Tutorium: Ab wann ist ein Betaleser notwendig oder hilfreich?
Autor: Riiru
Zunächst einmal möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, was ein Betaleser ist und was er können sollte bzw. was nicht.
Betaleser sind Menschen, die dein Projekt vor allen anderen zu lesen bekommen, manchmal auch nachträglich, wenn dir vielleicht geraten wurde, einen Betaleser hinzuzuziehen. Sie sind Menschen, die dein Projekt auf Rechtschreibung, Grammatik und inhaltlichen Fehlern hin überprüfen und dir Feedback geben, die einem potenziellen Leser auffallen könnten.
Sie stehen mit dir im engen Kontakt und können, je nachdem, wie eure Absprache ist, sich maßgeblich an eurem Projekt beteiligen.
Ich werde an dieser Stelle mit zwei Begriffen arbeiten, um die zwei Typen von Betalesern einfacher unterscheiden zu können. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihres Arbeitsaufwandes, aber auch durch das Stadium deines Projektes, in dem sie hinzugezogen wurden.
- Was ist ein Alphaleser?
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Der Alphaleser ist schon bei der Entstehung deines Projektes, quasi an der Rohfassung beteiligt, wenn dein Projekt (an-)geschrieben und mindestens eine Rechtschreibung- und Grammatikprüfung (z.B. durch ein einfaches Schreibprogramm) durchlaufen hat. Er gibt dir erste Hinweise darauf, wie dein Text, in einem anderen Kopf als deinem, also auf andere, wirkt.
Ein Alphaleser ist dann sinnvoll, wenn du dich beim Schreiben oft in deine eigenen Gedanken verrennst oder noch nicht besonders viel Erfahrung in dem Bereich hast, in dem du schreibst. Wenn du beispielsweise ein neues Fandom oder Genre ausprobierst, kann er dir dabei helfen, grobe Schnitzer festzustellen oder Logikfehler, die im Laufe der Geschichte Fragen aufwerfen und dich schließlich sogar ins Stocken geraten lassen.
In diesem Stadium eines Projektes, kann er sich mit seinen Fragen und auch Ideen maßgeblich an der Entstehung deines Projektes beteiligen. Vielleicht hilft er dir dabei, das weitere Vorgehen zu planen. Gehen wir mal davon aus, dass dein Projekt an dieser Stelle nur etwa zur Hälfte steht und du zwar bereits ein Ende im Kopf hast, aber noch darauf hinarbeiten möchtest. Gerade für solche Zwecke sind Alphaleser perfekt geeignet. Du hast auf der einen Seite jemanden, der dein Projekt kennt und er kann dir auf diese Weise zur Seite stehen, wenn es ums gemeinsame Brainstormen geht.
Natürlich muss letzteres nicht zwangsläufig sein, aber gerade, wenn du Anfänger bist oder unsicher in deinen Fähigkeiten, macht es Sinn, sich mit jemandem über dein Projekt auszutauschen.
Viele Leute überspringen diesen Schritt auch einfach, legen ihr Projekt nach der Fertigstellung einige Monate ad acta und beschäftigen sich selbst damit, nachdem sie etwas Abstand gewonnen haben. Jeder muss für sich selbst herausfinden, welche Methode ihm eher zusagt. Vielleicht kommt auch eine Kombination in Frage.
Falls du mit dem Gedanken spielst, dir einen Alphaleser zu suchen, sollte es auf jeden Fall jemand sein, dem du ein gewisses Vertrauen entgegenbringst. Die Rohfassung deines Projektes ist selten sofort das Gelbe vom Ei und du wirst den einen oder anderen Fehler übersehen, der dir später unangenehm sein könnte. Dein Alphaleser sollte dich (als Person) und deine Schreibfertigkeiten (wozu du fähig bist!) gut kennen. Er muss nicht zwangsläufig im Fandom bewandert sein. Manchmal ist es sogar sinnvoll, wenn er Dinge hinterfragt, die für dich ganz selbstverständlich sind.
- Aber ist der Alphaleser dann nichts anderes als ein Schreibbuddy?
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Viele der obig genannten Qualitäten hat im Übrigen auch ein Schreibbuddy, aber ein Alphaleser muss nicht zwangsläufig auch Schreiberling sein, warum verwende ich diese Begriffe nicht als Synonym.
- Und was ist jetzt mit dem Betaleser?
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Kommen wir zum ‚eigentlichen‘ Betaleser. Per Definition ist er jemand, der deine (fertige) Geschichte vor Veröffentlichung oder nach Bearbeitung liest und deinen Text auf die vorab festgelegten Parameter überprüft. Das können Rechtschreibung, Grammatik, inhaltliche Fehler, Charakterentwicklung, fandombezogene Aspekte und vieles mehr sein. Die Möglichkeiten sind beinahe unbegrenzt. Es ist in jedem Fall sinnvoll, vorab abzusprechen, welche Qualitäten dir bei deinem Betaleser besonders wichtig sind. Jeder Betaleser hat andere Stärken und Schwächen, die sollten beim Aussuchen eines solchen auf jeden Fall berücksichtigt werden.
Er unterscheidet sich in seiner Arbeitsweise gar nicht so sehr vom bisher angesprochenen Alphaleser, wird aber meist erst hinzugezogen, wenn dein Projekt oder einzelne Kapitel bereits fertig sind und du die ersten Meinungen aus der Sicht der potenziellen Leser hinzuziehst.
- Gibt es auch Dinge, die ein Betaleser nicht kann?
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Dein Alpha-/Betaleser ist kein Ersatz für ein Überarbeiten deinerseits. Dir muss klar sein, dass du dir auf Dauer jeden noch so eifrigen Betaleser vergraulst, wenn du nicht gewillt bist, dein Projekt selbst mehrfach zu lesen, bevor es an ihn oder sie raus geht.
Es ist verständlich, dass du nach dem Schreiben hibbelig bist und es am liebsten losschicken möchtest, diese Art von Stolz ist für einen Autor und seine Motivation unentbehrlich, aber lass das Dokument dennoch ein wenig sacken und schau Stunden/Tage später noch mal drüber. Du wirst vermutlich selber schon einige Fehler finden.
Aus eigener Erfahrung als langjähriger Betaleser kann ich nur sagen, dass mich bisher am meisten gestört hat, wenn jemand wirklich nach zig Kapiteln noch immer dieselben blöden Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler macht, obwohl ich ihn in mehreren Kapiteln zuvor darauf hingewiesen habe.
Auch ich als Autor habe solche Fehler gemacht und das häufiger als mir lieb ist. Es ist mir im Nachhinein peinlich, aber ich habe aus dem Fehler gelernt. Er war notwendig, damit ich mir heute in Projekten noch immer die Frage stelle: Habe ich aus meinem Fehler gelernt? Mit Stolz kann ich behaupten: Ja!
Als Autor bist du, wenn du einen Betaleser hinzuziehst, in der Verantwortung, dich mit dem von ihm oder ihr Geschriebenen auseinander zu setzen. Damit meine ich nicht, dass du jede Anmerkung für bare Münze nehmen sollst, sondern dich kritisch damit auseinandersetzt:
Ist das gerechtfertigt? Ist es eine verständliche Kritik? Falls ja, was kann ich daran ändern? Können wir (Betaleser und Autor) einen Kompromiss finden?
Wenn du vorher nicht weißt, dass man nach einem Komma ein Leerzeichen macht und dich dein Betaleser darauf hinweist, dann kannst du das nicht einfach "ignorieren". Du musst dich damit auseinandersetzen. Dich informieren. Ist es so, wie er sagt? Falls ja, ist es keine Schande! Du kannst zugeben, einen Fehler gemacht zu haben und ihn zukünftig vermeiden. Damit tust du euch beiden einen großen Gefallen.
- Wie finde ich einen Betaleser?
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Im besten Fall kennst du vielleicht schon jemanden, der eine solche Aufgabe mit dir angehen möchte, aber falls nicht, gibt es auch im Internet Möglichkeiten, an einen Betaleser zu kommen.
Im Fanfiktion.de Forum gibt es z.B. die Betaleserbörse, die dir dabei behilflich sein kann, den passenden Betaleser für dein Projekt zu finden. Entweder suchst du dir aus dem Betaleser Sammelthread den passenden Leser heraus oder du startest selbst ein Gesuch. Auch hier ist es wichtig, wie oben angemerkt, deine Vorstellungen möglichst genau zu formulieren. Du, als Autor, kennst deine Stärken und Schwächen vermutlich am besten und kannst dir jemanden aussuchen, der dir hilft, einen Ausgleich zu finden und dein Projekt weiter zu verbessern.
- Ich ziehe einen Betaleser in Betracht, bin jedoch noch unsicher. Wie läuft das Ganze jetzt ab?
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Wie ihr euch schließlich einigt, ist natürlich sehr individuell auf Bedürfnisse und Vorlieben angepasst, aber in der Regel tauscht ihr erst einmal Kontaktdaten aus (z.B. Email, Messengerdienste). Im weiteren Schritt ist es notwendig, euch gemeinsam darauf zu einigen, was für Erwartungen ihr aneinander habt (wichtig!).
- Soll dein Betaleser nur als Korrektor für Rechtschreibung, Grammatik und Logikfehler fungieren oder mehr können? Falls letzteres zutrifft:
- Willst du nur eine einfache Rückmeldung oder eine rege Diskussion, bis alles annähernd perfekt ist?
- Darf der Betaleser in dem Dokument, das du ihm zukommen lässt selber korrigieren oder soll er dir nur Kommentare an den Rand schreiben?
- Thema Zeitmanagement: Wie sieht euer Alltag aus? Wann könnt ihr euch die Zeit für das gemeinsame Projekt nehmen? Wie viel Zeit möchtet ihr wöchentlich investieren? Bis wann brauchst du die Rückmeldung? (Sei an dieser Stelle bitte realistisch und bring etwas Zeit mit!)
- Welche Programme bevorzugt ihr? Wie sieht es mit der Formatierung aus? Bist du gewillt, deinem Betaleser in bestimmten Aspekten entgegen zu kommen (Ordnung, Formatierung, Versionsnummern einführen, etc.)?
- Wie kritikfähig bist du wirklich? (Und diese Frage solltest du so ehrlich wie möglich beantworten, auch deinem Betaleser gegenüber, schließlich wird er es früher oder später ohnehin herausfinden)
Es gibt natürlich noch viele andere Fragen, aber diese werden oft vergessen oder fallen gelassen, weil sie unangenehm sind (und sein müssen). Im Endeffekt tragen sie aber auch zu einem erfolgreichen Verhältnis bei. Keiner von euch möchte seine Zeit mit einem Partner verschwenden, der in Wirklichkeit ganz andere Vorstellungen als man selbst hat. Man muss gerade bei dieser zeitintensiven und unvergüteten Aufgabe auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
- Ich habe jetzt einen Betaleser und alles ist gut. Gibt es noch etwas, das ich wissen muss?
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Dieser Punkt ist mir sehr wichtig, darum habe ich ihn aufgeführt, obwohl er nicht zur direkten Fragestellung an sich gehört und oft vergessen wird. Aber, wenn du einen Alpha- oder Betaleser gefunden hast, die Chemie stimmt, es Spaß macht, sich über dein Projekt auszutauschen, dann macht es nur Sinn, ihn für seine Bemühungen auch zu ‚entlohnen‘.
Erwähne deine Betaleser, verlinke ihn oder sie, wenn du deine Geschichte schließlich der Menschheit präsentierst. Du musst ihn nicht bezahlen, aber kleine Aufmerksamkeiten sind Gold wert. Eigentlich sollte es klar sein, dass du dich für die Arbeit bedankst, auch wenn du ihn nicht bezahlen kannst. Letzteres verlangt schließlich auch keiner. Betaleser machen es, weil sie es selbst wollen (in der Regel...)
Aber vielleicht hast du ja die Gelegenheit, ihn auf andere Weise für seine Arbeit zu entlohnen, zum Beispiel mit etwas Selbstgeschriebenem oder ein paar ermunternden Worten. Der zwischenmenschliche Aspekt kann dir nur zum Vorteil gereichen. Aus vielen Betalese-Verhältnissen werden irgendwann Freundschaften. Einen passenden Betaleser zu finden, kann mitunter schwer werden und wenn du einen gefunden hast, solltest du ihn entsprechend behandeln.
- Fazit
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Kommen wir mal zur Kernfrage zurück, nachdem du dir hoffentlich Gedanken gemacht hast, ob ein Betaleser für dich Sinn macht oder nicht. Denn es gibt auf diese Frage keine einheitliche Antwort. Viele würden jetzt sagen, dass es natürlich Sinn macht, einen Betaleser zu engagieren, aber es kommt auf dich persönlich an, ob du dich mit jemandem arrangieren kannst, der in deinem Text, deinem Baby, mit dem Rotstift herumkritzelt oder nicht.
Sinn macht es nämlich nur, wenn du bereit bist, dich kritisch mit deinem Text auseinanderzusetzen, ohne dich persönlich angegriffen zu fühlen. Wenn du diese Phase noch nicht erreicht hast, wird ein Betaleser womöglich mehr kaputt machen, als Nutzen bringen. Aber sei dir gewiss, wenn du deine Geschichten der Öffentlichkeit preisgibst, wirst du auf die eine oder andere Weise Feedback erhalten. Es liegt an dir zu entscheiden, ....
Wenn du diese Hürde überwunden hast, kannst du nach deinen persönlichen Vorlieben entscheiden, welche Art von Betaleser dir am meisten Vorteile bringt. Ob du eher einen Alpha- oder Betaleser bevorzugst.
Und falls du nach diesem Tutorium der Meinung bist, dass du lieber keinen Betaleser wünschst, dann möchte ich dir an dieser Stelle auch noch mal im Namen aller Menschen, die keine Betaleser haben, versichern: Es ist okay! Du bist dadurch kein minderwertiger Autor, auch wenn bei dem ganzen Thema wohl der Eindruck entstehen könnte. Ein Betaleser mag sinnvoll sein, aber der heimliche Herrscher deiner Geschichte bist du, ob mit oder ohne Betaleser.