich gerichtet", antwortete sie spitz. Dann atmete sie resignierend aus. Bob hatte sie "Helen" genannt, nicht "Liebling" oder etwas Ähnliches. Das hieß, dass er sich wirklich Sorgen machte. Ihre Hand zeichnete seine Rippen nach. "Tut mir Leid", entschuldigte sie sich. "Es ist nur... in den letzten Tagen ist einfach viel passiert."

"Findest du es denn so schlimm, wieder ein Kostüm tragen zu können?", fragte Bob lächelnd. Sie wusste, dass er lächelte, obwohl sie sein Gesicht nicht sah. Und er wusste natürlich, wie die Antwort darauf lauten würde.

"Nein", gab sie zu. Schon als sie sich in Syndroms Basis eingeschlichen hatte, war ihr klar gewesen, dass sie das Prickeln der Gefahr all die Jahre vermisst hatte. Sie hatte sich zwar eingeredet, dass es nur ein einmaliger Ausflug in die Welt der Superhelden war, um ihren Mann zu Rede zu stellen, aber jetzt wusste sie, dass sie sich etwas vorgemacht hatte. So gefährlich die ganze Angelegenheit auch gewesen war... Helen hatte jede Sekunde genossen. Es war, als hätte sie die fehlende Hälfte ihres Ichs zurückgewonnen. "Wieder Elastigirl sein zu dürfen war... befreiend. Aber was ist mit den Kindern, Liebling?"

Bob schwieg einige Sekunden, während er sie näher an sich heran drückte. "Du möchtest nicht, dass sie sich in Gefahr begeben, nicht wahr?", stellte er schließlich fest.

"Sie sind noch so jung", sagte Helen mit schwerer Stimme. In ihrem Herzen tobten einander widerstrebende Gefühle. Sie wusste nicht, ob sie alles ausdrücken konnte, was sie fühlte. Als Bob den zweiten Arm um sie legte, verschwand ihre Unsicherheit. Ihr Ehemann verstand sie besser als irgendjemand sonst auf dieser Welt. Wem, wenn nicht ihm konnte sie anvertrauen, was sie bedrückte? "Ich hatte die ganze Zeit furchtbare Angst, sie zu verlieren."

"Denkst du denn, ich habe keine Angst um sie?", fragte Bob leise und bettete seine Wange auf ihr Haar. "Ich dachte schon einmal, ich hätte euch alle verloren. Ich weiß, dass ich das nicht noch einmal durchmachen könnte."

"Ich weiß", flüsterte Helen und dehnte ihren Arm, um über sein Haar streicheln zu können. "Aber wenn wir wieder in unsere alten Rollen schlüpfen, dann werden sie mit uns kämpfen wollen. Es ist die Gelegenheit für sie, ihre Kräfte benutzen zu dürfen. Sie werden nicht widerstehen können."

"Aber darum geht es doch gerade, Liebling", entgegnete Bob ruhig. "Hast du nicht gesehen, wie glücklich die beiden in den letzten Tagen waren? Sie haben erfahren, dass sie keine Freaks sind, die sich verstecken müssen, wie sie es ihr Leben lang geglaubt haben, sondern dass sie ihre Kräfte sinnvoll anwenden können. Sie haben seitdem nicht einmal gestritten."

Helen grinste kurz. "Nun ja, DU hast ja heute verschlafen, dass Flash eine halbe Stunde lang warten musste, weil Violetta das Bad besetzt hatte. Anscheinend wollte sie sich so richtig hübsch machen. Flash hat sie die ganze Zeit ziemlich heftig beschimpft."

"Tatsächlich?", erkundigte sich Bob interessiert. "Aber sie haben sich nicht geprügelt, oder?"

"Nein, das nicht."

"Siehst du?", bemerkte ihr Mann strahlend und strich ihr mit der Hand über die Wange. "Früher wären sie sich schon nach fünf Minuten in die Haare geraten."

"Ganz zu schweigen davon, dass Violetta früher so gut wie keinen Wert auf ihr Aussehen gelegt hat", ergänzte Helen trocken. Dann seufzte sie. "Du hast ja Recht. Vermutlich hat das ganze Abenteuer den beiden gut getan."

"Na also", stellte Bob zufrieden fest. "Aber wieso sollte Violetta sich so lange hübsch machen? Sie war doch schon immer ein bildschönes Mädchen."

Helen lächelte und kitzelte ihn am Bauch. "Das verstehst du nicht, Bob", meinte sie. "In diesem Alter findet jedes Mädchen Fehler an sich selbst, und wenn sie noch so klein sind."

"Ach ja?", fragte ihr Mann und zog eine Augenbraue hoch. "Na, wenn du das sagst." Plötzlich grinste er und flüsterte ihr ins Ohr: "Hattest du etwa auch Fehler, als wir das erste Mal miteinander ausgegangen sind?"

"Mehr als du dir vorstellen kannst", erwiderte Helen lächelnd und ließ zu, dass Bob ihr einige spielerische Küsse unter ihrem Ohr gab. Sie schauderte leicht.

"ICH habe keine bemerkt", entgegnete er mit aufreizendem Ton in der Stimme. "Willst du mir verraten, welche es waren?"

"Mit Sicherheit nicht", murmelte Helen immer noch leicht grinsend, machte sich dann aber beinahe mit Bedauern von ihrem Mann los. "Nein, Bob, wir sollten dieses Thema erst zu Ende führen. Willst du, dass sich unsere Kinder den Gefahren der Verbrecherjagd aussetzen?"

Bob wurde wieder Ernst und lockerte den Griff um seine Frau. "Meine Eltern hatten auch Angst um mich, als ich beschloss Superheld zu werden", meinte er und sah sie an. "Deine doch auch, oder?"

"Natürlich", bejahte diese. "Worauf willst du hinaus?"

"Nun, sie haben uns aber trotzdem nicht davon abhalten können, unseren Weg zu gehen, nicht?", wollte Bob wissen. "Und ich hatte damals niemanden, der mich ins Handwerk einweisen konnte. Flash und Violetta wären hingegen immer in unserer Nähe, wenn etwas Gefährliches passiert."

"Und was ist, wenn sie irgendwo allein zu einem Verbrechen kommen? Violetta ist jünger als ich, als ich das erste Mal auf Verbrecherjagd ging, von Flash will ich erst gar nicht reden!"

Bob seufzte und fasste Helen an den Schultern. Sein Blick war sehr ernst. "Helen, glaubst du etwa, dass wir ihnen etwas Gutes tun, wenn wir ihnen sagen, dass sie ihre Kräfte von nun an wieder verstecken müssen?", fragte er seine Frau. "Die beiden haben auf Syndromes Insel gesehen, wie gefährlich unsere Arbeit sein kann, aber trotzdem waren sie niemals so glücklich wie jetzt. Es liegt ihnen im Blut, und du weißt das."

Helen wollte ihm widersprechen. Sie versuchte es wirklich, aber fand kein vernünftiges Gegenargument. Sie hatte Violetta auch gesagt, das Mädchen hätte das Heldentum im Blut, und sie hatte es Ernst gemeint. "Aber was ist, wenn sie verletzt werden?", fragte sie hilflos. "Wir können nicht immer auf sie achten, Bob!"

Ihr Mann schloss sie fest in die Arme. "Das weiß ich auch, Liebling", flüsterte er ihr ins Ohr, während seine Hand sanft ihr Haar streichelte. "Und ich will so wenig wie du, dass so etwas geschieht. Aber glaubst du nicht, dass sie das Recht haben, zumindest mitzuentscheiden? Immerhin ist es ihr Glück, um das es hier geht."

Helen seufzte und presste sich an ihn, als könnte sie so die Gefühle, die in ihrer Brust tobten, zum Schweigen bringen. "Du hast ja Recht", verkündete sie schließlich niedergeschlagen. "Ich glaube, ich sehe in ihnen immer noch meine kleinen, hilflosen Babys." Sie holte tief Luft. "Aber ich muss wohl auch die Superkräfte in ihnen sehen."

"Sieh es doch mal so", fuhr Bob fort. "Wenn wir sie ausbilden, dann laufen sie nicht in Gefahr, irgendwann unvorbereitet ihre Kräfte gebrauchen zu müssen, wenn sie jemand bedroht." Er fühlte, dass seine Frau immer noch unglücklich war und fügte hinzu: "Was hältst du davon: Wir sprechen morgen mit beiden und teilen ihnen ganz genau mit, was sie erwartet. Wir lassen nichts aus, nicht das harte Training, nicht die Beulen und Schrammen und auch nicht die Todesgefahr. Auch nicht, dass einige Leute den Supers gegenüber noch immer misstrauisch sind. Und wenn sie sich dann trotzdem für ein Superheldendasein entscheiden, dann werden wir sie so gut wie nur möglich trainieren und immer mit ihnen gemeinsam auf Patrouille gehen. Außerdem..."

Er brach ab, als Helen ihm einen Finger auf den Mund legte. Als er sie fragend ansah, nickte sie lediglich. Sie sah zwar noch immer nicht sehr glücklich aus, aber sie versuchte wenigstens zu lächeln.

"Ist schon gut, Liebling", sagte sie leise. "Wir sollten sie wohl wirklich selbst entscheiden lassen. Ich... habe eben Angst um sie, das ist alles."

Bob beugte sich schweigend vor, zog sie an sich heran und gab ihr einen Kuss, in den seine Liebe und sein Mitgefühl der Mutter seiner Kinder gegenüber einflossen. Helen umarmte ihren Mann fest und lenkte alle ihre Gedanken auf den Kuss, um nicht länger an das ihr unangenehme Thema erinnert zu werden. Auch wenn sich ihre Lippen schließlich voneinander lösten, blieben sie dennoch eng umschlungen liegen und genossen einfach nur die Nähe des anderen.

"Bob", fing Helen schlussendlich wieder an zu sprechen. "Erinnerst du dich noch daran, als Violetta geboren wurde?"

Bob lächelte leicht, als er diese Erinnerungen wieder wachrief. Wie könnte er dieses Ereignis jemals vergessen? Er war in diesen Tagen so nervös gewesen, dass ständig irgendetwas im Haus zerbrochen hatte, bis Helen ihn entnervt zu Lucius geschickt hatte, um etwas Ruhe zu haben. Aber auch die Gesellschaft seines besten Freundes hatte ihn nicht ablenken können, ständig hatte er an all die Dinge denken müssen, die vor und während der Geburt schief gehen hätten können. Als schließlich Helens Anruf gekommen war, dass die Wehen eingesetzt hatten, hatte er Lucius' Telefonhörer zerdrückt.

"Natürlich", antwortete er leicht verspätet. "Ich war damals eine wandelnde Katastrophe, nicht?"

Helen musste grinsen, obwohl ihr eigentlich nicht danach zumute war. "Ja, das warst du", antwortete sie unverblümt. "Und du wolltest mich im Incredimobil ins Krankenhaus bringen, weil dann alle ausgewichen wären. Zum Glück hatte ich schon die Ambulanz bestellt."

"Liebling, ich war damals fast verrückt vor Angst", entschuldigte er sich peinlich berührt. "Als wir im Krankenhaus ankamen, hatte ich fast einen Nervenzusammenbruch."

"Ja, ich weiß." Helen lachte. "Die Ärzte mussten sich mehr um dich als um mich kümmern. Wie viel hast du demoliert, während ich in den Wehen lag?"

"Zwei Türen, einen Kaffeeautomaten, einen Schreibtisch und den Arm eines Arztes", zählte Bob auf, woraufhin Helen leise kicherte. Kurz darauf verstummte sie. Bob wartete, dass sie weitersprach. Was nun kam, schien ihr sehr wichtig zu sein.

"Wir hatten so furchtbare Angst um sie, weil sie so dünn war, weißt du noch?", fragte sie schließlich. "Als die Ärzte besorgte Gesichter machten, dachte ich, mein Herz würde aufhören zu schlagen."

"Ja", stimmte Bob zu und drückte seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. "Ich war gerade hereingekommen und hatte euch beide gesehen, als sie mit ihrer Befürchtung herausplatzten. Das war wie ein Sturz vom Himmel direkt in die Hölle."

"Sie war so dünn und zerbrechlich", flüsterte Helen. Ihr Blick war starr auf die Wand hinter Bob gerichtet. "Sie haben gesagt, dass mit ihr vielleicht etwas nicht in Ordnung wäre und dass sie in den kommenden Tagen genau untersucht werden müsste. Es lag nur am Schock, dass ich damals nicht sofort zu heulen begonnen habe."

Ja, das ist erst später gekommen, dachte Bob, sprach es aber nicht aus. Für ihn waren diese Tage, in denen die Ärzte prüften, ob ihre Tochter leben würde, nervenzerfetzend gewesen. Wie es Helen gegangen war, konnte er sich nicht einmal ansatzweise vorstellen. "Wenn Lucius nicht hie und da nach uns gesehen hätte, wären wir wahrscheinlich durchgedreht", brach er schließlich das Schweigen. "Wir müssen ein furchterregendes Bild abgegeben haben."

Auf einmal fuhr Bob erschrocken aus seinen Erinnerungen hoch. Als er Helen ansah, war ihr Blick glasig. Er konnte Schmerz darin lesen. Großen Schmerz. Er schüttelte sie.

"Helen", rief er leise. "Helen! Wach auf! Unsere Tochter schläft wohlbehalten nebenan und träumt wahrscheinlich gerade von einem Jungen."

Schrecklicher Gedanke, fuhr es ihm durch den Kopf. Trotzdem war er unglaublich erleichtert, als seine Frau plötzlich blinzelte und wieder in die Wirklichkeit zurückfand. "Danke", flüsterte sie, während er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Er versuchte sie aufzuheitern, da er genau wusste, wie viel Angst sie beide damals ausgestanden hatten, bis sie mit einem untergewichtigen, aber zum Erstaunen aller Ärzte völlig gesunden Baby schließlich das Krankenhaus verlassen hatten.

"Hey, weißt du noch, was die Ärzte für dumme Gesichter gemacht hatten, als sie feststellten, dass Violetta völlig gesund war?", fragte er in gezwungen fröhlichem Ton. "Am liebsten hätten sie die Kleine noch länger behalten, bis ich ihnen angedroht habe, das Krankenhaus zu zerlegen." Helen lächelte kurz, doch auch das wirkte etwas gezwungen. Immerhin waren ihre Augen jetzt klar. "Und bis wir zuhause waren, wolltest du sie nicht mehr hergeben... nicht einmal ich durfte sie halten."

Dieses Mal war das Lächeln ehrlich. Völlig unerwartet schlang sie ihre Arme um ihn und küsste ihn auf die Stirn. "Ja", hauchte sie, "ich hatte damals das Gefühl, dass man sie mir wieder wegnehmen würde, wenn ich sie nur einen Moment aus den Augen lasse. Du hast unglaublich viel Geduld mit mir gehabt."

"Eigentlich nicht", gab Bob mit einem schrägen Grinsen zu. "Ich hatte nur Angst, dass du mich angreifst, wenn ich mich dem Baby nähere."

"Mr. Incredible hat Angst vor seiner Frau?", fragte Helen nur wenig überrascht. Sie hatte ein schalkhaftes Glitzern in den Augen. "DAS wäre mal eine Schlagzeile!"

"Ich wäre dir dankbar, wenn du sie an keine Zeitung schickst", entgegnete Bob säuerlich. "Du würdest meinen Ruf komplett ruinieren."

Sie strich mit einer Hand über seine breite Brust. "Und was bekomme ich, wenn ich es nicht tue?", flüsterte sie ihm mit einem gespielt unschuldigen Unterton ins Ohr.

"Meine ewige Dankbarkeit?"

"Zu wenig", wehrte Helen übertrieben gekränkt ab und hinterließ einen Kratzer auf Bobs Brust. "Hast du nichts Besseres anzubieten?"

Einen Moment lang passierte nichts, aber dann spürte sie plötzlich Bobs Arm um ihren Rücken bis zu ihrer Schulter. Bevor sie sich wehren konnte, zog er sie hinunter und verschloss ihre Lippen mit den seinen. Sie ließ sich nicht lange bitten und ihre rechte Hand krallte sich in sein blondes Haar, während die linke sich gegen seinen Brustkorb presste. Helen schloss die Augen und begann, sich in der Berührung seiner Lippen zu verlieren, als Bob den Kuss plötzlich abbrach. Als sie die Augen öffnete, sah er sie listig an.

"Ich glaube, das bekommst du von keiner Zeitung", meinte er.

"Das käme auf einen Versuch an", erwiderte sie schlagfertig, beließ es aber dabei und bettete ihren Kopf auf seinen mächtigen Bizeps. Momentan lag ihr noch etwas auf der Seele, und jetzt war der beste Moment, mit Bob zu sprechen. "Sag mir... wann ist deine Angst um Violettas Gesundheit verschwunden?"

Bob sah an die Decke und dachte nach. "Ich weiß nicht", gestand er. "Ich glaube, je länger sie bei uns war, je mehr sie unser Leben ausfüllte, desto weniger Angst hatte ich. Aber ich kann nicht sagen, wann ich keine Angst mehr um sie hatte."

"Ich hatte jedes Mal ein wenig Angst, wenn ich sie ansah", sagte Helen und drückte Bobs Hand. "Sie wirkte so zerbrechlich, so hilflos. In den ersten Tagen fürchtete ich mich, ich könnte ihr wehtun, wenn ich sie nur anfasse."

Bob gefiel nicht so recht, wohin das Thema führte. Er bemühte sich um einen lockeren Tonfall. "Das hat dich aber nicht davon abgehalten, sie überallhin mitzunehmen", meinte er. "Ich war schon richtig eifersüchtig auf die Kleine."

Helen schmunzelte leicht. "Ach wirklich?", forschte sie nach. "So weit ich mich erinnere, hast du dich in Violettas Gesellschaft nicht unwohl gefühlt. Du wolltest immer mit ihr spielen, selbst wenn sie müde war."

"Ich wollte sie nur unterhalten", verkündete Bob im Brustton der Überzeugung. "Ich selbst wollte ja gar nicht spielen, es war einfach meine Pflicht."

"Deine Pflicht, natürlich." Helen schnaubte amüsiert und rückte näher an ihn heran. "Deshalb konnte ich dich oft nur mit gutem Zureden aus ihrem Zimmer bringen, ja?"

Bob brummte etwas Unverständliches, dann wechselte er das Thema. "Lass uns doch mal über deine peinlichen Momente sprechen. Weißt du noch, wie sie das erste Mal ihre Kräfte bewiesen hat?"

Zuerst schien sich Helen nicht daran zu erinnern, aber dann verzog sie ihre Lippen. "Oh ja", murmelte sie. "Du meinst die Sache mit dem Brei, nicht wahr?"

"Genau", bestätigte Bob grinsend. Damals war Violetta gerade anderthalb Jahre alt gewesen. Helen hatte das kleine Mädchen gerade gefüttert, aber dieses hatte seinen Brei nicht gemocht. Sie hatte den kleinen Mund fest zugepresst, obwohl Helen ihr gut zugeredet hatte. Plötzlich war das Baby herum ein Kraftfeld entstanden, das den Löffel ausgesperrt hatte. Beide Eltern waren so perplex gewesen, dass Violetta fröhlich gelacht hatte. Schließlich hatte Bob einen Blick auf seine Frau geworfen und in das Lachen eingestimmt. Dann war er aufgestanden und hatte Violetta, die ihr instinktiv erschaffenes Kraftfeld fallen gelassen hatte, auf den Arm genommen, während ihre Mutter noch immer betroffen den Löffel angestarrt hatte. Er war damals furchtbar stolz auf seine Tochter gewesen.

"Bis dahin hatte ich gehofft, dass unsere Tochter normal wäre", gab Helen zu. "Ich dachte, sie würde es leichter haben als wir."

"Warst du nicht auch ein kleines bisschen stolz auf sie?"

Helen zögerte, nickte dann aber. "Ja... aber ich hatte auch Mitleid mit ihr. Ich ahnte schon, dass es schwer für sie sein würde, sich immerzu verstellen zu müssen." Sie sah Bob an. "Du weißt ja, was an ihrem ersten Schultag passiert ist."

Oh ja. Der Tag hatte ganz normal begonnen. Bob war zur Arbeit gegangen und Helen hatte Violetta geholfen, sich auf ihren ersten Schultag vorzubereiten. Das Mädchen hatte Angst gehabt. Sie hatte unbedingt zuhause bleiben wollen, aber Helen hatte sie natürlich bei der Schule abgeliefert. Sie hatte Violetta gut zugeredet, aber ihrer Tochter war nicht zu helfen gewesen, sie war so viele Leute einfach nicht gewöhnt. Irgendwie hatte Helen es dennoch geschafft, sie in der Klasse abzuliefern, deshalb war sie sehr erstaunt gewesen, als Violettas Klassenlehrer bei ihnen angerufen und sie informiert hatte, dass ihre Tochter irgendwann vor der ersten Stunde verschwunden war. Ob sie vielleicht wieder zuhause sei?

Helen hatte verneint. Just nachdem sie das Gespräch beendet hatte, war jedoch ein schwarzhaariges Mädchen ins Zimmer gekommen, hatte ihren Schulranzen abgelegt und sich an den Fuß ihrer Mutter geklammert. In Violettas Augen hatten Tränen geschimmert. Helen hatte sie in den Arm genommen und vorsichtig gefragt, wieso sie nicht in der Schule gewesen war. Die Antwort würde sie niemals vergessen.

"Ich bin da gewesen, Mama."

"Aber dein Lehrer hat mich gerade angerufen und gesagt, dass du nicht da warst, Violetta", hatte ihre Mutter vorsichtig entgegnet. "Bitte sag mir, wo du warst."

Das kleine Mädchen hatte zu weinen begonnen. "Aber ich... war die ganze Zeit da. Ich hab mich ganz klein gemacht, damit mich niemand sieht."

"So klein kannst du dich nicht machen, Liebes", hatte Helen erwidert. Sie hatte Violetta ernst angesehen. "Ich werde nicht böse mit dir sein, aber sag mir, wo du warst. Ich habe mir Sorgen gemacht."

In diesem Moment war die Tür aufgegangen und Bob war hereingekommen. Violetta war furchtbar erschrocken und vor Helens verblüfften Augen verschwunden. Einen Augenblick lang waren beide Elternteile ziemlich verdutzt dagestanden, Bob, weil seine Frau in die Luft starrte und Helen wegen Violetta.

"Schatz...", hatte Bob begonnen, aber Helen hatte ihm gar nicht zugehört.

"Violetta?", hatte sie gefragt. Sie tastete in der Luft herum, bis sie einen Körper spürte, wo keiner zu sehen war. "Es ist nur Daddy, Liebes."

Bobs Augen waren groß geworden, als seine Tochter plötzlich aus dem Nichts erschienen war. Er hatte nach Luft geschnappt wie ein Fisch auf dem Trockenen. Normalerweise wäre der Anblick zum Lachen gewesen, aber Helen und Violetta war momentan nicht zum Lachen zumute gewesen.

"Violetta, Schätzchen, ist das heute in der Schule auch passiert?", wollte Helen wissen, während sie ihre Tochter an sich drückte. Das Mädchen hatte nur genickt. Bob und Helen hatten den gesamten Abend damit verbracht, mit Violetta über die Schule und über ihre Kräfte zu sprechen. Ihre Tochter hatte immer noch Angst gehabt, aber zumindest war sie am Tag darauf nicht mehr unsichtbar geworden. Natürlich hatte es hie und da Anrufe gegeben, dass Violetta verschwunden war, vor allem wenn jemand gemein zu ihr gewesen war, aber schließlich hatte das Mädchen ein paar Freunde gefunden. Ihre Eltern hatten aufgeatmet, als sie das gehört hatten.

"Sie hätte jederzeit entdeckt werden können, als sie sich unsichtbar machte", stellte Helen fest. "Im Nachhinein betrachtet haben wir wahrscheinlich großes Glück gehabt, dass sie so scheu war und immer darauf geachtet hat, dass ihr niemand zusah."

"Stimmt", bemerkte Bob. Plötzlich grinste er. "Weißt du noch, wie sie damals an unserem Hochzeitstag dem Babysitter entwischt ist und plötzlich neben uns im Restaurant erschienen ist? Wir haben ihr eine schöne Standpauke gehalten, aber heimschicken konnten wir sie auch nicht mehr."

Helen lachte. "Und sie wollte einfach nicht verstehen, dass ein Ehepaar am Hochzeitstag die Kinder nicht mitnimmt." Sie schmiegte sich an ihren Mann. "Manchmal denke ich, es ist ein Wunder, dass sie es überhaupt in die Pubertät geschafft hat."

"Dasselbe kann man aber auch von Flash behaupten", brummte Bob. "Es gibt bestimmt nirgendwo sonst ein Baby, das seinen rennenden Eltern davon krabbeln kann."

"DU warst ohnehin meistens im Büro", merkte Helen mit leichtem Tadel in der Stimme an. "ICH hatte die Aufgabe, den kleinen Wildfang wieder einzufangen, wenn er wieder mal durch die Wohnung raste."

"Ich hätte dir ohnehin kaum helfen können, Liebling", entgegnete Bob lächelnd. "Meine Kräfte wären kaum hilfreich gewesen. Du konntest ihn immerhin mit den Armen festhalten."

"Und fünf Minuten später war er wieder unterwegs", seufzte seine Frau. "Das einzige, was ihn am Anfang gebremst hat, waren die Treppen. Flash war einfach nicht zu bremsen."

"Ist er das etwa heute?"

"Nein", antwortete Helen leicht grinsend. "Aber heute kann man ihm wenigstens Stubenarrest androhen, wenn er zu wild wird. Am Schlimmsten war es wohl, wenn wir mit ihm hinaus gegangen sind. Dann musste man ihn ständig beaufsichtigen, damit nicht irgendjemand sah, wie schnell er krabbeln konnte."

"Stimmt, er war sehr anstrengend", stimmte Bob zu. "Und Violetta war auch nicht unbedingt eine große Hilfe. Meistens war sie so eifersüchtig, dass sie Flash erschreckt hat. Und dann durften wir wieder hinter ihm herlaufen." Er lächelte, als er sich an einige der Verfolgungsjagden erinnerte, die er sich mit seinem Sohn geliefert hatte. Den Jungen zu beaufsichtigen war ein ganz besonderes Abenteuer gewesen. Ihre Nachbarn hatten sich vermutlich oft gefragt, wieso bei den Parrs so ein Lärm geherrscht hatte.

"So ist das nun mal mit Kindern, Liebling", meinte Helen und legte ihre Hand auf Bobs Brust, um seinen Herzschlag spüren zu können. "Wenn sie glauben, dass man einen Jüngeren bevorzugt, dann mögen sie ihn nicht mehr. Immerhin hat sie später begriffen, dass wir sie deshalb nicht weniger geliebt haben."

"Vielleicht war Flash ja deshalb immer so frech zu ihr. Es war aber auch ganz schön hart für ihn, als er merkte, dass er seine Kräfte nur im Haus anwenden durfte", erinnerte sich Bob. "Dabei hätte er so gerne seine Freunde beeindruckt."

"Ich bekomme heute noch ein schlechtes Gewissen, weil wir so streng sein mussten", gestand Helen. "Aber es musste einfach sein." Sie schwieg einen Augenblick. "Glaubst du, er hat uns dafür gehasst, Bob?"

Ihr Mann sah sie erschrocken an. "Wie kannst du so etwas denken, Schatz?", fragte er. "Er war verbittert, ja. Und er war oft aufsässig. Aber er hat uns niemals gehasst, da bin ich sicher."

Helen rutschte unruhig umher. "Ich weiß nicht... manchmal denke ich einfach, dass ich eine schlechte Mutter war. Unsere Kinder haben sich pausenlos gestritten, und wenn sie damit fertig waren, haben sie kaum ein freundliches Wort mit uns gesprochen. Du wolltest Flash wenigstens etwas Sport erlauben, aber ich..."

"Du wolltest nur, dass sie sich nicht unabsichtlich verraten, Liebling", stellte Bob klar und sah Helen fest an. "Ich habe gesehen, dass sie unzufrieden waren, ja, aber ich habe nicht an die Konsequenzen gedacht, wenn wir die Kinder gewähren hätten lassen. Ein Teil von mir wollte sogar, dass sie der Welt zeigen, was sie so besonders macht. Du warst keine schlechte Mutter, Helen... ich war ein verantwortungsloser Vater."

"Nein, Bob, das war auch nicht deine Schuld", wehrte nun seine Frau ab. "Ich hatte wenigstens noch zuhause eine Aufgabe, die mich glücklich machte, aber du musstest einen Job annehmen, der nicht zu deiner Persönlichkeit gepasst hat." Sie seufzte leise. "Vielleicht war es ganz gut, dass Syndrome in unser Leben getreten ist... ohne ihn wäre unsere Familie vielleicht auseinander gefallen."

"Siehst du? Anscheinend verstehen sich jetzt sogar Flash und Violetta besser als vorher. Bis auf den kleinen Zwischenfall im Bad heute morgen haben sie nicht mehr gestritten." Bob kniff sie spielerisch in die Wange. "Wir haben fabelhafte Kinder, Helen, aber sie mussten schon viel ertragen. Wenn es sie glücklich macht, ihren Kräften freien Lauf lassen zu dürfen, haben wir dann wirklich das Recht, es ihnen zu verweigern?"

"Ist schon gut, du hast gewonnen", murmelte Helen gespielt ärgerlich. "Egal, ob wir nun die Erlaubnis erhalten, wieder als Superhelden arbeiten zu dürfen oder nicht, wir lassen sie ihre Kräfte benutzen. Wir werden eben darauf vertrauen müssen, dass sie es verantwortungsvoll tun."

"Ich denke, sie haben in den letzten Tagen sehr viel über Verantwortung gelernt, Liebling", bemerkte Bob zufrieden. Er verzog den Mund. "Schwieriger wird es wahrscheinlich, Jack-Jack beizubringen, dass er sich nicht ständig verwandeln darf. Die Regierung hat diese Babysitterin zwar bestochen, aber wir müssen den Kleinen wohl ab jetzt gut im Auge behalten."

"Das machen wir schon", sagte Helen und gab ihrem Mann einen kurzen Kuss. "Immerhin haben wir doch schon zwei schwierige Kinder großgezogen. Da werden wir doch ein weiteres auch noch schaffen."

"Schwierige Kinder?" Bob grinste. "Lass Violetta und Flash das bloß nicht hören."

"Nun, wenn sie hier im Zimmer wären, dann hätten sie sich bestimmt schon verraten", meinte Helen amüsiert. Sie ließ ihre Augen durch das Zimmer wandern. "Ihnen wäre bestimmt schlecht geworden, wenn sie gesehen hätten, dass sich ihre Eltern wie Teenies benehmen." Die letzten Worte hatten einen verführerischen Tonfall. In ihren Augen entdeckte Bob ein verheißungsvolles Glitzern.

"Mom und Dad beim Knutschen?" Bob ahmte Flashs Tonfall täuschend echt nach. "Iiieeeh, ekelhaft!" Seine Hände begannen langsam, Helens Körper zu untersuchen. "Vielleicht sollten wir ganz sicher gehen, dass sie nicht im Zimmer sind", wandte er sich an seine Frau.

"Ja, das sollten wir wohl", meinte diese herausfordernd. Ihre Hände wanderten über seine Brust und seine mächtigen Oberarme. Ihr Atem ging schneller. "Aber wie sollen wir das machen?"

"Vielleicht reicht das ja, um sie zu vertreiben..." Bob verschloss Helens Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Diese hatte natürlich schon darauf gewartet, denn sie erwiderte ihn sofort. Während ihre Hände spielerisch über ihre Körper wanderten, fochten ihre Zungen ein hitziges Duell aus. Schließlich musste sich Helen geschlagen geben, weil ihr die Luft ausging. Auf ihrem Gesicht lag ein wilder Ausdruck, als ihr Mann sie mit leuchtenden Augen musterte.

"Nein, ich denke, wir müssen noch einen Schritt weiter gehen", sagte sie mit dunkler Stimme. Ein erwartungsvolles Grinsen lag auf ihrem Gesicht. "Sie sie haben sich in den letzten Tagen daran gewöhnt, dass wir uns öfter küssen... auch wenn sie gleich weggesehen haben."

"Und was schlägst du vor, Liebling?", knurrte Bob ihr ins Ohr, während er eine Reihe von Küssen auf ihrem Hals platzierte. Helen sog heftig Luft ein.

"Das", entgegnete sie plötzlich, presste den überraschten Bob nach hinten und schwang sich auf ihn. Er lächelte herausfordernd, als sie seine Arme auf die Matratze drückte und sich zu ihm hinunterbeugte. "Findest du diese... Vorsichtsmaßnahme übertrieben?", gurrte sie leise.

"Ganz und gar nicht", erwiderte er mit kehliger Stimme. "Allerdings..." Seine Hände sprengten mühelos Helens Griff und umarmten sie. Wieder wurden ihre Lippen aneinander gepresst, diesmal allerdings war der Kuss etwas ruhiger. Beide stöhnten leise, als Hitze in ihren Körpern aufwallte. Als sich ihre Lippen trennten, fuhr Bob fort: "... denke ich, dass ich auch noch ein Wörtchen mitzureden habe."

"Ich liebe dich, Mr. Incredible", flüsterte Helen.

"Ich liebe dich auch, Elastigirl", wisperte er zurück.

Danach stellten sie sicher, dass ihre Kinder nicht im Zimmer waren.
 
 
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