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New World Order

von Yakuza
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P18 / Gen
13.05.2004
06.11.2004
9
98.641
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13.05.2004 16.789
 
Es hätte jeder beliebige Raum in jedem beliebigen Militärgebäude auf diesem Planeten sein können. Doch das war nicht der Fall. Nicht irgendein Raum, nicht irgendein Gebäude, sondern die Zentrale, in der vielleicht gerade die wichtigste Entscheidung für die Zukunft dieses Planeten gefällt wurde. Eine Entscheidung, die das Leben vieler Menschen für die kommenden Jahre für immer verändern sollte...

"Kaffee mit Zucker oder ohne?"

Obgleich die Frage höflich gestellt wurde, verrieten die stahlblauen Augen des Militäroffiziers allgegenwärtige Disziplin und Strenge, wie man sie nur über viele Jahre anerzogen bekam, nein, vielmehr wie man sie nur erlangen konnte, wenn man für eine bestimmte Sache, für den Kampf und den Krieg lebte.

"Mit Zucker, bitte... Mr. Jennings, Sir."

Norton schwitzte, daran war seine innere Anspannung sicher nicht unbeteiligt, vielmehr aber war es die dicke Luft im Inneren des Besprechungsraumes, die nur von zwei monoton summenden "Miefquirlen", wie Jennings die Ventilatoren nannte, umgerührt wurde.

"Sonst schmeckt er mir zu stark."

Der General lächelte amüsiert, ja, daran war tatsächlich nichts aufgesetztes. Seine buschigen dunklen Augenbrauen wölbten sich nach oben und seine Mundwinkel zogen sich etwas in die Breite. Er kannte das Problem, von dem Norton sprach.

"Lassen wir die Formalitäten einmal beiseite und nennen Sie mich einfach Rupert. Sie haben einen empfindlichen Magen, Norton, liege ich richtig?"

"Sie haben Recht, Mr. Jen-- Rupert. Aber was mich viel mehr interessiert ist, warum Sie mich herbeordert haben. Ein vielbeschäftigter Mann wie Sie..."

Norton legte ein verbindliches Lachen bereit, doch er kam nicht mehr dazu, es auszustoßen, da der General ihm mit schwungvoller aber dennoch ernster Tonlage ins Wort fiel.

"Nun, da muss ich Ihnen beipflichten, normalerweise... doch vor einigen Minuten erreichte uns eine Meldung, die höchste Priorität hat. Es betrifft unser heikles Projekt."

"New World Order? Gibt es damit Probleme?"

"Ich würde es normalerweise nicht so nennen, da ich Optimist bin, Norton... aber, ja. Die gibt es. Jim wurde gefasst."

"Ist diese Information bestätigt worden!?"

Norton hatte nicht einmal bemerkt, wie er aus dem Sessel hochgefahren war und sich mit den Handflächen auf der Tischplatte des Generals abgestützt hatte. Auf SEINER Tischplatte.

"Norton, wenn ich Ihnen eins versichern kann, dann, dass unsere Leute effizient sind und korrekte, saubere Arbeit leisten..." Die Stimme gewann an Schärfe.

"...etwas, was man von ihrem Trainingsteam von Wissenschaftlern offenbar nicht mehr behaupten kann."

"Sir... bei allem Respekt, es gab NIE irgendeine Garantie dafür, dass Mr. Jim wirklich Erfolg..."

"Ausflüchte interessieren mich nicht. Norton, ich möchte Sie ungern für ein Scheitern unseres Projektes bestrafen, zumal ICH mich dafür vor dem nicht mehr existenten, nun inoffiziellen Rat der Nationen verantworten muss, obgleich ich primär nichts mit der Ausbildung der Spezialkräfte zu tun hatte. Ich möchte Sie wirklich nicht für etwas verantwortlich machen, was noch abzuwenden ist."

"Was... was wollen Sie damit andeuten, Sir?", fragte der Wissenschaftler leicht unterwürfig, während er sich in seinen knarrenden Ledersessel zurücksinken lies und nervös seine Brille richtete.

"Ich möchte, dass Sie sich persönlich darum kümmern, dass Mr. Jim alle Informationen, die er gesammelt hat, an uns übergibt und anschließend spurlos von der Bildfläche verschwindet -egal wie. Nachdem er in die Fänge unserer Feinde geraten ist, könnte seine Verbindung zu uns ersichtlich werden. Und wenn Ihnen genauso viel an Ihrem Dasein liegt, wie mir, werden Sie es tunlichst vermeiden, dass AnF unser aller Existenz ein Ende setzt. Nicht wahr, Norton?"

"Verstanden, Sir. Aber was tun wir, wenn seine Informationen bereits wieder dem Feind zu Händen gegangen sind und man längst über unsere Organisation Bescheid weiß?"

"DAS, lieber Mr. Norton, möchte ich nun wirklich nicht hoffen. Falls es aber so ist, denke ich, wissen Sie, wie wir mit Leuten verfahren, die versagen." Jennings lächelte selbstbewusst, doch seine Augen waren noch immer stählern und kalt. Berechnend.

Norton zog ein Taschentuch aus seiner Manteltasche und tupfte sich die Stirn ab. Anschließend setzte er ein siegessicheres Grinsen auf, welches ebenso offensichtlich gestellt wirkte, wie es fehl am Platze war.

"Keine Sorge, Mr. Jennings. Wenn es stimmt, was die Informationen besagen, habe ich genau die richtigen Leute für den Job. Unser Problem wird sich ganz schnell in Luft auflösen... oder in Rauch und Asche, je nach dem."

"Ich erwarte positive Ergebnisse."



"08 - A question of cooperation"


Ein dumpfes Gemurmel, wie von einem weit entfernten Bach drang an Jims Ohr. Er hatte gute Lust zu stöhnen, sein Körper arbeitete sich aus dem Unterbewusstsein langsam wieder in die Welt der Lebenden vor und umarmte dabei gleichfalls alle unangenehmen Dinge des menschlichen, körperlichen Daseins... in seinem Fall waren das die schier unerträglichen Kopfschmerzen, die ihn letztlich auch dazu veranlassten, die Augen noch eine Zeit lang geschlossen zu halten. Auch das Stöhnen blieb aus, denn sein Mund fühlte sich seltsam trocken und taub an, so als hätte er zwei Kilometer heißen Asphalt glänzend geleckt.

Jim gab sich Mühe, den seltsam ungesunden Feedbacks seines Körpers erst einmal keine Beachtung zu schenken, ebenso wenig wie seiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Der Agent spitze die Ohren und tatsächlich, langsam wurde aus dem Gemurmel der Klang von Stimmen, letztlich konnte er diese sogar den beiden Geschlechtern zuordnen, was ihm den Verdacht nahe brachte, unfreiwillig an einer Versammlung teilzunehmen. Da sein Erinnerungsvermögen in Bezug auf den Gegenstand seiner Mission offenbar nicht gelitten hatte, ahnte er auch schnell, wessen Versammlung das hier war... AnF-Führungsmitglieder.

"Ah... er... scheint... ach... zu... ein...."

Jim schüttelte den Kopf und das Dröhnen in seinen Ohren, welches sich im Übrigen auch über seinen gesamten Schädel ausgebreitet hatte, klang ab. Jetzt hörte er wieder wie ein normaler, intakter Mensch.

"Stimmt. Er ist bei Bewusstsein."

Die Stimmen näherten sich während sie sprachen und bald darauf legte sich ein Schatten über Jims Gesicht, der die Augen zwar noch immer nicht geöffnet hatte, die Lichtunterschiede aber sehr wohl bemerkte.

Ein leichter Klaps gegen die Wange lies ihn die Lider dann doch zusammenkneifen und er öffnete sie vorsichtig, um nicht vom Licht der Deckenbeleuchtung geblendet zu werden.

"Komm schon, es hat keinen Zweck sich zu verstellen. Wir wissen, dass du wach bist."

Die Stimme gehörte einer Frau und sie klang leicht abfällig, so, wie wenn ein Frühpubertierender herablassend über ein Kindergartenkind lästerte, welches sich unbeholfen versuchte tot zu stellen und hoffte, dass sein profaner Streich glückte.

Jim unterdrückte die allseits beliebte "Wo bin ich"- Frage, sondern sah einfach nur nach oben, wo er in das Gesicht einer jungen Frau blickte, welcher langes, dunkles Haar über die Schultern wallte, welches ihn fast an der Nasenspitze kitzelte. Das Gesicht kam ihm vertraut vor, er war sich sicher, dass es diese Chiyoi war, mit der er unter anderem im Hangar der AnF-Zentrale gekämpft hatte. Er konnte sich auch noch entsinnen, die Frau irgendwie ausgeknockt zu haben, doch offenbar war sein Gedächtnis doch nicht so lückenlos, denn dies erklärte, warum sie wieder putzmunter war und zudem auch noch unverschämt gut aussah--

Er hatte wirklich mächtig einen gegen den Schädel bekommen, wenn er so einen Blödsinn dachte. Sofort zwang sich der blonde Söldner den Ernst seiner Situation zu erkennen und seine Gesichtszüge verkrampften sich mit einem Male.

"Ich glaube, es geht ihm immer noch schlecht. Er macht ein ganz ungesundes Gesicht."

Eine Männerstimme, die ihm vor irgendwoher auch verflucht bekannt vorkam, lachte laut auf, bevor sie der jungen Frau antwortete.

"Ist ja auch kein Wunder, wenn ich in seiner Situation wäre, würde ich auch so ein Gesicht ziehen. Er ist immerhin ganz schön schlecht dran. Körperlich ausgelaugt, gefesselt, noch dazu in den Händen des Todfeindes. Ich wette, er überlegt jetzt gerade, wie er am besten mit seiner Situation klar kommt und plant dann schon eine mögliche Flucht."

Der Agent knurrte in sich hinein und errötete tatsächlich ein wenig, aber eher mehr aus Zorn als aus Scham, da er sich mit seinen Gedanken ziemlich ertappt fühlte. Dieser Kerl kannte sich offenbar gut mit der Psyche eines Kämpfers aus... wer war das nur...

Einer plötzlichen Eingebung folgend zuckte Jim zusammen und versuchte sich dann aufzurichten, um diesen Mann, an den er sich zu erinnern glaubte, in sein Sichtfeld zu holen, scheiterte aber an den eisernen Fesseln, die ihn auf seiner Bahre festhielten.

"Wenn du weiter rumzappelst, kriegst du eine Beruhigungsspritze, kapiert? Also verhalte dich ruhig, wir bringen dich schon nicht um. Jedenfalls noch nicht."

Jim hatte genug. Seine Zunge hatte sich vom Asphaltlecken scheinbar erholt, ebenso wie sein trockener Hals und er wagte, ein paar Worte an seine Peiniger zu richten.

"Was habt ihr mit mir vor?!"

"Als ob das nicht offensichtlich wäre..."

Der Kommentar war nicht minder abfällig als der der jungen Frau, wirkte sogar noch um einiges eisiger und gleichgültiger und kam zudem auch noch aus unmittelbarer Nähe. Das war also die zweite Stimme, die sich ihm vorhin genähert hatte. Der Mann - es war eindeutig einer - hatte sich im toten Winkel zu Jims momentanen Sichtfeld positioniert und beugte sich erst jetzt über ihn. Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, trug eine Gesichtsmaske, die nur seine Augen erkennen ließen.

"Du bist das!", rief Jim so grimmig wie möglich aus, obgleich er gar nicht wusste, wer der Fremde überhaupt war.

"Was habt ihr mit mir vor, los!?"

"Wir verhören dich gründlich, du Ahnungsloser. Du bist uns Antworten schuldig."

Jim spuckte in die Richtung des arroganten Kerls, dieser wich jedoch mit einer knappen Nackenbewegung aus.

"Wenn ihr glaubt, ich verrate euch irgendwas über meine Missionsziele oder meinen Auftraggeber, habt ihr die Arschkarte..."

Die Worte wurden von einer eindrucksvollen Selbstsicherheit geleitet, die sich nicht jeder in einer so prekären Situation erlaubt hätte, doch diese Tatsache wurde von den AnF-Mitgliedern ohnehin ignoriert, was Jim ziemlich überraschte. Diesen Leuten schien es völlig egal zu sein, warum er sie überhaupt angegriffen hatte.

"Das interessiert uns nicht. Diese Dinge wissen wir längst. Es gibt andere Sachen, die uns viel mehr interessieren. Persönliche Hintergründe und Motivationen, deine ganze Einstellung... private Dinge, über die du garantiert nicht sprechen wirst, solange wir dich nicht verhört haben."

"Tzt. Ihr denkt, ihr seid unbesiegbar, oder? Ihr denkt, ihr wisst alles, was?! Wenn ihr euch da mal nicht täuscht, ihr hattet nur Glück! Ich hätte euren Laden längst hochgehen lassen können!"

"Leere Drohungen!" Die Stimme gehörte einer erwachsenen Frau, sie klang energisch und überzeugt. Auch diese Stimme hatte er schon einmal gehört... vielmehr Kujo hatte sie vernommen, doch Jim konnte sich unbewusst daran erinnern. Sie musste es sein... ja... sie, die hinter alledem steckte. Jumpdevil!

"DU bist es, der nur Glück hatte. Gegen ein Aufgebot unserer Leute hättest du nicht die geringste Chance gehabt. Du bist ja nicht einmal an unseren Führungsmitgliedern vorbeigekommen. Dabei haben Kenjin, Chiyoi und NTL im Nahkampf mit dir noch Gnade walten lassen, weil sie die Order hatten, dich möglichst nicht zu töten."

Jim hatte den Worten der Frau eigentlich kaum zugehört, zumal sie für seine gegenwärtige Situation nicht von Nutzen waren, doch ein Name hatte ihn aufhorchen lassen. Kenjin?! Richtig... auch sie war anwesend gewesen, als er in Gestalt von Kujo gewütet hatte... doch wie hatte sie ihren Kampf überleben können?!"

Jim's Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Jumpdevil mit ihren Erörterungen fortfuhr. Diesmal waren Details dabei, die Jim eher interessierten. Beunruhigten.

"Außerdem wissen wir jetzt alles über dich. Über deinen Körper, deine Fähigkeiten. Wir konnten noch nicht feststellen, WAS für ein... 'Ding' du bist aber in deiner DNA befinden sich eindeutig Spuren von etwas, was nicht menschlichen Ursprungs ist. Die Quelle deiner wahren Kraft."

"Aha... interessant. Da habt ihr ja ganze Arbeit geleistet, was?! Habt ihr Arschlöcher denn gar keine Angst, dieses Ding könnte wieder ausbrechen und alles kurz und klein schlagen...?"

"Nein. Erstens haben wir die Kreatur einmal zusammen bezwungen und zum Zweiten bist du zur Zeit so schwach, dass es unwahrscheinlich ist, sie noch einmal zu rufen."

"Schwach, eh...?"

Dieser Kerl regte ihn auf. Es war wieder der Typ, der zu aller erst gesprochen hatte und der sich immer noch außerhalb von Jims Sichtweite aufhielt. Zu gerne würde er ihm in die Augen sehen, nein, er würde ihm am liebsten eine verpassen. Er würde so gerne allen hier eine verpassen!

"Komm her, und ich zeig dir wie schwach ich bin... aber jammer' nicht, wenn ich dir die Fresse poliere..."

"Hoh! Du reißt dein Maul weit auf, dafür, dass du drei Tage bewusstlos warst."

Jim ging endlich ein Licht auf. Die Stimme. Das Auftreten. Ja, er kannte diese Person. Nicht nur von den letzten Geschehnissen da unten in der Waffenschmiede. Nein, er war...

"D... du bist das!? Der Kerl aus dem Waschraum?! Dem ich das Bein zerlöchert hab?!"

Der angesprochene erhob sich endlich und so trat die dritte Person in Jims Blickfeld, beugte sich über ihn und lächelte zufrieden.

"Exakt. Wenn ich mich vorstellen darf, AnF-Elitemitglied Yakuza..."

"Grr... du... du Mistkerl warst das..."

"Ja, aber reg dich später auf. Wir sehen uns noch früh genug wieder, doch jetzt verfrachten wir dich erst mal in eine schöne Zelle."

Wie auf ein Kommando erhob sich das dritte männliche Mitglied der AnF-Eliteforce und marschierte in Richtung der Bahre, die sich im Zentrum des Raumes befand.

"Nguyen, was sagst du zu seinem Zustand?"

Der Angesprochene betrachtete die Anzeige eines Messgerätes, welches an der fahrbaren Liege angebracht war und lies dann Chiyoi, die ihn gefragt hatte, ebenfalls ablesen.

"Ich würde sagen, sein Zustand ist stabil. Vielleicht sollten wir ihm noch einige Präparate geben, damit sein Körper halbwegs in Schuss kommt. Sonst übersteht er das Verhör am Ende nicht."

Obgleich der Vorschlag sachlich war, sprachen Tran Locs Augen, die den Blick Jims kurz streiften, eine andere Sprache. Im Grunde wäre er nicht böse darüber, wenn Jim das Verhör nicht überlebte. Die Situation für den Söldner war wirklich beschissen. Worst-case cenario, sozusagen.

"Einverstanden, ich sehe es genauso." Die abschließenden Worte Chiyois nahm Jumpdevil zum Anlass, um ihren Schlussbefehl zu äußern.

"Gut, dann könnt ihr ihn in den Sicherheitstrakt verfrachten. Yakuza, würdest du das übernehmen? Komm dann bitte nachher zurück, ich möchte mit euch allen noch etwas besprechen."


***



Mit einem sanften Klacken rastete die Sicherung der letzten Fessel ein.

"Das war's. Auf unbestimmte Zeit wird das dein neues Zuhause sein." Die Worte wurden von einem freundlichen Lächeln begleitet, bei dem niemand annehmen konnte, dass eine böse Absicht dahinter steckte. Doch Jim wusste es besser, weshalb er Yakuza mit einem finsteren Blick strafte. Ein Blick, nicht mehr und nicht weniger. Erst als die Zellentür ins Schloss fiel, begann Jim probeweise zunächst leicht dann immer stärker an seinen Fesseln zu rütteln. Ergebnislos.

So sah es also aus, sein neues "Zuhause". Der Raum war winzig. Gerade einmal so groß, dass Jim aufrecht darin stehen konnte. Die Wände allerdings waren so nah beieinander, dass es unmöglich war, mehr als drei normal große Schritte in jede Richtung zu tun. Ein winziger Trakt, der kein Fenster besaß. Jim kam sich vor, als hätte man ihn in einen der Bauklötze gesperrt, mit denen er als Kind immer gespielt hatte.

Nur war dieser Bauklotz aus Beton, die Wände vermutlich mehrere Meter dick. Die Tür gepanzert. Uns seine Fesseln je für eines seiner vier Gliedmaßen direkt in die Wand eingelassen. Selbst wenn er all seine normalmenschlichen Kräfte aufbrachte, konnte er die Kettenstifte nicht aus den Wänden ziehen, nicht mal einen Millimeter. Der blonde Söldner atmete laut aus und sank dann in eine bequeme Sitzposition. Hand- und Fußgelenke hatte er sich nach diesen ersten hoffnungslosen Befreiungsversuchen bereits wund gescheuert. Er konnte hier nichts tun, bestenfalls einen Plan schmieden und seine Kräfte für eine mögliche Chance sparen, die es unter Umständen nicht einmal gab... aber...

"Die Hoffnung stirbt zuletzt....heißt es immer...." Das plötzliche Knurren seines Magens lies Jim seinen Satz unterbrechen und seine Aufmerksamkeit der Tatsache zugehen, dass er seit mehreren Stunden nichts mehr gegessen haben musste. Vielleicht sogar seit mehreren Tagen.

"... nun, zumindest hoffe ich das. Falls ich nicht vorher verhungert bin."

Er hoffte inständig, dass ihm wenigstens Wasser und etwas Nahrung gereicht wurde. Er hatte nie gehört, dass AnF irgendwelche Gefangenen gemacht hatte. Falls doch, wusste niemand, was aus ihnen geworden war. Ob sie sie folterten? Oder einfach umbrachten? Verhungern und verdursten ließen, die Zelle abschlossen und den Schlüssel wegwarfen? Oder gar den ganzen Raum einfach zumauerten?

Jim wollte nicht weiter darüber nachdenken. Er schloss die Augen für einige Minuten und lies seine Gedanken einfach kreisen... langsam, so hoffte er, kehrten dann auch endgültig alle Erinnerungen an seinen Kampf gegen Chiyoi und Tran Loc zurück. Bisher waren davon nur Bruchstücke erhalten oder seine Erinnerungen waren teilweise verwischt und undeutlich und kaum zuordenbar.

Ein Gedanke, der ihm aber partout nicht aus dem Kopf gehen wollte, war, wie Kenjin ihren ersten gemeinsamen Zusammenstoß überlebt haben konnte...


Der Stuhl schabte über den mit Fliesen verkleideten Boden, als sich die ihm zugehörige Person an den langen Konferenztisch setzte und eine aufrechte Position einnahm.

"Gut, damit sind wir wieder alle vollzählig. Das ist sozusagen unsere erste große Krisenstabssitzung."

Jumpdevil verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich ein Stück zurück, ihr Blick schwenkte durch die Runde, suchte Kontakt mit den Augenpaaren eines jeden Elite-Mitgliedes.

"Zu aller erst.... danke. Ich danke wirklich jedem einzelnen von euch, ihr habt wieder einmal bewiesen, dass es uns auch durch Teamwork möglich ist, mit derart schweren Schlägen fertig zu werden, wie es im Moment der Fall ist. Auf der anderen Seite ist dieser Zustand für uns als wichtige Erfahrung, als Zeichen zu werten. Denn wenn wir uns in den letzten Monaten etwas erlaubt haben, dann ist es offenkundige Fahrlässigkeit. Ein jeder von uns - mich eingeschlossen - hat sich auf seinen Lorbeeren ausgeruht."

Ein bekennendes Nicken ging durch die Runde und obgleich keiner ein Wort sprach, war es einfach aus den Gesichtern zu lesen, was in ihnen vorging. Fast jeder gab sich selbst einen Teil der Schuld, fast jeder bedauerte, Fehler gemacht zu haben, die nicht nur Freunde und Kollegen sondern vielleicht auch das ganze globale Gefüge in Gefahr gebracht hatten.

"Unser Gespräch hier soll aber nicht den Zweck verfolgen, Schuldzuweisungen auszuteilen. Wir wissen alle, dass der Hauptverantwortliche keiner von uns ist. Dass es Jim ist, der inzwischen, Gott sei Dank, gefasst wurde. Aber wie soll es jetzt weitergehen. Ich gestehe ein, Envinyatar und ich hatten bis jetzt am wenigsten mit ihm zu tun. Kenjin, Chiyoi, Nguyen, Yakuza und Lone. Ihr alle hattet mehr oder weniger stark Kontakt zu Jim. Was wisst ihr über ihn, wie schätzt ihr ihn ein?"

Zunächst herrschte betretene Stille im Raum, keiner der Anwesenden wagte es einfach mit seiner Meinung und seinen Verfahrensplänen herauszuplatzen. Lone Demon brach letztlich das Eis.

"Was wir mit Gewissheit sagen können - obwohl ich es ungern zugebe - er ist stark. Ob man das nun auf die Tatsache reduzieren muss, dass er mindestens ebensoviel Glück hat und dass er über Fähigkeiten verfügt, die keiner von uns recht einschätzen kann, ist zweitrangig. Ich sehe in ihm jedenfalls Potential. Sowohl positives als auch negatives."

"Was meinst du damit, Lone?"

Envinyatar, die dem ganzen gebannt gelauscht hatte, so wie die übrigen Mitglieder auch, warf diese Frage ein.

"Ich meine, dass es vielleicht nicht unbedingt notwenig ist, Jim auszuschalten. Er verfügt über Fähigkeiten, die keiner von uns besitzt und er hat bereits eine umfassende Kampfausbildung erhalten. Zudem ist er kreativ und clever. Er wäre eine gute Ergänzung für das Team."

"Oder ein erhöhtes Sicherheitsrisiko." Yakuza, der zuletzt angekommen war und sich etwas nach vorn auf die Tischplatte lehnte, führte Lones Gedanken fort.

"Ich bin im wesentlichen schon Lone's Meinung. Es stimmt, Jim hat etwas an sich, was für unsere Organisation immens von Nutzen ist. Er ist gewissermaßen ein roher Diamant, aus dem wir noch eine Menge rausholen könnten. Auf der anderen Seite aber wissen wir darum, wie clever er sein kann. Wie können wir wirklich sicher sein, dass wir ihn auf unsere Seite bekommen können, falls das überhaupt möglich ist? Woher nehmen wir die Garantie, dass er uns nicht im Fall der Fälle hintergeht? Und dann gibt es da noch ein Problem..."

Yakuzas Blick schwenkte über zu Nguyen und Chiyoi, die nebeneinander an einer Tafelseite saßen.

"Jumpdevil, ich vermute, Yakuza spielt auf dieses Ding... "Kujo"... an. Während Jim bewusstlos war, haben wir zahlreiche Tests durchgeführt. Was immer da in ihm ist, es ist nicht menschlich. Untersuchungen auf eventuelle Mutationen oder Genmanipulation haben nichts ergeben. Es scheint, als sei Kujo ein äußerer Einfluss, der zunächst nicht aus Jim selbst kommt."

"Was bedeutet das genau, Chiyoi?"

"Wir sind nicht sicher. Tran Loc hat die Biowerte Jims von vor unserem Kampf mit dem T 2000 mit denen nach Kujos entgültigem Ausbruch verglichen. Sie haben sich seit dem verändert, sind um ein ganzes Stück besser geworden. Das heißt, gesteigerte Muskelleistung im gesamten Körper, erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit mit den Sinnen und eine Art... 'sechster Sinn'... alles Dinge, die noch nicht vorhanden waren, bevor Kujo das erste Mal völlig ausbrach. Es scheint, als habe sich erst kürzlich etwas in seinem Körper eingenistet, das zunächst irgendwo anders gehaust haben muss."

"... ein Dämon?!"

die Aufmerksamkeit wandte sich Lone Demon zu, dessen ausgesprochene Worte für ihn selbst ebenso zweifelhaft klangen, wie der Gedanke von jedem hier aufgenommen wurde.

"Ich halte das für unwahrscheinlich, aber es ist definitiv etwas, was weit über das normale menschliche Fassungsvermögen hinausgeht.", kommentierte Tran Loc, "Vielleicht ist es eine Art Technologie?"

"Was immer es ist... es macht aus ihm ein... Vieh, ein Monster mit unglaublichen Kräften. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass dieser Kujo nicht gleichzeitig Jim ist."

"Ach ja?" Envinyatar und Jumpdevil waren etwas überrascht von Yakuzas Worten, doch sowohl Tran Loc als auch Chiyoi nickten einvernehmend.

"Wir sind auch Yakuzas Ansicht." Chiyoi faltete fast schon unbewusst die Hände, als sie sich daran erinnerte, was sie vor einigen Tagen da unten erlebt hatte.

"Es war... ein völlig anderes Bewusstsein. Sowohl NTL und Yakuza als auch ich haben mit Jim Kontakt gehabt, bevor er Kujo war. Es scheint fast so, als ob er eine gespaltene Persönlichkeit hat, eine 'dunkle Seite' die von Kujo repräsentiert wird und sich bisher nur unterschwellig in ihm aufhielt, nun allerdings immer dominanter wird. Einmal losgelassen übernimmt Kujo die totale Kontrolle über Jims Körper und löst bei ihm diese Mutation aus. Wird die Verwandlung wieder rückgängig gemacht, kann sich Jim kaum an Einzelheiten erinnern, zudem ist sein Körper ziemlich entkräftet."

"Eine Art Schizophrenie?!"

"Möglich wär's"


***



Rein von Außen betrachtet schien Jim in seiner kleinen Kammer vor sich hinzudösen. Doch dem war nicht so. Da er sie weder ausreichend bewegen konnte, um auszubrechen oder wenigstens in der Zwischenzeit seinen Körper zu trainieren, reduzierte er seine Übungen auf Meditation.

In seinen Geist war Ruhe eingekehrt, so, wie er es schon seit langem nicht mehr erlebt hatte. Doch trotz der Stille spürte er, dass er nicht allein war. Eine düstere Präsenz, kaum wahrnehmbar aber dennoch vorhanden schien sich in seiner Seele auszubreiten, wie ein lautloser, schleichender Nebel.

"Ich weiß, dass du da bist....", murmelte Jim im Flüsterton, "... Kujo. Aber du wirst mich nicht stören."

Ein Frösteln glitt seinen Rücken hinab, es kam ihm vor, als öffneten sich in den Innereien seines Körpers Tausende kleine Münder, die ihre wispernde Stimme wie schnell tropfendes Wasser erklingen ließen, dass es dem blonden Agenten Schauer über den Leib jagte.

"Hmmmm... mhmhmhm....grhchchch..... glaubst du das?!"

"Du WIRST mich nicht stören. Du hast keine Macht über mich, Scheusal. Nicht mehr."

"Warum belügst du dich selbst, sterblicher Mensch? Du weißt ebenso wie ich, dass ich mich in die eingenistet habe, in dir wuchere und wachse, wie ein schwarzes, krankes Geschwür, dass dich von innen auffrisst und langsam verändert..."

"Warum belügst DU dich selbst?! Wenn du soviel Macht hättest, wie du behauptest, warum hast du dann verloren? Warum hast du dann nicht noch immer Kontrolle über meinen Körper und meinen Geist?!"

Jim ballte zornig die Fäuste, während er sich auf die Unterlippe biss. Kujo war lästig. Mehr als das. Eine Plage, eine Krankheit, die Jim selbst langsam über den Kopf zu wachsen schien. Als Schwert hatte er wenigstens noch annähernd Macht über ihn gehabt, doch seit sich der Dämon nach und nach in seinem Geist breit gemacht hatte, war es ihm immer schwieriger geworden. Kujo hatte ein eigenes Bewusstsein, unglaubliche Kräfte und trumpfte mit der Erfahrung von Jahrhunderten auf.

"Oooohh... sind wir etwa sauer? Hast du gerade die Fäuste geballt und auf deiner Lippe herumgekaut? Oder warst das gar nicht du... sondern ich? Wie sicher kannst du dir noch sein, dass das, was mit dir geschieht, dass das, was du tust wirklich in DEINER Macht steht?! Durch DICH gesteuert wird, na?!"

"Du... nervst mich. Verschwinde endlich! Du hast keine Macht über mich, egal wie sehr du mich einzuschüchtern versuchst!"

"Graaaahahahahaha.... du Narr! Was glaubst du, warum es so einfach war, von diesen Nichtsnutzen gefangen genommen zu werden?! Ich habe etwas nachgeholfen... jetzt, da du eingekerkert bist, ist es ein leichtes, deinen Körper Schritt für Schritt zu übernehmen... Jim... hier gibt es nichts, keinen Kampf, keinen Gegner, nichts, was dich von mir ablenken könnte. Du bist gezwungen, dich mit mir auseinander zu setzen."

"Wozu das alles?! Was versprichst du dir davon? Hast du dafür meinen und deinen Körper geschwächt? Was hast du davon, wenn wir beide nicht mehr bei Kräften sind...?"

"Wenn du dich da mal nicht verschätzt... meine Niederlage gegen diesen AnF-Haufen war ein akzeptabler Preis für das, was ich am Ende alles gewinnen kann! Du vergisst, dass ich ein Dämon bin... selbst wenn mein Körper geschwächt ist, mein Geist bleibt davon nahezu unbetroffen - im Gegensatz zu dir! Da auch dein Körper ebenso wie dein Geist geschwächt sind, habe ich dich bald komplett unter Kontrolle, haha!"

"... .... Oh Mann. Du bist doch krank. Du größenwahnsinniges Miststück, glaub ja nicht, dass ich dich einfach machen lasse, was du willst!! Du verfluchter Verräter hast mir dein Wort gegeben, dass--"

"SCHWEIG!!! GAR NICHTS habe ich dir versprochen! Ich habe dir garantiert, solange in deinem Körper zu kämpfen, bis du gewonnen hast... nun... theoretisch hast du auch gewonnen... aber... sagen wir so.... ich habe es mir anders überlegt. Du glaubst ja nicht, seit wie vielen Jahren ich mich nach einem neuen Körper sehne... Jahrhunderte der Verbannung... endlich beendet! Wer würde diese Chance nicht wahrnehmen...?"

"Kch! Für dein lächerliches Ego lässt du deinen Meister im Stich?! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich das verdammte Schwert, in dem du gesteckt hast, niemals angerührt! Du widerst mich an, du verfluchte Missgeburt!"

"Oooh.... touché! Na und?! Was kümmert es mich, was mit deinem Bewusstsein geschieht?! Wahrheit und Ehre sind doch nur etwas für Verlierer, die zu schwach sind, nach der Macht zu greifen! Es wird mir ein Vergnügen sein, mit deinem Körper Angst und Schrecken über die Welt zu bringen!"

"Aber noch bist du nicht so weit! Noch habe ich die Kontrolle über meinen Körper und meinen Geist! Und ich werde dich an deinem Vorhaben hindern!"

"Und wie willst du das anstellen?!"

"Das erfährst du noch früh genug, Kujo...und jetzt... VERSCHWINDE!"

Im gleichen Moment fuhr mit lautem Quietschen die schwere Zellentür auf. Kenjin schrak kurz zusammen, sodass ihr fast das Tablett aus der Hand gefallen wäre, doch sie fasste sich schnell wieder.

"Ist das eine Begrüßung, du Jammerlappen?! Aber gut - dein Wunsch ist mir Befehl. Wenn du nichts essen willst, verschwinde ich wieder."

Jim lies entnervt den Kopf hängen, verwarf seine Gedanken über die Ignoranz dieser AnF-Offiziere gleich wieder. Kenjin gehörte vielleicht nicht gerade zu den Leuten, die er hier am liebsten hatte, doch ihre Anwesenheit war die benötigte Ablenkung, um Kujos nervtötende Präsenz einen Moment zu verdrängen - und nebenbei noch ein paar Informationen zu erlangen.

Kenjin wollte eben die Türe hinter sich schließen, als Jim kettenrasselnd seine Hand nach ihr ausstreckte.

"W..warte! Geh noch nicht. Ich hab ja nicht dich gemeint.", entgegnete Jim mit versöhnlicher Stimme.

"Ach? Was wird das? Versuchst du dich einzuschmeicheln, du - na, wo haben wir das schon gehört - Monster!?"

Jim rollte merklich mit den Augen. Ja, vor noch nicht all zu langer Zeit hatte er Kenjin als Monster bezeichnet. Inzwischen hatten die Ereignisse so einen Wandel genommen, dass er selber eins geworden war - im gewissen Sinne jedenfalls.

"Ist ja gut. Ich hab nicht vor, mich selbst zum Arschkriecher zu degradieren, keine Sorge. Wir sind mit Sicherheit keine Freunde und denk bloß nicht, dass ich irgendwas von dem, was ich gesagt oder getan habe, bereue."

"Also, was dann? Warum soll ich dann bleiben? Deswegen?" Sie deutete auf das Tablett, auf dem sich eine große Schüssel Reis befand, dazu ein Pott Tee.

"Hmmm.... ich geb's ungern zu, aber ja, deshalb." Jims Magen knurrte. Er hatte wirklich ziemlichen Hunger.

"Na dann, guten Appetit.", entgegnete das geschminkte AnF-Elitemitglied lustlos und schob Jim grob das Tablett unter die Nase.

"Ich hoffe, der Hunger treibt's rein, du Arschloch. Aber das wird einen, der fressen muss wie ein Hund, wohl kaum interessieren...", stellte Kenjin fest, da Jim ihren Worten keinerlei Beachtung entgegen brachte, sondern sich nach vorn über gebeugt hatte, um mit dem Mund den Reis aus der Schüssel zu wühlen. Als die junge Frau sich abermals zum Gehen wandte, hielt Jim sie erneut auf.

"Warte bitte noch einen Moment."

"Was noch?"

"Verrat es mir... wie hast du überlebt."

"Pfäh... hast du keine anderen Sorgen? Du bist widerlich! Interessierst dich nur für das Leid anderer... aber da du das Verhör von Yakuza und Lone Demon eh nicht überlebst, kann ich es dir genauso gut auch erklären."

Wortlos lies Kenjin eine ihrer behandschuhten Hände im gegenüberliegenden Ärmel ihres Flickenmantels verschwinden. Sie holte vier zarte Hälmchen hervor, einen zwischen jedem Finger.

"Siehst du das? Pass auf."

Die junge Frau schien sich einen Augenblick zu konzentrieren, jedenfalls wurde ihre Miene etwas finsterer, dann geschah etwas, was selbst Jim die Sprache verschlug. Die Halme verbogen sich, nein, nicht nur das, sie zerrten regelrecht alle in eine Richtung, die Kenjin ihnen scheinbar gedanklich vorgab.

"Was... ist... das? Telekinese?!"

Kenjin antwortete nicht auf die Frage. Stattdessen lies sie die Halme wieder in ihrem Ärmel verschwinden.

"Ich habe die Macht über sämtliche Pflanzen. Du hast zwar das Feld in Brand gesteckt, doch es gab noch genug Pflanzen, die unversehrt waren. Was glaubst du, was passiert, wenn ich die Wurzeln von mehr als zweitausend Pflanzen in eine Richtung ziehen lasse?"

"Du hast... aha... ich verstehe..."

"Bingo. Der Erdboden wird aufgerissen und bietet mir ein riesiges Loch, in dem ich mich verstecken kann. Das ist meine Spezialität, meine ultimative Fähigkeit - der Erdsarg."

"Ziemlich clever für ein..."

"Monster?! Haha.. scherz du nur, lange kannst du's ja nicht mehr.", konterte Kenjin keck, dann ging sie entgültig zur Tür. Bevor sie sie hinter sich zuschlug, steckte sie noch mal mit einem provokanten Grinsen den Kopf durch den Spalt.

"Ach ja, ehe ich's vergesse - unser Koch war erfreut, dass du endlich geschnappt wurdest. Ich hoffe, er hat dir nicht ins Essen gerotzt. Ciao!"

Dann fiel mit einem Krachen die schwere Tür ins massive Schloss. Jim schluckte hart, der Hunger war ihm mit einem Male vergangen.

"Na klasse..."


***



"Dreck, Dreck, Dreck...!"

Wütend hackte Nguyen mit dem Zeigefinger auf die Enter-Taste der Computertastatur ein. Das war eigentlich überhaupt nicht seine Art, er blieb meistens ruhig und gelassen, reagierte normalerweise besonnen und rational. Aber heute war er wütend. Insbesondere jetzt. Die Reparaturen an dem beschädigten T 2000 Prototypen gingen nur schleppend voran. Ach was, sie krochen regelrecht dahin, so schlecht sah es aus.

"Ich geb's auf, ich verlier die Nerven...", gestand NTL entnervt ein und fuhr sich mit der flachen Hand übers Gesicht, während er mit der anderen das Keyboard achtlos beiseite warf, so dass es klappernd zu Boden fiel. Das Organisationseigentum behandelte er normalerweise auch nicht so, doch auf eine Tastatur kam es bei AnF wirklich nicht an. Er konnte jederzeit eine neue bekommen.

"Ist es so schlimm?", fragte Chiyoi mit ernsthaftem Interesse und schob sich unter einem riesigen Metallklotz hervor, der aufgebockt über ihr "schwebte". Es handelte sich um den beschädigten Kopf des T 2000.

"Ja, ich fürchte schon. Das ganze Netzwerksystem hat irgendwie was abgekriegt. Ich bin wenigstens froh, dass Rei..."

Er unterbrach sich und stieß innerlich einen Fluch aus. Noch hatte glücklicherweise niemand von seinen Mitstreitern erfahren, dass er Reidras Körper digitalisiert und als Computerdatei in den T 2000 geschmuggelt hatte. Und es sollte vorerst auch so bleiben, niemand sollte von ihrer Existenz erfahren, bis ihr Programm nicht perfekt war und einwandfrei lief. Erst dann würde sie auch von den anderen als vollwertiges Elite-Mitglied anerkannt werden, obgleich sie nicht menschlich war. Jedenfalls nicht mehr.

"Hast du was gesagt?"

"Nein. Nichts... Ich meinte nur, dass Netzwerk ist stark beschädigt und einige Programme wurden gelöscht. Irgendwie muss der Speicher was abgekriegt haben. Schwierige Sache, aber ich krieg's irgendwie wieder hin."

Chiyoi wischte sich mit dem behandschuhten Handrücken über die Stirn, wo sie eine blass-graue, schmierige Substanz hinterlies - vermutlich Öl oder irgendein Schmierfett oder Hydraulikflüssigkeit. Nguyen lächelte zu ihr herüber, auch wenn ihm schon wieder der Schweiß auf der Stirn stand. Dass konnte daran liegen, dass es hier drin verdammt heiß war aber auch daran, dass...

"Das hoffe ich doch. Wäre ja ein Wunder, wenn unser Hacker das nicht geregelt kriegt!" Sie grinste, bei dem Wort Hacker schwang ordentlich Sarkasmus mit.

"Administrator, bitte. Manchmal haben die Wände Ohren..." Er zwinkerte ihr zu und gab sich dabei Mühe, so frisch und fit auszusehen, wie es Yakuza war, wenn er ein heißes Bad nach dem Training genommen hatte. Dem in jeder Beziehung geschulten Auge der dunkelhaarigen Wissenschaftlerin entging diese Farce aber nicht.

"Du musst dich nicht so zusammen nehmen. Ich seh' dir doch an, dass es dir immer noch nicht gut geht."

Tran Loc strich sich über die Stelle an seinem Bauch, wo Kujos Klaue seine Innerein durchstoßen hatte. Schmerz keimte plötzlich wieder auf und er presste die Kiefer aufeinander.

"Hmm... ich verstehe nicht, warum es nicht richtig verheilt ist. Die Nanopille hat doch sofort angeschlagen und die Verletzung kuriert. Warum tut es immer noch weh?"

Chiyoi wischte sich den Schmutz mit einem sauberen Lappen aus dem Gesicht und von den Händen, nachdem sie ihre Handschuhe ausgezogen hatte. Dann trat sie herüber zu ihrem Teamkollegen.

"Ich weiß es nicht. Vielleicht hat es mit Kujo selbst zu tun. Seine Kräfte liegen jenseits unserer Vorstellungskraft. Wer weiß, wozu Kujo in der Lage ist."

"Könnte sein. Wie auch immer, es nervt jedenfalls..."

Unvermittelt legte sie ihre zierliche aber dennoch recht kräftige Hand sanft auf die Stirn des Administrators, der im ersten Moment überrascht zurück wich, Chiyoi dann aber gewähren lies.

"Hmmm... du hast ja Fieber. Vielleicht solltest du dich lieber etwas ausruhen. Die ganze Bildschirmarbeit ist sicher nicht gut für dich..."

"Ich... ach was, das ist schon ok. Ich muss mich beeilen und den T 2000 bald wieder einsatzfähig machen. Wer weiß, wann wir ihn wieder brauchen."

Sie lächelte und zog dann langsam ihre Hand wieder zurück, auch wenn Tran Loc zugegebenermaßen das Gefühl ihrer kühlen Haut auf seiner Stirn genossen hatte. Er sah zu ihr auf und ihre Blicke trafen sich, diesmal jedoch hielt ein jeder dem anderen Stand, statt ihm wie sonst so oft nur flüchtig zu begegnen und ihn dann gleich wieder abzuwenden.

"Du hast recht. Aber du solltest trotzdem eine Pause machen. Du hast in letzter Zeit schon genug für mich... ich meine, für uns alle getan. Ich hätte den Kampf gegen Jim sicher nicht überlebt, wenn du nicht... nun ja.... eingegriffen hättest... vielleicht hätte keiner überlebt..."

Der Blick der beiden Elitemitglieder vertiefte sich und es geschah mehr unbewusst, dass sich ihrer beider Gesichter einander langsam annäherten.

"Ich... möchte nicht wie ein Held dargestellt werden, der ich eigentlich nicht bin... Chiyoi.... aber ich... danke...dir..."

Mit einem lauten Rums flog die Tür des Werkstatt-Abteils der Wissenschaftsräume auf und sowohl Nguyen als auch Chiyoi, deren Nasen sich inzwischen beinahe berührt hatten, zuckten erschrocken zusammen, was Chiyoi eine verlegene Röte aufs Gesicht rief, während Tran Loc seine verheilte Bauchwunde betastete und schmerzlich das Gesicht verzog.

"Kaffee, bitte."

Yakuza trottete in den Raum, die fast-Romanze der beiden AnFler dabei völlig ignorierend und griff sich einen freien Stuhl, der an dem Tisch stand, an welchem auch NTL arbeitete. Er sah niedergeschlagen und erschöpft aus, auch wenn dieser Eindruck des Körpers blanke Lüge war; war der Sicherheitschef doch fit wie eh und je. Doch vielleicht trug der Schweiß und die Blutspritzer auf seiner Stirn und seiner Kleidung dazu bei, dass er aussah, als hätte er eben einen Krieg im Alleingang beendet.

"Mit Zucker?"

"Ohne. Schwarz."

Chiyoi, der das Thema Getränk wie gerufen kam, um doch noch alle eventuellen trügerischen Indizien für ein mögliches Techtelmechtel mit Tran Loc zu verwischen, hakte weiter nach, während sie das Getränk zubereitete.

"Selten, dass du Kaffee trinkst. Bist du nicht sonst Abstinenzler, was all diese "schädlichen" Genussmittel angeht? Ich dachte, du trinkst nur Wasser."

"Normalerweise ja.", gab Yakuza zu, während er die Augen schloss, um sich mit einem Handtuch, welches über seinen Schultern gehangen hatte, übers Gesicht zu wischen, "Aber diesmal mache ich ne Ausnahme. Ich muss wach bleiben, wird heute ne lange, anstrengende Nacht."

"Für dich oder für Jim?", warf Nguyen zynisch ein.

Yakuza grinste. "Sowohl als auch, würde ich sagen. Man mag es nicht glauben, aber diese Arbeit ist nicht nur nervtötend und anstrengend... nein... ich mache sie noch nicht mal gerne!"

Dazu hob er belehrend den Zeigefinger und sah dabei fast wie ein Apostel aus, der einem Schüler etwas schier unglaubwürdiges predigte. Chiyoi grinste zu diesem Bild.

"Demnach zu urteilen, gönnst du dir jetzt eine Pause, während Lone dich vertritt?"

"In der Tat. Aber was anderes - ihr fragt euch sicherlich, warum ich hier bin. Nun, zum Einen wollte ich mich erkundigen, wie es Nguyen geht und zum Anderen... Chiyoi, du hast doch in Zusammenarbeit mit Kenjin dieses Mittel entwickelt... diesen Agoniestimulator?"

"Na, wie du siehst, mir geht's soweit gut. Zwar schmerzt die Stelle seltsamerweise noch aber ansonsten ist alles in Ordnung.", konnte Tran Loc schnell berichten, dann wand sich auch seine Aufmerksamkeit neugierig Chiyoi zu, deren Gesichtszüge sich leicht verhärtet hatten, wie bei einer Ärztin, die besorgt in der Anwendung eines Medikamentes mit zu hohen Nebenwirkungen schien.

"Der Agoniestimulator? Ja, das Mittel hab ich fertig... aber seine Wirkung ist noch nicht vollkommen erprobt. Aber ich bin nicht dumm - ich weiß, du willst es an Jim austesten."

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und baute sich schützend vor einem Sicherheitsschrank auf, der sich nur unweit des Tisches befand, um den sich die drei Elite-Mitglieder versammelt hatten.

Yakuza legte den Kopf leicht schief.

"Was soll das auf einmal? Ich dachte, du hasst Jim genauso wie wir?"

"Das schon... aber inhumane Praktiken, die auf MICH zurückzuführen sind, lasse ich nicht zu. Wenn ihr ihn foltert - sei es auch auf Befehl von Jumpdevil und unter dem feinen Deckmantel des Verhörs - ist das eure Sache. Nicht meine. Ich rücke das Mittel nicht raus, ohne befriedigende, eindeutige Testergebnisse."

Das zweite Gesicht in diesem Raum verfinsterte sich nun gleichfalls und Tran Loc's relativ hilfloser Blick wechselte zwischen Chiyoi und Yakuza, der nun ebenfalls aufstand, hin und her.

"Eh. Das ist aber komisch. Ich muss mir von niemandem etwas über inhumane Praktiken erzählen lassen, der vorhatte, eine einzelne Person mit einer Railgun und einem Mecha umzubringen. Aber bitte... du willst mir nicht geben, was ich möchte... dann hole ich es mir... glaub nicht, dass ein gepanzerter Aktenschrank für mich ein Hindernis wäre..."

"Komm, jetzt reicht es aber, Yakuza!"

Tran Loc sprang auf und stellte sich leicht vor Chiyoi, sein Blick verriet Versöhnlichkeit doch seine Körperhaltung eindeutiges Schutzinteresse - sowohl für Chiyoi als auch für das geforderte Mittel.

"Was? Du auch noch? Nun gut... dann verzichte ich... schließlich sehe ich keinen Grund, mich mit euch wegen so einer Sache zu streiten. Aber zumindest habe ich nicht vergessen, WER unser Feind ist und wer Kenjin beinahe umgebracht hat..."

"Pfeh... glaub nicht, dass du dein Verhalten ständig über Kenjin rechtfertigen kannst, Yakuza!", spie Chiyoi ernsthaft beleidigt aus. "Deine Zuneigung zu ihr ist ja offensichtlich...!"

Yakuzas Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, die jeden anderen Menschen vermutlich eine Heidenangst eingejagt hatte. Auch Nguyen und Chiyoi war einen Moment nicht ganz wohl, doch sie wussten, er würde sie nie und nimmer bedrohen oder verletzten - dafür war er einfach zu loyal und von seinen Prinzipien überzeugt.

Zu dem bösartigen Blick gesellte sich nun ein hinterhältiges Grinsen, dann drehte sich der Sicherheitschef um und ging in Richtung Tür.

"Nun... meine Zuneigungen sind offensichtlich nicht die einzig offensichtlichen..."

"Arschloch!", rief Chiyoi ihm hinterher, als die Tür sich hinter Yakuza geschlossen hatte, dann lies sie sich erleichtert zusammen mit Nguyen am Tisch nieder.

"Manchmal kann er so richtig ekelhaft sein... den Kaffee hat er auch nicht angerührt.", kommentierte sie enttäuscht, während ihr Blick auf die gefüllte Tasse stieß, die sie ihm extra gemacht hatte.

"Ich verstehe was du meinst... aber ich glaube, du verstehst ihn falsch. Es hat nicht nur mit Kenjin zu tun. Er macht sich Sorgen um uns alle. Natürlich gibt er das nicht so offen zu aber seine Überzeugung und sein Glaube sind absolut. Er kann es nicht ertragen, jemanden lebendig zu sehen, der seine Kollegen, Freunde und seine Bestimmung in irgend einer Weise gefährdet. Da rastet er einfach aus."

"Das ist trotzdem kein Grund, so ein gefährliches Mittel rücksichtslos einzusetzen."

Tran Loc, der sich inzwischen die Tasse von Yakuza genommen hatte, nahm einen Schluck daraus und schüttelte sich dann. Das Gebräu war in der Stärke und ohne Milch und Zucker einfach nicht genießbar für ihn. Das lag vielleicht am Programmierermagen. Der Hacker unterdrückte ein unterschwelliges Grinsen über diesen Gedanken, ihn beschäftigte eigentlich vielmehr etwas anderes.

"Was ist das denn für ein Zeug, von dem er geredet hat? Ich hab nie gehört, dass du mal was drüber erwähnt hast."

"Kein Wunder... es ist noch in der Entwicklungsphase. Ein Stoff, der bestimmte Reaktionen im Gehirn für einen festgelegten Zeitraum deaktiviert. Erfährt der Körper eine bestimmte Dosis Schmerz, sorgen Gehirnfunktionen irgendwann dafür, dass er ohnmächtig wird. Eine Art Selbstschutz für das Bewusstsein und den Körper."

"Aha. Und was genau bewirkt das Mittel nun?"

"Ganz einfach, es ist eine Art Agoniestimulator. Der Stoff deaktiviert diese Ohnmachtsbarriere des Gehirns. Der Körper wird einfach nicht bewusstlos, egal wie hoch das Schmerzlevel auch wird. Auf diese Weise kann der Körper ungeheure Todesschmerzen bei vollem Bewusstsein erfahren. Man kann sich gar nicht vorstellen, was dieses Mittel bei Yakuzas Verhörmethoden für Folgen bei Jim hätte. Er könnte vor Schmerz den Verstand verlieren oder einen Gehirnschlag erleiden. Die Risiken sind unbekannt und Reaktionen auf das Mittel sehr schwer zu berechnen."

"Hm... eine verflucht gefährliche Waffe. In den falschen Händen könnte sie..."

"Ja. Nicht auszudenken, wenn er es Jim spritzen würde."

"Nun, wollen wir es nicht hoffen. Wir konnten ihn ja noch mal davon abhalten."

"Was uns aber keine Garantie gibt, dass er es sich nicht noch nach Dienstschluss unerlaubt holt."

"Dafür könnte er eine schwere Strafe bekommen, Chiyoi. Traust du ihm das zu?"

Die dunkelhaarige junge Frau zuckte mit den Schultern.

"Weiß ich nicht. Wir dürfen nicht vergessen, dass er und Lone Demon zu den Leuten gehören, die den stärksten Willen und Eigensinn von uns allen haben. Es ist schwer ihnen Vorschriften zu machen, weil sie nahezu jede Konsequenz in Kauf nehmen, solange es ihre Interessen abdeckt."

"Das hört sich aber kalt an...", lachte Nguyen fast schon amüsiert. Chiyoi lächelte ebenfalls und stimmte ihrem Kollegen zu.


"Ja, da magst du recht haben... Gott, ich rede über ihn ja schon wie über einen Schwerverbrecher..."

"Du solltest nachher vielleicht noch mal mit ihm drüber sprechen und euer Missverständnis aus der Welt schaffen."

"Gute Idee. Und du gehst jetzt besser mal Pause machen.", riet die brünette Wissenschaftlerin und legte ihre Hand auf die Ledertasche Tran Loc's in welcher sich dessen Laptop befand, welchen der Admin sich gerade greifen wollte. "Und zwar ohne deinen Computer. Sonst arbeitest du wieder nur und ruhst dich nicht aus."

Sie schloss mit einem Zwinkern, während Tran Loc nur leicht genervten dreinschaute.

"Ja ja... du klingst wie meine Mutter..."

Chiyoi streckte ihm keck die Zunge heraus, als Nguyen schließlich den Raum verlies.


***




Ein leises Plätschern erklang, zusammen mit kaum hörbarem Kettengerassel, als Yakuza den Atem anhielt. Anschließend atmete er wieder hörbar aus, da Jim keine Regung von sich gab, sondern weiter nur mit hängendem Kopf und geschlossenen - oder zugeschwollenen? - Augen zu Boden sah und hilflos an einer komplizierten Vorrichtung baumelte, die an irgendwelche eigenartigen Bondage-Spielchen erinnern mochte. Doch auch wenn die Fesselanlage ihren sadistischen Zweck erfüllte, ging es hier um niemandes Vergnügen. Ganz besonders nicht um Jim's.

"Du willst es also nicht sagen. Oder?"

Beharrliches Schweigen.

Yakuza trat nun einen Schritt von seinem Verhörtisch weg und kam näher, begab sich in den hinteren Teil des uneingerichteten, kahlen und düsteren Raumes, der sich weit in die Länge zog aber ansonsten sehr schmal war. Dann baute er sich vor Jim auf und ergriff eine der herunterhängenden Ketten, die mit vielen anderen in einem komplizierten System miteinander verbunden war.

Der Sicherheitschef von AnF zog kräftig daran, was Jim ein schmerzliches Stöhnen entlockte, dann wurde der blonde Söldner mit nach oben erhobenen Armen in die Höhe gezogen, damit Yakuza ihm von unten ins Gesicht sehen konnte.

Gesicht... wenn man die aufgeschwollene, blutig geschlagene, völlig zerschundene und in verschiedenen Blau- und Rottönen prangende Körperregion noch so nennen konnte. Im übrigen sah es nirgendwo an Jims Körper besser aus als da. Alles schmerzte fürchterlich in einem unerträglichen, monotonen und pochenden Rhythmus, einzelne Peinherde waren längst nicht mehr auszumachen. Dennoch war Jims Kopf - wofür er sehr dankbar war - klar. Zumindest noch.

Er konnte darüber nachdenken, dass er mindestens zwei gebrochene Rippen hatte, davon hatte sich eine so zersplittert, dass einzelne Knochenfragmente in die Lunge gestochen worden waren und er leichte innere Blutungen hatte, die nicht nur bei jeder Bewegung unsäglich weh taten sondern sich womöglich auch verschlimmerten. Seine Beine... keine Rückmeldung, er spürte sie nicht. Vermutlich auch gebrochen. Von seinen Armen brauchte er auch nicht zu reden. Die waren zwar nicht gebrochen, aber von dem ständigen Gezerre an den Ketten hatte er sich einen starken Muskelfaserriss im rechten Bizeps geholt und die linke Schulter war ausgekugelt. Sein Gesicht fühlte sich an wie ein frischer Pfannkuchen - heiß, rund und aufgedunsen. Und immerzu dieses nervige, heiß-kalte Pochen des Schmerzes.

"Warum redest du nicht endlich, verdammt?!", fuhr Yakuza aus der Haut und verpasste dem leicht über ihm baumelnden Jim einen Schlag in die Magengrube, welcher den blonden Agenten nicht nur laut aufschreien lies sondern auch zur Folge hatte, dass er sich in Blut, Wasser und Mageninhalten fast über das Kampfkunstgenie erbrach.

"Gg....gaha........ghhh....kkkcchh.."

"Ist das alles, was dir dazu einfällt?! Macht es dir solchen Spaß, mein Sandsack zu sein, häh?! HÄH?!"

Yakuza presste wütend die Kiefer auseinander und donnerte Jim dann abermals mit voller Wucht die Faust in den Magen, aber erst nachdem er ihm einen Rundumtritt verpasste, der sein Hüftgelenk laut krachend anbrach und Jim neben einer erstaunlich vielfältigen Symphonie aus Wimmergeräuschen, Krächzern und Schmerzensschreien auch einige Tränen entlockte.

Der Marital-Arts-Meister atmete angestrengt, viel mehr aber weil er sich furchtbar aufregte, als dass ihm seine Arbeit körperlich an die Batterie ging.

"Denkst du vielleicht, mir macht das Spaß? Denkst du das?", fragte er nun, diesmal erstaunlich beherrscht und ruhig. Fragen, ja, fragen war neben den ständigen Misshandlungen das einzige, was er tat. Antworten erhielt er noch immer nicht. Dabei ging das Verfahrung nun schon mehr als einen Tag. Vielleicht sogar schon mehr als zwei.

"Tut es aber nicht. Überhaupt nicht. Ich habe wichtigeres zu tun als dir verdammte, banale Fragen zu stellen, die du einfach nur beantworten zu brauchst aber offensichtlich zu stolz dafür bist und dir statt dessen lieber immer wieder eine Tracht Prügel von mir abholst! Wofür das ganze!?"

Nach einigen Sekunden tödlicher Stille erklang so etwas wie ein Krächzen... ein Husten, ein Wimmern. Jim versuchte mit seinen aufgeplatzten Lippen ein Grinsen zu formen, was darauf schließen lies, dass die Laute eigentlich ein Lachen sein sollten. Einen besonders schadenfrohen Anblick boten die einzelnen Lücken der ausgeschlagenen Zähne, welche Jim im Laufe des Tages verloren hatte.

"Ehhhehehe...chhkk..kehhehe...kaha...kaah..."

"Was lachst du so dreckig? Was ist so lustig?"

"D...da..."

"Hm?"

Yakuza lies die Kette in seiner Hand ein Stück los, sodass Jim sich baumelnd wieder dem Boden näherte. Seine Worte waren nicht mehr als ein Wispern und Yakuza konnte es auf die Entfernung nicht verstehen.

"Damals...", krächzte Jim zynischen Untertons, "damals im Waschraum... da hast du aber...viel... stärker... zugehauen.."

"Grrr.... du machst dich über mich lustig, was?!"

In Erwartung eines weiteren heftigen Schlages kniff Jim seine Augenlider zusammen, die er eh kaum noch offen halten konnte, was bei seinem Zustand aber keiner weiteren Erklärung bedurfte.

Doch der Hieb blieb aus. Statt dessen lies Yakuza den Kopf hängen und seufzte.

"Du kannst es einem wirklich scher machen. So etwas hab ich lange nicht erlebt. Du leistest eisernen Widerstand, bist trotziger als ein kleines Kind... und das alles nur wegen einer lausigen Frage, die du zu beantworten nicht gewillt bist... nur wegen einer Frage erduldest du all diese furchtbaren Schmerzen."

"Ich...krrahaa....kann's halt nicht... ab... so Typen... wie euch...kahaa... nen Gefallen... zu tun..."

"Feh. Du bist ein Idiot, Jim. Ich habe dich nur gefragt, warum du das tust, was du tust. Keine Informationen über deine Auftraggeber, keine Details über deine Vergangenheit... einzig und allein deine gottverdammte, verfickte Motivation interessiert mich. Ist das wirklich zu viel verlangt?!"

Jim hatte seine Sprachreserven offenbar verbraucht, eine Antwort darauf blieb aus.

"Na fein. Macht nichts. Mit diesen Verletzungen würdest du in wenigen Stunden grausam verrecken aber du kennst die Prozedur ja bereits - eine Nanopille, und dein Körper ist so gut wie neu. Selbstverständlich kuriert die Nanomedizin nicht deine Erschöpfung, den Durst, den Hunger und die Müdigkeit. Außerdem verträgt dein Körper nur eine bestimmte Dosis Nanomedizin. Das Limit ist also bald erreicht. Bis dahin kann ich dir aber sicher noch ein, zwei Mal jeden Knochen im Leib brechen und dich dann wieder zusammenflicken lassen. Dir scheint es ja nichts auszumachen."

"Es... ist mir... egal...", hustete Jim mit seinen letzten Kräften, die er doch noch einmal zusammen genommen hatte,  "Warum...tötest... du mich... nicht einfach...."

"Weil ich das nicht will. Ich will nur wissen, warum du dich entschlossen hast, diesen Auftrag anzunehmen. Nicht, wer dir den Befehl gab, dieses "Warum" interessiert mich nicht. Mich reizt das "Warum" hinter deiner Motivation... und solange du das nicht ausspuckst, verbringen wir noch eine Weile zusammen."

Mit diesen Worten lies Yakuza Jim gänzlich herunter, sodass er mit den Füßen den Boden berührte. Jetzt wurde der schreckliche Zustand seines Körpers erst richtig offenkundig, da die Beine beim Kontakt mit dem Erdboden einfach wie Streichhölzer zur Seite wegknickten und Jim wie ein schlaffer Sack da hing. Yakuza griff nach einer schmalen Silberschachtel, die auf dem Tisch nahe der Kettenvorrichtung lag und fischte dort eine kleine Kapsel heraus. Dann trat er vor Jim hin und öffnete diesem mit einer knappen Handbewegung manuell den Kiefer.

"Guten Appetit.... aber es wird ein schmerzhaftes Mal, mein Freund...", knirschte der Sicherheitschef verärgert, während sich sein Griff um Jims Unterkiefer weiter verfestigte. Schließlich knackte der Knochen unter dem Druck seiner kräftigen Hand und barst, was Jim ein Heulen entlockte, welches sogar das eines einsamen Schlosshundes in den Schatten stellte.
Dann zwang Yakuza Jim, die Ampulle mit gebrochenem Kiefer zu sich zu nehmen, was dieser unter Stöhnen und Tränenausbrüchen über sich ergehen lies.

"Die Wirkung schlägt bald an.", kommentierte der schwarzhaarige Kampfkünstler, während er Jim wieder in die bekannte Position über den Erdboden zog. "Ich mache Schluss für heute. Den Rest der Nacht wird sich Lone Demon mit dir beschäftigen."

*Schlimmer kann es eh nicht mehr werden...*, dachte Jim , der sich langsam von seinen Verletzungen erholte, verzweifelt. Er konnte sich inzwischen gut vorstellen wie es Prometheus ergangen sein musste, der bis in alle Ewigkeit gefesselt jeden Tag aufs Neue die Leber aus dem Leib gepickt bekam.

*Ich will nur noch hier weg... oder endlich sterben...*



Draußen vor der Tür wartete bereits die Ablösung. Lone Demon, komplett in schwarz gekleidet und mit Gesichtsmaske, die nur die Augen frei lies, versehen, empfing seinen Kollegen.

"Wie ist es gelaufen? Hat er deine Fragen beantwortet?"

"Fragen? Haha...", lachte Yakuza schwach, "ich hab nur eine einzige gestellt. Und die hat er noch nicht mal beantwortet."

Lone Demon grinste sichtbar unter seiner Maske.

"Na, dann versichere ich dir, ich werde mehr Erfolg haben. Ich hoffe, er ist noch in der Verfassung, mein Verhör durchzuhalten... du hast ihn doch nicht ausgeweidet, oder?"

"Spar dir deinen Sarkasmus für ihn auf.", konterte Yakuza, der sich einen Moment neben Lone an die Wand lehnte und sich Blutspritzer aus dem Gesicht wischte. "Er schlägt verbal ziemlich gut zurück."

"Oho... willensstark ist er also auch..."

"Ja..."

Yakuza setzte eine nachdenkliche Miene auf und biss auf die Spitze seines Daumennagels - eine typische Handlung, wenn er nachdachte oder in Erinnerungen negativer Natur schwelgte.

"Das ist er. Es ist schon ein wenig verwirrend..."

"Was meinst du?", fragte Lone nach, als sich Yakuza wieder von der Wand abdrückte und sich langsam in Richtung seines Quartiers verzog. Es schien eher, als spräche er mit sich selbst, doch dann wandte er sich über die Schulter dem Shinobi zu. Ein anerkennendes Lächeln spielte auf seinen Lippen.

"Naja... er ist irgendwie wie ich... früher, mein ich. Als ich Kind war."

Die Augen des Ninja verrieten Irritation und Überraschung zugleich, dann wand sich der schwarzgekleidete Spion der Tür zu, hinter der sich Jim befand.

"Du wirst sehen, was ich meine."

Damit schloss der Sicherheitsbeauftragte und machte sich entgültig davon.

Lone Demon betrat den Verhörsaal und begutachtete Jim, der nun wieder relativ fit aussah, in seinem hängenden Gefängnis.

"Hübsche Vorrichtung hat er sich da einfallen lassen."

"Finde ich auch. Steht ihr AnF-Typen auf Fesselspiele?"

*Das meinte er also mit 'verbal stark'...*

Lone beschränkte sich darauf in Gedanken auf den Kommentar des blonden Mannes einzugehen, würdigte ihn ab da an erst einmal keines weiteren Blickes, was Jim doch etwas beunruhigte. Über Lone Demon wusste er nahezu nichts. Er besaß auch eine ganz andere Herangehensweise uns Ausstrahlung, als Yakuza. Er wirkte verschlagener, undurchsichtiger. Und er schien berechnend und erfahren. Und er zeigte erstaunlich wenig Interesse an Jims Person.

Der Shinobi kramte einen Stapel Akten aus einem kleinen Aktenschränkchen, welches sich nahe eines Computerbildschirmes befand, der im Augenblick aber noch abgeschaltet war. Lone packte das Gerät auf den Verhörtisch und drehte es anschließend in Jims Richtung. Dann begann er sich erstmals wieder seinem Opfer zuzuwenden.

"Jim F., Angehöriger einer geheimen Spezialeinheit der westlichen Provinzen, Alleinoperant unter dem Decknamen New World Order... soweit richtig?", er warf Jim einen Blick zu, welchen dieser nur mit Erstaunen über das Wissen des Shinobi zurückgeben konnte, dann fuhr der Spion mit seinen Ausführungen fort.

"Besagte Person hat den Auftrag das AnF-Hauptquartier möglichst unbemerkt zu infiltrieren, seine auf notwendige Operationen beschränkte Ausrüstung dort eigenständig zu erweitern, sämtliche relevanten Daten und Entwicklungen sowie Technologien zu archivieren, an sein Hauptquartier zu übergeben und... zu guter Letzt das aller wichtigste an dem Auftrag... sämtliche Führungsmitglieder der AnF-Organisation zu eliminieren, damit das globale Regime dieser Gruppe durch die offiziell nicht mehr existenten Vereinten Nationen gestürzt werden und die alte "neue Ordnung" wieder hergestellt werden kann."

Der schwarzgekleidete, vermummte Mann schlug einen Ordner auf, blätterte darin und fand schließlich die richtige Seite. Dann sah er auf und blickte Jim stechend in die Augen, sodass dieser sogar in seiner gegenwärtigen Position dem Reflex folgte, zurückzuweichen, wenn gleich er dies auch nicht konnte.

"Ich würde sagen, du hast dich bei deiner Aufgabe ganz schön übernommen. Für einen Agent hast du zwei entscheidende Fehler gemacht - erstens bist du entdeckt worden. Zweitens bist du gefangen worden. Diese zwei Fakten genügen, damit die ganze Operation hinfällig wird.", sagte Lone trocken, dann führte er mit etwas bohrendem Unterton an: "Überrascht?"

"Heh... zugegeben, ja. Du weißt eine Menge. Ich nehme an, du bist so was wie der hauseigene Schnüffler."

"In der Tat. Mein Name ist Lone Demon aber vorgestellt habe ich mich schon. Doch das tut nichts zur Sache. Das ist es nicht, warum ich hier bin. Alles, was uns interessieren könnte, wissen wir - wie du eben gemerkt hast - bereits. Wir sind also nicht mehr an Informationen über deinen Auftrag und die Drahtzieher interessiert. Im Gegenteil, ich weiß sogar schon von Dingen, die selbst dir und allen anderen hier unbekannt sein dürften."

"Aha. Und die währen?"

"Nana... was wäre ich für ein Spion, wenn ich dir meine Geheimnisse verrate? Dafür sind wir doch nicht hier... aber andersherum... bin ich hier, damit ich einige Geheimnisse von DIR erfahre."

Jim grinste breit.

"Hat es dir dein Freund nicht erzählt? Ich rede nicht. Und wenn du mich weich prügelst wie Hefeteig, kein Wort bekommt ihr aus mir raus."

Die Augen des Shinobi funkelten eisig, sodass es Jim einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

"Wetten doch?"


***




Der Söldnertrupp überprüfte schweigend seine Ausrüstung, während die einzelnen Mitglieder aufmerksam ihren Instruktionen lauschten, die sie zum x-ten Male an diesem Tage hörten. Nicht, dass es nötig war, diesen trainierten Männern und Frauen zu sagen, was sie zu tun hatten, doch das Protokoll sah die regelmäßige Widerholung der Einsatzziele vor, bis die Operation entgültig in die heiße Phase ging. Und das tat sie langsam aber sicher, mit jeder Sekunde rückte der Einsatzort näher, denn das Flugzeug, indem sich der Trupp befand steuerte unbeirrbar darauf zu.

"Ich weiß, dass Sie alle es leid sind, immer und immer wieder davon zu hören, doch so sind nun mal die Vorschriften.", gab Norton, der diesmal selbst anwesend war, beinahe belustigt von sich.

"Wir können auf Sie alle vertrauen und wissen, dass Sie Ihre Sache gut machen werden. Die Hoffnung der Welt liegt nun nach dem Scheitern des Projektes NWO in Ihren Händen. Retten Sie, was zu retten ist. Vernichten Sie, was zu vernichten ist. Und lassen Sie sich nicht von Ihrer Marschroute abbringen. Es ist unbedingt erforderlich, sofern möglich, alle von NWO gesammelten Daten zu sichern und uns zu überstellen und NWO aus dem Verkehr zu ziehen - ganz gleich mit welchen Mitteln. Sie haben die Lizenz zum Töten. Wenn nötig, scheuen Sie sich nicht, davon Gebrauch zu machen."

Norton warf einen Blick in die verständig dreinschauende Söldnerrunde.

"Hat sonst noch jemand Fragen?"

Alles schwieg, innerlich bereitete sich jeder auf das vor, was in wenigen Sekunden auf ihn zu kam.

"Psst. Psst, Thomas!", zischte einer der Soldaten, die in einer ähnlichen Montur gekleidet waren, wie Jim, jedoch stärkere Bewaffnung besaßen, zu seinem Sitznachbarn herüber.

"Hm?"

"Ist es war, das unter diesen Typen einer aus deiner alten Abteilung ist?!"

"Wie kommst du darauf?", reagierte der Angesprochene skeptisch und warf seinem Banknachbarn einen zwielichtigen Blick zu.

"Naja. Naja, was man so hört. Gerüchte eben. Stimmt's nun oder nicht?"

Jetzt grinste der mit Thomas angesprochene.

"Nun... sicher ist es nicht, aber ja, es soll sich tatsächlich einer dort befinden. Ich kenne ihn von früher."

Ein andächtiger Ausdruck schlich sich auf das Gesicht des Spezialagenten, doch seine Mundwinkel verrieten ein gieriges Grinsen. Dann lud er seine großkalibrige Automatikwaffe durch.

"Aber ich freue mich schon darauf ihn wieder zu sehen und ihm einen warmen Empfang zu bereiten. Ich glaube, er nennt sich jetzt... Lone Demon...."


Etwa zur gleichen Zeit im Hauptquartier der AnF-Organisation...

Yakuza saß gedankenversunken in der Mitte der riesigen Trainingshalle, die er öfter besuchte, als sein eigentliches Quartier. Dieser Ort war sein Reich, hier fühlte er sich seltsamerweise zuhause, obwohl der Ort düster und kalt wirkte, kaum Einrichtungsgegenstände besaß und größtenteils mit Stahl und Beton ausgekleidet war. Aber vermutlich rührten diese Gefühle daher, dass er zum Großteil an der Verwirklichung dieses Ortes beteiligt war.

Der schwarzhaarige Sicherheitschef saß im Schneidersitz und ließ die Stille auf sich wirken. Dann versank er langsam in seinen Erinnerungen an die Vergangenheit.

*Dieser Jim... was ist das nur für ein Kerl... Er erinnert mich so sehr... an mich selbst....*

"Los, komm schon! Rück das Geld raus, Kleiner!"

Der kleine Schuljunge, der sich einer Übermacht von vier Gegnern, die in etwa doppelt so alt waren, wie er selbst, gegenüber sah, erduldete schweigend die Misshandlungen der Rowdies. Ein kräftiger Schlag ins Gesicht war ihn zurück und er prallte an die Ziegelwand hinter ihm. So etwas war typisch. Diese Kerle waren an der Schule bekannt dafür, dass sie kleinere Schüler ärgerten und ihnen Geld stahlen oder die Mahlzeit wegnahmen. Dabei machten sie nicht einmal vor Mädchen halt. Doch heute war ein Tag, an dem sie etwas erleben würden, was ihnen bis dahin noch nie untergekommen war.

"Rückst du es nun raus, oder müssen wir dich erst verprügeln, häh?"

Ein Tritt traf den schwarzhaarigen Jungen in den Bauch, sodass er sich vor Schmerz zusammenkrümmte, dann zog ihm ein anderer mit einem gezielten Feger die Füße weg und das Schuldkind schlug der Länge nach auf den harten Betonboden. Tränen rannen ihm über die Wangen, als er sich wieder auf die zitternden Beine erhob.

"Hahaha, seht ihn euch an. Die Heulsuse! Markierst wohl den starken Mann, was?", hänselte der älteste der vier, während er den Knaben, der Jahre später unter dem Namen Yakuza bekannt werden würde, mit Schubsern und Stößen traktierte. Doch noch immer schwieg das Kind eisern und setzte sich nicht zur Wehr, obgleich er inzwischen fürchterliche Schrammen hatte, aus Lippe und Nase blutete.

Das Kind öffnete die Augen, als sich ihm einer der anderen Jungen zu sehr näherte, um nach dem Portmonee in seiner Jackentasche zu greifen. Yakuza funkelte sein Gegenüber bösartig an, allein das verunsicherte den Angreifer so sehr, dass er von seinem Vorhaben abließ.

"Hey, was ist denn los? Warum nimmst du ihm nicht endlich das Portmonee weg?!"

"Mach's du doch!", schrie der Komplize den vermeintlichen Anführer an, welcher sich auch augenblicklich daran machte, dies umzusetzen. Yakuzas Hand schnellte blitzschnell nach vorne und packte den Arm des Älteren, noch bevor dieser die Hand aus der Jackentasche zurückziehen konnte. In seinen Augen funkelte unbändiger, klarer Zorn.

"Nehmt mir mein Geld weg und auch das der anderen Kinder. Aber eines Tages werde ich stark sein und dann werdet ihr für das Büßen, was ihr getan habt!"

Während unter den anderen drei Gelächter ausbrach, schwieg ihr Anführer unvermutet und zog dann seine Hand zurück - ohne die Geldbörse darin.

"Kommt Jungs... bei diesem Zwerg...gibt es doch nichts zu holen."

Dann machte er sich davon, während ihm seine Kumpane verwirrt folgten. Als sie den kleinen Jungen außer Sichtweite gelassen hatten, sprach ihn einer an.

"Hey, warum hast du ihm das Geld denn nicht weggenommen?! War doch nur ein kleiner Scheißer, der traut sich nicht mal zu petzen."

"... Ich weiß es nicht... aber in seinen Augen... da war etwas... das was er gesagt hat..."

"Was ist damit?"

"Ich kann's nicht erklären... aber in seinen Augen sah ich, dass er es wahr machen würde. Vielleicht war sein Körper noch  zu schwach für uns... aber wenn er älter gewesen wäre... dann hätte er uns ganz sicher furchtbar verprügelt...."

Daraufhin wurde der sprechende nur überrascht und verunsichert angestarrt und Yakuza musste die vier Jungen das erste und letzte Mal in seinem Leben erdulden...


*Seine Augen. Jim... er hat die gleichen Augen... Er mag körperlich schwächer sein als ich... aber in seinen Augen brennt das selbe unbändige Feuer, die selbe Kraft, niemals aufzugeben... so etwas habe ich lange nicht mehr gesehen.... seit Lone....*

Mit einem leisen Quietschen, das in der stillen Halle widerhallte, öffnete sich eine der Zugangstüren und eine Gestalt trat schüchtern ein.

Yakuza, dessen Augen geschlossen waren, erkannte die Person aber anhand des Schrittklangs. Sie war weiblich, trug längeres, dunkles Haar und war die Wissenschaftsoffizierin und Haupttechnikerin von AnF.

"Störe ich dich?"

"Nein. Was gibt's, Chiyoi?"

"Du warst nicht in deinem Quartier. Du machst oft Überstunden aber es ist trotzdem ungewöhnlich, dass du um diese Nachtzeit noch im Trainingsraum bist. Also... wenn du dir Gedanken wegen der Sache heute im Wissenschaftslabor machst... es war meine..."

"Nein. War es nicht. Es war nicht deine Schuld. Ich hätte nicht solch irrsinnige Forderungen stellen sollen. Ich hab einfach nur gehofft, ihn mit dem blöden Mittel weich kochen zu können, weil mir selten jemand wie Jim untergekommen ist."

"Ach so? Ja... da könntest du Recht haben...", stimmte sie zu und hockte sich dann gegenüber von Yakuza im Schneidersitz auf den Boden. Der Sicherheitschef öffnete die Augen und sah ernst in ihr versöhnliches Antlitz.

"Das meine ich nicht. Es ist nicht, weil er sich verwandeln kann. Oder weil er zwei magische Schwerter mit sich rumträgt. Oder weil er hier einfach so eindringen konnte..."

"Nicht...?" Sie bemerkte den besorgten Ausdruck auf seinem Gesicht und unwillkürlich nahm sie ihn ebenfalls an.

"Es sind seine Augen. Die Augen sind der Spiegel der Seele. Und ich weiß, das er einen starken Willen, eine starke Seele hat. Menschen mit so einer starken Seele sind entweder auserwählt und selten oder aber haben furchtbare Dinge in ihrer Vergangenheit erlebt. Solche Menschen kennen den Schmerz und das Leid, dass einer Seele wiederfahren kann."

"Deswegen machst du dir also Gedanken... ich hab dich selten so nachdenklich und besorgt gesehen."

Yakuza erhob sich und lockerte seine Glieder, antwortete aber nicht auf Chiyois Feststellung.

"Also... es tut mir leid, was ich von dir verlangt habe. Das war eine dumme Idee. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht allzu übel."

"Geht schon in Ordnung.", lies die Wissenschaftlerin zwinkernd verlauten, "Ich war eigentlich eh auf dem Weg hierher, um dieses Missverständnis aus der Welt zu schaffen."

"Dann ist's ja gut. Aber es ist wirklich spät. Ich glaube ich gehe jetzt auch langsam schla-WAS WAR DAS?!"

Ein lautstarkes Donnern erschütterte den Raum und die Decke darüber, doch der Geräuschart nach, handelte es sich nicht um eine Explosion.

"Das... das kam aus Richtung des Verhörsaals!", stieß Chiyoi erschrocken aus, dann setzten sich die beiden Elitemitglieder auch schon in Bewegung.

"Scheiße, irgendwas ist passiert... hoffentlich geht es Lone gut!"

Wenig später erreichten die beiden den Ort des Geschehens, an dem wie erwartet ein Zwischenfall geschehen war. Lone Demon lehnte sich mit einer tiefen Brustwunde an eine Gangwand, ihm gegenüber befand sich die verriegelte Tür des Verhörraumes und knapp drei Meter weiter auf der selben Seite der Wand war ein riesengroßes Loch zu sehen, welches gewaltsam geschaffen worden war.

"Lone! Lone, geht es dir gut?! Was ist passiert?!"

Chiyoi fischte eine Nanopille aus ihrem privaten Repertoire hervor, da der Shinobi offensichtlich keine bei sich hatte und verabreichte ihm die Wundermedizin.

Der Ninja lachte höhnisch.

"Ihr werdet es mir vermutlich sogar glauben, wenn ich euch sage... die Sache mit Kujo hat noch lange kein Ende genommen."

Dann deutete er auf das Loch und fuhr mit seinen Erzählungen fort.

"Es geschah vor etwas mehr als einer halben Stunde..."


***



Vor etwa einer halben Stunde im Inneren des Verhörsaales...

"Und ich habe noch etwas interessantes herausgefunden.", stellte Lone Demon fest. Die Leidenschaft an seiner Arbeit war deutlich in seinen Augen zu lesen, während er eine weitere Akte aufschlug, die inzwischen wild über die Oberfläche des Verhörtisches verteilt waren.

"Nein... hör auf... ich will das nicht hören...", flehte Jim schon beinahe und kniff die Augen zusammen, so, als hätte dies auch einen Verschlusseffekt für seine Ohren. Doch er konnte das, was ihm der Shinobi erzählte und anhand von aussagekräftigen Bildern und Tonbandmaterial unterstrich, nicht ignorieren, nicht ausblenden, egal wie sehr er sich dagegen sträubte.

Ja, das war Folter. Aber eine ganz andere, als Yakuza sie angewandt hatte. Noch vor über einer Stunde hatte Jim behauptet, kein einziges Wort von dem, was der Shinobi wissen wollte, preiszugeben. Doch dieser Widerstand war schnell überwunden worden. Selbstverständlich nicht durch blanke Überredungskunst, der Spion verwendete ein Wahrheitsserum, dessen Wirkung sich Jim nicht entziehen konnte. So gestand er nach und nach alles, was der Shinobi hören wollte; der Söldner gab Geheimnisse und Geschehnisse aus der Vergangenheit preis, die niemand außer ihm selbst kannte und man sah Jim an, wie sehr er darunter litt. Daran zerbrach.

"Natürlich willst du es nicht hören. Aber was interessiert mich das? Was haben wir denn hier..."

Lone Demon fischte eine schwarze Mappe aus einer abgehefteten Klarsichtfolie und erbrach das Siegel, mit dem sie versehen war. Dann fischte er einige Archivfotos heraus.

Jim war auf Folter - physisch wie psychisch - vorbereitet worden. Doch das hier, diese Brutalität, die körperliche Gewalt, die ihn schwächte und auslaugte und diese stechende, schmerzhaft-berechnende und eisern umklammernde Methodik, mit der der Ninja arbeitete zermürbten ihn auf eine Weise, die er nie praxisnah kennen gelernt hatte. Was die Macht von Yakuzas Stärke repräsentierte, waren bei Lone Demon dessen eiskalte, stählerne Augen, vor denen man scheinbar nichts geheim halten konnte.

"Ein Foto von einem Autounfall, der schon einige Jahre zurück liegt. Es war eine junge Familie darin verwickelt. Na, kommt dir das bekannt vor?"

"Hör auf! Hör auf, ich will es nicht hören...!"

"Das Ehepaar hatte erst vor wenigen Monaten den Bund der Ehe geschlossen und zum großen Eheglück hatte sich schon im Vorfeld ein Kind gesellt, ein kleiner süßer Junge mit blondem Haar und blauen Augen..."

"Sei endlich stiiill!!! Bitte, hör auf!!"

Jim konnte die Bilder nicht verdrängen, die der Spion gewaltsam aus den tiefsten Ecken seines Erinnerungsvermögens empor riss und gewaltsam ins Licht zerrte, er konnte diese erschreckenden, lähmenden und angsteinflößenden Bilder, die nichts als Trauer und unsägliche Schmerzen hervorriefen, nicht verscheuchen, sie brannten sich in seine Netzhaut ein, wie damals an jenem Tag als...

"... dieser Autounfall geschah. Ja, der kleine Junge mit dem hübschen Namen Jim fuhr zusammen mit seiner glücklichen Familie über eine abgelegene Passstraße, wo sich dann Aufgrund des schlechten Wetters ein Erdrutsch ereignete, der den Wagen von der Straße abbrachte. Der Pkw stürzte einige Meter tief den Abhang hinunter, was den Tod der Insassen zur Folge hatte. Doch wie durch ein Wunder überlebte der kleine Junge als einziger diesen tragischen Zwischenfall. Dieser Junge...."

"Hör auf.... ich weiß was damals passiert ist... warum erzählst du mir das alles?! Warum lässt du mich nicht damit in Ruhe?! Ich habe dir doch alles gesagt, was du wissen wolltest...!"

"... warst du, Jim. Was muss es furchtbar für dich gewesen sein, schluchzend und blutverschmiert über den Leibern deiner toten Eltern gelegen zu haben, ganz allein und ohne Aussicht auf baldige Hilfe.. welch furchtbares Trauma. Aber sieh... deine Situation ist gar nicht so viel anders... du bist ebenfalls allein und hilflos, hängst da an den Ketten, bist einer Übermacht ausgeliefert und weinst wie ein Kind...."

"Ihr... ihr seid so pervers... allesamt.... ihr seid Abschaum.... diese Welt hat Dreck wie euch nicht verdient..."

"Oh, welche Aufopferungsgabe du besitzt. Und dein Gerechtigkeitssinn ist überwältigend.", züngelte Lone Demon sarkastisch, während er die Fotos wieder beiseite räumte und seinen Aktenordner schloss.

"Aber du hast keine Ahnung, Jim. Nicht wir sind das Schlechte in der Welt. Wir bekämpfen es."

"Das behauptet ihr... aber wer Gewalt mit Gewalt begegnet, erntet nichts als Tod und Elend..."

"Und das von jemandem, der mit eben jener Gewalt UNS aus dem Weg räumen wollte...? Wie paradox. Aber gut, ich will dir nicht widersprechen. Das tust du ja selbst, du erbärmliches Häufchen Elend."

Jim legte eine Pause ein, in der er mehrmals tief durchatmete um sich ein wenig von seiner seelischen Belastung zu befreien. Zwar kämpfte er noch immer mit den Bildern und Worten, die er in den vergangenen Minuten gesehen und gehört hatte, doch gab er sich Mühe, standhaft zu bleiben und Lone Demon in ein Gespräch zu verwickeln, was diesen von seinen Foltervorhaben ablenken konnte.

"Du weißt doch längst alles über meine persönliche Motivation, warum ich diesen Auftrag angenommen habe. Oder glaubst du, dass ich trotz Wahrheitsserum lüge?!"

"Nein, durchaus nicht. Es hat mit deiner Vergangenheit zu tun. In der Richtung muss ich Yakuza wohl zustimmen, als er sagte, du währest ihm irgendwie ähnlich. Ihr hattet beide eine harte Kindheit, in der ihr lernen musstet, euch durchzuschlagen und Opfer zu erdulden. Ihr seid Kämpfernaturen, die auch für den Kampf und die Herausforderung leben. Du hast den Auftrag nicht wegen des Geldes angenommen. Da hättest du auch beim Street Fight bleiben können. Dich reizte die Gefahr, die Herausforderung, dich mit den Besten der Welt zu messen, mit einer unbesiegbar scheinenden Übermacht. Du bist für den Kampf geboren. Deshalb ist Gewalt wohl auch durchaus für deine Handlungen gerechtfertigt."

"Ja... aber das was ihr tut, ist doch krank. Was geht eigentlich in deinem Kopf vor, wenn du tust, was du tust? Wenn du herumspionierst, ganze Nationen mit deinen Informationen und deiner Hilfe für diese AnF-Terroristen in den Ruin treibst?!"

"Humm! Wir sind keine Terroristen... im Gegenteil. Wir beseitigen den Terror. Aber das ist etwas, was du nie verstehen wirst."

"Und warum glaubst du das? Ich bin nicht so dumm, wie du vielleicht glaubst. Und du bist es auch nicht, auch wenn du es mich glauben lassen willst. Du bist längst nicht mit all den Dingen hier überein, das erkennt man an der Art wie du sprichst."

"Ist das so? Nun gut... scharfsinnig bist du ja.... Darum werde ich dir etwas erzählen. Zum Beispiel, dass sich die Verbrechensrate auf der gesamten Welt um mehr als 80 Prozent verringert hat. Und zwar, seit AnF an der Macht ist. Gesetze werden strikt und gnadenlos befolgt. Justizverfahren dulden keine überlangen Aufschubszeiten mehr. Strafen sind härter, Resozialisierungsmaßnahmen effektiver und direkter. Die Welt ist dank uns sicherer geworden. Doch das ist nicht alles. AnF hat die Weltwirtschaft angekurbelt und ist dabei, viele Armutsregionen zu stabilisieren. Selbstverständlich werden dafür Opfer gebracht. Wo gehobelt wird, da fallen Späne."

"Ausreden. Selbst wenn das der Wahrheit entspricht, wenn ihr schon einen Menschen auf solche Art und Weise behandelt wie mich, habt ihr es nicht verdient, euch als die Heiligen darzustellen, die ihr gern wärt. Ihr seid Wölfe im Schafspelz, weiter nichts."

Jim rasselte unruhig mit den Ketten, doch seine Worte hatten gewissermaßen einen wunden Punkt in Lone Demon getroffen. Der Shinobi erhob sich und trat vor Jim. Er hatte Interesse an der Diskussion bekommen.

"Ach was? Glaubst du, wir können jemanden, der den Auftrag hat, uns auszuspionieren und umzubringen mit Kaffee und Kuchen empfangen? Es gab Zeiten, da wurde man für einen gewöhnlichen Hauseinbruch schon vom Besitzer erschossen. Notwehr nannten die das dann. Was hast du also erwartet, als du in das gefährlichste Gebäude der Welt eingedrungen bist, hm? Eine Willkommensparty?"

Jim lachte amüsiert, obgleich das gespielt war. In Wahrheit war er stinksauer und hätte dem Spion am liebsten den Kopf abgerissen, wenn er gekonnt hätte.

"Wäre zumindest ein Einfall gewesen...", antwortet er zynisch. Dann aber bekam seine Stimme einen verschwörerischen Unterton.

"Aber mal ganz unter uns zweien... du, als Ninja.... müsstest dich doch mit den alten Werten auskennen... Ehre und Moral... Wahrheit und Pflichtgefühl und all diese edlen Dinge..."

"Selbstverständlich. Und ich halte mich auch daran. Was ich tue, tue ich nur so lange, wie ich davon überzeugt bin und solange es mir nutzt."

"Und wie steht es mit deiner Ehre? Bist du dir nicht zu fein, einen schwächeren zu quälen?"

"Diese Dinge interessieren mich nicht." Der schwarzgekleidete Spion grinste schelmisch.

"Ich weiß, auf was du hinauswillst. Du denkst, du kannst es auf einen fairen Zweikampf oder ähnliches hinauslaufen lassen und suchst dann einen Weg zur Flucht. Aber ich gebe mir nicht die geringste Blöße, du hast keine Chance hier herauszukommen oder mich in irgendeiner Weise auszutricksen. Das findet nur in deiner infantilen Phantasie deines fragilen Geistes statt."

"Gut gebrüllt, Löwe... aber glaub mir... ein Ablenkungsmanöver wird nicht nötig sein. Jemand der auf die Kraft von Jahrhunderten zurückgreifen kann..."

"W... was sagst du da?" Lone Demon wurde hellhörig und die Alarmglocken in seinem Kopf klingelten. Er entfernte sich mit einem knappen Satz von Jim und nahm Kampfhaltung an. Hier stimmte etwas überhaupt nicht. Und er hatte nur einen minimalen Bestandteil seiner Ausrüstung bei sich... verdammt!

"... und der dazu noch über so eindrucksvolle, dämonische Kräfte verfügt wie ich... benötigt keine Tricks!"

Lone's Hand verschwand in einer Gürteltasche, wo er ein Kunai hervorwirbelte und es als Waffe vor sich erhob.

"Dreckskerl! Du bist nicht Jim! Du hast mich die ganze Zeit getäuscht, du bist Kujo!"

"ERFASST!!!"

Mit diesen Worten riss Jims Körper, dessen Gesichtszüge nun ein animalisches Grinsen angenommen hatten, die stählernen Fesseln einfach und spielend auseinander.

"Eure Verhörmethoden haben Jims Bewusstsein und seinen Körper ausreichend geschwächt... genau, wie ich es geplant hatte!"

"Geplant?! Soll das heißen, all die Folter, all die Befragungen, selbst deine offenkundig einfache Verhaftung hast du inszeniert und über die ergehen lassen, nur um Jim...?"

"Schlauer Shinobi! Natürlich! Ich werde meinen schwachen Wirt mit meinen dämonischen Kräften überfluten, bis er in Dunkelheit ertrinkt! Dann gehört sein Körper und sein Geist mir und ich habe endlich eine neue, funktionstätige Hülle, in der ich Angst und Schrecken über die Welt bringen--"

Weiter kam Kujo mit seiner Siegesrede aber nicht, denn Lone Demon hatte den Wurfdolch in seiner Hand nach vorne geschleudert, wo er unvermutet in Jims Stirn stecken blieb. Blut sickerte aus der Kopfwunde, dann wurde Jims Schädel von einem kräftigen Tritt getroffen, der ihn in die hinterste Ecke des Raums schleuderte.

"Du redest zu viel...! Das ist dein Problem, Dämon!", schnaufte Lone, dann setzte er seinen Fuß wieder ab und tastete sich vorsichtig in die Richtung, in der Jim aufgeschlagen war und wo er noch regungslos am Boden lag. Er baute sich vor ihm auf, doch ehe er die Chance hatte, dies zu bereuen, schnellte Kujo-Jim blitzschnell nach oben und packte den Shinobi bei den Schultern.

*W...was für eine Kraft!*

Lone Demon, der sich aus dem Griff dank des Überraschungsmoments nicht so schnell lösen konnte, erhielt einen Schlag von Jims Kopf gegen die Stirn. Benommen taumelte er zurück, konnte durch die halb geöffneten Augen aber noch erkennen, dass der Körper des Söldners bereits zu mutieren begann. Seine Augen hatten wieder diese schlitzartigen Pupillen und seine Zähne hatten ebenfalls eine raubtierartige Form angenommen.

"Du...wirst..."

Dann wurde der Satz des Ninja einfach gewaltsam beendet, da Jim ihm eine Hand auf den Mund presste und mit ihm so weit nach vorne stürmte, dass er sein Opfer in die hinterste Raumwand rammte. Anschließend grub er seine zweite Hand, die zu einem Fingerdolch geformt war in die Brust des schwarzgekleideten Spions. Lone Demon schrie vor Schmerz auf und erbrach einen Schwall Blut zwischen den Fingern Kujo-Jims hervor, doch er war keineswegs schon erledigt.

Mit der Ferse seines linken Fußes stampfte er auf die Erde und aus der Schuhsohle an der Spitze seines Fußes fuhr eine stählerne Spitze, die er mittels eines gezielten Trittes in den Bauch des blonden Söldners rammte. Doch mehr als einen überraschten Schrei entlockte das dem mutierenden Agenten auch nicht, dem noch immer der Kunai in der Stirn steckte.

Lone Demon wurde achtlos beiseite geschleudert, da Kujo das Werkzeug in seinem Kopf nun doch offenbar als störend empfand und es einfach entfernte. Dann wandte er sich wieder dem Shinobi zu, der ein Stück weiter auf dem Boden... gelegen hatte! Denn er war nicht mehr da. Ehe Jim so richtig begriff, wohin Lone Demon verschwunden war, flog die schwere Sicherheitstür ins Schloss. Draußen warf sich der Spion mit schmerzverzerrtem Gesicht und schwer atmend gegen die gegenüber liegende Wand, wo er sich abstützte.

Die Ruhe währte aber nicht lange, kurz darauf erklang ein markerschütterndes Donnern und ein Loch wurde unweit der Tür in die Wand gebrochen. Qualm und Dreck flog umher, ebenso wie kleinere Steine und ganze Trümmerstücken. Dann schoss Jim, der nun wirklich mehr an seine dämonische Variante Kujo erinnerte, aus der Öffnung. Seine Haut hatte sich bereits verändert und war mit einem festen Schuppenpanzer überzogen.

"Um dich kümmere ich mich später, Spion.", höhnte Kujo siegesgewiss, dann hetzte er einige Meter in entgegengesetzter Richtung den Gang entlang, bog um eine Ecke und setzte dort geräuschvoll seinen Weg durch das Gebäude fort, indem er einfach aus dem Fenster eines der dortigen Büroräume sprang.
Lone lies zornig die Faust gegen die Wand hinter ihm krachen.

"Verdammt... wie konnte das passieren....!?"


***



Zurück in der Gegenwart, vor dem Verhörsaal...

"Und so ist er also entkommen. Verflucht...!"


Lone, der inzwischen wieder genesen war, nickte beunruhigt.

"Ja. Und ich fürchte, er ist sogar noch stärker als zuvor. Besser noch, er zeigt jetzt, was er wirklich kann. Dieser Dämon ist viel gerissener als wir dachten."

"Dämon?", gab Chiyoi noch immer zweifelnd von sich. "Bist du auch der Meinung, das er das ist?"

"Ich weiß nicht. Aber er strahlt eine Boshaftigkeit aus, die nicht von irgendeiner Verhaltensstörung oder genetischen Veränderung kommen kann. Er ist etwas, was nicht künstlich geschaffen wurde. Und auch nicht in dieser Zeit."

"Das ist alles ganz interessant", gab Yakuza eilig von sich, "doch dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen ihn wieder einfangen, bevor er jemanden gefährdet oder sogar umbringt!"

"Hast du eine Idee, wie wir das machen sollen?", wollte Chiyoi etwas verzweifelt wissen und sah den Sicherheitschef ratlos an.

"Nicht wirklich. Aber wenn wir rumstehen, fällt uns sicher auch nichts ein. Also, hinterher...!"

Schritte näherten sich plötzlich und dem Klangmuster nach zu urteilen waren es mehrere Personen. Überrascht sahen die drei Anwesenden in die Gesichter von Envinyatar und Jumpdevil, die den Flur entlang gestürzt kamen.

"Was ist hier passiert?!", schrie Envinyatar, "Wo ist Jim?!"

"Das ist ein Problem, das längerer Erklärung bedarf.", antwortete Lone Demon zerknirscht.

"Ich fürchte, dafür bleibt uns keine Zeit. Es gibt noch ganz andere Schwierigkeiten.", meldete sich nun auch Jumpdevil zu Wort. Erst jetzt fiel auf, dass die beiden obersten Führungskräfte mit Automatikgewehren und Schutzkleidung bestückt waren.

"Was denn? Noch mehr Ärger?!"


Tran Loc saß schwitzend vor der Kameraanzeige auf dem Bildschirm seines Computers in seinem persönlichen Arbeitsraum.

"Das darf doch nicht wahr sein..."

Der Administrator schluckte hörbar und wischte sich dann kurz über die Augen. Doch das Bild der Kamera, welche auf den hintersten Bereich des Geosektors gerichtet war, änderte sich nicht. Es entsprach den Tatsachen. Dort landeten gerade an die dreißig schwarz gekleidete Personen mit Paragleitern und Fallschirmen, bis an die Zähne bewaffnet und offensichtlich bereit, jeder drohenden Gefahr ins Auge zu sehen. Einige dort stationierte Genom-Soldaten waren bereits mit ihnen in Konflikt geraten und binnen weniger Sekunden nieder gemacht worden.

Tran Loc aktivierte einen privaten Alarm, der nur an die Führungsoffiziere weitergeleitet wurde und suchte dann seine Schutzkleidung zusammen. Er entsicherte seine Dienstpistole und warf den Mantel über die kugelsichere Weste.

"Jetzt haben wir ein Problem..."


***



Thomas grinste zufrieden und beobachtete den qualmenden Lauf seiner Maschinenpistole. Hinter ihm zog sich auch der Rest des Trupps allmählich zusammen und bildete kleine Einsatzgrüppchen.

"Leute? Kann's los gehen?"

Beinahe im Chor kam die übereinstimmende, positive Antwort, die vom Durchladen einiger Gewehre und kleinerer Feuerwaffen begleitet wurde. Dann setzte sich das Sondereinsatzkommando zur Vernichtung des Einzelprojektes New World Order in Bewegung.

"An die Arbeit, Leute..."



To be continued...


Anmerkung des Autors:

Die Idee mit dem Agoniesimulator verfolge ich schon sehr lange. Zwar nicht unbedingt in dieser Form und auch nicht speziell für diese Fanfiktion, doch der Gedanke "faszinierte" mich, seit ich eine Star Trek-Folge sah, in der dort ein Gerät benutzt wurde, dass dem Opfer unwahrscheinliche Schmerzen zufügt. Da mir diese Technologie selbst für AnF zu futuristisch war und ich sie auch nicht hätte halbwegs plausibel erklären können, entschied ich mich letztlich für die chemische Variante. In wie weit die beschriebene Wirkung den Tatsachen entspricht, kann ich nicht genau sagen. Ich bilde mir aber ein, mal irgendwo gesehen oder gelesen zu haben, dass das Gehirn tatsächlich über so eine Art Schmerzbarriere verfügt, die, wenn sie überschritten wird, als Schutzfunktion für den Körper und das Gehirn die Ohnmacht herbeiführt. Ob und wie man diese Funktion des Gehirns außer Kraft setzen kann, weiß ich nicht und ist eigentlich auch völlig unerheblich... hey, das hier ist Fanfiction, etwas Phantasie muss einem da doch gestattet sein. ;)

Ansonsten kann ich über dieses Kapitel nur verlieren, dass ich etwas mehr Interaktion mit den einzelnen Charakteren eingebaut habe und dass sich allmählich ein Wandel in der Handlung andeutet. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, NTL und Chiyoi so nahe zusammen zubringen, doch irgendwie gefiel mir der Gedanke immer mehr (im richtigen Leben ist das natürlich nicht so, keine Sorge, Nguyen ;) ) und da sich so ein Techtelmechtel eventuell eh schon im Vorfeld leicht anbot, dachte ich, ich baue es halt noch etwas aus. Ähm ja, und ich hab auch nicht davor zurückgeschreckt, meine eigen Person in dieser Fiction etwas in den Dreck zu ziehen. Sowas muss man als Autor wohl ab und zu auch tun, wenn man schon seinen eigenen Charakter in die Handlung einfließen lässt. *g*

Abschließend kann ich nur hoffen, dass dieses Kapitel gefällt und über Reviews und/oder Anregungen würde ich mich sehr freuen.

Bis zum nächsten Kapitel:

"09 - Opening the Gates of Hell"

Euer Yakuza
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