Als der Himmel weinte - Part I von Never see me again
von Yura
Kurzbeschreibung
Als der Himmel weinte... Eine Nacht und keine Geschichte - eine junge Frau auf der Suche nach ihren Erinnerungen an die Nacht, in der alles seinen Anfang nahm. Yura @--'--,--'-- >>>dankööööööö voltage ^^ UND darkshadow! und... Yenu ^^"
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
10.12.2004
08.05.2005
8
16.651
10.12.2004
2.745
"Yuri, beeil dich!"
"Komm! Wir wollen doch los!"
"Ja, komm Yuri!"
Sie stand in der Haustür, zwischen den zwei morschen Holzhalterungen, links und rechts einen Koffer, unschlüssig, ob es gut war, das traute Heim zu verlassen.
Eine ältere Frau mit seidig glattem, schwarzen Haar stand ihr gegenüber, klimperte mit einem silbern glänzenden Schlüssel und hielt mit der anderen Hand die zarten Finger eines kleines Mädchens umschlossen. "Komm, Yuri! Wir wollen doch los!", zirpte die Kleine wieder und strahlte wie der hellste Sonnenschein. Sie hielt ein Stoffpüppchen an sich gepresst, das schwarze Kleid mit den Punkten war fleckenlos rein.
Die ebenfalls rabenschwarzen Zotteln zu einem niedlichen Pferdeschwanz gebunden, blickte ein junges Mädchen erwartungsvoll zu Yuri. Ihre durchdringenden, braunen Augen musterte sie gespannt.
"Ja, komm endlich!", mit diesen Worten fasste das schwarzhaarige Mädchen den Koffer zu Yuris linken und schleifte ihn zu der Frau, welche das kleine, blonde Strahlemännchen losließ um den Raben das Haar zu zerzausen.
"Yuri, wir müssen los!" Ein schwaches Lächeln huschte über die spröden, dünnen Lippen der Frau, ihre vom Alter gezeichneten Lider senkten und hoben sich wieder, um wachsame Augen freizugeben, die Yuri liebevoll musterten. Die Frau wandte sich um, steckte zielstrebig den Schlüssel in eine Wagentür eines Autos, welches Yuri zuvor nicht bemerkt hatte, drehte um - mit einem mechanischen klacken öffnete sich das Schloss - und öffnete die Tür. Die beiden kleinen Mädchen huschten auf die Rücksitzbank des Wagens.
Die Frau schmiss den kleine Koffer, den der Rabe gebracht hatte, auf den Beifahrersitz und drehte sich noch einmal zu Yuri um.
"Willst du nicht mit uns kommen? Jetzt, wo wir uns etwas leisten können? Jetzt, wo wir glücklich werden können?" Die zwei Kleinen drückten sich die Nase an der Scheibe platt und quengelten: "Yuri!! Schwester!!! Bitte, komm!" Yuri trieb es die Tränen in die Augen, sie breitete die Arme aus und rannte auf die Frau zu. "Mum!"
Sie wollte ihre Mutter in die Arme schließen, wollte merken, dass sie nicht allein war, wollte Ai und Hitomi einen Kuss auf die Stirn drücken, mit den beiden Kinderlieder singen.
Doch etwas hielt sie auf. Etwas, was jeder Mensch besaß. Ein Teil in ihrem Gehirn alarmierte sie. Das KONNTE nicht wahr sein!
Ein kleines, orangefarbenes Männchen stellte sich mitten in ihren Weg. Es umklammerte ihre Beine sodass sie nicht weiter laufen, geschweige denn sich einen Millimeter bewegen konnte!
"DU BLEIBST!" Eine hässliche, quietschende Stimme drang aus dem Mund des Männchens. Seine Gliedmaßen waren viel zu kurz, der kugelrunde Kopf klemmte scheinbar zwischen den schmalen Schultern. Seine schreckliche, verzerrte Fratze veränderte sich schlagartig, Arme und Beine begannen, sich zustrecken und sich zu verformen. Das Orange bleichte aus und wurde zu einem sonnengebräuntem Farbton. Die tropfenförmige Nase lief augenblicklich spitz zu. Adleraugen anstelle der schwarzen, trostlosen Farbtupfer.
Aus der Kopfhaut sprossen schwarze, unordentliche Zotteln - sie wuchsen, bis sie das Gesicht bis zum Kinn umrahmten. In einer Affengeschwindigkeit hatte sich das kleine, orange Männchen in einen gut 1,90 Meter großen, mit Muskeln bepackten Mann verwandelt.
Er kam ihr eigenartig bekannt vor. In ihrem Innersten quoll Hass empor, sie wollte irgendetwas sagen, ihn verletzten, seinen Stolz ankratzen, ihn niederschmettern mit Worten des blanken Hasses. Doch sie wusste nicht, warum, warum sollte sie jemanden wie ihm weh tun wollen?
Er sah so attraktiv aus, so geschmeidig wie eine Wildkatze, wie er da vor ihr stand, eine Hand hinter dem Rücken und die andere vor dem zerfetzten Shirt.
Mit plötzlicher Heftigkeit fing es an, zu regnen. Die Umgebung schien dahin zu schmelzen und sich aus der klebrigen Masse neu zuformen. Eine verlassene Straße. Zersplitterte getönte Gläser auf der Straße, ein Desert Eagle auf dem Bordstein.
Vor ihr stand immer noch dieser fremde Mann... und eben dieser entsicherte mit einer einzigen, fließenden Handbewegung den Revolver in seiner Linken.
Sie meinte zuspüren, wie Tränen aus ihren Augenwinkeln quollen. Benommen taumelte sie rückwärts. Doch sie fiel nicht, sondern begann zuschweben. Wie ein Engel schwebte sie plötzlich in der Luft - und sah sich selbst dort unten stehen.
Sie sah sich selbst wie sie scheinbar verzweifelt den Lauf der Pistole umfasste und an ihre Brust drückte.
Sie sah sich selbst, wie sie sich verzweifelt das Leben nehmen wollte. Sie hörte ihre eigene Stimme sagen: "Du hast recht. Du hattest immer recht! Ich kann dich nicht töten." Für einen kurzen Moment sah sie ihre eigenen grünen Augen flehend gehen Himmel blicken.
Sie konnte es nicht glauben.
In einem Atemzug hauchte sie einen Namen, den ihr Gehirn für immer zu vergessen geschworen hatte, über ihre Lippen.
"Ché..." Ihre Tränen fielen mit dem Regen gen Boden. Als sie die Augen öffnete, und wieder ihn sah - sich sah, wie sie ihm einen letzten Kuss auf die Lippen drückte, wollte eine ganze Welt in ihr zusammenstürzen.
Sie war an dem Tod von vielen Menschen schuld. Sie. Nur sie. Warum hatte er sie nicht umgebracht?
WARUM?
Sie sah sich, wie ihre Finger den Abzug nach hintend rücken wollten, doch er war schneller.
Seine erhobene rechte Hand sauste auf sie nieder und schlug sie mitten ins Gesicht. Sie stürzte nach hinten - traf mit dem Hinterkopf aufs Pflaster - und regte sich kaum mehr. Nur der Brustkorb hob und senkte sich noch leicht und langsam, bevor sie in einen Erschöpfungsschlaf versank.
Über ihr hinweg jagte die Kugel, die sie selbst für sich bestimmt und dann doch nicht bekommen hatte. Ché's verzweifeltes Gesicht Blickte gen Himmelszelt und Gott, als er die Kugel auf die Reise schickte.
Kurz darauf sah sie ihn die Straße davon eilen. Ein Gedanke kam ihr in den Sinn... sie hatte schon oft diesen Satz gehört. Zu oft. Aus seinem Mund, aus dem mund ihres Vaters, aus ihrem eigenen:
"You'll never see me again!"
Ja, sie würde ihn nie wieder sehen. Nie wieder würde sie seinem braungebranntem Gesicht gegenüberstehen, dem Gesicht, welches ihr Freiheit schenkte und sie doch so sehr hasste...
Traurig blickte sie auf sich selbst, den gefallenen Engel im Regen. Noch einmal hauchte sie seinen Namen in den nächtlichen Himmel: "Ché...".
"Kann ich zu ihr?"
"Nein Sir, sie ist bewusstlos, die Operation hat an ihren Kräften gezerrt. Es tut mir leid, sie müssen sich bis morgen gedulden."
"Aber ich muss da rein!!!"
Der Weißkittel seufzte. "Sir, es tut mir leid, aber sie müssen warten!" Der 42-jährige Detective verstaute mit wutverzerrtem Gesicht seine Dienstmarke in der Innenseite seines Sakkos.
Er machte auf dem Absatz kehrt und stiefelte in die nächstgelegene Männertoilette, krempelte die Ärmel seines Sakkos hoch, drehte den Wasserhahn auf und klatschte sich eiskaltes Wasser gegen das für Wut rot angelaufene Gesicht. Als er den Kopf hob, um sich im verschmierten Spiegel zumustern, erschrak er vor sich selbst.
Tiefe Sorgenfalten hatten sich in seine Stirn eingegraben. Die Haare zerzaust vom vielen abreagierenden Durchfahren mit der Hand. Er näherte sich dem Spiegel und blickte eindringlich in seine blauen Augen. Gläsern - wie die einer Puppe, blickten ihm ein Paar ebenfalls blaue Augen entgegen. Und was sah er da, unter seinem linken Auge? Eine Falte?
Er drehte seinen Kopf - nein, es war keine Irritation seitens ihm. Ein Seufzer entwich ihm - kaum eine Woche Sorgen um eine Agentin schon alterte er um gut zwei Jahrzehnte. Er krempelte seine Ärmel wieder zurück und knöpfte den letzten Knopf seines Hemdes zu.
Mit dem Gedanken an Yuri Yamada verließ er die Intensivstation des Manhattan Hospitals, setzte sich in seinen klapprigen Nissan und brauste davon - Richtung Brooklyn Bridge. Alles, was er wusste, war, dass sie ihr 4 Kugeln aus dem Rumpfbereich herausoperiert hatten und das diese Kugeln, laut den Aussagen eines Papierfutzis, wie er die Beamten am Schreibtisch liebevoll nannte, namens Yves Mainard, von einem Kampfhubschrauber mit abgedunkelter Panzerglasfrontscheiben abgefeuert und, laut ärztlichem Befund, einem Sturmgewehr zuzuordnen sind.
Welcher Art genau, das sollten die Behörden untersuchen. In seiner Sakkotasche befand sich ein Klarsichtbeutel mit einer eben dieser Patronen.
Doch was er nicht wusste, war, das Yuri Yamada in dem Augenblick, als er in die Einfahrt seines kleinen, bescheidenen Hauses einfuhr, die Augen für einen winzigen Augenblick aufschlug, mit einem Namen auf den Lippen, und der Tatsache, dass sie eine Mörderin war.
Sie lag da. Lag einfach da und starrte das dreckige Weiß der Krankenzimmerdecke an. In ihrem Kopf spukte ein Phantom umher, verbreitete die Gewissheit in jedem Abschnitt ihres Gehirns, eilte vom Großhirn zum Zwischenhirn und brachte die Hormone in der Hirnanhangsdrüse gehörig durcheinander.
Ihr Magen machte einen Hüpfer, als sie sich an ihn erinnerte. Warum hatte er sie nur niedergeschlagen? Er hasste sie doch - eindeutig.
Und sie? Warum lebte sie noch? Sie war eine Mörderin!
VERDAMMT!
Sie lag einfach da und ließ sich von Anschuldigungen überrollen, die ihr Hirn ausspukte.
Sie sah Alex Cox vor sich, wie er nur hilflos den Kopf schüttelte und sich von ihr abwandte, während die zwei Kerle, die sie so sanft aufgespürt und ins Präsidium gebracht hatten, die schwedischen Gardinen vor ihren Augen zuzogen.
Aber hatte ER nicht ein Ultimatum gestellt?
Sie malte sich aus, wie sie, verzweifelt an dem Gitter rüttelnd, den Namen des 42-jährigen Detectives schrie, ihn anflehte, er habe ihr doch - aber "nein!", fauchte Alex Cox, hoch aufgerichtet vor ihr stehend, "Du hast dich falsch entschieden!", und mit einem Protokoll, was er aus seiner Jackentasche herausgezogen hatte, wedelte er ihr vor der Nase herum.
Ihre geröteten Augen verborgen unter leichenblassen Lidern, versuchte sie innerlich zur Ruhe zukommen. Ihr Atem ging flach - doch regelmäßig. Nach wenigen Sekunden kippte ihr Kopf auf die Seite, ihre kalte Wange presste gegen das weiße Krankenhauslaken und die schwarzen Träume suchten sie ein zweites Mal heim.
Die dunkelrote Flüssigkeit schwankte bei jeder noch so kleinen Bewegung. Er hob das Glas an die Lippen und der Wein floss aus dem kristallenen Glas. Mit einer weit ausholenden Handbewegung setzte er das Glas auf den schmalen Mahagonitisch und musterte seinen Gegenüber.
Er war noch blasser als sonst. Seine Augen huschten von einem Ort zum anderen, nirgends sicher scheinend um zu ruhen.
"So nervös?", ein Lächeln huschte über die Lippen des braunhaarigen, wohl gepflegten Mannes. Er streckte seine langen Beine weit von sich und schlug sie dann mit einer einzigen, flüssigen Bewegung übereinander.
Der Kleine fuhr zusammen. Der Hals schien nun vollends verschwunden und die Augen waren stur auf den Boden geheftet. Der fettige schwarze Vorhang aus ungepflegtem Haar hing vor seinem Gesicht wie ein Schutzschild vor ungewollten Blicken. Als Antwort kam nur ein unverständliches Grunzen zurück.
"Was?" Die rechte Augenbraue hob sich gefährlich.
"Zweifelst du daran, dass sie tot ist?" Ein paar kleine kohlefarbene Schweinsaugen huschten über den Boden zu der braunhaarigen Hakennase ihm gegenüber, wanderten über den schweren, langen Mantel aus weißem Leder und blieben schließlich wieder auf dem Boden kleben.
Er hob das Glas wieder an seine Lippen, nahm einen Zug und ließ den Wein genüsslich seine kehle entlang rinnen.
Er verschwendete hier seine Zeit. "Ché macht keine Fehler." Etwas rauer als er wollte, hauchte er diesen Satz über die Mauer aus Schweigen zwischen ihnen. Der Satz kroch über die Ziegelsteine und huschte in die Gehörgänge der Italieners. Er zuckte, soweit dies möglich war, zusammen. "Ja, Mister". Eher ein Quietschen als eine Stimme.
Doch es genügte, um die Mauer zum Einstürzen zu bringen.
Der Braunhaarige fuhr sich lächelnd mit der linken Hand durchs Haar. Ein Brillant funkelte in einer Goldfassung an seinem Ringfinger. "Gut." Er strich eine Falte seiner Hose glatt. "Du weißt auch, was wir als nächstes in Angriff nehmen?" "Ja, Mister." Ein Trockenes Schlucken,
"Das Delacorte Theater..." Das Lächeln auf den Lippen der Hakennase wurde breiter.
"Ja, Paolo. Das Delacorte!"
Der kleine Italiener starrte weiter gebannt zu Boden. Vor seinem inneren Auge sah er den Central Park - in der Mitte: die Aufführungsplattform des Delacorte. Freilufttheater... noch ein halbes Jahr. Er drückte einen tiefen Seufzer hinab in die Unendlichkeit seiner verschlungenen Gefühlswelt, verschlossen hinter Eisengittern.
"Mein Auge, sieh' sie zum letzten Mal an; umfanget sie zum letzten Mal, meine Arme, und ihr, siegelt, o meine Lippen, mit dem letzten Kuss dem wuchernden Tod eine Verschreibung, die nie wieder abgelöst werden kann - - Das, meine Liebe, trink ich dir zu! - - o ehrlicher Apotheker, Deine Tränke wirken gut - - Noch diesen Kuss." Bei diesen Worten sackt der Kopf des Braunhaarigen nach hinten, fällt auf die Lehne und bleibt regungslos liegen.
"Mister!"
Paolo, der diese Szene bis dato ehrfürchtig beobachtet hatte, stürzte auf den Mann zu, der stumm in dem Sessel lag. Seinen Kopf mit beiden Händen fassend, sendete er ein Stoßgebet zu Gott. Doch genauso schnell, wie er bei ihm war, schlug er wieder die Augen auf. Hämisch grinsend drückte er Paolo ein Messer an den Hals. "Nach Shakespeare stirbt Romeo an Gift - Julia jedoch ersticht sich selbst aus Trauer. Was, wenn wir das Stück umschreiben?" Die eisige Stimme ließ den Italiener frösteln, er steckte die Hände tief in die Jackett-Taschen und blickte teils erleichtert teils todesängstlich auf den Braunhaarigen. Dieser erhob sich aus dem Sessel steckte mit einer Seelenruhe das Messer wieder in seine Halterung an der Mantelinnenseite. Wortlos, jedoch mit einem Grinsen auf den Lippen, rauschte er Richtung Flügeltür. Bevor er eben diese öffnete, wirbelte er herum.
"Dieses Mal wird Julia als erste und einzige sterben."
Mit einem bedeutendem Blick auf Paolo fügte er hinzu: "Ich muss zur Probe. Ma'am Hauviette hasst es, wenn man sie warten lässt." Er zwinkerte und verlies mit bauschendem Mantel den Saal. Paolo schluckte heftig. Das Glas auf dem Mahagonitisch war immer noch bis zur Hälfte gefüllt. Auch wenn es ungeniert war, aus fremden Gläsern zu trinken, nahm er es und leerte es in einem Zug. Romeo und Julia... tse.." Er schüttelte den Kopf.
Dieser Benvalio war wirklich ein raffinierter Schauspieler.
Er stellte das Glas mit leisem Klirren wieder auf den Tisch und schlenderte zu seinen Bücherregalen. Nach kurzer zeit fand er, wonach er suchte. Er begab sich zurück zu seinem Sessel, wo diese Hakennase vor ein paar Minuten noch ihre Show abgezogen hatte, und ließ sich seufzend nieder.
Er schlug die erste Seite des Buches auf .
Ja, er hatte doch tatsächlich angefangen es zu lesen.
William Shakespeare's "Romeo und Julia".
Anm.: Das Gesagte von Benvalio stammt nicht von mir sondern von W. Shakespeare. Ich beziehe darauf keine Rechte.
*greedings* Yura
"Komm! Wir wollen doch los!"
"Ja, komm Yuri!"
Sie stand in der Haustür, zwischen den zwei morschen Holzhalterungen, links und rechts einen Koffer, unschlüssig, ob es gut war, das traute Heim zu verlassen.
Eine ältere Frau mit seidig glattem, schwarzen Haar stand ihr gegenüber, klimperte mit einem silbern glänzenden Schlüssel und hielt mit der anderen Hand die zarten Finger eines kleines Mädchens umschlossen. "Komm, Yuri! Wir wollen doch los!", zirpte die Kleine wieder und strahlte wie der hellste Sonnenschein. Sie hielt ein Stoffpüppchen an sich gepresst, das schwarze Kleid mit den Punkten war fleckenlos rein.
Die ebenfalls rabenschwarzen Zotteln zu einem niedlichen Pferdeschwanz gebunden, blickte ein junges Mädchen erwartungsvoll zu Yuri. Ihre durchdringenden, braunen Augen musterte sie gespannt.
"Ja, komm endlich!", mit diesen Worten fasste das schwarzhaarige Mädchen den Koffer zu Yuris linken und schleifte ihn zu der Frau, welche das kleine, blonde Strahlemännchen losließ um den Raben das Haar zu zerzausen.
"Yuri, wir müssen los!" Ein schwaches Lächeln huschte über die spröden, dünnen Lippen der Frau, ihre vom Alter gezeichneten Lider senkten und hoben sich wieder, um wachsame Augen freizugeben, die Yuri liebevoll musterten. Die Frau wandte sich um, steckte zielstrebig den Schlüssel in eine Wagentür eines Autos, welches Yuri zuvor nicht bemerkt hatte, drehte um - mit einem mechanischen klacken öffnete sich das Schloss - und öffnete die Tür. Die beiden kleinen Mädchen huschten auf die Rücksitzbank des Wagens.
Die Frau schmiss den kleine Koffer, den der Rabe gebracht hatte, auf den Beifahrersitz und drehte sich noch einmal zu Yuri um.
"Willst du nicht mit uns kommen? Jetzt, wo wir uns etwas leisten können? Jetzt, wo wir glücklich werden können?" Die zwei Kleinen drückten sich die Nase an der Scheibe platt und quengelten: "Yuri!! Schwester!!! Bitte, komm!" Yuri trieb es die Tränen in die Augen, sie breitete die Arme aus und rannte auf die Frau zu. "Mum!"
Sie wollte ihre Mutter in die Arme schließen, wollte merken, dass sie nicht allein war, wollte Ai und Hitomi einen Kuss auf die Stirn drücken, mit den beiden Kinderlieder singen.
Doch etwas hielt sie auf. Etwas, was jeder Mensch besaß. Ein Teil in ihrem Gehirn alarmierte sie. Das KONNTE nicht wahr sein!
Ein kleines, orangefarbenes Männchen stellte sich mitten in ihren Weg. Es umklammerte ihre Beine sodass sie nicht weiter laufen, geschweige denn sich einen Millimeter bewegen konnte!
"DU BLEIBST!" Eine hässliche, quietschende Stimme drang aus dem Mund des Männchens. Seine Gliedmaßen waren viel zu kurz, der kugelrunde Kopf klemmte scheinbar zwischen den schmalen Schultern. Seine schreckliche, verzerrte Fratze veränderte sich schlagartig, Arme und Beine begannen, sich zustrecken und sich zu verformen. Das Orange bleichte aus und wurde zu einem sonnengebräuntem Farbton. Die tropfenförmige Nase lief augenblicklich spitz zu. Adleraugen anstelle der schwarzen, trostlosen Farbtupfer.
Aus der Kopfhaut sprossen schwarze, unordentliche Zotteln - sie wuchsen, bis sie das Gesicht bis zum Kinn umrahmten. In einer Affengeschwindigkeit hatte sich das kleine, orange Männchen in einen gut 1,90 Meter großen, mit Muskeln bepackten Mann verwandelt.
Er kam ihr eigenartig bekannt vor. In ihrem Innersten quoll Hass empor, sie wollte irgendetwas sagen, ihn verletzten, seinen Stolz ankratzen, ihn niederschmettern mit Worten des blanken Hasses. Doch sie wusste nicht, warum, warum sollte sie jemanden wie ihm weh tun wollen?
Er sah so attraktiv aus, so geschmeidig wie eine Wildkatze, wie er da vor ihr stand, eine Hand hinter dem Rücken und die andere vor dem zerfetzten Shirt.
Mit plötzlicher Heftigkeit fing es an, zu regnen. Die Umgebung schien dahin zu schmelzen und sich aus der klebrigen Masse neu zuformen. Eine verlassene Straße. Zersplitterte getönte Gläser auf der Straße, ein Desert Eagle auf dem Bordstein.
Vor ihr stand immer noch dieser fremde Mann... und eben dieser entsicherte mit einer einzigen, fließenden Handbewegung den Revolver in seiner Linken.
Sie meinte zuspüren, wie Tränen aus ihren Augenwinkeln quollen. Benommen taumelte sie rückwärts. Doch sie fiel nicht, sondern begann zuschweben. Wie ein Engel schwebte sie plötzlich in der Luft - und sah sich selbst dort unten stehen.
Sie sah sich selbst wie sie scheinbar verzweifelt den Lauf der Pistole umfasste und an ihre Brust drückte.
Sie sah sich selbst, wie sie sich verzweifelt das Leben nehmen wollte. Sie hörte ihre eigene Stimme sagen: "Du hast recht. Du hattest immer recht! Ich kann dich nicht töten." Für einen kurzen Moment sah sie ihre eigenen grünen Augen flehend gehen Himmel blicken.
Sie konnte es nicht glauben.
In einem Atemzug hauchte sie einen Namen, den ihr Gehirn für immer zu vergessen geschworen hatte, über ihre Lippen.
"Ché..." Ihre Tränen fielen mit dem Regen gen Boden. Als sie die Augen öffnete, und wieder ihn sah - sich sah, wie sie ihm einen letzten Kuss auf die Lippen drückte, wollte eine ganze Welt in ihr zusammenstürzen.
Sie war an dem Tod von vielen Menschen schuld. Sie. Nur sie. Warum hatte er sie nicht umgebracht?
WARUM?
Sie sah sich, wie ihre Finger den Abzug nach hintend rücken wollten, doch er war schneller.
Seine erhobene rechte Hand sauste auf sie nieder und schlug sie mitten ins Gesicht. Sie stürzte nach hinten - traf mit dem Hinterkopf aufs Pflaster - und regte sich kaum mehr. Nur der Brustkorb hob und senkte sich noch leicht und langsam, bevor sie in einen Erschöpfungsschlaf versank.
Über ihr hinweg jagte die Kugel, die sie selbst für sich bestimmt und dann doch nicht bekommen hatte. Ché's verzweifeltes Gesicht Blickte gen Himmelszelt und Gott, als er die Kugel auf die Reise schickte.
Kurz darauf sah sie ihn die Straße davon eilen. Ein Gedanke kam ihr in den Sinn... sie hatte schon oft diesen Satz gehört. Zu oft. Aus seinem Mund, aus dem mund ihres Vaters, aus ihrem eigenen:
"You'll never see me again!"
Ja, sie würde ihn nie wieder sehen. Nie wieder würde sie seinem braungebranntem Gesicht gegenüberstehen, dem Gesicht, welches ihr Freiheit schenkte und sie doch so sehr hasste...
Traurig blickte sie auf sich selbst, den gefallenen Engel im Regen. Noch einmal hauchte sie seinen Namen in den nächtlichen Himmel: "Ché...".
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"Kann ich zu ihr?"
"Nein Sir, sie ist bewusstlos, die Operation hat an ihren Kräften gezerrt. Es tut mir leid, sie müssen sich bis morgen gedulden."
"Aber ich muss da rein!!!"
Der Weißkittel seufzte. "Sir, es tut mir leid, aber sie müssen warten!" Der 42-jährige Detective verstaute mit wutverzerrtem Gesicht seine Dienstmarke in der Innenseite seines Sakkos.
Er machte auf dem Absatz kehrt und stiefelte in die nächstgelegene Männertoilette, krempelte die Ärmel seines Sakkos hoch, drehte den Wasserhahn auf und klatschte sich eiskaltes Wasser gegen das für Wut rot angelaufene Gesicht. Als er den Kopf hob, um sich im verschmierten Spiegel zumustern, erschrak er vor sich selbst.
Tiefe Sorgenfalten hatten sich in seine Stirn eingegraben. Die Haare zerzaust vom vielen abreagierenden Durchfahren mit der Hand. Er näherte sich dem Spiegel und blickte eindringlich in seine blauen Augen. Gläsern - wie die einer Puppe, blickten ihm ein Paar ebenfalls blaue Augen entgegen. Und was sah er da, unter seinem linken Auge? Eine Falte?
Er drehte seinen Kopf - nein, es war keine Irritation seitens ihm. Ein Seufzer entwich ihm - kaum eine Woche Sorgen um eine Agentin schon alterte er um gut zwei Jahrzehnte. Er krempelte seine Ärmel wieder zurück und knöpfte den letzten Knopf seines Hemdes zu.
Mit dem Gedanken an Yuri Yamada verließ er die Intensivstation des Manhattan Hospitals, setzte sich in seinen klapprigen Nissan und brauste davon - Richtung Brooklyn Bridge. Alles, was er wusste, war, dass sie ihr 4 Kugeln aus dem Rumpfbereich herausoperiert hatten und das diese Kugeln, laut den Aussagen eines Papierfutzis, wie er die Beamten am Schreibtisch liebevoll nannte, namens Yves Mainard, von einem Kampfhubschrauber mit abgedunkelter Panzerglasfrontscheiben abgefeuert und, laut ärztlichem Befund, einem Sturmgewehr zuzuordnen sind.
Welcher Art genau, das sollten die Behörden untersuchen. In seiner Sakkotasche befand sich ein Klarsichtbeutel mit einer eben dieser Patronen.
Doch was er nicht wusste, war, das Yuri Yamada in dem Augenblick, als er in die Einfahrt seines kleinen, bescheidenen Hauses einfuhr, die Augen für einen winzigen Augenblick aufschlug, mit einem Namen auf den Lippen, und der Tatsache, dass sie eine Mörderin war.
*
Sie lag da. Lag einfach da und starrte das dreckige Weiß der Krankenzimmerdecke an. In ihrem Kopf spukte ein Phantom umher, verbreitete die Gewissheit in jedem Abschnitt ihres Gehirns, eilte vom Großhirn zum Zwischenhirn und brachte die Hormone in der Hirnanhangsdrüse gehörig durcheinander.
Ihr Magen machte einen Hüpfer, als sie sich an ihn erinnerte. Warum hatte er sie nur niedergeschlagen? Er hasste sie doch - eindeutig.
Und sie? Warum lebte sie noch? Sie war eine Mörderin!
VERDAMMT!
Sie lag einfach da und ließ sich von Anschuldigungen überrollen, die ihr Hirn ausspukte.
Sie sah Alex Cox vor sich, wie er nur hilflos den Kopf schüttelte und sich von ihr abwandte, während die zwei Kerle, die sie so sanft aufgespürt und ins Präsidium gebracht hatten, die schwedischen Gardinen vor ihren Augen zuzogen.
Aber hatte ER nicht ein Ultimatum gestellt?
Sie malte sich aus, wie sie, verzweifelt an dem Gitter rüttelnd, den Namen des 42-jährigen Detectives schrie, ihn anflehte, er habe ihr doch - aber "nein!", fauchte Alex Cox, hoch aufgerichtet vor ihr stehend, "Du hast dich falsch entschieden!", und mit einem Protokoll, was er aus seiner Jackentasche herausgezogen hatte, wedelte er ihr vor der Nase herum.
Ihre geröteten Augen verborgen unter leichenblassen Lidern, versuchte sie innerlich zur Ruhe zukommen. Ihr Atem ging flach - doch regelmäßig. Nach wenigen Sekunden kippte ihr Kopf auf die Seite, ihre kalte Wange presste gegen das weiße Krankenhauslaken und die schwarzen Träume suchten sie ein zweites Mal heim.
*
Die dunkelrote Flüssigkeit schwankte bei jeder noch so kleinen Bewegung. Er hob das Glas an die Lippen und der Wein floss aus dem kristallenen Glas. Mit einer weit ausholenden Handbewegung setzte er das Glas auf den schmalen Mahagonitisch und musterte seinen Gegenüber.
Er war noch blasser als sonst. Seine Augen huschten von einem Ort zum anderen, nirgends sicher scheinend um zu ruhen.
"So nervös?", ein Lächeln huschte über die Lippen des braunhaarigen, wohl gepflegten Mannes. Er streckte seine langen Beine weit von sich und schlug sie dann mit einer einzigen, flüssigen Bewegung übereinander.
Der Kleine fuhr zusammen. Der Hals schien nun vollends verschwunden und die Augen waren stur auf den Boden geheftet. Der fettige schwarze Vorhang aus ungepflegtem Haar hing vor seinem Gesicht wie ein Schutzschild vor ungewollten Blicken. Als Antwort kam nur ein unverständliches Grunzen zurück.
"Was?" Die rechte Augenbraue hob sich gefährlich.
"Zweifelst du daran, dass sie tot ist?" Ein paar kleine kohlefarbene Schweinsaugen huschten über den Boden zu der braunhaarigen Hakennase ihm gegenüber, wanderten über den schweren, langen Mantel aus weißem Leder und blieben schließlich wieder auf dem Boden kleben.
Er hob das Glas wieder an seine Lippen, nahm einen Zug und ließ den Wein genüsslich seine kehle entlang rinnen.
Er verschwendete hier seine Zeit. "Ché macht keine Fehler." Etwas rauer als er wollte, hauchte er diesen Satz über die Mauer aus Schweigen zwischen ihnen. Der Satz kroch über die Ziegelsteine und huschte in die Gehörgänge der Italieners. Er zuckte, soweit dies möglich war, zusammen. "Ja, Mister". Eher ein Quietschen als eine Stimme.
Doch es genügte, um die Mauer zum Einstürzen zu bringen.
Der Braunhaarige fuhr sich lächelnd mit der linken Hand durchs Haar. Ein Brillant funkelte in einer Goldfassung an seinem Ringfinger. "Gut." Er strich eine Falte seiner Hose glatt. "Du weißt auch, was wir als nächstes in Angriff nehmen?" "Ja, Mister." Ein Trockenes Schlucken,
"Das Delacorte Theater..." Das Lächeln auf den Lippen der Hakennase wurde breiter.
"Ja, Paolo. Das Delacorte!"
Der kleine Italiener starrte weiter gebannt zu Boden. Vor seinem inneren Auge sah er den Central Park - in der Mitte: die Aufführungsplattform des Delacorte. Freilufttheater... noch ein halbes Jahr. Er drückte einen tiefen Seufzer hinab in die Unendlichkeit seiner verschlungenen Gefühlswelt, verschlossen hinter Eisengittern.
"Mein Auge, sieh' sie zum letzten Mal an; umfanget sie zum letzten Mal, meine Arme, und ihr, siegelt, o meine Lippen, mit dem letzten Kuss dem wuchernden Tod eine Verschreibung, die nie wieder abgelöst werden kann - - Das, meine Liebe, trink ich dir zu! - - o ehrlicher Apotheker, Deine Tränke wirken gut - - Noch diesen Kuss." Bei diesen Worten sackt der Kopf des Braunhaarigen nach hinten, fällt auf die Lehne und bleibt regungslos liegen.
"Mister!"
Paolo, der diese Szene bis dato ehrfürchtig beobachtet hatte, stürzte auf den Mann zu, der stumm in dem Sessel lag. Seinen Kopf mit beiden Händen fassend, sendete er ein Stoßgebet zu Gott. Doch genauso schnell, wie er bei ihm war, schlug er wieder die Augen auf. Hämisch grinsend drückte er Paolo ein Messer an den Hals. "Nach Shakespeare stirbt Romeo an Gift - Julia jedoch ersticht sich selbst aus Trauer. Was, wenn wir das Stück umschreiben?" Die eisige Stimme ließ den Italiener frösteln, er steckte die Hände tief in die Jackett-Taschen und blickte teils erleichtert teils todesängstlich auf den Braunhaarigen. Dieser erhob sich aus dem Sessel steckte mit einer Seelenruhe das Messer wieder in seine Halterung an der Mantelinnenseite. Wortlos, jedoch mit einem Grinsen auf den Lippen, rauschte er Richtung Flügeltür. Bevor er eben diese öffnete, wirbelte er herum.
"Dieses Mal wird Julia als erste und einzige sterben."
Mit einem bedeutendem Blick auf Paolo fügte er hinzu: "Ich muss zur Probe. Ma'am Hauviette hasst es, wenn man sie warten lässt." Er zwinkerte und verlies mit bauschendem Mantel den Saal. Paolo schluckte heftig. Das Glas auf dem Mahagonitisch war immer noch bis zur Hälfte gefüllt. Auch wenn es ungeniert war, aus fremden Gläsern zu trinken, nahm er es und leerte es in einem Zug. Romeo und Julia... tse.." Er schüttelte den Kopf.
Dieser Benvalio war wirklich ein raffinierter Schauspieler.
Er stellte das Glas mit leisem Klirren wieder auf den Tisch und schlenderte zu seinen Bücherregalen. Nach kurzer zeit fand er, wonach er suchte. Er begab sich zurück zu seinem Sessel, wo diese Hakennase vor ein paar Minuten noch ihre Show abgezogen hatte, und ließ sich seufzend nieder.
Er schlug die erste Seite des Buches auf .
Erster Aufzug.
ERSTE SZENE.
Eine Strasse in Verona.
ERSTE SZENE.
Eine Strasse in Verona.
Ja, er hatte doch tatsächlich angefangen es zu lesen.
William Shakespeare's "Romeo und Julia".
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Fortsetzung folgt
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Fortsetzung folgt
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Anm.: Das Gesagte von Benvalio stammt nicht von mir sondern von W. Shakespeare. Ich beziehe darauf keine Rechte.
*greedings* Yura