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New World Order

von Yakuza
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P18 / Gen
13.05.2004
06.11.2004
9
98.641
1
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24 Reviews
Dieses Kapitel
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13.05.2004 14.012
 
"04 - What dwells below - Kenjin's fatal longing!"


Jim presste sich an die stählerne Wandverkleidung des Gebäudetrakts und fixierte mit konzentriertem Blick die Kamera über ihm, die eben in eine andere Richtung geschwenkt hatte. Er wollte nur sicher gehen, dass sie auch keine einzige Bewegung von ihm aufgezeichnet hatte. Als er davon überzeugt war, von niemandem entdeckt worden zu sein, atmete er lautstark eine Kondenswolke aus. Sein Körper war durch die viele Bewegung erwärt worden und hier im Freien hatte es sich noch mehr abgekühlt.

Viel tiefer würde die Temperatur in dieser Nacht wohl nicht abfallen, selbst dies zu spüren, darauf hatte man ihn trainiert. Und da es zwischen 2:00 Uhr und 3:00 Uhr in der Nacht am kältesten war, hatte er ungefähr vor Augen, wie lange er noch bei einem eventuell auftretenden Zwischenfall von der Dunkelheit profitieren konnte. Allerdings erlaubte sich der Topagent ein selbstzufriedenes Lächeln, denn bis jetzt hatte er die Situation im Griff und er rechnete nicht damit, einen Rückzug antreten zu müssen, wenn er sich gleich Zugang zum Hauptquartier verschaffte. Jim's Blick glitt senkrecht nach oben und folgt der stählernen Wand, bis er einige Meter direkt über ihm ein Geländer ausmachen konnte. Dort befand sich also eine Ebene. Und vermutlich lag auch dort seine Einstiegsmöglichkeit. Doch dazu musste er einen Aufgang finden.

Jim sah sich kurz um und entdeckte daraufhin auch entfernt eine Leiter, die vom Geosektor auf die darüber liegende Gebäudeebene führte. Allerdings spazierte dort eine lästige Wache umher. Und zwei starre Überwachungskameras befanden sich ebenfalls auf der selben Höhe. Kurz kalkulierte der blonde junge Mann das Risiko, welches er einging, wenn er eine EMP-Granate warf und den Wachmann einfach erschoss. Er entschloss sich, diesen Gedanken zu verwerfen. Zum Einen vergeudete er Ressourcen, die ihm später noch von Nutzen waren und zum Anderen war er Infiltrant - kein Mörder. Inzwischen zerrte eine sibirische Kälte an Jims Gliedern, die auch sein Thermoanzug nicht wettzumachen vermochte. Es war wirklich scheißkalt.

"Ok, ich geh jetzt da rauf. Wenn ich drinnen bin, überleg ich mir alles weitere. Hauptsache, nicht mehr frieren!"

Jim duckte sich, damit er seine Erscheinung verkleinerte und damit auch das Risiko, entdeckt zu werden abnahm, dann lud er seinen Rucksack vom Rücken und kramte dort vier runde, relativ flache und chromfarben lackierte Scheiben hervor, die er um Handflächen und Stiefel schnallte. Praktisch, dass die Wand mit Stahl verkleidet war. Es war damit zu rechnen, dass die meisten Begrenzungen des gigantischen Hochhauses in irgendeiner Form mit Metall bearbeitet waren. Diese Hochleistungsmagneten sorgten dafür, dass Jim selbst durch mehrere Schichten unterschiedlichen Baumaterials seine Haftung nicht verlor.

Jim stapfte etwas abseits an den Rand der Mauer, damit er nicht auffiel wie ein bunter Hund, wenn er gleich daran hinaufkletterte. Der Agent presste seine Handflächen, dann die Füße an die stählerne Verkleidung und arbeitet sich nun "Schritt für Schritt" in die Höhe. Oben angelangt, schwang er sich über das Geländer, rollte geschickt ab und presste sich in Liegestützhaltung hinter einen herausragenden Erker auf dieser Ebene. Jim lugte herum, entdeckte aber niemanden und auch keine Kameras. Die Luft war rein.

Zügig stand er auf, schob sich dicht an der Wand entlang, bis er den Eingang erspähte. Eine sehr dicke Kunststofftür, die allerdings stellenweise durchsichtig war und so ließ er sich dazu hinreißen, einen Blick ins Innere zu tätigen. Dort offenbarte sich ihm nur ein düsterer Gang, der, je länger er wurde, mehr und mehr von absoluter Schwärze verschlungen wurde. Das wirkte zwar gruselig doch für Jim war es eher Anlass zur Freude, denn es bedeutete, hier hielt sich keine Seele auf.

Jim zog etwas aus der Seitentasche seiner gut bestückten Hose. Es war ein Dietrich, der zudem mit elektronischen Signalen arbeitet und somit auch technisch versiegelte Schlösser knacken konnte. Ein leises Rasseln erklang, gefolgt von einer Reihe Knackgeräuschen, dann sprang das Schloss auf und Jim verzog sich ins Innere, während er sich nachträglich umsah, dass ihm keiner folgte.

Nun war es an der Zeit das wohl coolste Accessoire seiner Agentenausrüstung auszuprobieren. Jim kramte ein verstärkt nach Sonnenbrille aussehendes Gebilde aus einer seiner vielen Brusttaschen. Tatsächlich klappte er es auf und setzte es auf seine Nase. Die "modische Skibrille", wie er es selbst einmal genannt hatte, sorgte mit seiner Restlichtverstärkung dafür, dass auch kleinste Lichteinstrahlungen die Umgebung erleuchteten. Gut, dass eine winzige Glühbirne an einem der Bügel der Brille angebracht waren und so wurde ein fast Laserstrahl artiger Lichtkegel in den Gang geschickt, den Jim nun ohne Aufprallrisiko passieren konnte.

"Willkommen in der Höhle des Löwen..."


***



Nguyen lehnte sich nach vorne und stützte seinen rechten Ellbogen auf den Schreibtisch, mit der anderen Hand lies er seine Fingerspitzen auf die Ebenholzplatte trommeln. Nervös betrachtete er den Bildschirm. Diesmal war es aber nicht Jims Aufenthaltsort, der ihn faszinierte. Das größte Projekt seiner bisherigen Laufbahn zog ihn in seinen Bann. Wenn jetzt alles glatt ging, verdiente er zu Recht den Titel "Multimedialer Gott".

"Komm' schon, lass mich nicht hängen!", mahnte er den Computer, dessen Ladebalken fast zu 100% ausgefüllt war.

"Ja! Es leeeebt! Das wollte ich schon immer mal sagen!"

Theatralisch klatschte der Administrator in die Hände, dann widmete er sich voller Euphorie seiner Tastatur.

"Hallo, Rei, kannst du mich verstehen.", murmelte er eintönig vor sich hin, was er in Windeseile eingetippt hatte.

"J..Ja...Ich veRsteHe diCh...", klang eine attraktive, junge aber elektronisch verzerrte Frauenstimme leicht zögerlich und verwirrt aus dem Lautsprecher.

NTL fühlte sich in seinen Bemühungen bestätigt und griff nun zu einem Headset, damit er sich mit seiner neuesten Kreation verbal verständigen konnte. Natürlich war "sie" weit mehr als ein einfaches "Ding", eine "Datei", dafür war sie zu unschätzbar wertvoll.

"Weißt du, wo du bist?"

Die Stimme zögerte einen Moment, dann sprach sie wieder.

"I...i..Ich...n..nEin...iCh...waS...?!"

Das Mädchen schien zu schluchzen, könnte man ihr Gesicht sehen, wären ihr vermutlich auch Tränen über die Wangen gelaufen.

"Beruhige dich, ich erkläre dir alles.", versuchte Nguyen Tran Loc sie zu trösten. Er sprach zu seinem Computer wie zu einem Menschen. In gewisser Weise hatte er auch endlich vollbracht, wovon viele Wissenschaftler nur träumten. Er hatte etwas geschaffen, was sogar die KI übertraf, die künstliche Intelligenz. Statt einem Computer die Fähigkeit zur Selbstständigkeit zu geben, hatte er einen Menschen digitalisiert!

"Erinnerst du dich an deinen Unfall vor zwei Jahren?", fragte er behutsam, da er sein Geschöpf nicht überanstrengen wollte.

"T..teilwEise. Ja. ICh...lAg...iM...KoMa?"

"Richtig. Du bist auch kurzzeitig daraus aufgewacht aber nur für ein paar Stunden."

NTL's Stimme verriet eindeutiges Bedauern und Mitleid.

"Die Ärzte gaben die keine Chance auf Genesung. Dein Körper war zu sehr beschädigt, man hätte dich vielleicht aus dem Koma herausholen können, doch dein Leben wäre niemals wieder so geworden, wie es einst war. Du wärest ewig an dein Bett gefesselt gewesen, umgeben von Maschinen und Schläuchen, die dich am Leben halten..."

Sie schluchzte wieder auf, was dem Computerspezialisten signalisierte, dass er mit seiner Erzählung dieser Erinnerungen besser aufhören sollte. Eigentlich gab es keinen Anlass, all diese Dinge wieder ins Gedächtnis zu rufen. Das war Vergangenheit! Vom heutigen Tage an sollte alles anders sein!

"Hey... keine Angst. Darüber brauchst du dir keine Sorgen mehr machen! Denn als du wieder ins Koma fielst, übergab man dich in meine Obhut. Ich habe einige Studien mit dir betrieben.", meinte Nguyen einfühlsam.

"StuDien?"

Tran Loc justierte einige Einstellungen, damit das lästige Rauschen und der elektronische Klang ihrer Stimme verschwand und er sie besser verstehen konnte.

"Ja. Ich habe dich digitalisiert. Das bedeutet, dein Körper existiert nicht mehr. Er wurde vernichtet. Dafür habe ich all deine Erinnerungen, deine Charaktereigenschaften und dein Aussehen in Daten umgewandelt. Du bist ein hochkomplexes Programm. Du bist Rei.Dra"

"Rei.Dra...?", antwortete sie klar und deutlich aber dennoch verwirrt.

"Bedeutet das, ich bin eine Datei? In deinem Computer?!"

"Du hast deinen Scharfsinn nicht verloren, Rei.", kommentierte NTL freundlich.

"Dann.. dann... bin ich also gestorben..."

Die junge Frau reagierte trübsinnig, womit der Administrator allerdings gerechnet hatte. Er würde ihre Moral augenblicklich wieder aufbauen.

"Ja... wenn man so will, schon. Aber sieh es so.. du hast die kaputte Hülle abgestreift, in der du gefangen warst. Du bist wie ein Schmetterling, der aus seiner Puppe geschlüpft ist, der nun zu seiner vollen, digitalen Schönheit gereift ist!"

"Wie poetisch...", bemerkte Reidra mit einem leicht geschmeichelten Unterton in ihrer Stimme. Sofort klang aber wieder ein gewisser Ernst dabei mit.

"Allerdings nutzt mir das nicht viel, solange ich nur hier drin stecke. Nguyen, nach so langer Zeit fühle ich mich doch nicht viel anders als damals im Koma. Ich kann meinen Körper nicht spüren, ich sehe nichts, ich kann nicht mal meine eigene Stimme hören. Für mich sind das hier alles nur Nullen und Einsen, die in einem einzigen Wirrwarr durcheinander rasen und irgendetwas formulieren, von dem mein Geist annimmt, dass es Sinn ergibt..."

"Ja, ja, Rei! Es ergibt Sinn! Mach dir keine Sorgen, ich habe schon an alles gedacht! Hier! Ich habe eine Software entwickelt, die ich augenblicklich mit deinem Programm verlinken werde. Dadurch kann ich deine Daten in ein optimiertes Bild umwandeln. Außerdem habe ich bereits eine Sicherungskopie von dir angefertigt und eine weitere ins Internet hochgeladen. Damit bist du quasi unsterblich und..."

Er errötete leicht und senkte den Blick zu dem Datenstäbchen, welches er leicht nervös zwischen seinen Fingern spielen lies.

"Und bleibst mir für immer erhalten."

"Danke, NTL. Ich bin dir wirklich... wahnsinnig dankbar!"

Reidra schluchzte abermals, diesmal aber wohl vor Freude. Die junge Frau hatte selbst nicht mehr daran geglaubt, jemals wieder ihr Bewusstsein zu erlangen, nachdem sie diesen schweren Verkehrsunfall erlitten hatte. NTL war es damals gewesen, ihr langjähriger Freund, der ihr immer beigestanden hatte und für sie da gewesen war. Nun hatte er ihr neues Leben gewährt.

"Keine Ursache! Ich werde nun das Programm hochladen."

Einige Sekunden verstrichen, dann wurde das Bild auf NTL's Schirm schärfer und bildete den Körper einer jungen Erwachsenen ab. Er zeigte Reidra in der Kleidung die sie damals noch vor ihrem Unfall getragen hatte.

"Mit der Software müsstest du dich auch selbst als dein 'Ich' wahrnehmen können. Funktioniert es?"

"Oh..oh, ja! Das ist die blaue Jeans, die ich damals getragen habe... und der rote Pullover... Wahnsinn. Du bist ein Genie!"

"Es kommt noch besser! Pass auf! Ich habe ein Gerät entwickelt, mit dem ich dich zeitweise als holographische Person im Raum entstehen lassen kann!"

Nguyen betätigte eine Schaltfläche auf dem schmalen, schwarzen Pult, welches direkt neben seiner Tastatur lag und ebenfalls an den Computer angeschlossen war.

Sekundenbruchteile später erschien Reidra mit einem Flackern neben ihm.

"Es hat funktioniert!!"

Fassungslos starrte er die junge Frau an, die da vor ihm stand und sich selbst musterte. Leider steckte das Hologramm noch in der Entwicklung. Es war unvollkommen, stellte das junge Mädchen nur in Blau/Weiß-Tönen dar, die stetig hin und her flackerten, die Textur ihres Haares war leicht kantig und unterbrochen und ebenfalls farblos. Aber das Hologramm besaß schon jetzt einen einzigartigen Vorteil. Es machte das Programm Rei.Dra REAL.

"I...ich sehe etwas...komisch aus...", kicherte sie leicht, während ihre Augen das flackernde Muster ihrer selbst eingängig untersuchten.

"Ich hoffe das stört dich nicht... so weit bin ich leider noch nicht gekommen. Allerdings im Computer, im Internet und im ganzen Netzwerk von AnF hast du absolute Bewegungsfreiheit und siehst so aus, wie du immer ausgesehen hast."

"Das ist toll, NTL! Werde ich mich irgendwann auch hier draußen frei bewegen können?"

"Ja...", Tran Loc erhob sich von seinem Platz und trat vor seine Schöpfung.

"Aber ja doch! Bisher kann ich dich nur für ein paar Stunden und nur in einem begrenzten Raum als Hologramm erscheinen lassen, doch das ändert sich bald. Dann wirst du dich eigenständig bewegen können, wirst laufen können, reden, die Welt sehen. Vielleicht nichts mehr essen und trinken und auch nicht mehr schlafen, dafür hast du andere Fähigkeiten!"

"Wie steht es mit... fühlen?"

Etwas wehmütig trat Nguyen an Reidra heran, die ihn erwartungsvoll ansah. Er versuchte seine Handfläche an die ihre zu legen, als sie diese erhob und damit auf ihn zusteuerte. Natürlich ging Tran Locs Hand mit einem elektrischen Knistern durch ihre Grafikmatrix hindurch.

"Ich arbeite dran.... du wirst bald eine feste Gestalt haben. Dann wirst du auch fühlen können. Doch jetzt musst du zurück in den Computer. Das Hologramm wird bald kollabieren."

"Mhm. Verstehe. Du kommst doch, um mich zu besuchen?"

"Natürlich. Doch jetzt muss ich wieder arbeiten. Mach's gut, Rei."

"Ja, du auch, NTL. Ich danke dir für alles. Du bist ein sehr wichtiger Mensch für mich!"

Damit erloschen sowohl die grafische Darstellung im Raum als auch der Schirm vor Tran Locs Augen. Er zog das Datenstäbchen heraus und schaltete auf Stand-by.

"Du auch, Rei. Du auch."



***





Jim eilte den verwaisten Gang entlang. Sein Blick war inzwischen ebenso finster, wie seine Umgebung. Man machte es ihm hier zu leicht. Zwar gab es Überwachungskameras in diesem Areal, doch sie waren abgeschaltet. Erwartete man ihn bereits? Lief er schnurstracks in eine Falle?

Der blonde Kämpfer schüttelte den Kopf. Das war ohne Bedeutung. Selbst wenn er schon entdeckt worden war, änderte das nichts am Ablauf seiner Situation. Er würde sich anpassen, so einfach war das. Bisher hatte Jim aus jeder Situation etwas machen können. Er lächelte, als sich eine Erinnerung in seine Gedanken schlich. Oh ja, das war wirklich eine verzwickte Situation gewesen....

Zwei Jahre zuvor, bei einem Freefight-Turnier...

"Down!"

Der Schiedsrichter zählte weder an, noch hatte er die Intention, den aufgeschlagenen Fighter von seinem wieder auf ihn zustürmenden Kontrahenten zu trennen. Das war so etwas wie Streetfight. Regeln gab es hier nicht. Es wurden lediglich Anzeichen gegeben, wenn ein Kämpfer aufgab oder wenn er einen Niederschlag erlitt - so wie Jim eben.

Der blonde, noch recht junge Mann richtete sich wieder auf und schüttelte seinen Kopf, damit er das Schwindelgefühl und das Klingeln in seinen Ohren loswurde. Noch bevor er wieder richtig klar war, beugte sich eine einzige, zwei Meter große Muskelmasse über ihn und riss das Knie an. Jim spürte, wie das Gliedmaß seines Gegners unter sein Kinn fuhr und ihn mit einem schmetternden Geräusch fast wieder vollständig in den Stand beförderte.

Jim nahm das Knacken seines Unterkiefers gar nicht wahr, weitaus schlimmer war der aufkeimende, hackende Schmerz, der sich von diesem Epizentrum an  seinem Kopf durch den gesamten Körper erstreckte. Jim wusste nicht, ob er erbrechen oder ohnmächtig werden sollte. Sein Stolz lies es nicht zu, dass er vor Schmerz eine Träne vergoss. Warum auch hatte er sich auf diesen Kampf eingelassen? Wegen der hohen Wetteinsätze, die gegen ihn standen?

Alexej Branov. So hieß sein Gegner. Ein russischer Vale-Tudo-Fighter und der World-Champion in seiner Gewichtsklasse - die übrigens weit über der von Jim lag. Eigentlich war es ein Kampf, der Analogien von David gegen Goliath nahe brachte. Nur mit dem Unterschied, dass Jim keine Steinschleuder bei sich trug, um den Kampf zu entscheiden.

Unablässig traktierte der "Sibirische Bär", wie er auch genannt wurde, sein Opfer mit Schlägen und massiven, harten Kniestößen, um ihn in der Ecke des Ringkäfigs zu zermürben. Jim war schneller als er und konnte fast jeden Angriff notdürftig abdecken aber selbst die beste Abwehr nutze nichts gegen diese schmerzhaften Angriffe. Das waren keine Fausthandschuhe. Das waren Stahlkugeln, die auf ihn zuflogen!

Jim riss seinen rechten Arm hoch und blockte somit einen frontalen Schlag des Muskelpaketes. Sein Arm erzitterte unter der Wucht und wieder flammte Pein in ihm auf, doch er konzentrierte sich nun auf einen Konter. So, wie sein Gegner eben angegriffen hatte, tat Jim es ihm gleich und zog einen scharfen Zuki, ein gerader Fauststoß, auf den Bauch seines Kontrahenten.

"Bumm."

Ein leichtes Donnern, nein ein "Dönnerchen", wenn man so wollte, war das einzige Geräusch, das von Alexejs Bauch herdrang. Jim kam es so vor, als schlüge er gegen eine Wand. Nicht einmal die Oberfläche des heraustretenden Sixpacks hatte nachgegeben!

"Fuck!", fluchte Jim und zog sein Knie nach. Statt einen Stoß damit unter die Leber seines Gegners zu versuchen, zog er das Bein fast bis an die Brust hoch und streckte es dann zu voller Länge nach oben, damit er seinen Gegner im Gesicht treffen konnte. Endlich ein Schlag, der gelang! Jim erwischte den Sibirischen Bären mit der Ferse unter der Nase. Blut spritzte.

Der Erfolgstreffer kam so überraschend für den blonden Fighter, das er wie gelähmt in seiner Position verharrte. Er hatte den Russen aber noch lange nicht ausgeknockt, die Situation war noch viel zu gefährlich! Jim bereute seine Fahrlässigkeit augenblicklich, als der noch zorniger gewordene Riese Jims Bein packte, einfach umdrehte und es mit einem komplizierten, äußerst brutalen Grappling-Griff verrenkte. Jim schrie gellend auf, so einen Schmerz hatte er bis dato noch nicht erlebt. Zitternd hing er halb in der Luft, ohnmächtig sich zur Wehr zu setzen, während der Russe seine Freude hatte, Jims Knochen zu verdrehen und zu verbiegen. Wie hatte es nur dazu kommen können? Der gesamt Kampf war zu Beginn ausgeglichen verlaufen. Wann hatte Jim begonnen, nachzulassen?

Richtig... er hatte gar nicht nachgelassen. Er war nur einem Anfängerfehler unterlegen! Er hatte sich gefangen nehmen lassen. Von der Gestalt seines Gegners, dessen Auftreten und Brutalität und von dessen Kampfstil. Jim hatte versucht ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, in dem er Branovs Stil einfach irgendwann nachgeahmt hatte. Warum, zur Hölle, fiel ihm das jetzt erst ein?! Die Lösung war doch so einfach!

"Gut... dann etwas anderes..."

Jim sprach zum ersten Mal wieder, seit dieser Kampf für ihn schlechter gelaufen war und erregte damit die Aufmerksamkeit des Russen.

"Damit... rechnest du bestimmt nicht...."

Er riss sich zu einem Lächeln hin. Dann knackte es laut und ein weiterer Schmerzensschrei entfloh Jims Kehle. Vor Schreck und Verwirrung lies der Russe Jims Bein fahren, als sich dessen Fußgelenksknochen so seltsam weich anfühlte. Jim hatte sich mit einer gezielten Bewegung das Gelenk ausgekugelt, um freizukommen.

Mit einem leichten Wimmern widmete sich Jim seinem Fuß und renkte ihn sogleich wieder ein, damit er nicht noch bewusstlos wurde. Sein Opponent war noch immer so beeindruckt, dass er weiter Angriffe unterlassen hatte. Er wollte wissen, wie Jim das Blatt zu wenden gedachte.

"So! Jetzt spielen wir wieder nach meinen Regeln!"

"Das möchte ich sehen..", sprach der aufgestachelte Ringer mit seinem russischen Akzent, dann stürmte er auf Jim zu und donnerte ihm die Faust gegen den Kopf. Gegen den Kopf? Nein, da wo sich der Kopf befunden hatte! Jim war wieder dazu übergegangen, auszuweichen, statt zu blocken. Jim stand nun seitlich von seinem Gegner und zog das Bein an, um es in einer sichelförmigen Bewegung seinem Gegner gegen die Brust zu schmettern. Er erreichte keinen Wirkungstreffer gegen diesen Muskelpanzer, doch das war ohnehin nur Ablenkung. Augenblicklich raste Jims Fußsohle von der Brust gerade nach unten und rutschte über die Kniescheibe seines Opfers. Diese schrie auf wie ein Kleinkind, als sich diese selbstständig machte und einfach ein Stück nach unten aus ihrer knöchernen Verankerung rutschte.

Noch bevor Branov zusammensackte, verpasste Jim ihm einen Ellbogenhieb auf den Solarplexus und schickte ihn damit kampfunfähig auf die Matte. Schwer atmend wankte Jim zum Ende des Käfigs. Er musste nur noch den Ausgang erreichen, um diesen Fight entgültig zu gewinnen. Er musste... Schwärze. Die Anstrengung war einfach zu groß gewesen und er hatte die letzten Reserven verbraucht. Jim übergab sich auf Ort und Stelle und spuckte neben Magensäften auch Blut aus, dann klappte er besinnungslos zusammen.


Zurück in der Gegenwart...

Jims Lächeln verschwand, als er auch diese Erinnerung wieder in die Tiefe verbannt. Das war ein furchtbarer Kampf gewesen, der bis dahin schlimmste überhaupt, doch es war nichts im Vergleich zu dem, womit er es hier zu tun bekam. Der blonde Söldner stoppte vor einer doppelten Flügeltür, die sich um die nächste Ecke befand. Jim presste sich an die Wand und lugte herum, doch niemand kam. Hier schien noch immer keine Menschenseele zu sein. Er stieß die Pforte auf, rannte weiter und warf dabei zwei kurze Blicke nach links und rechts in einen kreuzenden Gang, dann bremste er abrupt. Ein Schild erregte seine Aufmerksamkeit.

"Die Waffenschmiede? Hm.. interessant... von da geht es nach oben. Besser kann es ja nicht laufen!"

Er griff in seinen Halter und zog eine Handfeuerwaffe hervor, dann rannte er weiter. Er ahnte irgendwie, das er bald auf Widerstand stieß. Der Agent bog um weitere Ecken, folgte den Gängen und der Beschilderung des Weges und kam dann vor eine große Pforte. Groß war untertrieben. Es war ein gigantisches, stählernes Tor, dass von massiven, riesigen Säulen eingefasst war. Davor steckten im Boden kleinere aber immer noch gewaltige Pfeiler, durch die eine Ankerkette eingefasst war. Vermutlich ein Seilzug, der die riesigen Pforten öffnete, wenn hier Betriebszeit herrschte. Jim trat vor dieses massive Tor. So konnte man sich auch den Eingang zum Höllenreich vorstellen. Probehalber lies er seine Faust dagegen rauschen, doch er tat sich nur weh. Dies war eine Barriere die er vermutlich nicht einmal ohne weiteres aufsprengen konnte.

"Verdammt! Deswegen gibt's hier vermutlich keine Wachen, weil ich eh nicht weiterkomme! Jetzt muss ich wieder raus und mir von draußen einen Weg such-hey!"

Zu seiner rechten Seite befand sich abermals ein Lageplan für das Paterre-Areal. Er studierte ihn knapp und fand die einzige Alternative. Jim lächelte schwach.

"Das ist eine Falle. Kein Zweifel. Der einzige Weg führt noch durch die Biolabors. Naja. War fast zu erwarten. Entschärfen wir die Falle also!"

Zuversichtlich machte er sich auf den Weg. Wieder dunkle Gänge, wieder keine Menschenseele in Sicht. Wenn AnF tatsächlich immer so spärlich bewacht wurde, musste es doch ein Leichtes sein, hier einzudringen. Wobei, wenn Jim es sich recht überlegte... dann hätte man die globale Organisation wohl schon bei Zeiten wieder in den Boden gestampft. Das Problem war wohl, dass dieser Monolith aus Stahl und Beton eine gigantische Mausefalle war. Reinkommen war weniger schwer - aber rauskommen.

"Die Chefetagen werden sicherlich besser mit Personal bestückt sein. Hier unten haben wohl alle Nachtruhe. Dann muss ich mich beeilen, denn wenn der Tag anbricht, kommt hier Leben in die Bude."

Jim sprintete an das Ende des Koridors und sprang um die Ecke, seine Schusswaffe nach vorn gerichtet. Niemand da. Allerdings blickte er nun auf eine weiße Flügeltür, die mit Panzerglasscheiben besetzt war. Da sie nicht gesichert schien, stieß Jim sie einfach auf und trat hindurch. Wieder eine Gabelung. Hörte das denn nie auf? Irgendwo musste sich hier doch eine Treppe nach oben finden! Dieses Untergeschoss war in der Dunkelheit trotz Lageplan ein einziges Labyrinth. Jim entschied sich, den rechten Weg zu nehmen. Nach einigen Metern, die er wieder einem Gang folgte, fand er eine automatisch verriegelte Schleuse. "Biolabor A1" stand an einem Schild, welches neben einem Stechkarten-Apparat angebracht war. Und "Unbefugten ist der Zutritt verboten".

"Ich bin zwar kein Angestellter, aber ich muss hier rein."

Der blonde Agent kramte ein weiteres Utensil aus seiner Tasche, welches er direkt mit dem elektronischen Schloss in Verbindung setzte. Darauf war ein Rad angebracht, welches er nun hin und her justierte, bis einige Male ein leises, knackendes Geräusch ertönte, dann folgt ein Piep-Laut und das Schloss sprang auf. High-Tech war eine wunderbare Sache.

Schon kurz nach dem Eintreten bereute Jim seine Entscheidung, gerade diesen Weg eingeschlagen zu haben. In großen Glaskolben schwammen undefinierbare, organische Objekte, er wusste nicht, ob es sich dabei um menschliche oder tierische Organismen in ihrer Frühentwicklung handelte oder ob hier Organe in Nährlösung eingelagert waren - oder gar ganz etwas anderes. Auf den sauberen Schreibtischen lagen Forschungsberichte, mit denen Jim zwar nicht viel anfangen konnte, doch seinem Auftrag der Infiltration folgend, schoss er hier Fotos von allem, was ihm wichtig erschien.

Im hinteren Teil des Raumes entdeckte er neben einigen chemischen und medizinischen Instrumenten einen angeschalteten Computer, der im Stand-by Modus lief. Da der Kasten passwortgesichert war, gab er es nach wenigen Versuchen auf, sich in das System zu hacken. Auch der Einsatz seiner Entschlüsselungssoftware brachte nichts. Jedes Eindringen wurde sofort im Keim erstickt. Wer immer hier der Administrator war, er besaß ein besseres Verständnis für Computer und Hard- sowie Software als irgendwer sonst auf der Welt.

Eine Feuerschutztür fiel laut knallend ins Schloss und lies Jim auf seinem Platz zusammenzucken. Gleich hatte er sich wieder gefasst und wirbelte herum, die Waffe in Richtung der Tür gerichtet und eine Hand im Griff von Kujo. Trieb sich hier doch jemand herum?

Das Geräusch war aber zu leise gewesen, als dass es hätte aus diesem oder aus dem Vorraum gestammt. Es kam von weiter hinten. Von dort, wo er zum ersten Mal an die Kreuzung gekommen war und sich für den Weg in dieses Labor entschieden hatte. Da sich niemand in diesem Bereich aufhielt, war der Herumtreiber entweder aus der anderen Richtung gekommen oder dorthin zurückgekehrt. Jims Körper begann mit der verstärkten Produktion von Adrenalin. Der Agent bemerkte den schleichenden Prozess nicht, der seine Hände auf einmal schwitzen lies und ihm den Herzschlag sowie die Atmung beschleunigte. Dies war sein erster Einsatz. Selbstverständlich war er etwas nervös, trotz seines Trainings.

"Ruhig Blut! Ab jetzt... wird's interessant."

Jim packte seine Ausrüstung zusammen, schnallte den Rucksack um und eilte weiter. Irgendwie wurde ihm immer unwohler, je länger er sich hier aufhielt. Die Stille und die Dunkelheit. Urinstinkte wurden in ihm geweckt. Instinkte, die man nur schwer beherrschen konnte. Unruhe. Angst.

Noch vorsichtiger als zuvor war das Einmann-Kommando bei seinem Ausgangspunkt angekommen - der Kreuzung. Tatsächlich war jemand aus der anderen Richtung gekommen. Jim richtete seine Nachtsichtbrille, hinter der alles in gelbliche Farbtöne getaucht war. Diese Brille besaß auch noch andere wertvolle Eigenschaften, so machte sie doch erst kürzlich hinterlassene Spuren von Körperflüssigkeiten sichtbar und reagierte auf größere Wärmeabstrahlungen. Er fixierte den Knauf der Tür, die in die andere Richtung führte. Weder dort noch an der Tür selbst konnte er die eben aufgezählten Nachweise feststellen. Er ignorierte also die Tatsache, dass ihm gerade jemand entgegen gekommen war oder ihm nun ein paar Sekunden vorauseilte und betrat den riskanten Bereich.

Als wären die vorherigen Gänge nicht schon unheimlich gewesen, war dieser dazu noch recht eng und karg. Auch der Boden war nicht mehr mit edlen Fliesen ausgelegt, es war der blanke Beton. Der Bereich erinnerte nun eher an den Eingang zu einer alten Kohlefabrik oder ähnlichem, denn er war weit weniger steril gehalten. Jim stockte. Er hatte etwas entdeckt, was vor ihm auf dem Boden lag.

*Ein Grashalm?*

Vorsichtig sah er um sich. Er bezweifelte, dass jemand einfache Pflanzenrückstände absichtlich fallen lies, um ihn in einen Hinterhalt zu locken, doch man wusste ja nie. Er richtete sich wieder auf und lief weiter. Er kam vor eine Feuerschutztür, die grün lackiert war und recht alt aussah. Zudem fand sich hier ein weiteres Hälmchen. Ihm kam so langsam ein Verdacht.

Glücklicherweise war die Tür nicht abgeschlossen, sodass er einfach nur am Knauf drehen musste, damit sie sich öffnete. Waren die Leute hier wirklich so fahrlässig, dass sie nichts abgeschlossen hielten? Jim zweifelte allmählich. Er war sich sogar fast absolut sicher, dass er geradewegs in die Arme seiner Feinde lief. War der umherirrende Geist, der hier Grashalme verlor vielleicht der erste auf der Abschussliste und wollte sichergehen, dass Jim den Köder auch geschluckt hatte? Falls dem so war, Jim hatte angenommen. Doch wussten seine Feinde nicht, dass er wiederum wusste, wie es um ihn stand.

*Ein Hinterhalt. Nun gut, ich bin bereit. Hinter dieser Tür...*

Jim hatte die Feuerschutztür nur ein wenig geöffnet und blickte nun zaghaft in den finsteren Spalt, während er einen Klos herunterschluckte. Er gab sich Mühe, den Gedanken zu verdrängen, eventuell gleich in den Lauf einer großkalibrigen Schusswaffen zu blicken, die ihm das Hirn wegpustete, bevor er überhaupt etwas merken würde.

Entspannung machte sich breit, als der verbleibende Teil des düsteren Ganges verwaist war. Jim trat ein, krachend schlug die Tür hinter ihm zu. Das war also das Geräusch gewesen, nun ging ihm ein Licht auf!

"Wer immer hier durchkam, er hatte es eilig, denn er muss die Tür regelrecht mit Zaster aufgefeuert haben, damit sie so laut knallt. Augenblick..." Jim fasste zusammen. Er machte kehrt und zog die Tür wieder auf. Sie lies sich nur in Jims Richtung, also weiter ins Gebäude innere aufstoßen. Dazu lag vor ihr der grüne Halm. Es war klar, das Schreckgespenst hatte die selbe Richtung eingeschlagen, wie Jim und war auf dem Weg ins Gebäudeinnere. Ja, vermutlich... vermutlich war die Gestalt Jim gefolgt oder hatte ihn gesucht. Als sie bemerkt hatte, wie er ins Biolabor ging, machte sie wieder kehrt, um Bericht zu erstatten und rannte dabei eilig durch diese Tür. So oder ähnlich ergab es einen Sinn.

Jim richtete sein Augenmerk auf das Ende des Ganges. Eine scharlachrote Tür stach ihm entgegen. Die Aufschrift lies ihn einen Moment erzittern: "Testbiotop - Zuständigkeit: Kenjin".

Kenjin? Den Namen kannte er. War das nicht eines der Elite-Mitglieder? Dies war also ihr Zuständigkeitsbereich. Doch wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass die Abteilungsleiterin persönlich nachts gegen vier Uhr  durch die Gänge ihres Biolabors rannte? Jim beruhigte sich und lachte kurz auf. Nicht sehr hoch.

Diese Tür war wider Erwarten abgeschlossen. Allerdings war es ein einfaches Schloss, kein elektronisch versiegeltes. Jim lies zwei Kugeln aus dem Lauf seiner Pistole entweichen und schoss es einfach kaputt, dann trat er die schwere Tür mit einem kräftigen Tritt auf. Eine Wand aus heißer Luft peitschte ihm entgegen. Hier drin gab es eine spärliche Beleuchtung, was ihn dazu verleitete, die Brille einen Moment nach oben zu schieben und die wirkliche Stärke seiner Augen zu nutzen.

Alles war in ein exotisches Blau getaucht und passte zu den erst leisen, jetzt immer lauter werdenden Tiergeräuschen. Die Luft wurde auch immer heißer, sodass Jim gezwungen wurde, schwerer zu atmen. In diesen Biotopen befanden sich wohl die unterschiedlichsten Tier- und Pflanzenarten. Das war jedoch nicht Jims Problem, so schoss er wieder einige Fotos und setzte seinen Weg zügig fort. Es war bald fünf. Dann würde die Sonne bald aufgehen und in wenigen Stunden begann hier wieder jemand zu arbeiten.

Eine letzte Tür - so hoffte Jim. Er öffnete sie, da sie wiedereinmal nicht verschlossen war. Vermutlich hatte man gezielt einige Pforten offen gelassen, damit er auf einen bestimmten Weg geführt wurde oder damit der Person vor ihm der Zugang zu bestimmten Bereichen einfach erleichtert wurde, und nicht ständig Sicherheitsbestimmungen respektiert werden mussten. Das leise Knarren der Tür echote an den hohen Wänden des Raumes wieder. Das war mal ganz etwas anderes, staunte Jim nicht schlecht, als der die Halle betrat, die an ein geräumiges Lagerhaus erinnerte. Ein Stahlgeländer in mehreren Metern Höhe führte rund um die Wände des Raumes, eine Treppe in der Nähe zeigte den Weg hinunter auf den Boden, der dem blonden Agenten am bizarrsten erschien. Selbstverständlich hatte er so was schon außerhalb gesehen, in freier Natur und auch die Biolabors oder die Biotope hatten ihn nicht halb so verwirrt wie das hier. Aber warum in aller Welt hatte AnF ein riesiges Maisfeld im Keller?!



***




Tran Loc hatte seine Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und die Hände so gefaltet, dass er sein Kinn darauf abstützen konnte. Gebannt starrte er auf den Bildschirm. Bisher war alles gut gelaufen, er war wie geplant dem Weg durch die Biolabors gefolgt und nun hatte er eben die große Lagerhalle betreten.

Die Tür zum Arbeitszimmer des Administrators öffnete sich und dieser erhob sich aus seiner gedankenverlorenen Position, um sich umzudrehen. Da niemand dort war, nahm er an, dass der Windzug durch die Gänge rauschte und die nicht ganz verschlossene Tür zu seiner finsteren Behausung aufgeweht hatte. Sicher hatte wieder jemand aus seiner Abteilung ein Fenster aufgelassen, was noch lästiger war als die Tatsache, dass sich kaum einer um das Schließen der Türen kümmerte.

Nguyen justierte einige Einstellung seiner Nano-Insekten-Kamera, die Jim auf Schritt und Tritt in die verschiedensten Ecken des AnF-Hauptquartiers folgen konnte und zoomte näher an das Gesicht des jungen, blonden Mannes heran. Mit einer gewissen Befriedigung blickte er in Jims ernstes Gesicht, dass sowohl beunruhigt als auch verwirrt schien. Gleich würde er eine Überraschung erleben...

"Sieht nervös aus, was meinst du?"

Das Computergenie fuhr mit einem Schock, der ihm durch Mark und Bein fuhr, von seinem Platz hoch, und stieß einen lauten Schrei aus, während er seinen Kaffeepot umriss und über die Schreibtischoberfläche verteilte. Sofort legte sich der Schreck wieder, da er die Stimme zuordnen konnte, die ihn eben so erschrocken hatte. Zornig fuhr er herum und blickte auf einen schmalen, "in der Luft schwebenden" Hautschlitz, besser auf die Mundpartie der Person, die grinsend vor ihm stand.

"Lone! Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst dich bemerkbar machen, bevor du reinkommst!!"

"Hab ich doch. Hast du die Tür nicht gehört?", grinste der Ninja selbstgefällig und zog seine Gesichtsmaske gänzlich herunter, damit man wenigstens seinen Kopf sah.

"Ich meine, du sollst etwas sagen, wenn du... ach, vergiss es einfach. Was suchst du überhaupt hier?"

"Nun...", begann der Shinobi und trat neben Tran Loc, der seinen Schreibtisch abwischte, "ich war unterwegs. Man hat mir eine Information zukommen lassen, die ich eigenhändig überprüfen musste. Deswegen war ich die ganze Nacht nicht da."

"Aha. Ich dachte, Jumpdevil hatte dir verboten, größere Aufträge zu erledigen?"

Der Jonin schmunzelte.

"Mag sein, aber sie hat mir keinen Hausarrest erteilt. Und was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, wie man so schön sagt. Jedenfalls", fuhr er fort und richtete sein Augenmerk wieder auf den Bildschirm.

"Ich habe herausgefunden, dass man einen Anschlag auf uns plant. Und zwar kommt der Auftrag von der Regierung aus einem der östlichen Länder. Das Projekt nennt sich 'New World Order' und wird von einer männlichen Person ausgeführt, die hier infiltrieren und die Führungsoffiziere ausschalten soll."

Nguyen hatte sich inzwischen wieder schwarzen Kaffee aus seinem zimmereigenen Automaten nachgefüllt und nippte mit einem überlegen-coolen Gesichtsausdruck an der Tasse.

"Tja... wie du sehen kannst, wir haben die Info schon wesentlich eher erhalten als du. New World Order ist schon in da house."

"Hm!", stutzte Lone und machte ein abfälliges Geräusch.

"Das hat man davon, wenn man die Informationsbeschaffung Amateuren überlässt. Wenn ich mich selbst drum gekümmert hätte, hätten wir Bescheid gewusst, lange bevor die überhaupt mit der Ausbildung ihres Superhelden angefangen haben. Jetzt haben wir den Salat."

"Nun mal keine Panik, Lone."

NTL drehte sich zu dem Spion um und lächelte süffisant.

"Du glaubst doch nicht, dass er eine echte Gefahr für uns ist? Schau dir lieber an, was gleich passiert... jetzt wird es interessant!"

Die Zuschauer beugten sich vor, denn Jim hatte sich in Bewegung gesetzt. Er trat auf die ersten Treppenstufen und ging hinunter...


***



Jim setzte seinen Stiefel mit einem Klacken auf den betonierten Fußboden, von dem nicht allzu viel vorhanden war, denn der Großteil der Halle wurde von dem Feld bedeckt, dem er sich nun näherte.

"Wozu braucht AnF so etwas? Gut, sie sind ein globaler Konzern. Beschäftigen sich unter anderem mit Gentechnologie. Ob die Genmais züchten, für die Landwirtschaft? Nein. Das ist keine einfache Plantage.", stellt Jim nach seinen Überlegungen fest, denn am Rande des Ackers hatte er etwas entdeckt. Eine Schreibtischkombination und ein Stuhl. Wer zur Hölle benötigte einen Schreibtisch in einem Maisfeld?! Das Ganze wurde immer verrückter.

"Wer immer hier unten arbeitet... ist ein Freak."

"Kchrchrch."

Jim sprang zur Seite, sein Blick verfinsterte sich. Niemand zu sehen, aber was er da gerade gehört hatte, ganz gleich ob menschlichen oder tierischen Ursprungs... war eindeutig ein Kichern gewesen. Ein fieses, krankes, böses Kichern.

"Wer ist da?! Komm raus! Los!!", forderte der Agent und zückte seine Waffe, mit der er systematisch den Raum abzusuchen begann. Sehr hell war es hier drinnen auch nicht. Jim verfluchte sich, seine Brille nicht wieder aufgesetzt zu haben. Er könnte es riskieren und sie sich einfach wieder ins Gesicht ziehen, doch wer wusste schon, ob das nicht genau die Gelegenheit für...was immer hier hauste.... war, um ihn anzugreifen. Jim unterlies es und konzentrierte sich ganz auf das Feld, in welchem er nun raschelnde Geräusche vernahm.

Die Laute kamen näher. Und näher... und näher. Schließlich konnte er sehen, wie sich etwas durch die Halme bewegte... nur ein Schatten, der zwischen den einzelnen Maiskolben umherhuschte, sich ihm zick-zackförmig näherte.

"Hmmmhmmmm.....mhhh.....wuuuuhhhh...mwuuuuhhhuuuhhh...."

"Was soll das?! Wer bist du? Komm endlich raus!", verlangte der blonde Agent erneut und entschloss sich, etwas Abstand zum Saum des Ackers zu bekommen, denn die seltsame Stimme, welche zuvor so diabolisch gekichert hatte, erklang erneut und gab nun eigenartige Summ- und Heullaute von sich. Jim erwies sich als scharfsinnig genug um anhand der Tonlage die Stimme als eindeutig weiblich zu identifizieren. Obwohl die Geräusche, die von ihr verursacht wurden, verspielt und kindisch klangen, war sie dennoch einer Erwachsenen zuzuordnen.

"Kuckuck!!"

Der Silhouette hörte auf sich zu bewegen und tauchte nun blitzschnell aus dem hochgewachsenen Mais auf. Jim feuerte einfach einen Schuss ab, da er es vorzog, jedwedes Risiko sofort zu eliminieren und eventuelle Fragen lieber auf später zu verschieben. Das Projektil durchschlug mühelos den Kopf der Gestalt, doch diese dachte nicht einmal daran, tot umzufallen. Jetzt erkannte Jim auch, um was es sich handelte.

"Ei...eine Vogelscheuche?!"

Er hatte soeben eine Strohpuppe erschossen. Es sah nicht nur so aus, wie eine Figur aus getrockneten Halmen, gekleidet in Lumpen, es war auch eine. Wie konnte sich ein lebloser Gegenstand durch ein Feld bewegen und dämliche Geräusche von sich geben? Was wurde hier gespielt?!

"Hyaaah!!"

Etwas hartes traf Jim in den Rücken und schleuderte ihn mehrere Meter nach vorne, sodass er durch mehrere der hochgewachsenen Grünpflanzen schoss und sich auf dem harten Erdboden wiederfand. Er registrierte, dass er sogar ziemlich hart getroffen worden war, denn er spürte den Schmerz in seinem Kreuz brennen. Außerdem hörte er es in seinem Rucksack rasseln, was darauf schließen lies, dass mehrere seiner Ausrüstungsgegenstände kaputt oder beschädigt hatten, weil sie die meiste Wucht des Hiebes abgefangen hatten. Fest stand nun aber, dass noch jemand im Raum war. Und das war keine Strohfigur.

Jim zog Kujo aus der Scheide und lies es ziellos von unten nach oben rauschen, in der Hoffnung etwas in seiner Nähe zu treffen, weil er durch den Mais nichts sehen konnte. Erst dann erhob er sich vorsichtig. Neben ihm baumelte noch die Vogelscheuche mit dem Kopfschuss an einem Kreuz, doch direkt ihm gegenüber, einige Meter vor ihm am Rand des Feldsaumes stand eine Person. Aus Fleisch und Blut.

Sie trug einen langen, schwarzen Patchwork-Mantel, der mit farbigen Flicken besetzt war. Zudem hatte sie einen großen Strohzylinder auf, unter dessen Krempe Strähnen ihres orange-roten Haares hervorlugten und ihr schönes, weißgeschminktes Gesicht einrahmten. Die Augen waren schwarz geschminkt, ebenso wie die Lippen, denen sogar Nähte nachempfunden waren, welche nach oben und nach unten verliefen. Obgleich es sich um einen Menschen handelte, sie sah fast nicht anders aus, als das Gestell, welches neben Jim an dem Kreuz baumelte.

"Zum letzten Mal, wer bist du?", lies Jim verlauten und fixierte die Person, während er die Pistole auf sie richtete.

"Es ist unhöflich, in anderer Leute Wohnung einzudringen. Außerdem stellt sich der Gast zuerst vor.", lies die junge Frau keck verlauten und lächelte mit ihrem gruselig geschminkten Mund.


"Mein Name ist unwichtig, ebenso, warum ich hier bin. Ich habe nur den Auftrag dich umzulegen!", rief Jim und betätigte ohne zu zögern den Abzug seiner Schusswaffe. Ein metallenes Geräusch signalisierte ihm, dass die Kugel ihr Ziel nicht gefunden hatte.

"Wie dem auch sei, mein Name ist Kenjin. Und wenn hier jemand tötet, dann ich!"

Nun wurde Jim klar, was ihn vorhin so hart getroffen hatte und wie es Kenjin gelungen war, den tödlichen Schuss abzufangen. Die junge Frau wirbelte eine riesige Sense vor sich her, die sie sogleich schulterte und damit auf ihn zustürmte.

Jim riss abermals die Waffe hoch und betätigte den Abzug. Mit der vernichtenden Entgültigkeit eines leeren Magazins erklang ein leises Klacken und der blonde Agent fluchte innerlich, dass er die verbrauchten Schüsse nicht mitgezählt hatte. Kenjin war im nächsten Augenblick bei ihm angelangt und schwang ihr Mordwerkzeug begleitet von einem heulenden Luftzug über Jims Kopf hinweg, der sich eben noch hatte zur Seite hechten können.

"Kchrchrch.", kicherte sie amüsiert. Scheinbar machte ihr dieses Spiel Spaß. Doch Jim war nicht zu Späßen aufgelegt.

"Du spielst wohl gerne?"

"Ja... ich hatte lang nicht mehr so viel Spaß.", gestand sie mit ihrer markanten, fast verführerischen Stimme und funkelte Jim aus ihren smaragdgrünen Augen an.

"Ich aber nicht."

"Macht nichts, es wird trotzdem lustig."

"Den Spaß verderb' ich dir.", grollte Jim, dann lies er seine Hand wieder an Kujos Griff gleiten, welches er vorhin wieder eingesteckt hatte. Er zog die Waffe und stürmte Kenjin entgegen. Ein hitziger Zweikampf entbrannte. Jim stach nach ihrem Oberkörper, doch sie wich trotz der hinderlichen Halme geschickt zur Seite aus, fast so, als machten die Gewächse ihren Schritten Platz und behinderten Jim dafür um so mehr.

Jim führte Kujo zur Seite und lies es gegen Kenjins Sense krachen, doch das große Schneidblatt der Waffe schien den Stahl des Katanas förmlich anzusaugen, denn ganz gleich, wohin Jim zielte, Kujo wich kurz vor seinem Ziel immer um wenige Zentimeter in Richtung der Sense ab.

Der blonde Söldner trennte sich von Kenjin, die ihn mit fieberhafter Erwartung ansah. Endlich war jemand gekommen, mit dem sie so richtig Spaß haben konnte! Dieser Kerl, wer immer er war, er gefiel ihr. Sie mochte seine Art zu kämpfen, sich zu bewegen und seinen eisernen Willen, diese Mission zu beenden. Schade war nur, dass sie seinen Willen würde brechen müssen. Und seine Knochen.

"Warum kann ich sie nicht treffen..." Jim hatte einen Verdacht. Wenn es stimmte, würde gleich das selbe mit seiner Pistole passieren, wie mit Kujo. Da die Waffe ohnehin leer war, schleuderte der Agent sie in Kenjins Richtung, welche einfach wieder schützend ihre Sense vor sich hielt. Mit einem metallenen Geräusch prallte die kleinkalibrige Pistole dagegen und blieb am Schneidblatt haften. Wie eine Frucht pflückte Kenjin sie herunter und warf sie achtlos beiseite.

"Eine Pistole ist zum Schießen da. Nicht zum Werfen."

"Ich wusste es... das ist keine normale Sense."

Bestätigend schloss sie die Augen und grinste.

"Du hast also den Trick dahinter durchschaut."

"Ja... sie ist nicht mal aus Stahl. Das ist Gestein. Magnetgestein! Deswegen konnte ich dich nicht treffen!"

"Ganz genau. Doch das spielt keine Rolle. Du gewinnst sowieso nicht gegen mich."

"Und warum nicht...?", hakte Jim provokant nach.

Dieses Wortgefecht war mindestens ebenso interessant wie dieser Kampf. Die Art wie Kenjin kämpfte, hatte seinen Kampfgeist geweckt. Überdies vergas er selbstverständlich nicht seine Mission aber dieses Duell zu führen war schon fast wieder etwas persönliches.

"Weil diese Sense hier...", sie tippte gegen die ungewöhnlich geformte Waffe, "... nicht meine einzige Waffe ist!"




***



"Endlich gehört er mir. Damit ist ein Anfang getan."

Ein zufriedenes, erleichtertes Lächeln spielte auf dem Gesicht der jungen Frau, welche sich ihr dunkelrotes Regencape tiefer ins Gesicht zog, während sie entlang der abgesperrten Baustelle lief. Der Geosektor. Ein gewaltiges Stück Erde, auf die Dimensionen einer einzelnen Person bezogen, soviel verstand sich von selbst. Was Jumpdevil an diesem Stück brachliegenden Drecks so reizte, waren die Möglichkeiten, die sie mit etwas Geldaufwand aus einem solchen Areal schöpfen konnte. Aber für das entsprechende Kapital würde ihr Teilhaber Nguyen Tran Loc schon sorgen. Dann konnte sie beginnen.

Ja, sie würde sich eine Welt nach ihren Vorstellungen schaffen. Eine Welt in der all das Elend, der Dreck, die Verbrechen, sinnlose Gewalt und Qualität aufhören würden zu existieren. Eine Welt, die der Menschheit die Augen öffnen würde. Ein Paradies auf Erden. Das wäre schön. Doch bis es soweit war, lag noch ein beschwerlicher Weg vor ihr. Ein Weg, der leider auch seine Opfer fordern würde. Doch wo gehobelt wird, da fallen Späne, so lautete doch das Sprichwort.

Sie begann sich wieder auf wichtigere Dinge zu konzentrieren und wandte sich von der Baustelle ab. Der Regen prasselte unentwegt weiter auf die schlammige Erde, durch die sie davon stapfte. Das Schicksal wollte es wohl so, dass ihre Füße den Halt auf dem nassen Boden verloren. Jumpdevil stürzte. Sie wollte sich wieder aufrichten, doch sie konnte es nicht. Es schien ihr, als wäre all ihre Kraft aus ihrem Leib gewichen. Schwächelnd richtete sie ihren Kopf auf. Sie kam sich schwach und klein vor, wie ein Kind.

"Hilfe...kann mir jemand aufhelfen...? Bitte!"

Die bleierne Schwäche zog an ihren Gliedern und verhinderte, dass sie sich rühren konnte. Doch ihr Gehör verriet ihr, dass sich jemand näherte. Ein schwarzer Stiefel stapfte vor ihrem Gesicht in den schlammigen Grund. Sie versuchte auszusehen, doch ihr Blick war schummrig, vom Dreck verschwommen. Noch bevor sie etwas sagen konnte, packten zwei starke Hände ihren Leib und stellten die junge Frau wieder auf die Beine... statt sich zu bedanken, wanderten Jumpdevils Blicke über ihren Körper. Sie steckte in der Hülle eines kleinen Kindes, die zu ihrem Retter aufsehen musste. Doch da war kein Retter mehr. Erschrocken blickte das Mädchen in zwei giftgelbe, reptilienförmige Schlitzaugen, das einzige, was unter der schwarzen Vermummung des Fremden sichtbar wurde.

"W...wer sind sie?", rief sie angsterfüllt und versuchte sich loszureißen, nicht etwa von seinen Händen, nein, von einer unsichtbaren Macht, die sie gefangen hielt, die ihr jede Bewegung verweigerte und sie erstarrt stehen blieben lies, damit sie erduldete, was nun geschah.

Der Fremde schwieg zunächst. Doch dann begann er zu sprechen.

"Diese Welt..."

"Was?!"

"Die gibt es nicht."

Ohne eine weitere Erklärung griff der Mann zur Seite, an den Halfter, wo er ein Schwert aus seiner Scheide zog. Die Klinge war schwarz und erfüllt das kleine Mädchen mit Schauern der Angst.

"Diese Welt, die du dir wünschst, mein Kind... die gibt es nicht."

Dann stieß er die Mordwaffe ohne ein weiteres Wort in den kindlichen Leib, der blutüberströmt zusammenbrach. In den letzten Zügen liegend, hob Jumpdevil ihren Blick, der sich ein allerletztes Mal klarte. Die Fratze eines schuppigen Reptils, welches seine gewaltigen, furchteinflößenden Reißzähne bleckte war alles, bevor sie in die entgültige Umnachtung versank...


"Iiiyyaaaahhh!"

Mit einem gellenden Schrei fuhr Jumpdevil aus dem Bett hoch. Sie atmete schwer, Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihre Kleidung war feucht und verklebt. Panik umklammerte einen Moment ihr Herz, bis ihr klar wurde, was vor sich gegangen war - ein Alptraum.

"Nein... mehr als das.", stellte sie für sich fest und obwohl sie langsam wieder Klarheit in ihrem Kopf verspürte, beunruhigten sie diese Bilder zutiefst. Sie würde nicht wieder einschlafen können. Hastig stellte sie ihre Beine aus dem Bett und schlüpfte in eine bequeme, schwarze Hose und streifte sich anschließend ein dunkelbraunes T-Shirt über.

"Das war eine Vision.", meinte sie entschlossen, schlüpfte in ein paar feste Schuhe und trat dann aus ihrem Quartier. Immer mehr war sie besessen von der Theorie, dass hier etwas vor sich ging. Etwas, was ganz und gar nicht gut war. Und sie spürte, dass es außer Kontrolle geraten würde...


***



Jim presst seine Zähne aufeinander, sodass die Wangenknochen unter dem Fleisch hervortraten, während er mit einem Knie in die Hocke ging, um sich unter den nächsten Schwinger der Sense zu bücken. Er riss Kujo und inzwischen auch Gouka nach oben und massives Gestein prallte krachend auf harten Stahl. Obwohl er mit zwei Schwertern und absolutem Druck dagegenhielt, konnte er der Wucht dieser riesigen Waffe kaum etwas entgegensetzen. Er kam sich vor, als kämpfte er mit Zahnstochern.

*Das ist nicht nur ihre normale Körperkraft... diese Sense wiegt mehr als dreißig Kilo... was immer sie ist, irgendetwas anderes treibt sie noch an... emotionale Energie... das ist Wut!*

Jim rollte sich zur Seite weg und hechtete flach in einen noch unberührten, nicht verwüsteten Teil des Maisfeldes. Eilige Schritte überzeugten ihn davon, dass Kenjin ihm sofort wieder auf den Fersen war. Perfekt!

Wie schon einmal zuvor lies er Kujo blind von unten nach oben zwischen den Pflanzen hervorschießen. Die Vogelscheue wich ohne große Müh mit einem knappen Schritt nach hinten aus. Augenblicklich holte sie wieder mit ihrer Waffe aus, um zuzuschlagen.

Vorhin hatte sie davon gesprochen, dass die Sense nicht ihre einzige Option war, doch allem Anschein nach handelte es sich dabei um einen simplen Bluff. Bisher hatte sie sich nur auf das schwere Werkzeug verlassen und dabei noch nicht einmal sonderliche kämpferische Kreativität an den Tag gelegt.

"Du machst es mir zu einfach!", schrie Jim und sprang mit aller Kraft nach vorne. Kenjin sah ziemlich überrascht aus, mit einem solchen Blitzangriff hatte sie nicht gerechnet. Noch bevor sie ihre Waffe ins Ziel bringen konnte, durchbohrte Gouka ihre Brust und spießte sie regelrecht auf.

"Das war's dann wohl.", entgegnete Jim ernst und blickte in ihre erschrockenen, weit aufgerissenen Augen. Sie hatte sich aufgespielt doch nun hatte Kenjin das Glück verlassen. Irgendwie widerstrebte es Jim, eine Frau zu töten aber dafür war es nun zu spät. Er würde ihre Leiche gleich hier in die Erde...

"Wie, das war's dann wohl?!"

Jim erschrak, als Kenjin ihre Waffe in den Boden rammte und blitzschnell seine Hand packte, die noch immer am Griff von Gouka war. Mit erstaunlicher Zähigkeit und härter als man es einer Frau zugetraut hätte, hielt sie ihn fest und setzte ein grimmiges Gesicht auf, welches von ihrer theatralischen Schminke noch unterstrichen wurde.

"Da kennen wir uns kaum eine halbe Stunde und schon fällst du mir in den Ausschnitt! Ich hasse solche Typen!!"

Dann zog sie ein Bein hoch und trat dem Söldner kräftig in den Bauch. Jim wurde fortgeschleudert und überschlug sich mehrmals, bevor er sich inmitten umgeknickter Pflanzen wiederfand. Kenjin hatte inzwischen wieder ihre Sense geschultert und rannte ihrem Opfer hinterher. Verbittert lies sie die Waffe zweimal über ihrem Kopf rotieren, bevor sie sie dort in den Boden rammte, wo Jim sich eben noch befunden hatte. Glücklicherweise hatte er sich zur Seite rollen können und war woanders wieder auf die Beine gekommen. Bevor er Gouka und Kujo wieder kampfbereit hatte, hielt ihn etwas fest. Es war nicht Kenjin!

"Was zum... Henker?!"

Zwei der vielen Strohpuppen, die als Attrappen hier überall auf dem Feld verteilt waren, klammerten sich fast wie lebendige Wesen um den Körper des blonden Agenten, schlangen ihre frei beweglichen Glieder um seine Arme und Beine und hinderten ihn so effektiv am Fortkommen.

"Wie geht das?!"

Kenjin hatte indes eine Hand von ihrer Lieblingswaffe genommen, die immer noch im Boden steckte und dirigierte nun mit der freien Hand in der Luft, wobei sie ihre Finger wie ein Puppenspieler bewegte.

"Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht nur eine Waffe habe! Und dass ich gerne spiele, auch! Also komm, mein kleines Spielzeug! Tanze für mich!"

Sie machte eine Handbewegung und die Umklammerung einer der Puppen zwang Jim, seine Arme zur Seite zu strecken. So sehr er sich auch dagegen wehrte, irgendetwas zerrte an ihm, was weit stärker war als die Kraft eines leblosen Strohobjekts.

Die Vogelscheuche, wie Kenjin auch genannt wurde, führte ihr angefangenes Werk nun zu Ende, packte mit der verbleibenden Hand ihre Sense fester und zog deren Klinge wie einen Pflug durch den Erdboden, währen sie auf Jim zusteuerte.

"Du warst eine böse Puppe! Ich werde dich bestrafen!"

"Oh, verdammt! Uuuurrrghhh...."

Jim bereitete sich darauf vor, gleich filetiert zu werden oder zumindest einen herben Treffer einzustecken, der sehr sehr schmerzhaft werden würde. Dennoch war er nicht bereit, so nichtstuend abzutreten. Mit aller Kraft rüttelte und zerrte er an dieser unsichtbaren Beschränkung, die ihn festhielt und schaffte es auch, einige Zentimeter zurückzuweichen, als Kenjin zuschlug. Sie zeichnete einen sauberen Strich von unten nach oben über Jims Brust und schnitt neben seiner Bekleidung und seiner Haut auch noch die Gurte seines Rucksacks auf, welcher zu Boden fiel.

"Aaaaaarrrgh!", schrie er auf, während eine beträchtliche Menge roten Blutes aus der tiefen Wunde spritzte und ihm nicht nur auf Oberkörper, Arme und Hände sondern auch ins Gesicht klatschte. Seine Widersacherin schien mit dem Ergebnis weniger zufrieden und improvisierte zugleich einen Alternativangriff. Sie führte ihren Streich weiter nach oben, wirbelte die Sense einmal über ihrem Kopf herum und vollführte eine halbe Körperdrehung. Ehe Jim sich von seinem Treffer erholt hatte und wieder bei der Sache war, donnerte sie ihm den stählernen Knauf am Ende des Sensenstiels mitten ins Gesicht. Jims Gehirn wurde einen Moment erschüttert, jedoch spät genug, um noch zu merken, dass seine Füße wieder den Bodenkontakt verloren hatten. Zudem sah er aus dem Augenwinkel einen Backenzahn davonfliegen und das Blut, welches aus seiner aufgeplatzten Lippe spritzte.

Kenjin hielt inzwischen inne, weil sie überzeugt war, dass dieser Schlag ihm wohl den Rest gegeben hatte. Sie beobachtete nur noch, wie Jim auf dem Boden aufschlug und hinter einigen hohen Halmen verschwand.

"Drei, zwei, eins und du bist raus.", kicherte sie nur zufrieden und schritt dann langsam in Richtung von Jims Leiche. Es wirkte fast wie Magie, wie die Maispflanzen sich dabei zur Seite bogen und eine Schneise für sie formten, die sich hinter ihr wieder zu schließen begann.

Nun stand sie vor ihm und blickte zufrieden in sein aufgeplatztes, blutendes Gesicht. Seine Augen waren offen, jedoch soweit nach oben gerollt, dass lediglich das Weiß in ihnen sichtbar war. Zudem stand sein Mund weit offen, aus dem ebenfalls Blut strömte, wenn auch lang nicht so viel, wie aus der Wunde an seiner Brust.

"Das passiert mit Leuten, die ungebeten hier herunterkommen. Ich hatte dich gewarnt!", verkündete sie, obwohl es dieser widerliche Wurm zu ihren Füßen eh nicht mehr hören konnte. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und schlurfte in Richtung des Schreibtisches. Irgendwie hatte ihr das Spaß gemacht. Es war langweilig hier unten. Zwar bevorzugte sie es, allein zu sein, doch in letzter Zeit hatte man sie nur im Stich gelassen, kaum beachtet. Sie kam sich überhaupt nicht mehr wie ein Elitemitglied vor. Bei allen Missionen hatte man sie außer Acht gelassen. Dabei hatte sie eben bewiesen, dass sie eines der tödlichsten Mitglieder von AnF war. Dennoch scherte sich niemand darum, was sie dachte oder fühlte. Alle sahen sie nur mit komischen Augen an, fürchteten sich vor ihr. Sie war ja nur das gruslige Ding im Keller!

"Ich hatte dich auch gewarnt!"

"Was?!", schrie sie überrascht, als Jims Stimme sie aus ihren verzweifelten Gedankengängen riss. Noch ehe sie sich vollständig umgedreht hatte, steckten Gouka und Kujo zwischen ihren beiden Schultern. Jim war wieder hochgekommen und hatte die Waffen geworfen, welche Kenjin nun mit ihrer Wucht zu Boden rissen. Jim hatte allerdings nicht gezögert sondern war gleich hinterhergesprungen und warf sich nun auf Kenjin. Die Vogelscheuche lag am Boden, Jim stellte seinen schweren Stiefel auf ihren Bauch und rammte die Schwerter tiefer durch ihre Schulterblätter, sodass der Flicken-Pierrot am Boden festgenagelt wurde.

"Du...du Schwein!", schrie sie zornig und zappelte hin und her, doch es half nichts. Jim hatte jetzt die Kontrolle. Er war noch angeschlagen, hielt sich seine Brustverletzung und sah auch im Gesicht recht mitgenommen aus, doch es reichte, um ihr den Garaus zu machen.

"Was muss ich noch machen, damit du krepierst?!", schnaufte er zornig. Augenringe von der Erschöpfung und dem Blutverlust bildeten sich unter seinen Augen, was dem blassen Gesicht einen gespenstischen Eindruck verlieh, der fast an Kenjin's herankam.

"Du bist kein Tier aber auch kein Mensch. Also gebe ich dir einen passenden Namen...'Monster'!"

Kenjin knirschte mit den Zähnen, so eine Bezeichnung schmerzte mehr als ein Schlag ins Gesicht. Niemand verstand sie! Für alle anderen war sie immer nur ein Versuchsobjekt gewesen, ein Monster, ein Ding, dass nicht menschlich war. Die Leute von AnF waren die ersten gewesen, die sie aufgenommen und akzeptiert hatten, wie sie war. Zumindest am Anfang... doch inzwischen waren sie nicht anders als dieser blonde Kerl. Sie hatten sie vergessen. Hier unten im Stich gelassen. Sie fürchteten sie.

Jim lies die Wehrlose liegen und begab sich dann so zügig wie möglich zu seinem Rucksack, der noch weiter hinten lag und schnürte die durchtrennten Gurte provisorisch zusammen. Dann öffnete er das Behältnis, kramt ein Blutstillungsmittel hervor und eine Hand voll Wurfdolchen, die zu seiner Notausrüstung gehörten. Dann kehrte er zurück.

Mit einer triumphalen Pose stellte er seinen Fuß wieder auf ihren Bauch und fuhr damit hinauf bis zur Brust und hielt unter ihrem Kinn an.

"Was ist das für ein Gefühl, Monster?", fragte er, während er den Absatz fester auf sie presste.

"Ich bin kein Monster!!", spieh sie ihm entgegen, zum ersten Mal Angst verspürend.

"Und ob du das bist!! Du spielst doch gerne? Ok, spielen wir ein wenig... spielen wir... 'Die Rache des Jim'! Du wolltest mich zu Tode quälen... doch jetzt rächt sich der große böse Mann..."

Er machte eine kurze Pause und betrachtete einen der Dolche, die er in der Hand hielt.

"Ich wette, du spürst keinen Schmerz, nicht wahr? Man kann dich aufspießen aber du blutest und schreist nicht. Wenn du kein Monster bist, was bist du dann?!"

"Ich... ich..."

Jim warf den ersten Dolch hinunter und rammte ihn in ihren Arm. Sie rührte keine Miene. Der Hass in Jims Gesicht wurde noch größer.

"Was?! Sprich schon!!"

"Ich... ich bin Kenjin!!!", brüllte sie nun und für einen Moment fühlte Jim so etwas wie Reue in sich aufkeimen. Was tat er hier überhaupt?! Eine kleine Träne bildete sich in Kenjins Augenwinkel...sie würde weinen... nicht vor Schmerz, den Jim ihr mit Waffen zufügte... sondern den Schmerz den sie in ihrem Inneren empfand...sie... sie war doch ein Lebewesen! Mit Gefühlen und Gedanken, Träumen und Wünschen!

"Ich... w..was... mach ich... hier? Verdammt!!"

Jim zog den Fuß von Kenjins Oberkörper zurück und trat einen Schritt von ihr weg. Er hatte sich total ablenken lassen! Diese Wut, die in ihm gebrannt hatte, die hatte ihn förmlich aufgefressen.. Fast hätte er seinen Auftrag darüber aus den Augen verloren!

Mit einem Schrei, der Zorn, Wut, Trauer, Verzweiflung und Hass widerspiegelte, riss Kenjin sich los. Wutentbrannt fuhr sie aus dem Kornfeld hoch und schleuderte Jims Schwerter und den kleinen Dolch achtlos beiseite. Der blondhaarige Kämpfer musste sich nun auf ein weit größeres Problem einrichten. Kenjin war sicher kein Monster gewesen... doch so wütend wie sie jetzt war... hatte Jim sich wohl eines geschaffen.

"Du Bastard!!! Das bezahlst du mir!!!"



***



"U..unglaublich...!"

Tran Loc war versucht, an seinen Fingernägeln zu kauen, so nervös war er, doch er unterlies es, zu spannend war dieser Kampf verlaufen, als dass ihm hätte auch nur ein Sekundenbruchteil entgehen dürfen.

"Ja, unglaublich brutal...", stellte Lone Demon fast ein wenig wehleidig fest. Zwar bedeuteten ihm andere Menschen nicht sonderlich viel aber hier handelte es sich um Kenjin, eine Mitstreiterin und in gewissem Maß auch um eine gute Freundin von ihm. Wie dieser fremde Kerl bisher durchgehalten hatte... dieser Jim.... auch das war faszinierend. Doch vermutlich würde er nun dafür bezahlen, was er Kenjin angetan hatte.

"Ich schätze, jetzt wird es ernst. Glaube nicht, dass er das überlebt, aber falls doch, geh ich da runter und helfe Kenjin."

Nguyen drehte sich zu ihm um und nickte beipflichtend.

"Ja, du hast recht... nicht nur wegen dem Risiko für AnF... dieser Jim meint es ernst, der geht über Leichen. Wir dürfen Kenjins Leben nicht unnötig gefährden."

Die Tür wurde aufgerissen, doch die beiden Anwesenden waren nicht sonderlich darüber erschrocken, da das bereits gesehene noch viel aufregender war.

"Jumpdevil?!", wunderte sich der Administrator lediglich, als die junge Frau und Anführerin bei ihm eintrat, noch dazu in gänzlich ungewohnter Montur.

"NTL, ich muss dich sprechen. Es ist ernst!"

"Das kann ich mir vorstellen. Aber wenn du schon mal hier bist, solltest du dir vorher das ansehen."

Er deutete auf den Bildschirm und Jumpdevil starrte auf die dort präsentierte Handlung. Ein Schauer überkam sie, als sie den blondhaarigen Kämpfer betrachtete. Mehr aus einem Schutzreflex heraus umschlang sie ihre Brust mit den eigenen Armen und stolperte förmlich einen Schritt zurück.

"D..das ist er", flüsterte sie für sich, während Lone sie stütze. So aufgeregt hatte er sie selten gesehen.

"Jumpdevil! Was ist los?!"

"Darüber wollte ich mit dir sprechen!", meinte sie wieder ernst und riss sich zusammen.

"Ich hatte eben einen furchtbaren Traum.... vielmehr eine Vision. Was darin vorkam ist zu verwirrend, um es zu erklären. Fest steht aber, dass wir vor einer Bedrohung stehen, eine Gefahr für ganz AnF und seine Anhänger! Dieser Mann..."

"Ja, scheint, als wäre das die Inkarnation deiner Sorgen. Sein Name ist Jim. Er gehört zu einem Projekt namens New World Order und..."

Jumpdevil hob eine Hand und schnitt somit Lone Demon das Wort ab.

"Danke, Lone, doch das genügt. Details klären wir später. Zunächst einmal müsst ihr Kenjin unbedingt etwas mitteilen!"

"Und das wäre?", wollte Nguyen wissen, der sich seiner Tastatur zuwand und die Lautsprecheranlage aktivierte.

"Kenjin darf diesen Mann auf keinen Fall töten! Ich will ihn unter allen Umständen lebendig!"

"Wofür? Ich meine..."

"Ich kann's dir nicht erklären, Nguyen. Es ist ein Gefühl... aber ich spüre, dass wir ihn brauchen. Auch wenn er uns vernichten will... lasst ihn am Leben, bitte! Meine Intuition hat mich noch nie getrübt, vertraut mir einfach..."

"Moment!", mischte sich Lone ein und baute sich mit Unverständnis vor ihr auf.

"Du willst sagen, wir sollen Kenjins Leben und das der anderen Riskieren, nur weil du einen Traum hattest und glaubst, dieser Kerl könnte wichtig für dich sein?!"

"Wichtig für AnF, nicht nur für mich. Für uns alle!"

"Vergiss es, Jumpdevil! Mag sein, dass du Interesse an ihm hast und den anderen Mitgliedern deinen Willen aufzwingen kannst, ich jedoch habe nur Interesse an seinem Tod!"

"Warum, Lone Demon?! Warum willst du dich mir schon wieder entgegenstellen?! Weshalb hat dieser Mann den Tod verdient!? Er könnt ein wertvolles Mitglied für uns sein, wenn wir ihn erst einmal überzeugt haben!", wetterte Jumpdevil.

"Verdammt, Jumpdevil! Ich weiß mehr über diesen Mann als ihr alle zusammen! Und glaub mir, wenn ich sage, der ist nicht käuflich, ganz gleich was du tust!"

Wutschnaubend machte der Shinobi kehrt. Sein Gemüt beruhigte sich aber schnell wieder und seine routinierte Coolness gewann wieder die Oberhand, als er den Raum verlies.

"Wo willst du hin, Lone?", wollte Nguyen Tran Loc wissen.

"Ich gehe Yakuza wecken! Denn ich habe auch eine Vision gehabt und die sagt mir, wir brauchen ihn bald..."

***




Der Eliteagent hatte keine Sekunde verschwendet, war augenblicklich losgesprintet, um seine verlorenen Waffen wieder einzusammeln. Kenjin hatte ihn trotz der Raserei, die sie verspürte, nicht verfolgt. Sie hatte vermutlich etwas Großes vor. Jim positionierte sich, wo er seine Schwerter aufgehoben hatte und fixierte die bizarre Vogelscheuche, die mit ihren Vorbereitungen abgeschlossen hatte.

"Jetzt wirst du sterben... ich zeige dir meine wahre Macht!"

"Da bin ich aber gespannt..."

Der blonde Kämpfer fühlte sich wieder besser, das Heilmittel tat seine Wirkung und nun war er wieder in der Lage, Kenjins furchtbarer Stärke entgegenzutreten. Was hatte diese lebendige Trickkiste noch alles auf Lager?!

Das Knacken eines Lautsprechers unterbrach die Szenerie, lies Kenjin jedoch trotz des Befehles nicht von ihrem Gegner wegsehen.

"Hier spricht Elite-Mitglied Nguyen Tran Loc! Kenjin, eine Order von Jumpdevil! Besiege Jim aber lass' ihn am Leben! Hörst du, er muss unbedingt am Leben bleiben!!"

Die Vogelscheuche knirschte kaum hörbar mit den Zähnen, verzog dann ihre schön bemalten Lippen zu einem Grinsen.

"Kchrchrch... na gut. Du hast es gehört. Ich lasse dich also am Leben. Aber ich werde dir Schmerzen bereiten, die du dein Lebtag nicht vergessen wirst!!"

Jim, der die Drohung zwar vernommen hatte, sorgte sich nun um ganz etwas anderes. Nun wusste er also schon die Namen von zwei weiteren Führungsoffizieren. Aber denen konnte er sich auch noch später widmen.

"Soso.. also wusstet ihr, dass ich hier bin... und ihr wusstet auch meinen Namen..."

"Ja... ich bin es gewesen, der dir hier durch die Labors gefolgt ist. Das ist mein Reich und keiner dringt hier ungefragt ein!"

"Mir ist es aber gelungen, ein Punkt für mich..."

"Du wirst scheitern."

Jim zog ein schiefes Grinsen.

"Wie du meinst. Fang endlich an, Kenjin!"

Der Agent zückte seine Schwerter und katapultierte sich mit einem Sprung in Kenjins Richtung. Die junge Frau packte ihre wuchtige Waffe und lies sie über ihrem Kopf rotieren.

"Wie lieblos! Das hatten wir schon!"

Sicher war Kenjin stark und hatte dank ihrer besonderen Körpereigenschaften das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, doch bei Jim hatte sie längst verspielt. Er kannte ihre Tricks und taktisch gesehen war sie eine Null. Ihre Art zu Kämpfen besaß zu viel Routine und war leicht zu durchschauen. Was immer sie für eine Spezialtechnik plante, Jim würde sie überwinden, wenn er an sie herankam. Wenn er...

Instinktiv bremste Jim, denn etwas war anders. Kenjins Blick war stechend, sie grinste fast schon irre, schien absolut überzeugt vom Gelingen ihres Angriffes. Und tatsächlich... die Ohren des Agenten erfassten ein sirrendes Geräusch, dass sich ihm blitzschnell näherte. In letzter Sekunde stoppte Jim fünf Meter vor Kenjin und riss seinen Kopf nach hinten, als etwas vor ihm aufblitzte.

Einen Sekundenbruchteil später, klaffte ein schmaler aber tiefer Riss in Jims Gesicht, der von den Wangen über die Nase verlief. Stöhnend presst er eine Hand auf die schmerzende Wunde, aus der Blut floss.

"Das ist mein Bannkreis, hier kommt keiner rein!", triumphierte Kenjin.

"Wie hast du..? Mit Angelsehne?!"

Sie grinste zustimmend.

"Fast. Ein extrem dünner und kaum sichtbarer aber starker Draht, eine Faser die AnF entworfen hat. Mir ihr steuere ich meine Puppen und verwende sie für meine Kaiten-Kama-Technik Rotations-Sichel-Technik!"

Jim gab sich durchaus beeindruckt, da er im Augenblick keinen rechten Einfall hatte, wie er der Reichweite dieser Attacke entgegenwirken konnte.

"Hm...nicht übel... aber ein Kämpfer sollte seinem Gegner nicht zu oft verraten, was er alles in Petto hat, nicht wahr?"

Damit ging er wieder in Position und ignorierte die frische Verletzung an seiner Nase. Allerdings musste er aufpassen. Dieser Draht war stabil und schwer aber so dünn, dass man ihn kaum sehen konnte. Kein Wunder, dass sie ihn damit hatte einfach festhalten können. Zudem konnte sie die Fliehkraft der Sense nutzen um ihm problemlos ein Körperteil abzutrennen...

*Wie komme ich in ihre Reichweite?!*

Ein kurzer Moment der Überlegung, dann hatte Jim einen Plan geschmiedet. Er betete, dass er funktionierte, sonst würde er seinen Kopf verlieren...

"Hyaaaaahhhh!!"

Mit einem Kampfschrei stürzte er nach vorne, darauf hatte Kenjin nur gewartet! Sie verändert die Position ihrer Sense und ließ die Waffe in einem anderen Winkel kreisen, sodass der Draht direkt auf Jims Kopf zusteuerte. Im letzten Augenblick riss dieser seine beiden Schwerter hoch. Er bremste die Wucht der Fliehkraft und die Faser wickelte sich um die Klingen. Blitzschnell lies er eine Waffe vorübergehend fallen und packten den Draht, wickelte ihn fest um sein Handgelenk. Kenjin stoppte die Rotation, auch wenn Jim sich zuvor noch sehr tief ins Fleisch schnitt.

"Hehe... jetzt hab ich dich... du kannst nichts machen!"

Sie knurrte und rüttelte an der Waffe, doch wieder hatte Jim die Oberhand in diesem Duell. Der Söldner verschnürte den Draht mehrfach an seiner Faust, damit er seine Hand führen konnte, ohne den Faden zu verlieren. Dann hob er Gouka wieder auf.

"Glaubst du, damit ist es getan?! Hier!"

Blitzartig lies sie ihre Hand in einer Manteltasche verschwinden und zog ein Blatt mit Spielkarten hervor. Was Jim im ersten Augenblick völlig verwirrte, offenbarte bald ihre Gefahr, denn Kenjin warf ihm das Blatt entgegen.

"...Bube, Dame, König, Ass!!!"

Schmerz keimte in Jim auf und er musste sich zusammenreißen, damit ihm nicht schwarz vor Augen wurde. Die Pein war groß, denn die Karten waren mit feinem, äußerst scharfem Stahl verstärkt, der sich nun in seinen Oberkörper geschnitten und gebohrt hatte. Dennoch lies er nicht los. Kenjins Blick weitete sich, als der erhoffte Effekt nicht eintrat. Jim geriet allerdings langsam an seine Grenzen. Es war Zeit, Schluss zu machen.

"Ich hab dir gesagt, du kannst nichts machen... du bist gut aber es gibt ein Mittel für dich. Ich kenne deine Schwachstelle."

Darauf sagte sie nichts, schluckte bloß leicht und beobachtet, wie Jim aus einer Tasche eine kleine Ampulle hervorzog. Er öffnete sie und lies eine Flüssigkeit über dem Faden aus, die daran hinunterperlte und bis zu Kenjin verlief, welche das auf die Entfernung aber nicht genau hatte sehen können.

"Was hast du da gemacht?! Spuck's aus!!", rief sie ihm zu und startete dann verzweifelt nach vorne, die Sense im Schlepptau. Wenn sie Jim zuvorkam, hatte sie gewonnen. Er durfte nur nicht... ihre wahre Schwäche entdeckt haben!

"Zu spät."

Ein fahles Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als er Goukas Klinge an dem starken Draht wetzte. Ein Funke entstand, schon stand das ganze Schwert in Flammen. Kenjin bremste abrupt und stieß einen verängstigen Schrei aus.

"Neiiiien! Mach es aus, bitte, lösch' das Feuer!!", flehte sie ihn an, doch Jim zeigte kein Erbarmen. Die Flammen fraßen sich den geölten Draht entlang und ehe Kenjin diesen von ihrer Sense gelöst hatte, stand jene auch schon in Flammen. Jim stieß Gouka in das Feld und die umliegenden Pflanzen fingen ebenfalls Feuer. Schon sehr zeitig war ihm aufgefallen, wie trocken hier alles war. Brannte einmal ein kleiner Teil, war das Feld schon verloren.

Kenjin versuchte verzweifelt, den Draht von ihrer Sense zu entfernen, indes hatte sich ihr Kampfplatz längst in ein Inferno verwandelt. Jim war schon auf der Flucht. Er hätte zusehen können, doch er war sich sicher, dass der Pierrot in seinem Wahn von den Flammen verschluckt werden würde. Zudem musste er seine Wunden versorgen.

Die Hälfte des Maisfeldes stand schon in Flammen, er hörte lediglich verzweifelte Geräusche, die Kenjin von sich gab, doch sie war schon in den Flammen nicht mehr recht zu sehen, als Jim ein letztes Mal stehen blieb und von der eisernen Leiter, die aus dem Raum führte, herunter sah.

"Mach's gut... Kenjin.", meinte er schwach lächelnd. Dann verlies er den Raum.


***



"Warte! So warte doch! Tran Loc, bleib stehen!!"

Nguyen raste durch den Gang, so schnell es ihm möglich war. Dieses Inferno auf seinem Bildschirm, er hatte es nicht länger ertragen können. Er musste etwas tun! Nie hatte er sich für einen Helden gehalten, er war ein rationaler Geist doch diesmal... er konnte Kenjin nicht einfach ihrem Ende überlassen!

Jumpdevil folgte ihm hastig und stürzte hinter ihm in den Fahrstuhl.

"Komm schon, mach!!", befahl er dem Transportmittel, während Nguyen den Knopf für das Erdgeschoss immer wieder traktierte. Die Türen öffneten sich, die Hast ging weiter durch die Korridore. Nguyen stieß etlichen Türen auf, bog um Ecken, folgte Gängen. Alles sah so gleich aus, doch er wusste, dass er den richtigen Weg nahm. Wenn die Szenerie doch nur endlich ein Ende nahm!

Völlig außer Atem erreichten Jumpdevil und Nguyen den Raum, den Kenjin ihr Zuhause genannt hatte. Die Tür zu dem Lagerraum stand noch offen. Doch drinnen bot sich ein Anblick des Schreckens. Das Feld war restlos ausgebrannt, alles war verwüstet, überall Brandspuren, umgewühlte Erde. In der Mitte des zerstörten Feldes türmte sich ein großer Erdhügel auf, von Kenjin und ihrer Sense aber keine Spur.

"Wir... kommen zu spät...."

Jumpdevil schlug eine Hand vor den Mund und stützte sich leicht an Tran Loc, der auch nicht anders konnte, als seinen leeren Blick über das Bild des Grauens schweifen zu lassen.

"Verdammt.... Kenjin! Verdammt!!", ballte er seine Faust. Am liebsten hätte er sie irgendwo dagegen geschlagen, doch es war nichts mehr hier... selbst die Treppe nach unten war fast restlos zerstört und eingestürzt.

Das logische Denken bekam in Tran Loc die Oberhand und er verbannte die Trauer für einen Moment.

"Komm, Jumpdevil. Wir müssen gehen, komm. Wir können nichts mehr tun! Wir müssen diesen Raum versiegeln lassen und dann Alarm schlagen."

Sie fasste sich wieder.

"Ja, du hast recht. Ich kümmere mich darum, dass hier alles abgeriegelt wird. Du alarmierst die Wachposten und die Angestellten und sagst den Führungsmitgliedern Bescheid."

"Einverstanden. Bis später!"

Die Wege der zwei trennten sich. Tran Loc eilte zurück in eines der Labors, Jumpdevil nahm den Fahrstuhl nach oben.

An einem Schreibtisch angekommen, aktivierte Nguyen den dortigen Computer, da fast überall in den Labors ein solches Gerät zu finden war. Dank seiner Zugriffmöglichkeiten, löste er überall einen stillen Alarm aus, der die einzelnen Mitglieder, Angestellten und Soldaten entweder in ihren Quartieren, per Funk oder über den Computer warnte. Jetzt musste die Führungsspitze schnell sein. Die Säulen von AnF waren in Gefahr, denn Jim hatte sich verkrochen. Selbst Tran Loc würde brauchen, bis ihn seine Nanokameras aufgespürt hatten. Der Zorn über Kenjins Verlust kroch wieder in ihm hoch. Er lies die Faust auf den Tisch krachen.

"Verdammt! Du Ratte! Wo hast du dich verkrochen!?"



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