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New World Order

von Yakuza
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P18 / Gen
13.05.2004
06.11.2004
9
98.641
1
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Dieses Kapitel
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13.05.2004 14.058
 
"05 - Bit and Byte - T 2000-Railgun-Rampage!"


"... und dann hat er das Leder tatsächlich noch ins linke Eck gedrückt. Kein Mensch hatte mehr damit gerechnet, so knapp war es!"

"Und du hast dich natürlich geärgert."

"Ja, klar. Immerhin steigt die Mannschaft nun ab. Wegen diesem einen Punkt!"

Der Wissenschaftler klopfte seinem Kollegen aufmunternd auf die Schulter, bevor sich ihre Wege trennten.

"Du kannst ja heute Abend mal vorbeikommen. Bring ruhig deine Frau mit."

"Ok, wir werden sehen. Carol und ich wollten eventuell heute ausgehen aber warten wir es ab. Vielleicht ändert sich ihre Meinung noch."

"Ruf einfach an."

Einer der zwei hob den Gruß zum Abschied, während er einen Schluck aus seinem Kaffeepot nahm, dann lief er davon.

Inzwischen herrschte reger Betrieb in den Gängen des AnF-Hauptquartiers. Der Turm des Unternehmens war schon riesig aber unterirdisch erstreckte sich ein noch viel größeres Areal. Nicht nur Genom-Soldaten und Angestellte arbeiteten hier sondern auch ganz gewöhnliche Menschen mit entsprechendem Potential. AnF hatte diese Angestellten samt ihren Familien hier unten einquartiert, sorgte für deren Unterhalt und Lebensstandart, sofern sie nicht selbst arbeitstätig waren oder sonst wie für die AnF-Organisation arbeiteten.

Jim öffnete mit einem Stöhnen seine Augen. Der Versuch sich aufzurichten erwies sich als Fehler, da er fiel zu schnell vonstatten ging und Jim daran gleich durch das Schmerzen seiner Wunde erinnert wurde. Er sank wieder zurück auf... ja, wo befand er sich überhaupt? Er zwang sein Erinnerungsvermögen, die Bilder von seinem Kampf wieder empor zuholen.   Richtig.. er hatte Kenjin, er hatte ein AnF-Elitemitglied geschlagen und war dann entkommen! Irgendwie musste er sich dann mit letzten Kräften fortgeschleppt haben, da die Erschöpfung und der Blutverlust doch höher ausgefallen waren, als ihm in der Hitze des Gefechtes wohl bewusst gewesen war.

Er startete den zweiten Versuch, aufzustehen und brachte sich etwas umständlich auf die Knie. Überall lagen hier umgestoßene Kartons und Kisten herum, er selbst saß auf einem Stapel unordentlicher Decken und Papierwolle. Jim befand sich scheinbar in einem Abstellraum. Die Deckenbeleuchtung brannte, entweder war jemand während seines Schlafes hier drinnen gewesen ohne ihn zu bemerken oder - was wahrscheinlicher war - AnF hatte seine reguläre Dienstzeit aufgenommen und ein automatisches Versorgungssystem speiste die Lampen mit Strom.

Die Rechte des blonden Kämpfers wanderte zu dessen Brustkorb um diesen abzutasten. Er biss die Zähne aufeinander, als die Berührung Schmerzen verursachte. Kenjins Treffer mit der Sense hatte eine ziemlich tiefe Wunde in seinen Oberkörper gerissen, sogar seine kugelsichere Weste, die er unter seiner Jacke getragen hatte, war völlig durchschnitten worden und somit ziemlich unbrauchbar.

Gut war lediglich, dass die Blutung inzwischen gestoppt war und die Gerinnung des Lebenssaftes eingesetzt hatte. Da schon ein recht dunkler Wundschorf zu erkennen war, mussten seit der Auseinandersetzung einige Stunden vergangen sein. Er drehte sein Handgelenk und blickte auf die Armbanduhr - sie war kaputt. Jim fluchte leise. Da handelte es sich hierbei schon um spezielle Agentenausrüstung aber die Uhr schien trotz allem ein einfaches Modell zu sein, das heftigen Stößen und Aufprällen nicht lange stand hielt.

Also musste er nun überlegen. Er hatte keine Ahnung, wo er sich genau befand, es war ihm noch immer nicht eingefallen. Zudem fehlten ihm Angaben über die Zeit, die er schon verloren hatte und in wiefern dieser Fakt seinen Feinden in die Hände gespielt hatte. Ob AnF inzwischen Kenjins Überreste gefunden hatte? Oder zumindest das, was von ihr übrig war... falls ja, konnte er sicher gehen, dass die gesamte Zentrale alarmiert war, was seine Mission erheblich erschwerte. Pattroulierende Wachen konnten ein echtes Problem werden.

Was gab es also noch rumzusitzen? Es war Zeit, aufzubrechen. Zunächst würde er sich über den Stand der Dinge informieren, dann Verbandszeug und Medizin sowie Waffen besorgen. Und neue Klamotten. So wie Jim zugerichtet war, konnte er diese Mission keinesfalls beenden. Außerdem wusste er jetzt über die Stärke der Elite-Mitglieder, da konnten ein paar durchschlagende Argumente nur helfen.

Jim stand vorsichtig auf, damit die Wunde an seiner Brust nicht wieder aufplatzte, kramte dann seine Sachen zusammen und schlich zur Tür des Abstellraumes. Draußen hörte er Stimmen und Schritte, ein allgemeines Begängnis war im Gange. Er beugte sich herunter, als er vor die Tür trat, damit er durch das Schlüsselloch schielen konnte. Es verschlug ihm Atem und Sprache, als jemand direkt vor die Öffnung trat und auf der anderen Seite der Tür die Klinke packte. Jim drückte sich an die Wand hinter die Tür, als diese geöffnet wurde. Ein pfeifender Mann trat ein, der den Agenten jedoch nicht bemerkte.

Dem blonden Agenten schlug das Herz bis zum Hals. Fatal, wenn er nun aufflog! Konzentriert lauschte er den Geräuschen, die die fremde Person verursachte, da er hinter der Tür nichts sehen konnte. Sie schien sich umzukleiden, öffnete einen Wandschrank und sortierte scheinbar in die Kisten herum. Dann wurde es eine Zeit still, wenig später waren Schritte zu hören und kurz darauf zog sich Jims schützendes Versteck wieder zu - der Mann hatte den Raum verlassen und die Tür geschlossen. Jim blickte sich kurz um. Was immer er getan hatte, der Kerl hatte seinen weißen Kittel vergessen. Perfekt!

Jim machte einen Satz zu dem Wandschrank, warf sich den Kittel über, damit seine beiden Schwerter nicht zu sehen waren und auch seine schwarze Uniform nicht so auffiel. Seinen Rucksack legte er in einen leeren Karton. Wenn er jetzt da raus spazierte, würde ihn überhaupt niemand erkennen, da war er sich sicher. Er musste seine Pläne aber rasch verwerfen, als sich just im selben Moment wieder die Tür auftat. Jim hechtete sich mehr in den Wandschrank, als dass er vorsichtig hineinstieg, denn zu mehr war keine Zeit. Inständig betete er, dass nicht eintraf, was er vermutete, doch die Aussicht darauf war verschwindend gering.

"...hmmhmhm...wo hab ich denn...? Ich hab doch meinen Kittel vergessen...ah ja! Der Wandschra--"

Bevor der Wissenschaftler seinen Satz zuende gebrabbelt hatte, schoss Jim aus dem geschlossenen Schrank hervor und packte den Kopf des geschockten Angestellten, vielmehr hielt er ihm den Mund zu und presste ihn mit aller Macht in einen Stapel Kisten, der sich hinter ihm befand und welcher dadurch rumpelnd zusammenstürzte.

"Hmmmmpphh!? Hrmmmpff! Hrmmp hmmph!!"

"Halt's Maul oder du bist tot!", drohte Jim zischend und sah nervös zur Tür. Hoffentlich hatte ihn niemand gehört.

"Ich werde jetzt meine Hand wegnehmen. Du wirst nicht schreien, haben wir uns verstanden?!"

Ein Nicken folgte der Erklärung, dann lies Jim seine Hand vorsichtig absenken, was er aber sofort bereute, denn der Mann brach sein Versprechen fast noch im selben Zuge, in welchem er es gegeben hatte.

"HILFE!! ER IST HI--"

"Tzzt!!!"

Jim knurrte, dann rammte er dem Laboranten sein Knie in den Magen, auf dass ihm seine Worte im Halse stecken blieben. Bevor der Wissenschaftler schmerzvoll schreien konnte, krachte Jims Faust auf den Kiefer des Mannes und brach jenen mit einem lauten Knacken. Bewusstlos ging der Mann in den Kartons und Kisten zu Boden. Jim hatte Glück gehabt, niemand hatte etwas mitbekommen.

"Arschloch..", murmelte er abfällig, dann verlies er vorsichtig den Raum.


***


"Wie geht's dir?", fragt Chiyoi etwas wehmütig, während sie sich an die Kante eines Labortisches stützte und NTL leicht über die Schulter äugte.

"Ganz gut.", meinte dieser etwas abwesend aber mit etwa gleichwertig wehmütigem Unterton. Der Verlust von Kenjin machte wohl jedem zu schaffen. Zudem hatte der gesamte Tag, beziehungsweise die vergangene Nacht eine komplett andere Wendung genommen als erwartet. Kenjin hätte diesen Kampf gewinnen sollen, Jim wäre ausgeschaltet gewesen, Nguyen hätte nicht die gesamte Nacht wach bleiben müssen. Es war eigentlich kein Problem, mal ein oder zwei Tage durchzumachen. Jedoch ging das nun schon fast eine Woche so. Wenigstens gestern hatte er mit ein paar Stunden Schlaf gerechnet. Nun gut. Es hatte nicht sollen sein.

"Verdammt!"

Gereizt schlug Tran Locs Faust auf den Tisch. Es war zum Verzweifeln! Warum hatte Kenjin sterben müssen?! Er hatte keine private Beziehung zu ihr gehabt, so war es nicht aber dennoch hatte dieser fremde Mistkerl eine gute Freundin auf dem Gewissen, ein wertvolles Teammitglied, mit dem nicht nur NTL schon seit vielen Jahren zusammen gearbeitet hatte. Der Verlust war für jeden hart und auch wenn ein anderer hätte dran glauben müssen, hätte sich der Administrator nicht anders gefühlt. Dafür würde dieser Kerl bezahlen!

"Mach doch mal ne Pause, Nguyen. Du bist seit Stunden wach. Ich kann dich ablösen. Ich mach das Programm fertig und übernehme die Überwachung der Zentrale noch ein wenig. Hau' dich doch mal für ein, zwei Stunden auf's Ohr."

Tran Loc drehte sich mit einem müden aber dankbaren Lächeln um und winkte ab.

"Schon gut, Chiyoi. Es geht schon. Ich hasse es bloß, wenn es nicht so läuft wie ich will. Vor allem weil ich weiß, dass ich es besser können müsste."

"Du bist auch nur ein Mensch, NTL, keine Maschine.", stellte sie augenrollend fest. Ihr Kommentar war allerdings auch nicht negativ gemeint, weshalb sie sich sogleich leise entschuldigte.

Tran Loc kicherte leise. So verkehrt war ihr Wink mit dem Zaunpfahl gar nicht gewesen, denn Chiyoi wusste nicht um die Ironie ihrer Aussage.

"Nun, vielleicht noch nicht... aber wenn ich dieses Programm hier fertig geschrieben habe und dann noch ein paar Sachen ergänze, bin ich genau das!"

"Was meinst du?", fragte sie etwas irritiert und starrte auf den Bildschirm, auf dem nun ein 3D-Bauplan des T 2000 in Form einer Render-Grafik rotierte.

"Ich bin eins mit der Maschine. Wenn das Programm funktioniert habe ich ein perfektes Interface, was mich den T 2000 nicht nur manuell von der Kabine aus steuern lässt. Es ist, als wäre ich mit der Maschine verknüpft! Kein lästiges Eingeben von Befehlen, kein menschliches Versagen, perfekt ausgerechnete Aktionen und das mit der vielfachen Geschwindigkeit eines menschlichen Gehirns!"

Tran Locs Augen leuchteten. Wenn funktionierte, was er plante, war er mehr als der beste Hacker des Universums. Er hatte mit Rei.Dra bereits einen Geniestreich erzielt, wenn ihm ein Interface mit der hochentwickeltsten Kampfmaschine des Planeten gelang, hatte er bewiesen, dass er mehr war als ein Stubenhocker, der seine Kraft aus Zahlenkombinationen und zusammengeflickter Hardware zog. Nicht, dass er diese Bestätigung benötigte, um sowieso nicht vorhandene Komplexe zu kompensieren, aber die Tatsache des Erfolges würde allen Neidern und Zweiflern entgültig das Maul stopfen.

"Aber ist das nicht gefährlich...? Ich bin keine Medizinerin aber trotzdem muss ich dir als Wissenschaftlerin davon abraten. Ich war auch mal beim Militär, weißt du. Und ich habe Experimente gesehen, die fürchterlich schief gegangen sind. Du könntest einen Hirnschlag oder ähnliches kriegen, wenn es schief geht!"

"Ich verstehe ja deine Sorge", versuchte er sie zu beruhigen und stand von seinem Stuhl auf, um sich vor ihr aufzubauen. Beschwichtigend legte er ihr eine Hand auf die Schulter, bevor er an ihr vorbeischritt.

"Aber es wird nichts schief gehen. Versprochen. Es wird funktionieren. Und dann soll sich dieser Jim warm anziehen!"

"Ja... wahrscheinlich hast du recht. Immer nur über Konsequenzen grübeln, bringt nichts. In Ordnung! Ich werde dich unterstützen! Wir finden den Kerl und dann ist er dran!"

Sie folgte ihm mit den Augen zum Ausgang.

"Was hast du nun vor?"

"Noch was erledigen. Und dann werde ich wohl den klugen Rat von Dr. Chiyoi befolgen und mich mal etwas hinlegen."

"Tu das."

"Danke für deine Hilfe, Chi. Ich schulde dir was."

Sie hob aufmunternd den Daumen.

"Kein Ursache, Nguyen. Wir sind ja nicht die einzigen, die aufpassen..."


Inzwischen an einem anderen Ort der AnF-Zentrale...

Schweigend blickte sie in den verschwommenen Strudel, den ihr Kaffeelöffel beim Umrühren hinterlies. Ihr nachdenkliches Gesicht verriet dem Betrachter, wie sehr die Botschaft von Kenjins Tot Envinyatar mitgenommen haben musste doch nur sie selbst und Jumpdevil wussten wohl, wie es im Inneren der Vize-Kommandantin stand. Die junge schwarzhaarige Frau hätte aufschreien können vor Schmerz und vor Trauer aber auch vor Selbstwut über ihre Fahrlässigkeit.

Sie hatte eine gute Freundin verloren, so wie jeder der Elite-Offiziere auch. Warum nur? Warum hatte sie Kenjin nie gesagt, wie sehr sie sie eigentlich geschätzt hatte? Warum nur hatte sie sie allein gelassen, da unten in der Dunkelheit? Doch was brachten diese Gedanken... Jumpdevil, Lone Demon, Yakuza, Nguyen Tran Loc und Chiyoi ging es sicherlich nicht viel anders als ihr. Doch sie hatte die Verantwortung. In der gestrigen Nacht war sie die Führungsoffizierin mit der höchsten Befugnis gewesen. Sie hatte die Situation als harmlos abgetan, alles völlig falsch eingeschätzt. Letztendlich war es ihre Schuld, dass Kenjin gestorben war.

"Nein, es war nicht deine Schuld. Jim hat Kenjin umgebracht, nicht du, Envinyatar."

"Huh? Hab ich das etwa gesagt?"

Die schwarzhaarige Frau sah aus ihren Gedanken auf und starrte in Jumpdevils Gesicht, die ihre Hand um die von Envinyatar gelegt hatte.

"Nein, aber gedacht hast du's. Ich kann es in deinem Blick sehen. Du darfst dich deswegen nicht fertig machen, jedem hätte diese Situation wiederfahren können, niemand konnte voraussehen, dass es so ausgehen würde."

"Mhm. Wahrscheinlich hast du mal wieder recht... aber es ist so schwer, das alles zu begreifen..."

"Das glaube ich dir ja....", entgegnete Jumpdevil, während sie versuchte trotz der aufgewühlten Stimmung am Kantinentisch etwas Routine in den Ablauf zu bringen, indem sie ihr Butterbrot mit Konfitüre bestrich.

"Aber es geht allen sehr an die Nieren. Jeder gibt sich in gewisser Weise die Schuld. Du, weil du es als zu harmlos abtatest. Ich und Tran Loc, weil wir zu lange zugesehen haben. Lone Demon, weil er uns nicht früher gewarnt hat. Yakuza, weil er geschlafen und seine Pflicht vernachlässigt hat."

"Aber das ist doch Quatsch! Lone hat uns noch rechtzeitig gewarnt, du und NTL ihr wolltet auch zu Hilfe eilen, Yakuza muss auch mal schlafen und..."

"Ja, genau... und eben aus diesen Gründen darfst du nicht so hart mit dir ins Gericht gehen! Jeder kann sich mal verschätzen, jeder Mensch macht Fehler. Auch schwerwiegende Fehler! Es ist nicht deine Schuld, Envinyatar! Selbst im Krieg gibt es solche Situationen, auf die niemand vorbereitet ist, Zustände, die sich nicht trainieren oder abschätzen lassen. Versuch damit klar zu kommen und konzentriere deine Kräfte lieber auf alles zukünftige... zum Beispiel, wie wir diesen Agenten aufspüren, stellen und bestrafen..."

Envinyatar nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Kaffeepot. Eigentlich war ihr in dieser Situation mehr nach einem kühlen Bier, doch Alkohol war während des Dienstes verboten, selbst in Ausnahmensituationen.

"Ist gut.... ich werde dann mal eine kleine Runde drehen, hören was Lone, Yakuza, NTL und Chiyoi so machen. Und dann geht es wieder an die Arbeit."

"In Ordnung... ich geh dann auch mal. Egal was passiert, der Tagesplan darf nicht aus dem Ruder geraten. Es gibt wesentlich größere Sorgen als einen Kamikaze-Agenten."


***


"Du bist wieder da!"

Fast mit dem Eifer eines Kindes überschüttete Reidra Tran Loc mit ihrer Freude. Der Administrator hatte ihr Programm wieder aktiviert, es fiel ihm allerdings schwer ihre zurückgewonnene Freude gleich durch eine solche Hiobsbotschaft zunichte machen zu müssen.

"Ja, bin ich... du hast deine Matrix verändert, stimmt's ? Die neuen Klamotten stehen wir gut."

"Danke. Naja, ich wollte mal etwas neues ausprobieren. Zu mehr bin ich ja noch nicht in der Lage."

"Ich weiß. Tut mir leid aber im Augenblick habe ich so wenig Zeit, um daran zu arbeiten."

"Das sollte kein Vorwurf sein, Nguyen. Entschuldige bitte, falls es so klang..."

"Schon in Ordnung. Reidra... ich... ich muss dir etwas erzählen... eine schlimme Sache ist gestern Nacht geschehen..."

"Ja? Was ist passiert?"

"Eine Kollegin und gute Freundin von uns allen... ist gestern Nacht umgebracht worden. Ihr Name ist Kenjin. Ein Agent namens Jim ist der Mörder."

"Das...das ist ja furchtbar! Wie schrecklich... warum hat er das getan?!"

"Wir wissen es nicht mit Sicherheit... das einzige, worüber wir Bescheid wissen, ist der Inhalt seiner Mission: Die Vernichtung von AnF und das Töten aller Elite-Mitglieder."

"Wie grausam.... was wollt ihr nun tun?! Ich meine, ihr müsst doch etwas unternehmen! Wo ist dieser Jim denn nun?!"

"Das haben wir noch nicht herausgefunden... er versteckt sich irgendwo. Du weißt selbst, wie riesig unsere Zentrale ist. Selbst mit meinen Nanokameras kann ich ihn nicht so ohne weiteres aufspüren... es ist alles eine Frage der Zeit bis wir ihn haben."

"Ich verstehe... aber ... du hast doch noch einen anderen Grund, warum du mir all das erzählst, oder?"

"Ja... ich möchte das du mir hilfst, ihn zur Strecke zubringen!"

Die Entschlossenheit in Nguyens Stimme machte Reidra deutlich, wie ernst es ihm damit war. Und eigentlich war ihr nichts lieber, als ihm zu helfen, wenn sie es denn konnte.

"Natürlich... sofern ich dir eine Hilfe bin. Schließlich hast du mir... das Leben gerettet... also, wenn ich dein Leben und das der anderen retten kann, helfe ich dir natürlich!"

"Danke! Das ist wirklich nett von dir! Dazu muss ich nur dein Programm etwas umschreiben... du wirst dann meine interaktive Schnittstelle sein..."

"Schnittstelle?"

"Lass dich überraschen...."

Mit diesen Worten zog er ein Datenstäbchen aus der Tasche seines Mantels und steckte es in die dafür vorgesehene Buchse.

"Du wirst dich gleich etwas komisch fühlen. Aber ich muss ein paar Unterprogramme in dein Hauptprogramm schreiben. Sieh es als eine Art Upgrade an. Danach speichere ich eine Kopie von dir auf das Stäbchen und alles ist erledigt."

Die zuversichtliche Tonlage des Administrators beruhigte Reidra, obgleich sie nicht wirklich wusste, was mit ihr geschehen würde, noch wie NTL gedachte, sich ihre Fähigkeiten zu nutze zu machen.

"In Ordnung... fang an..."

Ein extrem hohes, alles andere ausblendendes Pfeifen jagte in Reidras digitale Gehörgänge und sie verspürte das Gefühl, dass sich ihr Magen - wenn sie noch einen hätte - umdrehte. Eine Bilder- und Informationsflut prasselte auf ihre Software ein und wirbelten alles in ihrer digitalen Schaltzentrale durcheinander. Als sie befürchtete, gleich ohnmächtig zu werden, ebbte die Datenflut und das seltsame "Gefühl" wieder ab und ein gleißendes Licht hüllte ihre sensorischen Erfassungssysteme ein, welches aber ebenfalls kurz darauf abklang.

"Wie ist es? Alles in Ordnung?"

Die junge Frau brauchte einen Moment, bis sie begriff, was eben mit ihr geschehen war. Doch als ihr Datensystem Zugriff auf die neu eingespeisten Informationen erhielt, breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus.

"Ich glaube, jetzt verstehe ich was du vorhast.... ich denke, SO kann ich dir bestimmt von Nutzen sein."

Tran Loc wurde von einer gewissen Befriedigung ergriffen. Sein rechter Mundwinkel verzog sich zu einem leicht süffisanten Grinsen.

"Jim, deine Stunden sind gezählt..."


***



Jim hechtete hinter eine Schreibtischkombination und schützte seinen Kopf mehr schlecht als recht vor herunterstürzenden Glasflaschen und -kolben und Splittern, die im Kugelhagel umhergeschleudert wurden. Gleichzeitig zog er eines seiner Schwerter aus dem Halfter und machte sich bereit, den Standort zu wechseln, sobald die Feuersalve beendet wurde.

Die Schussgeräusche verstummten, Jim sprang in gehockter Position hinter dem durchlöcherten Arbeitsplatz hervor und rollte sich in den Gang ab, von wo er wieder genau mit dem rechten Timing hinter einer Trennwand im Nebenraum verschwand. Wieder schlugen Schüsse an der Stelle ein, wo er sich befand, doch eine stabile Betonwand trennte ihn nun von den tödlichen Geschossen.

Jim atmete schwer. Durch einen dummen Zufall hatte man ihn vor etwa fünf Minuten in einem der Labors entdeckt, als er auf der Suche nach Verbandsmaterial gewesen war. Einige Rollen Mullbinden hatte er einsacken können, auch Blutgerinnungsmittel und ein Beruhigungsmittel. Auf die Suche nach Munition hatte er sich leider nicht mehr machen können, denn zwei Angestellte hatten Alarm ausgelöst und kurz darauf waren ihm zwei bewaffnete Genomsoldaten auf den Fersen gewesen.

Die beiden Herren besaßen vollautomatische Gewehre und zwei Handfeuerwaffen, sowie einen Gürtel, an dem mindestens ebenfalls zwei Granaten hingen. An Bewaffnung waren sie Jim im Augenblick überlegen, doch der Agent war nicht dumm. Er würde improvisieren. Bisher war er ihnen entkommen und hatte sich nun in diesem Labor verschanzt, dessen Besetzung augenblicklich geflohen war, als die zwei maskierten Soldaten schießend hier eingedrungen waren. Ein weiterer Vorteil für Jim, er musste auf keine weiteren potentiellen Angreifer reagieren.

Der blonde Agent schluckte und hielt seinen schweren Atem einen Moment an. Schritte. Langsam tasteten sich die bewaffneten Gegner vor, auch wenn Jim sie im Moment nicht genau sehen konnte. Sehen... ihm kam eine Idee.

Rasch zog er auch Gouka aus der Scheide und lies die flache Seite des blanken Stahls einige Zentimeter an der Ecke der Mauer hervorragen. Er winkelte die Klinge so ab, dass sie ihm als Spiegel diente und er einen kurzen Blick riskieren konnte. Kurz darauf schlugen einige Schüsse neben Jims Position ein und prallten an der stählernen Waffe ab, die Jim sofort zurückzog und darauf hin den Standort wechselte. Er musste sich etwas einfallen lassen, und zwar rasch. Ein ausschweifender Blick in den Nebenraum genügte. In seiner Nähe stand ein Tisch mit diversen Utensilien darauf, ein Stuhl, Schränke... Heizkörper... in der Decke waren Lampen eingearbeitet und im hinteren Raumteil...ein Feuerlöscher und ein Lüftungsschacht... . Ein Plan reifte in Jims Kopf, den er sogleich umsetzte.

Jim packte den Stuhl in seiner Nähe und schleuderte ihn um die Ecke der Trennwand. Mit einem Krachen schlug er gegen etwas, scheinbar hatte er nicht nur den Boden damit getroffen sondern auch einen der Wachmänner, denn ein Schrei mit einem Fluchen ertönte. Diesen kurzen Augenblick der Ablenkung hatte Jim genutzt und den Labortisch umgetreten, war darüber gesprungen und löste gerade den Feuerlöscher aus der Wandhalterung, als die beiden Genomsoldaten um die Ecke sprangen und das Feuer eröffneten. Ein Streifschuss erwischte Jims rechte Schulter, doch er ging instinktiv mit dem roten Objekt in den Händen hinter dem umgeworfenen Tisch in Deckung. Die Platte war glücklicherweise mit Metall verstärkt, um Verätzungen vorzubeugen, sodass die Kugeln sie nicht sofort durchschlugen. Mit einem Schrei sprang der risikobereite Agent hinter seiner Deckung hervor, schleuderte den Feuerlöscher auf seine Gegner und rammte nahezu zeitgleich Kujo in das Behältnis, dessen Inhalt sich explosionsartig entlud und eine gewaltige Staubladung im Raum verteilte.

Verkrampftes Husten signalisierte, dass die Angreifer die volle Ladung abbekommen hatten und wahrscheinlich überhaupt nicht gesehen hatten, wie Jim entkommen war. Kreideweiß tasteten sich die Genome vorwärts, als sich der Dunst wieder langsam legte. Von ihrem Ziel fehlte aber jede Spur...

"Wohin ist der Kerl verschwunden...?"

Die Frage beantwortete ein kurzer Blick der zwei Männer auf den hinteren Teil des Raumes. Ein umgeworfenes Regal lehnte auf der Oberkante eines Heizkörpers und bot so eine perfekte Erhöhung, um den Lüftungsschacht zu erreichen, der für eine einzelne Person groß genug war. Die Luke des Schachtes war ebenfalls geöffnet.

"Hehe.... da bist du also...."

Siegesgewiss kletterte einer der beiden Männer auf die errichtete Leiter und starrte in die Schwärze der Schachtöffnung, während der andere in der Nähe verharrte. Dann legte er seine Waffe an und feuerte probehalber eine Salve hinein.

Schon im nächsten Moment schrie der Mann furchtbar auf und fiel von dem Regal herunter, als seine Beine ohne Warnung mit einem Schwall Blut beiseite stürzten.  

"Was ist los, verdammt?!", rief der verbleibende verwirrt, doch bevor er etwas genaueres mitbekam, schob sich die Klinge eines Katanas schmatzend durch seine Stirn und ragte an der Hinterseite des Schädels heraus. Mit einem Sterbensröcheln fiel der Mann nach hinten um, während sich sein Kollege noch etwas in Agonie wand.

Keuchend kroch Jim aus dem kleinen Spalt unter dem Regal hervor, welcher zwischen Erdboden und Heizkörper entstanden war.

"Wer ist denn heute noch so doof, auf so einen alten Trick reinzufallen?", meinte der Agent trocken und durchtrennte dem übrigen Soldat die Kehle, um sein Leiden zu beenden. Kaltblütig stapfte er über den Leichnam hinweg und zog Kujo aus dem Schädel des anderen, der wie eine verwelkte Frucht aussah, da sich die Klinge indes an ihm gesättigte hatte. Es waren ohnehin nur Klonsoldaten, von denen einer wie der andere aussah. Sie hatten keine Familie, sie hatten keine Individualität. Kriegsmaschinen aus Fleisch und Blut. Kanonenfutter. Der Tod eines Genoms scherte Jim von daher recht wenig, doch er sah das vollbrachte Werk als sehr nützlich an.

"Munition habe ich jetzt mehr als genug.", stellte er fest, während er sich mit den Munitionsgürteln behing und das zweite Gewehr auf dem Rücken schulterte. Ihm standen mehr als 200 Schuss zur Verfügung und er besaß an die fünf Granaten und zwei Schwerter. Damit konnte selbst ein einzelner Mann schon Schaden anrichten.

"Allerdings ist es nun nur noch eine Frage der Zeit bis sie mich finden.... Verstärkung ist gewiss schon unterwegs."

Der Instinkt des Agenten sagte ihm, dass es besser war, keine Sekunde länger hier zu bleiben, als nötig. Da der Weg in den Lüftungsschacht ja schon geebnet war, nutzte er diese Chance auch gleich. Vielleicht war das sicherer, als sich durch die Menschenmassen im Inneren des AnF-Hauptquartiers zu quälen.

Kaum drei Minuten, nachdem Jim im Schachtinneren verschwunden war, betraten fünf Paar Stiefel den verwüsteten, blutverschmierten Boden des Labors.

"Wir haben seine Spur verloren, Kommandant."

Der Angesprochene reagierte zunächst nicht auf den Einwurf eines seiner Teammitglieder. Äußerlich hob sich der Mann von den übrigen Soldaten dadurch ab, dass er einen schwarzen, ärmellosen Ledermantel mit dem AnF-Emblem über seinem nackten, durchtrainierten Oberkörper trug. Skeptischen Blickes kniete er sich auf den Boden und betrachtete das Desaster, besonders fielen ihm die zugerichteten Männer auf.

"Hmmmm.... interessant. Dieser Agent geht effektiv aber auch äußerst brutal vor. Verstümmelung und...."

Sein Blick fiel auf den zweiten Mann, der eindeutig eine tiefe Kopfwunde aufwies, aus der aber kein Blut strömte. Das Gesicht des Genoms wirkte bleich, so als wäre er bereit seit einigen Tagen tot.

"... so etwas habe ich noch nie gesehen. Wer immer der Kerl ist, es ist kein gewöhnlicher Agent."

"Kommandant! Was sollen wir--"

"Ich hab sie schon gehört. Wir haben seine Spur nicht verloren. Der Boden ist furchtbar verstaubt aber sieht hier jemand von euch Fußspuren, die nach draußen führen?!"

Betretenes Schweigen machte sich unter der kleinen Gruppe breit, da niemandem diese Details so schnell aufgefallen waren.

Der Führer des Verfolgungstrupps legte seinen Zeigefinger an einen kleinen Knopf in seinem Ohr.

"Ja? Chiyoi hier. Was gibt's?"

"Chiyoi? Yakuza hier. Wir haben ihn bei den Labors aufgespürt. Er ist in den Lüftungsschächten..."


***



Der elektronische Pieper erschall zum unzähligsten Male an Tran Locs Quartiertür. Wer immer da versuchte, ihn wachzubekommen hatte dabei eine unermüdliche Ausdauer wie Zwecklosigkeit an den Tag gelegt, beziehungsweise erfahren, da der Administrator und Superhacker noch immer nicht aus seiner Koje gekommen war.

"Komm schon, NTL, öffne die Tür!!"

Envinyatar betätigte wieder den Pieper und schlug fast zeitgleich mit der Faust gegen die automatisch öffnende aber diesmal verriegelte Stahltür.

"He, Nguyen, hörst du nicht?! Mach auf, es ist dringend!!"

Die stellvertretende AnF-Chefin war versucht, erneut gegen die Pforte zu schlagen, als die sich beiseite schob und einen recht verschlafenen Nguyen Tran Loc preisgab.

"Was ist denn so dringendes?", fragte der eben erwachte und wischte sich in aller Ruhe den Schlaf aus den Augen.

"Wir haben ihn! Ich war eben bei Chiyoi als sich Yakuza per Funk meldete. Die Spur verlor sich im Laborareal, doch Yakuza war sich sicher, dass Jim in die Lüftungsschächte entkommen ist. Er hat alle oberen Etagen abriegeln lassen."

Es dauerte etwa eine halbe Sekunde, bis Tran Locs "innerer Computer" hochgefahren hatte und die Information aufnehmen und richtig interpretieren konnte. Als diese Phase jedoch überbrückt war, arbeitete sein Verstand sofort wieder mit der Präzision eines Urwerkes. Sein Puls beschleunigte und sein Geist fuhr auf 180 Grad.

"Was?! Warum habt ihr mich nicht eher geholt?!"

"Ich hab's seit fast zehn Minuten versucht aber du hast so tief geschlafen, dass..."

Ungeduldig, was sonst gar nicht so seine Art war, schob Tran Loc die kleinere und jüngere Frau beiseite und trat aus seinem Quartier.

"Verzeihung, tut mir leid!", warf er ihr noch hinterher, während er den Gang entlang eilte. Envinyatar, die ihm verzweifelt noch etwas hinterher zu rufen versuchte, hatte sein Gedächtnis schon ausgeblendet.

Nach einigen Metern hatte er den Fahrstuhl erreicht und hämmerte ungeduldig auf die Taste des Türöffners ein. Als sich der Lift öffnete sprang er hinein und betätigte die Taste für das Stockwerk, in dem sich die Labors befanden. Er musste unbedingt Chiyoi sprechen.

*Wenn es stimmt, was Yakuza vermutet, und zudem die oberen Ebenen erst einmal abgeriegelt sind, kann er sich nur in den Labors, den Biotopen, der Schmiede oder dem Geosektor aufhalten. Lüftungsschächte führen allerdings nur in die Labors und Biotope, also muss er dort irgendwo aussteigen. Er kann dann entweder in die Schmiede oder den Geosektor oder.... verdammt, der Hangar! Er kann auch in den Hangar unter dem Geosektor!!*

Mit einem "Pling" öffneten sich die Türen des Liftes und Tran Loc legte die letzten Meter sprintend zum Labor zurück, wo Chiyoi ihn bereits erwartete, als er die Tür aufstieß und keuchend auf den PC zusteuerte.

"Nguyen, endlich! Yakuza hat Jim aufgespürt, er muss in den Lüftungsschächten sein!"

Sie rückte ein Stück beiseite, damit der Administrator sich selbst davon überzeugen konnte, auf den verschiedenen Bildschirmeinstellungen und Kameraperspektiven waren aber nur patrouillierende Wachmannschaften zu sehen, sowohl von Jim als auch von Yakuzas kleinem Stoßtrupp fehlte jede Spur.

"Ich schicke ein paar Nanomaschinen runter.", kommentierte Tran Loc noch etwas außer Atem seine Aktionen an der Tastatur.

"Die durchsuchen die Lüftungsschächte nach ihm. Eigentlich kann er nur in den Labors oder den Biotopen aussteigen, da sind die einzigen Wartungsluken. Und genau da werden wir ihn erwischen!"

"Das glaube ich nicht."

Überrascht ob Chiyois frostigem Unterton und der Tatsache, dass sie offenbar etwas einkalkuliert hatte, was ihm entgangen war, fuhr Nguyen auf seinem Stuhl herum und sah die junge Wissenschaftlerin erwartungsvoll an.

"Wieso nicht?"

"Ganz einfach. Yakuza hat bestätigt, dass den beiden Opfern, mit denen Jim den letzten Kontakt hatte, die Waffen abgenommen wurden. Er hat sich also aufgerüstet und rechnet damit, dass wir versuchen, irgendwo auf ihn zuzugreifen. Da Lüftungsschächte nur bestimmte Wartungsluken zum Ein- und Ausstieg aufweisen, müssen wir dort zuschlagen. Wenn er so schlau ist, wie ich denke, sprengt sich Jim irgendwo unterwegs ein Loch in den Schacht und steigt dort aus."

"Verdammt.... das wusste ich nicht.... wenn er bewaffnet ist, könnte es schwierig werden, ihn aufzuspüren."

"Sehe ich genauso. Am besten wir fragen mal Yakuza, was er vorschlägt."

Die ehemalige Militärtechnikerin begab sich an das Funkgerät und versuchte Kontakt zu dem Sicherheitschef herzustellen. Nach einigen Sekunden vergeblichen Wartens wurde es klar - die Leitung war tot.

"Ich glaube da stimmt was nicht. Yakuza geht nicht ran. Vielleicht steckt er in der Klemme..."

"Glaubst du?"

NTLs Skepsis war zwar nachvollziehbar, kaum jemand glaubte, dass der trainierte Sicherheitschef so leicht in herbere Schwierigkeiten gelangen konnte, doch um das fehlerfrei zu beurteilen, fehlten ihnen noch immer zu viele Informationen über ihren Feind. Jim war gerissen.

"Nicht wirklich... aber.... der Kerl ist gefährlich. Und außerdem bewaffnet... es könnte unter diesen Umständen selbst für Lone oder Yakuza kritisch werden..."

"Überlassen wir nichts dem Zufall. Ich dirigiere ein paar Nanoiden durch die Lüftungsschächte und lasse sie nach nicht registrierten Biosignalen scannen."

Einige Minuten bitteren Schweigens vergingen, in denen sich sowohl NTL als auch Chiyoi ein wenig hilflos vorkamen, dann aber ertönte das fieberhaft herbeigesehnte Signal.

"Da! Im zweiten Untergeschoss, Westflügel! Ich schicke sofort ein paar Kameras dahin, damit wir wissen was los ist!"

Irritiert drehte sich Tran Loc über die Schulter nach hinten um, wo er eigentlich Chiyois Blickkontakt gesucht hatte, die war allerdings nicht mehr da. Er stand auf, um nachzusehen, wohin sie sich begeben hatte, als sie ihm - schwer gepanzert - aus Richtung ihres Privatbüros entgegenkam. Sie hatte ihren Waffenschrank geplündert, in dem sie eigens entwickelte Prototypen verschiedenster Waffen aufbewahrt hielt. Und nicht nur das. Auch ihre "weapon of choice", die Railgun, befand sich dort, eben jene zerstörerische Projektilwaffe, die sie mit beiden Händen vor der Brust hielt, und in welche bereits der erste von vielen Sprengköpfen aus ihrem großen Munitionsgürtel geladen war.

"Was hast du vor? Willst du dich umbringen?", fragte der Hacker abschätzig, während er sie kritisch musterte.

"Nein, ganz gewiss nicht. Aber wie du schon sagtest, 'überlassen wir nichts dem Zufall'! Ich will Jim nicht noch einmal entkommen lassen!"

"Ich verstehe dich ja, Chi... aber sei vernünftig... ich brauche dir über Kriegsführung, Taktik und den Umgang mit Waffen nichts zu erzählen, das ist mir klar... aber dennoch... es ist gefährlich..."

Statt einer erbosten Widerrede, drehte sie sich zu ihm um und lächelte herausfordernd.

"Gut, dann komm mit und gib mir Rückendeckung..."

Tran Loc sagte nichts darauf, vielleicht aufgrund der überraschenden Aussage, aber sein Blick verriet Chiyoi natürlich, dass er sich das kaum vorstellen konnte. Sie wusste natürlich, wie er ihr dennoch hilfreich zur Seite stehen würde.

"Du darfst auch den T 2000 benutzen..."

Die Skepsis im Blick des Aministrators legte sich ein wenig, auch wenn die Anspannung in seinem Gesicht noch nicht völlig gewichen war.

"Hmmm.... das ist wohl ein Angebot, welches ich nicht so ohne weiteres ausschlagen sollte..."


***



"Deckung, Leute! DECKUNG!!"

Yakuza raste zwischen dem Türrahmen hindurch und sprang um die Ecke, während hinter ihm mit einer lauten Detonation Dreck und Beton- sowie Fliesenteile in einer Staubwolke aus der Tür hinausgeschleudert worden. Als sein Gehör wieder vollständig funktionierte und sich der Rauch etwas legte, sah er sich mit einem knappen Blick in den Raum um. Dort drinnen bot sich ihm ein desaströser Anblick, die Örtlichkeit, die einst als Toiletten- und Waschraum identifiziert worden war, glich einem Trümmerfeld.

"Sind alle in Ordnung? Shigure? Pettersen? Antwortet!?"

"Sir, keine Antwort von Pettersen!"

Ein Mann humpelte, völlig vom herumgewirbelten Staub ergraut, aus dem Eingangsbereich des Waschsaales heraus. Ein dunkelroter Fleck an seinem Bein wies deutlich darauf hin, dass er verletzt war. Sofort wandte sich Yakuza ihm zu und zog ihn zur Seite, wo er ihn zwang, sich auf den Boden zu setzen.

"Miles, was ist geschehen?", forderte der Sicherheitschef Bericht, während er sich die Beinwunde ansah.

"Ich... ich weiß es nicht mit Sicherheit. Der Kerl scheint sich im hintersten Bereich des Saals verschanzt zu haben... er hat eine Granate geworfen, als wir hinter gingen, um nachzusehen. Ich glaube Pettersen und Shigure hat's erwischt... ich hab auch Schüsse gehört..."

Yakuzas Faust krachte auf den Boden.

"Verdammt! Wir waren fünf Mann! Dieser Kerl hat uns auf zwei reduziert... ich habe fast alle meiner besten Männer verloren! VERDAMMT!!"

Deutliche Verzweiflung und Bitterkeit spielte in der Stimme des Sicherheitschefs mit. Nicht nur, dass er zornig auf den Mann war, der dies zu verantworten hatte, er selbst gab sich auch die Schuld dafür, als Truppenführer versagt zu haben. Er hatte nicht einfach nur drei Männer verloren... es waren auch Freunde gewesen.

"Was sollen wir jetzt tun, Sir...?"

"Yakuza reicht. Miles, hör' zu. Du bist der letzte von uns. Ich kann dein Leben nicht auch noch auf's Spiel setzen. Geh. Wenn wir Jim jetzt nicht fassen, kriegen wir ihn später. Aber du solltest dein Leben nicht leichtfertig wegwerfen. Geh lieber Alarm schlagen und fordere Verstärkung an."

"Aber, Sir...ich meine... Yakuza, die Mission... wir können nicht einfach..."

"Doch, können wir. Außerdem war das kein Ratschlag, Miles... es war ein BEFEHL! Geh jetzt! Ich kümmere mich selbst um den Kerl! Ich werde ihm die Eingeweide rausreißen und ihn in den Boden rammen!"

Er warf seinem Offizier einen eindeutigen Blick zu, welchen dieser auch verstand. Er würde keine weitere Warnung von seinem Vorgesetzten erhalten, weshalb er sich zwar widerwillig aber dennoch bestimmt in Bewegung setzte und so zügig davon humpelte, wie es ihm möglich war.

Als Yakuza ihn um die Ecke des langen Ganges verschwinden sah, widmete er sich dem verwaisten Eingang, in dessen Umgebung es verdächtig still geworden war.

"Ich komme jetzt rein, du kleines Arschloch..."


Jim schluckte einmal hörbar laut zwischen einer hektischen Atemphase, darauf hin schloss er seine Augen und zwang sich, die Luft anzuhalten. Es war totenstill. Ein wenig erleichtert atmete er aus und drückte seinen Hinterkopf an die angenehm kühle Fliesenwand, an die er sich gehockt hatte. Ohne seine Lider wieder zu öffnen, tastete er sein Sturmgewehr nach dem Magazin ab und überprüfte es mit der Feststellung, dass es leer war. Nun blieb ihm nur noch ein einziges und er hoffte, dies würde genügen. Mühselig und mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht drehte er seinen Oberkörper und zog die verbleibende Kartusche aus einer Gürteltasche, um sie klackend in die Waffe einrasten zu lassen.

Er konnte sich auf Anhieb nicht erinnern, zu welchem Zeitpunkt genau er aufgespürt worden war. Es musste allerdings irgendwann gewesen sein, als er sich den Weg freigearbeitet hatte und über einen Lüftungsschacht in ein weiteres Labor ausgestiegen war. Allmählich konnte er das Areal hier unten nicht mehr ertragen. Wenigstens war niemand mehr hier, der ihn unnötig störte. Seit sein Aufenthaltsort bekannt geworden war, hatte AnF scheinbar alle Forscher aus den gefährdeten Bereichen evakuiert, um ihre Leben zu schützen und Jim nicht die Chance auf Geiselnahme zu geben. So konnte er sich wenigstens frei bewegen.... nun ja... was hieß "frei".

Seit einiger Zeit war ihm nun schon diese verdammte Sondereinheit auf den Fersen. Drei von den Kerlen hatte er mit Sicherheit erledigt. Einen von ihnen schon unterwegs in einem Feuergefecht erschossen, zwei weitere vorhin mit der letzten Granate erledigt. Natürlich war das nicht so spielend leicht abgelaufen, wie es seine innere Statistik aufzeigte. Diese Kerle waren verdammt gut gewesen und hatten ihm übel zugesetzt. Die Resultate dieser Auseinandersetzungen sahen wie folgt aus: Ein Streifschuss am linken Oberschenkel, eine angeknackste Rippe und diverse Prellungen an Schultern und Armen. Zudem war die große Brustwunde, die Kenjin ihm bei seinem ersten großen Kampf verpasst hatte, trotz vorangeschrittenem Heilungsprozess wieder aufgeplatzt und blutete stark. Alles in allem fühlte sich Jim nicht besonders gut. Er hoffte, dass sich keine der Verletzungen entzündete, denn es fröstelte ihn leicht, obwohl ihm heiß war - deutliche Zeichen für aufkeimendes Fieber.

"Erst mal überleben, dann sehen wir weiter.", mahnte er sich, nicht allzu zimperlich zu sein. Was hatte er in seinem Leben schon für viel schlimmere Sachen erlebt. Und zwar zu einer Zeit, als er noch nicht einmal für das NWO-Projekt gearbeitet hatte.

"Das sind nur Kratzer.", beruhigte er sich und schob sich mit dem Rücken an der Wand wieder in die Aufrechte. Es war seit mehreren Minuten still gewesen. Scheinbar waren die letzten zwei Überlebenden gegangen, um Verstärkung zu holen oder Alarm zu schlagen. Wenn sein Timing stimmte, konnte Jim wieder einmal den Kopf aus der Schlinge ziehen und entwischen, ohne genaue Spuren für seinen Verbleib zu hinterlassen.

Schritt für Schritt bewegte er sich schleichend vorwärts, bemüht, keinen Laut zu erzeugen, was auf dem herumliegenden Dreck und den Putzkrümeln und Scherben gar nicht so einfach war. Ja, jetzt ja... er bog um eine Ecke und schlich zwischen einer Reihe zertrümmerter Spiegel und Waschbecken, aus deren Rohren Wasser lief, und auf der gegenüberliegenden Seite mit den Toiletten, hindurch. Er konnte in einigen Metern entfernt den Ausgang sehen, in dessen Nähe auch die zwei verwundeten, blutverschmierten Leichen lagen, die er mit seiner Granate weggebombt hatte.

Es war eher Zufall, dass er just in dem Augenblick in eine verbliebene, an der Wand hängende Spiegelscherbe blickte, als sich direkt hinter ihm die Tür einer Toilette auftat. Vielmehr wurde die Pforte aus ihren Angeln gefetzt, und zwar mit solcher Wucht, dass es Jim auch keinen Vorteil mehr einbrachte, die Aktion über den Spiegel haben kommen zu sehen. Der blonde Agent drehte sich nur noch zur Seite und riss schützend die Arme hoch, als die Tür mit irrsinniger Wucht auf ihn geschleudert wurde und die treibende Kraft dahinter ihn fast mühelos aber mit einem wuterfüllten Schrei in ein zertrümmertes Waschbecken rammte, wo Jim sich den Rücken prellte und die Pein ihn aufschreien lies.

Er besann sich aber recht schnell wieder und hielt gegen die Person, die da mit aller Macht versuchte, ihn an der Wand zu zerquetschen, und die zugegebenermaßen eine unglaubliche Körperkraft besaß. Jim benötigte fast all seine Kraft, um die Tür erfolgreich von seinem Oberkörper wegzuhalten und so entwich er mit einer knappen Meidbewegung zur Seite, während er die Tür von sich stieß und der fremde Angreifer sie schließlich einfach fallen lies. Nun sah Jim einen Moment in zwei vor Hass eisige Augen, die aber nicht vor Inbrunst loderten, wie bei einem Irren sondern bestimmt und abschätzig mit ihrem frostigen Blick zurückstachen. Wer immer sein Gegenüber war... er gehörte vermutlich als letzter zu Jims Verfolgertruppe. Und er war ein besonnener, starker Widersacher. Vielleicht sogar jemand, mit dem man reden konnte.

Jim lies seine Arme hängen, als Zeichen, dass er nicht angreifen würde, behielt sich aber zur Sicherheit auf Höhe von Gouka und Kujo, um im Notfall zugreifen zu können.

"Wer bist du?"

Der fremde, recht muskulös aussehende Schwarzhaarige antwortete nicht, sondern starrte Jim nur weiter voller Verachtung an. Er atmete tief und laut, wohl seine Wut unterdrückend, weniger aus Erschöpfung. Bei Jim war es eher anders. Die Müdigkeit und der Schmerz seiner Wunden nagten an seiner Konstitution und er zweifelte, ob er eine weitere Attacke dieses Typen nochmals nur mit blanker Körperkraft erwidern konnte. Prompt wie ein unhörbares Kommando schoss der Fremde auf einmal nach vorne, schneller als Jim es ihm zugetraut hätte.

Statt einen direkten Angriff zu riskieren, trat er aber gegen ein mittleres Trümmerstück und beförderte es, einem Fußball gleich, in Jims Kopfrichtung, welcher diesen kurzzeitig aus der Schusslinie nehmen musste. Doch der trainierte Infiltrant hatte nicht geschlafen und zog mit einer Hand bereits am Griff von Gouka, während die andere Hand sein Sturmgewehr anhob und auf den Fremden richtete, bereit, den Abzug zu betätigen, und ihn mit Blei voll zu pumpen.

Der verbliebene Soldat scherte sich allerdings einen Dreck um die Gefahr, sondern setzte gleich nach seinem Steinschuss nach und holte zu einem heftigen Schlag aus, der auch erfolgt wäre, hätte Jim nicht rechtzeitig Gouka gezogen und das Schwert auf die Hand des scheinbar Namenlosen niederfahren lassen. Mit einem metallischen Geräusch wehrte er aber mit dem Handrücken die Waffe zu Jims Überraschung ab und packte den Lauf des Gewehres, um ihn beiseite zu drücken.

Jim konzentrierte seine letzten Kräfte darauf, gegenzuhalten und als ihm eine halbwegs günstige Position erschien, betätigte er ohne Zögern den Abzug. Mit einem ratternden Geräusch verließen ein paar Kugeln die Mündung der Schusswaffe und traten mit einem fleischigen Geräusch durch den Oberschenkel seines Gegners, der zwar vor Schmerz laut aufschrie, Gouka, welches inzwischen entflammt war, aber immer noch nicht losließ.

Vermutlich war die Verwunderung über die Zähigkeit des Fremden schon genug Ablenkung die dieser benötigte, um dem verdutzen Jim ebenfalls einen Treffer zu verpassen, einen ziemlich herben Schlag ins Gesicht, der im Kopf des Agenten ein betäubendes Klingeln auslöste und ihn benebelnd zur Seite taumeln lies. Ihm kam es vor, als hätte jemand einen Vorschlaghammer auf seinem Schädel getestet und so bemerkte er nicht, wie ihm der Fremde kurzzeitig die stählerne Klinge entrissen hatte und sie - trotz der Konsequenz der Verbrennung an seiner Hand - in die linke Flanke seines Opponenten hieb, wo sie eine tiefe Fleischwunde riss.

Jim schrie auf vor Schmerz, doch die Verletzung bewirkte auch, dass er wieder klar im Kopf wurde und so gelang es ihm in dem verzweifelten Clinch mit dem Unbekannten, den Kolben seines Gewehrs hochzureißen und diesen seinem Angreifer unter das Kinn zu donnern. Anschließend trat er mit aller Kraft gegen die Durchschusswunde auf dessen Oberschenkel, was den zähen Kerl endlich zu Boden beförderte, wo er kurzzeitig liegen blieb. Schnell erhob er sich aber wieder und humpelte, so gut es ging um die Ecke des letzten Toilettenabteiles, außer Reichweite von Jim. Auch der Agent war zu schwer verletzt und entkräftet, um jetzt einen Angriff wieder aufzunehmen.

"Verdammt...wer...bist du?! Antworte endlich!"

"F..fick dich, Arschloch! Du hast meine besten Männer und Freunde umgebracht! Ich schick dich zur Hölle!"

"Aha... du willst mir deinen Namen also nicht sagen..."

"... ... ..."

"Ich mache dir einen Vorschlag... ich lasse dich am Leben, wenn du mir den Weg zu einem Arzneischrank oder Hospital oder ähnlichem mitteilst. Außerdem will ich die Bewaffnung der beiden Männer, die dort vorn liegen!"

"Du bist verrückt! Niemals kriegst du die Waffen von Pettersen und Shigure! Vorher bring ich dich um, du Dreckschwein!"

"Das ist keine Frage der Kooperation, Mistkerl! Wenn du nicht tust was ich sage, leg ich dich einfach um, genau wie deine Kollegen! Mir ist es egal, ich habe einen Auftrag!"

"Wie kommst du überhaupt darauf, dass du mich umlegen könntest?!"

Jim lachte rasselnd. War der Kerl wirklich so naiv oder einfach nur strohdoof?!

"Hör mal her!", rief er ernst, fast schon mit erbostem Unterton.

"Ich hab dein Bein durchsiebt, glaubst du, ich schaff das nicht auch mit deinem Körper?!"

Das kecke Lachen wurde nun von hinter der Trennwand zur Toilette erwidert. Anschließend kam eine Hand hinter dem Abteil zum Vorschein, die mit einem länglichen, schwarzen Gegenstand wedelte. Jim zuckte erschrocken zusammen.

"Und wie willst du das ohne Magazin anstellen?!"

*Wann hat er mir das abgenommen?! Scheiße!! Der Kerl ist nicht nur lautlos sonder auch schnell...*

Jim lies sich seine Verunsicherung nicht anmerken... im schlimmsten Falle war er jetzt sogar derjenige, der im Nachteil war. Doch sein Gegenspieler wusste nicht um seine Künste mit dem Schwert, also konnte er es mit etwas Geschick noch zu seinen Gunsten wenden.

"Denkst du, ich brauche das Gewehr um dich zu töten? Du vergisst, dass ich noch zwei Schwerter habe. Du hingegen hast nur deine Arme und Beine. Beziehungsweise ein Bein. Glaubst du, du kommst lange gegen mich an?"

"Vielleicht lange genug, bis Verstärkung eintrifft. Dann machst DU es nämlich nicht mehr lange!"

Einige Augenblicke des totalen Schweigens vergingen, dann trat Jim mit knirschenden Sohlen einige Schritte beiseite, bis er sich auf der selben Luftlinie zu seinem Widersacher befand und um die Ecke herumsehen konnte. Wieder traf sein Blick auf eiskalte, blaue Augen.

"Hör zu... wir können hier noch weiter unsere Zeit verschwenden aber weder mir noch dir ist damit geholfen. Am Ende kratzen wir nur beide an unseren Wunden ab."

"Das würde mir genügen. Ich sterbe für eine gerechte Sache..."

"Du bist ganz schön stur, was? Aber ich glaube nicht, dass du das ernst meinst... so stark wie du bist, wäre es dir sicherlich um dein Leben zu schade, gegen einen wie mich ins Gras zu beißen...."

"... ... ... ... gut. Verschwinde. Ich werde dich nicht aufhalten. Zumindest JETZT nicht. Wenn du den Raum verlässt, gehst du rechts den Gang runter, bis zum Ende. Du kommst an eine Kreuzung. Folge der Beschilderung, die dich in Richtung des Geosektors führt. Unterwegs ist ein stationäres Hospital ausgeschildert. Dort findest du Medizin. Und jetzt hau ab, bevor ich es mir anders überlege."


***



"...können Sie es verantworten, so viele Menschenleben aufs Spiel zu setzen?! Was sagen denn ihre Sicherheitsbestimmungen?! Das.. das ist eine Katastrophe!!"

Jumpdevil versuchte einen kühlen Kopf zu behalten und ihr aufgebrachtes Gegenüber mit einwilligenden Gesten zu beschwichtigen, das aber nichts besseres zu tun hatte, als seinem Unmut Luft zu machen und die Führerin von AnF lautstark anzuschreien.

"Bitte, meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe! Hören Sie, es hat keinen Sinn, sich aufzuregen! So kommen wir zu keinem Ergebnis!"

"Ich scheiße auf ihr Ergebnis! Ihre Methoden gehen mir schon lange gegen den Strich! Jaa, und ich weiß, dass ich damit nicht der einzige hier bin! Es muss etwas geschehen! Wie wollen sie mit ihrer Politik den Weltfrieden sichern, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, ihre eigene Anlage zu verteidigen?!"

"... ... ... SCHLUSS JETZT!!"

Erbost lies Jumpdevil ihre Handfläche auf die breite Tafel in dem weiträumigen Versammlungssaal nieder krachen. Betretenes Schweigen breitete sich in der Aula aus und ratlose, teils auch verunsicherte Gesichter sahen sich um Ratschlag suchend an.

Als endlich die zufriedenstellende Ruhe eingekehrt war, erhob die Anführerin wieder das Wort.

"Na also. Geht doch. Bei aller Liebe, ich kann ihre Einwände und Ängste verstehen, aber ich GARANTIERE Ihnen, dass niemand mehr fahrlässig irgendeinem Risiko ausgesetzt wird. Wir haben die unteren Ebenen bereits evakuiert, jetzt, da wir den Aufenthaltsort des Terroristen kennen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er geschnappt und liquidiert wird. Würden sie also Verständnis für das ganze Durcheinander aufbringen!?"

Wieder Murmeln, wieder unschlüssige Gesichter. Aber wenigstens beschwerte sich niemand, was darauf schließen lies, dass alle mit diesem zeitweiligen Kompromiss einverstanden schienen - zumindest vorerst. Ewig konnten sie Jim nicht mehr freie Hand gewähren, langsam entwickelte sich diese Made zu einem Problem, dass schwerer in den Griff zu bekommen war, als Jumpdevil es zunächst eingeschätzt hatte.

"Meine Damen und Herren... wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich habe noch einige wichtige Dinge zu erledigen... darunter die Festnahme dieses verdammten Arschloches...", fügte sie im Gehen flüsternd zu sich selbst hinzu und biss sich in die Daumenkuppe.

"Ich schlage vor, sie gehen erst einmal alle in ihre Unterkünfte und zu ihren Familien. Sobald es Entwarnung gibt, können Sie ihren Dienst wieder aufnehmen. Bewahren Sie Ruhe, verfallen Sie nicht in Panik. Wenn Sie etwas verdächtiges bemerken, schlagen Sie Alarm. Trotz allem noch einen schönen Tag."

Jumpdevil schloss die Tür hinter sich und trat in den Gang, der zu der Aula geführt hatte.

"Wie ist es gelaufen? Konntest du sie beruhigen?" Envinyatar stand mit vor der Brust verschränkten Armen vor der Wand; trotz dieser lässigen Pose konnte man aus ihren Gesichtszügen Nervosität und Unbehagen lesen.

"Ich denke schon... allerdings haben die Leute Recht, wenn sie mich kritisieren... so etwas darf einfach nicht passieren."

"Ich verstehe, was du meinst Jumpdevil... aber letztendlich tragen wir alle die Schuld daran. Außerdem ist es nicht leicht, eine Organisation dieser Größe fehlerfrei und ohne jede Komplikation zu leiten, ganz gleich, wie sehr dich diese Tatsache jetzt ärgern mag..."

"Du hast ja Recht. Trotzdem... ich bin nicht so weit gekommen, um mir von einem drittklassigen Amateur alles kaputt machen zu lassen... der Kerl hat die Dreistigkeit, uns allen auf der Nase herumzutanzen!"

Das gedämpfte Klingeln eines Piepers unterbrach das Gespräch zwischen den beiden Führungsoffizieren und Envinyatar griff in die Innentasche ihres langen, schwarzen Mantels, auf dem - wie bei allen Elitemitgliedern und gewöhnlichen Angestellten - das Emblem der AnF-Organisation prangte. Envinyatar zog das Gerät heraus und las die Nachricht, die ihr eben zugegangen war. Ihre Pupillen weiteten sich schlagartig.

"Was ist los?!"

"Yakuza hatte Feindkontakt! Westflügel des zweiten Untergeschosses... bei einem Toilettenraum... drei Tote... zwei verletzte Personen... darunter Yakuza!? Absender ist Chiyoi!"

Jumpdevil sprach kein Wort mehr, sie packte lediglich energisch Envinyatars Ärmel und zog sie in schnellem Laufschritt mit sich, lies dann aber los, als die junge Frau von allein zu Jumpdevil aufschloss und neben ihr her zum nächsten Fahrstuhl eilte.

"Beeilung, du verdammte Kiste! Wenn wir diesen Jim erwischt haben, lass ich uns schnellere Lifte einbauen..."


Etwa zur gleichen Zeit im zweiten Untergeschoss...

Mit einem Stöhnen versuchte Yakuza halbwegs auf einem Stuhl Platz zu nehmen, während Chiyoi ihn stützte. Tran Loc kümmerte sich derweil um den anderen Verletzten, einen Mann aus Yakuzas Stoßtrupp, dem sie vorhin über den Weg gelaufen waren und der sofort Meldung gemacht hatte. Während sich der Adminstrator Miles gewidmet hatte, war Chiyoi vorgeeilt und hatte Yakuza an die Wand zum Waschraum lehnend aufgespürt. Sie waren zu spät gekommen, um Jim zu fassen, doch wenigstens hatten sie zwei Leben retten können.

"Das sieht übel aus... auf den ersten Blick sehe ich drei Einschusslöcher und vier weitere Wunden, die den gesamten Oberschenkel durchschlagen haben..."

"Soll heißen...?", bemühte sich der Sicherheitschef mit zusammengebissenen Zähnen so wenig wie möglich zu sprechen. Die Schmerzen waren ziemlich stark, selbst wenn er der stärkste Kämpfer der Welt war, er war trotz allem ein Mensch, der einem Maschinengewehr nichts entgegen zusetzten hatte, feuerte man es aus nächster Nähe auf ihn ab.

"Das bedeutet, dass sich diese Wunden nicht einfach verarzten lassen. Ich muss dir eine Nanopille geben."

"Gut, dann tu's schnell... ich glaub, meine Gräte stirbt gleich ab....argh..."

Hektisch fischte die Wissenschaftlerin eine der von ihr und Nguyen entworfenen Pillen hervor und steckte sie Yakuza in den Mund, der sie eilig schluckte. Sie wusste ja nicht, dass die Schmerzen so groß waren. Bei Yakuza und Lone Demon war es immer schwer einzuschätzen, wir groß ihre Pein wirklich war, denn sie konnten sich erstaunlich gut zusammenreißen. Doch wenn einer der beiden mal jammerte, musste es wirklich ernst sein.

Das Medikament entfaltete seine Wirkung; es wirkte fast wie Zauberei, als sie die drei Projektile, die noch im Bein des Verletzten steckten, langsam an die Oberfläche schoben, während unter ihnen Schritt für Schritt neues Muskulatur, Sehnen und Haut gebildet wurde und sich die Wunden schließlich narbenfrei schlossen und die blutverschmierten Kugeln prasselnd auf den Boden fielen. Auch Yakuzas angeschlagener Knochen, an dem eines der Geschosse abgeprallt war, richtete sich wieder, genauso wie die Wunde an seinem Kinn heilte, wo Jim ihm das Gewehr gegengeschlagen hatte.

"Danke, Chi. Ihr seid noch rechtzeitig gekommen." Dann wandt sich Yakuza zur Seite und sah nach seinem Kameraden, dessen Körper auch wieder in Ordnung war. Tran Loc lies ihn gerade vorsichtig aufstehen.

"Gut gemacht, Miles."

"War mir ein Vergnügen."

Der Administrator der AnF-Organisation riet dem Soldaten, sich erst einmal zurückzuziehen und auszuruhen, was Yakuza nur bekräftigte, dann trat er zu dem Sicherheitschef herüber, bei dem auch Chiyoi noch voller Interesse wartete. Sie hatten einige Fragen.

"Wir waren sowieso auf dem Weg hier runter, als die Nanokameras Jim aufgespürt hatten. Schade nur, dass wir wieder zu langsam waren. Wenigstens ist bei dir wieder alles in Ordnung."

"Schon ok, Nguyen. Bin ja schon froh, dass ihr gekommen seit. Außerdem.. hab ich euch schon ein wenig in die Hände gespielt." Yakuzas Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen.

"Was hast du gemacht?"

"Ich hätte ihn genauso gut selbst aufhalten können... ok, vielleicht wäre ich bei dem Versuch drauf gegangen. Falls ihr es noch nicht gemerkt habt, der Kerl hat Potential. Aber ich hielt es für klüger, ihn in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Er wollte Arzneien, also hab ich ihn runter zum Geosektor geschickt."

Ein zufriedenes Leuchten flackerte in Chiyois und Tran Locs Augen auf, sie hatten begriffen, wovon Yakuza sprach.

"Also kommt er in die Nähe des Hangars... da steht der T 2000.... und liege ich richtig, du hast ihn...?"

Yakuza beendete den Satz für Chiyoi.

"Genau. Ich hab ihm nicht den direkten Weg zum Hospital verraten, er muss also der Beschilderung folgend ein paar Umwege laufen. Ihr könnt ja durch die Notschleusen gehen, wenn ihr euch beeilt, seid ihr vor ihm am Hangar und könnt ihn stellen.

"Guter Plan, Yaku. Aber kommt er dort nicht auch an einer Rüstkammer vorbei?"

Tran Loc trat einen Schritt vor, sein Gesicht war wieder ernst geworden und irgendetwas in seinen Augen verriet, dass sein Gehirn bereits wieder auf Hochtouren arbeitete und einen Plan ausheckte. Er legte Chiyoi und Yakuza eine Hand auf die Schulter und lächelte schief.

"Das macht nichts. Egal wie viel Munition er mitnimmt, gegen den T 2000 und die Railgun kann er gar nicht gewinnen...."


***



Jim zog seinen Rucksack vom Rücken und lies ihn achtlos neben sich auf den Boden fallen. Inzwischen war ihm vollkommen egal, ob ihn jemand hörte oder ob sich potentielle Gegner in seiner Nähe befanden. Er hatte den langen Weg gerade noch rechtzeitig bewältigt, all seine Wunden - alte wie neue - hatten seinem Körper mächtig zugesetzt, dabei war er lange noch nicht am Ziel seines Auftrages angelangt. Er hatte erst ein Elitemitglied erledigt. Soweit er  es aus offiziellen Quellen wusste, gab es sieben. Blieben also noch sechs, die mindestens das Niveau von Kenjin haben mussten, alles in allem ein hartes Stück Arbeit. Jim beschloss keine Zeit mehr an solche Gedanken zu verschwenden sondern setzte seine Priorität erst einmal auf die Heilung seiner Verletzungen. Er stand vor einer Tür, über der deutlich die Aufschrift Hospital zu lesen war, ein rotes Kreuz markierte den Ort zusätzlich.

Es war fast schon Ironie, dass ausgerechnet diese Tür abgeschlossen war, waren doch die meisten Ein- und Ausgänge, die er bis jetzt gesehen hatte, offen gewesen. Nun ja, so ein kleines Schloss sollte kein Hindernis darstellen, Jim zückte einfach sein Sturmgewehr und drückte sanft den Abzug, sodass sich ein einziger Schuss löste, der das Schloss einfach aufsprengte. Anschließend klinkte der Agent und die Tür öffnete sich. Im Inneren befand sich alles ganz akkurat aufgeräumt in gepanzerten Arzneischränken. Der Raum war schlicht eingerichtet, ein kleiner Tisch, ein Waschecken mit Spiegel, ein Behälter mit Desinfektionsmittel und in der hintersten Ecke eine Liege. Es war in dem Sinne kein richtiges Hospital, lediglich ein kleines Arztzimmer, in dem die nötigsten Verletzungen behandelt werden konnten. Doch für Jim würde es bestimmt reichen.

Selbstverständlich waren die Panzerschränke ebenfalls verschlossen, sodass Jim fortfuhr, sein Magazin zu entleeren und in jedes Schloss eine Kugel jagte, die Türen anschließend mit einem kräftigen Tritt öffnete. Auch wenn der körperliche Einsatz bei dieser Öffnungsmethode gering war, Jims Puls beschleunigte bereits und er atmete schwer. Es war höchste Zeit vor allem die Wunde an der Brust und in seiner Flanke zu versorgen, beide hatten indes seine dunkle Kleidung durchnässt und Flecken hinterlassen, Jims Hand, mit der er seine Seitenverletzung zugehalten hatte, war schon komplett blutverschmiert.

"Jetzt aber höchste Eisenbahn... wo ist das Verbandszeug?!"

Hastig wühlte Jim durch die Schubfächer, fand sogar einige Rollen Mullbinden, Adrenalinmittel, Blutungsstiller und Diazepam aber er entdeckte auch noch eine andere Arznei, die ihm noch nirgendwo untergekommen war. Sie war in einer kleinen, stählernen Schatulle aufbewahrt, auf der das AnF-Emblem zu erkennen war. Darunter konnte man einen Strichcode einlesen, vorausgesetzt, man hatte das passende Gerät dafür. Jim grinste. Es wurde Zeit, ein weiteres Gerät aus seinem Rucksack zu testen.

Er suchte das Behältnis, welches irgendwo hier auf dem Boden lag und kramte ein unscheinbares Lesegerät heraus, ähnlich den Handscannern, wie man sie aus Supermärkten kannte. Der Apparat war nur etwas breiter und bot auf seinem Rücken ein kleines Digitaldisplay und ein einen Buchstaben- und Nummernblock.

"Wollen wir mal sehen, was das ist...."

Jim zog das Gerät über den Strichcode und es gab einige, seltsame Laute von sich. Vermutlich war es ein wenig beschädigt und arbeitete nach all seinen Zusammenstößen nicht mehr einwandfrei. Trotzdem knackte die Maschine nach einigen Augenblicken den Code, auch wenn sie ihn nicht vollständig preisgab. Jim konnte lediglich irgendetwas von "Nano" lesen und etwas über die Zusammensetzung erfahren, doch diese Daten waren durcheinander und fehlerhaft, sodass er damit nichts anzufangen wusste.

"Nano... Nano-Medizin?! Keine Ahnung, was das ist... mal sehen, was die Datenbank sagt..."

Jim hackte den Begriff in den Letternblock auf der Rückseite ein, und der Apparat spuckte alle damit in Verbindung zu bringenden Infos aus, die man in Bezug auf AnF hatte in Erfahrung bringen können.

"Aha, da haben wir es ja. Nano-Pillen. Ein von AnF entwickelter Wirkstoff, der Körperzellen und Knochenstrukturen wieder herstellen kann. Wunden werden auf diese Weise geheilt, Erschöpfungsanzeichen können nicht beseitigt werden. Nebenwirkungen unbekannt, Zusammensetzung unbekannt. Na klasse. Im schlimmsten Fall kratze ich dran ab, im besten Fall kann ich mir die Mullbinden sparen."

Jims Herz klopfte lauter, je länger er das Medikament anstarrte. Er hatte hier einen Schlüssel in der Hand, aus dem AnF einen Teil seiner Stärke zog. Die Versuchung war groß. Der blonde Agent kniff schließlich die Augen zusammen, fällte eine Entscheidung und warf sich eine der Pillen in den Mund. Dann schluckte er.

Ein seltsames Kribbeln durchfuhr seinen Körper, er konnte nicht spüren, was in ihm vorging, lediglich das etwas passierte. Es war schon fast amüsant zuzusehen, wie die kleinen Roboter seinen Körper reparierten, wie sich sämtliche Wunden schlossen und alle Schmerzrezeptoren endlich Ruhe gaben. Er fühlte sich befreit und wesentlich besser.

"Perfekt! Ich werde noch ein paar von diesen Dingern mitnehmen, mich hier noch umsehen und dann weiterziehen. Vielleicht finde ich unterwegs einen Rastplatz."


Wieder zurück im 2. Untergeschoss des Westflügels...

"Und dann sind Tran Loc und Chiyoi...?"

"Ja, sie sind runter in den Hangar. Mit etwas Glück schnappen sie Jim, bevor er sich völlig erholt hat."

Yakuza hatte eben eine grobe Zusammenfassung dessen geliefert, was vor einigen Minuten hier unten geschehen waren. Jetzt rannten er, Jumpdevil und Envinyatar wieder zurück in die Richtung, aus der die beiden Frauen ursprünglich gekommen waren. Wäre die Lage nicht so schrecklich ernst, hätte sich die Anführerin von AnF wohl darüber Gedanken gemacht, dass sie während des ganzen Jahres nicht so viel Ausdauersport betrieben hatte. Doch dafür war jetzt keine Zeit.

"Was hast du nun vor, Yakuza?!" Envinyatar bremste an einer Gabelung, an welcher deutlich wurde, dass sich die Wege der zwei jungen Frauen und des Sicherheitschefs trennten, da dieser sich bereits für eine Wegrichtung entschieden hatte, währen Jumpdevil und ihre Stellvertreterin auf die andere Richtung zugesteuert waren. Yakuza stoppte ebenfalls.

"Ich werde Lone Demon suchen und mich vorbereiten. Für den unmöglichen Fall, dass Jim es überstehen sollte. Und ihr?"

"Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, einige Genom-Soldaten- Trupps alarmieren und auf das beste Hoffen. Mehr können wir im Augenblick wohl nicht tun.", entgegnete Jumpdevil.

"Warum gehst du eigentlich nicht ebenfalls runter und hilfst den zweien?"

Envinyatars Frage war durchaus berechtigt. Yakuza war ein starker Gegner, zu dritt hatten sie gegen Jim wahrscheinlich leichtes Spiel. Zumindest sah es auf den ersten Blick so aus. Yakuza wusste diese Schlussfolgerung aber zu dementieren.

"Ich weiß, was du denkst, aber so wird es nicht funktionieren. Der T 2000 ist eine unglaublich mächtige Kampfmaschine. Es braucht nicht nur jemanden, der sie perfekt bedienen kann, so wie NTL. Es braucht auch eine exzellente Taktikerin wie Chiyoi, die genau vorausberechnen kann, wie sie agieren muss, um diesem Stahltitan nicht im Weg zu stehen. Andererseits bin ich Nahkämpfer. Jim ist bewaffnet. In diesem Getümmel werde ich kaum an ihn herankommen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Zudem braucht Chiyoi freies Schussfeld für ihre Railgun. Sie kennt den T 2000 in- und auswendig und weiß, wie er sich bewegt. Ich möchte nicht in ihr Konzept platzen und ihr eventuell noch vor den Lauf rennen."

"Hm, ich verstehe. Gut, gehen wir davon aus, Jim wird besiegt. Was tun wir mit ihm? Töten?"

Sie Stellvertreterin mit den langen, schwarzen Haaren wechselte ihren Blick zwischen Jumpdevil und Yakuza hin und her. Die Augen ihrer Gesprächspartner verrieten ihr bereits, dass jeder seine Entscheidung für sich getroffen hatte: Jumpdevil war eindeutig für die Eliminierung des Terroristen, Yakuza hingegen besaß Interesse an seiner Unversehrtheit.

"Jumpdevil, bitte tu mir den Gefallen... sorge dafür, dass Jim nicht umgebracht wird. Ich möchte ihn verhören. Vielleicht können wir so eine Menge an Informationen aus ihm herauspressen. Zudem habe ich noch ein persönliches Interesse an ihm, was ihr nicht verstehen würdet. Bringt ihn also zu mir, wenn er verliert."

"... ... Einverstanden."


***



Chiyoi kam aus dem hintersten Teil der gewaltigen Hangar-Halle, wo sie eben mit einem hallenden Krachen die Tür eines Spezialschrankes geschlossen hatte, der als absolut einbruchsicher galt. Es war totenstill innerhalb des Raumes, lediglich das Klacken der Absätze verriet, dass sich hier jemand aufhielt. Die junge Technikerin, Wissenschaftlerin, Scharfschützin, Waffenentwicklerin, ehemalige Militäroffizierin und welche Titel man Chiyoi auch noch anmessen wollte, trat auf ihr Meisterstück zu, welches sich exakt in der Mitte des Hangars befand - in einer hockenden Position, die metallischen Arme angewinkelt und den Kopf,  der gleichzeitig Cockpit war, gesenkt.

Tran Loc hatte die verstärkte Panzerscheibe des Cockpits geöffnet und saß auf dem bequemen, ergonomisch geformten Sessel, von dem aus man die Maschine steuerte. Sein Laptop stand in einem speziell gesicherten Koffer, war allerdings online und mit dem T 2000 verbunden. Der Administrator konnte seine Mitstreiterin vermutlich gerade nicht hören, da er sein Headset trug und mit jemandem sprach. Hinzu kam, dass er Chiyoi auch nicht sah, denn eine Brille verdeckte sein Blickfeld, vermutlich ein Gerät, welches ihm Zugang zur virtuellen Welt ermöglichte. Wozu er die brauchte, hatte er Chiyoi damals nicht verraten, als sie sie entworfen hatte, doch er setzte sie eben ein und sie schien ihren Zweck zu erfüllen - auch wenn Tran Loc nicht darüber sprechen wollte. So wartete die junge AnF-Eliteoffizierin am Fuße des Metallgiganten, dass NTL mit seinen Justierungen fertig wurde.

"Jumpdevil?"

"Was gibt's, Nguyen?", sprach die gedämpfte Stimme aus dem Kopfhörer. Inzwischen waren die Anführerin und Envinyatar wieder in der Kontrollzentrale der Organisation angekommen und überwachten die wichtigsten Dinge.

"Kannst du mir einen Kostenvoranschlag für die gesamten unteren drei Ebenen und für das Erdgeschoss machen?"

"Wofür brauchst du den?"

"Ganz einfach... angenommen, wir erledigen Jim nicht schon in der ersten Minute - was ich bei seiner Zähigkeit fast vermute - und er weicht in andere Bereiche des Hauptquartiers aus... einfach für den Fall, dass ich etwas kaputt mache."

"Wir können es reparieren, ganz gleich was es ist. Die unteren Ebenen sind ohnehin alle evakuiert. Aber solltest du außerplanmäßig und vorsätzlich etwas zerstören, zieh' ich es dir vom Gehalt ab!"

Glücklicherweise schwang ein zuversichtliches Lachen bei der Aussage mit, sodass NTL sicher sein konnte, dass seine Anführerin nur scherzte.

"In Ordnung. Wie sieht es mit der Schmiede im Parterre aus?"

"Halt Jim von dort fern, wenn es geht. Yakuza wird durchdrehen, wenn dort etwas zerstört wird. Chiyoi übrigens auch. Die Waffen- und Maschinenproduktion darf möglichst nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Oberste Priorität ist aber, Jim zu schnappen. Und noch etwas - bringt ihn nicht um. Wenn ihr ihn habt, schafft ihn zu Yakuza. Frag' besser erst gar nicht warum."

"Ok... wenn das deine entgültigen Instruktionen sind, legen wir jetzt los."

"Hals- und Beinbruch!"

Tran Loc lächelte süffisant.

"Das sollten wir Jim wünschen."

Damit brach der Profihacker das Gespräch ab, und entledigte sich seiner Brille, nachdem er nebenbei die letzten Einstellungen vorgenommen hatte. Anschließend beugte er sich aus dem Cockpit in knapp fünf Metern Höhe und sah, was Chiyoi inzwischen trieb.

"He, Chiyoi. Ich bin fertig, wie steht es mit dir?"

Die Angesprochene erhob sich und winkte zu NTL hinauf, gab ihm Zeichen, dass sie ebenfalls soweit war.

"Alles Roger, hier unten. Bereit, Jim einen warmen Empfang zu bereiten?"

"Selbstverständlich. Testen wir den T 2000 an ihm!"

Chiyoi klopfte sich auf den rechten Träger eines schmalen Rucksackes, den sie sich auf den Rücken geschnallt hatte und der einige geheime Entwicklungen enthielt, an denen Chiyoi experimentell gearbeitet hatte.

"Oh ja, und nicht nur den. Nicht nur den..."



Kurz darauf an einem anderen Ort in der Nähe des Hangars...


Jim rieb sich zufrieden die Hände. So viel Glück konnte man doch gar nicht haben! Andererseits war er von vornherein fast völlig unbewaffnet auf diese Mission gegangen. Die gründlichen Recherchen seiner Vorgesetzten hatten ergeben, das AnF auf dem absolut höchsten Stand der Technik war und Jims Mission implizierte, dass er sich hier im Hauptquartier mit der nötigen Ausrüstung selbst versorgen sollte, da davon auszugehen war, dass sich alle nötigen militärischen Mittel, die er für seinen Erfolg benötigte, hier auftreibbar waren.

Jim lies den Kolben seines Sturmgewehres über ein Vorhängeschloss krachen und brach somit die Verriegelung eines Panzerschrankes ab. Beim Stöbern in dieser Ebene hatte er eine Waffenkammer aufgetrieben. Das gesamte Stockwerk war evakuiert worden, doch zwei einsame Genomsoldaten hatten in dem Munitionslager Wache geschoben. Ihr einziges Pech war gewesen, dass sie wirklich nur über eine absolute Basisausbildung verfügten und überdies auch noch ziemlich dümmlich waren - gerade genug, um einfach strukturierte Befehle auszuführen. So hatten sie natürlich salutiert, als Jim den Raum betreten hatte. Als sie dann realisierten, dass es sich bei dem Agenten um kein hochrangiges AnF-Mitglied handelte, war es schon zu spät gewesen. Jim hatte beiden einfach in einer wirbelnden Bewegung mit beiden Schwertern die Schädeldecken abgesäbelt. Anschließend hatte er die Leichen brav in einer Ecke gestapelt und sich bedient.

Seine Ausrüstung umfasste nun einen neuen Rucksack, den er dort gefunden hatte - sein alter war ja zur Genüge beschädigt worden -, fünf Magazine für sein Sturmgewehr, fünf Granaten und drei EMP-Granaten. Was Arzneien anging, war er auch bestens gerüstet. Schlussendlich entdeckte der blonde Einzelkämpfer noch ein besonderes "Schmankerl", ein Sniper-Gewehr und Plastiksprengstoff. Damit würde er weit kommen.

Im Raum befand sich sogar eine Uhr, auf der Jim die Zeit ablesen konnte. Seit er heute irgendwann von seinem Nickerchen nach Kenjins Kampf aufgewacht war, hatte er immer wieder versäumt, sich nach einer Uhr umzusehen. Jetzt wusste er es. Es war bereits nach Mittag.

"Schon reichlich spät. Ich sollte zusehen, dass ich hier fortkomme. Hoffentlich laufe ich nicht noch mal diesem Typen über den Weg... falls er nach der Schusswunde an seinem Bein überhaupt noch laufen kann."

Da AnF aber über diese Nanotechnologie verfügte, war es unwahrscheinlich, dass diese Verletzung lange von Bestand war. So gesehen würde sich Jim sogar auf ein Wiedersehen freuen. Immerhin war er jetzt bis an die Zähne bewaffnet und auf alles vorbereitet. Nun... zumindest glaubte er das.

Er war kaum einige Meter den Gang entlanggelaufen, als er so etwas wie ein Zittern in seinen Beinen spürte. Für den Moment nahm er an, dass sein Körper wohl doch noch etwas unter Erschöpfung litt, als dann jedoch etwas Putz von der Decke rieselte, war klar, dass hier der Boden erschüttert wurde.

"Verflucht, was war das?! Ein Erdbeben?!"

Das Ereignis zunächst ignorierend, folgte er dem Weg entgegengesetzt zu der Richtung, in die ihn dieser Soldat vorhin verwiesen hatte. Er hatte fast die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als er urplötzlich gezwungen wurde, einen anderen Weg einzuschlagen: Vor ihm barst ein Heizluftrohr an der Decke, nachdem die Gangwand zu seiner rechtes durch eine Explosion einfach weggefetzt worden war. Trotz des Staubes und der austretenden Heizluft, erkannte Jim die Silhouette einer einzelnen Person, die auf ihn zukam und irgendetwas schulterte - etwas großes.

"Hab ich dich!"

Die Stimme war eindeutig weiblich und der Gegenstand mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit eine Waffe, denn sie nahm das unförmige, futuristisch aussehende Teil herunter und legte es an. Jim machte blitzschnell auf dem Absatz kehrt und kaum einen Sekundenbruchteil später befand er sich im Sprint und verschwand um die Ecke. Es musste sich um eine Panzerfaust handeln. Was sonst konnte einfach menschengroße Löcher in massive Betonwände reißen?! Da Jim keine seiner Waffen im Anschlag und entsichert hatte, sondern sie nur wie Schmuckstücke über seinen Schultern baumelten, kam er zum Einen langsamer voran, zum Zweiten brauchte er die Gelegenheit, nachzuladen.

Jim spürte, wie knapp hinter ihm ein Sprengkörper mit der Präzision eines Scharfschützenschusses in die Wand einschlug, just an der Stelle, wo er sich einen Schritt zuvor befunden hatte, bevor er um die Ecke gebogen war. Seine Verfolgerin zielte perfekt. Einige Trümmerteile flogen umher und die Druckwelle zusammen mit einigen Geröll peitschte Jim zu Boden. Stöhnend krachte er auf den Gang, rappelte sich aber gleich wieder auf. Zum Glück verhinderte der Qualm und Staub, dass die Frau genauer auf ihn zielen konnte.

Sofort korrigierte sich der blonde Agent, als er einen scharfen Windzug an seinem linken Ohr spürte. Diesmal war es kein Sprengsatz, sondern eine normale Kugel. Trotz der schlechten Sicht und der Tatsache, dass Jim sich schnell bewegte, hatte ihm diese Person fast in den Kopf geschossen!

"Verdammt! Ich werden den verfluchten Verdacht nicht los, dass das ein Elite-Mitglied ist!!"

Chiyoi atmete ruhig. Sie hatte Zeit. Ihr Gegner war ihr zwar um Meter voraus aber er konnte nicht schneller laufen als eine ihrer Kugeln flog. Zudem musste sie ihn ja noch gar nicht treffen. Es genügte, wenn sie ihn in die vorgesehene Richtung trieb. An einen Ort, wo Jim sich nicht verkriechen konnte. Nicht vor ihr. Nicht vor Tran Loc.

"Lauf nur, Fuchs. Der Jäger kriegt dich doch."

Jim bremste. Panisch sah er sich um, doch der Platz am Ende des Ganges war verwaist. Keine Rauchwolken. Also hatte sie auch nicht geschossen. Jim stand nun aber vor einem weiteren Problem. Er war nicht so blöd, ahnungslos durch die Gegend zu rennen. Er wusste dass man ihn in eine bestimmte Richtung trieb. Doch solange diese Schützin hinter ihm her war, hatte er weder die Zeit, zu laden, noch für einen Gegenschlag oder sich einen anderen Fluchtweg zu suchen. Für letzteres war es eh zu spät. Er war in einer Sackgasse. Von hier führte der Weg nur zurück, wo sein Tod lauerte. Vor ihm waren zwei riesige Flügeltüren, die an jene in der Schmiede erinnerten. Irgendwie verriet der Kloß in Jims Hals dem blonden Agenten, dass jene hier offen standen.

Zwei Kugeln schlugen glatt rechts und links neben Jims Augenhöhe in den Stahl der Pforten ein. Erschrocken drehte er sich um und erkannte den Schatten der Frau, die ihn immer noch unermüdlich jagte.

*Du willst, dass ich da rein gehe?! Bitte, das kannst du haben. Ich stelle mich dir!*

Ohne die Unbekannte aus den Augen zu lassen, presste Jim die Türen auf, die sich langsam aber relativ leicht mit einem Quietschen öffneten. Vermutlich waren sie teilweise auch hydraulikgesteuert, was den Prozess des Öffnens erleichterte. Jims eifriges, aufgestacheltes Grinsen verschwand, als er den Hangar betrat und seinen Kopf wieder umdrehte. Seine Augen blickten zunächst auf zwei baumstammgleiche, metallische Pfeiler, die wie gigantische Beine aussahen. Als sein Blick nach oben wanderte, entdeckte er, wie eine männliche Person in der geöffneten Kopfklappe dieses... was immer es war, stand und mit zufriedenem aber gleichzeitig verachtungsvollem Blick auf ihn herabsah. Der Einzelkämpfer merkte gar nicht, wie seine Kinnlade herunterklappte.

"Hallo Jim. Willkommen zu deiner Beerdigung."
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