Tutorium: Wie verleihe ich meiner Geschichte das richtige Tempo?
Autor: aurora australis
Generell ergibt sich das Tempo einer Geschichte aus der Länge des Textes, den der Autor darauf verwendet, über eine bestimmte Zeit in der Geschichte zu schreiben. Schreibt er zum Beispiel über einen Tag einmal zehn Seiten und ein zweites Mal nur eine Seite, dann hat die Geschichte im zweiten Fall eine deutlich höhere Geschwindigkeit als im ersten.
Nur wenige und meist nur kurze Geschichten sind in immer der gleichen Geschwindigkeit geschrieben, weil viele Autoren automatisch die Geschichte verlangsamen - also mehr schreiben-, wenn etwas für die Handlung wichtiges passiert, und verschnellern - also weniger schreiben - wenn gerade nichts wichtiges passiert.
Die meisten Autoren schreiben die Teile ihrer Geschichte intuitiv in der richtigen Geschwindigkeit. Das ist so wichtig, weil der Leser irritiert wird, wenn die Geschichte ein Tempo hat, das nicht zur Geschwindigkeit der Ereignisse passt.
Wie kann also ein unpassendes Tempo vermieden werden?
Es gibt einige Grundregeln, an denen man sich, sofern man keinen guten Grund dagegen hat, orientieren sollte.
Beispielsweise sollten gedankliche Monologe eher in ruhigen Momenten stattfinden. Es spricht nichts dagegen, hin und wieder auch in hektischen Situationen einen Gedanken eines Charakters aufzuschreiben, aber ihr solltet einen guten Grund dafür haben. Dass ein Charakter seitenweise Monologe hält, während er einen Schwertkampf austrägt, ist unpassend. Generell gilt: Wenn schnelle, wichtige Ereignisse passieren, sollte man den Anteil der Beschreibungen auf kurze, punktgenaue und relevante Einschübe beschränken. Das hält die Spannung aufrecht.
Bleiben wir beim Beispiel mit dem Schwertkampf. Wer ein Kapitel mit einem Schwertkampf schreiben will, sollte wirklich nicht auf die Idee kommen, von Anfang bis Ende die einzelnen Schläge des Schwertkampfes und dazwischen die Gedanken der Charaktere, für den Kampf nicht relevante Beschreibungen der Umgebung und ähnliches aufschreiben zu wollen.
Weil dann der Leser zumindest mehrere Minuten bräuchte, um einige Buchseiten über ein Ereignis zu lesen, das in der Realität nur einige Sekunden dauern würde, käme ihm die Erzählung seltsam langgestreckt vor. Viele Geschichten haben außerdem eine personalisierte Erzählweise, in der man die Handlung etwa so wahrnehmen soll wie der Hauptcharakter, und dass der sich in einem Kampf auf Leben und Tod Gedanken um Details der Umgebung oder sein Verhältnis zu gerade nicht anwesenden Leuten macht, ist schlicht unrealistisch.
Was wäre eine bessere Alternative?
Beispielsweise könnte der Charakter durch die die Gegend laufen und dabei seine Umwelt beschreiben, bevor er angegriffen wird. Nach dem Kampf könnte er dann seine Gefühle und Gedanken beschreiben, zum Beispiel, wenn er am Abend vor dem Einschlafen noch an den Ausgang des Kampfes denkt.
Szenen, bei denen man darauf achten sollte, sie nicht zu langsam zu schreiben, sind neben Kampfszenen vor allem andere Szenen mit körperlichen Angriffen (Entführungen, Überfälle) und andere plötzliche Ereignisse wie Unfälle, Lawinen und andere Situationen, in dem in der Realität einem Menschen nicht viel Zeit lässt, über eine Reaktion nachzudenken.
Es sind Szenen, die oft für die Geschichte eine sehr wichtige Bedeutung haben, aber sie passieren sehr schnell und sollten entsprechend geschrieben werden. Ihre Bedeutung sollte eher dadurch betont werden, dass sie auch vor und nach dem Ereignis in den Gesprächen und Gedanken der Charaktere eine wichtige Rolle spielen.
Ein Grenzfall sind Dialoge, da sie ganz unterschiedlich lange dauern können und sich die Charaktere vorher überlegen, was sie sagen. Aber Dialoge sind in der Realität fließend, während ihnen verstreicht die Zeit kontinuierlich und wenn jemand unter Stress steht und keine Pause im Gesprächsfluss zulassen will, kann er nicht lange nachdenken. Man sollte es vermeiden, nachdem ein Charakter etwas gesagt hat, mehr als zwei oder drei Zeilen Beschreibungen anzufügen, ehe man zu der nächsten Dialogzeile kommt.
Insgesamt sollte man darauf achten, die Geschichte weder zu schnell noch zu langsam zu schreiben. Zu viel geraffter Text kann die Geschichte wie ein Geschichtsbuch wirken lassen, das über Ereignisse zwar informiert, den Leser aber nicht wirklich zu einer Identifikation mit dem Charakter bewegen kann. Zu viel reine Beschreibung hingegen kann je nachdem, was beschrieben wird, eher wie ein wissenschaftlicher Aufsatz oder eine Charakteranalyse wirken, und nicht wie eine Geschichte selber. Ob ein Autor eher normale Geschwindigkeit in seinem Text beibehält und viel mit Dialogen und Beschreibungen von Ereignissen arbeitet oder ob er eher die Erzähltechniken abwechselt, ist eine Frage des persönlichen Stils.
Szenen, die oft zu schnell beschrieben werden, sind in vielen Fällen Szenen, in denen etwas sehr lange Andauerndes passiert, was auch wichtig für die Geschichte ist und von dem der Autor nicht weiß, wie er es beschreiben soll. Ein relativ häufiges Beispiel sind lange Reisen, zum Beispiel per Pferd. Nehmen wir an, der Autor will die Charaktere am Ende eines Kapitels aufbrechen lassen, und beginnt das nächste mit den Worten:
"Sie waren drei Wochen unterwegs gewesen, und nun waren sie da."
Das fühlt sich dann einfach nicht so an, als wären innerhalb der Geschichte auch drei Wochen vergangen. Aber was soll man schreiben, wenn in der Zeit nichts Wichtiges für die Handlung passiert, worüber man schreiben könnte?
Neben den Teilen der Handlung, über die man immer dann schreiben muss, wenn sie passieren, gibt es Sachen, die der Autor einer Geschichte in der Geschichte passend legen kann. Ein paar Dialoge, die wichtig für die Charakterentwicklung sind oder dem Leser bedeutende Informationen mitteilen. Umgebungsbeschreibungen. Ereignisse, die innerhalb der Geschichte verschoben werden können, ohne dass es die Handlung zerstört. Alle diese Sachen sollten dem Leser gezeigt werden, während innerhalb der Geschichte die Zeit verstreicht.
Wie so viele schriftstellerische Ratschläge sind auch diese Hinweise nur zur Orientierung gedacht. Bewusst eingesetzt, kann auch eine davon abweichende Geschichte gut erzählt werden.
Aber immer beachtet werden sollte das Grundprinzip der Relevanz. Schreibt, was für die Geschichte von Bedeutung ist. Nimmt etwas Nebensächliches zu viel Raum in eurer Geschichte ein, solltet ihr es überspringen oder, wenn es dennoch für das Verständnis wichtig ist, zusammenfassen. Habt ihr hingegen das Gefühl, einem Ereignis nicht genügend Bedeutung geben zu können, wenn es gerade passiert, dann gebt ihm indirekt mehr Aufmerksamkeit, indem ihr Charaktere darüber reden und nachdenken lasst.